Ausgabe 02/09

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KVH • aktuell
Informationsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen
Pharmakotherapie
Rationale und rationelle Pharmakotherapie in der Praxis
Jhrg. 14, Heft 2 – Juli 2009
Für Ihre Patienten ist es selten zu spät – auch mit 50 gilt noch:
3 Stunden Bewegung pro Woche
verlängern das Leben um 3 Jahre
Die Lebensgewohnheiten beeinflussen ganz erheblich das kardiovaskuläre Risiko
und können den Arzneibedarf reduzieren; das ist lange schon bekannt. Inzwischen lässt sich anhand neuerer Studien immer besser quantifizieren, wie sich die
verschiedenen Dosen von Ernährung und Bewegung konkret auswirken. Aktuell
wurde ein für die Praxis wichtiges Ergebnis veröffentlicht: Wer sich als 50jähriger
nur drei Stunden pro Woche bewegt, statt diese Zeit auf der Couch zu verbringen,
der verlängert sein Leben im Schnitt um mehr als 3 Jahre. Und es muss nicht unbedingt Dauerlauf oder sonstiger Sport sein, denn auch Gartenarbeit erfüllt diesen
präventiven Zweck. Das liefert uns Argumente, mit denen die meist eher trägen
und oft älteren Patienten etwas leichter zu überzeugen sind, als mit dem simplen
Ratschlag „betreiben Sie mehr Sport“.
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Das Gerede von der präventiven Wirkung kann gefährlich sein
Alkohol irritiert das Herz!
Dass Alkohol in moderaten Dosen präventiv wirkt, wird oft und gerne erwähnt,
und die Weinbau- und Brauereiverbände unterstützen solche Argumente natürlich nach Kräften. Doch Vorsicht: Zum einen ist der „moderate“ Alkoholgenuss
ein schwammiger Begriff und der gesundheitsbewusste Zecher verlässt diesen
Bereich meist sehr schnell. Dann droht ihm unter anderem Vorhofflimmern, wie
eine neue Untersuchung nun auch für Frauen nachweist. Praktische Konsequenz:
Wenn ein Patient oder eine Patientin in der Sprechstunde klagt, dass sie vor allem
Vormittags gelegentlich „so eine Art Unruhegefühl in der Brust“ verspüren, dann
sollten Sie per EKG nach Vorhofflimmern fahnden und fragen, ober an den jeweils vorausgegangenen Abenden gefeiert wurde. Danach fällt der Vorschlag zu
größerer Abstinenz oft auf recht fruchtbaren Boden.
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Schon in den 60er Jahren wurde Dipyridamol unter dem Namen Persantin®
als Mittel bei kardiovaskulären Beschwerden verkauft. Inzwischen ist längst
bekannt, dass es per „Steal-Effekt“ die Koronardurchblutung eher vermindert
als verbessert. Was den Hersteller offenbar nicht davon abhält, seit einiger Zeit
unter dem Namen Aggrenox® eine Kombination aus Dipyridamol und ASS zu
verkaufen, die jetzt als Sekundärprophylaxe nach zerebralen Durchblutungsstörungen dienen soll. Das Medikament kostet ein Vielfaches des einfachen ASS,
so dass der Steal-Effekt nun quasi auf unser Arzneibudget überspringt. Dabei
wirkt das Medikament, wie die Ergebnisse einer neuen Studie nahelegen, kaum
besser als ASS alleine.
Seite 10
Foto: AOK (oberer Bildteil)
Steal-Effekt an unserem Arzneibudget
KVH • aktuell
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Nr. 2 / 2009
Nach der Wahl ist vor der Wahl!
Editorial
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
bald ist es wieder soweit: Die Bundestagswahlen stehen im Herbst an. Das ist Anlass für mich für einen kurzen Rückblick. Was ist übrig von den Reformen und Gesetzesänderungen, die nach der letzten Wahl erfolgt sind? Nehmen wir das Beispiel
Bonus-Malus-Regelung, eine „Erfindung“ aus dem Hause Ulla Schmidt. Damit wollte
die Gesundheitsministerin die Arzneimittelausgaben in den Griff bekommen. Das
Verschreibungsverhalten der Vertragsärzte sollte kontrolliert werden, bei unwirtschaftlichem Verordnen drohte dem Arzt ein individueller Malus. Bereits im Oktober
2007 einigten sich KBV und Krankenkassen, die Bonus-Malus-Regelung ab 2008
nicht mehr anzuwenden. Grund: die Rabattverträge. Die offiziellen Arzneimittelpreise
repräsentieren nicht mehr die von den Kassen getragenen, tatsächlichen Arzneimittelkosten. Die mit großem Brimborium gefeierte Regelung funktionierte nicht und
ist einfach heimlich still und leise von der Bildfläche verschwunden.
Apropos Arzneimittel-Rabattverträge: Auch diese sorgten seinerzeit für viele Schlagzeilen. Patienten waren vielerorts verunsichert, weil sie ihr gewohntes Präparat nicht
mehr bekamen. Sie als Ärzte hatten in Ihrem eh schon knappen Behandlungszeitfenster auch noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Ulla Schmidt erhoffte sich dadurch
neben der Kostenreduktion im Arzneimittelsektor u. a. eine verbesserte Qualität der
Patientenversorgung und weniger Bürokratie. Doch was ist daraus geworden? Sie
erreichte genau das Gegenteil: Die Rabattverträge führten besonders anfangs bei den
Vertrags-Arzneimittelherstellern mit bis dahin geringem Marktanteil zu Versorgungsengpässen, also eher zu einer verminderten Versorgungsqualität der Patienten. Dieses
Problem tritt selbst heute ab und an noch auf. Auch der erhoffte Bürokratieabbau verkehrte sich bei allen beteiligten Akteuren ins Gegenteil. Nennenswerte Einsparungen
sind bis heute nicht erkennbar! Geblieben sind jedoch ein Mehr an Bürokratie sowie
in vielen Fällen eine Belastung des Arzt-Patienten-Verhältnisses.
Das Problem der Arzneimittelausgaben ist nach wie vor jedoch nicht gelöst! Gerade in Berlin bekommen wir Ärzte das zu spüren. Die Patienten kommen besonders
für die fachärztliche spezialisierte Behandlung oft auch aus dem Umland in die
Hauptstadt. Das trägt nicht zur Entspannung der Ausgaben-Problematik bei. Daher
wollen wir Ihnen auch weiterhin mit KVH aktuell Pharmakotherapie wertvolle Tipps
für wirtschaftliches Verordnen geben. So können Sie in dieser Ausgabe nachlesen,
wie Sie Schluss machen mit dem „Steal-Effekt“ in Ihrem Arzneimittelbudget durch
teure Fixkombinationen wie Aggrenox®: In dem Artikel „Der neue ‚Steal-Effekt‘
durch Dipyridamol“ wird kritisch hinterfragt, ob die en vogue gekommene Kombination von Dipyridamol mit ASS wirklich die bessere Alternative zur ASS-Monotherapie
darstellt. Wussten Sie eigentlich, dass die Kombination Aggrenox® gegenüber ASS
50 Mal teurer, die Effektivität jedoch nur unwesentlich besser ist?
ASS ist jedoch nicht bei allen Leiden ein probates Arzneimittel. So ergab die PROPADAD-Studie, dass „Bei Diabetikern ASS und Vitamine als Primärprophylaxe nutzlos“
sind. Hingegen eignen sich Maßnahmen wie Rauchverzicht, mediterrane Kost oder
Bewegung zur primären Prävention. Dass Bewegung nicht schadet, sondern sogar
eine nicht medikamentöse Möglichkeit zur Verlängerung der Lebenszeit ist, können
Sie in dem Artikel „Neue Faustregel für 50-Jährige“ nachlesen. Ich wünsche Ihnen
bei der Lektüre des aktuellen Heftes wie immer viel Spaß und viele wertvolle Tipps
für Ihre Praxis!
Ihre
Angelika Prehn
Vorstandsvorsitzende der KV Berlin
Nr. 2 / 2009
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Editorial (nicht in allen Ausgaben)
2
Alkohol und Vorhofflimmern
Dr. med. Klaus Ehrenthal
4
Beschichtete Stents brauchen länger eine duale Plättchenhemmung
6
Neue Faustregel für 50-Jährige
Drei Stunden Gartenarbeit pro Woche
bringen über drei zusätzliche Lebensjahre
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Der neue„Steal-Effekt“ durch Dipyridamol
Dr. med. Henning Harder
12 Antidepressiva im Vergleich
Welches ist für die Praxis am besten?
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Inhaltsverzeichnis
7
10
12
Schmerztherapie
Der richtige Umgang mit starken Opiaten
14
Ergebnis der POPADAD-Studie
Bei Diabetikern sind ASS und Vitamine als Primärprophylaxe nutzlos
18
Sicherer verordnen
Dr. med. Günter Hopf
Masern-Impfung: Aufarbeitung einer Epidemie in NRW
Internethandel: Aktuelle Warnungen
19
Rezept des Monats: Warum müssen es gleich drei Benzos sein?
20
Exotische Therapie bei chronischen Wunden
Sind Fliegenmaden wirklich besser als Hydrokolloid-Verbände?
Dr. med. Joachim Feßler
20
Hausärztliche Leitlinie Psychosomatische Medizin
Psychische Störungen: Psychosomatische Anteile
Verhaltensstörungen und psychische Auffälligkeiten
Risikofaktoren und ihre psychosomatischen Ursachen
Suchtprobleme
22
23
29
37
38
Hausärztliche Leitlinie Palliativmedizin –
die Tischversion zum Ausschneiden, Teil 3
43
19
19
Impressum
Verlag: XtraDoc Verlag Dr. med. Bernhard Wiedemann, Pfingstbornstr. 38, 65207 Wiesbaden
Herausgeber: Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt
Redaktionsstab: Dr. med. Joachim Feßler (verantw.),
Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Margareta Frank-Doss, Dr. med. Jan Geldmacher, Dr. med. Harald Herholz,
Klaus Hollmann, Dr. med. Günter Hopf, Dr. med. Wolfgang LangHeinrich, Dr. med. Alexander Liesenfeld,
Renata Naumann , Karl Matthias Roth, Dr. med. Michael Viapiano, Cornelia Wachsen, Dr. med. Jutta Witzke-Groß
Fax Redaktion: 069 / 79502 8467
Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt;
Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt
Die von Mitgliedern der Redaktion oder des Beirats gekennzeichneten Berichte und Kommentare sind redaktionseigene Beiträge; darin zum Ausdruck gebrachte Meinungen entsprechen
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sich nicht zwangsläufig mit der Auffassung des Herausgebers. Sie dienen der umfassenden Meinungsbildung.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Veröffentlichung berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- oder Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Wie alle anderen Wissenschaften sind Medizin und Pharmazie ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere, was
Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in dieser Broschüre eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor und
Herausgeber große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung der Broschüre entsprechen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und
Applikationsformen kann vom Herausgeber jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers.
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Für Sie
gelesen
Nr. 2 / 2009
Alkohol und Vorhofflimmern
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Die Autoren David Conen et al. veröffentlichten 2008 in JAMA die Ergebnisse einer
Studie [1], in der sie die Wirkung von mäßigem bis erheblichem Alkoholgebrauch
auf den Herzrhythmus bei Frauen untersucht hatten.
Seit Längerem ist die Entstehung verschiedener kardiovasulärer Risiken wie Arrhythmien und Schlaganfall durch Alkoholgebrauch bekannt [2, 3, 4]. Dabei galt es als
erwiesen, dass ein nur geringer Alkoholgebrauch („consuming moderate amounts
of alcohol“ = weniger als zwei Drinks am Tag – siehe Kasten „Was ist ein Drink?“
auf dieser Seite) eher mit einem reduzierten Risiko für KHK, Schlaganfall und kongestive Kardiomyopathie einherging. Dies war allerdings beim Konsum von exzessiven
Mengen (= mindestens zwei Drinks pro Tag) genau umgekehrt: Das Risiko stieg an
für Herzinfarkt, Schlaganfall, kongestive Kardiomyopathie und Vorhofflimmern.
Weitere Untersuchungen erbrachten sich widersprechende Resultate sowohl für
Männer als auch für Frauen: das Risiko für akute Vorhofflimmerattacken durch
mäßiges bis starkes Alkoholtrinken (= täglich mindestens zwei Drinks) wurde für
Männer bestätigt, nicht aber für Frauen. Die Aussagekraft dieser
Studien war allerdings wegen zu kleiner Probandenzahlen von
Was ist ein Drink?
moderat bis stark trinkenden Frauen in den Untersuchungen
Um mit dem Maßstab „Drink“
nicht gesichert.
in einer Studie zu argumentieren, ist natürlich eine Definition
Um zu klären, wie sich regelmäßiger Alkoholgenuss auf das Risiko
notwendig: Ein angelsächsischer
von Vorhofflimmern bei Frauen auswirkt, wurde von Conen et al.
Drink meint 25 ml Schnaps, altereine gut zwölf Jahre dauernde randomisierte kontrollierte Studie
nativ 50 ml Likör, 0,25 l Bier oder
bei 34.715 gesunden Frauen im Alter von über 45 Jahren, Teil0,1 l Wein mit jeweils etwa acht
nehmerinnen der Women’s- Health-Study in den USA mit NachunGramm reinem Alkohol.
tersuchungen von 1993 bis zum Oktober 2006 durchgeführt. [1]
Diese Frauen hatten zu Beginn der Untersuchung kein Vorhofflimmern gehabt. Sie wurden zu ihrem Alkoholgebrauch befragt mit einer Nachbefragung nach 48 Monaten. Sie wurden nach ihrem Alkoholkonsum in vier Gruppen
eingruppiert („Ich trinke nie Alkohol / gelegentlich einen Drink oder höchstens
einen Drink am Tag / ein bis zwei Drinks täglich / mindestens zwei Drinks am Tag“).
15.370 Frauen (44,3 Prozent) tranken nie, 15.758 (45 Prozent) tranken weniger als
1 Drink am Tag, 2.228 (6,4 Prozent) tranken täglich ein bis zwei Drinks und 1.359
(3,9 Prozent) tranken zwei oder mehr Drinks pro Tag. Die Ergebnisse der weiteren
regelmäßigen Nachuntersuchungen bis zum Ende der zwölfjährigen Beobachtungszeit wurden mit anderen Risiken (Diabetes, Hypercholesterinämie, HDL-Cholesterol,
BMI, Blutdruck, Rauchen, ethnischer Zugehörigkeit) in den einzelnen Gruppen unterschiedlich gelistet und statistisch sorgfältig analysiert.
Ergebnisse
Bei einem Alkoholgebrauch von bis zu zwei Drinks am Tag durch gesunde Frauen im
mittleren Lebensalter fand sich keine Häufung von akutem Vorhofflimmern. Wurden
jedoch regelmässig täglich zwei oder mehr Drinks eingenommen (1.359 Frauen =
3,9 Prozent aller 34.715 Untersuchten), fanden die Autoren in ihrer großen, mit den
Nachuntersuchungen über zwölf Jahre laufenden Studie, ein signifikant vermehrtes
Vorhofflimmern, das auch als Ausgangsrisiko für Apoplexien gesehen werden muss.
Das Risiko war 1,6-fach erhöht gegenüber den Nichttrinkerinnen.
Interpretation
Nicht nur bei Männern [3], sondern auch bei Frauen ist somit Alkohol als ein deutlich
dosis­abhängiger Risikofaktor für das Entstehen von Vorhofflimmern bewiesen.
Nr. 2 / 2009
KVH • aktuell
Die Mär vom „French Paradox“ (Alkohol schützt angeblich Herz und Koronarien)
sollte keinesfalls als dosisunabhängig gesichert dargestellt werden. Dieses
beliebte Pseudoargument wird oft von medizinischen Laien für einen regelmäßigen
und viel zu hohen Alkoholgebrauch vorgeschoben.
Die Wahrheit ist: Nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen ist regelmäßiger Alkoholgenuss als kardiotoxisch einzustufen. Dieses Risiko ist individuell
und dosisabhängig je nach Konstitution, Körpergewicht und Komorbidität (z.B.
Leberfunktion, Stoffwechselkonstellation, Arteriosklerose usw.) zu werten.
Seite 5
Angeblich
kardioprotektive
Wirkung verführt
Laien zum Suff
Weitere Probleme, die dabei auftreten: Interaktionen durch Ethanol mit Medikamenten sind möglich, Alkohol ist Substrat von Cytochrom P450 (CYP 1A2, 2E1,
3A4) und induziert andererseits auch CYP 2E1 und 3A4.
Die abbauende Alkoholdehydrogenase kommt interindividuell sehr unterschiedlich vor. Sie liegt vor allem im Magendarmkanal vor und ist in der Regel bei
Frauen gegenüber Männern deutlich vermindert. Dadurch ist der first-pass-Effekt
der Verstoffwechselung von Ethanol bei Frauen gegenüber Männern (23 Prozent
versus 59 Prozent) vermindert [6]. Dieses Ferment ist auch vermindert bei Ostasiaten,
indigenen Bewohnern Amerikas sowie Aborigines in Australien.
Die Gefahr einer Abhängigkeit ist je nach dem Vorliegen einer Suchtpersönlichkeit und der zugeführten Dosis von Mensch zu Mensch sehr verschieden. Ethylalkohol kann auch schon bei geringen aber regelmäßig eingenommenen Mengen
zur Sucht führen, die dann oft geleugnet oder sorgfältig versteckt wird.
Was bedeutet das für die Praxis?
Bei Patienten mit Flimmerarrhythmie sollte der Hausarzt deswegen immer
nach der Regelmäßigkeit von Alkoholgebrauch und eventueller leber- und/
oder neurotoxischer Komedikation fragen und außerdem die Trinkmenge
erfragen. Auch hierzu sollte das Beratungsergebnis häufig einmal zu dem
ärztlichen Ratschlag von „drug holidays“ führen, da der oft versteckte und
gerne verschwiegene, gesundheitsgefährdende regelmäßige Alkoholmissbrauch Herz und Hirn bei Mann und Frau gefährden kann.
Ist es zu einem dauerhaften Vorhofflimmern gekommen, so ist dann zur
Prophylaxe einer Hirnembolie in geeigneten Fällen eine Marcumartherapie
zu diskutieren, die hierzulande immer noch zu wenig angewendet wird. Einzelheiten dazu finden sich in der Hausärztlichen Leitlinie „Antikoagulation
mit Vitamin-K-Antagonisten“ der Hessischen Leitliniengruppe [5].
Dass Alkohol Herz und Gefäße schützt, sollte auf keinen Fall in der Sprechstunde betont werden – die geringe protektive Dosis wird viel zu leicht
überschritten.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1 Conen D, Tedrow UB, Cook NR, Morthy MV, Buring JE, Albert CM: Alcohol Consumption and Risk of Incident
Atrial Fibrillation in Women. JAMA 2008;300(21): 2489-2496 (doi:10.1001/jama.2008.755)
http://jama.ama-assn.org/cgi/content/full/300/21/2489
2 Stampfer CH, Colditz GA, Willett WC, Speizer FE, Hennekens CH: A prospective study of moderate alcohol consumption and the risk of coronary disease and stroke in women. N Engl J Med.1988;319(5):267-273
3 Hansagi H, Romelsjo A, Gerhardsson de Verdier M, Andreasson S, Leifman A: Alcohol consumption and stroke
mortality: 20-year-follow-up of 15.077 men and women. Stroke.1995;26(10):1768-1773
4 Ettinger PO, Wu CF, De La Cruz Jr, Weisse AB, Ahmed SS, Regan TJ: Arrhythmias and the „holiday heart“:
alcohol-associated cardiac rhythm disorders. Am Heart J. 1978;95(5): 555-562
5 Hausärztliche Leitlinie der Leitliniengruppe Hessen: Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten, Version vom
21.01.2009
www.pmvforschungsgruppe.de > publikationen > leitlinien oder
www.pmvforschungsgruppe.de/content/03_publikationen/03_d_leitlinien.htm oder
auf den Seiten des ÄZQ: www.leitlinien.de/leitlinienanbieter/deutsch/pdf/hessenantikoagulation
6 Frezza M, di Padova C, Pozzato G, Terpin M, Baraona E, Lieber CS: High blood alcohol levels in women. The role
of decreased gastric alcohol dehydrogenase activity and first-pass metabolism. N Engl J Med. 1990;322:95-99
Bedeutung
für
unsere
Praxis
Praxis-Tipp
Unspezifische
thorakale
Unruhe
Bei diesen
häufigen Beschwerden sollte
man auch an
intermittierendes
Vorhofflimmern
nach Alkoholgenuss denken
(z. B.: Tag nach
der Party!)
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Der
Gastbeitrag
Nr. 2 / 2009
Beschichtete Stents brauchen länger
eine duale Plättchenhemmung
Studienziele
Mit der Beschichtung von koronaren Gefäßstützen (Stents) mit Sirolimus oder
Paclitaxel konnte man die Häufigkeit der Restenosierung in den mit einem Stent
versorgten Koronarien, nicht aber die Gesamtmortalität verringern. In einer MetaAnalyse mit Diabeteskranken war die Mortalität mit Sirolimus-beschichteten Stents
gar 2,9-mal so hoch wie mit nicht-beschichteten Metallstents. Mit einer NetzwerkMetaanalyse wurde versucht, die Resultate mit den verschiedenen Stents bei Personen mit und ohne Diabetes- Erkrankung zu vergleichen.1
Methoden
Verschiedene elektronische Datenbanken, relevante Internetseiten, Bücher und andere Quellen ohne Rücksicht auf die Sprache wurden nach entsprechenden Studien
durchsucht. Eingeschlossen in die Meta-Analyse wurden Doppelblindstudien von
mindestens sechs Monaten Dauer. Primäre Endpunkte waren die Gesamtmortalität
und notwendige Revaskularisationen des mit einem Stent versorgten Gebietes.
Ergebnisse
35 Studien mit rund 4.000 Diabeteskranken und 11.000 Personen ohne Diabetes
mellitus konnten für die Analyse verwendet werden. Die Gesamtmortalität bei den
Diabeteskranken erschien in verschiedenen Studien heterogen und stark von der
Dauer der dualen Plättchenhemmung mit Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin® u.a.) plus
Clopidogrel (Plavix®) abhängig zu sein. Nach Ausschluss der Studien mit einer Behandlungsdauer von weniger als sechs Monaten waren die Resultate homogener und die
Gesamtmortalität war bei den verschiedenen Stents ungefähr gleich. So betrug das
relative Risiko für Sirolimus-Stents gegenüber einfachen Metall-Stents 0,88 (95%-CI
0,55 - 1,30), für Paclitaxel-Stents gegenüber Metallstents 0,91 (0,60 - 1,38) und für
Sirolimus-Stents gegenüber Paclitaxel-Stents 0,95 (0,63 - 1,43). Bei Personen ohne
Diabetes hatte die obige Einschränkung keinen Einfluss auf die relativen Risiken. Bei
den beschichteten Stents waren weniger Revaskularisationen notwendig als bei den
einfachen Metall-Stents, sowohl bei Diabetikern wie auch bei Personen ohne Diabetes.
Schlussfolgerungen
Wenn die duale Plättchenaggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure und Clopidogrel während mindestens sechs Monaten durchgeführt wurde, waren medikamentös beschichtete Stents bei Diabeteskranken und Personen ohne Diabetes
mellitus wirksam und sicher.
Zusammengefasst von Peter Koller
Nachdruck mit
freundlicher
Genehmigung des
infomed-Verlags
aus infomed-Screen
Nr. 6/2008
Diese komplizierte, aber sorgfältig durchgeführte Meta-Analyse zeigt, dass Diabeteskranke von medikamentös beschichteten Stents bezüglich Verminderung von
erneuten Revaskularisationen nicht nur mehr profitieren als Nichtdiabetiker, sondern
dass diese Stents, bei adäquater Nachbehandlung, auch gleich sicher sind wie nichtbeschichtete Stents. Nachdem neue Daten in gleicher Weise keinen Mortalitätsnachteil der perkutanen Intervention gegenüber der Bypasschirurgie bei Diabeteskranken
gezeigt haben, kann die weniger invasive perkutane Revaskularisation damit den
häufig polymorbiden diabetischen Patientinnen und Patienten empfohlen werden.
Franz R. Eberli
Literatur:
1: Stettler C, Allemann S, Wandel S et al. Drug eluting and bare metal stents in people with and without diabetes:
collaborative network metaanalysis. BMJ 2008 (29. August); 337: a1331
Nr. 2 / 2009
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Neue Faustregel für 50-Jährige
Drei Stunden Gartenarbeit pro Woche
bringen über drei zusätzliche Lebensjahre
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Für Sie
gelesen
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Bereits in Heft 1/2008 von KVH aktuell Pharmakotherapie haben wir über
besondere nichtmedikamentöse Möglichkeiten, die Lebenszeit zu verlängern,
anhand der „EPIC-Norfolk Prospective Population Study“ berichtet [1, 2]. Dabei
waren vier Maßnahmen der Änderung des Lebensstils von signifikanten Erfolgen
belohnt:
Nichtrauchen
Körperliche Aktivität
Alkoholreduktion
ausreichender Verzehr von Obst und Gemüse
Je nach der Intensität der Teilnahme an entsprechenden nachhaltigen Änderungen
des Lebensstils (Bewertung mittels eines Punktescores) konnte dabei ein Lebenszeitgewinn von maximal 14 Jahren errechnet werden. Inzwischen sind weitere
Langzeit-Untersuchungen erschienen, die besonders die körperliche Aktivität untersuchten [3, 4].
