Ökonomie

Werbung
Ökonomie
4/06
in der Praxis
..
OO GKK
FORUM GESUNDHEIT
Serviceblatt fŸr Behandlungsškonomie
INHALT
Die medikamentöse Therapie
des neuropathischen Schmerzes ............................ 2
Arzneimittelwechselwirkungen
Statin und Makrolid ........................................................ 5
Adipositas ................................................................................ 6
Das EBM-Eck: p-Wert und
statistische Signifikanz
..................................................
8
Die medikamentöse Therapie
des neuropathischen Schmerzes
OA Dr. Mario Jeschow, FA für Neurologie und Psychiatrie, Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried i. Innkreis
Die Therapie des neuropathischen Schmerzes hat in den letzten Jahren deutliche Fortschritte erfahren. Neuropathische Schmerzen sind laut Definition der IASP (International Association for the Study
of Pain) Schmerzen, die durch eine Läsion oder Dysfunktion des Nervensystems verursacht werden,
wobei die Ursache in dieser Definition unberücksichtigt bleibt.
‘Hinsichtlich der Häufigkeit gibt es derzeit keine exakten Zahlen,
man nimmt an, dass ca. sechs bis acht Prozent der europäischen Bevölkerung an neuropathischen Schmerzen leiden, dies
gilt in etwa auch für die österreichische Bevölkerung, wobei auch
höhere Zahlen möglich sind.
Es gibt viele Patienten, die keine adäquate Therapie erhalten. In
einer Erhebung in den USA zeigten sich nur 30 Prozent der Ärzte
in der Lage, neuropathische Schmerzen sicher zu diagnostizieren, und nur 20 Prozent der Ärzte gaben an eine adäquate Therapie zu kennen.
Insgesamt muss man konstatieren, dass chronische Schmerzen
zu einer Verschlechterung des psychosozialen Status der
Patienten führen. Einerseits kommt es durch physische Veränderungen zu Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen
Lebens, andererseits treten psychische Veränderungen wie vermindertes Selbstwertgefühl, Depressionen und Schlafstörungen
auf. Daraus resultiert eine Verminderung der sozialen Aktivität,
Zerbrechen des sozialen Beziehungsgefüges mit zum Teil massiven Auswirkungen für den Patienten und seine Umgebung, für
das Gesundheitssystem bedeutet dies steigende Kosten.
Neuropathische Schmerzen können vielerlei Ursachen haben:
Sie können einerseits durch direkte Nervenverletzungen, Rükkenmarksverletzungen und durch Schlaganfall ausgelöst werden, aber auch durch multiple Sklerose oder Syringomyelie entstehen. Komprimierende Erkrankungen wie Bandscheibenvorfälle, Narbenzug nach spinalen neurochirurgischen Eingriffen,
Engpass-Syndrome oder auch Einengung der nervalen Strukturen durch Tumorprogression sind ebenfalls als Ursache für neuropathische Schmerzen anzusehen. Weiters entstehen sie aufgrund von Schädigungen durch Entzündungen wie Herpes
zoster, HIV, durch metabolische Ursachen, wie z.B. die diabetische Neuropathie, durch Radiatio, immunologische Ursachen,
aber auch durch pharmakologische und chemische Noxen.
An Symptomen zeigen sich Hypästhesien, Dysästhesien, Parästhesien, dauerhaft brennende, aber auch anfallsartige, spontane Schmerzen, thermische und mechanische Hyperalgesie,
Kälte-,Wärme- und taktile Allodynie.
Die Diagnose von neuropathischen Schmerzen setzt eine sorgfältige Anamnese voraus. In weiterer Folge werden eine motorische
und sensible Untersuchung des schmerzhaften Areals durchgeführt, eine weitere strukturelle Abklärung mittels Neuroimaging
(z.B. Magnetresonanztomographie, Computertomographie), sowie
4/06
Ökonomie
in der Praxis
Labor- und elektrophysiologische Untersuchungen. In Einzelfällen
sind auch weitere Zusatzuntersuchungen notwendig.
In den Therapieansätzen wird die pharmakologische Therapie
der nichtpharmakologischen, nebenwirkungsarmen Behandlung
wie zum Beispiel Biofeedback, Entspannungsübungen und
TENS gegenübergestellt. Zudem muss der Patient zur Selbsthilfe bzw. auch zum Selbstmanagement motiviert werden.
An erster Stelle der Behandlungsstrategie steht eine kurative
oder kausale Therapie zur Beseitigung der Ursache und das
Erzielen von Schmerzfreiheit bzw. Reduktion der Schmerzen auf
ein tolerables Niveau. Mit einer medikamentösen Therapie ist in
etwa eine 50- bis 80prozentige Schmerzreduktion zu erwarten.
