Vorlesung Höhere Mathematik I

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1
Vorlesung Höhere Mathematik I
TU Dortmund, Wintersemester 2015 / 16
Winfried Kaballo
Das vorliegende Skript faßt die Inhalte der Vorlesung HM I (P / MP / ET / IT /
I-I) im Wintersemester 2015/16 an der TU Dortmund zusammen.
Vorbemerkungen
Viele Probleme der Naturwissenschaften oder Technik können in der Sprache der
Mathematik exakt formuliert, diskutiert und (hoffentlich) gelöst werden; daher ist
eine Grundausbildung in Mathematik Teil Ihres Studiums.
Für eine erfolgreiche Anwendung mathematischer Methoden in Ihrer Wissenschaft
genügt es sicher nicht, nur Rechenverfahren für einige Typen von Aufgaben auswendig zu lernen. Statt dessen hat diese Vorlesung das Ziel, Ihnen ein möglichst
weitgehendes Verständnis mathematischer Zusammenhänge zu vermitteln. Dieses
erfordert ein gewisses Abstraktionsvermögen, dessen Erlangung auch ein Lernziel
dieser Vorlesung ist.
Spezielle Vorkenntnisse werden von Ihnen nicht erwartet, aufgrund des Tempos ist
aber eine gewisse Vertrautheit mit der Mathematik nützlich, wie sie (hoffentlich) im
Schulunterricht vermittelt wird.
Für eine erfolgreiche Teilnahme an dieser Lehrveranstaltung wie auch für ein erfolgreiches Studium allgemein ist unbedingt aktive Mitarbeit nötig!
Dazu bestehen mehrere Gelegenheiten:
Arbeiten Sie vor!
Arbeiten Sie den Stoff einer Vorlesung bereits vorher durch, etwa anhand eines Buches. Versuchen Sie insbesondere, vor der Lektüre einer Lösung eines Problems eine
solche selbst zu finden. In der Vorlesung werden regelmäßig Probleme formuliert, die
erst später ohne weiteres gelöst werden können (oder auch gelöst werden). Ernsthafte Versuche (auch nicht erfolgreiche), diese Probleme selbst zu lösen oder Beweise
selbst zu finden, sind für deren wirkliches Verständnis sehr hilfreich.
Arbeiten Sie nach!
Arbeiten Sie den Stoff einer Vorlesung nach derselben anhand Ihrer Aufzeichnungen,
des Skripts oder eines Buches noch einmal durch.
2
Lösen Sie Übungsaufgaben!
Jede Woche werden einige Übungsaufgaben gestellt. Versuchen Sie ernsthaft, diese
zu lösen, und verlieren Sie nicht den Mut, wenn dies nicht immer sofort gelingt. Aufgaben und Lösungen werden in den Übungsgruppen besprochen. Können Sie einmal
eine Übungsaufgabe nicht lösen, so versuchen Sie, Ihre Schwierigkeit dabei genau zu
lokalisieren, damit Sie gezielt fragen können und die Lösung dann besser verstehen.
Stellen Sie Fragen!
Bei allen oben vorgeschlagenen Aktivitäten können sich Fragen ergeben. Es gibt
viele Gelegenheiten, solche zu stellen: vor und nach einer Vorlesung, in deren Pause,
in den Übungsgruppen sowie in Sprechstunden.
Inhalt der Vorlesung:
I.
II.
III.
IV.
Zahlen, Konvergenz und Stetigkeit
Lineare Gleichungssysteme
Grundlagen der Differential- und Integralrechnung
Taylor-Formel und Reihenentwicklungen
Literatur:
A
B
F
J
K
S
T. Arens, F. Hettlich, Ch. Karpfinger, U. Kockelkorn, K. Lichtenegger,
H. Stachel: Mathematik. Spektrum Verlag 2008.
K. Burg, H. Haf, F. Wille: Höhere Mathematik für Ingenieure I, II
(insg. 5 Bände). Teubner-Verlag.
P. Furlan: Das gelbe Rechenbuch 1 (insg. 3 Bände). M. Furlan-Verlag.
K. Jänich: Mathematik 1,2. Springer-Verlag 2001,2002.
W. Kaballo: Einführung in die Analysis I (insg. 3 Bände).
Spektrum-Verlag 2000.