Byberg et al. [3] untersuchten in Uppsala mit einer sorgfältigen, über 35 Jahre (1970
bis 2006) fortgeführten Kohortenstudie alle dort im Jahr 1920 geborenen Männer.
1970 wurden 2.841 50-jährige Bürger angesprochen, von ihnen nahmen 2.205
freiwillig an den Gesundheits-Survey-Untersuchungen teil. Nachuntersuchungen
fanden bei ihnen im Alter von 60, 70, 77 und 82 Jahren statt. Dabei wurden unter
anderem folgende Parameter zu den körperlichen Freizeitaktivitäten ermittelt und
entprechend eingestuft:
Gruppe 1:meist sitzende Freizeittätigkeiten (Lesen, Fernsehen, Kinogänge usw.)
Gruppe 2:Freizeitaktivitäten wie Wandern, Fahrradfahren
Gruppe 3:Freizeitsport (3 Stunden Sport, gleichwertig 3 Stunden körperlich aktive
Gartenarbeit pro Woche)
Gruppe 4:regelmäßige anstrengende körperliche Aktivitäten (sportliches Training,
Sportwettkämpfe)
Außerdem wurden untersucht bzw. erfragt:
Größe und Gewicht (BMI)
Systolischer und diastolischer Blutdruck
Allgemeiner Gesundheitsstatus
Labor: Serumcholesterin, Diabetesdiagnostik
Medikamentengebrauch
Rauchgewohnheiten
Alkoholgewohnheiten
Aufgrund der numerischen Personenkennzeichung aller schwedischen Bürger
konnten bis zum Studienende 2006 alle lebenden Männer vollständig (ohne
Drop-out-Fälle!) nachuntersucht und nachbefragt werden. Es wurde anschliessend zu verschiedenen Fragestellungen eine sorgfältige statistische Berechnung
vorgenommen.
Ergebnisse der Freizeitsportuntersuchung aus Uppsala
Bei der Untersuchung der kumulativen Mortalität bis zum Ende der Untersu-
Vergleich zwischen
Sofahocker und
Freizeitgärtnern
KVH • aktuell
Seite 8
Nr. 2 / 2009
chungen zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Lebenserwartung besonders
in Abhängigkeit von der körperlichen Aktivität:
Gruppe Aktivität
Mortaltätsrate*
1 geringe körperliche Aktivität
27,1
2 mittlere körperliche Aktivität
23,6
3+4 starke körperlichen Aktivität
18,4
Cumulative total mortality (%)
* Mortalitätsrate pro 1000 Probanden
100
Das Ergebnis entsprach, wenn man andere Faktoren subtrahierte (körperlich aktive Männer hatten
einen besseren BMI, bessere Laborparameter und
Blutdruckwerte), einem Gewinn in Lebensjahren
von
Gruppe 2:1,8 Lebensjahren
Gruppe 3+4 : 3,8 Lebensjahren
Low physical activity
Medium physical activity
High physical activity
80
60
30
20
0
50
60
70
80
90
Age (years)
60
70
77
82
End of
study
1904
1406
1123
933
876
Schon relativ wenig Bewegung
hat hohe Wirkung!
Das bedeutet: Alleine die körperliche Freizeitaktivität
von 3 Stunden wöchentlich ab dem 50. Lebensjahr
(entsprechend Gartenarbeit oder anderen AktiviFig Grafik
2 | Cumulative
mortality
from age 50 (Cox regression) zeigt täten) konnte das Leben der untersuchten Männer
Diese
aus der
Originalveröffentlichung
to leisure
time physical
level and total Akdie according
kumulative
Mortalität
bei activity
unterschiedlichen
deutlich verlängern. Eine weitere Feststellung aus
mortality. At end of follow-up, estimated proportions of deaths
tivitätsmustern.
Obere
Linie:
Stark
steigende
Morden Ergebnissen dieses Gesundheitssurveys war,
were 81.4 (95% confidence interval 80.8 to 82.0) for low
talität
beiactivity,
den Bequemen
der for
Gruppe
Mittlere
physical
72.0 (71.5 to 72.5)
medium,1.
and
61.8
dass diese gewonnenen Lebensjahre in der gleichen
(61.4 to 62.2)
for high
gestrichelte
Linie:
Gruppe 2. Untere Linie: Gerings- Größenordnung lagen, wie sie durch das Einstellen
ter Anstieg der Mortalität bei den Gruppen 3+4.
des Rauchens erreicht werden konnten.
Der Effekt von regelmäßigen körperlichen Aktivitäten über drei Stunden pro Woche auf die Lebenserwartung war nach den Berechnungen der Untersucher deutlich höher als der
Benefit, der mit der Absenkung des Serumcholesterins um 1 mmol/l und
ebenfalls höher, als er durch eine antihypertensive Behandlung erreicht
Bewegung bringt werden konnte.
gleichen Effekt wie
antihypertensive In einer weiteren Langzeitstudie über 21 Jahre untersuchten Chakravarty et al. [4]
Behandlung in Nordkalifornien die Überlebenszeit von 538 Mitgliedern von Laufsportgruppen
im Vergleich mit 423 gesunden, nicht laufenden Kontrollfällen. Erfasst wurde auch
der Gesundheitszustand (Gesundheits-Check, Health Disability Index, HAQ-DI mit
Scores von 0 = keine Probleme bis 3 = die Unfähigkeit, bestimmte Alltagsaktivitäten
durchzuführen).
Alle Probanden waren 50 Jahre alt oder älter. Untersucht wurden Lauf- und Übungshäufigkeit, der BMI und Ausfälle beim Gesundheits-Check.
Age
50
Men at 2205
risk
Gruppenläufer bleiben im Alter selbständiger
Die Todesfälle bei den Probanden wurden anhand des nationalen Sterberegisters
festgestellt, so dass hier lückenlose Daten zur Verfügung standen. Das Ergebnis:
Nach 19 Jahren waren nur 15 Prozent der Läufer verstorben gegenüber 34 Prozent der Kontrollen (in absoluten Zahlen: 81 versus 144). Das bedeutet eine NNT
von 5 als Überlebensvorteil der Läufer nach 19 Jahren!
Nach 21 Jahren, im Jahr 2005, kamen von den 538 Laufgruppenteilnehmern
Nr. 2 / 2009
KVH • aktuell
Seite 9
284 zur Nachuntersuchung, von den 423 gesunden Kontrollfällen ohne Laufsport
waren es 156. Die Untersuchung dieser Probanden zeigte, dass der HAQ-DisabilityIndex bei den Läufern einen deutlich besseren Verlauf als in der Kontrollgruppe
genommen hatte. Er war zwar mit voranschreitendem Alter in beiden Gruppen
angestiegen, jedoch deutlich stärker bei den Kontrollen (von 0,095 auf 0,43) als
bei den Läufern (von 0,029 auf 0,2). Im Klartext: Die Gruppenläufer bewältigten ihr
Alltagsleben besser und waren signifikant weniger beeinträchtigt bzw. behindert
als die Leute in der Kontrollgruppe.
Auch ältere Patienten profitieren noch
Bedeutung
Auch in der Lebensmitte lohnt es sich noch, mit regelmäßiger körperlicher Aktivität (z.B. Freizeitsport, Gartenarbeit und vergleichbaren körperlichen Tätigkeiten)
[3] zu beginnen: es kommen immer mehr Langzeituntersuchungen (hier über 21
und 35 Jahre) zu dem signifikanten Ergebnis einer Verlängerung der Lebenszeit
durch regelmässige körperliche Bewegung [3, 4]. Dadurch wurde der Benefit einer
Cholesterinsenkung sowie einer Blutdrucksenkung im späteren Alter sogar noch
übertroffen, ganz zu schweigen von Vorteilen beim erhöhten BMI, beim metabolischen Syndrom, beim Typ-2-Diabetes, bei einem kognitiven Altersabbau und bei
einer Sturzprophylaxe durch bessere O2-Versorgung und Muskelaufbau sowie durch
bessere kardiovaskuläre Fitness [4].
Der Benefit, den das Einstellen des Rauchens gab, lag in der gleichen Größenordnung, wie der Benefit durch körperliche Aktivität [4].
für
unsere
Praxis
Schon drei Stunden
Bewegung pro
Woche können
für TablettenVerweigerer eine
Alternative sein.
Bei einer medikamentösen Behandlung
der genannten Krankheitsbilder sollte
also der Hausarzt auch in der zweiten
Lebenshälfte dem Patienten, wo immer das möglich ist, eine regelmäßige
körperliche Aktivierung als wichtigste
nichtmedikamentöse Maßnahme (neben
dem Einstellen des Rauchens) ans Herz
legen. Nicht nur, weil er damit „Chemie
einsparen kann“, sondern weil dadurch
in vielen Fällen Krankheiten ursächlich
behandelt werden können.
Literatur:
1 Khaw KT, Wareham N, Bingham S, Welch A, Luben R, Day
N: Combined Impact of Health Behaviors and Mortality in
Men and Women. The EPIC-Norfolk Prospective Population Study. PloS Medicine 2008;5:e12
www.plosmedicine.org / Jan 2008;(5), 1,e12:0001-0009
http://www.srl.cam.ac.uk/epic/
2 Ehrenthal K. Vier Punkte verlängern das Leben um
14 Jahre. KVH aktuell Pharmakotherapie, März 2008;
(13)1:12-13
3 Byberg L, Melhus H, Gedeborg R, Sundström J, Ahlborn
A, Zethelius B, Berglund LG, Wolk A, Michaelsson K. Total
Mortality after changes in leisure time physical activity in
50 year old men: 35 year follow-up of population based
cohort. BMJ 2009;338:b688 doi:10.1136/bmj.b688
4 Chakravarty EF, Hubert HB, Lingala VB, Fries JF. Reduced
Disability and Mortality Among Aging Runners. A 21-Year
Longitudinal Study. Arch Intern Med. 2008;(15):1638-46
Foto: BW
Interessenkonflikte: keine
Drei Stunden pro Woche im Garten arbeiten, statt vor dem
Fernseher zu hocken – das bringt bereits eine Lebensverlängerung von mehr als drei Jahren. Und zwar selbst dann,
wenn man erst mit 50 beginnt.
Seite 10
Für Sie
gelesen
KVH • aktuell
Nr. 2 / 2009
Der neue„Steal-Effekt“
durch Dipyridamol
Dr. med. Henning Harder
„Was viele Meinungsführer behaupten, kann doch so falsch nicht sein“ – dieses
Prinzip spiegelt sich in vielen Leitlinien wider.
Bereits in den sechziger Jahren wurde Dipyridamol unter dem Markennamen
Persantin® als Hilfe bei chronischer koronarer Herzkrankheit, zur Vorbeugung und
Nachbehandlung des Herzinfarktes, beim „Altersherz“, bei arteriellen Durchblutungsstörungen und zur Thromboseprophylaxe angepriesen. Persumbran®, die
Kombination von Dypiridamol mit Oxazepam zur Frühbehandlung der Angina pectoris, hat wohl so manchen Patienten in die Benzodiazepin-Abhängigkeit geführt.
Mittlerweile ist der „Steal-Effekt“ gut bekannt. Dypiridamol als Vasodilatator weitet die gesunden Gefäßabschnitte auf und entzieht damit dem Versorgungsgebiet
stenosierter Gefäßabschnitte die Sauerstoffzufuhr. Bei der Myokardszintigraphie ist
dies ein anerkanntes diagnostisches Prinzip zum Ischämienachweis.
Sekundärprophylaxe
Empfehlung
basiert auf
fragwürdigen
Studien
Nun ist Dipyridamol in der Kombination mit ASS wieder en vogue zur Sekundärprophylaxe nach zerebralen Durchblutungsstörungen. Für Patienten mit hohem Risikoprofil hat es die Fixkombination bereits in die Leitlinien einiger Fachgesellschaften
geschafft. Allgemeinmediziner sahen sowohl die wissenschaftliche Evidenz als auch
die Alltagsrelevanz der Fixkombination ASS/Dipyridamol (Aggrenox®) sehr kritisch
und konnten sich den Empfehlungen nicht anschließen. Die wissenschaftliche Evidenz einer Überlegenheit der Fixkombination gegenüber einer Monotherapie mit
ASS ist aus folgenden Gründen mager:
In Metaanalysen aller für diese Fragestellung relevanten doppelverblindeten,
randomisierten Studien gab die ESPS-2-Studie den Ausschlag für eine Überlegenheit der Fixkombination, war jedoch vom Hersteller finanziert und zog nur
den Vergleich mit ASS 50 mg (unüblicher Niedrigdosisbereich).
Die viel beworbene ESPRIT-Studie zur Untermauerung der Überlegenheit der
teuren Fixkombination war unverblindet und eher als offene Beobachtung
angelegt und als Wirksamkeitsnachweis zu anfällig für Verzerrung und Fehler
(siehe Tabelle 1).
Viel wichtiger für den Hausarzt ist jedoch die Relevanz wissenschaftlicher Studien
in der Praxis. In der ESPRIT-Studie brechen ein Drittel der Teilnehmer die Behandlung
mit ASS/Dipyridamol vornehmlich aufgrund von Kopfschmerzen ab. Die Fixkombination muss zweimal täglich gegeben werden. Durch schlechtere Compliance
verkehrt sich im Alltag der fragwürdige Vorteil eines neuen Medikaments für den
Patienten zum Nachteil.
Tabelle 1: Kritikpunkte an der ESPRIT-Studie
häufiger Vergleich mit ASS-Niedrigdosis
Beeinflussung durch Studienarzt möglich
unklare Begleittherapien
Intention-to-treat-Analyse wäre besser gewesen als
on-treatment-Analyse
hohe Abbrecherquote
andere ASS-Dosierung und Galenik von Dipyridamol
als in Aggrenox®
Rückenstärkung für
skeptische Haltung
Nun bekommen Allgemeinmediziner
auch auf der Ebene wissenschaftlicher
Evidenz Rückenstärkung für ihre skeptische Haltung gegenüber Aggrenox®.
Über 20.000 Patienten nahmen an der
doppelverblindeten, randomisierten
PRoFESS-Studie teil, die vom Hersteller
von Aggrenox® gesponsert wurde.
Nr. 2 / 2009
KVH • aktuell
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Es wurde Aggrenox® gegen Clopidogrel in der Sekundärprophylaxe nach ischämischem Insult getestet. Sowohl für den primären Endpunkt (Schlaganfallrezidiv) als
auch für den kombinierten Endpunkt (Schlaganfall, Myokardinfarkt oder Tod aufgrund vaskulärer Ursache) zeigte sich nach im Mittel 2,5 Jahren keine Überlegenheit
eines der beiden Wirkprinzipien.
Das begleitende Editorial im „The New England Journal of Medicine“ kommentiert den Widerspruch zwischen einerseits angeblich besserer Studienlage für ASS/
Dipyridamol versus ASS-Monotherapie (ESPRIT und ESPS- 2), sowie den Ergebnissen
der bekannten CAPRIE-Studie, in der Clopidogrel gegenüber ASS für diese Fragestellung nicht besser abschneidet, und andererseits den neuen Ergebnissen der
PRoFESS-Studie. Kann Aggrenox® wirksamer als ASS sein, wenn es nicht wirksamer
als Clopidogrel ist, welches wiederum mit ASS gleichwertig ist?
Beide Optionen besser, aber nur unwesentlich
Unter Berücksichtigung der Anzahl aller Studienteilnehmer mit und ohne Erreichen
eines der Endpunkte in den einzelnen Studien kommen die Autoren des Editorials
mit Hilfe eines indirekten Vergleichs (Netzwerk-Metaanalyse) zur Schlussfolgerung,
dass Aggrenox® und Clopidogrel ähnlich effektiv sind, und beide Optionen besser
sind, aber nur unwesentlich, als ASS alleine. Ihr Fazit: „For stroke prevention use
an antiplatelet drug. Treat hypertension.”
Unter Berücksichtigung von Kosten und Nebenwirkungsprofil der verschiedenen
Alternativen für die klinische Versorgungsrelevanz spricht alles für die ASS-Monotherapie. Mit dem „Steal-Effekt“ durch die teure Fixkombination ASS/
Dipyridamol in unserem Arzneimittelbudget sollten wir Schluss machen.
Dr. Henning Harder ist niedergelassener
Allgemeinmediziner in Hamburg.
Interessenkonflikte: keine
Nachdruck aus dem Hamburger Ärzteblatt mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion des
Hamburger Ärzteblatts
Aggrenox nach Schlaganfall:
Empfehlung nicht ausreichend begründet
Auch der Arzneimittelbrief kommt zu dem Ergebnis, dass es keinen Grund gibt,
Aggrenox als Sekundärprophylaxe nach Schlaganfall einzusetzen. Hier die Zusammenfassung eines ausführlicheren Beitrags:
Die präferenzielle Empfehlung für die Kombination ASS plus Dipyridamol (Aggrenox®) als Sekundärprophylaxe nach akutem Schlaganfall ist nicht ausreichend begründet. Zudem ist diese Kombination gegenüber ASS etwa 50-fach teurer.
Bei Patienten nach Schlaganfall, die nicht antikoaguliert werden müssen, ist ein
Thrombozytenaggregationshemmer zwingend indiziert. Die Auswahl der Substanz
ist nach UAW (Magenverträglichkeit, Kopfschmerzen), Begleiterkrankungen (Ulkusanamnese, pAVK), Compliance (ein- oder zweimalige Gabe pro Tag) und ganz
wesentlich nach dem Preis zu treffen. Es gibt auch keine Studien, die nachweisen,
dass es sinnvoll ist, bei einem Rezidiv-Hirninfarkt, der unter einem Aggregationshemmer aufgetreten ist, auf ein anderes Medikament zu wechseln.
Aus einem Beitrag im Arzneimittelbrief 2008, 42, 93.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion des Arzneimittelbriefs.
Schluss mit dem
Steal-Effekt
im Arzneibudget!
Alles spricht für
ASS-Monotherapie
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KVH • aktuell
Nr. 2 / 2009
12 Antidepressiva im Vergleich
Welches ist für die Praxis am besten?
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Während trizyklische Antidepressiva (TZA, nichtselektive Monoamin-Reuptakehemmer wie Amitriptylin, Nortriptylin u.a.) in der Behandlung von Majordepressionen
(früher „endogener Depressionen“) immer noch als Standardmedikation gelten [1,
2], so haben deren ausgeprägte anticholinerge und weitere unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), wie Interaktionen im P-450-Isoenzym-System (besonders
bei Multimedikation) nicht selten zu Behandlungsproblemen und Unverträglichkeiten geführt (Ungeeignet bei Patienten über 65 Jahren, mit ischämischen Herzkrankheiten, mit Herzrhythmusstörungen u.a.).
Die große Zahl von neueren Antidepressiva (SSRI = selektive Serotonin-Reuptakehemmer und andere) hat auch durch die Vermarktungsbemühungen der Hersteller
zu einer erheblichen Verunsicherung bei der Wahl des richtigen Wirkstoffes geführt.
Hierbei sind die UAW weniger durch anticholinerge Störungen und Interaktionen
sondern mehr durch zentral stimulierende Effekte geprägt (zentrale Exzitation, Sexualstörungen, Magen-Darmstörungen, Entzugssymptome, Immunerkrankungen).
Im Prinzip sind auch die SSRI wie die TZA zur Behandlung von Majordepressionen
geeignet [1, 2].
Am 29.01.09 erschien im Lancet eine ausführliche und sehr sorgfältig gemachte
Metaanalyse [3] zur Wirkung von zwölf unterschiedlichen Antidepressiva der so
genannten „second generation“ zur Behandlung einer unipolaren Majordepression
von Erwachsenen. Es wurden dabei 117 randomisierte und kontrollierte Studien
untersucht mit insgesamt 25.928 Teilnehmern, die von 1991 bis zum 30.11.2007
publiziert worden waren. Folgende Wirkstoffe, die in Studien mit Monotherapie
bei einer Majordepression in der akuten Phase bei Erwachsenen (nicht bei Frauen
mit Wochenbettdepression) angewandt worden waren, wurden dabei untersucht:
Bupropion (Noradrenalin-Dopamin-Reuptakehemmer)
Reboxetin (selektiver Noradrenalin-Reuptakehemmer)
Duloxetin (Serotonin-Noradrenalin-Reuptakehemmer)
Milnacipram (Serotonin-Noradrenalin-Reuptakehemmer)
Venlafaxin (SSRI + Noradrenalin-Reuptakehemmer)
Citalopram (SSRI)
Escitalopram (SSRI)
Fluoxetin (SSRI)
Fluvoxamin (SSRI)
Paroxetin (SSRI)
Sertralin (SSRI)
Mirtazapin (tetrazyklisches Antidepressivum)
Als Outcome wurde die Zahl der Patienten mit wirksamer Behandlung verglichen
mit der Zahl der Studienabbrecher in einer Intention-to-treat-Analyse. Hierbei
wurde der Therapieerfolg und die Quote der verschiedenen Nebenwirkungen,
die zur Nichtakzeptanz der Therapie geführt hatten, analysiert. Die untersuchte
Behandlungsphase (Therapiedauer) betrug acht Behandlungswochen in den
meisten untersuchten Studien. Konnte in einer Studie diese Zeitspanne nicht
gefunden werden, wurde eine gewichtete Behandlungszeit zwischen sechs und
zwölf Wochen verwendet.
Als Erfolg der Therapie wurde eine 50-prozentige Reduktion vom Ausgangsscore
der Hamilton-depression-rating-Skala (HDRS) der Montgomery-Asberg-depressionrating-Skala (MADRS) oder die Beurteilung „ sehr gebessert“ oder „sehr stark
Nr. 2 / 2009
KVH • aktuell
Seite 13
gebessert“ nach acht Wochen nach der „Clinical-globe-impression“-Skala (CGI)
gewertet. Als Nichtakzeptanz der Therapie wurde gewertet, wenn aus unterschiedlichen Gründen die Behandlung in den ersten acht Wochen abgebrochen wurde.
Ergebnisse
Mirtazapin, Escitalopram, Venlafaxin und Sertralin waren signifikant wirksamer als
Duloxetin, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin und Reboxetin. Reboxetin war signifikant
weniger wirksam als alle anderen untersuchten Antidepressiva.
Die Behandlung mit Escitalopram oder Sertralin zeigte das beste Wirkprofil, da
diese Medikamente zu weniger Behandlungsabbrüchen führten als Duloxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Reboxetin und Venlafaxin.
Interpretation
Zwischen den üblicherweise verschriebenen Antidepressiva fanden sich im Vergleich
klinisch bedeutsame Unterschiede sowohl in der Wirksamkeit als auch bei der Akzeptanz zugunsten von Escitalopram und Sertralin. Sertralin ist vielleicht die beste
Wahl beim Behandlungsbeginn von Erwachsenen mit einer moderaten bis schweren
unipolaren Majordepression, da es die günstigste Balance zwischen Benefit, Akzeptanz und Verordnungskosten hat.
Was bedeutet das für die Praxis?
Wenn kostengünstige trizyklische Antidepressiva (TZA) wegen Unverträglichkeiten,
Komorbidität oder Interaktionen bei Komedikation nicht angewendet werden können und wenn deswegen auf einen selektiven Serotonin-Reuptake-Hemmer (SSRI)
ausgewichen werden soll, sind die deutlichen Unterschiede der Wirksamkeit und
der nebenwirkungsbedingten Abbruchraten zu beachten.
Die vorliegende Metaanalyse hat Unterschiede der SSRI und auch der neueren
Antidepressiva herausgestellt und Vorteile bei der Therapie mit den SSRI Sertralin
(Gladem®, Zoloft®, diverse Generika im Handel) und Escitalopram (Cipralex®, dem
linksdrehenden reinen S-Enantiomer des Racemats Citalopram (Cipramil®, diverse
Generika im Handel) aufgezeigt.
Im Hinblick auf die oben besprochene Behandlungsoptimierung aus den untersuchten Parametern Benefit beim Patienten, Akzeptanz durch die Patienten wegen
möglicher Beeinträchtigung durch UAW und Verordnungskosten erscheint mir
Sertralin (s.o., sowie diverse Generika) optimal.