Die Therapie neuropathischer Schmerzen ist immer eine Individualtherapie mit einer nahezu detektivischen Vorgehensweise,
die viel Zeit und Geduld von Patient und Arzt verlangt. Es ist darauf zu achten, dass die empfohlenen Medikamente wenig
Nebenwirkungen in Bezug auf zusätzliche Erkrankungen des
Patienten haben, Medikamenten-interaktionen sollen vermieden
werden. Weiters ist ein Behandlungsplan zu erstellen, der unter
anderem zeitbezogene realistische Ziele beinhaltet. Ansonsten
werden bei vorzeitigem Therapieabbruch gute Optionen verspielt. So kommen zum Beispiel immer wieder Patienten zum
Arzt und geben an: „Alle Medikamente wurden schon versucht,
jedoch ohne Erfolg“.
Die evidenzbasierte Therapie listet insbesondere Substanzen
auf, die in adäquaten validen klinischen Studien eine statistisch
signifikante Schmerzverbesserung gegenüber Placebo erbracht
haben.
Dies zeigt sich auch in der Number Needed to Treat
(NNT):Diese stellt die Anzahl an Patienten dar, die benötigt wird,
um bei einem Patienten eine Schmerzreduktion um mindestens
50 Prozent zu erreichen. Gegenübergestellt wird die Number
Needed to Harm (NNH), als die Anzahl an Patienten, die eine
wesentliche Nebenwirkung erfahren.
Klassifikation der Evidenzklassen und Empfehlungsstärken:
↑↑ Aussage zur Wirksamkeit wird gestützt durch mehrere
adäquate, valide klinische Studien (z. B. randomisierte klinische
Studien) bzw. durch eine oder mehrere valide Metaanalysen
oder systematische Reviews. Positive Aussage gut belegt.
2
Erste Wahl
Versagen von
Amitriptylin oder
2 anderen AD
Antidepressiva (AD)
I Trizyklische AD
I SNRI
I SSRI
Antiepileptika (AE)
Topische Antineuralgika
bei speziellen Indikationen
Versagen von
Gabapentin oder
2 anderen AE
Zweite Wahl
Narkotika
Dritte Wahl
I Tizanidin
I Baclofen
I Dextromethorphan
I Amantadin
I Memantin
I Ketamin
I Clonidin
I Mexiletin
I Lithium
Spezialisiertes Schmerzzentrum
Interdisziplinäres Team:
I Anästhesie
I Orthopädie
I Neurologie
I Psychologie
Vierte Wahl
Allein oder in Kombination
Interventionelle invasive Verfahren
I Schmerzpumpe
I Stimulationssonde
Unspezifische adjuvante Analgetikatherapie
I Ibuprofen
I Naproxen
I Indomethacin I Celecoxib
I Acetaminophen I Aspirin
Versagen von
AD und/oder AE
Kombinationstherapie
I Antidepressiva
I Antiepileptika
I Narkotika
Cave Intoxikation
Abb.: In Anlehnung an Univ. Prof. Dr. Stefan Quasthoff, Neurologische Universitätsklinik, medizinische Universität Graz
↑ Aussage zur Wirksamkeit wird gestützt durch zumindest
eine adäquate, valide klinische Studie (z. B. randomisierte klinische Studie). Positive Aussage gut belegt.
↓↓ Negative Aussage zur Wirksamkeit wird gestützt durch eine
oder mehrere adäquate, valide klinische Studien(z. B. randomisierte klinische Studien) bzw. durch eine oder mehrere valide
Metaanalysen oder systematische Reviews. Negative Aussage
gut belegt.
↔ Es liegen keine sicheren Studienergebnisse vor, die eine
günstige oder ungünstige Wirkung belegen. Dies kann bedingt
sein durch das Fehlen adäquater Studien, aber auch durch das
Vorliegen mehrerer, aber widersprüchlicher Studienergebnisse.
Mittel der ersten Wahl
Interaktionen: mit Digoxin, hormonale Kontrazeptiva, Antikoagulanzien, Makrolidantibiotika, Isoniazid, Kalziumantagonisten,
Cimetidin, Desipramin, Phenobarbital, Phenytoin, Valproinsäure,
Theophyllin.
Studien: Trigeminusneuralgie ↑↑, Polyneuropathie ↑,
NNT bei Trigeminusneuralgie 1,8 (95% CI 1,4 – 2,8), NNT bei
Polyneuropathie 3,3 (95% CI 2 – 9,4), NNH für schwere Nebenwirkungen (die zu Studienabbruch führten) wird nicht angegeben, NNH für leichtere Nebenwirkungen 3,7 (95% CI 2,4 – 7,8).
