5. SINFONIE KONZERT TfN · Philharmonie | Lüneburger Symphoniker Spielzeit 2016/17 BEKENNTNIS-WERKE 5. SINFONIEKONZERT Samstag, 20. Mai 2017, 20:00 Uhr, Großes Haus Hildesheim In Verbindung mit dem Kulturring Hildesheim Sonntag, 21. Mai 2017, 19:00 Uhr, Meisterkonzert No. 6, Theater Lüneburg Gemeinschaftskonzerte mit den Lüneburger Symphonikern BEKENNTNIS-WERKE Hans Pfitzner Palestrina Eine musikalische Legende in drei Akten Vorspiele 1. Akt: Ruhig (Andante) 2. Akt: Mit Wucht und Wildheit 3. Akt: Langsam, sehr getragen Richard Wagner Karfreitagszauber aus dem Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ – Pause – Gustav Mahler Das Lied von der Erde für eine Tenor- und eine Bariton-Stimme und Orchester 1. Das Trinklied vom Jammer der Erde. Allegro pesante 2. Der Einsame im Herbst. Etwas schleichend. Ermüdet 3. Von der Jugend. Behaglich heiter 4. Von der Schönheit. Comodo Dolcissimo 5. Der Trunkene im Frühling. Allegro. Keck, aber nicht zu schnell 6. Der Abschied. Schwer Chris Lysack, Tenor Timothy Sharp, Bariton SOLISTEN TfN · Philharmonie – Lüneburger Symphoniker 2 DIRIGENT Werner Seitzer ZEIT UND EWIGKEIT Die Begegnung mit dem Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ von Richard Wagner wurde für den 22-jährigen Gustav Mahler zur Offenbarung. Es war ihm „das Größte, das Schmerzlichste“ aufgegangen, schrieb er im Brief an einen Freund. Mahler fühlte sich ermutigt in dem Entschluss, als Komponist und Dirigent sein Leben hinge­bungsvoll der Musik zu weihen. Das frühlingshafte Natursäuseln des Karfreitagszaubers aus dem dritten Akt des „Parsifal“ atmet eine selige Schwerelosigkeit. Es ist ein nicht enden wollender Erlösungsgesang, sanft ausgebreitet in einem grandiosen sinfoni­schen Stimmungsbild. Dass der tief religiös gestimmte und naturverbundene Mahler davon berührt wurde, überrascht nicht. Man muss nicht Anthroposoph Parsifal, 3. Akt: Gemälde um 1900 sein, um eine Wahrheit in den gleichwohl patheti­schen Worten Rudolf Steiners zu finden: „Die tiefe Verwandtschaft der Karfreitags­idee, der Erlösungsidee, mit der sprießenden, sprossenden Natur, das lebte in Richard Wagner, und diese Idee ist identisch mit dem, was wir als die Gralsidee schildern konnten, wo die keusche Pflanze mit ihrer Blüte der Sonne entgegenstrebt im Gegensatz zum begierdevollen Menschen.“ Einige Zeilen weiter heißt es in Steiners Beitrag „Richard Wagner und die Mystik“ (1907): „Aus dem Tod die werdende Pflanzenwelt und im Tod dem Christen das unsterbliche Leben. Da empfand er [Wagner] den Geist hinter allen Dingen und den Geist als Sieger über den Tod.“ Mahler war von der Todesproblematik genauso affiziert wie von der Natur, was sich beides in den eigenen Werken auslegte. Zu den von Mahler dirigierten Komponisten gehörte der neun Jahre jüngere Hans Pfitzner, dessen Oper „Die Rose vom Liebesgarten“ er in Wien aufführte. Obschon beide Tonschöpfer stilistisch recht verschieden waren und dem Älteren der Konser­ vatismus des Jüngeren wenig behagte, hätte den bereits 1911 verstorbenen Mahler das Künstlerethos im Kreuzfeuer der Meinungen aus dem 1917 uraufgeführten „Palestrina“ interessieren können. Auch Mahler bekam als Komponist Gegenwind 3 zu spüren. Die drei Vorspiele zur Oper „Palestrina“ bilden quasi eine spätromantische Programm-Sinfonie, deren Sätze im Gegensatz etwa zu Franz Liszts „FaustSymphonie“ um eine einzige Person kreisen. Pfitzner besingt den