Escitalopram, bei dem in einem kürzlich erschienen Cochrane Review [4] geringe
Vorteile gegenüber dem Razemat Citalopram (s.o., sowie diverse Generika) beschrieben wurden, ist deutlich teurer als das schon länger im Handel befindliche
Citalopram. In Hessen gelten für die Leitsubstanzen Citalopram/Fluoxetin ein Verordnungsanteil (Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz, AVWG) von
61,3 Prozent der Verordnungen im entsprechenden Indiaktionsgebiet. Da hiervon
nur bei Unverträglichkeit abgewichen werden soll, ist der Spielraum für andere
Therapien, ohne dass wesentliche Vorteile z.B. beim Escitalopram erkennbar sind,
eingeschränkt.
Literatur:
1 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Arzneiverordnungen 21. Aufl. 2006, Deutscher Ärzte-Verlag
Köln, S. 442 ff
2 A.V.I. Arzneimittel-Verlags-GmbH Berlin. Arzneimittelkursbuch 2007/2008, 15.Ausgabe,S.1901
3 Cipriani A, Furukawa TA, Salanti G, Geddes JR, Higgins JPT, Churchill R, Watanabe N, Nakagawa A, Omori IM,
McGuire H, Tansella M, Barbui C: Comparative efficacy and acceptability of 12 new-generation antidepressants: a multiple-treatments meta-analysis.The Lancet 29.01.09 www.thelancet.com DOI:10.1016/501406736(09)60046-5
4 Cipriani A, Santilli C, Furukawa TA, Signoretti A, Nakagawa A, McGuire H, Churchill R, Barbui C: Escitalopram
versus other antidepressive agents for depression. Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue2.Art.
No.: CD006532. DOI:10.1002/14651858.CD006532.pub2.
Diese Metaanalyse
wirft die Frage auf,
ob die Wahl der
Leitsubstanzen nicht
überprüft werden
muss
KVH • aktuell
Seite 14
Der
Gastbeitrag
Nr. 2 / 2009
Beratungsursache
7:
Der richtige Umgang mit
starken Opiaten
Tumorschmerzen und
Schmerz ist eine Sinneswahrnehmung und entsteht, wenn mechanische, thermische, sonstige
chemische oder schwere
elektrische Reizechronische
einen SchwellenwertSchmerzen
über­schreiten und
dadurch meist zu einer Gewebeschädigung mit Freisetzung von Schmerzmediatoren
sowie zur Bildung von Schmerzimpulsen
führen. Die Schmerzwahrnehmung hat
Ì WHO-Stufenschema
für den Menschen eine essenzielle Schutzfunktion. Für die Schmerzwahrnehmung
sind beim Menschen nicht nur die nozizeptiven Eingangssignale wichtig, sondern
auch die Vorerfahrungen, Erwartungen, Gedanken und Gefühle. Erkennbar ist dies
besonders bei psychosomatischen Beschwerden „ohne organische Ursache“ und
bei den Effekten einer „Placeboanalgesie“, deren Responderrate meist mit 30 bis
40 Prozent angegeben wird.
frühzeitig undstellt
ausreichend
wirksam den
Schmerz
Tumorschmerzen und
schwere
Diesonstige
Diagnostik
und adäquate Schmerztherapie
den behandelnden
Arzt,
insbeim hausärztlichen Bereich,
derum
Komplexität
des klinischen
Bildes
zuaufgrund
behandeln,
einer Chronifizierung
entgegen
Schmerzen (s. hierzusondere
Leitlinie Palliativversorgung)
und
der
biopsychosozialen
Zusammenhänge
bei
der
Entstehung
von
Schmerzen
zu wirken.
Bei der Entstehung von chronischen Schmerzen
wieder vor große Herausforderungen.
Nicht
zuletzt unterscheidet
aufgrund derman:
hohen
Bei chronischen
Schmerzen
spielt die Ausbildung immer
des Schmerzgedächtnisses
oderSomatische
bedeutet
die Be­hgut
andlung
von
eine entscheidende Kosten
Rolle. „moderner“
Sehr starkeWirkstoffe
oder
Schmerzen
– scharf,
lokalisierƒ Arzneiformen
Schmerzpatienten eine große medi­zinische und wirtschaftliche Verantwortung.
wiederholte Schmerzreize können auf Dauer zu
bar (z. B. Knochen- und Periostschmerz, Hauteiner Senkung der Schmerzschwelle führen mit
und Weichteilschmerz, Ischämieschmerz)
Der folgende Text soll ganz sicher kein vollständiges therapeutisches Manual werder Folge, dass auch
geringe
Reize
starke
Viszerale Schmerzen
– dumpf,
schlechtOpiate/
lokaliƒ rationalen
den, sondern ein Schlaglicht auf den
Einsatz stark
wirksamer
Schmerzen auslösenOpioide
können.werfen.
U. U. kann der
sierbar
Patient sogar Schmerzen
empfinden
ohne
aktuelNeuropathische
Schmerzen
– attackenweise
ƒ zum
Für umfassendere Informationen
Thema „Rationale
Schmerztherapie“
emplen Reiz, allein durch fehlen
spontane
Neueinschießend
oder der
auch
brennender Dauerwir Aktivität
Ihnen dievon
Hausärztliche
Leitlinie
„Schmerz“
Leitliniengruppe
Hessen
ronen. Es ist von größter
Bedeutung, möglichst
schmerzsowie die Therapieempfehlungen
(www.pmvforschungsgruppe.de/Leitlinien)
Stufe 3
schwere chronische Schmerzen
Stufe 2
starke chronische Schmerzen
Stufe 1
chronische leichte bis
mittelschwere Schmerzen
Nichtopioid-Analgetikum
ƒ Ibuprofen retard
ƒ Naproxen
ƒ Diclofenac
ƒ Paracetamol (nur geringe
antiphlogistische Wirkung)
ƒ Metamizol (zusätzlich:
spasmolytische Wirkung)
Nichtopioid-Analgetikum
plus
schwach wirkende Opioidanalgetika
ƒ Tramadol, Tilidin
ƒ Dihydrocodein
Nichtopioid-Analgetikum
plus
Stark wirkende oral oder subkutan applizierte Opioidanalgetika
ƒ Morphin
ƒ Buprenorphin
ƒ Fentanyl
ƒ Oxycodon
ƒ Hydromorphon
ggf. extra lang wirkende Darreichungsformen (Pflaster, wenn
orale Therapie nicht möglich ist).
Hinweis: für Patienten mit PEGSonde sind verschiedene Morphine als Granulat erhältlich oder
peridurale Morphinapplikation
Adjuvans und Ko-Analgetika: Antiemetika, Laxanzien, Antidepressiva, Neuroleptika, Antikonvulsiva,
Cortison, Lokalanästhesie
Stufenschema der WHO (Grafik aus der Hausärztlichen Leitlinie Schmerz; siehe auch KVH aktuell Nr. 3/2008,
Seiten 31 bis 42.)
Nr. 2 / 2009
KVH • aktuell
Seite 15
der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzte­schaft (www.akdae.de, Tumorschmerz, 3. Auflage 2007, Kreuzschmerz, 3. Auflage 2007).
Schmerztherapie nach dem Stufenschema der WHO
Die Therapie erfolgt dabei nach dem Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Grundregeln der WHO wurden in mehreren Untersuchungen
validiert und werden daher allgemein zu Recht akzeptiert und empfohlen. Sie
haben wesentlich zur Akzeptanz und Verbreitung einer einfachen und wirksamen
Schmerztherapie beigetragen.
Nach der WHO Stufe I werden bei leichten Schmerzen Nichtopioide wie Ibuprofen,
Diclofenac, Naproxen, Paracetamol oder Metamizol verabreicht. Die Gabe von
antipyretisch wirksamen Analgetika wie Metamizol oder Paracetamol scheint bei
viszeralen Nozizeptorschmerzen von Vorteil zu sein, die Gabe von nichtsteroidalen
Anti­rheumatika (NSAR) wie Diclofenac, Ibuprofen oder Naproxen bei somatischen
Nozizeptorschmerzen.
Gemäß der WHO Stufe II wird die Therapie bei unzureichender Analgesie oder mäßig starken Schmerzen durch ein mittelstarkes Opioid wie Dihydrocodein, Tramadol
oder Tilidin-Naloxon ergänzt. Nichtretardierte Präparate sind dabei zur Dosistitration
und als Zusatzmedikation bei Schmerzspitzen geeignet. Zur Langzeittherapie werden
Retardpräparate eingesetzt.
Ist der Schmerz mit der Kombination von Nichtopioiden und schwachen Opioiden
nicht ausreichend thera­pierbar, kombiniert man nach WHO Stufe III das nichtopioide Analgetikum mit einem stark wirksa­men Opioid. Als stark wirksame Opioide
kommen die reinen Opiatagonisten Morphin, Hydromor­phon, Fentanyl, Oxycodon oder Levomethadon zum Einsatz, die den Vorteil einer starken analgeti­schen
Wirkung ohne Wirkbegrenzung bei Do­sissteigerung haben. Die Kombination von
schwach wirkenden Opioiden der Stufe II mit stark wirken­den Opioiden der Stufe
III ist phamakologisch nicht sinnvoll.
Die WHO empfiehlt so genannte Koanalgetika wie zum Beispiel Antidepressiva und
Glukokortikoide bei Tumorschmerzen, Bisphosphonate bei Knochenschmerzen,
Antiepileptika bei neuropathischen Schmerzen, zu Analgetika der Stufen I bis III bei
speziellen Schmerzsyndromen. Diese können die Opioid-Analgesie verbessern und
dadurch zu einer reduzierten Opioid-Dosis führen.
Stark wirkende Opiat/Opioid-Analgetika (WHO Stufe III)
Wirkstoffe und Applikationsformen (Beispiele)
Morphin, Morphin retard, Morphin ultraretard
Buprenorphin
Buprenorphin TTS
Fentanyl TTS
Fentanyl oral transmukös
Oxycodon
Oxycodon retard
Hydromorphon retard
Zugelassene Indikationen
Starke bis sehr starke (stärkste) Schmerzen, die eine Anwendung von Opioiden
erfordern.
Wirkungsweise
Die Opioid-Analgetika Morphin, Fentanyl, Oxyco­don und Hydromorphon sind volle
Agonisten am Opioid-Rezeptor. Hydromorphon ist etwa 7,5-mal stärker, Oxycodon
etwas stärker wirksam als Morphin, Fentanyl etwa 100-mal stärker als Morphin.
Nicht nur Dosis
erhöhen, sondern
auch an ZusatzMedikamente
denken
Seite 16
KVH • aktuell
Nr. 2 / 2009
Buprenorphin ist ein partieller Agonist am Opiod-Rezeptor und besitzt als solcher
einen „Ceiling-Effekt“ (trotz Dosissteigerung keine Zunahme der Wirkungen). Buprenorphin wirkt bei parenteraler Anwendung etwa 40-mal stärker als Morphin.
Partialagonisten sollten nicht mit Agonisten kombiniert werden, da sie die analgetische Wirkung der Agonisten aufheben und Entzugssymptome provozieren können.
Im Falle einer Überdosierung mit einem Partialagonisten lassen sich Intoxikationssymptome nur beschränkt mit einem Antagonisten aufheben.
Nebenwirkungen
Wie bei allen Opioiden sind Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Schwindel, Sedierung,
Juckreiz und Schwitzen sehr häufig. Mundtrockenheit, Miktionsstörungen, Exantheme, Stimmungs- und Antriebsänderungen, Ödeme, Blutdrucksenkung und Dyspnoe
sind weitere Nebenwirkungen. Entzugssymptome nach Absetzen sind möglich, bei
kon­trollierter, korrekter Anwendung ist die Gefahr einer Opioid-Abhängigkeit bei
(Tumor-)Schmerzpatienten gering.
Kontraindikationen
Kontraindikationen ergeben sich aus dem Nebenwirkungsspektrum: schwerwiegende Störung der Atemregulation und -funktion, Alkohol- und/oder OpioidAbhängigkeit usw.
Interaktionen
Die gleichzeitige Gabe zentral dämpfender Pharmaka sowie von Alkohol verstärkt
die entsprechenden Nebenwirkungen der Opioide.
Hinweise für eine wirtschaftliche Verordnungsweise
Praxis-Tipp
Bei DurchbruchSchmerzen
auch ein stark
wirksames Opioid
geben. Tramadol
und Tilidin sind
hier ungeeignet!
Bitte beachten:
Tilidin comp
enthält einen
OpioidAntagonisten.
Ein parallel
gegebenes
stark wirksames
Opioid wird
antagonisiert!
Tumorschmerzen
Stark wirkende Opioid-Analgetika sind die Hauptstütze der Therapie mittelstarker und starker Tumorschmerzen.
Morphin ist bei mittleren bis schweren Tumorschmerzen Opioid der ersten Wahl.
Der optimale Applikationsweg ist oral. Idealerweise werden zwei Applikationsformen benötigt: mit normaler Freisetzung (zur Dosisfindung) und modifizierter
Freisetzung (zur Erhaltungstherapie).
In der Praxis haben sich lang wirkende Opioide, wie zum Beispiel retardierte
Morphintabletten mit acht bis zwölf Stunden Wirkdauer bewährt.
Bei Durchbruchschmerzen oder in der initialen Titrationsphase sind kurzwirksame Opioide indiziert.
In der Regel lassen sich drei Viertel aller Tumorschmerzpatienten mit Tagesdosierungen bis 250 mg Morphin ausreichend analgetisch behandeln; die notwendigen Tagesdosierungen können aber auch weit höher liegen (bis zu mehreren
Gramm).
Bei Entwicklung intolerabler Nebenwirkungen unter der oralen Therapie mit
Morphin ist der Wechsel auf ein anderes Opioid bzw. einen anderen Applikationsweg zu erwägen.
Kreuzschmerzen
Der Einsatz von Opioiden bei akuten und chronischen unspezifischen Kreuzschmerzen sollte nur nach strenger Indikationsstellung, wenn andere Analgetika
nicht wirken, und nur über einen begrenzten Zeitraum erfolgen (akut: ein bis
drei Tage, chronisch zwei bis drei Wochen).
Stark wirkende Opioid-Analgetika der Stufe III des WHO-Stufenplanschemas in
retardierter, oraler Applikationsform sind nur in Ausnahmefällen sinnvoll und
notwendig. Tritt die gewünschte Schmerzlinderung bzw. Funktionsverbesserung
nicht ein, ist die Fortsetzung der Opioid-Therapie kontraindiziert.
Nr. 2 / 2009
KVH • aktuell
Seite 17
Neuropathischer Schmerz
Die starken Opioide sind erst dann indiziert, wenn eine Therapieresistenz gegen
kurative und medikamentöse Basistherapien im interdisziplinären Konsens gesichert ist. Sie sollten in Form von lang wirksamen Präparaten (bevorzugt orale
retardierte Zubereitungen) eingesetzt werden.
Sonstige nicht tumorbedingte Schmerzsyndrome
Die Wirksamkeit von Opioiden ist nur für einige chronische Schmerzsyndrome
durch placebo­kontrollierte Studien nachgewiesen worden.
Eine klare Indikation zur Langzeittherapie mit Opioiden bei nicht tumorbedingten
Schmerzen kann aus den bis dato verfügbaren Daten nicht abgeleitet werden.
Aufgrund klinischer Beobachtungen kann jedoch zwischen mehr oder weniger
Erfolg verspre­chenden Anwendungsbereichen unterschieden werden.
Nach gegenwärtigem Wissensstand ist bei allen primären Kopfschmerzen,
funktionellen kardialen, gastrointestinalen, urologischen und gynäkologischen
Störungen, somatoformen und anderen psychisch mit bedingten Schmerzzuständen sowie ausschließlich attackenweise auftretenden Schmerzen (zum
Beispiel Gesichtsneuralgien) von einer Opioidlangzeitanwendung abzuraten.
Besondere Arzneiformen
Die Gabe von Opioid-Pflastern
stellt eine Alternative dar zur
oralen Applikation bei Patienten mit Passagehindernis oder
therapieresistentem Erbrechen.
Opioid-Pflaster sind bedingt
durch ihre Galenik nicht geeignet für Patienten mit
– s t a r k s c h w a n k e n d e r
Schmerzintensität oder
– hohem Opioid-Bedarf und
– häufigen Durchbruchschmerzen
Die in den letzten Jahren zunehmende Verschreibungspräferenz von TTS gegenüber
oralen Retardpräparaten ist
nicht durch die Ergebnisse von
Studien zu rechtfertigen.
Aufgrund der Ähnlichkeit zu
Wundpflastern und weiteren
Besonderheiten in der Handhabung (siehe auch nebenstehenden Kasten) erfordert der
Umgang mit Opioid-Pflastern
auch vom Patienten bzw. von
Seiten des Pflegepersonals besondere Sorgfalt.
Bei Patienten mit Magensonde
sind retardierte, sondengängige
Morphinpräparate (zum Beispiel
MST®-Retardgranulat, Capros®
1 x tägl. Hartkapseln) als Alternative zu erwägen.
Bei etlichen
Schmerzarten
sind Opiate
nicht sinnvoll
So umgehen Sie die Tücken
der Fentanylpflaster
Fentanylhaltige Transdermalpflaster stellen bei richtiger Anwendung eine sichere Schmerztherapie dar. Als stark wirksames
Opioid steht Fentanyl auf Stufe III des Stufenschemas für chronischen Tumorschmerz der Weltgesundheitsorganisation WH0.
Da sich wiederholt Zwischenfälle durch Fentanyl-Überdosierung
ereignet haben, wird in diesem Bericht noch einmal auf die
Anwendungsbeschränkungen und die richtige Handhabung
hingewiesen:
Beachtung des Stufenschemas: Indiziert ist die Gabe von
Fentanylpflastern nur bei chronischen Schmerzen und nur,
wenn sowohl alleinige Schmerztherapie mit Nichtopioiden
als auch die Kombinationstherapie von Nichtopioiden mit
schwach wirksamen Opioiden nicht zum Erfolg geführt hat.
Keine Anwendung bei „opioid-naiven“ Patienten: Vor
Beginn der Therapie mit Fentanylpflastern muss das individuelle Ansprechen des Patienten auf Opioide bekannt sein
(Toleranz von mindestens 60 mg Morphin über mindestens
eine Woche).
Applikation nur auf unverletzte, saubere Haut: Die Haut
sollte frei sein von Fett, Nässe, Haaren, Verletzungen, Wunden, Narben und Hautfalten; Druck durch Sitzen/Liegen
sowie Scheuern durch Kleidung etc. sind zu vermeiden.
Überdosierungsgefahr durch Hitzeeinwirkung: Starke Erwärmung des Pflasters auf der Haut (heiße Dusche, Solarium, Sauna, Wärmflasche etc; u. U. auch Fieber!) kann zu
erhöhter Fentanylfreisetzung führen.
Überdosierungsgefahr durch Wirkstoffdepot in der Haut
auch nach Entfernen des Pflasters, daher Überdosierung
bei verfrühter oder zusätzlicher Applikation von weiteren
Pflastern oder weiteren Opioiden unbedingt vermeiden!
Quelle: Arzneiverordnung in der Praxis, Band 36, Ausgabe 2, März 2009
Seite 18
KVH • aktuell
Nr. 2 / 2009
Bei der Behandlung von Durchbruchschmerzen kann der Einsatz von oral transmukös appli­ziertem Fentanyl (Actiq®-Lutschtablette) erwogen werden, aufgrund
der begrenzten klinischen Erfahrung sollte dieser jedoch nur zurückhaltend
erfolgen.
Nachdruck aus dem Verordnungsforum der KV Baden-Württemberg Nr. 8/2008
mit freundlicher Genehmigung der KV Baden-Württemberg.
Literatur zum Thema:
– Mutschler et al. Arzneimittelwirkungen, Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie, 8. Auflage 2001
– Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Tumorschmerzen, 3. Auflage 2007
– Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommis­sion der deutschen Ärzteschaft: Kreuzschmerzen, 3. Auflage 2007
– Hausärztliche Leitlinie, Therapie von Schmer­zen, Leitliniengruppe Hessen. Version 3.02 vom 23.01.2008
– KV Hessen Pharmakotherapie aktuell Nr. 3/2008
– Morphin und andere Opioide in der Tumor­schmerztherapie: die Empfehlungen der EAPC (European Association for
palliative Care), Der Schmerz 2002, 16:186–193
– Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie; Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen,
Stand 2005, www.awmf.de
– Schwabe U, Paffrath D. Arzneiverordnungsreport 2008
– Sorgatz et al. Langzeitanwendung von Opioiden bei nichttumorbedingten Schmerzen, Dt. Ärzte­blatt Nr. 33, August
2002
– Fachinformationen der jeweiligen Arzneimittel
Kurz
referiert
Als Primärprophylaxe
eignen sich
nur allgemeine
Maßnahmen:
Rauchverzicht
Bewegung
mediterrane Kost
Ergebnis der POPADAD-Studie
Bei Diabetikern sind ASS und Vitamine
als Primärprophylaxe nutzlos
Diabetiker haben per se ein hohes kardiovaskuläres Risiko, weshalb auch die Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft ASS als Primärprophylaxe empfehlen. Das
klingt zunächst plausibel, denn immerhin ist beispielsweise nach Herzinfarkt oder
Schlaganfall die Verordnung von ASS völlig unumstritten. Aber lassen sich die gesicherten Erkenntnisse der Sekundärprophylaxe wirklich auf die Primärprävention bei
Diabetikern übertragen? Die randomisierte POPADAD1-Studie [1] widerlegt diesen
Analogschluss: ASS hat die Diabetiker leider nicht geschützt. Auch ein gleichzeitig
getestetes Multivitaminpräparat blieb wirkungslos.
Teilgenommen haben 1276 Diabetiker – sowohl Typ 1 wie auch Typ 2 – mit zusätzlicher asymptomatischer peripherer Verschlusskrankheit. Letztere war sehr großzügig
diagnostiziert worden, nämlich schon bei einem Knöchel-Arm-Index von 0,99. Die
Patienten hatten dann im Schnitt 6,7 Jahre lang täglich zwei Tabletten bekommen.
Eine enthielt entweder 100 mg ASS oder Placebo, die andere entweder einen Mix
aus antioxidativen Vitaminen und Spurenelementen oder Placebo. Das Ergebnis
war ernüchternd: Der primäre Endpunkt (Tod an KHK bzw. Schlaganfall, überlebter
Myokardinfark bzw. Schlaganfall, Amputation oberhalb des Knöchels) wurde in allen
Gruppen von 18,2 bis 18,3 Prozent der Patienten erreicht, Unterschiede gab es also
praktisch keine. Betrachtete man nur tödliche Ereignisse, dann schnitten die Gruppen
mit ASS und Multivitamin-Präparaten tendenziell sogar schlechter ab.
Die Studie zeigt wieder einmal: Analogschlüsse sind zwar beliebt, aber in der
Medizin nicht hilfreich. Und wenn Patienten durch einen solchen Analogschluss
mit einem wirkungslosen Prinzip behandelt werden, bleibt von der Therapie nur
das Risiko übrig und gefährdet unnötig den Patienten.
BW/JF
Literatur:
1 POPADAD: Prevention Of Progression of Arterial Disease And Diabetes. Veröffentlicht in BMJ 2008; 337; a1840
Nr. 2 / 2009
KVH • aktuell
Masern-Impfung:
Aufarbeitung einer Epidemie in NRW
Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat die 2006 in NRW aufgetretene Masern-Epidemie
(mehr als 1750 Erkrankungen, zwei Todesfälle) aufgearbeitet und nach Gründen für
den fehlenden Impfschutz der Kinder und Jugendlichen gesucht (bei sieben Prozent
der Kinder trat eine Pneumonie auf, bei 16 Prozent eine Otitis media). Insbesondere
die nach Jahren auftretenden bekannten Spätfolgen (Panenzephalitis), die oft nicht
der Ursache zugeschrieben werden, sind dabei nicht berücksichtigt.
Nach Befragung von 81 Prozent der betroffenen Eltern ergab sich folgendes Bild:
36,4 Prozent gaben an, dass sie die Impfung einfach vergessen hatten, 25 Prozent
lehnten Impfungen ab (zumeist aus Angst vor Nebenwirkungen), 16,8 Prozent
gaben an, dass der Haus- oder Kinderarzt von der Impfung abgeraten hatte. Nur
bei einer geringen Anzahl von Kindern bestand eine echte Kontraindikation gegen
eine Masernimpfung (nach Ansicht der Autoren nur zwei Prozent der Kinder, bei
denen Haus- und Kinderärzte von einer Impfung abgeraten hatten). Der Berufsverband für Kinder- und Jugendärzte fordert einen Impfnachweis für alle Kinder
in öffentlichen Kindergärten und Schulen. Aufgrund der Datenlage ist es jedoch
vordringlich, dass die Meinungsbildner in Sachen Schutzimpfung selbst umdenken,
aktiv auf „vergessliche“ Eltern zugehen und sie beraten. Gemeint sind auch medizinische Assistenzberufe wie Krankenschwestern, Arzthelferinnen und Hebammen.