Oxcarbazepin (ATC-Code N03AF02)
Dosierung: ≤ 600 mg/Tag, bis max. 1200mg/Tag.
Nebenwirkungen: Weniger NW als Carbamazepin; Hyponatriämie.
Interaktionen: Weniger Interaktionen als Carbamazepin.
Studien: Polyneuropathie ↑, NNT 6.
Lamotrigin (ATC-Code N03AX09)
Antikonvulsiva
Carbamazepin (ATC-Code N03AF01)
Dosierung: 100 bis 400 mg/Tag, selten mehr, mit einem Serumspiegel von 5 bis 10 mg/l.
Nebenwirkungen: Müdigkeit, Somnolenz, Verwirrtheit, Schwindel, Ataxie, Übelkeit, Erbrechen, Gewichtszunahme, Hyponatriämie, allergische Hautreaktionen, sowie auch BB-Veränderungen
z. B. Leukopenie und achtfach erhöhtes Risiko einer Agranulozytose, weiters Transaminasenerhöhungen.
Aufgrund des Nebenwirkungsprofils kommt es häufig zum Therapieabbruch.
3
Dosierung: einschleichend mit 25 mg und Steigerung um 25 mg
jede Woche – Wirkbereich 50 mg bis 400 mg/Tag, ab ca. 200 mg
kann eine gute Wirkung erwartet werden.
Nebenwirkungen: Benommenheit, Verwirrtheit, Hautausschläge.
Studien: Polyneuropathie ↑, Rückenmarksläsion ↑, HIV-Neuropathie ↑, Schlaganfall ↑.
Gabapentin (ATC-Code N03AX12)
Dosierung: 900 mg bis 3600 mg auf drei Gaben verteilt, eine
signifikante Wirkung ab ca. 1800 mg.
Nebenwirkungen: Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Schwindel, Ataxie, Übelkeit, Erbrechen, Gewichtszunahme, Ödeme.
Ökonomie
in der Praxis
4/06
Interaktion: Antazida können die Bioverfügbarkeit bis zu 25 %
verringern.
Studien: Polyneuropathie und postzosterische Neuralgie ↑↑,
HIV-Neuropathie ↑, Phantomschmerz ↑, neuropathischer Krebsschmerz ↑, Rückenmarksläsion ↑, komplexes regionales
Schmerzsyndrom und gemischtes Kollektiv ↑.
NNT 4,3 (95% CI 3,5 – 5,7), NNH für schwere Nebenwirkungen
(die zu Studienabbruch führten) als nicht signifikant, NNH für
leichtere Nebenwirkungen 3,7 (95% CI 2,4 – 5,4).
Lokale Therapie
Pregabalin (ATC-Code N03AX16)
Dosierung: 5 % Pflaster bis zu 3 für 12 h jeden Tag.
Nebenwirkungen: Hautrötung, Blasenbildungen.
Studien: postzosterische Neuralgie ↑↑, gemischtes Kollektiv ↑.
Dosierung: beginnend mit 150 mg bis zur max. Tagesdosis von
600 mg auf 2 Tagesdosen verteilt; im Vergleich zu Gabapentin ist
auf Grund der linearen Kinetik eine raschere Aufdosierung möglich.
Nebenwirkungen: wie Gabapentin.
Studien: Polyneuropathie und postzosterische Neuralgie ↑↑
NNT 3,4 - 4,2 (95% CI 2,6 – 7,3).
Capsaicin (ATC-Code M02AB)
Dosierung: Konzentration von 0,05 bis 0,075 % 4 x tgl. für 4 bis
6 Wochen.
Nebenwirkungen: initialer Brennschmerz.
Studien: Polyneuropathie, postzosterische Neuralgie und posttraumatische Neuralgie↑.
Lidocain (ATC-Code N01BB20)
Mittel der zweiten Wahl
Narkotika mit Fentanyl, Hydromorphon, Levorphanol, Morphin,
Oxycodon, Tramadol.
Antidepressiva
Tramadol (ATC-Code N02AX02)
sind ebenso in die erste Wahl zu nehmen – hier vor allem die Tricyclica wie z. B. Amytriptylin, sowie selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI).
Dosierung: 50 bis 100 mg initial bis 400 mg als Tagesdosis.
Nebenwirkungen: Übelkeit, Verwirrtheit, Obstipation, Schwindel, Kopfschmerzen und Somnolenz.
Studien: Polyneuropathie ↑↑, postzosterische Neuralgie ↑.
Amytriptylin (ATC-Code N06AA09)
Oxycodon (ATC-Code N02AA05)
Dosierung: 10 bis 15 mg abends mit wöchentlicher Steigerung
in 10 bis 25 mg Schritten bis 100 mg.
