MODUL: AGRARPREISBILDUNG AUF EU-MÄRKTEN WS 01/02 ULRICH KOESTER 4.3: PREISBEZIEHUNG ZWISCHEN AGRARPRODUKTEN1 In diesem Kapitel sollen einige ausgewählte Beziehungen zwischen einzelnen Agrarpreisen untersucht werden. Im agrarökonomischen Schrifttum spricht man statt von Preisrelationen auch häufig von Agrarpreisgefüge. Im Folgenden sollen die Begriffe daher synonym verwandt werden. 1. Die Bedeutung des Getreidepreises Der Getreidepreis hat in der Geschichte der Agrarpreis- und Marktpolitik von jeher eine besonders große Rolle gespielt. Dieser Preis wird wegen seiner Bedeutung auch gelegentlich als Eckpreis oder Schlüsselpreis bezeichnet. Damit wird ausgedrückt, dass der Getreidepreis eine ähnliche Wirkung für das Agrarpreisgefüge hat, wie die Ecklöhne für das Lohngefüge in einer Volkswirtschaft. Der Getreidepreis hat aber in der Geschichte nicht nur eine besondere Rolle für das Gefüge und die Höhe der Agrarpreise gespielt, sondern auch für die industrielle Entwicklung. Der Getreidepreis war in den ersten Phasen der industriellen Entwicklung ein wichtiger Bestimmungsfaktor der Brotpreise; damit war er wichtig für die Höhe der Reallöhne und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Ein hoher Getreidepreis in Verbindung mit einem hohen Agrarpreisniveau führte zu höheren Reallöhnen und damit zu einer verringerten Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Umgekehrt führte ein geringer Getreidepreis und damit ein niedriges Agrarpreisniveau nicht nur zu geringeren Reallöhnen und einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, sondern auch zu einer indirekten Besteuerung der Landwirtschaft und damit zu einem Kapitaltransfer vom Agrarsektor an die anderen Sektoren der Volkswirtschaft. Ein niedriges Agrarpreisniveau wurde daher lange Zeit als förderlich für die industrielle und 1 Kapitel 9 von Koester, U. und S. von Cramon-Taubadel, Preisbildung: Theorie und Praxis auf Agrarmärkten. In Vorbereitung. 2 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten Tabelle 1: Preiselastizitäten des Angebots landwirtschaftlicher Produkte in der EG-12 (1990) Preisänderung von: ------------------------------- erzeugtem Getreide Hülsenfrüchte Ölsaaten Kartoffeln Zuckerrüben Milch Rindfleisch Schwei- Geflügel- Eiern nefleisch fleisch Getreide- Eiweißfutter futter sonstige Futtermitteln Mengenänderung von: erzeugtem Getreide1) +0,35 -0,01 -0,04 -0,00 -0,00 -0,04 -0,04 +0,02 +0,00 +0,00 +0,00 Hülsenfrüchten1) -0,27 0,70 -0,10 -0,02 -0,01 -0,22 -0,20 +0,11 +0,01 +0,00 +0,00 Ölsaaten1) -0,27 -0,03 +0,61 -0,01 -0,01 -0,04 -0,03 +0,02 +0,00 +0,00 +0,00 Kartoffeln1) -0,03 -0,01 -0,01 +0,45 -0,01 -0,01 -0,01 +0,01 +0,00 +0,00 +0,00 Zuckerüben1) -0,02 -0,00 -0,01 -0,01 +0,43 -0,03 -0,03 +0,01 +0,00 +0,00 +0,00 Milch -0,05 -0,01 -0,01 -0,00 -0,00 +0,30 -0,10 -0,01 -0,01 -0,00 Rindfleisch -0,05 -0,01 -0,01 -0,00 -0,00 +0,60 -0,10 -0,05 -0,03 -0,02 Schweinefleisch 0,03 +0,01 +0,00 +0,00 +0,00 +0,13 -0,12 +2,00 -0,62 -0,36 -0,20 Geflügelfleisch +2,00 -0,57 -0,33 -0,19 Eiern +2,00 -0,84 -0,48 -0,28 Getreidefutter2) -0,00 -0,00 -0,00 -0,00 -0,00 +0,02 +0,08 +0,84 +0,29 +0,29 1,48 -0,12 +0,51 Eiweißfutter2) -0,00 -0,00 -0,00 -0,00 -0,00 +0,02 +0,08 +0,84 +0,29 +0,29 -0,21 -0,86 -0,07 sonstigen Futtermitteln2) -0,00 -0,00 -0,00 -0,00 -0,00 +0,02 +0,08 +0,84 +0,29 +0,29 +1,54 -0,12 -2,19 1) Ertragselastizität bezüglich des Eigenpreises von +0,2 unterstellt Flächenelastizität der Marktfrüchte so, dass die Elastizität ihrer gesamten Fläche bezüglich einer proportionalen Senkung der Marktfruchtpreise ca. +0,1 beträgt. 2) Elastizität der Fütterungskoeffizienten bezüglich des Futtergetreidepreises bei Eiweißfutter von +0,3 und bei „sonstigen Futtermitteln“ von +0,2 unterstellt. Elastizität der summierten Fütterungskoeffizienten bezüglich des gesamten Kraftfutterpreises bei Milch +0,3, Rindfleisch +0,3, Schweinefleisch, Geflügelfleisch und Eiern +0,1. Elastizität der summierten Fütterungskoeffizienten bezüglich der Produktpreise bei Milch und Rindfleisch +0,2, bei Schweinefleisch, Geflügelfleisch und Eiern +0,1. Quelle: Frenz, K. und D. Manegold, Lineares Modell zur Bestimmung von Preis- und Mengenwirkungen einer restriktiven Agrarpreispolitik in der EG. Braunschweig, Institut für landwirtschaftliche Marktlehre, Arbeitsbericht 88/1, 1988, S.81. 