Schließlich geht es nicht nur um das Wohl des einzelnen Kindes, sondern auch
um eine Begrenzung einer neu auftretenden Epidemie. Das Ziel der WHO, Europa
bis 2010 von den Masern zu befreien, kann dabei helfen.
Quelle: Bull. WHO 2009; 87: 81-160, zitiert nach www.aerzteblatt.de
Internethandel: Aktuelle Warnungen
Ärztinnen und Ärzte sollten ihre Patienten wiederholt davor warnen, Arzneimittel
mit unklaren Herstellerangaben aus dem Internet zu bestellen. Meist handelt es sich
um asiatische Firmen, die insbesondere Potenzmittel als „rein pflanzlich“ anpreisen,
ihren Präparaten jedoch ohne Deklaration hochwirksame Arzneistoffe zumischen
(z.B. kanadische Warnungen über Präparate aus Hongkong mit undeklarierten
Glukokortikoiden, Sildenafil-/Vardenafil-Derivaten, Antidiabetika).
Nun warnt unsere Überwachungsbehörde BfArM auch vor einem europäischen
Hersteller aus den Niederlanden, der unter der Bezeichnung „SensaMen“ ein angeblich rein pflanzliches Potenzmittel als Nahrungsergänzungsmittel anbietet. Das
Produkt enthält Sildenafil-Derivate (Dimethylsildenafil und Dimethylthiosildenafil).
Das gesundheitliche Risiko dieser in klinischen Studien nicht untersuchten Stoffe ist
nicht beurteilbar, im Gegensatz zu den unerwünschten Wirkungen des bekannten
Arzneimittels Sildenafil (Viagra®).
Die zuständigen Überwachungsbehörden haben zwar den Vertrieb dieser
Kapseln mit sofortiger Wirkung untersagt, Kostengründe und leichter Bezug
dieser obskuren Mittel werden jedoch Patienten weiter zu einer schnellen und
bequemen Bestellung aus dem Ausland verführen. Grundsätzlich sollten bei geplanten Internetbestellungen deutsche Herstelleradressen empfohlen werden,
bei denen u.a. die pharmazeutische Qualität und die Reinheit des Produktes eher
gewährleistet ist (Ausnahme siehe oben) sowie etwaige Reklamationen leichter
durchsetzbar sind.
Quellen: www.hc-sc.gc.ca, Dtsch. Apo.Ztg. 2009; 149: 390
Seite 19
Sicherer
verordnen
Dr. med.
Günter Hopf
KVH • aktuell
Seite 20
Warum müssen es gleich
drei Benzos sein?
Rezept
des
Monats
Medikament morgens mittags abends
ASS 100
0
1
0
Plavix® 75
1
0
0
LOCOL® 80
0
0
1
Pentalong® 50
1/2
0
1/2
Omeprazol 20
1
0
0
Durogesic TTS® 25µg alle drei Tage
Lendormin®
0
0
1
1/4
1/4
1/4
Diazepam 5 mg
bei Bedarf
Bromazepam
Carbimazol 5 mg
1/2
0
0
Kreon® 20.000
1
1
1
Votum® 10 mg
1
0
0
Nebilet® 5 mg
0
0
1/4
Berodual®
bei Bedarf
Decortin® 5 mg
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b. B
1
1
0
Patient, 57 Jahre alt, männlich, aus der kardiologischen Abteilung eines hessischen Krankenhauses entlassen.
Koronare Dreigefäßerkrankung
Zustand nach aortokoronarer BypassOperation vor acht Jahren
Zustand nach kleinem Hinterwandinfarkt
mit Lyse vor zwölf Jahren
Gering eingeschränkte LV-Funktion (EF
70%)
Verschluss des Venenbypass zum RCx und
zum Ramus diagonalis
Zustand nach Mehrfach-PTCA Hauptstamm, Ramus intermedius, Ramus circumflexus und des Venenbypass zur RCA,
pAVK mit Zustand nach Mehrfach-PTA
beidseits
Verdacht auf depressives Syndrom
Labile arterielle Hypertonie
Chronisches BWS-Syndrom
COPD
Angesichts der 15 Medikamente stellen sich schon einige Fragen: Muss ein BWS-Syndrom mit Morphium
und drei verschiedenen Benzodiazepinen behandelt werden? Warum orales Kortison? Warum Kreon?
Warum Carbimazol?
Würde man dies weglassen, nähme der Patient immer noch acht Medikamente – das dürfte für die
vorhandenen Krankheiten reichen und die Gefahr von Interaktionen reduzieren.
Für Sie
gelesen
Exotische Therapie bei chronischen Wunden
Sind Fliegenmaden wirklich besser
als Hydrokolloid-Verbände?
Dr. med. Joachim Feßler
Wer von uns Hausärzten kennt nicht die Crux mit den chronischen Wunden? Ihre
Rezidivneigung? Den Ärger mit der Kostenfrage? Die Schwierigkeiten mit der diagnostischen Abklärung dieser häufig immobilen Patienten?
Und dann die Vorschläge der Patienten oder ihrer Angehörigen, die beim offensichtlichen Versagen der Schulmedizin auf alternativmedizinische Ansätze drängen.
Ein solcher Ansatz ist die Therapie mit Maden. Ihr wird in der Laienwerbung eine
teils schon mystische Wirkung zugeschrieben. Als Hausarzt weiss man oft nicht,
wie man bei einer solchen Fragestellung argumentieren soll. Nun ist zu diesem
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KVH • aktuell
Seite 21
Thema eine randomisierte kontrollierte Studie erschienen, die VenUS II Studie [1].
Studiendesign: Teilnehmer waren 267 ambulante Patienten mit einem venösen
oder gemischt venös-arteriell bedingten Ulcus cruris, das zumindest zu einem
Viertel mit nekrotischem Gewebe bedeckt war. 40 Prozent waren Männer, das
Durchschnittsalter betrug 74 Jahre, bei 57 Prozent bestand das Ulcus länger als
sechs Monate. Die Patienten wurden in drei Gruppen randomisiert: In der ersten
Gruppe wurden die Larven frei auf die Wundoberfläche aufgebracht, in der zweiten
Gruppe waren sie in ein Gazenetz verpackt, in der dritten Gruppe (Kontrollgruppe)
erfolgte die Wundbehandlung mit einem Hydrocolloid-Verband ohne Larven. Primärer Endpunkt war die Abheilung des Ulcus.
Ergebnisse: Mit der Larvenbehandlung waren die Ulcera im Median nach 236 Tagen abgeheilt, unter Hydrocolloid Gel nach 245 Tagen. Der Unterschied ist statitisch
nicht signifikant und auch klinisch nicht relevant.
Die nekrotischen Beläge (Debridgement) waren unter Madentherapie allerdings
schneller entfernt: die freien Maden hatten die Wunde nach 14 Tagen, die verpackten nach 24 Tagen von nekrotischen Belägen befreit. Unter Hydrocolloid Gel
Behandlung dauerte dies 72 Tage. Die Unterschiede waren signifikant, aber wider
Erwarten für den Endpunkt, die abschließende Wundheilung, nicht relevant.
Es fanden sich keine Unterschiede in der Lebensqualität (Messung mit standardisiertem Fragebogen SF 12) oder in der bakteriellen Besiedlung der Wunden. Als
Nachteil der Madentherapie wurden die etwas stärkeren Schmerzen in den ersten
24 Stunden vor dem ersten Verbandswechsel beschrieben. Die Kosten der Madentherapie waren geringradig höher.
Wunden sind
schneller sauber,
aber nicht schneller
verheilt
Patient muss mitentscheiden
Bedeutung
Diese Studie zeigt eindrucksvoll, dass die Madentherapie keinen Vorteil gegenüber
einer Wundbehandlung mit Hydrocolloidverbänden liefert, allen Gerüchten zum Trotz.
Die Wunden heilen gleich schnell ab. Somit ist die Wahl der Therapie unter dem
Gesichtspunkt der Patientenpräferenz und der Kosten gerechtfertigt (eine Madentherapie wird in Deutschland nicht von den gesetzlichen Kassen erstattet). Man kann
also den Patienten dahingehend beraten, dass die für ihn deutlich höheren Kosten
einer Madentherapie keine schnellere Abheilung bedeuten. Inwiefern die schnellere
„Wundreinigung“ relevant ist für den Patienten, ist im Einzelfall mit ihm zu klären.
für
unsere
Praxis
Es gibt für mich einen weiteren wichtigen Aspekt. Die Madentherapie stammt aus
dem großen heterogenen Gebiet der alternativen Therpaieformen, für die es bisher überwiegend keine wissenschaftliche Evidenz zu ihren Therapieerfolgen gibt.
Gemeinsam ist diesen sehr unterschiedlichen Ansätzen, dass ihre Vetreter immer
wieder behaupten, die besonderen Ausgestaltungen und Bedingungen dieser Therapien verschließen sie für eine wissenschaftlich fundierte Untersuchung und erlauben
somit auch nicht, evidenzbasierte Empfehlungen über ihren Erfolg abzugeben.
Diese Studie widerlegt diese Aussagen auf eine bestechende Art und Weise. Das
Studiendesign einer randomisierten, kontrollierten Studie, die eine Alternativtherapie im Vergleich zu einer etablierten Therapie untersucht, liefert wissenschaftlich
haltbare Ergebnisse zur Vergleichbarkeit der Endpunkte, der Nebenwirkungen,
Risiken und der Lebensqualität. Dies sollte Anlass sein, solche Studien auch von
vielen anderen alternativen Theraieformen zu fordern, bevor wir sie in der Entscheidungsfindung mit unseren Patienten berücksichtigen.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1 Dumville JC, et all. Larval therapy for leg ulcers (VenUS II): randomised controlled trial. BMJ 2009;338:b773.
DOI:10.1136/bmj.b773
Studie beweist:
Auch alternative
Therapien kann man
mit den Kriterien der
evidenzbasierten
Medizin und in
ordentlichen Studien
untersuchen. So
können sich auch
exotische Therapien
bewähren
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Seite 22
Nr. 2 / 2009
Hausärztliche Leitlinie
Psychosomatische Medizin
Konsentierung Version 1.00
09.04.2008
Revision bis spätestens
Mai 2011
Version 1.01 vom 29.04.2008
Hausärztliche Leitlinie
Psychosomatische Medizin
Anmerkung:
Konsentierung Version 1.00
Die Leitlinie Psychosomatische Medizin umfasst insgesamt
90 Seiten.09.04.2008
Wir veröffentlichen angesichts des Umfangs
nur die wichtigsten Aspekte. Den ersten Teil finden Sie im
letzten Heft
(Nr. 1/2009),
den zweiten Teil veröffentlichen
Revision
bis spätestens
wir in diesem
Heft.
Mai 2011
Die gesamte Leitlinie einschließlich der im Text erwähnten Anhänge und Literaturstellen (Ziffern in Klammern),
die hier nicht abgedruckt sind, finden Sie im Internet
unter www.pmvforschungsgruppe.de.
Version 1.01 vom 29.04.2008Auf dieser Webseite bitte den Cursor in der Menü-Leiste im oberen
Teil der Seite auf Publikationen positionieren und im
aufklappenden Untermenü auf Leitlinien klicken. Dann
können Sie die gesamte Leitlinie einsehen bzw. als PDFDatei auf Ihren Computer herunterladen. Eine weitere
Bezugsquelle finden Sie unter www.leitlinien.de. Dort
auf Leitlinienanbieter klicken, dann Leitlinien aus dem
ambulanten Bereich/vertragsärztliche Qualitätszirkel
auswählen, anschließend führt der Link unten auf der
Seite zu den hausärztlichen Leitlinien.
F. W. Bergert
M. Braun
H. Clarius
K. Ehrenthal
J. Feßler
J. Gross
K. Gundermann
H. Hesse
J. Hintze
U. Hüttner
B. Kluthe
W. LangHeinrich
A. Liesenfeld
E. Luther
R. Pchalek
J. Seffrin
G. Vetter
H.-J. Wolfring
U. Zimmermann
Unter Mitwirkung
ärztlicher Psychotherapeuten
K. Born
J. Klauenflügel
H. Neubig
F. W. Bergert
M. Braun
H. Clarius
K. Ehrenthal
J. Feßler
J. Gross
K. Gundermann
H. Hesse
J. Hintze
U. Hüttner
B. Kluthe
W. LangHeinrich
A. Liesenfeld
E. Luther
R. Pchalek
J. Seffrin
G. Vetter
H.-J. Wolfring
U. Zimmermann
Unter Mitwirkung
ärztlicher Psychotherapeuten
K. Born
J. Klauenflügel
H. Neubig
Nr. 2 / 2009
KVH • aktuell
Seite 23
Psychische Störungen:
psychosomatische Anteile
Psyche und Asthma [nach 137]
Asthma ist eine chronisch entzündliche Erkrankung
der Atemwege und nicht primär psychisch verursacht. Zur Behandlung des Asthma stehen heute
potente Medikamente mit gesicherter Wirkung
zur Verfügung. Die standardisierte Stufentherapie
wird durch Präventivmaßnahmen und allgemeine
Maßnahmen ergänzt [81]. Wesentliches Element
der Dauerbehandlung ist die antiinflammatorische
Therapie, bei der inhalative Steroide das Mittel der
Wahl sind [75, 96, 125].
Asthma kann die Lebensqualität der Betroffenen
erheblich reduzieren, wobei Einschränkungen
der körperlichen Belastbarkeit ebenso eine Rolle
spielen wie emotionale und soziale Faktoren [81].
»Das Hauptsymptom »Atemnot« jedoch wirkt sich
verständlicherweise durch Angst auf die Krankheitsgestaltung aus. Je besser ein Patient über seine
Krankheitsursachen aufgeklärt und therapiert ist,
um so mehr sind Verhaltenstherapien und Entspannungstechniken äußerst hilfreiche Maßnahmen.
Selbsthilfegruppen sind dabei eine wertvolle Unterstützung [134].«
Unabhängig von der entzündlichen/allergischen
Genese des Asthma bronchiale und der Möglichkeit
einer kausalen Therapie, ist schon lange bekannt,
dass Veränderungen psychosozialer Faktoren und
emotionaler Befindlichkeit Zusammenhänge mit
der Ausprägung von Asthmabeschwerden aufweisen. Positive und negative Stimmung verbessert
bzw. verschlechtert signifikant den Peakflow und
vermindern respektive erhöhen die Intensität der
wahrgenommenen Asthmasymptome.
Das Zusammensein mit Menschen, die nicht zum
bekannten privaten Umfeld gehören, vermindert
die Schwere der Asthmasymptome und verbessert
den Peakflow, was mit einer Verschiebung der
Aufmerksamkeit vom eigenen Körper zum fremden
Gegenüber erklärt wird. Dies spricht dafür, dass innerfamiliäre Belastungsfaktoren beim Asthma z. B.
unbearbeitete Verlassenheitsängste, überbehütete
Mutter-Kind-Beziehungen von Bedeutung sind.
Insbesondere Stimmungen die sich entlang der
Achse »glücklich – traurig« und »ruhig – ängstlich«
anordnen lassen, führen zu Veränderungen der
protokollierten Asthmasymptome. Die PeakflowWerte als Ausdruck des Atemwegswiderstands
werden hingegen durch das Ausmaß der Aktivierung entlang der Achse »aktiv – passiv« und »aufgedreht – schläfrig« beeinflusst.
Bei Kindern konnte gezeigt werden, dass sich akut
schwerwiegende Ereignisse (wie Verlust einer nahe
stehenden Person, Umfeldänderungen wie Scheidung der Eltern) sowie chronische Belastungen (wie
Hänseln in der Schule, Substanzmissbrauch von
Bezugspersonen) auf die Häufigkeit von Asthmaanfällen auswirken.
Eine Erklärung ist, dass Atmung am emotionalen
Geschehen und am Austausch eines Individuums
mit seiner Umwelt unmittelbar beteiligt ist. Das
subjektive Gefühl von Atemnot oder Enge in der
Brust ist kein schlichtes Abbild physiologischer
Veränderungen, sondern spiegelt auch psychologische Befindlichkeiten wider.
Tinnitus (modifiziert nach [70])
Tinnitus ist ein häufiger Beratungsanlass beim Hausarzt. Beim Tinnitus handelt es sich um ein Ohrgeräusch unterschiedlicher Dauer und Lautstärke, das
nicht durch ein Sinnessignal hervorgerufen wird. Infolge des Tinnitus kann es zu konsekutiven Schlafstörungen und psychischer Dekompensation kommen.
Ursachen: Vielfalt und Unklarheit
Eine organische Ursache lässt sich für dieses Krankheitsbild selten finden, auch wenn als Auslöser
folgende Erkrankungen wie Hörbeeinträchtigungen, Lärmschäden, Knalltraumen, Morbus Menière
möglich sind und im Einzelfall vorliegen mögen.
Auch der Hörsturz ist oftmals von einem Tinnitus
begleitet. Patienten benennen auch Stress als Auslöser. Bei bis zu 50% der Betroffenen geht eine
Geräuschempfindlichkeit (Hyperakusis) voraus [49].
Im Vergleich zur Schwerhörigkeit treten beim Tinnitus jedoch häufiger zusätzlich therapiebedürftige
psychosomatische Störungen auf [110].
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KVH • aktuell
Tinnituspatienten, die ihren Tinnitus als erheblichen Stressor bezeichneten, zeigen häufiger Angst
und Depressionen [48]. Vor allem gedankliche
Reaktionen der Betroffenen auf den Tinnitus (Aufmerksamkeitsfokussierung) gelten als maßgeblicher Einfluss auf die Empfindung, den Tinnitus als
Stressor verantwortlich zu machen [48]. Doch entgegen der Popularität der Tinnitus-Stress-Genese
gibt es keine ausreichend methodisch angemessenen wissenschaftlichen Untersuchungen.
Diagnostik
Aus hausärztlicher Sicht wird bei akut aufgetretenem Tinnitus nach Basisuntersuchung empfohlen,
zunächst abzuwarten. Sollte in den nächsten Tagen
keine Besserung auftreten, wird die Erhebung
der psychosozialen Belastungsfaktoren und eine
abklärende Diagnostik zum Ausschluss eines organischen Befundes empfohlen.
Bei chronischem Tinnitus sind wiederholte organische Abklärungsversuche nicht zielführend.
Ziel der Behandlung ist nicht die vollständige
Beseitigung des Tinnitus, sondern eine Besserung
durch den Versuch, die Aufmerksamkeit des Patienten auf das Ohrgeräusch zu reduzieren. Der
Patient soll lernen, den bisher als Katastrophenalarm aufgefassten Tinnitus als ungefährliches und
unwichtiges Signal zu interpretieren und schließlich
zu überhören [48]. Dem Patienten ist nach Ausschluss organischer Erkrankungen zu vermitteln,
dass es sich um eine Störung der Wahrnehmung
und deren Bewertung handelt, die oftmals psychosoziale Ursachen hat.
Nr. 2 / 2009
tischen Abklärung verschlossen. Eine Psychose und
Depression sollten ausgeschlossen werden. Psychiatrische Hilfe kann notwendig werden beim komplexen Leiden am Tinnitus mit Angstentwicklung
und depressiver Symptomatik (Dekompensationen,
Suizidgefahr) [116].
Hinweis: Gespräche mit dem Patienten über die
begrenzten Therapiemöglichkeiten führen, um die
Fixierung auf (oder verzweifelte Suche nach) Verfahren außerhalb der wissenschaftlich orientierten
Medizin mit nicht haltbaren Heilsversprechen zu
vermeiden.
Es gibt keine Evidenz für eine Wirksamkeit bei
Tinnitus für
Ginkgo biloba [62],
Sauerstofftherapie (Hyperbaric oxygen therapy)
[15],
Antidepressiva [9],
»durchblutungsfördernde« Maßnahmen.
Therapie
Aufklärung über die Harmlosigkeit des Symptoms (hausärztliche Erfahrung einer hohen
Spontanheilungsquote).
Geduldige Auseinandersetzung (Empathie) mit
den Ängsten des Tinnitus-Patienten.
Hilfreich sind leise externe Geräuschquellen.
Entspannungsverfahren zur Stressreduktion,
psychotherapeutische Verfahren [90].
Bei Dekompensation (d. h. erhebliche Einschränkung der Lebensqualität; Suizidgedanken): Stationärer Aufenthalt.
Bei ausgeprägter Schlaflosigkeit kann die Gabe
eines trizyklischen Antidepressivums erwogen
werden.
Tinnitus-Patienten sind meist auf eine organische
Erkrankung fixiert und einer psychotherapeu-
Schwindel (modifiziert nach [70])
Schwindel ist eines der häufigsten Symptome
überhaupt und imponiert als unangenehme Verzerrung der Raum- und Bewegungswahrnehmung mit
Gleichgewichtsstörungen. »2% der Arztbesuche
in Allgemeinpraxen sollen aufgrund von Schwindelsymptomen erfolgen und mehr als 20% aller
neurologischen Patienten stellen sich mit einer
Schwindelsymptomatik vor, womit Schwindel nach
Kopfschmerz das zweithäufigste Leitsymptom in
diesem Rahmen darstellt« (zitiert nach [80]).
Häufige Ursachen organischen Schwindels sind
HNO-Erkrankungen wie Morbus Menière, Neu-
ronitis vestibularis und der benigne paroxysmale
Lagerungsschwindel. Als weitere Ursachen sind
neurologische, orthopädische und internistische
Erkrankungen auszuschließen. Das therapeutische
Vorgehen ergibt sich aus der Unterscheidung zwischen organischem und psychogenem Schwindel
(zur Differenzialdiagnose siehe auch Tabelle auf
der folgenden Seite).
Schwindelsymptome, die mit Beschwerden und
Ängsten bei bestimmten Situationen und Orten verbunden werden (z. B. Akrophobie »Höhenangst«,
Agoraphobie, Klaustrophobie), entsprechen
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am ehesten Unterformen von Angststörungen
(Phobischer Schwankschwindel).
Seite 25
zahlreiche (> 5) Medikamente eingenommen
werden.
Präsynkopen mit Schwarzwerden vor den
Augen, Kopfleere, drohender Ohnmacht und
Blässe bessern sich im Liegen. Ursache ist eine
Ì temporär
Schwindel verminderte Gehirndurchblutung,
z. B. durch Orthostase, Rhythmusstörung oder
Atherosklerose der hirnversorgenden Gefäße
und des Karotissinus, oft akzentuiert durch
Antihypertensiva. Diese Schwindelform ist bei
kardiovaskulär geschädigten Patienten häufig.
Schwindelformen im Zusammenhang mit Depressivität, Angststörung, Muskelschwäche oder Herzinsuffizienz.
Psychische Störungen: psychosomatische Anteile
Der psychogene oder psychosomatische Schwindel, der nicht an Angstsymptome gekoppelt ist,
ist den somatoformen Störungen zuzuordnen [80,
122]. Bei etwa einem Drittel bis der Hälfte der
Patienten mit chronischen unklaren Schwindelerkrankungen sind psychosomatische Störungen die
Ursache [38].
Als Folge der Schwindelsymptomatik kann es zum
Auftreten von Ängsten vor deren Wiederauftreten
kommen, so dass sich als komorbide Störung eine
sekundäre Angsterkrankung oder, aufgrund der
Einschränkung der Lebensqualität, eine depressive
Schwindel
(modifiziert
nach [70])
Störung
entwickelt
[80].
Schwindel ist eines der häufigsten Symptome
Schwindel
imimponiert
Alter als unangenehme Verzerüberhaupt und
Etwa
30%
der
alten
Bevölkerung klagen über
rung der Raum- und
Bewegungswahrnehmung
mit
Schwindel,
fast jeder Patient
aber unter
Gleichgewichtsstörungen.
»2% versteht
der Arztbesuche
in
Schwindel
etwas
anderes.
Die
folgenden
HauptkaAllgemeinpraxen sollen aufgrund von Schwindeltegorien
dienen
der diagnostischen
Orientierung.
symptomen
erfolgen
und mehr als 20%
aller neurologischen
Patienten
stellen
sich
mit
einer
Häufig sind in der Hausarztpraxis:
Schwindelsymptomatik vor, womit Schwindel nach
Gleichgewichtsstörung, unsicherer Gang
Kopfschmerz
zweithäufigste
Leitsymptom
in
und Standdas
resultieren
oft aus
dem Zusamdiesem
Rahmen neuromuskulärer
darstellt« (zitiert nach
[80]). (Musmenwirken
Faktoren
kelschwäche, Trainingsmangel, Übergewicht,
Häufige
Ursachen organischen
Schwindels
sind
Polyneuropa-thie),
degenerativen
Veränderungen (Gonarthrose,
HWS-Spondylarthrose),
HNO-Erkrankungen
wie Morbus
Menière, Neuronischlechtemund
Sehen
Hören
sowie der LageFurcht
tis vestibularis
der und
benigne
paroxysmale
vor Stürzen. Als weitere Ursachen sind neurorungsschwindel.