Nebenwirkungen: Anticholinerge Wirkungen – EKG Veränderungen, Rhythmusstörungen, orthostatische Dysregulation,
Übelkeit, Erbrechen, Gewichtszunahme, Sedierung, Unruhe und
Verwirrtheit.
Interaktionen: z. B. Antiarrhythmika vom Chinidintyp, Anticholinergika, Katecholamine, Digitalisglykoside, Sedativa, Neuroleptika, MAO-Hemmer, orale Antikoagulantien.
Studien: Polyneuropathie und postzosterische Neuralgie↑↑,
posttraumatische Neuralgie und Schlaganfall ↑.
NNT 2 (95% CI 1,7 – 2,5), NNH für schwere Nebenwirkungen
(die zu Studienabbruch führten) 16 (95% CI 10 – 45), NNH für
leichtere Nebenwirkungen 4,6 (95% CI 3,3 – 6,7).
Dosierung: postherpetische Neuropathie:
Oxycodon CR ≤ 30 mg 2 x 1, im Durchschnitt
45 +/–17 mg/Tag.
schmerzhafte diabetische Neuropathie:
Oxycodon CR ≤ 60 mg 2 x 1,
im Durchschnitt 37 +/- 21 mg/Tag.
Nebenwirkungen: Obstipation, Sedation, Übelkeit, Verwirrung,
Hypotension und Juckreiz.
Studien: Polyneuropathie ↑↑, postzosterische Neuralgie ↑.
Venlafaxin (ATC-Code N06AX16)
Dosierung: ≥150 mg/Tag.
Nebenwirkungen: Hypertonie, Übelkeit, Unruhe, Schlafstörungen, Inappetenz.
Studien: Polyneuropathie ↑↑, NNT 4,5.
Duloxetin (ATC-Code N06AX21)
Dosierung: von 60 bis 120 mg/Tag.
Nebenwirkungen: Hepatotoxizität, Übelkeit, Mundtrockenheit,
Obstipation.
Studien: Polyneuropathie ↑↑.
Mirtazapin (ATC-Code N06AX11)
Dosierung: 15 – 30 mg/Tag.
Nebenwirkungen: Wenig anticholinerge Nebenwirkung, Körpergewichtszunahme.
Studien: ↔
4/06
Ökonomie
in der Praxis
Bei Versagen von Monotherapien sind Kombinationstherapien mit
Antidepressiva, Antiepileptika, Narkotika zu erwägen, hier ist
jedoch insbesondere bei älteren Patienten auf gravierende Nebenwirkungen bzw. Interaktionen zu achten, welche sich klinisch bis
zu einem komatösen Zustandsbild präsentieren können.
Wie auch im Flussdiagramm ersichtlich, sollten Patienten, bei
denen mit den angeführten Medikamenten keine ausreichende
Wirkung erzielt werden kann, in einem spezialisierten Schmerzzentrum behandelt werden. Auch ist in weiterer Folge zu prüfen
ob interventionelle und invasive Verfahren eine entsprechende
Verbesserung der Schmerzsituation bringen können.
Grundsätzlich sollte die Erkrankung so früh wie möglich diagnostiziert und therapiert werden.
Literatur beim Verfasser
Kontaktadresse:
Dr. Mario Jeschow
Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried i.I.
Schlossberg 1
A-4910 Ried i.Innkreis
E-Mail: [email protected]
4
A r z n e i m i t t e l w e c h s e l w i r k u n g e n
2
Wechselwirkung Statin und Makrolid
Häufigkeit der gemeinsamen Medikation aus einer Analyse der Abrechnungsdaten
Im Austria Codex wird die Bedeutung der Interaktionen von Statinen und Makrolid-Antibiotika als schwerwiegend kategorisiert:
Es wird auf die erhöhte Inzidenz von seltenen Nebenwirkungen
der Cholesterol-Synthese-Hemmer (CSE) und die Gefahr einer
Myopathie und Rhabdomyolyse mit Nierenversagen bei gleichzeitiger Einnahme hingewiesen. Einige Krankenversicherungsträger haben daher die Rezeptdaten analysiert, um die Häufigkeit dieser Kombinationstherapie zu evaluieren.
Einleitung
Der Mechanismus der Interaktion ist gut untersucht. Die Makrolid-Antibiotika hemmen in unterschiedlichem Ausmaß (Erythromycin > Clarithromycin, Josamycin, Roxithromycin > Azithromycin, Spiramycin) das Cytochrom-P450-Isoenzym CYP3A4,
durch das die betroffenen CSE-Hemmer metabolisiert werden.