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 3 gesamtwirtschaftliche Entwicklung eines Landes angesehen. Mit fortschreitender gesamtwirtschaftlicher Entwicklung hat sich die Bedeutung des Agrarpreisniveaus für die Reallöhne in der Volkswirtschaft verringert. Auch ist die Kapitaltransferfunktion von untergeordneter Rolle. Der Getreidepreis hat aber seine Funktion als Eckpreis für das Agrarpreisgefüge weitgehend behalten. Tabelle 1 zeigt z.B., dass von einer Änderung der Preise für Getreide stärkere Mengenänderungen bei anderen Produkten auftreten als bei Preisänderungen anderer Produkte. Im folgenden soll die Bedeutung der Getreidepreise zunächst für eine geschlossene Volkswirtschaft dargestellt werden. Unter diesen Bedingungen kann der Zusammenhang zwischen den Preisen für einzelne Agrarprodukte besonders gut herausgearbeitet werden. Anschließend wird die Bedeutung der Getreidepreise für das Agrarpreisgefüge in einer offenen Volkswirtschaft und schließlich unter EU-Bedingungen untersucht. 1.1 Die Bedeutung des Getreidepreises in einer geschlossenen Volkswirtschaft Der Getreidepreis ist für die Landwirte sowohl Kosten- als auch Einkommensfaktor. Einkommen entsteht durch den direkten Verkauf von Getreide. Vor der Agrarreform 1992 erzielte die deutsche Landwirtschaft etwa 10% ihrer Verkaufserlöse durch den Verkauf von Getreide. Die direkte Einkommenswirkung einer Getreidepreiserhöhung ist für die Landwirte demnach positiv. Da Getreide aber auch mit anderen Ackerbauprodukten um den knappen Faktor Boden und weitere Produktionsfaktoren konkurriert, werden die Kosten der Ackerbauprodukte direkt von der Höhe des Getreidepreises bestimmt. Eine Erhöhung des Getreidepreises führt z.B. zu höheren Deckungsbeiträgen in der Getreideproduktion und damit auch zu höheren Opportunitätskosten des Bodens und anderer Produktionsfaktoren, die bei der Erstellung von alternativen bodenabhängigen Produkten eingesetzt werden. Eine Erhöhung des Getreidepreises wird daher zu einer Ausdehnung der Getreidefläche zu Lasten anderer Ackerbauprodukte führen (die Angebotskurve für diese Produkte verlagert sich nach oben); damit wird in einer geschlossenen Volkswirtschaft auch der Preis dieser Ackerbauprodukte steigen. Der Getreidepreis hat auch eine direkte Wirkung auf die Produktionskosten von tierischen Produkten. Die Produktionskosten der Getreide fressenden Tiere werden direkt durch die Höhe des Getreidepreises beeinflusst. Aber auch die Produktionskosten der Rauhfutter fressenden Tiere (Rind und Schaf) hängen wegen der Bedeutung der Getreidepreise für die 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 4 senden Tiere (Rind und Schaf) hängen wegen der Bedeutung der Getreidepreise für die Höhe der Bodenpreise ebenfalls von der Höhe des Getreidepreises ab. Die Preise der von Rauhfutter fressenden Tieren hergestellten Produkte (Rind- und Schaffleisch sowie Milch) werden von einer Getreidepreisänderung über die Interdependenz in der Produktion weniger beeinflusst als die Preise der von Getreide fressenden Tieren hergestellten Produkte (Schweineund Geflügelfleisch sowie Eier). Die Interdependenz auf der Nachfrageseite führt aber zu einer engen Beziehung zwischen den Preisen der einzelnen Fleischarten. Da die Höhe des Getreidepreises zum einen eine eindeutig positive Wirkung auf die Einkommen der Getreideproduzenten hat, zum anderen aber auch negative Wirkungen auf die Veredelungsproduzenten ausübt, stellt sich die Frage, wie eine Erhöhung der Getreidepreise auf das Einkommen der Landwirtschaft insgesamt wirkt. Bei der Analyse wird zunächst von folgenden Annahmen ausgegangen: 1. Der Getreidepreis steigt in einer geschlossenen Volkswirtschaft als Folge einer Nachfrageerhöhung nach Getreide. 2. Die Bewirtschafter des Bodens sind nicht auch Eigentümer des Bodens. 3. Der Getreidepreis hat eine unbedeutende Rolle für das Reallohnniveau in der Volkswirtschaft. Diese Annahme scheint insbesondere für Industrieländer berechtigt. In der Bundesrepublik Deutschland belaufen sich z.B. die Ausgaben der Verbraucher für das Rohprodukt Getreide auf weniger als 0,2% der gesamten Verbraucherausgaben. 4. Die in der Landwirtschaft eingesetzten Produktionsfaktoren sind langfristig mit Ausnahme des Faktors Boden vollkommen mobil. Für diese Faktoren wird daher langfristig eine Faktorangebotselastizität von unendlich angenommen. Für den Boden hingegen soll die Preiselastizität des Angebots Null sein. Auch diese Annahme trägt der Realität in Industrieländern Rechnung. Aus den obigen Darstellungen ist zu entnehmen, dass eine nachfragebedingte Erhöhung des Getreidepreises zu einer Preissteigerung für alle anderen Agrarprodukte führt. Daraus folgt aber noch nicht, dass wirklich das Einkommen der Landbewirtschafter steigt. In Kapitel 3 wurde bereits dargestellt, dass sich Erhöhungen der Agrarpreise langfristig bei vollkommener Mobilität der Produktionsfaktoren und vollkommen unelastischem Bodeneinsatz in Boden- 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 5 preisänderungen niederschlagen. Die Getreidepreisänderung wird daher langfristig nicht die Einkommen der Getreideproduzenten erhöhen. Zwar