TSCHAIKOWSKY Der Nussknacker – Suite op. 71a RAVEL Shéhérazade – Drei Lieder nach Texten von Tristan Klingsor RIMSKY-KORSAKOW Scheherazade – Sinfonische Suite op. 35 Frankfurter Orchester Gesellschaft Sofia Pavone, Mezzosopran Andrea Kim, Violine Stefan Schmitt, Dirigent Sonntag, 8. Dezember 2013, 18:00 Uhr Dr. Hoch‘s Konservatorium, Clara Schumann Saal, Frankfurt Lions Club Frankfurt Hessischer Löwe: Catering in der Pause zugunsten gemeinnütziger Projekte in Frankfurt PETER ILJITSCH TSCHAIKOWSKY (1840 – 1893) Der Nussknacker – Suite op. 71a Marsch der Zinnsoldaten Tanz der Zuckerfee Russischer Tanz Arabischer Tanz Chinesischer Tanz Tanz der Rohrflöten Blumenwalzer MAURICE RAVEL (1875 – 1937) Shéhérazade – Drei Lieder nach Texten von Tristan Klingsor Asie – Asien La flûte enchantée – Die Zauberflöte L’indifférent – Der Gleichgültige Solistin: Sofia Pavone, Mezzosopran PAUSE Kontakt: Herausgeber: Redaktion und Text: Gestaltung und Satz: Druck: 2 Stefan Schmitt Telefon: 06196 950906 www.frankfurter-orchester-gesellschaft.de Frankfurter Orchester Gesellschaft Paul Landsiedel Ursula Peter Druckerei Adelmann, Frankfurt NIKOLAI RIMSKYKORSAKOW (1844 – 1908) Scheherazade – Sinfonische Suite op. 35 I. Das Meer und Sindbads Schiff II. Die Geschichte vom Prinzen Kalender III. Der junge Prinz und die junge Prinzessin IV. Feier in Bagdad. Das Meer. Das Schiff zerschellt an einer Klippe unter einem bronzenen Reiter Solistin: Andrea Kim, Violine 3 MÄRCHEN Es war einmal ... – diese drei Zauberworte öffnen uns wie mit einem Schlüssel das Tor zu einem phantastischen Reich: Bilder steigen auf, und wir tauchen ein in Erinnerungen, längst Vergessenes, in die wunderbare Welt der Märchen. Und damit werden auch die Namen der Autoren lebendig: die Gebrüder Grimm, Ludwig Bechstein, auch Hans Christian Andersen und Wilhelm Hauff. Auf der Suche nach passendem Lesestoff für ihre „kleine Leserschaft“ stöberten sie in Archiven, schrieben abgehörte Erzählungen auf, gingen mündlichen Überlieferungen nach, erfanden selbst phantastische Geschichten und veröffentlichten ihre Sammlungen in dicken Bänden und Almanachen. So erschienen 1812 die „Kinder- und Hausmärchen“ der Gebrüder Grimm, 1825 kam das erste der drei Märchen-Almanache „für Söhne und Töchter der gebildeten Stände“ von Wilhelm Hauff heraus, und Ludwig Bechstein ergänzte mit dem „Deutschen Märchenbuch“ das schon reichhaltige Angebot. Als 1841 der Orientalist Gustav Weil die sagenhafte Sammlung von „Märchen aus 1001 Nacht“ aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzte, öffnete er damit das Tor zu einer bis dahin weitgehend unbekannten und auch geheimnisvoll faszinierenden Welt. Auf einer Zeitreise von beinahe 2000 Jahren haben so Sindbad, Ali Baba und Aladin ihren Weg aus China über Indien, Persien und Arabien ins Abendland gefunden. Diese Erzählungen waren ursprünglich allerdings keine Kindermärchen. Ganz im Gegenteil – deftig formuliert, sinnenfroh und frech erotisch, als „jugendgefährdend“ auf dem Index, wurden sie eigentlich nur unter dem Ladentisch gehandelt. Erst die Übersetzung, die kritische Stellen entweder herausnahm oder wenigstens entschärfte, machte die „Märchen aus 1001 Nacht“ zu dem beliebten Kinderbuch, das Mitte des 19. Jahrhunderts Deutschland im Sturm eroberte und eine wahre Orientmanie auslöste. 4 RAVEL MAURICE RAVEL (1875 – 1937) „Es gibt keine rätselhaftere Figur in der Galerie der neueren Komponisten als die Maurice Ravels. Jeder Versuch, zwischen seiner Musik, dieser raffinierten, bald aufpeitschenden, bald dämonischen, bald sinnlich-kitzelnden Nervenkunst und den bekannten Tatsachen seines Lebens eine Verbindung herzustellen, mündet in Ratlosigkeit.