Auch das mit Makroliden verwandte Ketolid-Antibiotikum Telithromycin hemmt CYP3A4. Bei gleichzeitiger Behandlung mit
Makrolid-Antibiotika wurden erhöhte Plasmakonzentrationen
von Lovastatin, Simvastatin und Atorvastatin bzw. ihrer Metaboliten gefunden, die mit den Myopathien in Verbindung gebracht
wurden. Fluvastatin wird nicht, Pravastatin und Rosuvastatin
werden nur in geringem Ausmaß durch CYP3A4 metabolisiert.
Allerdings wurde auch bei Pravastatin ein signifikanter Anstieg
des Serumspiegels (um ca. 70 - 130%) bei gleichzeitiger
Behandlung mit Erythromycin oder Clarithromycin beobachtet
(Austria Codex).
Erwartungshaltung
Eine Publikation mit italienischen Daten weist eine Co-Verordnung eines Makrolid-Antibiotikums bei 3,2% aller Statinpatienten aus (Eur J Clin Pharmacol. 2005 Sep;61(8):615-20). In der
Schlussfolgerung dieser Publikation wird angeführt, dass die
Verordner auf die Problematik hingewiesen werden sollten, um
die Co-Medikationen eines Statins mit einem Makrolid zu verringern. Die Häufigkeit einer Co-Medikation, die aus österreichischen Daten erhoben wird, sollte jedenfalls niedriger und die
gemeinsame Rezeptierung auf einem Rezept nur in Einzelfällen
nachweisbar sein.
Analysenzugang und Bewertungsschema
Datengrundlage sind die Abrechnungsdaten von 6 Krankenversicherungsträgern mit über 5 Mill. Anspruchsberechtigten. Da
die Daten patientenbezogen verfügbar sind, wird im Analysenzeitraum eines Jahres (2005) die Abrechnung eines Statins,
ATC-Code C10AA, und eines Makrolid-Antibiotikums, ATCCode J01FA, mit gleichem Abrechnungsmonat der Rezepte
erhoben. Außerdem werden innerhalb der Substanzklasse jene
Substanzen gefiltert, die in der Literatur als besonders problematisch dargestellt werden. Außerdem wird erhoben, ob die Ver-
5
schreibungen vom gleichen Arzt ausgestellt wurden. Da bei
einer Rezeptierung im gleichen Monat noch argumentiert werden kann, dass die Medikation nicht überlappend sondern konsekutiv oder intermittierend erfolgte, wird auch dargestellt, wie
häufig die Co-Medikation auf einem Rezept erfolgte.
Bei einer Rezeptierung im gleichen Monat wird mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen, dass die Medikamente auch
gleichzeitig genommen wurden. Die Co-Medikation auf einem
Rezept wird als gesicherter unterster Level dieser Co-Medikation gesehen.
Diskussion
Da die Nebenwirkungen bzw. Arzneimittelinteraktionen von
Cerivastatin sogar zur Marktrücknahme der Substanz geführt
haben und diese vornehmlich als Folge von Arzneimittelinteraktionen argumentiert wurden, sollte die Wechselwirkung der Statine mit Makrolid-Antibiotika nicht heruntergespielt werden. Die
Datenanalyse weist auf eine relevante Patientenzahl hin, die
einer potenziell gefährlichen Wechselwirkung ausgesetzt wird.
Die Argumentation, dass die Medikation von unterschiedlichen
Ärzten erfolgte und dem Behandler die Co-Medikation nicht
bekannt war, ist nur bei einem geringen Teil der Patienten zulässig, da in der Mehrzahl die Co-Medikation vom gleichen Arzt
erfolgt. Wird die zitierte italienische Publikation als Limit für eine
noch akzeptable Fehlerquote in Österreich herangezogen, so
kann für Österreich eine Verbesserungsmöglichkeit abgeleitet
werden. Auch die oft zitierte unterstützende Beratung und Qualitätssicherung durch den Apotheker scheint zumindest nicht
erfolgreich zu sein.
Veränderungsmanagement
Das vorliegende Analysenergebnis sollte Anlass dafür sein, auf
die Wechselwirkung der Statine mit Makrolid-Antibiotika zu achten und Lovastatin, Atorvastatin und Simvastatin möglichst nicht
während einer Behandlung mit Erythromycin, Clarithromycin,
Azithromycin oder Telithromycin zu verabreichen. Besonders bei
einer hohen Dosierung eines CSE-Hemmers sollte an die Möglichkeit einer Interaktion gedacht werden. Sollten für ein Makrolid-Antibiotikum keine therapeutischen Alternativen verfügbar
sein, so wäre ein Wechsel auf einen der folgenden CSE-Hemmern zu erwägen: Fluvastatin, Pravastatin oder Rosuvastatin, da
hier die Wahrscheinlichkeit für Interaktionen aufgrund eines fehlenden oder geringeren CYP3A4 mediierten Metabolismus deutlich geringer ist. Gegebenenfalls könnte eine Statintherapie
(außer bei der Behandlung akuter Koronarsyndrome) während
einer kurzzeitigen Antibiotikatherapie auch unterbrochen werden.