Kompo­nisten Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525 – 1594) und dessen angebliche Rolle als Bewahrer der Kirchenmusik auf dem Konzil von Trient. Das zart-elegische Vorspiel zum 1. Akt „kündet von Palestrinas tiefer, aus Schaffensnot geborener innerer Einsamkeit und Verzweiflung“, schreibt Wilhelm Zentner in „Reclams Opernführer“. Das furios-majestätische Orchestervorspiel zum 2. Akt schildert laut Zentner „mit Wildheit und Wucht das aufgeregt lärmende, gewaltsame Treiben der Welt. Es stellt einen polaren Gegensatz zur Einleitung des 1. Aktes Gustav Mahler (stehend) 1905 mit Hans Pfitzner (rechts), dar und bereitet vor auf das Max Reinhardt und Carl Moll (Mitte von links) Konzil zu Trient, wo neben vielen anderen Punkten auch die Frage der Kirchenmusik entschieden werden soll“; zu guter Letzt spiegelt das abgeklärte Vorspiel zum 3. Akt „den inneren Frieden wider, den Palestrina gefunden“. Vor achtzehn Jahren stand schon einmal ein Spätwerk Gustav Mahlers auf dem Programm des letzten Sinfoniekonzerts der Saison. Damals war es das Adagio der unvollendeten 10. Symphonie. Im Programmheft fand sich Rainer Maria Rilkes Gedicht „An die Musik“. Es rührt an das, was nur noch zaghaft in Worte sich fügt: Musik ist „uns entwachsener Herzraum. Innigstes unser, das uns übersteigend, hinausdrängt“, ist „heiliger Abschied“ und „geübteste Ferne“. Wie Mahlers letztes Adagio ist auch Das Lied von der Erde „solch ein Werk des heiligen Abschieds, ein Zeugnis des Fortgangs und Bleiben-Wollens, ein Lebewohl, das in seinem Innersten schon nicht mehr von dieser Welt ist“, schrieb ich über das Konzert (Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 8.6.1999). „Der Abschied“ aus „Das Lied von der Erde“ ist wie Mahlers Adagio „ein zärtliches Gebet, ein Hören zwischen den Tönen, das resigniert zu nennen ein Missverständnis wäre“. 4 Die Textzeile „Dunkel ist das Leben, ist der Tod“ aus dem Eröffnungssatz könnte über dem Gesamtwerk des Tondichters stehen. Mahler hatte 1892 „Das irdische Leben“ aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ aufregend intensiv als Warnung vertont, das Not-Wendige nicht zu vertagen und das hungernde Kind nicht der Betriebsamkeit zu opfern, auch wenn sie noch so sehr der alltäglichen Sorge verpflichtet ist. Als er 1905 die „Kindertotenlieder“ nach Friedrich Rückert zur Uraufführung brachte, konnte er nicht ahnen, dass ihn zwei Jahre später der Tod seiner kleinen Tochter Maria Anna in tiefe Verzweiflung stürzen sollte. In den schmerzerfüllten, aber nicht untröstlichen „Kindertotenliedern“ steckt Mahlers tragisches Weltempfinden, das in lyrischen Herztönen auf Erlösung drängt – eine liebevolle Mystik in Tönen. Leise verschwebt der letzte Gesang in einem unfassbaren wiegenden Rhythmus. Auch der Schluss des „Liedes von der Erde“ atmet sich aus und ist von heiligem Odem erfüllt. „Dunkel ist das Leben, ist der Tod“ klingt im Wort wie in der Musik zunächst ohne Hoffnung. Doch Mahler lichtet diese Erfahrung und führt das Orchester bei der Wiederholung dieser Worte in selige Höhen. Die Schmerztöne verwandeln sich in reine Erlösungshoffnung. Inhaltlich kreisen die mit starken Naturbildern verknüpften und in teils penta­ tonischen Motiven verdichteten Lieder um die Vergänglichkeit des Menschen. Sie singen vom Weltschmerz und von der Bitternis, angesichts der neu erblühenden Natur und des lustvollen Spiels der Mädchen und Jungen dennoch