U. Sorch, H. Wiebe: Lehrbuch der Mathematik 1,2 (insg. 4 Bände).
Spektrum-Verlag 1996, 1990.
1
I. Zahlen, Konvergenz und Stetigkeit
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
1
Reelle Zahlen
Vollständige Induktion
Abbildungen
Konvergente Folgen
Stetigkeit und Zwischenwertsatz
Exponentialfunktion und Logarithmus
Komplexe Zahlen
Polynome
Fehlerfortpflanzung
1
8
14
20
28
34
38
44
48
Reelle Zahlen
Aufgaben: 1. Gibt es rationale Lösungen der Gleichungen x2 = 2 , x7 = 5 , x5 + x + 1 = 0
oder x2 = −4 ? Gibt es reelle Lösungen
dieser Gleichungen ? Warum ?
√
3/
3
−3
4
2. Wie sind die Zahlen 2 , 2 , 2
definiert ?
3. Versuchen Sie, die Lückenlosigkeit“ von R möglichst präzise zu formulieren!
”
Als Startpunkt für diese Vorlesung wird angenommen, daß Sie mit den Eigenschaften
der Menge Q der rationalen Zahlen oder Brüche vertraut sind. Sicher haben Sie auch
eine vage Vorstellung von der Q echt umfassenden Menge R der reellen Zahlen.
Diese kann als Zahlengerade veranschaulicht werden. Man hat die Vorstellung, daß
die reellen Zahlen diese Gerade lückenlos ausfüllen,“ was für Q allerdings nicht der
”
Fall ist.
1.1 Axiome. a) Die Richtigkeit mathematischer Aussagen, etwa über Zahlen, wird
stets mittels logischer Schlüsse bewiesen, d. h. auf bereits bekannte richtige Aussagen
zurückgeführt. Natürlich benötigt ein solches logisches Gebäude“ ein Fundament,
”
d. h. einige grundlegende Aussagen, die sogenannten Axiome, deren Richtigkeit ohne weitere Begründung unterstellt wird. Die grundlegenden Axiome für die Menge
R der reellen Zahlen sind natürlich nicht willkürlich gewählt. Sie sind anschaulich
”
klar“, und die auf ihrer Basis entwickelte Theorie kann mit großem Erfolg auf reale
”
Probleme“ in vielen Wissenschaften angewendet werden.
b) Die Eigenschaften der Addition und Multiplikation werden durch die Körperaxiome beschrieben, die der < “-Relation durch die Anordnungsaxiome. Diese Axiome
”
werden am Ende dieses Abschnitts aufgeführt. Sie sind sowohl für R wie auch für
Q gültig. Die hingegen nur für R geltende Lückenlosigkeit“ wird in 4.2 als Inter”
vallschachtelungsaxiom formuliert.
1.2 Bezeichnungen der Mengenlehre. a) Nach G. Cantor versteht man unter
einer Menge jede Zusammenfassung M von bestimmten, wohlunterschiedenen Ob”
jekten m unserer Anschauung oder unseres Denkens (welche die Elemente von M
genannt werden) zu einem Ganzen“.
b) a ∈ R bedeutet, daß a Element der Menge R ist.
2
I. Zahlen, Konvergenz und Stetigkeit
c) N ⊆ M bedeutet, daß die Menge N in der Menge M enthalten ist, daß also
jedes Element von N auch Element von M ist.
d) Wichtige Teilmengen von R sind die Mengen
N
Z
Q
=
=
=
{1, 2, 3, 4, . . .}
{0, 1, −1, 2, −2, 3, −3, . . .}
{ pq | p, q ∈ Z und q 6= 0}
der natürlichen Zahlen,
der ganzen Zahlen,
der rationalen Zahlen.
e) M ∩ N := {a | a ∈ M und a ∈ N} ist der Durchschnitt von M und N , die
Vereinigung der beiden Mengen ist M ∪ N := {a | a ∈ M oder a ∈ N} . Hier wie
stets in der Mathematik ist das Wort oder“ im nicht ausschließenden Sinn gemeint.
”
f) M\N := {a ∈ M | a 6∈ N} ist die Menge aller Elemente von M, die nicht zu N
gehören.
g) Mengen können durch Aufzählung ihrer Elemente, etwa M = {1, 3, 5} , angegeben
werden oder durch die Spezifizierung der Eigenschaften ihrer Elemente wie etwa bei
der Definition von Q oder M ∩ N oben.