steigen die Deckungsbeiträge, dies führt jedoch zu einer verstärkten Verknappung des Faktors Boden. Die Bewirtschafter von Boden werden daher um den Produktionsfaktor Boden verstärkt konkurrieren. Es wird sich ein neuer Bodennutzungspreis einstellen, der der Wertgrenzproduktivität des Bodens entspricht. Liegt eine linear-homogene Produktionsfunktion vor (siehe Kapitel 2), so wird von den anderen Faktoren zwar mehr eingesetzt, aber deren Entgelt wird wegen der Annahme eines vollkommen elastischen Angebots nicht steigen. Die Getreidepreisanhebung hat damit für die Getreideproduzenten langfristig keine einkommenssteigernde Wirkung. Die gleiche Aussage gilt für die Produzenten von anderen Ackerbauprodukten. Die Getreidepreissteigerung trägt zu einer erhöhten relativen Vorzüglichkeit der Getreideproduktion bei. Daher wird der Anbau der alternativen Ackerbaufrüchte eingeschränkt. Als Folge werden die Preise für diese Produkte steigen. Das Ausmaß der Preissteigerung hängt zum einen von der Erhöhung der marginalen Opportunitätskosten (als Folge der Steigerung der Getreidepreise) und der Preiselastizität der Nachfrage ab. Wäre die Nachfrage vollkommen preiselastisch, könnte die Kostensteigerung nicht überwälzt werden. In diesem Fall würde die Erhöhung der Opportunitätskosten zu einer relativ starken Einschränkung der Anbauflächen dieser Produkte führen. Ist die Preiselastizität der Nachfrage nach den alternativen Ackerbauprodukten vollkommen unelastisch, so kann die Kostensteigerung vollkommen überwälzt werden. Doch unabhängig davon, ob es den Produzenten der alternativen Ackerbauprodukte gelingt, ihre Kostensteigerung zu überwälzen, wird sich an der Einkommenslage der Bewirtschafter langfristig nichts ändern. Die Annahme "vollkommen elastisches Faktorangebot" beinhaltet, dass sich die Faktorentgelte am Einkommen außerhalb des Sektors orientieren und daher durch sektorale Maßnahmen langfristig nicht verändert werden. Natürlich kann man nicht annehmen, dass Anpassungsvorgänge keine Zeit beanspruchen. Kurzfristig wird eine Getreidepreisanhebung sicherlich auch die Einkommen der Getreideproduzenten erhöhen, da sich die Pachtpreise nicht sofort voll anpassen werden. Ebenso kann kurzfristig eintreten, dass die Einkommen der Produzenten von anderen Ackerbauprodukten vorübergehend sinken werden. Dies wird der Fall sein, wenn es ihnen nicht gelingt, die Kostensteigerung voll zu überwälzen (dies wäre nur bei vollkommen unelastischer Produktnachfrage möglich). Gelingt die Überwälzung nicht vollkommen - oder im Extremfall bei voll- 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 6 kommen elastischer Produktnachfrage überhaupt nicht -, so ist eine relativ große Anpassung des Faktoreinsatzes notwendig. Es können daher für die Produzenten während dieser Anpassungsphase erhebliche Einkommensverluste entstehen. Von besonderem Interesse ist die Wirkung einer Getreidepreiserhöhung auf das Einkommen der Fleisch und Milch produzierenden Landwirte. Zunächst soll die Situation der Schweineproduzenten dargestellt werden (stellvertretend für Produzenten anderer Getreide fressender Tiere). Die Erhöhung des Getreidepreises führt zu einer Erhöhung der Futterkosten in der Schweineproduktion und verlagert daher die Angebotskurve nach oben. Je nach Nachfragebedingungen wird sich daher ein neuer Marktpreis einstellen. Langfristig gilt natürlich auch hier: Bei vollkommener Anpassung der Faktoren wird das Entgelt der Faktoren den Opportunitätskosten entsprechen und die Rentabilität der Schweineproduktion ist langfristig unverändert. Kurz- und mittelfristig können aber während der Anpassungsperiode Einkommensänderungen auftreten. Diese sollen nun im folgenden dargestellt werden. Der Einfachheit halber gehen wir davon aus, dass die Schweineproduktion mit zwei Faktoren erstellt wird, der Faktor x1 repräsentiere die Futterkosten und der Faktor x 2 alle anderen Produktionsfaktoren. Weiterhin soll der Einfachheit halber unterstellt werden, dass die anderen Faktoren x 2 kurz- und mittelfristig konstant sind. Die Zielsetzung des Schweineproduzenten soll darin bestehen, den Deckungsbeitrag und damit das Einkommen der nicht variablen Faktoren x 2 zu maximieren. Wie sich eine Preisanhebung für den Faktor x1 auf das Einkommen der Schweineproduzenten auswirkt, hängt entscheidend von den Eigenschaften der zugrundeliegenden Produktionsfunktion ab. Liegt z.B. eine linear-homogene Produktionsfunktion mit konstanten Produktionselastizitäten vor, so entspricht bei Entlohnung der Faktoren nach ihrer Wertgrenzproduktivität die Summe der Faktoreinkommen dem Wert der Produktion. Es gilt daher: pq = r1 x1 + r2 x 2 , (1) mit p = Preis des Produkts, 7 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten q = produzierte Menge, r1 = Preis des Futtergetreides, x1 = eingesetzte Menge von Futtergetreide, r2 = Preis der anderen Faktoren, x 2 = Menge der anderen Faktoren. r1 x1 r x = kons tan t und 2 2 = kons tan t. pq pq (2) Eine Erhöhung des Getreidepreises ( r1 ) führt dazu, dass die Kosten der Fleischproduktion steigen (sich die Angebotskurve nach oben verlagert) und bei nicht völlig unelastischer Nachfrage auf dem Markt weniger verkauft werden kann. Die reduzierte Produktionsmenge bewirkt damit auch einen Rückgang des Einsatzes von x1 . Laut Annahme soll der Einsatz der Faktormenge x 2 kurz- und mittelfristig konstant sein, also Fixkostencharakter haben. Der Deckungsbeitrag zur Entlohnung dieser Fixkosten ergibt sich dann stets aus der Differenz des Produktionswertes (pq) und den Ausgaben für die Futtermittel ( r1 ⋅ x1 ) . Eine eindeutige Aussage über die Höhe des Deckungsbeitrags ( r2 ⋅ x 2 ) kann getroffen werden, wenn die Wirkung der Getreidepreisanhebung auf den Wert der Fleischproduktion festgestellt werden kann. Steigt der Wert der Fleischproduktion, so muss bei konstanten Einkommensanteilen auch der Deckungsbeitrag steigen. Ob der Wert der Fleischproduktion bei verringertem Fleischangebot steigt, fällt oder konstant bleibt, hängt von der Preiselastizität der Nachfrage nach Fleisch ab. In Industrieländern kann angenommen werden, dass die Preiselastizität der Nachfrage absolut kleiner als Eins ist. Der Rückgang des Angebots an Schweinefleisch ist daher prozentual kleiner als die prozentuale Preissteigerung. Als Folge dessen steigt der Wert der Fleischproduktion. Demnach muss auch der Deckungsbeitrag in der Schweineproduktion steigen. Eine analoge Analyse kann für die anderen tierischen Produkte Hühner und Eier durchgeführt werden. Aber auch für die Rauhfutter fressenden Tiere führt die Analyse zu dem gleichen Ergebnis. Ist die Produktionsfunktion linear-homogen und sind die Produktionselastizitäten 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 8 konstant, so führt eine Getreidepreisanhebung zu einer kurz- und mittelfristigen Anhebung der Deckungsbeiträge in diesem Produktionsbereich. Ist dagegen die Produktionsfunktion nicht linear-homogen oder sind die Produktionselastizitäten nicht konstant, so lässt sich eine eindeutige Aussage nicht treffen. Zusammenfassend kann demnach gesagt werden, dass eine Getreidepreisanhebung in einer geschlossenen Volkswirtschaft möglicherweise kurz- und mittelfristig die Einkommen aller Agrarproduzenten erhöhen wird. Langfristig wird die Getreidepreisanhebung dagegen nur oder vornehmlich zu einer Erhöhung der Einkommen der Bodeneigentümer führen. 1.2 Bedeutung der Erhöhung der Getreidepreise für die Höhe der Einkommen der Landwirte in einer offenen Volkswirtschaft Wie oben in Kapitel 3.3 dargestellt, werden in einer offenen Volkswirtschaft bei Freihandel die Preise für international gehandelte Güter von den Weltmarktpreisen bestimmt. Wenn sich also der Preis eines international gehandelten Gutes, wie Getreide, im Inland verändert, dann muss dieses durch eine Änderung der Nachfrage- und Angebotsbedingungen auf dem Weltmarkt entstehen. Im folgenden soll nun angenommen werden, dass durch eine Nachfragesteigerung oder Verknappung auf dem Weltmarkt der Weltmarktpreis für Getreide und damit auch der Inlandspreis für Getreide steigt. In diesem Fall werden grundsätzlich auf dem Weltund Inlandsmarkt die gleichen Wirkungen auftreten, wie sie oben für eine geschlossene Volkswirtschaft dargestellt wurden. Allerdings wird es hier einen weniger ausgeprägten Zusammenhang zwischen den einzelnen Preisen geben. Dies liegt daran, dass nicht alle Agrarprodukte international handelbar sind und sich Preissteigerungen des Faktors Boden aufgrund der unterschiedlichen Transportkosten zu den Verbraucherzentren nicht gleichmäßig auf alle Standorte übertragen werden. 1.3 Wirkung einer Preissteigerung für Getreide auf die Höhe der Einkommen unter EU-Bedingungen Die EU-Agrarmarktpolitik hat die Bedeutung des Getreidepreises für das EUAgrarpreisgefüge grundlegend verändert. Der Getreidepreis ist ein politischer Preis geworden. Im Rahmen der Marktordnungen wurden bis zur Agrarreform 1992 Marktordnungsprei- 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 9 se festgelegt2 (Richtpreis, Schwellenpreis, Interventionspreis, Ankaufspreis)3, die eine enge Beziehung zu den Marktpreisen haben. Bei der Festlegung der Marktordnungspreise für Veredelungsprodukte (Schweinefleisch, Geflügel und Eier) wird davon ausgegangen, dass die Fleischproduktion wesentlich auf Getreidebasis erfolgt. Seit Beginn der EU hat sich hier jedoch ein grundlegender Wandel ergeben. Die Produktion von Veredelungsprodukten beruht zunehmend mehr auf