Gesundheitsökonomik II Thema 2 – Der Arzt als Anbieter medizinischer Leistungen Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 1. Einführung "Ärzte enthalten Patienten Behandlungen vor" "Entscheidend sind medizinisch notwendige Behandlungen" (ZEIT ONLINE, 15.6.2009) Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 1. Einführung • Ärzte spielen eine Doppelrolle gegenüber Patienten: zum einen als Anbieter von Leistungen und zum anderen als Berater bei der Entscheidung, welche Leistung der Patient nachfragen sollte. • Ärzte könnten deshalb die Macht haben, für ihre eigene Auslastung zu sorgen => These der "angebotsinduzierten Nachfrage". • Evidenz: Ein größeres Angebot an Ärzten geht mit einer verstärkten Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen pro Kopf einher. Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 1 1. Einführung P Wie wirkt sich eine Zunahme der Anbieter (Ärzte) aus? M Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 2. Angebotsinduzierte Nachfrage • Patienten leiden unter unvollständigen Informationen über ihre eigenen Bedürfnisse: Der Arzt entscheidet weitgehend über die Nachfrage => anbieterdeterminierte Nachfrage. Ist das problematisch? • ___________________________________________________ • Versucht ein Arzt jedoch seine Auslastung damit zu erhöhen => angebotsinduzierte Nachfrage. Ist das realistisch? ...welche Faktoren erleichtern die Schaffung einer künstlichen Nachfrage? Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 2. Angebotsinduzierte Nachfrage • Nehmen wir an, dass – Patienten vollversichert sind, d.h., die Nachfrage ist preisunabhängig; – es eine Primärnachfrage (N0) gibt, die Krankheiten in idealer Weise heilt; – der Preis pro Leistungseinheit durch staatliche Regulierung auf p0 fixiert ist; – dieser Preis die Primärnachfrage perfekt befriedigt. • ...wie sieht nun dieser Markt graphisch aus? Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 2 2. Angebotsinduzierte Nachfrage P Wie wirkt sich eine Zunahme der Anbieter (Ärzte) aus? M Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 3. Ein Modell des ärztlichen Verhaltens • Wir nehmen Folgendes an: – a = Anzahl Ärzte – t = die vom Arzt geleistete Zeit als Anteil seiner insgesamt verfügbaren Zeit (0 ≤ t ≤ 1) – n = Anzahl Einwohner – s = Ausmaß der "künstlichen" Nachfrageschaffung – M = Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung jedes Einwohners (in Einheiten ärztlicher Arbeitszeit); M = M(s); M[0] = Primärnachfrage – R = n/a = Kehrwert der Ärztedichte Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 3. Ein Modell des ärztlichen Verhaltens • Wir nehmen Folgendes an: – h(R,s) = RM(s) = Nachfrage nach ärztlicher Arbeitszeit – t ≤ RM(s) => Die tatsächlich vom Arzt geleistete Arbeitszeit darf nicht größer als die nachgefragte Zeit sein; eine unbefriedigte Nachfrage kann jedoch existieren. Ein Nachfrageüberhang (t < RM) kann nur auftreten, wenn die Kapazität der Ärzte erschöpft ist (Versorgungspflicht der Ärzte). – Wir nehmen zuerst an, dass t = RM(s) => M = t/R = (ta)/n. – Y = Einkommen des Arztes; Y = Y(t) – u = u(Y,t,s) = Nutzenfunktion des Arztes; uY > 0, ut < 0, us < 0, d.h. { } u = u Y = Y h ( R, s ) = RM ( s ) , t = h ( R, s ) = RM ( s ) , s Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 3 3. Ein Modell des ärztlichen Verhaltens • Die Bedingung 1. Ordnung: du ds = RM sYt uY + RM s ut + us = 0 dM dR . • Wir interessieren uns für • Nimmt R ab (d. h., Ärztedichte nimmt zu), dann sollte M steigen; damit wir dies untersuchen können, muss das Modell erweitert werden bzw. die Nutzenfunktion spezifiziert werden... Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 3. Ein Modell des ärztlichen Verhaltens • Wir nehmen an, dass der einzelne Arzt bezüglich seines Einkommens ein Anspruchsniveau hat (Zieleinkommen, Y*), das er realisieren möchte. Die Zieleinkommens-Hypothese wird wie folgt formalisiert: > 0 falls Y < Y * uY = 0 falls Y ≥ Y * = 0 falls Y ≤ Y * ut < 0 falls Y > Y * = 0 falls Y ≤ Y * us < 0 falls Y > Y * Ist das Zieleinkommen erreicht worden, dann stiftet zusätzliches Einkommen keinen zusätzlichen Nutzen. Ist das Zieleinkommen nicht erreicht worden, dann verlieren das Arbeitsleid und die "Gewissensbisse" an Bedeutung. Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 3. Ein Modell des ärztlichen Verhaltens • Wie verändert sich nun die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen (q), wenn die Ärztedichte (1/R) sich verändert? Wir unterscheiden drei Situationen: • Situation 1: Rationierte Nachfrage nach ärztlichen Leistungen – Die Ärztedichte (1/R) ist sehr klein (R sehr groß), so dass – h[R,s=0] = RM[0] > 1, d. h. die maximal mögliche Arbeitszeit (t=1) reicht nicht aus, um die Primärnachfrage M[0] zu befriedigen. – In diesem (Rand-)Optimum: t=1, s=0, Y=Y[t=1]. – Die beobachtbare Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen (q) ist dann: q1 = M = ∂q1 =1 ∂ 1 R ( ) t 1 = < M [ 0] R R für t = 1 < RM [ 0] Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 4 3. Ein Modell des ärztlichen Verhaltens • Situation 2: Keine Rationierung der Nachfrage, keine Nachfrageschaffung – – – – Keine Rationierung => h[R,s=0] = RM[0] ≤ 1 Keine Nachfrageschaffung => Y[s=0] ≥ Y* In diesem Optimum: t* ≤ 1, s=0, Y≥Y* Die beobachtbare Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen (q) ist dann gleich der Primärnachfrage (da keine Rationierung und keine Nachfrageschaffung): t * [ 0] q2 = M = = M [ 0] R ∂q2 = 0 für t = M [ 0] ⋅ R ≤ 1 und t = M [ 0] ⋅ R ≥ Y −1 (Y *) ∂ 1 R ( ) Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 3. Ein Modell des ärztlichen Verhaltens • Situation 3: Keine Rationierung der Nachfrage, positive Nachfrageschaffung – Keine Rationierung und Nachfrageschaffung => h[R,s=S*] = RM[s*] und Y = Y* – Die beobachtbare Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen (q) ist dann gleich: q3 = M [ s *] = t * [ s *] R = Y −1 [Y *] R ∂q3 = Y −1 [Y *] für t = M [ 0] ⋅ R ≤ Y −1 ( Y *) ∂ 1 R ( ) Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 3. Ein Modell des ärztlichen Verhaltens Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 5 4. Andere Erklärungen • Gibt es auch andere Erklärungen für die beobachtete Zunahme der pro-Kopf-Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen bei steigender Ärztedichte? Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 4. Andere Erklärungen P Wie sieht ein permanenter Nachfrageüberhang aus? M Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 4. Andere Erklärungen P Wie wirkt sich ein Rückgang der indirekten Kosten aus? M Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 6 4. Andere Erklärungen P Wie kann man einen umgekehrten Kausalzusammenhang darstellen? M Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 5. Empirische Überprüfung der Hypothesen • Eine empirische Untersuchung muss zwischen den vier Gründen diskriminieren können: – Permanenter Nachfrageüberhang: Positiver Zusammenhang zwischen Ärztedichte und Leistungsmenge; dieser Effekt muss aber mit zunehmender Ärztedichte abnehmen bzw. verschwinden. – Künstliche Nachfrageschaffung: Setzt erst bei hoher Ärztedichte ein. – Rückgang der indirekten Kosten, Zunahme der Qualität der Behandlung: Indirekte Kosten und Qualitätsverbesserungen sollte man beobachten können. – Umgekehrter Kausalzusammenhang: Die Niederlassungsentscheidungen der Ärzte sollte man kennen. Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 5. Empirische Überprüfung der Hypothesen • Empirische Untersuchungen deuten darauf hin, dass zwischen der Ärztedichte und den Pro-Kopf-Ausgaben ein statistisch gesicherter Zusammenhang besteht. Allerdings kann für das Deutschland der 1970er und frühen 1980er Jahre die Deutung als Abbau eines Nachfrageüberhangs nicht schlüssig widerlegt werden. Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Universität Hohenheim 7