1.3 Quantoren und Negation. a) Viele Formulierungen in der Mathematik werden kürzer, wenn man die Quantoren ∀ für alle“ und ∃ es gibt“ verwendet. Zum
”
”
Beispiel lautet ein Axiom der Multiplikation
Axiom M4 Zu a ∈ R\{0} gibt es x ∈ R mit ax = 1
damit folgendermaßen:
∀ a ∈ R\{0} ∃ x ∈ R : ax = 1 .
(1)
b) Es ist wichtig, mittels Quatoren formulierte Aussagen korrekt zu verneinen. Dies
erfolgt so, daß man alle Quantoren ∀“ und ∃“ einfach vertauscht und die durch
”
”
diese quantifizierte Aussage negiert. Die (natürlich falsche) Negation der Aussage
(1) lautet somit:
∃ a ∈ R\{0} ∀ x ∈ R : ax 6= 1 .
1.4 Implikationen. a) Ein Teil des Anordnungsaxioms lautet so:
∀ a, b ∈ R : a > 0 und b > 0 ⇒ ab > 0 .
(2)
b) Hier werden zunächst die beiden Teilaussagen
(A1 ) : a > 0 ,
(A2 ) : b > 0
mittels der Konjunktion und“ zur Aussage
”
(A) : a > 0 und b > 0
verknüpft, die natürlich genau dann zutrifft, wenn beide Zahlen positiv sind.
c) Mit (B) : ab > 0 bedeutet dann (A) ⇒ (B) “ die Implikation der Aussagen (A)
”
1 Reelle Zahlen
3
und (B), d. h. aus (A) folgt (B)“. Diese Implikation ist nur dann falsch, wenn (A)
”
richtig, (B) aber falsch ist; in allen anderen Fällen ist die Implikation richtig (auch
wenn dies in der Umgangssprache häufig als unsinnig empfunden wird).
d) So ist z. B.
Wenn Weihnachten und Ostern zusammenfallen, gewinne ich im Lotto
eine richtige Aussage, da ihre Voraussetzung (A) Weihnachten und Ostern fallen
”
zusammen“ immer falsch ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Folgerung (B) ich
”
werde im Lotto gewinnen“ richtig oder falsch ist (in diesem Beispiel ist dies gar nicht
ohne weiteres feststellbar).
e) Die Negation einer Implikation (A) ⇒ (B) lautet daher
(A) und nicht (B) ,
im Fall der Aussage (2) also
∃ a, b ∈ R : a > 0 und b > 0 und ab ≤ 0 .
Hier haben wir die Notation
c ≤ d : ⇔ c < d oder c = d
benutzt. So ist z. B. 0 ≤ 1 “ eine richtige Aussage, die natürlich zu 0 < 1 “
”
”
verschärft werden kann. Entsprechend benutzen wir auch noch die Notation
c ≥ d :⇔ d ≤ c.
1.5 Äquivalenzen. Zwei Aussagen (A) und (B) heißen äquivalent, Notation:
(A) ⇔ (B) , wenn sie gleichzeitig richtig oder falsch sind. Man sagt (A) genau
”
dann, wenn (B)“ oder (A) äquivalent (B)“. Die Äquivalenz (A) ⇔ (B) bedeu”
tet gerade, daß die beiden Implikationen (A) ⇒ (B) und (B) ⇒ (A) gelten. Bei
Beweisen von Äquivalenzen sind daher stets zwei Richtungen zu zeigen.
Es folgt nun ein einfaches Beispiel einer Äquivalenz; der Beweis einer Richtung
erfolgt indirekt, d. h. aus der Annahme, die Behauptung sei falsch, wird ein Widerspruch hergeleitet.
1.6 Feststellung. Eine natürliche Zahl n ∈ N ist genau dann gerade, wenn
n2 = n · n gerade ist:
∀ n ∈ N : n gerade ⇔ n2 gerade .
(3)
Beweis. ⇒ “: Ist n ∈ N gerade, so gilt n = 2k mit einer natürlichen Zahl k ∈ N .