Getreidesubstituten. Getreidesubstitute sind Produkte, die allein oder in Kombination mit anderen Produkten als ein Substitut für Getreide verwandt werden. Diese Substitute sind aufgrund der Vereinbarungen im GATT zollfrei oder annähernd zollfrei einzuführen und daher in etwa den Weltmarktpreisen gleich. Während also die EUAgrarprodukte, für die es eine gemeinsame Marktordnung mit Preisstützung gibt, eine Preishöhe aufweisen, die über den Weltmarktpreisen liegen, gilt für die Getreidesubstitute weitgehend die Identität von Inlands- und Weltmarktpreisen. Als Folge dessen ist für die Preisbildung bei Veredelungsprodukten zunehmend der Preis für die Getreidesubstitute entscheidend und weniger der Preis für das Inlandsgetreide. Die sogenannte 'offene Flanke' der EUAgrarmarktpolitik, die durch die Agrarreform von 1992 mit der Getreidepreissenkung erheblich reduziert wurde, hat dazu beigetragen, dass sich Preisänderungen bei Getreide über das Wirken der Marktkräfte weniger in Preisänderungen für andere Produkte niederschlagen. Eine Erhöhung der Getreidepreise hat daher zwar die gleiche Wirkung auf die Bodenpreise und auf das Einkommen der Landwirte (kurz- und mittelfristig positiv, langfristig gegen Null), aber weniger Einfluss auf die anderen Preise. Dieses hat zur Folge, dass die Substitution von alternativen pflanzlichen Produkten durch Getreide und die Substitution in der Nachfrage von Getreide stärker erfolgt als unter Freihandel. Die Preisanhebung für Getreide unter EU-Bedingungen wirkt daher in der Veredelung vornehmlich über die Faktoreinsatzmengen. Steigt z.B. der Getreidepreis, so werden Getreidesubstitute relativ vorzüglicher, und es wird eine weitere Substitution von Getreide einsetzen. Die Substitutionsmöglichkeiten sind allerdings unterschiedlich, vor allen Dingen in hafennahen Regionen ist die relative Vorzüglichkeit der Getreidesubstitute größer als in hafenfernen Regionen. 2 Seit der Agrarreform gibt es nur noch Interventions- und Schwellenpreise. 3 Siehe hierzu Koester, U., a.a.O., 1992, S.320ff. 10 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 1.4 Berechnung der Wettbewerbsfähigkeit von Getreidesubstituten Die Berechnung der Wettbewerbsfähigkeit von Getreidesubstituten soll im folgenden beispielhaft erläutert werden. Zur Berechnung der Wettbewerbsfähigkeit benötigt man Informationen über den Nährstoffgehalt der Futtermittel sowie über die Futtermittelpreise. Tabelle 2 informiert über die Nährstoffgehalte ausgewählter Futtermittel. Auf der Grundlage dieser Informationen kann z.B. ermittelt werden, welche Mengen an Tapioka ( x1 ) und Soja ( x 2 ) zu Mais äquivalent sind. Das Futtergemisch von Tapioka und Soja kann nur dann Mais ersetzen, wenn es die gleiche Protein- und Gesamtnährstoffmenge enthält wie 1 kg Mais. Es kann daher folgendes Gleichungssystem geschrieben werden: 3x1 + 395x 2 = 76; Pr oteingleichung, (3 740 x1 + 720 x 2 = 808; Gesamtnährstoffmengengleichung. (4) Die Lösung dieses Gleichungssystems lautet: x1 = 0,9114; x 2 = 0,1855. (5) Tabelle 2: Nährstoffgehalte ausgewählter Futtermittel (in 1000 Gewichtsanteilen) Futtermittel verdauliches Rohprotein Gesamtnährstoff Mais 76 808 Gerste 79 720 Roggen 76 774 Hafer 88 648 Sorghum 77 816 395 720 3 740 101 543 Sojaschrot (45% Protein) Tapiokapellets Weizenkleie (8-12% Rohfaser) Quelle: Köhne, M., Der Getreidepreis nach wie vor Eckpreis für die Einkommen der Familienbetriebe in der Landwirtschaft - Gutachten. Göttingen, Institut für Agrarökonomie 1983, S.39; Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V. (KTBL) (Hrsg.), KTBLTaschenbuch für Arbeits- und Betriebswirtschaft. 10. Auflage, Darmstadt 1980, S.245ff. Das Ergebnis zeigt, dass 1 kg Mais durch eine Futtermischung, die 911,4 g Tapioka und 11 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 185,5 g Soja enthält, ersetzt werden kann. Tabelle 3 informiert über weitere Austauschverhältnisse, die auf Grundlage der gleichen Methode ermittelt wurden. Tabelle 3: Austauschverhältnisse zwischen ausgewählten Futtermitteln Substituiertes Futtermittel Substituierende Futtermittel Tapioka in dt und Sojaschrot in dt 1 dt Mais 0,9114 0,1855 1 dt Gerste 0,7842 0,1940 1 dt Hafer 0,6638 0,2177 1 dt Roggen 0,8651 0,1858 1 dt Sorghum 0,9198 0,1880 Quelle: Köhne, M., a.a.O., S.41; eigene Berechnungen. Ob in der Fütterung nun tatsächlich Mais oder die Futtermischung aus Tapioka und Soja verwandt wird, hängt natürlich zum einen von der Tierverträglichkeit ab; alle Tierarten betrachten nicht unbegrenzt die Futtermischung aus Tapioka und Soja als ein vollkommenes Substitut für Mais. Je nach Tierart ist daher nur eine Substitution im begrenzten Maße möglich. Zum anderen hängt die Substitution auch von der wirtschaftlichen Überlegung ab, ob der Preis für die Futtermischung niedriger liegt als der Preis für Mais. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit kann nach Gleichung (9.6) berechnet werden: p M < 0,9114 ⋅ pTap + 0,1855pSo , > (6) mit p M = Preis für Mais, pTap = Preis für Tapioka und pSo = Preis für Soja. Ist der Preis für Mais höher als die rechte Seite der Ungleichung, lohnt sich der Einsatz der 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 12 Substitute. Die Existenz der "offenen Flanke" der EU-Agrarmarktpolitik hat die Wirkung von Getreidepreisänderungen auf die Einkommen der Landwirte im Vergleich zu einer geschlossenen Volkswirtschaft oder in einer offenen Volkswirtschaft wesentlich verändert. Getreidepreisanhebungen bedeuten, dass die relative Vorzüglichkeit der Verfütterung von Getreidesubstituten zunimmt und zwar insbesondere in Hafennähe. Getreidesubstitute werden vornehmlich von den größeren Veredlern, die teils gewerblich produzieren, verfüttert, während die bäuerliche Veredelungswirtschaft noch weitgehend auf im Betrieb produziertem Getreide basiert. Eine Anhebung des Getreidepreises führt demnach dazu, dass die Wettbewerbsposition der bäuerlichen Veredler im Vergleich zu den gewerblichen Veredlern in Hafennähe geschwächt wird. Die Folge ist eine zunehmende Konzentration der Tierhaltung in großen Beständen und schrumpfende Einkommen für die bäuerliche Veredelungswirtschaft. Umgekehrt ist zu erwarten, dass bei einer Senkung der Getreidepreise der Konzentrationsprozess gedämpft wird. Eine Getreidepreissenkung kommt unmittelbar den bäuerlichen Veredlern zugute, die bisher vornehmlich Getreide in der Fütterung verwandt haben und weniger den Großveredlern, die vornehmlich Getreidesubstitute eingesetzt haben. Die Wettbewerbsposition verändert sich daher zugunsten der bäuerlichen Veredler. 2 Preisrelationen zwischen Produkten gleicher Rohstoffbasis Güter, die von der Landwirtschaft produziert werden, sind überwiegend Rohstoffe, die in einem Verarbeitungsprozess in andere Produkte umgewandelt werden. In dem Rohstoff sind häufig unterschiedliche Inhaltsstoffe enthalten, die zu unterschiedlichen Konsumgütern verarbeitet werden. So enthalten z.B. die Ölsaaten als wichtigste Inhaltsstoffe Öl und Eiweiß. Aus der Sojabohne werden daher Öl und Sojaschrot gewonnen, die auf unterschiedlichen Märkten angeboten werden und kaum miteinander in Konkurrenz stehen. Ein anderes Beispiel betrifft den Rohstoff Milch mit den wesentlichen Inhaltsstoffen Fett und Eiweiß. In den verarbeiteten Milchprodukten sind diese beiden Rohstoffe unterschiedlich stark enthalten, z.B. in der Butter vornehmlich Fett und im Magermilchpulver vornehmlich Eiweiß. Im folgenden soll der Preiszusammenhang zwischen den Endprodukten, z.B. Butter und Magermilchpulver, und dem Rohprodukt Milch, beispielhaft dargestellt werden. Die Analyse ist natürlich auch auf andere Märkte, wie z.B. den Ölsaatenmarkt, übertragbar. 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 13 Die Tatsache, dass in Rohprodukten unterschiedliche Inhaltsstoffe enthalten sind und diese Inhaltsstoffe auf den Märkten auch unterschiedlich bewertet werden, stellt für die praktische Agrarpolitik besondere Probleme dar, eröffnet aber auch besondere Spielräume. Dies kann insbesondere an dem Beispiel Milch dargestellt werden. Die wertbestimmenden Bestandteile der Milch sind vor allem die Fettkomponente und die Eiweißkomponente. Die Marktnachfrage nach dem Rohprodukt Milch ist somit eine abgeleitete Nachfrage aus der Nachfrage auf dem Konsumgütermarkt nach dem milchfetthaltigen Produkt und nach dem eiweißhaltigen Produkt. Würde z.B. von der Milch lediglich die Fettkomponente verwertet werden können, so ergäbe sich der Auszahlungspreis für Milch aus dem Butterpreis, der auf dem Konsumgütermarkt zu erzielen ist, abzüglich der Verarbeitungs- und Handelsspanne, dividiert durch einen Äquivalenzkoeffizienten, der angibt, wie viel kg Milch zur Herstellung von 1 kg Butter benötigt werden. Die Rechnung könnte wie folgt aussehen: Marktpreis für Butter: 8,00 DM pro kg abzüglich Verarbeitungsspanne: 0,50 DM pro kg Wert für das Rohprodukt: 7,50 DM dividiert durch den Äquivalenzkoeffizienten4: 22 der Wert der Milchkomponente in der Butter: 0,34 DM pro kg Milch. Könnten die Molkereien also lediglich die Fettkomponente der Milch in Form des Butterverkaufs verwerten, so würden sie in dem genannten Zahlenbeispiel den Landwirten lediglich einen Auszahlungspreis von 0,34 DM pro kg bieten können. Wenn die Molkereien aber außerdem andere Komponenten, insbesondere die Eiweißkomponente, verarbeiten und auf dem Markt verkaufen können, so wird sich nach der gleichen Rechenmethode, wie sie für die Beziehung zwischen Butter und Milch dargestellt wurde, auch ein möglicher Auszahlungspreis für die Eiweißkomponente in der Milch errechnen lassen. Der tatsächlich gezahlte Preis für das Rohprodukt Milch ergibt sich daher aus der Verwertung der unterschiedlichen Inhalts- 4 Der Äquivalenzkoeffizient gibt an, wieviel kg Milch zur Herstellung von 1 kg Butter benötigt werden. Hier wird also angenommen, daß 22 kg Milch bei einem Fettgehalt von 4% zur Herstellung von 1 kg Butter notwendig sind. 