“ So beginnt das vierte Kapitel des Bandes „Schöpfer der Neuen Musik“, in dem Hans Heinz Stuckenschmidt zwanzig Komponisten, von Ferrucio Busoni bis Hans Werner Henze, porträtiert. Und lesen wir noch etwas weiter, dann tauchen wir, ohne auch nur einen Ton gehört zu haben, schon tief in die zauberhafte Welt des Maurice Ravel ein. „Fährt man mit dem Zug in Richtung Versailles aus Paris heraus, so kommt man in eine Landschaft von träumerischer Anmut ... Nach etwa 50 Kilometern erreicht man Montfort-l’Amaury. Man geht durch hügelig enge Straßen, an einer kleinen gotischen Kirche vorbei, hinauf bis an die hochgelegene Peripherie. Die Straße macht einen Knick, heißt dann plötzlich Rue Maurice Ravel und öffnet den Blick auf ein Haus wie aus einem grotesken Spielzeugkasten. Es hat eine kleine Freitreppe, ein Türmchen, eine hochgebaute Terrasse; zur Straße ist es einstöckig, geht man aber durch das Tor in den Garten hinunter, so zeigt es eine kleine zweistöckige Hauptfront. Vom Balkon aus hat man einen herrlichen Blick über Dächer und Türme der alten Stadt hinweg, tief in die Landschaft hinein mit ihren grünen Feldern und schwarzen Tannenwäldern, darüber einen Himmel, dessen Wolken die perlmuttrige Zartheit des französischen Lichts aufsaugen.“ Reinhard Hauke 2011 Montfort-l’Amaury Rue Maurice Ravel Nr. 5 5 RAVEL Wir können Stuckenschmidt noch weiter zuhören, wie er z.B. das Innere des Hauses beschreibt: „Die kleinen Zimmer, durch enge Korridore verbunden, sind mit zum Teil winzigen Stühlen und wunderlichen Gegenständen möbliert ... man findet Nippes-Sachen von zweifelhaftem Geschmack, falsches chinesisches Kunstgewerbe, ein kleines Porzellanklavier, eine mechanische Puppe unter einer Glasglocke, eine künstliche Nachtigall, die flöten und mit den Flügeln schlagen kann.“ Aber wir müssen jetzt doch endlich zu „Shéhérazade“ kommen. „Les mille et une nuits: contes arabes“ waren in Frankreich schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts durch eine Übersetzung des weit gereisten Orientalisten Antoine Galland bekannt. 200 Jahre später greift Ravel – gerade 23 Jahre alt – diesen Text auf, schreibt ein Libretto mit Shéhérazade als Hauptfigur und plant eine Oper. Noch in der Anfangsphase bricht er die Arbeit ab, nur die Ouvertüre wird fertig, auch unter seiner Leitung aufgeführt, allerdings von der Kritik verrissen – und damit ist dieses Projekt erledigt. Ein paar Jahre später begegnet Ravel, schon seit seiner Kindheit, wie er einmal bekannte, „vom Orient tiefgreifend fasziniert“, noch einmal der exotischen Märchenerzählerin: im Künstlerzirkel „Les Apaches“. Dort treffen sich gleichgesinnte Musiker, Maler, Dichter und Schriftsteller, um nächtelang über zeitgenössische Lyrik und ostasiatische Kunst, Barockmusik und neueste Pariser Kunstausstellungen zu diskutieren und auch, um eigene neue Werke vorzustellen. Und als eines Abends Tristan Klingsor dieser quirligen Gesellschaft seine Gedichtsammlung „Shéhérazade“ präsentiert, ist Ravel ganz Ohr. Im wahrsten Sinn des Wortes, denn er lässt sich von seinem Freund mit dem Wagnerschen Pseudonym – eigentlich heißt er Léon Leclère – einige Gedichte auch mehrmals vortragen, um alle Details des Klangs, der Betonung und des Rhythmus zu erfassen. 6 RAVEL Schließlich entscheidet er sich für drei der 100 „poèmes“, die allerdings mit den „Märchen aus 1001 Nacht“ nur wenig zu tun haben – auch die Gestalt der Märchenerzählerin wird nie erwähnt – und gibt dem Zyklus den Titel „Shéhérazade“. 1904 werden die Lieder mit großem Erfolg in Paris uraufgeführt. Das erste Lied beginnt mit einem dreifachen „Asie“, im pianissimo geflüstert, und schon fühlen wir uns wie auf einem fliegenden Teppich in eine märchenhafte Phantasiewelt entführt, auf der Suche nach exotischen Bildern, grellfarbenen Szenen und geheimnisvollen Orten. Der ganze impressionistische Zauber entfaltet sich – oft schon am Rand der Tonalität – in spannungsvollen Harmonien. „Je voudrais voir ...