”
Daraus folgt sofort n2 = (2k)2 = 2 · 2k 2 , und somit ist auch n2 gerade.
⇐ “: Nun sei n2 gerade. Ist n ungerade, so gilt n = 2k − 1 mit einer natürlichen
”
Zahl k ∈ N . Dann ist aber auch
n2 = (2k − 1)2 = 4k 2 − 4k + 1 = 2 · (2k 2 − 2k) + 1
ungerade, und man hat einen Widerspruch. Folglich muß n doch gerade sein.
1.7 Feststellung. Es gibt keine rationale Zahl x ∈ Q mit x2 = 2 .
4
I. Zahlen, Konvergenz und Stetigkeit
Beweis. Es sei x = pq ∈ Q ein gekürzter Bruch mit p ∈ Z und q ∈ N . Aus x2 = 2
folgt p2 = 2q 2 , und daher ist p2 gerade. Nach 1.6 ist auch p gerade, also p = 2k für
ein k ∈ Z . Es folgt 4k 2 = 2q 2 ; somit sind auch q 2 und damit q gerade, und man
hat einen Widerspruch.
1.8 Wurzeln und irrationale Zahlen. a) Nach dem Satz des Pythagoras, einer
grundlegenden Aussage der ebenen Geometrie, gilt für die Länge x der Diagonalen
eines Quadrats mit Seitenlänge 1 die Beziehung x2 = 1 + 1 = 2 ; eine solche reelle
Zahl x > 0 sollte also existieren. Wegen 1.7 füllen somit die rationalen Zahlen die
”
Zahlengerade nicht aus“, sie haben Lücken“.
”
b) Die Menge R der reellen Zahlen wird durch vollständige Auffüllung der Lücken
”
von Q“ konstruiert (vgl. [K1], Abschnitt 15). Die Lückenlosigkeit“ von R wird in
”
4.2 als Intervallschachtelungsaxiom formuliert. Daraus (und dem Axiom des Archimedes) läßt sich dann die Existenz von (Quadrat-)Wurzeln und sehr vieler anderer interessanter irrationaler Zahlen, etwa die der Kreiszahl π , in R folgern, und
darüberhinaus beruhen alle wesentlichen Ergebnisse der Analysis auf diesem Axiom.
c) Mittels der eindeutigen Zerlegbarkeit natürlicher Zahlen in Primfaktoren läßt sich
in Verallgemeinerung von 1.7 folgendes zeigen: Sind x ∈ Q und k ∈ N mit xk ∈ Z ,
so folgt bereits x ∈ Z . Eine allgemeinere Aussage folgt in 8.11.
1.9 Absolutbeträge. a) Die Punkte a ∈ R und −a ∈ R haben den gleichen
Abstand von 0 . Dieser Absolutbetrag oder Betrag einer reellen Zahl a ∈ R wird
definiert durch
| a | :=
(
a , a≥0
.
−a , a < 0
(4)
b) Durch Übergang zum Absolutbetrag wird das Vorzeichen einer Zahl unterdrückt.
Es gilt a = +| a | oder a = −| a | , kurz a = ±| a | . Man hat −| a | ≤ a ≤ | a | und
∀ a, b ∈ R : | a | ≤ b ⇔ −b ≤ a ≤ b .
(5)
1.10 Feststellung. Für a, b ∈ R gelten:
|a| ≥ 0;
|a| = 0 ⇔ a = 0,
| ab | = | a | | b | ,
|a+ b| ≤ |a|+ |b|
(6)
(7)
(Dreiecks-Ungleichung).
(8)
Für einen Beweis vgl. [K1], 1.4. In (8) kann < “ auftreten, z. B. ist
”
1 = | 3 + (−2) | < | 3 | + | − 2 | = 5 .
In der Tat gilt genau dann | a + b | = | a | + | b | , wenn ab ≥ 0 ist, also a und b das
gleiche Vorzeichen haben.
Offenbar ist | a − b | der Abstand von a und b . Er ist mindestens so groß wie der
der entsprechenden Absolutbeträge (vgl. [K1], 1.5):
1 Reelle Zahlen
5
1.11 Folgerung. Für a, b ∈ R gilt:
||a|− |b|| ≤ |a − b|.
