Stigmatisierung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher und deren Familien 1. Unzureichende Wahrnehmung / Diagnostik (Erziehungsfehler, Milieuprodukte, erfundene Krankheiten) 2. Unzureichende Behandlung (weniger als 50% der Behandlungsbedürftigen) 3. Nicht zutreffende Vorstellungen • Leugnung, Nichtexistenzannahme • Gefährlichkeit / Kriminalität • Unheilbarkeit / Nichtkontrollierbarkeit / Chronizität • Schuld der Eltern Hinweise zur Stigmatisierung in der Umgangssprache (Idiot, Spinner, verrückt, schizophren) 4. Systematische Benachteiligung Kinder- und jugendpsychiatrischer Versorgungsbedarf • 5% der Kinder und Jugendlichen bis zum Alter von 18 Jahren sind behandlungsbedürftig • Bei weiteren 10-13% sind aufgrund von auffälligem Verhalten diagnostische Maßnahmen und Beratungsangebote angezeigt • Prävalenzraten und Inanspruchnahmeraten zeigen regelmäßig Differenzen, wobei erstere stets höher liegen als letztere • Die mittlere Inanspruchnahme betrug in einer Studie nur 3,3% aller 0-17-Jährigen, die Auffälligkeitsrate jedoch 12,7% (Remschmidt und Walter 1990) Epochale Trends bezüglich der Häufigkeit psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter in den letzten 50 Jahren Häufigkeitszunahme:aggressives Verhalten Alkohol- und Drogenabhängigkeit Delinquenz Depression suizidales Verhalten Adipositas Essstörungen (Anorexia und Bulimia nervosa) keine Zunahme: organische Erkrankungen Autismus Schizophrenie Zunahme fraglich: Zwangsstörungen Angststörungen Ticstörungen und Tourette-Syndrom Persönlichkeitsstörungen Bürde psychischer Störungen Psychische Störungen von Kindern und Jugendlichen sind nicht nur für die Betroffenen und ihre Familien schwerwiegend, sie stellen auch ein gewaltiges gesellschaftliches und ökonomisches Problem dar. Der Austausch und die Verbreitung moderner diagnostischer und therapeutischer Methoden trägt dazu bei, Leid zu verringern und die ökonomische Situation der Betroffenen zu verbessern. Krankheitsadjustierte Lebensjahre (Disability/Disease Adjusted Life Years (DALY)) 0% 25% 50% 75% 100% männlich Neuropsychiatrische Erkrankungen (einschließlich selbst zugefügter Verletzungen) weiblich männlich Bösartige Tumoren weiblich männlich Kardiovaskuläre Erkrankungen weiblich 0-4 Jahre 5-9 Jahre 10-14 Jahre 15-19 Jahre 20+ Jahre Aus: „Caring for children and adolescents with mental disorders“, WHO, 2003 Was ist zu tun?: Sieben Thesen zur Weiterentwicklung der Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher und deren Familien I These 1: Psychisch kranke Kinder und Jugendliche müssen körperlich kranken Kindern und Jugendlichen gleichgestellt werden. These 2: Die Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher muss dem Grundsatz der Gemeindenähe bei ausreichender Spezialisierung und Ausstattung Rechnung tragen. These 3: Versorgungsmaßnahmen und Therapieangebote von Therapeuten, Einrichtungen und Diensten müssen kontinuierlich nach anerkannten empirischen Grundsätzen evaluiert werden. Was ist zu tun?:Sieben Thesen zur Weiterentwicklung der Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher und deren Familien II These 4: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist unverzichtbar; sie muss aber institutionalisiert werden. These 5: Besonderer Wert ist auf eine umfassende Weiterbildung in der Psychotherapie zu legen. Eine gemeinsame Ausbildung von ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten erscheint sinnvoll. These 6: Therapeutische und präventive Ansätze sowie TherapieAus- und Weiterbildung müssen stärker gefördert werden. These 7: Versorgung, Therapie und Forschung müssen zusammengeführt und versöhnt werden.