“, „Ich möchte ... sehen“, vierzehn Mal wird so unser Blick auf immer wieder unerwartete, überraschend schöne oder grausame Details gelenkt, die uns auf unserer langen Reise von Syrien über Persien und Indien bis ins ferne China begegnen. Diese vier Silben werden entweder auf einem Ton gesungen oder, ganz am Text orientiert, in nur kleinen Tonschritten variiert. Mussorgsky hatte im „Boris Godunow“ (1872) diese Technik vorgezeichnet, Debussy hat sie in „Pelléas et Mélisande“ (1902) zur Perfektion weiterentwickelt, und für Ravel „hieß, ein Gedicht zu vertonen, alle sprachlichen Modulationen bis zum Gesang zu überhöhen, alle Möglichkeiten des Wortes auszuschöpfen, ohne sie der Musik unterzuordnen.“ Er schreibt für die Sängerin keine Koloraturen, der Text wird mit einer minutiös gestalteten Rhythmik und der Satzstruktur angepassten Phrasierung in eine Art lyrisches Rezitativ übersetzt, das vom Orchester mit raffinierter Klangregie verdichtet wird. Das zweite Lied „La flûte enchantée“ – die Sängerin schlüpft in die Rolle einer Dienerin, die, während ihr Gebieter im kühlen Innern seines Hauses schläft, wie verzaubert dem Flötenspiel ihres Geliebten lauscht – beginnt mit einer fein gesponnenen Flötengirlande über einem dichten, mit Dämpfer gespielten Streichertremolo. Man fühlt sich an „L’après-midi d’un faune“ erinnert, das spektakuläre 7 RIMSKY-KORSAKOW Stück, mit dem Debussy 1894 seinen Durchbruch schaffte, und für Ravel bedeutete diese Komposition seines Kollegen tatsächlich eine Offenbarung: „Ich weiß jetzt, was Musik ist.“ Im letzten Lied „L’indifférent“ geht es um eine seltsam unbestimmte Situation: Ein junger Mann, schön wie ein Mädchen, wird von einer verzückten Betrachterin beim Spaziergang beobachtet. Vortragsbezeichnung für die Sängerin, die wieder in der Ich-Form agiert: „très tendre“, „sehr zärtlich, liebevoll“. Er kommt näher, sie bittet ihn auf ein Glas Wein herein, „Entre!“ im Pianissimo – aber er geht „mit weichem, lässigem Gang“. NICOLAI RIMSKY-KORSAKOW (1844 – 1908) Wenn Ravels Shéhérazade nur einen dezenten Hauch von „odeurs d’orient“ verströmt, dann erzählt Rimsky-Korsakow seine orientalischen „Geschichten aus 1001 Nacht“ wie in Öl gemalt mit kräftigen Farben, herben Kontrasten und rasantem Strich. „Mir schwebte eine viersätzige Suite vor, als ich das Ferdinand Keller 1880 Scheherazade und musikalische Ausgangsmaterial meiner Sultan Schahriar Komposition in einer ganz freien Art und Weise entwickelte. Die Sätze sollten von vornherein durch Themen und allgemeine Motive verbunden sein, das Werk aber sollte sich als ein Kaleidoskop von fabelhaften Bildern im orientalischen Charakter präsentieren ... Ich wollte nur, der Hörer solle, wenn ihm mein Werk als symphonische Musik gefiel, den Eindruck mitnehmen, es sei unzweifelhaft eine orientalische Erzählung von 8 RIMSKY-KORSAKOW zahlreichen und verschiedenartigen Märchenwundern und nicht einfach vier nacheinander gespielte, auf gemeinsame Themen aufgebaute Stücke. Warum nun hat meine Suite den speziellen Namen Scheherazade? Weil dieser Name und der Titel 1001 Nacht in jedermanns Sinn den Orient und seine Märchenwunder kennzeichnen ...“ Hier also kurz der Hintergrund dieser exotischen Geschichtensammlung: Schahriar herrscht als mächtiger, grausamer Sultan in seinem Reich, denn er hat, nachdem er die Treulosigkeit seiner ersten Frau entdeckte, ein fürchterliches Ritual eingeführt. Jede Frau, mit der er eine Nacht verbringt – und es sind viele –, wird am folgenden Morgen von seinem Großwesir hingerichtet. Scheherazade, die älteste Tochter des Scharfrichters, will dieses Morden beenden und stellt sich selbst, gegen den Willen ihres Vaters, als Braut zur Verfügung und verführt den Sultan – zum Zuhören. Sie erzählt Geschichten, bricht an der spannendsten Stelle ab und überlebt den kommenden Morgen, weil Schahriar natürlich auf die Fortsetzung gespannt ist. Mit