(9)
1.12 Beispiel. Es sei die Menge M := {x ∈ R | | x − 3 | | x + 3 | < 16} gegeben.
Nach (7) und (5) gilt
x ∈ M ⇔ | (x − 3) (x + 3) | < 16 ⇔ | x2 − 9 | < 16
⇔ −16 < x2 − 9 < 16 ⇔ −7 < x2 < 25 .
Die linke Ungleichung ist immer erfüllt, und man erhält
x ∈ M ⇔ x2 < 25 ⇔ | x | < 5 ⇔ −5 < x < 5 .
1.13 Beschränkte Mengen, Maxima und Minima. a) Eine Menge M ⊆ R
heißt nach oben beschränkt, falls
∃ b ∈ R ∀ x ∈ M : x ≤ b;
(10)
in diesem Fall heißt die Zahl b ∈ R obere Schranke von M . Gilt sogar b ∈ M , so
heißt b ∈ M Maximum der Menge M ⊆ R , und wir schreiben
b = max M .
b) Entsprechend heißt eine Menge M ⊆ R nach unten beschränkt, falls
∃ a ∈ R ∀ x ∈ M : a ≤ x;
(11)
in diesem Fall heißt die Zahl a ∈ R untere Schranke von M . Gilt sogar a ∈ M , so
heißt a ∈ M Minimum der Menge M ⊆ R , und wir schreiben
a = min M .
c) Eine Menge M ⊆ R heißt beschränkt, falls sie nach oben und nach unten beschränkt ist. Dies ist genau dann der Fall, falls
∃ c ∈ R ∀ x ∈ M : |x| ≤ c .
(12)
d) Sind a1 und a2 Minima von M , so gilt a1 ≤ a2 und a2 ≤ a1 , also a1 = a2 .
Ebenso sind auch Maxima eindeutig bestimmt.
1.14 Intervalle. a) Für a ≤ b ∈ R werden beschränkte Intervalle I ⊆ R definiert
durch
[a,b] := {x ∈ R | a ≤ x ≤ b},
[a,b) := {x ∈ R | a ≤ x < b},
(a,b) := {x ∈ R | a < x < b},
(a,b] := {x ∈ R | a < x ≤ b};
hierbei ist für a = b nur [a, b] = {a} =
6 ∅ . Mit
| I | := b − a
wird die Länge dieser Intervalle bezeichnet. Unbeschränkte Intervalle sind
(13)
6
I. Zahlen, Konvergenz und Stetigkeit
[a,∞) := {x ∈ R | x ≥ a},
(a,∞) := {x ∈ R | x > a},
(-∞,a] := {x ∈ R | x ≤ a},
(-∞,a) := {x ∈ R | x < a} .
Hier wie auch stets im folgenden dient das Symbol ∞ “ für unendlich“ nur als
”
”
Abkürzung und bedarf daher keiner philosophischen Erklärung.
b) Die Intervalle [a, b] , [a, ∞) und (−∞, a] heißen abgeschlossen, (a, b) , (a, ∞)
und (−∞, a) heißen offen, [a, b) und (a, b] nennt man halboffen. Auch ganz R wird
als Intervall betrachtet, das sowohl abgeschlossen wie auch offen ist. Abgeschlossene
und beschränkte Intervalle [a, b] heißen auch kompakte Intervalle; nur diese besitzen
sowohl ein Minimum als auch ein Maximum.
1.15 Beispiele. a) Das beschränkte offene Intervall I := (0, 1) besitzt kein Minimum: Zahlen außerhalb von I kommen als Minimum nicht in Frage; für a ∈ I gilt
aber auch x := a2 ∈ I , und es ist x < a . Genauso sieht man, daß I auch kein
Maximum hat.
b) Die Menge M := {x ∈ R | x3 ≤ 2} ist nach oben beschränkt. Wegen x > 2 ⇒ x3 > 8
gilt in der Tat x ≤ 2 für alle x ∈ M . Dagegen ist M wegen {x ∈ R | x < 0} ⊆ M
nicht nach unten beschränkt.
1.16 Axiome der Addition. a) Die Axiome der Addition lauten:
Axiom A1 Je zwei Elementen a, b ∈ R ist eindeutig ein Element
a + b ∈ R zugeordnet, das Summe von a und b heißt.