Abschied nehmen zu müssen. Im Trinklied vom Jammer der Erde, das mit ernstem Fanfarenruf den farbenreich instrumentierten Zyklus eröffnet, erscheint auf den ersten Blick alles düster. Alkohol dient als Tröster in der Verzweiflung und als trügerisches Narkotikum in einer fatalistisch beschworenen Welt. Der Einsame im Herbst gibt sich rondoartig und bleibt schwermütig, bis auf eine kurze Aufhellung gegen Ende. Von der Jugend ist ein keckes, plauderfreudiges Scherzo. Von der Schönheit kontrastiert ein zartes Menuett der Mädchen mit dem kraftvollen Stürmen und Drängen der Jungen. Der Trunkene im Frühling, noch einmal ein bitteres Trinklied, ist erneut ein scherzohaftes Tongebilde, spitz, grotesk und elendstrunken. Der Abschied, der längste und erschütterndste Satz, singt melancholisch von der tröstlichen Natur und dem Abschiedstrunk des geheimnisvollen „Freundes“. Der Mensch findet in tiefem Einverständnis seinen inneren Frieden und eine ewige Gegenwart. Mahler komponiert Fernöstliches mit seiner dostojewskischen Seele, die den Zweifler Iwan Karamasow und den gläubigen Sanftmut des Bruders Aljoscha zueinander in Beziehung bringt. Trotz aller Traurigkeit, die Mahlers Seele ergreift, rührt sie wie Aljoschas Demut scheu ans Unendliche. Wie immer man den entsagungsvollen Gesang „Abschied“ mit dem zärtlich entschwebenden Wort „ewig“ weltanschaulich 5 deuten will, er atmet einen Trost und eine Erlösung, wie sie vorher und nachher kaum je in Musik gesetzt worden sind. Die Komposition, nicht bloß der von Mahler eingerichtete Text nach Hans Bethges „Die chinesische Flöte“, stellt sich als reine Poesie dar – „rein“ auch im Sinne von „gereinigt, geläutert“ – und kann darum nur lauter sein. Das Werk wurde im Bewusstsein der Endlichkeit des Menschen geschrieben, war aber mitnichten ein abergläubischer Versuch, dem Sensenmann ein Schnippchen zu schlagen. Mahler umgeht die ‚magische‘ Zahl 9 nicht, über die Beethoven, Bruckner und Dvořák als Symphoniker nicht hinausgekommen sind. „Das Lied von der Erde“ ist sui generis zu verstehen, als einzigartige Verbindung von symphonischen Teilen und Liederzyklus. Es konnte daher nach der großen Achten auf den Pfingsthymnus und den Schluss von Goethes „Faust II“ nie eine kaschierte neunte Symphonie werden. Die conditio humana ist Mahlers Musik genauso tief eingeschrieben wie die Umarmung einer sich in ihr zeigenden, dann wieder sich verbergenden und doch immer geheimnisvoll anwesenden Transzendenz. „Das Lied von der Erde“ ist ein irdischer Gesang, den Mahler aber nie ohne erlösende Linderung vorträgt. In Mahlers dritter Symphonie lagen den einzelnen Sätzen verschwiegene, privat offenbarte Assoziationen zugrunde. „Was mir die Liebe erzählt“ hieß es zum äußerst feinsinnigen Finalsatz, wie alle Sätze ein Lied ohne Worte. Für das Wort „Liebe“ setzte Mahler auch „Gott“ ein. Ein allumfassender Liebeshymnus war nicht minder die Achte. In seiner symphonischen Kantate, dem „Lied von der Erde“, kehrt Mahler auch wieder beim Wort ein, das er mit seiner tiefgreifenden Existenzmusik vermählt. Der englische Dramatiker Christopher Fry nannte eines seiner Stücke „Das Dunkel ist Licht genug“. Diese ahnungsvollen Worte würden auf Mahler gut zutreffen. Sie klingen widersprüchlich, wie Mahlers vielseitig timbrierte Musik widersprüchlich ist. Aber selbst im Dunkeln lassen sich Umrisse erkennen. Mahler wirft einen wissenden Blick auf das von Sorgen durchwirkte Leben und erspürt trotz allem die Erlösung. In seiner Musik schafft er beides in uneinholbarer Intensität: die sorgenvolle Existenz abzubilden und ewige Seligkeit zu antizipieren. Roland Mörchen 6 Der kanadische Tenor Chris Lysack schloss zunächst sein Klavierstudium und Studium der französischen Literatur an der Universität Indiana mit Auszeichnung ab, bevor er sich dem Gesang zuwandte und 2008 sein Gesangsstudium an der Manhattan School of Music aufnahm. 