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 14 stoffe der Milch. Wenn somit die Nachfragekurve nach Milch abgeleitet wird, so ist von den Nachfragekurven nach den einzelnen Milchprodukten auf der Verbraucherstufe auszugehen, hieraus sind zu den alternativen Verbraucherpreisen die Erzeugerpreise zu berechnen und anschließend sind dann diese Nachfragekurven vertikal zu addieren. Der Auszahlungspreis für Milch kann sich somit aus unterschiedlichen Kombinationen der Preise für Fett und für Eiweiß und anderen wertbestimmenden Inhaltsstoffen der Milch ergeben. Im Schaubild 1 ist dargestellt, wie sich der Milchpreis aus der Verwertung der beiden Hauptinhaltsstoffe Fett und Eiweiß ergeben kann. Eine Isopreisgerade für Milch gibt den geometrischen Ort aller Kombinationen der Preise für die Fettkomponente und die Eiweißkomponente an, die zu einem gleichen Preis für den Rohstoff Milch führen. Daraus folgt, dass die Beziehung zwischen dem Endprodukt Butter und dem Auszahlungspreis für Milch nicht konstant ist, sondern auch von der Verwertung der Eiweißkomponente abhängt. Man kann den gleichen Auszahlungspreis z.B. mit niedrigen Fettpreisen, z.B. p2F , und hohen Eiweißpreisen, z.B. p2E , oder auch hohen Fettpreisen p1F und niedrigen Eiweißpreisen p1E , erzielen. Die Steigung der Isopreisgerade ist durch das Mengenverhältnis der Komponenten in der Rohmilch bestimmt. Welcher Punkt auf der Isopreisgerade verwirklicht wird, hängt von den Nachfragebedingungen auf dem Markt für milchfetthaltige Produkte und eiweißhaltige Produkte ab. Im folgenden soll gezeigt werden, wie sich die Preisrelation Eiweiß zu Fett als Folge der Störung des Gleichgewichts auf einem Markt verändert. 15 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten Es wird angenommen, dass sich die Nachfrage nach Milcheiweiß aus- Schaubild 1: Isopreisgerade für den Rohstoff Milch weitet, d.h. sich die Nachfragekurve nach rechts verschiebt. Als Folge Preis für Fett Isopreisgerade hiervon steigt der Preis für Eiweiß und damit auch der Milchpreis (sie- F p1 he Schaubild 2). Eine Erhöhung des F Milchpreises wird erwartungsge- p2 mäß zu einer Ausweitung der E Milchproduktion führen. Da aber p1 E p2 Preis für Eiweiß Eiweiß- und Fettkomponente in kurzfristig fixer Relation erzeugt werden, steigt auch die Produktion von Milchfett. Die Angebotskurve auf dem Fettmarkt verschiebt sich nach rechts, und somit sinkt der Fettpreis. Es sind also zwei Preisbewegungen festzustellen, einerseits steigt der Preis der Eiweißkomponente, andererseits sinkt der Fettpreis, d.h. die Preisrelation zwischen den Komponenten verschiebt sich. Im folgenden sollen beispielhaft Kalkulationen für die Jahre 1985 und 1993 vorgeführt werden, die anzeigen, wie die EU versucht, durch Preisvorgaben für Butter (Fettkomponente) und Magermilchpulver (Eiweißkomponente) den Auszahlungspreis für Milch zu bestimmen. In Übersicht 1 ist beispielhaft angegeben, wie die Preisstützung für Milch in den Jahren 1985 und 1993 erfolgte. Der Wert der Milch wurde also zu 48,2% bzw. 45,8% von ihrem Fettgehalt und zu 51,8 % bzw. 54,2% von ihrem Eiweißgehalt bestimmt. 16 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten Schaubild 2: Wirkung einer Nachfragesteigerung nach Eiweiß auf die Märkte für Milcheiweiß und Fett Preis für Fett Preis für Eiweiß N1 N0 N A0 A0 p1 p0 A1 p0 p1 Menge Menge Die Preisabsicherung der Auszahlungspreise für Milch durch die Fett- und die Eiweißkomponente hat sich im Zeitablauf mehrmals geändert. Die Änderungen wurden dabei vornehmlich von der Überschusslage für Magermilchpulver oder Butter bestimmt. Wie aber in einem der folgenden Kapiteln gezeigt wird, ist das Überschusskriterium kein adäquater Indikator für die Setzung der Preise. 