Schizophrenie und Elternschaft

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Schizophrenie und Elternschaft:
Belastungen und Bewältigungsstrategien in Familien
mit einem psychisch kranken Elternteil
Projektleitung:
Prof. Dr. Albert Lenz (Paderborn)
Prof. Dr. Johannes Jungbauer (Aachen)
Wiss. Mitarbeiterin: Dipl.-Psych. Juliane Kuhn
Zusammenfassung
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Forschungsprojekt
„Schizophrenie und Elternschaft“ wurde im Juli 2010 abgeschlossen. Der Abschlussbericht
wurde am 15.10.2010 vorgelegt. Im Mittelpunkt der Studie stand das bislang wenig
untersuchte Thema der Elternschaft bei schizophrenen Patienten. Es wurden eine Vielzahl von
Fragestellungen untersucht, v.a. hinsichtlich Elternschaftsrate, Partnerschaftsqualität,
Lebenszufriedenheit,
Belastungen,
Belastungsverarbeitung,
Belastungsfolgen
und
Hilfebedarf. Insbesondere wurden auch Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen
familiären Systemebenen analysiert.
Das Forschungsprojekt beinhaltete zwei Teilstudien: In der epidemiologischen Teilstudie
wurden 370 Patienten mit den ICD-Diagnosen F20 bzw. F25 (Schizophrenen bzw.
schizoaffektive Störung) im Hinblick auf die Elternschaftsrate und damit kovariierende
Faktoren untersucht. In der weiterführenden Familienstudie wurden 57 schizophren bzw.
schizoaffektiv erkrankte Eltern, deren Partner sowie minderjährige Kinder mit Hilfe
quantitativer und qualitativer Verfahren befragt.
Ausgewählte Ergebnisse
Von 370 stationär behandelten schizophrenen Patienten waren 26,5% Eltern, wobei Frauen
etwa dreimal so oft Kinder hatten wie Männer. Von den Patienten mit Kindern leben 41% mit
diesen im selben Haushalt zusammen. Bei den Kindern schizophren erkrankter Eltern lassen
sich gravierende Belastungen feststellen (z.B. Unkontrollierbarkeit von Alltagssituationen,
instabile Familienstrukturen, Trennungserfahrungen). Im fallkontrastiven Vergleich konnten
drei wesentliche Bewältigungsformen der Kinder herausgearbeitet werden: Aggressives
Coping (Typ 1), kontrollierendes Coping (Typ 2) und moderates Coping (Typ 3), wobei Typ
1 und Typ 2 als dysfunktionale Strategien gelten können - ein Zusammenhang zwischen
ungünstiger Stressbewältigung und psychischen Auffälligkeiten konnte nachgewiesen
werden. Auch schizophren erkrankten Eltern sowie deren Partner zeigen mehr dysfunktionale
und weniger positive Copingstrategien. Der Anteil der unsicheren Bindungsstile ist in der
Patientenstichprobe deutlich erhöht; besonders häufig sind ambivalent-verschlossene
Bindungsmuster. Akzeptanzprobleme und geringe Öffnungsbereitschaft der Patienten wirken
sich negativ auf die Partnerschaftsqualität aus.
In fallrekonstruktiven Analysen ergaben sich charakteristische subjektive Bedeutungsmuster:
Erkrankte erleben ihre Elternrolle sowohl als Ressource als auch als Belastung. Paar- und
Familienbeziehungen weisen ein hohes Risiko für Beziehungsabbrüche auf und werden oft als
stark beeinträchtigt beschrieben. Erkrankte Eltern neigen häufig dazu, Hilfeangebote nicht in
Anspruch zu nehmen und den Kontakt zum Jugendamt zu vermeiden. Dahinter steht oft die
Befürchtung, das Kind zu verlieren. Normalisierungs- und Vermeidungsstrategien können
dazu beitragen, dass die Erkrankung zu einem Tabuthema wird. Viele Kinder sind daher
unzureichend über die elterliche Schizophrenie informiert. Sie sind in dieser Situation oft
überfordert und entwickeln ihrerseits Verhaltensauffälligkeiten. In der untersuchten
Stichprobe weisen Kinder ein etwa 3-fach erhöhtes Risiko für eigene psychische
Auffälligkeiten auf. Während die Prävalenz psychischer Störungen bei Kindern und
Jugendlichen in der Allgemeinbevölkerung ca. 15 bis 16 Prozent beträgt (Hölling & Schlack
2008), waren etwa die Hälfte der von uns untersuchten Kinder klinisch auffällig. Am
häufigsten waren dabei Angststörungen und Depressionen
Diskussion und Fazit für die Praxis
Die Befunde zeigen, dass schizophrene Patienten zwar seltener Kinder haben als Patienten
mit anderen psychischen Erkrankungen, aber keineswegs eine Marginalgruppe darstellen.
Eine Schizophrenie kann insofern als „Familienerkrankung“ gedeutet werden, als sie das
gesamte Familiensystem beeinflusst, belastet und gefährdet. Die Belastungen und
Bewältigungsstrategien der Familienmitglieder sind in komplexer Weise miteinander verzahnt
und können adäquat nur im Gesamtzusammenhang verstanden werden. Notwendig sind
weitere Familienstudien mit systemischen Designs. In der psychiatrischen und psychosozialen
Praxis sollten Betroffene mit Kindern viel stärker in ihrer Rolle als Eltern wahrgenommen
werden. Präventive Hilfeangebote für Kinder sollten familienorientiert konzipiert sein.