2012–2015 war er Ensemblemitglied an der Hamburgischen Staatsoper. Gastspiele führten ihn an das Theater Bern und an das Queensland Performing Arts Centre Brisbane. In „Die Meistersinger von Nürnberg“ gab er 2014/15 als Walther von Stolzing sein Debut am Theater Bremen. Zu Lysacks breitem Spektrum zählen Titelpartien in „Lohengrin“, „Hoffmanns Erzählungen“ und „Peter Grimes“, dazu Florestan in „Fidelio“ (am TfN) und Cavaradossi in „Tosca“. Der vielseitige Tenor hat zudem ein besonderes Interesse an tschechischer Musik. So wurde er als Prinz in Dvoraks „Rusalka“ sowie als Laca Klemeň in Janáceks „Jenufa“ am Theater Aachen gefeiert. Auch als Konzertpianist ist Lysack noch zu erleben. Seit 2016 ist er Ensemblemitglied am Theater Bremen, wo er sein Rollendebut als Parsifal gibt. Der Bariton Timothy Sharp wurde in Augsburg geboren. Er studierte an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin und besuchte Meisterkurse bei Hans Hotter, Brigitte Fassbaender, Peter Schreier und Dietrich Fischer-Dieskau. Der Preisträger nationaler und internationaler Wett­bewerbe verfügt über ein breites Spektrum: vom Barock in historischer Aufführungspraxis (Titelpartie in Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“) über „klassische“ Opernpartien wie Eugen Onegin bis hin zur Musik der Gegenwart (inkl. Erst- und Uraufführungen). Konzertund Opernengagements führten ihn unter anderem an die Bayerische Staatsoper München, die Oper Köln, das Teatro San Carlo in Neapel und das Teatro La Fenice in Venedig. Außerdem veröffentlichte er CDs, komponierte „Vergänglichkeit“ nach Hermann Hesse und gab zahlreiche Konzerte und Lieder­abende, so ein Konzert mit Mahler-Orchesterliedern unter Marcus Bosch oder ein Recital mit dem DeutschenSaxophon-Ensemble beim Schleswig-Holstein-Festival und dem Rheingau Musikfestival. Am TfN singt er 2016/17 die Titelpartie in Mozarts „Don Giovanni“. 7 IMPRESSUM TfN · Theater für Niedersachsen Theaterstr. 6, 31141 Hildesheim www.tfn-online.de Spielzeit 2016/17 Jörg Gade PROKURISTEN Claudia Hampe, Werner Seitzer REDAKTION Roland Mörchen FOTOS Archiv, außer S. 7: Chris Lysack: Rebecca Fay Photography/Timothy Sharp: Nikolaus Karlinský TEXTE S. 3-6: der Text von Roland Mörchen ist ein Originalbeitrag für dieses Programmheft; S. 7: Lysack-Vita bearbeitet nach www.chrislysack. com und www.theaterbremen.de / www.timothysharp.de (gekürzt) GESTALTUNG ProSell! Werbeagentur GmbH, Hannover LAYOUT Jolanta Bienia | DRUCK Sattler Direct Mail GmbH & Co. KG INTENDANT Gefördert durch: Medienpartner: Sponsoren/Partner: Freunde des Theater für Niedersachsen e. V. GEBANNT ZUHÖREN – IM KONZERT-ABO • Nie wieder ein Neujahrskonzert verpassen • Stammplatz-Garantie bei allen Sinfoniekonzerten • Ersparnis von bis zu 40 % gegenüber dem Einzelkartenkauf • Nutzen Sie als TfN-Abonnent exklusiv die kostenfreien Parkplätze bei der Volksbank Hildesheim INFOS UND BUCHUNG: 05121 1693-1693 | [email protected]