Axiom A2 Für a, b, c ∈ R gilt das Assoziativgesetz
(a + b) + c = a + (b + c) .
Axiom A3
a+ 0 = a.
Es gibt ein Element 0 ∈ R , so daß für alle a ∈ R gilt:
Axiom A4 Zu a ∈ R gibt es x ∈ R mit a + x = 0 .
Axiom A5 Für a, b ∈ R gilt das Kommutativgesetz a + b = b + a .
b) Man kann leicht zeigen, daß das neutrale Element 0 in A3 und das additiv inverse
Element x =: −a in A4 eindeutig bestimmt sind. Die Axiome der Addition A1–A5
werden auch von Q und Z erfüllt; in der Tat gilt 0 ∈ Z ⊆ Q , und mit a liegt auch
−a in Q bzw. Z . Wegen 0 6∈ N werden dagegen A3 und A4 von N nicht erfüllt.
c) Eine Menge mit einer Verknüpfung, die die Axiome A1–A4 erfüllt, heißt Gruppe;
gilt auch A5, so heißt die Gruppe kommutativ oder nach N.H. Abel (1802-1829)
Abelsch. Auch nicht kommutative Gruppen sind in der Mathematik sehr wichtig.
1.17 Axiome der Multiplikation. a) Diese lauten:
Axiom M1 Je zwei Elementen a, b ∈ R ist eindeutig ein Element
a · b = ab ∈ R zugeordnet, das Produkt von a und b heißt.
1 Reelle Zahlen
7
Axiom M2 Für a, b, c ∈ R gilt das Assoziativgesetz (ab)c = a(bc) .
Axiom M3 Es gibt ein Element 1 ∈ R\{0} , so daß für alle a ∈ R
gilt: a1 = a .
Axiom M4 Zu a ∈ R\{0} gibt es x ∈ R mit ax = 1 .
Axiom M5 Für a, b ∈ R gilt das Kommutativgesetz ab = ba .
Addition und Multiplikation werden miteinander verknüpft durch:
Axiom D Für a, b, c ∈ R gilt das Distributivgesetz
(a + b)c = ac + bc .
b) Man kann wieder leicht zeigen, daß das neutrale Element 1 der Multiplikation
in M3 und das multiplikativ inverse Element x in M4 eindeutig bestimmt sind. Für
dieses Resultat der Division von 1 durch a schreibt man x = a1 = 1/a oder auch
x = a−1 , und für a, b ∈ R schreibt man ab := ba−1 . Man beachte, daß die Existenz
des multiplikativ inversen Elements nur für Zahlen a 6= 0 gefordert wird; durch 0
kann man dagegen nicht dividieren.
c) Eine Menge mit zwei Verknüpfungen, die die Körperaxiome A1–A5,
M1–M5 und D erfüllt, heißt Körper. Offenbar ist auch Q ein Körper, nicht jedoch
Z , da z. B. 12 6∈ Z gilt.
d) Aus den Körperaxiomen können alle bekannten Eigenschaften der Addition und
Multiplikation hergeleitet werden, z. B. (−a)b = a(−b) = −ab für alle a, b ∈ R .
1.18 Das Anordnungsaxiom. a) Zur Beschreibung der Anordnung auf R führen
wir die Menge P der positiven reellen Zahlen axiomatisch ein:
Axiom O Es gibt eine unter Addition und Multiplikation abgeschlossene Teilmenge P ⊆ R , so daß für alle a ∈ R genau eine der folgenden drei Möglichkeiten zutrifft:
a = 0 , a∈P
oder
−a∈P .
Die Abgeschlossenheit von P unter Addition und Multiplikation bedeutet, daß für
positive Zahlen a, b ∈ P auch a + b ∈ P und ab ∈ P positiv sind. Letzteres wurde
(mit den folgenden Bezeichnungen) bereits in 1.4 diskutiert.
b) Die Anordnung auf R wird nun definiert durch
a < b :⇔ b > a :⇔ b− a ∈ P .
Dies bedeutet anschaulich, daß auf der Zahlengeraden a links“ von b liegt. Alle
”
bekannten Eigenschaften der Anordnung folgen aus den Körperaxiomen und dem
Anordnungsaxiom O, z. B. 0 < 1 “ oder (a < b und c < 0) ⇒ ac > bc . “
”
”
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