Die externe Qualitätssicherung und medizinische Beratung des
Redaktionskomitees zum Thema Wechselwirkung von Arzneimitteln erfolgt durch Univ. Doz. Dr. Martin Brunner, Universitäts-
Ökonomie
in der Praxis
4/06
klinik für Klinische Pharmakologie der Medizinischen Universität
Wien. Mentoren dieser Artikelserie über Wechselwirkungen sind
Univ.-Prof. Dr. phil Mag. pharm Eckhard Beubler, Institut für
Experimentelle u. Klinische Pharmakologie der Uni Graz und
Univ.-Prof. Dr. Markus Müller, Universitätsklinik für Klinische
Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien. Diese
haben im Rahmen einer Informationsveranstaltung im HVB über
Wechselwirkungen auch den Anstoss geliefert, publizierte klinische Daten auf die Abrechnungsdatenbank der SV-Träger zu
projezieren.
Analysenergebnis
KV-Träger
BGKKK
Anspruchsberechtigte
181.430
Patienten mit Statintherapie
13.759
Patienten mit Co-Medikation eines Makrolid-Antibiotikums
851
im gleichen Monat (Anteil an Statinpatienten)
(6,2%)
Patienten mit Co-Medikation eines Makrolid-Antibiotikums
717
im gleichen Monat vom gleichen Arzt (Anteil an Statinpatienten) (5,2%)
Patienten mit Co-Medikation eines Makrolid-Antibiotikums
73
auf einem Rezept (Anteil an Statinpatienten)
(0,5%)
Hochrisikogruppe der Patienten mit Atorvastatin, Simvastatin
446
oder Lovastatin und gleichzeitiger Behandlung mit
(3,2%)
Clarithromycin, Erythromycin oder Telithromycin im
gleichen Monat (Anteil an Statinpatienten)
Hochrisikogruppe der Patienten mit Atorvastatin, Simvastatin
380
oder Lovastatin und gleichzeitiger Behandlung mit
(2,8%)
Clarithromycin, Erythromycin oder Telithromycin im
gleichen Monat vom gleichen Arzt (Anteil an Statinpatienten)
Hochrisikogruppe der Patienten mit Atorvastatin oder
42
Simvastatin und gleichzeitiger Behandlung mit Clarithromycin, (0,3%)
Erythromycin oder Telithromycin auf einem Rezept
(Anteil an Statinpatienten)
NÖGKK
1.088.683
66.960
4.426
(6,6%)
3.699
(5,5%)
499
(0,8%)
1.953
(2,9%)
KGKK
406.841
18.870
1.257
(6,7%)
1.037
(5,5%)
181
(1,0%)
510
(2,7%)
OÖGKK
1.143.261
42.168
3.402
(8,1%)
2.820
(6,7%)
376
(0,9%)
1.477
(3,5%)
STGKK
WGKK
860.118 1.778.783
39.314
81.301
2.505
4.949
(6,4%)
(6,1%)
2.070
3.538
(5,3%)
(4,4%)
266
491
(0,7%)
(0,61%)
1.273
2.371
(3,2%)
(2,9%)
1.587
(2,4%)
426
(2,3%)
1.332
(3,2%)
1.034
(2,6%)
1.706
(2,1%)
223
(0,3%)
58
(0,3%)
155
(0,4%)
150
(0,4%)
239
(0,3%)
Adipositas –
eine Zeitbombe für unser Gesundheitssystem und unsere Gesellschaft?
Dr. Enzo Heinz Lauber, MSc, MBA, Oberösterreichische Gebietskrankenkasse
Adipositas ist bei uns wie in den meisten anderen westlichen Industrieländern zu einer Volkskrankheit bzw. Volksseuche geworden, die mit massiven Konsequenzen für das Gesundheitssystem und für
die gesamte Volkswirtschaft in Zusammenhang gebracht werden muss.
Weltweit sind bereits mehr als 1 Milliarde Menschen übergewichtig und mindestens 300 Millionen leiden an krankhafter Fettleibigkeit. Die Tendenzen sind steigend. Angesichts dieser Daten
bezeichnet die WHO die Adipositas als die „Epidemie des 21.
Jahrhunderts“.
Bei der Adipositasprävalenz gibt es deutliche regionale Unterschiede in der erwachsenen Bevölkerung. Im Vergleich der Weltregionen ist die Prävalenz in Nord-, Mittel- und Südamerika mit
20,9 Prozent am höchsten und in Südost Asien mit 1,1 Prozent
am geringsten (Abb. 2).