dieser geschickten Taktik gelingt es ihr, die drohende Hinrichtung immer wieder aufzuschieben, der Sultan verliebt sich schließlich in die reizende Erzählerin und macht Scheherazade nach tausendundeiner Nacht zu seiner Sultanin. Als Rimsky-Korsakow 1888 in St. Petersburg seine ScheherazadeSuite präsentierte, hatte er bereits fünf Opern, zwei Sinfonien, ein Klavierkonzert, Orchesterstücke und Kammermusik geschrieben, obwohl er zunächst einen völlig „unmusikalischen“ Ausbildungsgang absolviert hatte: Er segelte als Marineoffizier, mit 18 Jahren auf ein Schiff abkommandiert, drei Jahre lang um die Welt, und Musik war nur ein Hobby, das er allerdings sehr ernsthaft betrieb. Durch seinen engen Kontakt mit anderen Musikern ergaben sich neue Impulse, und schließlich trat er 1862 als jüngstes Mitglied dem „Mächtigen Häuflein“ bei, einer Gruppe, die sich der Pflege der 9 RIMSKY-KORSAKOW RIMSKY-KORSAKOW nationalen russischen Musik verschrieben hatte. Nun waren sie zu fünft: Mili Balakirew, César Cui, Alexander Borodin, Modest Mussorgsky und eben Nicolai Rimsky-Korsakow. Erstaunlich: Keiner der Älteren hatte Komposition studiert, wollte auch nichts mit Theorie zu tun haben. Balakirew, der Mentor der Gruppe, spielte zwar sehr gut Klavier, blieb aber „bekennender Dilettant“, hielt nichts von dem westlichen, akademischen Professionalismus. Rimsky-Korsakow war der Einzige, der sich, von den Kollegen zunächst argwöhnisch beobachtet, weiterbilden wollte und bei Peter Tschaikowsky, damals Professor für Harmonielehre am Konservatorium in Moskau, ersten Unterricht nahm. Als er dann 1871 selbst zum Kompositionslehrer berufen wurde, bedauerte Rimsky-Korsakow seine noch immer lückenhaften Kenntnisse und schreibt in seiner „Chronik meines musikalischen Lebens“ sehr selbstkritisch: „Unverdienterweise zum Professor des Konservatoriums erhoben, wurde ich bald zu einem seiner besten Schüler – vielleicht sogar zum allerbesten – im Hinblick auf die Quantität und Qualität der Kenntnisse, die es mir gab.“ Zurück zur Scheherazade. Rimsky-Korsakow montiert, wie er sagt, „in meiner viersätzigen Suite eine kaleidoskopartige Folge von orientalischen Gestalten und Bildern, die doch durch gemeinsame Themen und Motive eng miteinander verbunden sind ... und sie sind in allen vier Sätzen der Suite verstreut: das Meer und Sindbads Schiff, die phantastische Erzählung des Prinzen Kalender, Prinz und Prinzessin, Festtag in Bagdad und das Schiff, das am Felsen mit dem ehernen Reiter zerschellt. Als verbindender Faden dienten mir die kurzen Einleitungen zum ersten, zweiten und vierten Satz und das Intermezzo im dritten, die für Violine Solo geschrieben sind und gewissermaßen die Scheherazade selbst darstellen, wie sie dem grausamen Sultan ihre wundervollen Märchen erzählt.“ 10 I. Das Meer und Sindbads Schiff (Largo e maestoso – Allegro non troppo) Das Stück beginnt mit dem imposanten Auftritt des Sultans, ein Unisono der tief geführten Streicher und Bläser im Fortissimo, dann eine kurze Akkordfolge der hohen Bläser wie aus dem „Sommernachtstraum“, und mit einer arabeskenhaften, von drei Harfenakkorden unterlegten Melodie der Solovioline stellt sich Scheherazade vor. In ihrer ersten Erzählung plaudert sie von Sindbad dem Seefahrer, der mit seinem Schiff majestätisch durch das Meer gleitet (deutlich hörbar in der wellenartigen Cellofigur) und auf seinen Reisen phantastische Abenteuer erlebt. Der Sultan unterbricht die lebhafte Schilderung mehrmals mit heftigen Einwänden, doch am Ende des ersten Satzes verklingt sein Thema – piano in den hohen Streichern –, er ist also ganz offensichtlich von der reizenden Erzählerin besänftigt; zwei kleine Wellen schwappen nach, und der Satz ist zu Ende. II. Die Geschichte vom Prinzen Kalender (Lento – Andantino – Allegro molto – Con moto) Am zweiten Abend geht es lustig zu: Scheherazade – wir erkennen sie wieder am charakteristischen Violinsolo – berichtet vom Prinzen Kalender, einem Spaßvogel und Hans-Dampf-in-allen-Gassen, dessen Eulenspiegeleien mit abwechslungsreichen, turbulenten Tempo-, Takt- und metrischen Veränderungen geschildert werden. Eine orientalisch anmutende, allerdings nicht authentische Melodie wird vom Solo-Fagott über liegenden Quinten von vier gedämpften Kontrabässen eingeführt. Diese Melodie, die in immer neuen Orchesterfarben bis zu Solokadenzen verfeinert wird, zieht sich mit Varianten des Sultan-Motivs durch das immer lebhafter angetriebene Stimmengeflecht. Ganz offensichtlich gefallen Schahriar diese witzigen Geschichten, und manchmal glaubt man sogar ein „Und wie geht’s weiter? Mach schon!“ zu hören. 11 RIMSKY-KORSAKOW TSCHAIKOWSKY III. Der junge Prinz und die junge Prinzessin (Andantino quasi allegretto – Pochissimo più mosso – Come prima – Pochissimo più animato) PETER ILJITSCH TSCHAIKOWSKY (1840 – 1893) In der dritten Episode erzählt Scheherazade die Liebesgeschichte zwischen einem jungen Prinzen und einer kleinen Prinzessin, eine Geschichte, die dem Sultan ganz dezent seine eigene Jugend noch einmal lebendig werden lässt. Rimsky-Korsakow gestaltet diesen intimsten Teil seiner Suite mit einer Fülle differenzierter Vortragsbezeichnungen: passionato, brillante, cantabile, grazioso, dolcissimo, espressivo, und beendet den Satz spielerisch leicht, scherzando. Tschaikowsky zeigte schon früh eine große musikalische Begabung, er erhielt Klavierunterricht und spielte bald besser vom Blatt als seine Lehrerin, doch seine Eltern hatten eine Karriere im Staatsdienst vorgesehen, und so wurde er Beamter im Justizministerium. In dieser Position konnte er sich nun ein bequemes Leben mit kostspieligen Vergnügungen leisten. Doch dann kam der Schock, den sein Onkel entsetzt kommentiert: „Dieser Peter, dieser nichtsnutzige Peter! Nun hat er die Jurisprudenz mit dem Dudelsack vertauscht!“ Tschaikowsky hatte nämlich seine sichere Stelle aufgegeben und im gerade eröffneten Konservatorium in St. Petersburg ein Musikstudium bei Anton Rubinstein begonnen. 1862 schreibt er seiner Schwester: „Ich hatte dir schon geschrieben, dass ich die Theorie der Musik zu lernen begonnen habe und zwar recht erfolgreich. Ich fürchte nur für meine Charakterlosigkeit; am Ende wird meine Trägheit siegen, wenn aber nicht, so verspreche ich dir, dass aus mir noch etwas werden wird. Zum Glück ist es noch nicht zu spät.“ Nach vier Jahren Studium und erfolgreichem Abschluss mit Diplom – aber völlig mittellos – wird ihm glücklicherweise am Moskauer Konservatorium eine Professur für Musiktheorie angeboten, die er bis 1877 behält. IV. Feier in Bagdad. Das Meer. Das Schiff zerschellt an einer Klippe unter einem bronzenen Reiter (Allegro molto – Vivo – Allegro non troppo maestoso) „Keine Sentimentalitäten“, so könnte man den Beginn des letzten Satzes deuten, denn im fortissimo, ähnlich dem allerersten Anfang, meldet sich Schahriar zurück. Scheherazade hat keine Zeit zu verlieren – ihr Violinthema, con forza gespielt, ist nur einen Takt lang – und schildert dem Sultan das mit üppiger Klangpracht gemalte ausgelassene Festtreiben in den Straßen von Bagdad. Die folgenden Bilder sind nicht mehr chronologisch zu ordnen, Rimsky-Korsakow reiht, wie er selbst sagt, kaleidoskopisch – und eben musikalisch orientiert – Szene um Szene aneinander. Er greift auf Themen und Motive aus vorangegangenen Sätzen zurück und führt den Hörer in einer groß angelegten Entwicklung mit vollem Orchester und aufwändigem Perkussionsensemble dem dramatischen Höhepunkt zu: Sindbads Schiff treibt auf stürmischem Meer unaufhaltsam dem Felsen entgegen und zerschellt. Aber die Geschichte geht trotzdem gut aus. Nach einer mächtigen Steigerung, bei der das Sultan-Motiv noch einmal in den Posaunen aufklingt, wird Schahriar musikalisch mit Scheherazade vereint, und damit sind wir auch am Ende der tausendundersten Nacht angekommen. 