Nebenwirkung
von
Medikamenten
(Neulogische, orthopädische
und
internistische Erkranroleptika,
Antidepressiva,
Sedativa,
Parkinsonkungen auszuschließen. Das therapeutische VorMedikamente, Antihypertensiva, Mittel gegen
gehen ergibt sich aus der Unterscheidung zwiUrininkontinenz, nichtsteroidale Antiphlogistischen organischem und psychogenem Schwindel.
ka, starke Schmerzmittel), insbesondere wenn
Eher selten sind:
Schwindelsymptome,
die mitmit
Beschwerden
und
Drehschwindel (Vertigo)
pathologischer
Ängsten
bei bestimmten Situationen
undUmgeOrten
Bewegungsempfindung
(Patient oder
bung dreht
sich). (z.
Mögliche
Ursachen:
Läsioverbunden
werden
B. Akrophobie
»Höhennen entweder
im Innenohr,
z. B. M. Menière
angst«,
Agoraphobie,
Klaustrophobie),
entspre(Tinnitus,
Nausea,
Vomitus) oder
so genannter
chen
am ehesten
Unterformen
von AngststörungLagerungsschwindel
en gutartiger
(Phobischeranfallsweiser
Schwankschwindel).
(ausgelöst durch Kopfbewegungen beim
Hinlegen, Aufsetzen oder Drehen im Bett,
Der psychogene oder psychosomatische SchwinBücken) oder Läsionen im Hirnstamm, z. B.
del, der nicht an Angstsymptome gekoppelt ist, ist
nach Apoplex (schweres Krankheitsbild, oft
denmitsomatoformen
Störungen zuzuordnen
[80,
anderen neurologischen
Zeichen wie
122].
Bei etwa einem
Drittel bis derimHälfte
der
Doppelbildern,
Taubheitsgefühl
Gesicht,
Patienten
mit
chronischen
unklaren
SchwindelerDysarthrie) [143].
krankungen sind psychosomatische Störungen die
Besonders
bei geriatrischen Patienten steht die
Ursache [38].
Einschätzung des Sturzrisikos im Zentrum präventiver
Hierzu sollen folgende
Hinweise
Als Maßnahmen.
Folge der Schwindelsymptomatik
kann
es zum
beitragen:
Auftreten von Ängsten vor deren Wiederauftreten
kommen, so dass sich als komorbide Störung eine
Hinweise auf ein erhöhtes Sturzrisiko [143]
sekundäre Angsterkrankung oder, aufgrund der
Stürze in der Anamnese (Patient gezielt danach
Einschränkung der Lebensqualität, eine depresfragen)
sive Störung entwickelt [80].
Unterscheidungsmöglichkeit des Innenohrbedingten Schwindels vom psychogenen Schwindel [117]
Somatoformer (»psychogener«)
Vestibulärer Schwindelanfall
Schwindel-Zustand
Fixieren eines Gegenstandes
nicht möglich
möglich
Heftiges Auftreten oder Aufnicht möglich, führt zu erneuten
stampfen im Geh- u. Tretversuch Anfällen
möglich
Anwesenheit vertrauter
Menschen
ohne direkten Einfluss
kann das Schwindelerlebnis
bessern
Nystagmus
vorhanden
nicht vorhanden
Beschreibung des Schwindels
Drehschwindel
»diffuse« Beschreibung
Audiogramm
Tieftonverluste
ohne pathologischen Befund
Seite 26
KVH • aktuell
Das Gangbild wirkt ungleichmäßig und unsicher
Zum Aufstehen vom Stuhl wird Armhilfe nötig
Unsicherheiten im Romberg-Test
Patient kann weniger als zehn Sekunden in
Seiltänzer-Fußstellung stehen
Gehgeschwindigkeit < 1 m/s; braucht > 5s für
5m
Fünfmal Aufstehen vom Stuhl dauert länger als
15 Sekunden
Patient braucht mehr als zwölf Schritte für eine
360-Grad-Drehung
Fallbeispiel: Schwindel
Eine 39-jährige Frau erwacht mit Schwindel, der
so stark ist, dass sie sich kaum auf den Beinen
halten kann. Ein Krankenwagen bringt sie zum
Neurologen, der keine Ausfälle feststellt und die
Patientin zum CT schickt. Auch hier findet sich
ein Normalbefund. Ebenso beim HNO Arzt und
beim Internisten. Die Laborparameter sind auch
unauffällig.
Die Patientin bleibt sechs Wochen zu Hause im
Bett, ernährt sich fast ausschließlich von frischer
Vollmilch, schläft auch tagsüber viele Stunden. Ihre
Eltern versorgen den Haushalt und die vier Kinder.
Nr. 2 / 2009
Die Krankengymnastin (Schwindeltraining) kommt
2 x pro Woche. In der fünften Woche tritt langsam
eine Besserung des Schwindels ein.
Die Vorgeschichte: Die Patientin heiratet mit zwei
Kindern, 5 und 12 Jahre alt, in zweiter Ehe einen
Elektroingenieur, der vor zwei Jahren sein Geschäft
eröffnet hat. Die Patientin bekommt zwei weitere
Kinder in 14-monatigem Abstand. Zweimal baut
das Ehepaar am eigenen Haus an. Wochenenden
gibt es fast nicht. Um Geld einzusparen, übernimmt
die Patientin nach der Heirat die gesamte Rechnungsstellung und die Führung der Konten des
Elektrikergeschäfts.
Wochen vor der akuten Erkrankung tritt 2-mal eine
heftige Migräne auf, die weder die Patientin noch
den hart arbeitenden Ehemann zum Nachdenken
bringt.
Kommentar:
Die sorgfältige somatische Abklärung war im akuten Geschehen erforderlich; im Verlauf zeigte sich,
dass der Schwindel vorrangig Ausdruck der Überlastungssituation war.
Heiserkeit (modifiziert nach [70])
Bei der Heiserkeit handelt es sich um eine Veränderung des Stimmklanges ggf. mit lokalen Missempfindungen und Räusperzwang.
Bei 30 bis 50% dieser Patienten ergibt sich kein
organischer Befund. Hierbei handelt es sich um
funktionelle und psychogene Stimmstörungen mit
guter Prognose.
Spezielle Therapien sind in der Regel nicht erforderlich. Selten sind Psychotherapiemethoden und logopädische Behandlung mit Übungen zur Atmung
und Entspannung erforderlich.
Dermatologie
Die psychosomatische Dermatologie beschäftigt
sich mit Hautkrankheiten, bei denen psychosomatische Ursachen, Folgen oder Begleitumstände
einen wesentlichen und therapeutisch bedeutsamen Einfluss haben. Hautpatienten in Fachkliniken haben in 25 bis 30% psychische Probleme
[70].
Dermatosen, bei denen die Psyche eine Rolle spielen kann – sowohl auslösend als auch mit nachfolgenden psychischen Beschwerden [70, 133] sind
z. B.:
Akne
Alopecia areata
Dyshidrosiformes Ekzem
Herpes labialis und genitalis
Hyperhidrose
Kontaktekzem
Neurodermitis
Psoriasis
Pruritus sine materia
Prurigo simplex subacuta
Urticaria
Vitiligo
Davon abgegrenzt werden psychiatrische Hauterkrankungen, bei denen psychopathologische Aspekte im Vordergrund stehen. In diese Gruppe
gehören bewusst und unbewusst vorgetäuschte
chronische Störungen:
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KVH • aktuell
Simulationen (bewusst vorgetäuschte Verletzungen oder Erkrankungen z. B. zur Vorteilserlangung)
Paraartefakte (Manipulation einer bestehenden
Dermatose infolge mangelnder Impulskontrolle,
z. B. Trichotillomanie)
Artefakte (unbewusste Selbstverletzung) und
vermeintliche Dermatosen infolge von Wahnvorstellungen oder Halluzinationen (z. B. Dermatozoenwahn).
Sekundäre psychische Störungen (somato-psychische Erkrankungen) können infolge von schweren
Seite 27
oder entstellenden Dermatosen auftreten und sich
als Anpassungsstörungen, Depression oder Angststörungen zeigen [133].
Der betreuende Hausarzt sollte bei unklaren Hautbefunden oder unerwarteten Verschlechterungen
auch an die Möglichkeit psychiatrischer oder psychosomatischer Dermatosen denken.
Die Überweisung des Patienten zu einem Hautarzt
ist für den Betroffenen naheliegend und entspricht
meist auch der Erwartungshaltung der Patienten.
Frauenheilkunde
Psychosomatische Störungen im Bereich der Frauenheilkunde betreffen die Organe, die mit Sexualität, Fortpflanzung und der weiblichen Identität
assoziiert sind. Entsprechende Krankheitsbilder
können sich als Folge von körperlichen, psychischen
und sozialen Veränderungen in geschlechtsspezifischen Lebensphasen (Pubertät, Schwangerschaft,
Wochenbett, Klimakterium) oder auch als Reaktion
auf Lebensereignisse entwickeln.
Bei folgenden kritischen Lebensereignissen sind
schwerwiegende psychosomatische Folgereaktionen möglich, die die Patientin stark beeinträchtigen
können:
unerfüllter Kinderwunsch (Sterilität, Infertilität),
Mitteilung pathologischer Diagnosen in der
Schwangerschaft oder beim Neugeborenen,
traumatisch erlebte Geburt,
Abort, Totgeburt, Tod des Neugeborenen,
plötzlicher Kindstod,
schwere Erkrankung des Kindes, schwere Erkrankung oder Tod des Partners,
Karzinomerkrankung der weiblichen Geschlechtsorgane,
sexuelle Traumatisierung,
psychosoziale Entmachtung.
Zu beachten ist: Bei so gut wie allen Symptomen
und Krankheitsbildern der Gynäkologie und Geburtshilfe können sowohl somatische als auch
psychische und soziale Ursachen vorliegen.
Nicht selten fühlen sich Patientinnen mit (chronischen) gynäkologischen Erkrankungen stark psychisch beeinträchtigt, wie z. B.
Blutungsstörungen (Stärke, Häufigkeit),
Primäre oder sekundäre Amenorrhoe,
prämenstruelles Syndrom, Dysmenorrhoe,
Fluor, Fluorgefühl,
Pruritus genitalis,
Pillenunverträglichkeit,
rezidivierende Unterbauchschmerzen,
Harninkontinenz,
klimakterisches Syndrom,
funktionelle Sexualstörungen.
Die psychotherapeutische Behandlungsbedürftigkeit hängt vom Ausmaß der Belastung und dem
individuellen Wunsch der Patientin ab. Die Zuordnung zu einer mutmaßlich psychosomatischen
oder somatopsychischen Klassifikation ist für den
hausärztlichen Bereich nicht sinnvoll.
Da die weiterführende Beratung der Patientin auch
vom frauenärztlichen Befund abhängt, ergibt sich
eine Schnittstelle zur Gynäkologie, über die zweckmäßigerweise eine Zuweisung zur Psychotherapie
erfolgen kann.
Gynäkologisch-psychosomatische Krankheitsbilder
mit kurzer bisheriger Krankheitsdauer lassen sich
gut therapieren (psychodynamisch oder verhaltenstherapeutisch). Bei chronifizierten Krankheitsbildern ist der Behandlungserfolg vermindert. Hier
sind Motivationsgespräche angezeigt:
Verlassen der rein somatischen Ebene mit dem
Drängen auf weitere frustrane somatische Diagnostik,
Reduktion von Medikamentengebrauch,
Einsicht in die psychosozialen Lebensumstände
der Patientin vermitteln.
Gegebenenfalls muss hier zu einer speziellen psychotherapeutischen Diagnostik und Behandlung
geraten werden, insbesondere dann, wenn eine
Komorbidität mit weiteren psychischen Erkrankungen vorliegt (z. B. Angst, Depressivität).
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KVH • aktuell
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Rückenschmerzen, Fibromyalgie
Rückenschmerzen
Hierbei handelt es sich um akute oder chronische
Schmerzen, fakultativ mit Ausstrahlung ins Bein,
die auf gestörten Funktionsbeziehungen zwischen
Bandscheiben, Facettengelenken, Nervenwurzeln
und der Muskulatur im Bereich der unteren Wirbelsäule beruhen. Psychosoziale Belastungsfaktoren
spielen bei der Auslösung des akuten Kreuzschmerzes häufig eine Rolle und sind für die Chronifizierung des Verlaufs wesentlich.
Die 12-Monats-Prävalenz für Rückenschmerzen
beträgt über 50%, die Lebenszeitprävalenz 5080% [70].
Die spontane Heilungsrate akuter Rückenschmerzen beträgt, unabhängig von der angewandten
Therapie, in den ersten 2 Wochen 70-80%, nach
3 Monaten über 90%. Die Chronifizierungsrate
be-trägt für den akuten Rückenschmerz nach dem
ersten Auftreten nur 5%, nach Wiederauftreten
bereits über 20% [70]. Prognostisch ungünstig sind
ein Rentenbegehren, Hoffnung auf eine Entschädigungszahlung sowie Depressivität [70].
Während die somatischen Prozesse durch Verschleiß der beteiligten Gelenke, Bänder und Muskeln erklärt sind, sind psychosomatische Zusammenhänge durch Fehlhaltung, Fehlregulation muskulärer Spannung und damit veränderten Bedingungen für degenerative Bandscheibenprozesse
gegeben. Erlebte körperliche Schmerzen führen
zu Schmerzangst und zum Vermeidungsverhalten
von schmerzauslösenden Bewegungen mit der
Folge von Inaktivität und Selbstwertverlust bis hin
zu sozialer Isolation und Chronifizierung. Differentialdiagnostisch müssen Entzündungen (z. B. Diszitis,
Spondylitis, Spondylarthritis), Tumore (z. B. Plasmozytom, Wirbelkörpermetastasen), Spondylolisthesis,
gynäkologische Erkrankungen und eine somatische
Ursache der Schmerzen ausgeschlossen werden (s.
Hinweise für drohenden chronischen Verlauf bzw.
auf komplizierte Rückenschmerzen, Hausärztliche
Schmerz-Leitlinie [82]).
Fibromyalgie
Es handelt sich um ein Syndrom vielfältiger funktioneller Beschwerden mit polytopen Symptomen,
meist auch psychischer Symptomatik und besonders im Vordergrund stehenden definierten druckschmerzhaften Körperstellen, so genannte »Tender
points«. Der Symptomenkomplex Fibromyalgie
umfasst:
mehr als 3 Monate bestehende generalisierte
Schmerzen des Bewegungssystems mit Druckschmerzhaftigkeit von mindestens 11 von 18
definierten Körperstellen (so genannte »Tender
points«),
depressive Verstimmungen und Ängste (depressive Störung oder Angststörung, insgesamt
60-78%),
Parästhesien (ca. 60%) und Spannungskopfschmerzen (ca. 50%),
chronische Müdigkeit (ca. 60%),
funktionelle Unterbauchbeschwerden (ca. 3060%),
funktionelle urogenitale Beschwerden (ca. 4060%),
Restless-legs-Syndrom (30%),
Schlafstörungen, besonders Störung des NonREM-Schlafes (90-100%),
Multiple Chemikalienunverträglichkeiten
(50%).
Prävalenz der Fibromyalgie
Gesamtbevölkerung: 1,9%-3%,
in Hausarztpraxen: 6%,
in rheumatologischen Einrichtungen bis 20%.
Frauen sind 6-mal häufiger betroffen [70].
Prädisposition durch:
familiären Alkoholmissbrauch (40%),
Erfahrungen mit körperlicher Gewalt (32%),
sexuellen Missbrauch (10%),
psychische Belastungen in der Kindheit.
Folge sind vermindertes Selbstwertgefühl und/oder
unreife Konfliktbewältigungsstrategien [70].
Therapeutisch kann bei Nichtansprechen der orthopädischen Therapie die psychotherapeutische
Mitbehandlung sinnvoll sein (siehe Hausärztliche
Schmerz-Leitlinie [82]).
Fallbeispiel: Schmerzen
Frau N., 48 Jahre, von Beruf Kindergärtnerin, leidet
seit einigen Wochen unter einem schwer definierbaren Schmerz im Bereich der linken Hüfte/Unterbauch. Multiple Untersuchungen inklusive CT und
die Mitarbeit von Kollegen verschiedenster Fachrichtungen führen nicht weiter. Die Beschwerden
chronifizieren über die Monate und Jahre und entwickeln sich zu Ganzkörperschmerzen, ständiger
Müdigkeit und rascher Erschöpfbarkeit. Die Frau
muss sich öfter erst eine Weile im Bett ausruhen,
wenn sie ein Stockwerk erklommen hat. Die Patientin ist lange arbeitsunfähig und wird schließlich
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KVH • aktuell
auf Zeit berentet. In Zusammenarbeit mit dem
Neurologen, Rheumatologen, Psychologen etc.
wird die Krankheit als Fibromyalgie definiert. In
der Rückschau ist von besonderer Bedeutung, dass
am Beginn der Erkrankung ein außergewöhnlicher
Kraftakt, nämlich der Bau des eigenen Hauses steht,
das wenige Wochen nach Fertigstellung im Keller
permanent unter Wasser steht, was als Katastrophe
erlebt wird. Letztes Jahr gönnt sich die Familie nach
langer Zeit erstmals wieder einen Urlaub, bei dem
die Patientin die meiste Zeit komplett schmerzfrei
ist und sogar Berge ohne die üblichen Symptome
besteigen kann. Zu Hause sind alle Beschwerden
sofort wieder präsent und gelegentlich nur mithilfe
von Schmerzmitteln erträglich. Jetzt verkauft die
Familie das Haus. In der neuen Wohnung kann
die Patientin anstrengende Renovierungarbeiten
ohne Schmerzen bewerkstelligen, abends zurück
im alten Haus beginnt das Elend sofort von Neuem.
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Kommentar
Die Belastungssituation (Hausbau, nach Fertigstellung Wasser im Keller) ist nachvollziehbar. Auffallend ist die Schmerzfreiheit in anderer Umgebung.
Die Chronifizierung ist Ausdruck für fehlende Perspektive und von Hilflosigkeit. Die Patientin benötigt Hilfe, um mit dieser Situation umzugehen.
Erklärungsversuch: Sie scheint in einem innerfamiliären psychosozialen Spannungsfeld zu leben, für
das sie aus ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung die notwendige Anpassungsleistung nicht
erbringen kann. Aus analytischer Sicht handelt es
sich um eine Selbstwert- und Beziehungskonfliktstörung, die einer langfristigen tiefenpsychologischen Betreuung bedarf.
Psychische Störung:
Verhaltensstörungen und psychische Auffälligkeiten
Konversionsstörungen (früher: »Hysterie«)
Im Fach Psychiatrie ist die Konversionsstörung mit
diversen Störungen von Motorik, Sensibilität und
Sensorik häufig anzutreffen. Nicht selten chronifiziert sie mit erheblichen psychosomatischen
Beschwerden. Die funktionellen Störungen der
Motorik, Sensibilität und Sensorik sind sehr variabel. Einerseits können diese Störungen spontan
verschwinden, andererseits können sie auch in einen chronischen Verlauf mit schwerer körperlicher
Behinderung übergehen.
Diagnostisch abzugrenzen sind Simulation und
Aggravation sowie körperliche Erkrankungen, die
mit entsprechenden Symptomen einhergehen.
Zur Diagnose ist es erforderlich, dass ein zeitlicher
Zusammenhang zwischen dem Symptombeginn
und einer psychosozialen Belastungssituation nachweisbar ist.
Für die Konversionsstörung ist es typisch, dass die
Art der Störung nicht den anatomischen und funktionalen Strukturen des Nervensystems folgt. Für
die Symptomwahl und die Symptomausgestaltung
können mitunter aus der biographischen Anamnese Hinweise und Zusammenhänge erkannt werden.
Die Diagnose wird dadurch gestützt, dass
Art und Schwere der Symptomatik nicht zu der
funktionellen Beeinträchtigung passen,
Ausfälle die neuroanatomischen Grenzen überschreiten,
atypische Verläufe vorliegen,
die Beschwerden durch Suggestion beeinflussbar sind.
Konversionsstörungen treten bei Frauen dreimal
häufiger auf als bei Männern. Der Beginn der Störung liegt häufig zwischen dem 15. und 25. sowie
zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr, sie kommt
auch bei Kindern vor. In der Allgemeinbevölkerung
liegt die Prävalenz bei 0.5% [70]. Als Ausschlussdiagnosen einer Konversionsstörung gelten:
bewusst beabsichtigte Täuschung (Simulation),
selbstschädigendes Verhalten (artefizielle Störung).
Als Komorbidität treten Depressivität und Angststörungen auf. Persönlichkeitsstörungen kommen
in etwa 20% vor. Körperliche Erkrankungen kommen nicht häufiger als in der Normalbevölkerung
vor [70].
Für die Ätiologie einer Konversionsstörung kommen folgende Faktoren in Betracht:
Traumatische Kindheitserlebnisse (Misshandlung, Missbrauch),
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KVH • aktuell
ambivalente Beziehung zu körperlich erkrankten Elternteilen,
Probleme der sexuellen Identitätsfindung,
Bahnung durch Vorschädigung im entsprechenden Organbereich,
aktuelle psychosoziale Konflikte,
Verlustreaktionen mit pathologischer Trauer,
berufliche Überforderungssituationen,
Partnerschaftskonflikte.
Da Patienten mit Konversionsstörungen zunächst
selbst von der organischen Natur ihrer Erkrankung
überzeugt sind, lehnen sie häufig andere Erklärungen ab. Das Verständnis dieser Situation sollte
im Mittelpunkt der hausärztlichen Bemühungen
stehen, besonders dann, wenn psychosoziale
Belastungssituationen mit dem Krankheitsbild verknüpft sind, wodurch die Einsichtsfähigkeit des
Patienten oftmals begrenzt ist.
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kung unter Berücksichtigung des subjektiven
Krankheitsverständnisses,
Angebot regelmäßiger, kurzer Gesprächstermine (Kontrolle des Verlaufs),
symptombezogene Behandlungen: (Krankengymnastik bei psychogenen Bewegungsstörungen, Ergotherapie bei psychogenen Sensibilitätsstörungen),
supportive Beratungsgespräche zur Herausarbeitung der auslösenden psychosozialen
Belastungssituation.
Psychiatrische Diagnostik und Behandlung sind
indiziert bei
schwerer körperlicher Beeinträchtigung,
fehlender Besserung innerhalb von 3 Monaten,
Aufrechterhaltung des Krankheitsbildes durch
Fortbestehen eines erheblichen psychosozialen
Konfliktes sowie bei
psychischer und somatischer Komorbidität.
Wichtig sind bei der Therapie:
Aufklärung und Information über die Erkran-
Ess-Störungen: Anorexia nervosa, Bulimie
Essstörungen haben unbehandelt schwerwiegende
Folgen mit einer deutlich erhöhten Mortalität. Sie
sind in der Regel chronifiziert und bedürfen einer
verständigen hausärztlichen psychosomatischen
und medizinischen Betreuung sowie häufig
zusätzlich einer mitunter langdauernden psychologischen Behandlung. Man kann drei unterschiedliche Krankheitsbilder zusammenfassen [70]:
Anorexia nervosa
Bulimia nervosa
Adipositas (einschl. sog. »Binge Eating«)
Anorexia nervosa
Jährliche Inzidenz ca. 0,5 bis 1,0 pro 100.000 Einwohner, Lebenszeitprävalenz ca. 0,5% bei Frauen,
ca. 0,05% bei Männern. Erstmanifestation meist
in der Adoleszenz, selten präpubertär oder nach
dem 40. Lebensjahr. Verlauf meist subchronisch bis
chronisch. Mit 5 bis 20% hohe Mortalität (häufigste Todesursache junger Frauen zwischen 15 und 24
Jahren!) Bei etwa 60 bis 70% langfristig günstiger
Verlauf [27]. Die frühzeitige Erkennung und kompetente Behandlung ist einer der bedeutendsten
Faktoren für eine günstige Prognose.
Patienten melden sich meist mit unspezifischen
Symptomen wie Müdigkeit, Schwindel oder Amenorrhoe. Eine Gewichtsveränderung wird oftmals
nicht erwähnt [72]. Die Anorexia ist durch einen
absichtlich selbst herbeigeführten oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust charakterisiert. Am
häufigsten ist die Störung bei heranwachsenden
Mädchen und jungen Frauen [31].
Es liegt meist Unterernährung unterschiedlichen
Schweregrades vor (BMI < 17,5 kg/qm), die sekundär zu endokrinen und metabolischen Veränderungen und zu körperlichen Funktionsstörungen führt.
Zu den Symptomen gehören eingeschränkte Nahrungsauswahl, übertriebene körperliche Aktivitäten, selbstinduziertes Erbrechen, Abführen und der
Gebrauch von Appetitzüglern und Diuretika [31].