Fettleibigkeit führt bekannterweise zu Folgeerkrankungen und
einer kürzeren Lebenserwartung. Sie entsteht, wenn die Energiezufuhr, vor allem durch fettreiche Ernährung, den Energieverbrauch übersteigt. Das Maß für Übergewicht ist der Körper-Massen-Index (Body-Mass-Index, BMI). Er wird berechnet, indem
man das Gewicht durch das Quadrat der Größe (in Meter) teilt
(kg/m2).
Menschen in Industrienationen sind von Geburt an einer Reihe
von Umweltfaktoren ausgesetzt, die das Risiko für die Entstehung von Übergewicht fördern.
4/06
Ökonomie
in der Praxis
Eine Vielzahl von Erkrankungen stehen mit der Adipositas in
Zusammenhang. Sie ist für viele chronische Erkrankungen wie
Diabetes mellitus Typ 2, kardiovaskuläre Erkrankungen und eini-
6
Regionale und weltweite Prävalenz von Adipositas
(BMI ≥ 30 kg/m2) bei Erwachsenen nach WHO Regionen (Erster österreichischer Adipositasbericht 2006)
USA
35,1
30,6
Mexiko
38,1
24,2
Großbritannien
39,0
23,0
Australien
36,7
21,7
Griechenland
35,2
21,9
Tschechien
36,3
14,2
Deutschland
36,1
12,9
Spanien
35,3
12,1
Österreich
37,0
9,1
Schweden
33,1
8,3
Italien
33,2
8,0
Frankreich
28,1
8,4
Schweiz
28,4
7,3
2,2
21,7
Japan
0
20
40
60
80
Prävalenz in Prozent
Weltweite Prävalenz von Übergewicht
(BMI 25-29,9 kg/m2) und Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2)
bei Erwachsenen (ab 15 Jahren, in %) (nach OECD, 2005)
WHO-Region
Afrika
Nord-, Mittel-,
Südamerika
Südost-Asien
Europa
Östlicher Mittelmeerraum
Westpazifik
Prävalenz
(in Prozent)
2,9
Prävalenz
(in Millionen)
8,2
20,9
1,1
16,7
10,0
3,8
109,0
10,0
106,5
24,9
42,5
Adipositas assoziierte Einschränkung der Lebensqualität
bei Erwachsenen und Kindern
ge hormonabhängige Krebserkrankungen ein bedeutender Einflussfaktor, zudem ist das Risiko für Osteoarthritis, Atemprobleme, Schlafapnoe, Dyslipidämie, Muskulatur und Skelettprobleme, Gallenblasenerkrankungen, Infertilität und Schwangerschaftskomplikationen erhöht.
Adipositas steht aber nicht nur mit einer Reihe von körperlichen
Begleit- und Folgeerkrankungen in Zusammenhang, sondern sie
beeinträchtigt auch das seelische und soziale Befinden.
Adipositas verursacht aufgrund der Begleiterkrankungen hohe
Krankheitskosten, die einerseits durch die Inanspruchnahme
ambulanter oder stationärer medizinischer Leistungen und andererseits durch die krankheitsbedingten Arbeitsausfälle entstehen. Weiters kommen noch Kosten für zum Beispiel Gewichtsabnahmeprogramme, Diätprodukte oder Schlankheitsmittel
hinzu, die die PatientInnen meist selbst tragen. Präventive Maßnahmen gegen Adipositas wären kosteneffektiver als deren
Behandlung. Sie müssen als Langzeitprogramme mit gesunder
Ernährung und körperlicher Aktivität für adipöse aber auch normalgewichtige Personen geplant werden.
Übergewicht und Adipositas werden als Hauptproblem dieses
Jahrhunderts angesehen. Es handelt sich um das weltweit am
schnellsten wachsende Gesundheitsrisiko. Adipositas bedeutet
einen enormen Kostenfaktor im Gesundheitswesen. Die Kosten
für Medikamente, Spitalsaufenthalte, Ambulanz- und Laborkosten ebenso wie die Gesamtkosten steigen mit dem Body-MassIndex, genauso wie die Zahl der Krankenstände. Deshalb sollten
Anstrengungen in gesundheitspolitischer, gesellschaftlicher,
public health und medizinischer Sicht unternommen werden, um
diese „Epidemie“ zumindest einzudämmen.
Genauere Details entnehmen Sie bitte dem „Ersten österreichischen Adipositasbericht 2006, Erscheinungsdatum August 2006,
Herausgeber Altern mit Zukunft,
http://www.welldone.at/upload/3028_AMZ_Adipositas.pdf“.