12 In diesem Jahr heiratet er, ein verzweifelter Versuch, um seine Homosexualität hinter einer bürgerlichen Fassade zu verstecken. Bereits nach drei Wochen ist die Ehe gescheitert: „Kaum war die Trauung vollzogen, kaum war ich mit meiner Frau allein geblieben und kaum hatte ich erkannt, dass uns das Schicksal untrennbar verbunden hatte, da begriff ich plötzlich, dass ich nicht einmal Freundschaft, sondern im wahrsten Sinne des Wortes Widerwillen gegen sie empfand. Der Tod schien mir der einzige Ausweg, doch Selbstmord kam nicht in Frage.“ 13 TSCHAIKOWSKY TSCHAIKOWSKY Im gleichen Jahr beginnt seine Beziehung zu Nadeshda von Meck – eine der rätselhaftesten Affären in der Musikgeschichte. Frau von Meck, eine sehr vermögende Witwe, kannte einige Werke von Tschaikowsky, bewunderte den Komponisten und hatte ihn um ein Stück für Klavier und Violine gebeten, das sie auch umgehend erhielt. Sie dankte ihm: „Es ist überflüssig, Ihnen zu sagen, wie begeistert ich von Ihrer Komposition bin, da Sie wohl anderes Lob gewohnt sind und die Verehrung eines auf dem Gebiete der Musik so unbedeutenden Wesens wie ich Ihnen nur lächerlich vorkommen könnte. Mir aber ist meine Freude an Ihrer Musik so teuer, daß niemand darüber lächeln soll.“ Und sie sicherte ihm eine regelmäßige Unterstützung zu: eine Jahresrente von 6000 Rubel. Im Verlauf dieser fast 14 Jahre andauernden Freundschaft wurden mehr als 1000 Briefe gewechselt, aber, und das ist wirklich ganz ungewöhnlich, man traf sich nie, man vermied persönliche Begegnungen. Neben privaten Mitteilungen tauschte man sich über musikästhetische und philosophisch-religiöse Themen aus. Die Briefe geben uns durch ihren autobiographischen Charakter aufschlussreiche Einblicke in Tschaikowskys Schaffensprozesse und Persönlichkeit. 1890 beendete Nadeshda von Meck – für Tschaikowsky völlig überraschend – die Korrespondenz und auch die finanzielle Zuwendung. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, warum es zu dem Bruch kam. Peter Tschaikowsky war – nach anfänglichen Schwierigkeiten – mit seinen Bühnen- und Orchesterwerken, mit Kammermusik, Klavierund Vokalkompositionen, Transpositionen und Orchestrierungen sehr erfolgreich, in späten Jahren reiste er auch als Dirigent durch Europa und stellte seine Werke persönlich vor – und er arbeitete als Musikkritiker, der seine Leser mit sehr eigenwilligen Urteilen überraschte: J. S. Bach: „... ich erblicke in ihm nicht ein großes Genie...“ L. van Beethoven: „... ich halte doch das bedingungslose und selbstverständliche Staunen über jedes seiner Werke für unangebracht ...“ 14 F. Liszt: „... seine Kompositionen lassen mich kalt ...“ G. Verdi: „... dieser Sohn des sonnigen Südens hat viel an seiner Kunst gesündigt, indem er die ganze Welt mit seinen abgeschmackten Leierkastenmelodien überflutete ...“ H. Berlioz, J. Raff, G. Bizet und E. Grieg („besser als J. Brahms“) wurden hingegen ausdrücklich positiv beurteilt. Die Fachwelt ging aber auch mit Tschaikowsky nicht gerade zimperlich um. Der einflussreiche Eduard Hanslick schrieb z.B., nachdem er das Violinkonzert gehört hatte: „... ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört.“ Und Nikolai Rubinstein, sein Freund und Mentor, hielt sein 1. Klavierkonzert für „wertlos und unspielbar“, die Komposition selbst sei schlecht, trivial, vulgär. Ein oder zwei Seiten vielleicht seien wert, gerettet zu werden; das Übrige müsse vernichtet oder völlig neu komponiert werden. Auch die heute sehr beliebten und erfolgreichen Ballettkompositionen wurden zunächst nicht gerade freundlich aufgenommen. „Schwanensee“(1877) war offensichtlich schlecht vorbereitet und technisch mangelhaft ausgeführt, „Dornröschen“(1890) fiel durch, weil es „nur“ einen Märchenstoff behandelte, und „Der Nussknacker“(1892) gefiel nicht, weil die Story zu grotesk war. Die Handlung des NussknackerBalletts basiert auf der phantastischen Erzählung „Nussknacker und Mäusekönig“ von E.T.A. Hoffmann und spielt an einem Weihnachtsabend: Die Kinder Clara und Fritz – von ihren Eltern mit allerlei Spielfiguren reich beschenkt – werden, als es neun Uhr schlägt, ins Bett geschickt. Russische Briefmarken von 1992 zum 100. Jahrestag der Uraufführung der Nussknacker-Suite 15 TSCHAIKOWSKY Viel zu früh natürlich, und zum Trost schenkt ihnen ihr Lieblingsonkel Drosselmeyer einen Nussknacker. Zwischen Wachen und Einschlafen erlebt Klara, wie die Holzfigur lebendig wird und sehr seltsame Dinge erlebt: An der Spitze einer Kompanie Zinnsoldaten kämpft der Nussknacker gegen eine wilde Mäusehorde. Clara greift mutig ein, erledigt mit einem gezielten Wurf ihres Pantoffels den Mäusekönig, und nun beginnt eine wirklich märchenhafte Geschichte: Der hölzerne Nussknacker verwandelt sich in einen leibhaftigen Prinzen, der das überraschte Mädchen in sein Reich entführt. Auf dem Weg dorthin kommen sie durch einen mit Watteflöckchen, Eiszapfen und Kristallen geschmückten Tannenwald, begegnen sogar dem Schneekönig mit seiner Gemahlin. Und weiter geht’s zum Schloß Zuckerburg, wo die dort residierende Zuckerfee zu Ehren ihrer Gäste ein großes Fest veranstaltet. Die ursprüngliche Ballettversion besteht aus einer Ouvertüre, zwei Akten mit drei Bildern und 15 Nummern, ist also ein abendfüllendes Werk von rund eineinhalb Stunden Dauer. Nach der enttäuschenden Uraufführung stellte Tschaikowsky aus den attraktivsten Sätzen eine Orchestersuite zusammen, in der neben der Ouvertüre zum 1. Akt einige Szenen aus dem dritten Bild und natürlich der Blumenwalzer enthalten sind, und diese Version kam sofort an. Wir spielen daraus heute abend für Sie den Marsch der Zinnsoldaten, im Thema hört man tatsächlich den Rhythmus der staksigen Blechbeinchen, die dem Signal der Trillerpfeife gehorchen. TSCHAIKOWSKY Groß besetzt, doch auch filigran strukturiert und rhythmisch raffiniert geschichtet, folgt ein russischer Tanz, der an die Volksmusik der Kosaken erinnert. Nun wird es orientalisch: Der arabische Tanz, monoton von Bässen und Celli grundiert, gelegentlich mit einer einfachen Tambourinfloskel aufgehellt, wird melodisch durch eine immer wiederkehrende Quintole im tiefen Register der Holzbläser und gedämpften Streicher charakterisiert. Der chinesische Tanz – ein Kuriosum: Die Kontrabässe zupfen 64mal den Ton „B“, und das Stück ist zu Ende – allerdings machen die Holzbläser mit turbulenten Figuren und die Streicher mit DauerPizzicati ein richtig raffiniertes Stück daraus. Ein Takt genügt, und Sie erkennen sofort die nächste Nummer: den Tanz der Rohrflöten. Dieses zauberhafte Stück für drei Querflöten und das ganz dezent begleitende Orchester muss man einfach nur hören und genießen. Die Suite mündet in einen der schönsten Walzer der klassischen russischen Ballettliteratur, den Blumenwalzer. Nach einem stimmungsvollen Entree mit Bläsern und Harfe zieht das Hornquartett alle Aufmerksamkeit auf sich, die Solo-Klarinette führt mit einer aufsteigenden Girlande weiter, suzessive kommt das ganze Orchester dazu und beendet in einer grandiosen Steigerung den musikalischen Zauber. Dann tanzt die Zuckerfee im 2/4-Takt herein, von der Celesta wirklich auch zuckersüß dargestellt. Tschaikowsky hatte dieses mit einer Klaviertastatur gespielte Metallophon gerade erst in Paris kennengelernt und wollte unbedingt vor Rimsky-Korsakow der erste sein, der das Instrument in Russland präsentiert. 