Bei einem BMI von < 15 kg/qm [31] und/oder weiteren Störungen (plötzlicher Gewichtsverlust, Elektrolytstörungen, Infekte, Herz-Kreislaufkomplikationen,
Synkopen, Suizidalität) ist wegen Lebensgefahr die
stationäre Einweisung zu meist langdauernder Behandlung erforderlich, anschließend (wenn der BMI
mindestens 15 kg/qm überschritten hat) sollte eine
dauerhafte psychodynamische Einzeltherapie mit
Aufbau von Beziehungssicherheit und konfliktorientierter Psychotherapie organisiert werden.
Bulimia nervosa
Ein Syndrom, das durch wiederholte Anfälle von
Heißhunger und eine übertriebene Beschäftigung
mit der Kontrolle des Körpergewichts charakterisiert ist. Dies führt zu einem Verhaltensmuster
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von Essanfällen und Erbrechen oder Gebrauch von
Abführmitteln Häufig lässt sich in der Anamnese
eine frühere Episode einer Anorexia nervosa mit
einem Intervall von einigen Monaten bis zu mehreren Jahren nachweisen [31].
Lebenszeitprävalenz bei Frauen ca. 0,5% bis 3%,
bei Männern ca. 0,2%. Erstmanifestation meist in
der Adoleszenz, selten präpubertär oder nach dem
40. Lebensjahr. Verlauf ist meist subchronisch bis
chronisch. Prognose: Niedrige Mortalität. Bei etwa
70 bis 80% langfristig günstiger Verlauf [27].
Bei beiden (durchaus lebensbedrohlichen) Krankheitsbildern, die ineinander übergehen können,
bestehen eine zwanghafte Sorge um Figur und
Gewicht. Es treten häufig Persönlichkeitsstörungen,
Angst- und Suchtstörungen und Borderline-Störungen auf.
Adipositas
Adipositas (BMI >30 kg/qm) wird auf genetische
Faktoren sowie auf falsche Lebensführung und
Essgewohnheiten zurückgeführt.
Bei den bekannten metabolischen und sonstigen
(z. B. kardialen oder orthopädischen) Folgen der
Übergewichtigkeit (bei einem BMI von > 35 kg/qm
verdoppelt sich die Mortalität) finden sich bei Adipösen vermehrt Selbstwertdefizite, Störungen des
Verhaltens und sozialer Rückzug, jedoch kann mit
verhaltenstherapeutischem und pragmatischem Erlernen von adäquater Ernährung, Aktivierung und
Stärkung des Selbstwertgefühls die Problematik
entschärft werden. Ggf. hilft nur die AdipositasChirurgie [33].
Binge Eating
Während die Binge-Eating-Störung in der Allgemeinbevölkerung mit einer Prävalenz von ein Prozent bis drei Prozent ähnlich häufig auftritt wie die
Bulimia nervosa, ist sie in selektierten Stichproben
von adipösen, unter ihrem Übergewicht leidenden
und Hilfe suchenden Menschen mit circa 30% relativ häufig [59]. Mehr als ein Drittel aller Patienten
mit Binge-Eating-Störung sind Männer [59].
Der Verlauf ist meist subchronisch bis chronisch.
Prognose: Mit 5 bis 20% hohe Mortalität. Bei etwa
70 bis 80% langfristig günstiger Verlauf [27].
Die typischen »Fressanfälle« treten durchschnittlich an mindestens zwei Tagen in der Woche für
sechs Monate auf. Sie gehen nicht mit dem regelmäßigen Einsatz unangemessener, gegenregulatorischer Maßnahmen einher und treten nicht ausschließlich im Verlauf einer Anorexia oder Bulimia
Seite 31
nervosa auf [59].
Kriterien für die Binge-Eating-Störung nach
DSM-IV (APA 1994) [59]
Wiederholte Episoden von »Fressanfällen«. Ein
»Fressanfall« ist gekennzeichnet durch:
Essen einer Nahrungsmenge in einem abgrenzbaren Zeitraum, die definitiv größer ist als die
meisten Menschen essen würden.
Gefühl des Verlustes der Kontrolle über das
Essen.
Die »Fressanfälle« treten gemeinsam mit mindestens drei der folgenden Symptome auf:
Wesentlich schneller zu essen als normal
Essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl
Essen großer Mengen ohne körperliches Hungergefühl
Allein essen, aus Verlegenheit über die Menge
die man isst
Deprimiertheit, Ekel- oder Schuldgefühle nach
dem »Fressanfall«
Es besteht ein deutlicher Leidensdruck wegen
der »Fressanfälle«.
Bei der »Binge-Eating«-Störung werden oftmals
teilstationäre oder ambulante gruppenpsychotherapeutische Behandlungen erforderlich, um dauerhafte Verbesserungen zu bewirken.
Eine Besserung psychischer Symptome wie auch
der Ess-Störungssymptomatik zeigt sich nicht direkt an einer Gewichtsabnahme; in bestimmten
Fällen kann auch eine Gewichtsstabilisierung ein
Behandlungsziel darstellen. Gerade zu hohen Erwartungen im Hinblick auf eine Gewichtsreduktion
dieser Patienten ist frühzeitig zu begegnen, um die
Kaskade von Essanfall, Erleben eigener Insuffizienz,
depressiver Stimmung und schließlich Selbstaufgabe frühzeitig unterbrechen zu können [59].
Fallbeispiel: Anorexie
»Die 22-jährige Josefa K. ist magersüchtig. Der Vater
steht in leitender Position beim Finanzamt und kann
sich wenig kümmern. Die 48-jährige Mutter, Frau K.,
ist Lehrerin mit halbem Deputat. Mit im Haus lebt
noch ihre 80-jährige Mutter. Nach mehreren Schlaganfällen infolge einer langjährigen Diabeteserkrankung ist sie motorisch und sprachlich beeinträchtigt.
Ihr Zimmer, ihr Essen, ihre Wäsche müssen versorgt
werden. Sie hat ihre Tochter schon zeitlebens »unter
ihrer Fuchtel«. Sie behandelt sie immer noch wie
ein kleines Kind. Dem Hausarzt ist diese Situation
seit Jahren auch durch regelmäßige Hausbesuche
vertraut. Er sieht wie die Situation unhaltbar
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geworden ist, spätestens seit Josefa anorektisch
wurde. Frau K. hat Schlafstörungen und zeigt auch
andere Erschöpfungssymptome. Der Vater ist unzufrieden, weil er zu kurz kommt, z. B. sind Reisen,
Urlaube mit seiner Frau nicht mehr möglich. Josefa
hat Schuldgefühle, dass sie vor allem ihrer Mutter
weitere Sorgen bereitet, zugleich fühlt sie sich, trotz
ihres Studiums, zu stark in die Pflege der Großmutter,
die zudem noch an ihr herumkrittelt, eingebunden.
Die Großmutter will am liebsten sterben, sie sei nur
noch im Weg, keiner kümmere sich um sie.
Nachdem der Hausarzt Frau K. wegen akuter Erschöpfung – sie ist im Unterricht heulend zusammengebrochen – krank schreiben musste, vereinbarte er ein Gespräch mit ihr und ihrem Mann. Hier
wurde beschlossen, dass die beiden regelmäßig
sich »etwas Gutes tun«, z. B. in die Sauna gehen,
ein Restaurant besuchen, ins Kino gehen oder
Sport treiben. Für einen längeren Urlaub wurde
eine 14-tägige Kurzzeitpflege der Großmutter
in einer akzeptablen Einrichtung vorgeschlagen.
Josefa soll in der Zeit die Großmutter regelmäßig
besuchen. Der ambulante Pflegedienst setzt in der
Zeit aus, mit Josefa soll geklärt werden, dass sie die
schon lange geplante Psychotherapie mit einem
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stationären Aufenthalt in einer Fachklinik in den
Semesterferien beginnt. Danach ist geplant, dass
sie in eine WG oder ein Studentenheim zieht. An
ihrer Stelle soll ein »Omasitter« die gemeinsamen
Abende der Eltern ermöglichen. Mit der Großmutter wird besprochen, dass sie sich eine Tagespflege
in der Nähe anschaut, wo sie an den Vormittagen
hingebracht werden könnte, an denen ihre Tochter
in der Schule arbeitet« (zit. nach [44]).
Kommentar:
Der Hausarzt nimmt die ganze Familie in den Blick
(systemischer Ansatz). Er versucht, die festgefahrenen Strukturen aufzuzeigen und bietet Entlastungen für den Alltag an (Tagespflege, Umzug,
Freiräume und Mitteilungsmöglichkeiten schaffen).
Darin eingebettet ist die Therapie der anorektischen Tochter.
Es zeigt sich eine psychisch belastete Familie, in der
alle Mitglieder ineffektiv mit ihren psychosozialen
Problemen umgehen, Für jeden könnte bei gegebener Motivation zur Veränderung eine Psychotherapie hilfreich sein. Der Einstieg könnte durch eine
Familienberatung erfolgen, ggf. nachfolgend mit
Einzeltherapien.
Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD)
Unter einer posttraumatischen Belastungsstörung
(post traumatic stress disorder = PTSD) (zitiert
nach [54, 55]) versteht man ein Störungsbild, das
sich nach massiv belastenden Lebenserfahrungen
entwickelt und zu einer lang anhaltenden Beeinträchtigung führt, die sich in vier Symptomgruppen
manifestiert: Intrusion, Vermeidung, Numbing
und Hyperarousal (siehe Tabelle auf der folgenden
Seite).
Als Trauma gilt die Konfrontation mit einer lebensbedrohlichen Situation der eigenen oder anderer
Personen. Dazu gehören neben Gewalt-, Katastrophenerlebnissen und Unfällen auch Krankheiten,
beispielweise Herzinfarkt, Tumorleiden – und zwar
bei sich oder nahen Angehörigen. Somit können
Zeugen von schrecklichen Ereignissen oder Angehörige ebenso betroffen sein. Die Symptome sollen
mindestens über einen Monat bestehen und können im Verlauf wechselhafte Ausprägung zeigen.
Folgende Kriterien müssen für PTSD erfüllt sein:
Trauma
Vier Symptomgruppen (siehe Tabelle auf der
folgenden Seite)
Signifikante funktionelle Beeinträchtigung
Dauer der Beschwerden: mind. ein Monat
Bei PTSD finden sich eine hohe Komorbidität zu
Depressionen, Angsterkrankungen und Substanzabhängigkeit [39, 54, 55].
Inzidenz von PTSD nach Trauma [nach 54, 55]
Die folgenden Angaben zeigen, bei wie viel Prozent
derer, die ein Trauma erlebt haben, eine PTSD auftrat (Inzidenz) Die Daten entstammen einer 1995
durchgeführten US-amerikanischen Patientenstudie (n=5877; Alter: 15-54 Lbj.) [73]:
Traumatisches Erlebnis
Vergewaltigung
Krieg
Misshandlungen in der Kindheit
Vernachlässigung in der Kindheit
Sexuelle Belästigung
Bedrohung mit Waffen
Körperliche Gewalt
Unfälle
Zeuge (Unfälle, Gewalt)
Feuer-/Naturkatastrophen
PTSD
55,5%
38,8%
35,4%
21,8%
19,3%
17,2%
11,5%
7,6%
7,0%
4,5%
oder nahen Angehörigen. Somit können Zeugen
wickelt und zu einer lang anhaltenden Beeinvon schrecklichen Ereignissen oder Angehörige
trächtigung führt, die sich in vier Symptomgruppen
ebenso betroffen sein. Die Symptome sollen minmanifestiert: Intrusion, Vermeidung, Numbing und
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destens über einen Monat bestehen und können
Hyperarousal (s. Tabelle).
im Verlauf wechselhafte Ausprägung zeigen.
Vier Symptomgruppen der PTSD
Intrusion
Vermeidung
Emotionale Unempfindlichkeit
(»numbing«)
Erhöhte Grundanspannung
(»Hyperarousal«)
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Immer wiederkehrende Erinnerungen (Intrusion = eindringen)
Alpträume
»flash-back« Erlebnisse (schreckhafte Erinnerungen, Tagträume)
psychischer Stress bei Konfrontation mit Hinweisreizen
physiologische (vegetative) Reaktionen bei Konfrontation mit
Hinweisreizen
ƒ
Vermeidung von Gedanken und Gefühlen im Zusammenhang mit
dem Trauma
Nachrichtensendungen und Tageszeitungen werden gemieden
Versuch, das Geschehene zu vergessen
Teilamnesie für den Vorfall/ die Vorfälle
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Emotionale Abstumpfung, Isolation
Teilnahmslosigkeit, kein Mitgefühl mit anderen
Sozialer Rückzug
Beziehungsverlust, Gefühl nicht verstanden zu werden
Verlust von Interessen
Hypervigilanz
Ein- und Durchschlafstörungen
Konzentrationsstörungen
Emotionale Labilität, Reizbarkeit, Wutausbrüche
Gesteigerte Schreckhaftigkeit
Wichtig ist, dass nicht jedes traumatische Erlebnis
zur Ausbildung einer PTSD führt (s. o.). Eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung ist Grundvoraussetzung dafür, dass über die Traumata gesprochen werden kann. Da die Betroffenen häufig
keinen Zusammenhang zwischen ihren Beschwerden und den meist schon länger zurückliegenden
traumatischen Erfahrungen sehen, müssen Ärzte
aktiv nachfragen. Durch Kenntnis des Krankheitsbildes und gezielte anamnestische Fragen lässt sich
Hausärztliche Leitlinie »Psychosomatische Medizin«
die Diagnose stellen.
Fallbeispiel: PTSD nach Herzinfarkt [54, 55]
»Ein heute 57-jähriger Mann erlitt während der
Sommerferien ohne vorbestehende Symptomatik
am Badestrand einen Myokardinfarkt. Mit dem
eigenen Auto fuhr er gegen den Rat seiner Ehefrau
ins nächste Krankenhaus. Bei der Aufnahme kam
es zu einem vollständigen Herz-Kreislauf-Stillstand
und erfolgreicher Reanimation. Nach Dilatationsbehandlung und einer dreimonatigen Rehaphase
wurde der Patient angesichts einer fortbestehenden kardialen Motilitätsschwäche zu 50% arbeitsfähig geschrieben.
Nach rund einem Jahr wurde die Stelle infolge
Umstrukturierungen gekündigt. Trotz vielfältiger
Bemühungen fand der Patient als Maschineninge-
nieur keine Teilzeitstelle und ist seither arbeitslos.
Er leidet seitdem unter einer erheblichen Selbstwertproblematik und einer dauernden Angst vor
einem erneuten Myokardinfarkt. Neben hartnäckigen Schlafstörungen leidet er an Konzentrationsstörungen, rascher Ermüdbarkeit, depressiven
Stimmungsschwankungen, Verlust der Libido, Reizbarkeit und Interessenverlust. Aus Angst meidet
der Patient, der früher regelmäßig Sport betrieben
hatte, jegliche körperliche Betätigung.
51
Version 1.01
I
29. April 2008
Die zeitweise Betreuung eines Schrebergartens
führte zu einer sichtlichen Aufhellung des depressiven Befindens. Der Patient sah ein, dass er eigene
Schritte unternehmen muss, soll sich sein Zustandsbild etwas bessern. Dies führte zu einer veränderten
Einschätzung der zukünftigen Situation. Ob er eine
Teilzeitstelle findet, entscheidet der Arbeitsmarkt,
aus kardiologischer Sicht ist er zu 50% erwerbsfähig« (zit. nach [54, 55]).
Fallbeispiel: Verkehrsunfall [54, 55]
»Ein heute 60-jähriger Mann erlebte 1995 am Steuer seines Wagens einen Frontalzusammenstoß mit
einem Personenwagen auf gerader Straße. Später
wurde bekannt, dass der Fahrer des den Unfall
verursachenden Wagens am selben Tag aus einer
psychiatrischen Klinik entlassen worden ist.
Seite 34
KVH • aktuell
Vermutlich hatte er Selbstmord verübt.
Initial fanden sich folgende Symptome:
HWS-Distorsion, Schulterkontusion, Knieprellung
Schwindel, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen
Arbeitsunfähigkeit
Depressive Verstimmung und zunehmender
Tinnitus beidseits
Die Beschwerden wurden multidisziplinär abgeklärt u. a. durch Orthopädie, HNO, Psychologie,
Psychiatrie und Neurologie. Der ehemals erfolgreiche selbstständige Kleinunternehmer wurde
AU geschrieben, eine Rehamaßnahme führte zu
einer Verschlechterung. Die Konfrontation mit
kranken Mitpatienten führte im Sinne eines psychogenen Hospitalismus zu einer zusätzlichen
Desillusionierung. Im weiteren Verlauf zeigten
sich Schlafstörungen, depressive Verstimmung,
immer wiederkehrende »flash-backs« (ein auf ihn
zurasendes Auto), multiple Körperschmerzen und
ein hartnäckiger Tinnitus. Der Patient klagte über
rasende Kopfschmerzen und hielt sich manchmal
während der Konsultation verzweifelt die Ohren zu.
Er litt unter Stimmungsschwankungen, mürrischer
Reizbarkeit und Wutausbrüchen und zog sich sozial
vollkommen zurück (ehemals kontaktfreudiger,
unternehmungslustiger Mann). Die Ehe hielt dem
Nr. 2 / 2009
allem nicht stand und wurde geschieden. Stark
kränkte ihn das Gerichtsurteil, das ihm lediglich
eine symbolische materielle Entschädigung zusprach. Der Richter verkündete lakonisch, dass
Autofahren eben mit einem bestimmten Risiko
verbunden sei. Der Patient erlebte dies subjektiv
schlimmer als den ursprünglichen Unfall. Trotz intensiver Bemühungen in Zusammenarbeit mit der
Berufsunfähigkeits-/Rentenversicherung besteht
weiterhin eine Arbeitsunfähigkeit zu 100%, der
Patient bezieht seit dem Unfall volle Rente.
Der Patient besucht einmal monatlich den Hausarzt
und äußert, wie wohl es ihm tut, sich hier aussprechen zu könnnen. Die antidepressive Medikation hat subjektiv keine Besserung ergeben, die
Schlafstörungen und der Tinnitus zeigen sich therapieresistent« (zit. nach [54, 55]).
Therapie
Die PTSD zeigt eine hohe Spontanremission. Trotzdem empfiehlt sich eine frühzeitige Behandlung
zur Verhinderung von Chronifizierung (siehe auch
den Einsatz von Psychologen noch während Bergungsaktionen bei Naturkatastrophen). Die Behandlung besteht in einem multimodalen Zugang,
vorzugsweise in einer Kombinationsbehandlung
mit störungsspezifischer Psychotherapie und Pharmakotherapie.
Mobbing
»Mobbing ist gegeben, wenn ein Betroffener mindestens einmal in der Woche mindestens ein halbes
Jahr lang attackiert wird – von einer oder von mehreren Personen.« (Definition nach Ley [86, 87]) .
Beispiele zeigen, dass jeder von Mobbing betroffen sein kann, dabei sind die Grenzen zu
Alltagskonflikten fließend [86, 87].
Mobbing bei Erwachsenen am Arbeitsplatz oder
bei Jugendlichen in der Schule führt zwangsläufig
beim Mobbing-Opfer zu mehr oder weniger ausgeprägten Beschwerden. Es bildet sich ein Vermeidungsverhalten mit Angst und/oder Depression.
Im körperlichen Bereich können Schlafstörungen,
zunehmende innere Unruhe und eine ganze Reihe
körperlicher Symptome auftreten. Ein psychophysischer Erschöpfungszustand ergibt sich oft zwangsläufig. Das Leid kann bis zum Suizid führen.
Die Persönlichkeitsstruktur des Mobbers zeigt
häufig narzistische und sadomasochistische Züge.
In seinem sozialen Umfeld trifft er häufig auf
ein Opfer mit einer Persönlichkeitsstruktur,
die von Hilflosigkeit, Ohnmachtsgefühle, übertriebenem Harmonie-Bedürfnis, Rückzugsverhalten und Idealisierungsbedürfnis, aber auch von
Abhängigkeiten gekennzeichnet ist. Derjenige.
der »gemobbt« wird, zeigt ein Verhaltensmuster
mit Aggressionshemmung, Neigung zur Unterwürfigkeit und der Unfähigkeit, bestimmt und
ohne Schuldgefühle »nein« zu sagen (Tiefenpsychologisch ist ein Zusammenhang mit der IchEntwicklung im Alter um das zweite Lebensjahr
sehr wahrscheinlich).
Der Hausarzt schreibt den Patienten krank und
überweist ihn zu einem Psychotherapeuten, der
mit dem Patienten in konkreter Situtationsanalyse
sinnvolle Verhaltensstrategien herausarbeitet.
Ein Verhaltenstherapeut arbeitet mit konkreter
Situationsanalyse und unterschiedlichen Aggressionskonzepten bzw. -strategien.
Nr. 2 / 2009
KVH • aktuell
Hinweise zu weiterführender Literatur [10, 86, 91,
97, 100, 101, 139, 144]
Mögliche Diagnosen nach ICD-10
F68.8 Sonstige näher bezeichnete Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, Charakterstörung o. n. A.; Störung zwischenmenschlicher
Beziehungen o. n. A. (z. B. Anankasmus).
F60.7 Differentialdiagnostisch kommt auch die
abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung
in Betracht (überhöhtes Ich-Ideal). Merkmale
dieser Persönlichkeitsstörung sind: asthenische
Anteile, inadäquates Verhalten, Passivität und
Selbstschädigung.
F51.9 nicht organische Schlafstörung, nicht
näher bezeichnete emotional bedingte Schlafstörung o. n. A.
Anpassungsstörung (F43.2).
Akute Belastungsreaktion (F43.0).
Kontaktanlässe mit Bezug zum Berufsleben:
Z56 (darf als alleinige Kodierung nur verwendet
werden, wenn Leistungen abgerechnet werden,
die nicht in einer Erkrankung begründet sind).
Fallbeispiel: Mobbing
37-jährige Patientin, ein Sohn. 9/02 Scheidung.
8/03 lumbaler Bandscheibenvorfall, der operiert
wird. Wenig später Insolvenz des mit großen persönlichen Anstrengungen und der finanziellen Hilfe
der Eltern gebauten eigenen Geschäftes. Auftreten
depressiver Verstimmungs- und Angstzustände.
Unter Antidepressiva und psychotherapeutischer
Behandlung kann im Frühjahr 2007 nach mehreren
kleinen Jobs endlich wieder eine feste Stelle mit
geregeltem Einkommen angetreten werden.
9/07 Seitenstrangangina. Trotz antibiotischer Therapie keine Besserung, sondern Auftreten einer
Bronchopneumonie, die unter Behandlung nur
langsam ausheilt. Dennoch weiterhin Klagen über
allgemeine Abgeschlagenheit, Schlafstörungen, innere Unruhe, Herzklopfen. Auf die Frage des Hausarztes, ob es denn sonst irgendwelche Probleme
gäbe, bricht die Patientin in Tränen aus und schildert die Situation am neuen Arbeitsplatz: Zunächst
sei alles gut gewesen, dann habe ihr Vorgesetzter
sie sexuell bedrängt. Vielleicht habe sie ihn nicht
energisch genug zurückgewiesen, jedenfalls lasse
er nicht nach, sie zu bedrängen. Wie vom Hausarzt
Seite 35
empfohlen, geht die Patientin schließlich zum Betriebsrat. Der Vorgesetzte der Patientin streitet vor
dem Betriebsrat alle Vorwürfe ab und stellt sie als
Lügnerin hin, die zudem fachlich unfähig sei. Der
Wunsch auf Versetzung in eine andere Abteilung
wird nicht erfüllt.
Mit ihren Nerven am Ende wird die Patientin nun
wegen Mobbings krankgeschrieben, eine arbeitsrechtliche Beratung empfohlen und erneuter Kontakt zu der sie 2003 behandelnden Psychotherapeutin hergestellt.
Hinweise [19]
Personen, die gemobbt werden / sich gemobbt
fühlen, benötigen neben medizinischer und therapeutischer Hilfe auch eine Rechtsberatung (Mobbing ist strafbar; es kann zur Versetzung / Kündigung oder Schadensersatzzahlungen des Mobbers
führen). Ausschlaggebend für den Erfolg einer Klage ist die Beweisbarkeit der Vorwürfe. Wichtig sind
deshalb für den Gemobbten Zeugenaussagen, EMails (schriftliche Anweisungen) und Briefe. Es wird
außerdem empfohlen, ein »Mobbing-Tagebuch«
zu führen, das der eigenen Gedächtnisstütze (nicht
als Beweismaterial) dient. Zur emotionalen Entlastung helfen Sport, Musik, Entspannung.
Links/Kontakte
Allgemeine Informationen, z. B. der Ärztekammer
Nordrhein mit weiteren Kontaktmöglichkeiten und
bundesweitem Überblick über Mobbing-Selbsthilfegruppen siehe untenstehenden Link 1.
Empfehlenswert sind niederschwellige Beratungsangebote wie »Mobbingtelefone« (z. B. kirchliche
Einrichtungen, Kommune, Gewerkschaften/Personalrat). Eine bundesweite Übersicht findet sich auf
der Website der Universität Vechta (siehe untenstehenden Link 2.)