17 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten Übersicht 1: Bestimmung des Interventionspreises für Milch Butter ECU/100 kg Magermilchpulver ECU/100 kg Interventionspreis für: 1985 1993 313,20 280,33 174,04 170,20 abzüglich der Verarbeitungsspanne von: 1985 1993 25,57 25,57 24,00 24,00 ergibt sich der Wert für das Rohprodukt: 1985 1993 287,63 254,76 150,04 146,20 dividiert durch den Äquivalenzkoeffizienten: 1985 1993 22,65 22,65 11,00 11,00 ergibt sich der Wert für die Milchkomponente: 1985 1993 12,70 11,25 13,64 13,29 Interventionspreis für 100 kg Milch, 3,7% Fett: 1985 1993 26,34 - 24,54 Fett: Eiweiß 1985 1993 48,2 45,8 51,8 54,20 Quelle: CAP Monitor. Bei der Beeinflussung des Milchauszahlungspreises durch den Staat geht man zweckmäßigerweise von Markteingriffen für interventionsfähige Verarbeitungsprodukte aus. Der Rohstoff Milch kann langfristig nicht gelagert werden und verursacht auch kurzfristig hohe Lagerkosten. Es ist auch naheliegend, dass man die staatlichen Eingriffe nicht auf alle Milchprodukte ausweitet und sich auf die Milchprodukte mit den Hauptkomponenten beschränkt; in der EU sind dies Butter und Magermilchpulver und im Fall Italiens auch zusätzlich zwei Käsesorten. Durch den Zusammenhang über die Milchinhaltsstoffe wird durch die Preisbeeinflussung für Butter und Magermilchpulver auch Einfluss auf die Preise der nichtintervenierten Milchprodukte genommen. So führt z.B. eine Preisanhebung auf dem Markt für Interventionsbutter dazu, dass tendenziell Milchfett aus der Produktion anderer fetthaltiger Milchprodukte (z.B. Fettkäse) abgezogen wird; die Vorzüglichkeit der Fettverwertung in der Butterproduktion und damit die Opportunitätskosten der Fettverwertung in der Fettkäseproduktion steigen als Folge der Preissteigerung für Butter. Die Angebotskurve für Fettkäse verlagert 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 18 sich also nach oben; die Angebotsmenge geht zurück, der Käsepreis steigt. In der Regel wird aber der Preisanstieg bei Käse kurz- und mittelfristig geringer sein als der Kostenanstieg. Ein geringerer Preisanstieg bei Käse tritt ein, wenn die Nachfrage nach Käse nicht völlig unelastisch ist und/oder das Käseangebot nicht völlig elastisch reagiert. Während die Produzenten von Interventionsprodukten bei jeder Preisanhebung direkt auch eine Erhöhung ihrer Preise verzeichnen können, müssen sich die Produzenten von nicht interventionsfähigen Milchprodukten die Preissteigerung erst über den Markt verdienen. 4.3 Preisbeziehungen zwischen Agrarprodukten 19 Übungsaufgaben: 1. Der EU-Agrarministerrat hat mit der Agrarreform im Mai 1992 u.a. beschlossen, die Marktordnungspreise für Getreide um etwa 1/3 zu senken. Diskutieren Sie, welche Wirkung diese Maßnahme auf das Angebot und die Nachfrage von Bioprodukten haben wird. 2. Im Rahmen der Europaabkommen hat die EU einigen osteuropäischen Ländern Präferenzabkommen gewährt. U.a. wird die EU vermehrt Schweinefleisch zu reduzierten Zoll- und Abschöpfungssätzen aus Osteuropa importieren. Gehen Sie von folgenden Fakten aus: a) Selbstversorgungsgrad der EU bei Schweinefleisch 1,03; die Überschussmenge wird exportiert; b) Inländische Schweinepreise sind erheblich höher als die Weltmarktpreise; c) Die zusätzlichen Importe bei Schweinefleisch betragen 2% des Inlandverbrauchs; d) Die Preiselastizität der Nachfrage ist -0,2 und die des Angebots 0,4. 3. Berechnen Sie die Wirkung auf die Inlandspreise für Schweinefleisch unter der Annahme, dass die Exporte der EU weiterhin bei 3% des Inlandsverbrauchs bleiben sollen. 4. Die EG hatte in den siebziger Jahren versucht, die Produktionssteigerungen bei Milch durch eine Preisanhebung für Rindfleisch zu bremsen. Diskutieren Sie die kurz- und langfristig zu erwartende Wirkung dieser Maßnahme. 5. Die Agrarreform von 1992 hat zu gleichen Interventionspreisen für die einzelnen Getreidearten Weizen, Gerste und Mais geführt. Nehmen Sie an, dass von allen Getreidearten in der EU mehr produziert als im Inland nachgefragt wird. Welche Situation würde sich für die Interventionsstellen ergeben, wenn die EU-Kommission durch Steuerung der Exportmengen nicht auf eine Beeinflussung der Getreidepreisrelationen hinwirken würde? Könnten Sie eine begründete Empfehlung geben, in welcher Richtung die Kommission die Inlandspreisrelationen verändern sollte? 6. Normalerweise erwartet man, dass die Preiselastizitäten mit fallenden Preisen kontinuierlich fallen. Erklären Sie, warum die Nachfrage nach Weizen bei einer bestimmten Preishöhe bei Preissenkungen elastischer sein kann als bei Preiserhöhungen. 7. Die EU hat durch die Senkung der Getreidepreise zu einer Verringerung der Nachfrage nach importierten Futtermitteln beigetragen. Diskutieren Sie, wie sich als Folge der Änderung der EU-Getreidemarktpolitik die Preisrelationen auf dem Weltmarkt für pflanzliche Öle und pflanzliches Fett verändern werden. 8. Diskutieren Sie, welche Auswirkung eine Getreidepreisanhebung in der EU vor Einführung der Milchquote und der Quote für Isoglucose auf die Situation folgender EU-Märkte hatte: auf dem Getreidemarkt (differenziert nach Brot- und Futtergetreide), dem Milchmarkt und dem Zuckermarkt. (Beachten Sie bei der Analyse zu erwartende Änderungen auf den Weltmärkten für die einzelnen Produkte.)