16 17 DIE INTERPRETEN DIE INTERPRETEN DIE INTERPRETEN SOFIA PAVONE, MEZZOSOPRAN Die Mezzosopranistin Sofia Pavone wurde 1987 in Reggio Calabria (Italien) geboren und bereits früh musikalisch gefördert; Sie erhielt Unterricht in Klavier, Blockflöte und Cello. Nach ihrem Abitur und einem Auslandsaufenthalt in Paris entschied sie sich für ein Gesangsstudium an der Hochschule für Musik und Tanz Köln (Klasse Prof. Mechthild Georg), das sie im Juli 2012 erfolgreich mit dem Bachelorgrad abschloss. Seit Oktober 2012 studiert sie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main in der Klasse von Frau Prof. Hedwig Fassbender. Sofia Pavones Konzertrepertoire umfasst u. a. Werke von Bach bis Prokofjew. Im Rahmen einer Hochschulproduktion war sie in der Kammeroper „Jakob Lenz“ von Wolfgang Rihm zu hören. Im Jahr 2011 sang sie die Rolle der „Aline“ in der Uraufführung der Kammeroper „Kein Wille geschehe“ von Andreas Winkler. An der Frankfurter Oper übernahm sie in der Neuproduktion von Prokofjews „Der Spieler“ (Regie Harry Kupfer/musikalische Leitung Sebastian Weigle) die Rolle der „verdächtigen Alten“. Im Mai/Juni 2013 stand sie als junger Chinese „Wu“ in der deutschen Erstaufführung der Oper „Kommilitonen!“ von Peter Maxwell Davies am Stadttheater Gießen auf der Bühne. Sofia Pavone ist 2013 Stipendiatin des Richard-Wagner-Verbandes. Sie ist Preisträgerin des „Ibolyka Gyarfas“-Wettbewerbs in Berlin, Stipendiatin und Förderpreisträgerin der Stiftung „Villa Musica“ und Stipendiatin des PE-Förderkreises. Andrea Kim ist Gast bei mehreren internationalen Festivals und gab im Sommer 2006 ihr Debüt als Solistin im Schleswig Holstein Musik Festival. Sie spielt regelmäßig im Mahler Chamber Orchestra und in der Kammerphilharmonie Bremen. Im Frühjahr 2010 gründete Andrea Kim ein eigenes Kammermusikfestival, das Amici Ensemble Frankfurt. Sie gastiert regelmäßig mit dem Ensemble Instrumental de Granada in Südamerika. Im November 2010 gab sie ihr Solistendebüt mit dem hr-Sinfonieorchester bei den Kasseler Musiktagen unter der Leitung von Kristjan Järvi. Nach ihrem Engagement als Konzertmeisterin beim Philharmonischen Orchester Lübeck und bei den Bremer Philharmonikern ist sie heute Vorspielerin der 1. Violinen im hr-Sinfonieorchester Frankfurt. STEFAN SCHMITT, DIRIGENT Stefan Schmitt studierte Gitarre an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt bei Michael Teuchert und Dirigieren bei Jirí Starek. FRANKFURTER ORCHESTER GESELLSCHAFT ANDREA KIM, VIOLINE Die im niederrheinischen Dinslaken geborene Geigerin Andrea Kim ist eine der bemerkenswertesten Solistinnen und Kammermusikerinnen ihrer Generation. Schon während ihres Studiums in Düsseldorf (bei Michael Gaiser), Berlin und Lübeck (bei Thomas Brandis) und Wien (bei Gerhard Schulz) gewann Andrea Kim wichtige nationale und internationale Auszeichnungen. 18 1963 entstand auf Initiative von Horst Langkamm das Orchester der Volkshochschule Frankfurt. 1989 übernahm Stefan Schmitt die Leitung. Fünf Jahre später war die Suche nach einem geeigneten Probenort der Anlass, als Träger des Orchesters den Verein „Frankfurter Orchester Gesellschaft“ zu gründen. Das Sinfonieorchester erarbeitet zwei Konzertprojekte im Jahr. Neben Werken der Klassik, Romantik und Spätromantik stehen immer wieder Uraufführungen auf dem Programm. 19 IN EIGENER SACHE Wenn Sie mehr über das Orchester erfahren oder selbst mitspielen möchten – zurzeit sind noch einige Streicherstellen frei – wenden Sie sich bitte an unseren Dirigenten Stefan Schmitt (Telefon 06196 950906). Weitere Informationen finden Sie auf unserer Homepage: www.frankfurter-orchester-gesellschaft.de Das Sinfonieorchester der Frankfurter Orchester Gesellschaft ist als selbstständiger Verein auf die Unterstützung durch seine Mitglieder und auf Sponsoren angewiesen. Wenn Ihnen das Konzert gefallen hat und Sie unsere Arbeit fördern wollen, freuen wir uns über eine finanzielle Zuwendung, für die wir Ihnen gerne eine Spendenquittung ausstellen (Frankfurter Sparkasse, Bankleitzahl 500 502 01, Konto-Nummer 355 990).