Wichtig sind niedrigschwellige Hilfeangebote, die die spezifischen Bedürfnisse und Ängste
der psychisch erkrankten Eltern, ihrer Partner und ihrer Kinder berücksichtigen.
Publikationen
Zeitschriftenbeiträge
Hinz, A., Kuhn, J., Decker, O., Lenz, A., Jungbauer, J. (2010). Lebenszufriedenheit und
subjektive Relevanz von Lebensbereichen bei schizophren Erkrankten. Welche Bedeutung
haben Partnerschaft und Elternschaft? Fortschritte der Neurologie ⋅ Psychiatrie, 78, 147153.
Jungbauer, J., Kuhn, J. & Lenz, A. (2010). Zur Prävalenz von Elternschaft bei schizophrenen
Patienten. Gesundheitswesen, 72 (im Druck; online erschienen am 11.6.2010:
https://www.thieme-connect.de/ejournals/toc/gesu/efirst).
Jungbauer, J., Kuhn. J. & Lenz, A. (im Druck). Wie verlässlich sind Einschätzungen
schizophren erkrankter Eltern hinsichtlich möglicher Entwicklungsstörungen bei ihren
Kindern? Zur Übereinstimmungsvalidität der Child Behavior Checklist (CBCL).
Zeitschrift für Medizinische Psychologie.
Jungbauer, J., Stelling, K., Kuhn, J. & Lenz, A. (2010): Wie erleben schizophren erkrankte
Mütter und Väter ihre Elternschaft? Ergebnisse einer qualitativen Studie. Psychiatrische
Praxis, 37, 233-239.
Jungbauer, J., Kinzel-Senkbeil, J., Kuhn, J. & Lenz, A. (in Begutachtung). Familien mit
einem schizophren erkrankten Elternteil: Ergebnisse einer fallrekonstruktiven
Familienstudie. Zeitschrift für Familienforschung, eingereicht am 26.7.2010.
Kuhn, J. & Lenz, A. (2008). Coping bei Kindern schizophren erkrankter Eltern - eine
täuschend gute Bewältigung. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 735756.
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Kuhn, J., Hinz, A., Lenz, A., Blobel, K. & Jungbauer, J. (in Begutachtung). Bindungsstile und
Partnerschaftsqualität schizophren erkrankter Eltern und ihrer Partner, Fortschritte der
Neurologie / Psychiatrie, eingereicht am 3.6.2010.
Lenz, A., Kuhn, J., Walther, S. & Jungbauer, J. (in Begutachtung). Individuelles und
familiäres Coping in Familien mit schizophren erkrankten Eltern. Praxis der
Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, eingereicht am 28.06.2010.
Stelling, K., Habers, I. & Jungbauer, J. (2008). Zwischen Verantwortungsübernahme und
Autonomieentwicklung: Jugendliche mit einem psychisch kranken Elternteil. Praxis der
Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 57, 757-773.
Bücher und Buchbeiträge
Jungbauer, J. (Hrsg.)(2010). Familien mit einem psychisch kranken Elternteil.
Forschungsbefunde und Perspektiven für die Soziale Arbeit. Opladen: Barbara Budrich
Verlag.
Jungbauer, J. (2010). Schizophrenie und Elternschaft: Belastungen und Ressourcen aus der
Sicht psychisch kranker Mütter und Väter. In: Bundesarbeitsgemeinschaft der
Kinderschutz-Zentren (Hrsg.), Kindheit mit psychisch belasteten und süchtigen Eltern.
Kinderschutz durch interdisziplinäre Kooperation. Köln: Die Kinderschutz-Zentren.
Kinzel-Senkbeil, J. & Jungbauer, J. (2010). Familien mit schizophren erkrankten Eltern –
Sichtweisen von Betroffenen, Partnern und Kindern. In J. Jungbauer (Hrsg.), Familien mit
einem psychisch kranken Elternteil. Forschungsbefunde und Perspektiven für die Soziale
Arbeit (S. 47-93). Opladen: Barbara Budrich Verlag.
Kuhn, J. & Lägel, I. (2009). Kinder psychisch kranker Eltern. Belastungen, Bewältigungen
und präventive Maßnahmen. In A. Kröhnert (Hrsg.), Die Jugend(hilfe) von heute. Helfen
mit Risiko. Köln: Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren. 241-248.
Kuhn, J., Lenz, A. & Jungbauer, J. (im Druck). Stressbewältigung bei Kindern schizophren
erkrankter Eltern. In S. Wiegand-Grefe, F. Mattejat & A. Lenz (Hrsg.), Kinder mit
psychisch kranken Eltern. Klinik und Forschung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Lenz, A. & Kuhn, J. (im Druck). Was stärkt Kinder psychisch kranker Eltern und fördert ihre
Entwicklung? Überblick über Ergebnisse der Resilienz- und Copingforschung. In S.
Wiegand-Grefe, F. Mattejat & A. Lenz (Hrsg.), Kinder mit psychisch kranken Eltern.
Klinik und Forschung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Wiegand-Grefe, S., Mattejat, F. & Lenz, A. (Hrsg.)(im Druck): Kinder mit psychisch kranken
Eltern. Klinik und Forschung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
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