7
Ökonomie
in der Praxis
4/06
Das
Österreichische Post AG Info. Mail Entgelt bezahlt
EBM
Eck
p-Wert und statistische Signifikanz
Beim Durchlesen von klinischen Studien stoßen wir immer wieder auf den so genannten p-Wert, zB
„Die Reduktion des Risikos für nicht-tödliche Myokardinfarkte war unter dem Wirkstoff XY signifikant
(p = 0,007).“ Was verbirgt sich also hinter dem Begriff des p-Wertes und wodurch kann dieser beeinflusst werden?
Der Buchstabe „p“ steht für „probability“, englisch für Wahrscheinlichkeit. Der p-Wert drückt aus, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein gemessener Unterschied (z. B. zwischen
den Behandlungsergebnissen in unterschiedlichen Patientengruppen) dem Zufall entspringt. Als Grenze zwischen Zufall und
Signifikanz (= Signifikanzniveau) wird üblicherweise 0,05 angenommen. Das bedeutet, dass bei einem Wert von p [0 – 0,05] die
Wahrscheinlichkeit, dass das Ereignis durch Zufall zustande
kommt, unter fünf Prozent liegt. Somit ist das Ergebnis statistisch signifikant. Bei Werten von p [> 0,05 – 1] liegt keine statistische Signifikanz vor.
stisch signifikanten Unterschied im mittleren systolischen Blutdruck der beiden Personengruppen entspricht.
Die Größe des p-Wertes ist abhängig von der Größe der Stichprobe. Würde man z. B. bei zwei beliebigen, in einer Ordination
stichprobenartig ausgewählten PatientInnengruppen von insgesamt 15 Personen den systolischen Blutdruck erheben, so verwundert es nicht, dass man bei Gegenüberstellung der Mittelwerte aus den Ergebnissen der beiden Gruppen einen p-Wert
von 0,565 erhält. Das bedeutet, dass der Unterschied in den Mittelwerten des systolischen Blutdrucks bei den beiden PatientInnengruppen rein zufällig zustande kommt und statistisch nicht
signifikant ist.
Das Beispiel verdeutlicht die Beeinflussbarkeit des p-Wertes
durch die Populationsgröße. Je schwächer ein klinischer Effekt
ist, desto größer muss die Anzahl der PatientInnen sein, an
denen er gemessen wird. Es empfiehlt sich somit, wenn man
eine Studie vorgelegt bekommt, den ersten Blick auf die Anzahl
der teilnehmenden Personen zu werfen. Diese kann bereits viel
über das Design einer Studie aussagen, wenn man bedenkt,
dass vor Beginn einer klinischen Studie üblicherweise berechnet
wird, wie groß bei dem zu erwartenden Effekt die Stichprobe
sein muss, damit man sicher ein signifikantes Ergebnis erhält.
Führt man nun die Blutdruckmessung bei weiteren 45 beliebig
ausgewählten PatientInnen durch, haben wir eine Stichprobengröße von insgesamt 60 Personen. Der p-Wert für den Unterschied zwischen den beiden daraufhin errechneten Mittelwerten
beträgt nun nur noch 0,219, was bedeutet, dass die Methode
zusehends genauer wird.
Gerade bei einer großen Anzahl an StudienteilnehmerInnen
reicht die Signifikanz alleine nicht aus, um eine Studie
bewerten zu können. Es ist deshalb wichtig, die Relevanz
des Ergebnisses zu betrachten, z. B. anhand der Number
needed to treat (NNT, siehe dazu Ökonomie in der Praxis
Nr. 3/2003).
Bei einer Erweiterung der Stichprobengröße auf 360 PatientInnen beträgt der ermittelte p-Wert bereits 0,02, was einem stati-
Ein statistisch signifikantes Ergebnis
muss nicht auch klinisch relevant sein!
Je größer die Fallzahl, desto größer
die Wahrscheinlichkeit
für ein statistisch signifikantes Ergebnis!
Welche Relevanz hat dies nun für die ärztliche Praxis?
Impressum: Medieninhaber, Herausgeber und Redaktion. OÖ Gebietskrankenkasse, Gruberstraße 77, 4021 Linz. Satz und Druck: Eigenvervielfältigung, Gestaltung: Referat für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation, Ursula Macher.
Kontaktadresse: Dr. Gabriele Müller, c/o OÖ Gebietskrankenkasse, Behandlungsökonomie, Postfach 61, 4021 Linz, oder rufen Sie uns
einfach an: (0732) 7807-3222, DW (Fax: (0732) 7807/3246), oder Brigitte Horeth, Tel. (0732) 7807-3284 DW (Fax: (0732) 7807/3246).
Redaktionsschluss: 1. 12. 2006
E-Mail: [email protected] oder [email protected]
4/06
Ökonomie
in der Praxis
8
Herunterladen