Ein Ratgeber (»Hilfe gegen Mobbing am Arbeitsplatz«) von Agneta Bone und Johanna Rückert
steht zum Download über das Internet zur Verfügung. (siehe untenstehenden Link 3.)
Eine Broschüre zur psychischen Belastung und
Beanspruchung im Berufsleben ist bei der Bundesanstalt für Arbeitssschutz und Arbeitsmedizin
erhältlich (www.baua.de).
1: http://www.aekno.de/htmljava/frameset. asp?typ=c&seite=mobbingindex.htm
2: http://www.uni-vechte.de/verwaltung/personalrat/Arbeitsrecht/ Mobbing/mobbing.html
3: http://www.inqa.de/Inqa/Navigation/ Themen/mobbing,did=239070.html
Seite 36
KVH • aktuell
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Soziale Phobie
Die 12-Monatsprävalenz für Angststörungen liegt
in der Bevölkerung (18-65 Jahre) bei 14,2% [112].
Frauen sind ca. doppelt so häufig betroffen wie
Männer. An erster Stelle stehen die akut oft weniger beeinträchtigenden spezifische Phobien. Stärker beeinträchtigend sind generalisierte, nicht
näher bezeichnete Angststörungen und soziale
Phobien. In den Hausarztpraxen stellt die generalisierte Angststörung mit 5,3% (Stichtagsprävalenz)
die häufigste Angststörung dar. Angststörungen
sind ein Risikofaktor für Depression, Substanzmissbrauch und Abhängigkeit [112].
Die Soziale Phobie (zitiert nach [16]) ist durch
eine Angst gekennzeichnet, von anderen Personen
beobachtet oder negativ bewertet zu werden. Das
Verhalten in vertrauter Umgebung ist ungestört,
in fremder Umgebung treten typische, vegetative
Angstsymtome wie Schwitzen, Zittern, Tachykardie
auf. Die betroffenen Personen haben typische, negativ belastete Überzeugungen wie zum Beispiel:
»Ich werde zittern/schwitzen, die Leute werden es
sehen und sich über mich amüsieren« oder »ich
werde bestimmt mitten im Satz hängenbleiben«. Es
herrscht die Angst, sich zu blamieren. Das hieraus
folgende Vermeidungsverhalten führt einerseits zur
Chronifizierung, andererseits zum Rückzug und
zur sozialen Isolation. Die private und berufliche
Leistungsfähigkeit wird stark beeinträchtigt.
Folgende auslösende Situationen sind typisch:
Öffentliches Reden oder Essen
Schreiben in der Öffentlichkeit
Ansprechen von Fremden oder Autoritätspersonen oder Personen des anderen Geschlechts
Beobachtet werden, z. B. bei einer Feier, einer
Konferenz, einem Meeting
Konfliktsituationen, z. B. Reklamationen
Teilnahme am öffentlichen Verkehr
Abzugrenzen sind normale Reaktionsmuster, wie
z. B. das Lampenfieber des Schauspielers vor dem
Auftritt oder die Unsicherheit, sich in einer fremden Kultur zu bewegen. Andererseits kann eine
unbehandelte soziale Phobie zu zunehmendem
Rückzug führen, der Schulbesuch wird vermieden,
die Arbeit gekündigt, es kommt zum Rückzug aus
dem sozialen Umfeld. Diese negative Spirale kann
bis zum Suizid führen.
Ursachen: Es gibt eine genetische sowie eine
erzieherische Komponente, die stark mit der Psychopathologie des Elternhauses verknüpft und
Folge eines abwertenden oder überbehüteten
Er-ziehungsmusters sind. Weitere Faktoren sind
sozia-le Unsicherheit und geringe soziale Kompetenz, wenn soziale Fertigkeiten im Kindergarten
oder der Schule nicht ausreichend gelernt wurden.
Es fehlen Verhaltensmuster und soziale Konzepte,
sich in normalen und konflikthaften Situationen
erfolgreich zu verhalten, etwa sich durchzusetzen.
Fallbeispiel: Angst
»Herr F. hat einen wichtigen Termin bei seinem
Chef. Er ist nervös, will sich nicht blamieren. Er
achtet besonders auf seinen Herzschlag und darauf, ob er errötet. Er befürchtet, zu versagen und
sein Chef werde seine Angst bemerken. Diese Gedanken und Erwartungen machen ihm Angst. Die
Angst verstärkt die vegetativen Symptome. Diese
Reaktionen führen nun zum sichtbaren Schweißausbruch, und wenn er nun seinem Chef die nasse
Hand gibt, scheinen sich alle seine Befürchtungen
zu bestätigen, der Teufelskreis schließt sich.
Solche Erfahrungen führen zu einem Vermeidungsverhalten, das seinerseits zur Aufrechterhaltung der
sozialen Angststörung beiträgt« (zit. nach [16]).
Diagnostik
Für eine eindeutige Diagnose der sozialen Phobie
müssen alle folgenden Kriterien erfüllt sein [32]:
1 Die psychischen, Verhaltens- oder vegetativen
Symptome müssen primäre Manifestationen
der Angst sein und nicht auf anderen Symptomen wie Wahn oder Zwangsgedanken beruhen.
2 Die Angst muss auf bestimmte soziale Situationen beschränkt sein oder darin überwiegen.
3 Wenn möglich, wird die phobische Situation
vermieden.
Für die Diagnostik werden verschiedene Checklisten, strukturierte standardisierte Interviews,
Verhaltenstests, direkte Beobachtungen und Tagebuchaufzeichnungen eingesetzt (Hinweise hierzu
im Anhang).
Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung erspart
eine lange Leidensgeschichte und zunehmende
private und berufliche Beeinträchtigung.
Medikamentöse Therapie [130]
Antidepressiva (SSRI, SNRI, MAO-Hemmer),
besonders bei mittelschweren bis schweren
Formen.
KVH • aktuell
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Benzodiazepine: große Wirkung mit klaren
Nachteilen wie Suchtentwicklung, Behinderung
von psychotherapeutischem Lernen
Betablocker: niedrig dosiert (besonders bei
Prüfungsangst)
Psychotherapie
sowohl als Einzel- als auch als Gruppentherapie. In
der Verhaltenstherapie
Exposition in realen angstbesetzten Situationen
en als
e intenseiner
ebettet.
realen
ucht siNähe,
chädigt
Übergrifod. SolVerarn übernd psy-
Bewusstes Überprüfen der Reaktionen anderer
Menschen
Korrektur bisheriger kognitiver Schemata
Erlernen, Situationen erfolgreich zu bewältigen
Bei leichten Formen Psychotherapie, bei schweren
Formen Psychotherapie in Kombination mit Medikamenten, insbesondere, wenn eine Depression als
Komorbidität vorliegt [16].
Risikofaktoren und ihre psychosomatischen Ursachen
Traumatische Kindheitserlebnisse
In Folge traumatischer Kindheitserlebnisse
können
re psychosomatischen
Ursachen
können
eigene
ann ein
Alkohoerhalten
erhalten
r unbenischer
nungen
Seite 37
beim Patienten Selbstwahrnehmung und eigene
Gefühlsverarbeitung gestört werden. Dies kann ein
Ì
Traumatische
Kindheitserlebnisse
Auslöser
für Risikoverhalten
wie Rauchen, Alkoholismus, Drogenabusus, abnormes Essverhalten
oder Promiskuität sein. Dieses Risikoverhalten kann
verstanden werden als bewusste oder unbewusste
Strategie zur Bewältigung chronischer Stresszustände mit körperlichen Spannungen [135].
Wie lässt sich das erklären?
Die Bindungstheorie sieht den Menschen als Sozialwesen; als »Tragling« ist er durch eine intensive Mutter-Kind-Beziehung von Beginn seiner
Existenz
an wurde
in eine festgestellt,
soziale Beziehung
eingebettet.
In
Studien
dass bei
»beschäSein
weiteres
Leben
wird
bestimmt
vom
realen
digten Kindern«, auch auf Grund ihrer Lebensfrühkindlichen
Beziehungserleben.
Er
braucht
siweise, im weiteren Lebensverlauf Krankheit und
chere, bergende, liebevolle Atmosphäre, Nähe,
früher Tod signifikant häufiger auftreten. Die KorTreue, Loyalität, Urvertrauen. Er wird beschädigt
relation zwischen aktuellem Lebensstil und Gedurch Verunsicherungen, Aggressionen, Übergrifsundheitsverhalten mit Morbidität und Mortalität ist
in Studien belegt [43, 79, 119].
Maladaptives
Verhalten-/
Reaktionsmuster
Rauchen
Essstörung
Alkoholmissbrauch
Depressive Reaktion
Promiskuität
Chronische,
lebensverkürzende
Erkrankungen
chron. Lungenerkrankungen, Arteriosklerose,
Karzinome, KHK
ƒ
ƒ
Anorexie: Kachexie
Adipositas: Hypertonie, Diabetes, KHK
Leberschäden, zerebrale
Schäden, soziale Folgen
Suizid, Diabetes, KHK
HIV-Infektion,
Leberschäden
Eine 1995 bis 1996 konsekutiv durchgeführte
Untersuchung zu schädlichen Kindheitserlebnissen
fe, Demütigungen, Beziehungsabbrüche, Tod.
Solche Erfahrungen in einem Maß, das die Verarbeitungskompetenz des Kindes / Menschen überschreitet, führen häufig zu psychischen und psychosomatischen Erkrankungen.
Maladaptives Verhalten oder maladaptive Reaktionsmuster können zu chronisch-letalen Erkrankungen im Erwachsenenalter führen. Dauerhafter
Nikotinabusus als Mittel zur Affekt- und Stimmungsregulation kann z. B. Ursache von chronischen Gefäß- und Lungenerkrankungen und vorzeitigem Tod werden [135].
In Studien wurde festgestellt, dass bei »beschädigten Kindern«, auch auf Grund ihrer Lebensweise, im weiteren Lebensverlauf Krankheit und
früher Tod signifikant häufiger auftreten. Die
Korrelation zwischen aktuellem Lebensstil und Gesundheitsverhalten mit Morbidität und Mortalität
ist in Studien belegt [43, 79, 119]. (Siehe Tabelle
auf dieser Seite.)
Eine 1995 bis 1996 konsekutiv durchgeführte Untersuchung zu schädlichen Kindheitserlebnissen
und ungünstiger Haushalt- bzw Familiensituation
(The Adverse Childhood Experiences, ACE Study)
zeigte bei 9508 erwachsenen HMO-Mitgliedern der
Kaiser Permanente’s San Diego Health Appraisal Clinic, dass rund 50% mindestens eine ACE-Kategorie
bejahten.
Zur Prävalenz schädlicher Kindheitserlebnisse (in
USA) wurden angegeben [43, 135]:
Psychische Gewalt
11%
Körperliche Gewalt:
11%
Sexueller Missbrauch: 22%
Im Haushalt der Befragten der ACE-Studie
Rehamaßnahmen des Risikoverhaltens erforderƒ Alkohol- oder Drogenmissbrauch: 6%
lich werden.
19%
ƒ Psychiatrische Erkrankung
Gewalt
gegen
die
Mutter
13%
ƒ
Seite
38
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Auch im präventiven Bereich kann dieNr.
Suche
nach
eines Familienmitglieds 3% KVH • aktuell
ƒ Inhaftierung
Wenn die Zahlen auch aus USA stammen, ist
zeigten Familienmitglieder folgende Zeichen der
davon auszugehen, dass es auch in Deutschland
familiären Dysfunktion:
ähnliche
Probleme
gibt.
Alkoholoder Drogenmissbrauch:
6%
Psychiatrische Erkrankung
19%
Das
sogenannte
Risikoverhalten
führt zu 13%
einer
Gewalt
gegen die
Mutter
Vielzahl
von
häufigen
und
relevanten
Erkran Inhaftierung eines Familienmitglieds
3%
kungen. Das Risikoverhalten ist jedoch nur schwer
Wenn
die Zahlen
aus weil
den häufig
USA stammen,
ist
therapierbar,
nichtauch
zuletzt,
die psychodavon
auszugehen,
in Deutschland
sozialen
Ursachen dass
nichtes auch
ausreichend
berückähnliche
Probleme gibt.
sichtigt werden.
Bio-psycho-soziale Kausalkette [135]
psychischen Wurzeln wegweisend werden. So
können adäqute psychotherapeutische MaßnahDas so genannte Risikoverhalten führt zu einer Vielmen neben Bewegungstherapie, Ernährungsumzahl von häufigen und relevanten Erkrankungen.
stellung,
Raucherentwöhnung
etc.
in die therapierWege geDas
Risikoverhalten
ist jedoch nur
schwer
leitet
werden,
um
die
Erfolgsquote
dieser
Maßbar, nicht zuletzt, weil häufig die psychosozialen
nahmen nicht
zu verbessern.
Ursachen
ausreichend berücksichtigt werden
(siehe Grafik).
Betrachtet man die Häufigkeit der schädlichen
kindlichen Erlebnisse, so sind diese Zahlen zunächst
schwer vorstellbar. Bei der Häufigkeit des Risikoverhaltens in unserer Bevölkerung und der postulierten
Mitverursachung durch kindheitliche Erlebnisse
erscheinen sie jedoch in einem anderen Licht.
Es sollte immer an diese psychosozialen Mitursachen gedacht werden, wenn Therapien bzw.
Rehamaßnahmen des Risikoverhaltens erforderlich
werden.
Auch im präventiven Bereich kann die Suche nach
psychischen Wurzeln wegweisend werden. So
können adäquate psychotherapeutische Maßnahmen neben Bewegungstherapie, Ernährungsumstellung, Raucherentwöhnung etc. in die Wege
geleitet werden, um die Erfolgsquote dieser Maßnahmen zu verbessern.
59
Suchtprobleme
Hausärztliche Leitlinie
Allgemeines
»Psychosomatische Medizin«
Drogen beeinflussen den Bewusstseinszustand
und die Affektlage in unterschiedlicher Weise,
manche Drogen können bei schädlichem Gebrauch Halluzinationen auslösen. Ein vielfältiges
Bild neurologischer und psychischer Störungen
kann die Diagnostik von unklaren Beschwerden
kompliziert machen, insbesondere dann, wenn
somatische Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes, Hochdruck, cerebrovaskuläre oder kardiale
Krankheitsbilder, Infektionen, Traumen oder Hirnerkrankungen gleichzeitig vorliegen.
Typischerweise fallen solche Patienten in der
Hausarztpraxis zunächst nicht wegen ihrer Sucht
auf, weil der ihnen selbst in der Regel bekannte
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schädliche Gebrauch vor der Umwelt verheimlicht
wird. Erst, wenn Zwischenfälle mit unerklärlichen
Traumen oder psychosoziale Probleme (Arbeitsplatzverlust, familiäre Konflikte, Unfallhäufigkeit,
körperliche Folgeerscheinungen, Verhaltensstörungen mit betont forderndem Verhalten, Schlafstörungen mit etlichen unerklärlichen körperlichen
Symptomen, besonders nicht anders erklärbare
Schmerzphänomene) sich häufen, ist es an der
Zeit, hellhörig zu sein und gezielt nach schädlichem
Gebrauch und Abhängigkeiten von Substanzen
(Alkohol, Nikotin, Koffein, Tabletten, Drogen) zu
fahnden.
Genussmittel
Um die vielfältigen körperlichen Symptome bei
schädlichem Alkoholgebrauch rechtzeitig zu erkennen, ist es sinnvoll, neben der Eigen- und
Fremd-anamnese und den einschlägigen medizinischen Untersuchungen wie klinischer Status und
Labor-untersuchungen mittels eines »strukturierten
Interviews« (z. B. CAGE-Test, AUDIT, s. u.) den
Betroffenen zu befragen.
Sinnvolle Laboruntersuchungen sind u.a.
Gamma-GT (bei 70-90% der Alkoholkranken
erhöht – bei jüngeren Patienten herabgesetzte
Sensivität),
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KVH • aktuell
Kleines Blutbild mit MCV (erhöht bei 50-90%
der Alkoholkranken),
ggf. CDT (Carbohydrate deficient transferrin
– hohe Sensivität zur Erkennung einer Alkoholkrankheit, nicht geeignet zur Früherkennung
von erhöhtem Alkoholgebrauch – nicht als
Kassenleistung anerkannt).
Ein sehr einfacher Test ist der CAGE-Test [41] mit
seinen 4 Fragen:
Hatten Sie schon das Gefühl, dass Sie Ihren
Alkoholkonsum reduzieren sollten? (Cut down
drinking)
Hat es Sie schon aufgeregt, wenn andere Leute
Ihr Trinkverhalten kritisieren? (Annoyance)
Hatten Sie wegen Ihres Alkoholkonsums Gewissensbisse? (Guilty)
Haben Sie morgens nach dem Erwachen schon
als erstes Alkohol getrunken, um Ihre Nerven
zu beruhigen oder den Kater loszuwerden? (Eye
opener)
Interpretation: Mindestens zwei positive Antworten bezeugen das wahrscheinliche Vorhandensein
von Problemen, die im Zusammenhang mit übermäßigem Alkoholkonsum stehen. Die Wahrscheinlichkeit eines Alkoholmissbrauchs beträgt 62% bei
einer positiven Antwort und 89% bei zwei positiven
Antworten. Bei drei und vier positiven Antworten
beträgt die Wahrscheinlichkeit des Bestehens einer
Alkohol-Abhängigkeit 99%.
Semistrukturierte Interviews können die Problematik einer Alkoholabhängigkeit detaillierter aufdecken wie z. B. der AUDIT (Alcohol Use Disorders
Identification Test) mit 10 Fragen [126].
Definition der Alkoholkrankheit
Die Alkoholkrankheit (ICD-10: F10.- Psychische
und Verhaltensstörung durch Alkohol) ist eine
progressive Suchterkrankung, in deren Verlauf der
Suchtmittelkonsum zum lebensbestimmenden
Inhalt werden kann. Sie betrifft in Deutschland
ebenso wie in vielen anderen Industrienationen
mehr als 5% aller Bürger. Erkrankt sind zu etwa
70% Männer.
Die Übergänge der verschiedenen Entwicklungsstufen sind dabei fließend. Typische Symptome
sind: Konsumzwang, fortschreitender Kontrollverlust, Vernachlässigung früherer Interessen
zugunsten des Trinkens, Leugnen des Suchtverhaltens, Entzugserscheinungen bei Konsumreduktion, Toleranzentwicklung (so genannte
»Trinkfestigkeit«), es kommt dabei zu Persönlichkeitsveränderungen.
Seite 39
Wichtig
Problem offen ansprechen, der Betroffene muss
sich zu seinem schädlichen Alkoholgebrauch
bekennen.
Nach einer stationären Entgiftung konsequent
ambulant weiterbehandeln mit psychosozialer
Betreuung (z. B. regelmäßige ärztliche Weiterbetreuung, regelmäßiger Kontakt zu psychosozialen Diensten, zu Abstinenzler-Gruppen),
ihn nicht sich selbst überlassen.
Das meist durch den Alkoholgebrauch beschädigte soziale Netz (Arbeitsplatzprobleme, Familien- und Partnerprobleme) mit Hilfe eines
suchttherapeutischen und verhaltenstherapeutischen Ansatzes tragfähig machen.
Oft ist der Hausarzt als alleiniger Ansprechpartner
überfordert. Er sollte nach Offenlegung einer Alkoholabhängigkeit sehr konsequent ein abstinenzorientiertes Verhalten anstreben. Auch kleine
Alkoholmengen (in Pralinen, in Soßen usw.) sollten
vermieden werden. »Kontrolliertes Trinken« ist
eine lllusion und führt nicht aus der Abhängigkeit.
Der Patient verlangt oft mit vielen Tricks, dass der
Arzt Ausnahmen vom strengen Abstinenzkonzept
toleriert oder auch, dass der Arzt das Thema bagatellisiert und nicht ernst nimmt, was dem Patienten
die Konfrontation mit dem eigenen Fehlverhalten
erspart. Somit wird die Abhängigkeit aufrechterhalten, der Arzt wird – wie oft auch die Familie,
die Arbeitskollegen – zum »Ko-Alkoholiker«, der
das dauerhafte Fehlverhalten weiter ermöglicht.
Cave: Der Arzt darf sich nicht zum Komplizen des
Suchtkranken machen lassen!
Leichtere Formen schädlichen Alkoholkonsums
können durchaus im ärztlichen Gespräch anlässlich geklagter Beschwerden mit Erfolg bearbeitet
werden. Wichtig ist dabei eine vertrauensvolle
Beziehung zum Hausarzt, die es zulässt, dass dem
Betroffenen schonungslos und mit aller Konsequenz die Entwicklung seiner körperlichen Abhängigkeit vermittelt wird und dass die notwendigen,
meist unbeliebten Maßnahmen der vollständigen
Abstinenz, der stationären Entgiftung und der
anschliessenden Vermittlung an eine Suchthilfeeinrichtung zur psychosozialen Nachbetreuung, ggf.
auch an eine Abstinenzler-Gruppe dann vom Arzt
veranlasst werden.
Materialien zur Alkoholkrankheit
Unter http://www.alkohol-leitlinie.de befinden sich Materialien (z. B. Versorgungsleitlinie, Fortbildung) zum Thema alkoholbezogene Störungen.
http://www.bzga.de (Bundeszentrale für
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gesundheitliche Aufklärung, BZgA, Ostmerheimer
Str. 220, 51109 Köln, Tel 0221-8992-0, Fax 02218992-300),
http://www.dhs.de (Deutsche Hauptstelle für
Suchtfragen e.V., Westenwall 4, 59065 Hamm),
weitere Adressen unter www.alkoholratgeber.de/
Alkoholismus-Hilfs-Adressen.
Ursache ist ein mangelndes Selbstwertgefühl des
Betroffenen. Dies führt zum wiederholten Risikoverhalten aus ständigem ungestillten Hunger nach
Anerkennung und Macht. Es bedarf Ich-stärkender
Tätigkeiten z. B. Verantwortung für eine kleine
Gruppe übernehmen, die mit sozialer Anerkennung
verbunden sind, um zu gesunden.
Alltägliches Risikoverhalten
Neben den »Genussmitteln« gibt es noch weitere
nicht minder riskante Verhaltensweisen. Gesucht
werden »Gipfel-Erlebnisse« (peak-experiences –
Maslow) z. B. Autorasen, Klettern ohne Seil. Sie
tragen für denjenigen, der sie erlebt, ihren Sinn in
sich selbst.
Nikotinsucht, Kaffeemissbrauch
Nikotinsucht (ICD10 F17,-) ist trotz aller Aufklärungskampagnen besonders bei jungen Frauen
und Heranwachsenden ein erhebliches Gesundheitsproblem, das durchaus psychosomatische
Probleme auslösen kann. Wie auch beim übermäßigen Koffeingenuss können Unruhe, Ängste
und Herz-Kreislaufprobleme Krankheitssymptome
auslösen, deren wahre Genese im suchtmäßigen
Tabak-Gebrauch oder übermäßigem Kaffeegenuss
liegen.
Bei Jugendlichen dient riskantes Gesundheitsverhalten vor allem zur Lösung von Entwicklungsaufgaben (z. B. durch Zugang zur Peer-Group) und
zum Stressabbau. Bei den meisten Jugendlichen
nimmt diese Verhaltensweise mit dem Erwachsenwerden ab. Präventionsmaßnahmen setzen auf
Förderung des Selbstvertrauens und der Gestaltung
von sozialen Kontakten. Eine kleinere Gruppe von
Jugendlichen, die oftmals bereits in der Kindheit
Auffälligkeiten zeigte, weist jedoch auch als Erwachsene ein riskantes Gesundheitsverhalten auf,
das hier als Ausdruck einer gestörten Persönlichkeitsentwicklung gesehen werden kann. Hier sind
therapeutische Maßnahmen notwendig [102.]
Extremsport kann als »moderner Initiationsritus
der Jugend«, aber auch Vergewisserungsritual
verunsicherter Erwachsener interpretiert werden.
Hausärztliche Kurzinterventionen sind hilfreich [57]
intensive ärztliche Beratungen verdoppeln die
Wahrscheinlichkeit einer anhaltenden Tabakabstinenz nach 1 Jahr
Nikotinersatzprodukte und Antidepressiva erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer anhaltenden
Tabakabstinenz nach einem Jahr
Materialien
»Ja – ich werde rauchfrei« Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung, Ostmerheimerstr. 20,
51109 Köln, Tel. 0221-89920; [email protected],
Rauchertelefon der Deutschen Krebshilfe 06221424200 montags bis freitags 14.00 bis 18.00 Uhr
Tablettenabhängigkeit
Die allgemeine Pillengläubigkeit führt dazu, dass
der Patient eine große Zahl an frei verkäuflichen
Medikamente und Substanzen, die Gesundheit
versprechen, einnimmt und
der Arzt zu viele Medikamente verschreibt.
(low-dose-dependency), diese kann eine regelmäßige abendliche Entzugs-Unruhe und emotionale sowie kognitive Persönlichkeitsveränderungen mit Gedächtnisstörungen nach sich
ziehen.
Mögliche Hinweise für Hausarzt bzw. Nachfragen:
Vermehrte Stürze, gehäufte oder unklare Verkehrsunfälle, Arbeitsunfälle und ungewöhnliche kognitive Fehlleistungen, »unerklärliche«
Allgemeinbeschwerden, Verhaltensstörungen
bis hin zu Depersonalisierungserscheinungen
(besonders bei Benzodiazepingebrauch).
Größere und häufigere Rezeptwünsche nach
Benzodiazepinen (Abhängigkeit in Deutschland: ca. 5%, entsprechend 4. Mill.).
Cave: Vorliegen einer Niedrigdosisabhängigkeit
Frauen neigen vermehrt zu Tablettenmissbrauch,
da die gewünschte psychische Veränderung durch
Tabletten ihnen selbst offenbar unauffälliger erscheint, als beispielsweise eine Alkoholfahne am
Arbeitsplatz.
Bei fortgeschrittenem Suchtverhalten sinkt allerdings die Hemmschwelle und es beginnt oft eine
polytoxikomane Phase von sich addierenden Wirkungen von Alkohol und Psychopharmaka, die
oftmals schwer herauszufinden ist und auch
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KVH • aktuell
nicht leicht zu therapieren ist. Der Hausarzt hat
hier die Aufgabe, den Verlauf zu erkennen und
einzuschreiten mit dem Versuch, die eigentliche
Ursache für den Missbrauch aufzudecken. Auch
hierbei kommt er mitunter um eine stationäre
Entgiftung mit anschließender Rückfallprophylaxe
nicht herum.
Die Zahl der von suchtkranken Patienten gewünschten Medikamente ist groß:
Opiate,
Kodein (z. B. in Mischpräparaten, in Hustensäften, wird zu Morphin verstoffwechselt),
Psychostimulantien (Methylphenidat, Amphetamin),
Analgetika,
Benzodiazepine (bevorzugt werden solche mit
raschem Wirkungseintritt: z. B. Lorazepam,
Alprazolam, Midazolam, Temazepam, oder mit
langer Wirkdauer wie Diazepam, Nitrazepam,
Flunitrazepam),
Medikamente, die in Verbindung mit Alkohol
zu einer Intoxikation führen: z. B. atropinartige
Medikamente wie Biperiden,
Anticholinergika,
Barbiturate,
Antihistaminika (z. B. Diphenhydramin, Promethazin),
Appetithemmer mit stimulierenden Effekten,
alkoholhaltige Zubereitungen.
Benzodiazepine sollten möglichst nur kurzfristig
(3 - 5 Tage) und in geringer Dosierung verordnet
werden. Das Behandlungsziel (z. B. Überbrückung
einer akuten reaktiven psychischen Erregungsphase) sollte mit dem Patienten klar abgesprochen
werden.
Es sollten Präparate mit mittlerer Wirkdauer ohne
aktive Metaboliten (weil diese wiederum hypnotisch wirken können) verordnet werden wie beispielsweise Oxazepam, Lormetazepam, Temazepam. Die Bezodiazepin-Agonisten Zoleplan, Zolpidem, Zopiclon (so genannte »Z-Drugs«) haben
keinen Vorteil gegenüber den klassischen Benzodiazepinen und können auch zur Abhängigkeit
führen.
Therapie bei Einnahme psychotroper Stoffe
Therapeutisch kann bei jeder stofflichen Abhängigkeit nur ein schrittweises und ehrliches Abstinenzprogramm helfen. Dieses ist bei Konsumenten
harter Drogen (Heroin, Kokain, Crack, Ecstasy, synthetische Drogen u. a.) und bei Polytoxikomanie
(u. a. kombiniert mit Benzodiazepinen, Alkohol) in
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einer speziellen suchttherapeutisch ausgerichteten
Praxis oder Einrichtung anzustreben.
Nach Klärung der individuellen Suchtbedürfnisse und der psychosozialen Ursachen muss der
Patient offen über seine Suchtkarriere und über
seine Prognose aufgeklärt werden.
Der Patient sollte gefragt werden, wie er weiter
leben will.
Es muss ein vertrauensvolles therapeutisches
Bündnis mit dem Patienten geschlossen werden mit der Zusicherung, dass er beim anstehenden Entzug nicht alleine gelassen wird.
In der Regel stationäre Entzugsbehandlung (so
genannte »Entgiftung«).
Danach (oft monatelange) psychosoziale Therapie mit Rehabilitationsmaßnahmen zur Festigung der Abstinenz (bei schweren Verläufen
und bei Abhängigkeit von harten Drogen mehrmonatig stationär), anschließende jahrelange
ambulante nachgehende psychosoziale und
medizinische Nachbetreuung.
Keinesfalls darf ein inzwischen abstinenter
Patient aus anderen therapeutischen Gründen
später ein suchterzeugendes Medikament (auch
anderer chemischer Art, z. B. Benzodiazepine
beim Alkoholiker) erhalten (z. B. alkoholische
Lösungen beim Alkoholiker, kodeinhaltige
Stoffe beim BtM-Süchtigen). Der Rückfall wäre
programmiert.
Der Arzt muss jederzeit mit einem Rückfall
rechnen und darauf vorbereitet sein, dass sofort
eine erneute Therapie notwendig werden kann.
Der Arzt/Therapeut sollte sich im Klaren darüber sein, dass in den meisten Fällen Lügen und
Täuschen zur Symptomatik von Abhängigkeit
gehören und diese Verhaltensweisen nicht gegen ihn als Person gerichtet interpretieren.
Bei Drogenenabhängigen treten verschiedene Probleme auf: Sie sind meist
in schlechter körperlicher Verfassung oft mit
Unterernährung,
sehr häufig infiziert mit chronischer Hepatitis
C und B, erkrankt an chronischen Krankheiten
und Infektionen, (HIV-Infektionen, sekundären
chron. Erkrankungen, Mykosen, Tuberkulose),
betroffen von einer psychiatrischen Komorbidität, oft schon vom Kindesalter her,
ohne jedes Selbstvertrauen, da Versprechen
von ihnen niemals eingehalten werden können
aufgrund der Sucht. Sie treten aber oft aggressiv fordernd auf,
ohne feste soziale Bindungen, bis auf Gruppenbindung mit anderen Suchtkranken,
minder qualifizierte Arbeitslose, da ein
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KVH • aktuell
Suchtkranker nur in Ausnahmefällen eine über
mehrere Stunden täglich gehende Arbeit ausführen kann,
ohne Wohnung und feste Bezugspersonen.
Medikamente zur Suchtbehandlung:
Acamprostat (Campral®) zur Aufrechterhaltung
der Abstinenz,
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Naltrexon (Nemexin®) zur Unterstützung der
Therapie bei vormals Opiatabhängigen,
Vareniclin (Champix®) und Bupropion (Zyban®)
zur Raucherentwöhnung.
Eher geringe Wirkung und teilweise problematische Nebenwirkungen lassen von der Einnahme abraten (ati 2007;38:25-7, 2004;35:33;
2000;31:14; 1996;11:114).
Fehler und Gefahren im Umgang mit Suchtkranken
Aus diesen Gründen muss bei diesen Drogenkranken mit den unterschiedlichsten psychosomatischen Fehlentwicklungen gerechnet werden.
Helfen kann der Arzt dabei nur dann, wenn er
primär – so fremd das auch klingen mag – ein
beiderseitiges Vertrauen und eine gegenseitige
menschliche Respektsphäre über einen längeren
Zeitraum (manchmal über Jahre hinweg) aufbaut.
Das geht im Besonderen dann, wenn dieser Arzt
den Betroffenen in einem Methadonprogramm
betreut und ihn somit einerseits streng nach festen
Spielregeln überwacht und andererseits zur Hilfe
und Empathie bereit ist, die sich in genügender Zeit
für Untersuchungen und kritischen therapeutischen
Gesprächen mit den Patienten ausdrücken kann.
Folgendes gilt es zu vermeiden
Verwechslung einer Suchtkrankheit mit einer
Psychosomatose (z. B. »Montagskrankheiten«
eines Alkoholikers mit psychosomatischen
Beschwerden und Ängsten vor der Arbeit) –
Abklärung durch CAGE-Test möglich (s. o.).
Der Arzt (die Arzthelferin, Familienmitglieder,
Freunde, Arbeitskollegen) dürfen nicht zum
Komplizen (Ko-Alkoholiker) des Betroffenen
werden (durch Vertuschen von Rückfällen, Solidarität der Umgebung bei Fehlleistungen des
Suchtkranken, schützen des Suchtkranken vor
Bloßstellung oder negativen Konsequenzen).
Vermeiden von länger dauernden Medikationen
mit Sedativa – besonders zu vermeiden sind
Benzodiazepine bei Älteren (hierbei möglichst
unter 1 Woche Therapiedauer bleiben und die
Dosis halbieren, z. B. 5 mg Oxazepam/Nacht).
Der Arzt darf sich nicht instrumentieren lassen
zu falscher Komplizenschaft mit dem Suchtkranken. Er sollte, solange der Patient keine
Anstrengungen unternimmt, seine Sucht zu
bekämpfen, z. B. keine Wunschatteste für
nicht gerechtfertigte Vorteile zur Beibehaltung
der Sucht ausstellen, wie Arbeitsunfähigkeitsatteste, Freistellungsatteste usw.
Auch ein falsch verstandenes Helfersyndrom
des Arztes oder der Umgebung des Suchtkranken werden rasch von diesem ausgenützt und
führen zum gegenteiligen Erfolg: die Sucht wird
weiter gepflegt.
Der Hausarzt sollte sich kenntnisreich über die
psychischen und körperlichen Mechanismen
der Sucht (»Schuld haben immer die Anderen,
die Umstände usw.«) informieren und mit den
suchtmachenden Medikamenten zurückhaltend und verantwortungsvoll umgehen.
Obsolet: Flunitrazepam
Es sollte ein verantwortungsvoller Arzt seine
Grenzen kennen und auch das therapeutische
Konzept eines suchtmedizinischen Kollegen
auch dann nicht unterlaufen, wenn er den Fall
nicht näher kennt (z. B. wenn ein lange bekannter Patient, dessen Sucht nur dem Suchtmediziner bekannt ist, um »seine Benzodiazepine«
bittet).
Auch Ärzte müssen von ihrem omnipotenten
Therapieanspruch abrücken können, beispielsweise durch Weiter- und/oder Mitbehandlung
durch psychosoziale Zentren (Drogenzentren,
Psychotherapeuten). Die kompetente und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Spezialisten
ist gerade in der Suchtmedizin unerlässlich.
Fortsetzung im nächsten Heft: Die therapeutischen Aspekte bei psychosomatischen Erkrankungen.

Tischversion
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Palliativversorgung
Informationsblatt für Angehörige
Was tun, wenn die Medikamente nicht mehr
geschluckt werden können?
Diese Situation sollten Sie mit dem Hausarzt besprechen. Meist kann auf einen Teil der Medikamente
verzichtet werden.
Soll der Raum eher hell ausgeleuchtet oder
abgedunkelt gehalten werden?
Die Bedürfnisse des Patienten sind ausschlaggebend.
Der Wunsch des Patienten nach »mehr Licht« kann
Ausdruck für Angst sein.
Kann der Patient verdursten?
Fragen Sie den Patienten, ob er Durst hat. Falls ja,
bieten Sie ihm Flüssigkeit an. Ist er nicht mehr in der
Lage zu schlucken, sollte das Austrocknen des Mundes verhindert werden. Tragen Sie z. B. mit einem
Wattetupfer Butter oder Sahne, auf Wunsch des
Patienten auch Kaffee, Bier oder andere Getränke auf
die Mundschleimhaut auf. Auch Eisstückchen können
gelutscht werden (z. B. gefrorene Säfte, Fruchtstücke
wie Ananas). Lippen eincremen nicht vergessen!
Dürfen die Fenster oder Türen geöffnet sein?
Das Öffnen von Fenstern oder Türen oder der Einsatz
eines Ventilators wird von Patienten oftmals als angenehm empfunden.
Verhungert der Patient?
Für einen Sterbenden ist die Nahrungsaufnahme
unbedeutend, er leidet nicht unter Hungergefühl.
Woher kommt das Röcheln, was muss getan
werden?
Oft sammelt sich in der Sterbephase Sekret am
Kehlkopf oder in den oberen Atemwegen. Durch das
Atmen kommt es zu Schwingungen des Sekretes und
damit zum »Röcheln«. Oftmals ist es für Sie als
Angehörige schwierig, diese Geräusche auszuhalten.
Erstickungsgefahr droht nicht. Ein Absaugen ist in der
Regel nicht notwendig und nicht erfolgreich. Es ist für
den Patienten belastender als das Röcheln selbst.
Aktionismus durch Medikamentengabe (Schleimlöser)
sind zu vermeiden, da sie dem Patienten keine Linderung bringen. Lagerungsversuche sind meist nicht
hilfreich.
Was hilft bei Unruhe des Patienten?
Halten Sie die Hand des Sterbenden und sprechen Sie
beruhigend auf ihn ein. Vielleicht möchte er noch
Dinge besprechen oder regeln. Versuchen Sie herauszufinden, ob Schmerzen oder Angst bestehen. Falls ja,
Bedarfsmedikation anwenden.
Beim Diabetiker: Wie häufig soll der Blutdruck
oder Blutzucker gemessen und wie die blutzuckersenkende Medikation angepasst werden?
Es macht keinen Sinn, bei Sterbenden eine Blutdruckoder Blutzuckermessung durchzuführen mit dem Ziel,
Blutdruck und Blutzucker optimal einzustellen. Medikamente oder Insulingaben können häufig reduziert oder
sogar abgesetzt werden.
Wie umfassend muss die Pflege/das Windelwechseln/Umbetten eines Sterbenden sein?
Leitgedanke sollte sein, den Patienten nicht unnötig zu
belasten. Deswegen sollte man den Wunsch des Patienten respektieren und die Körperpflege nicht erzwingen, sondern auf ein angemessenes Maß beschränken.
Kann der Patient das Umfeld noch verstehen?
Es muss davon ausgegangen werden, dass auch ein
anscheinend teilnahmsloser Patient Ereignisse und
Gespräche, insbesondere wenn sie sich an den
Patienten richten, noch versteht, dass er Berührungen
wahrnimmt und sich mit seiner Umwelt beschäftigt.
Sprechen Sie möglichst in normaler Lautstärke;
beziehen Sie den Patienten in die Gespräche ein,
sprechen Sie nicht »über« ihn, spielen Sie ggf.
beruhigende Musik, wenn er dies mag.
Der sterbende Patient will meistens nicht alleingelassen werden! Geben Sie Zuwendung und
Aufmerksamkeit.
Korrespondenzadresse
Ausführliche Leitlinie im Internet
Hausärztliche Leitlinie
PMV forschungsgruppe
Fax: 0221-478-6766
Email: [email protected]
http:\\www.pmvforschungsgruppe.de
www.pmvforschungsgruppe.de
> publikationen > leitlinien
www.leitlinien.de/leitlinienanbieter/deutsch/pdf/
hessenpalliativ
»Palliativversorgung«
Tischversion: Teil 3 1.0
März 2009
XtraDoc Verlag Dr. Wiedemann, Pfingstbornstr. 38, 65207 Wiesbaden
PVSt Deutsche Post AG,
Entgelt bezahlt,
68689
PH863453V
Tischversion
Tischversion
Epidemiologische Studien zeigen einen Zusammenhang
zwischen dem Auftreten von Herz-Kreislauferkrankungen
und hohen Serumcholesterinwerten. Diese bzw. die Höhe
Betreuung
durch
den Hausarzt
der
HDL- und
LDL-Werte
stellen jedoch nur einen von
Die häusliche
Versorgung
wird heute
in
mehreren
Risikofaktoren
dar.Sterbender
Deshalb empfiehlt
sich für
erster
Linie bei
vonVorliegen
Hausärzten
den
Hausarzt
einerzusammen
Dyslipidämiemit
die AngehöriEinteilung
gen/Bekannten
und anhand
Pflegediensten
geleistet. AlgoDer
in
eine Risikogruppe
von systematischen
Hausarzt
sollte
die
in
seiner
Region
bestehenden
rythmen oder Scores (NCEP, PROCAM). Somit erfolgt eine
Angebote wie
Ambulante
Hospizdienste
(AHD;
Abschätzung
des Risikos
für kardiovaskuläre
Ereignisse
Hospizhelfer)
und
Ambulanter
Palliativpflegedienst
(10-Jahresrisiko) und darauf die Festlegung der Behand(APD; hauptamtliche
Pflegekräfte,
lungsstrategie
mit dem speziell
Patienten.qualifizierte
Für die Risikoeinstufung
24h-Rufbereitschaft)
kennen
und
mit
ihnen
zusamorientiert sich die Leitliniengruppe Hessen an der folgenden
menarbeiten.
Ziel (National
der palliativmedizinischen
BeEinteilung
der Ein
NCEP
Cholesterol Education
handlung
ist
es,
die
physische,
psychische
und
soziale
Program des National Heart, Lung, and Blood Institute,
Situation der Patienten so zu erhalten, dass der Sterhttp://www.nhlbi.nih.gov/guidelines/cholesterol/index.htm):
bende in der von ihm gewünschten Umgebung verblei1. Hohes Risiko (10-Jahresrisiko über 20%): a) Bestehende
ben kann.
koronare Herzkrankheit (KHK), b) KHK-Äquivalente, c)
Diabetes mellitus, d) 2 oder mehr Risikofaktoren**:
Hospiz
2. Mäßig hohes Risiko (10-Jahresrisiko 10-20%): ≥2 RisikoEin Hospiz ist eine Pflegeeinrichtung, in der Schwerstfaktoren* bei errechnetem Risiko**.
kranke in Erwartung des absehbaren Lebensendes be3. Moderates Risiko (10-Jahresrisiko < 10%): ≥2 Risikotreut werden. Die Patienten bleiben in der Regel bis
aktoren* bei errechnetem Risiko**.
zum Lebensende dort.
4. Niedriges Risiko: 0-1 Risikofaktor*
*Risikofaktoren: Zigaretten rauchen, Hypertonie, niedriges
Palliativstation unter 40mg/dl, familiäre Belastung mit
HDL-Cholesterin
Ziel ist es,KHK,
krankheitsund therapiebedingte
Beschwervorzeitiger
Alter (Männer
über 45 Jahre, Frauen
über
den,
die
unter
ambulanten
Bedingungen
nichtScore
be55 Jahre); **errechnetes Risiko: Bsp. mit PROCAM
herrschbar
zu lindern und
wenn möglich, die
(s.
Rückseite) sind,
oder elektronischem
NCEP-Risikokalkulator
Krankheits- Diabetiker
und Betreuungssituation
Betroffenen
Anmerkung:
ohne KHK oder der
KHK-Äquivalente
so
zu
stabilisieren,
dass
sie
wieder
in
das
häusliche
und ohne zusätzliche Risikofaktoren profitieren bei
einem
LDL<115
mg/dL - laut
der jetzigen
Studienlage - nicht von
Umfeld entlassen
werden
können.
einer Therapie mit einem CSE-Hemmer.
Fettstoffwechselstörung Dyslipidämie
Palliativversorgung:
3
von diätetischen Empfehlungen fürTeil
eine
ƒ Einhaltung
„Herzgesunde Ernährung“
Terminal- und Sterbephase
Nur mäßiger Konsum von Alkohol und Vermeidung von
Nikotin
Terminalphase
- Finalphase
ƒ
Die Palliativmedizin unterscheidet zwischen einer
Indikationsstellung für eine medikamentöse Therapie
Terminalphase,
die sich über Wochen bis Monate erUmfassende, unmittelbare medikamentöse Behandlung
strecken
kann und
durchRisiko
eine(Gruppe
zunehmende
Beeinaller Patienten
mit hohem
1: 10-Jahresträchtigung
des
Patienten
(z.
B.
Symptomwechsel)
risiko >20%) und Anstreben eines LDL von 100 mg/dl. gekennzeichnet
ist, Therapie
und derbei
FinaloderderSterbephase.
Medikamentöse
Patienten
Gruppe 2
Dieund
Sterbephase
umfasst
die letztenunter
Stunden
(selten
3 nach individueller
Entscheidung
Berücksichtigung
der Lipidwerte
und nach
Erprobung
lebensstilTage)
des Lebens.
In jeder
Phase
ist konsequent
Maßnahmen.
aufändernder
die bestmögliche
Schmerztherapie zu achten.
Für Patienten der Risikogruppe 4 (0-1 Risikofaktor) sind
Mögliche
klinische Zeichen: erschwertes Schlucken,
lebensstilmodifizierende Maßnahmen im Allgemeinen
Störung
der
Atmung
(Cheyne-Stokes-Atmung,
ausreichend.
ƒ
ƒ
ƒ
»Röcheln«), Arrhythmien, Blutdruckabfall bis zur Puls-
Je nach Risikogruppe wird ein LDL von 100 mg/dL (Gruppe
losigkeit, Anurie, Atonie von Blase und Darm, Er1), 130 mg/dL (Gruppe 2+3) bzw. 160 mg/dL (Gruppe 4)
löschen des Muskeltonus und der Nervenreflexe, Beangestrebt.
wusstseinsstörung, zunehmende »Facies hippocra-
Arzneimittelauswahl:
sollten
Wirkstoffe
eingesetzt
tica«: fahlgraue Haut,Eskalter
Schweiß
auf der
Stirn,
werden,
für
die
Endpunktstudien
mit
günstiger
NNT
und
NNH
spitze und blasse kühle Nase, zurückfallendes Kinn.
vorliegen
(Simvastatin,
Pravastatin).
Für Simvastatin
Die Finalphase
ist eine
dynamische
Situation, (20
in mg
der
und
40 Symptome
mg) und Pravastatin
(40und
mg)bestehende
ist eine Senkung
sowohl
neue
auftreten
Symptome
der
Gesamtmortalität
als auch sein
der kardiovaskulären
verstärkt
oder vermindert
können. Dies Mortamacht
lität
belegt.
Multimorbidität
Multimedikation
sollte Alle
die
häufig
eineBei
Anpassung
der und
Medikation
notwendig.
Indikation
für eine medikamentöse
lipidsenkende
Therapie
nicht benötigten
Medikamente sollten
abgesetzt
und
besonders
streng gestellt
werden. Symptome behandelt
neu aufgetretene,
belastende
Merke:
werden. Um in der Finalphase Einweisungen ins
Bei medikamentöser
Therapie: CK
kontrollieren!
Krankenhaus
zu vermeiden,
sollte
für evtl. hinzu(Rhabdomyolyse
möglich!)
gezogene Notärzte eine Informationsmappe beim
Keine Kombinationstherapie
CSE-Hemmer
Patienten
vorhanden sein (Hinweise
zur+ Fibrate/
Indikation,
Makrolide/Azol-Antimykotika.
Medikation, Arztbrief, Patientenverfügung, Vollmacht,
Wechselwirkungen auch mit anderen Medikamenten
Telefonnummern, Erreichbarkeit des Arztes).
möglich!
Therapieschritte nach “International Task Force for
Bei et
Makrolidtherapie
CSE-Hemmer pausieren!
Subkutane
Medikation
in Disease”:
der Finalphase (mod. nach Bausewein
al., 2005)
Prevention
of Coronary
Heart
Statine
vor chirurgischen Eingriffen und bei akut auftreMedikament
Einzeldosis
Indikationen
Bemerkungen
Basis sind nichtmedikamentöse Maßnahmen, die auf eine
tenden schweren Erkrankungen vorübergehend abMorphin1 des Lebensstils
2,5-10 zielen:
mg
Schmerzen, Luftnot
Veränderung
setzen! Auf Compliance achten, auf abendliche EinnahScopolamin
0,2-0,4
mg
Schmerzen,
Rasseln
alternativ: Butylscopolamin
Erhalten des normalen
Körpergewichtes
oder
me des CSE-Hemmers hinweisen.
Gewichtsreduktion 2,5-10
bei Übergewicht
Midazolam
mg
Angst, terminale Agitierts.c. Gabe möglich, aber nicht zugelassen;
Evidenzbasierte Patienteninformationen sind unter
Steigerung der körperlichen Aktivität
heit, Epileptische Anfälle
alternativ: Diazepam Trpf. bzw. Supp.
www.gesundheitsinformation.de abrufbar.
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Metoclopramid
Haloperidol
1
10 mg
0,5-10 mg
Übelkeit, Erbrechen
Unruhe, Delirium, Übelkeit
s.c. Gabe möglich, aber nicht zugelassen
s.c. Gabe möglich, aber nicht zugelassen
bei Patienten, die bereits längerfristig mit hohen Opioiddosen behandelt wurden, gegebenenfalls deutlich mehr
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