Stand und Aussichten der Tiefengeothermie in Deutschland

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GEOTHERMIE
Stand und Aussichten der Tiefengeothermie
in Deutschland
Status and Prospects of Geothermal Energy Use in Germany
Von R. JUNG*
bstract
The article summarizes the geothermal
potential, the status and the prospects
of geothermal energy use in Germany and
arrives at the following conclusions:
Even in a country like Germany with no active vulcanism the resources for geothermal
power production and direct use are very
high and exceed those of conventional energy sources by far.
Geothermal use in Germany however is still
in its initial stage. The installed capacity in
2005 amounted to 135 MWth for direct use
and to only 230 kWel for power production.
The uprating of the allowance for geothermal power from 0.09 Euro/kWh to 0.15
Euro/kWh in 2004 and the R&D-programme
for renewable energy of the Ministry of Environment has generated a great number of
new projects especially in the Upper Rhine
Valley and in the Fore Alp Region near Munich. The success of these projects will be
critical for the development of geothermal
power production in Germany in the near future.
Geothermal energy use in Germany is so far
restricted to deep seated hot water aquifers.
One of the major barriers for a wider application of this resource is our poor knowledge about the hydraulic properties of these
aquifers leading to a great and in many
cases unacceptable risk for potential investors. For this reason a geothermal information system is under development at the
Leibniz Institute for Applied Geophysics in
Hannover which will help to supply investors with the best information available and
to quantify the risk for insurance companies
and geothermal funds. Though hot water
aquifers suitable for geothermal power production are rare in Germany the size of this
resource is comparable to the German oil
and gas resources. Nevertheless their contribution to the national power production
will remain small and will hardly exceed a
few hundred MWel. Their potential for direct
use is much higher. But since heat has to be
produced very close to the consumer to prevent excessive costs for transportation this
huge resource can only be used in regions
A
* Dr. Reinhard Jung, GGA-Institut, Hannover (E-mail: [email protected])
0179-3187/07/02
© 2007 URBAN-VERLAG Hamburg/Wien GmbH
ERDÖL ERDGAS KOHLE 123. Jg. 2007, Heft 2
where a suitable aquifer is situated in an industrialized and densely populated area.
A much wider application of geothermal energy in Germany can be expected when techniques for geothermal energy production
from tight sediments or igneous rock are
available. This resource is by at least two orders of magnitude larger than that of the
aquifers and is available at almost any location. The key for exploiting these resources
is the waterfrac technique whose application is currently investigated in several research projects in Germany, France, Switzerland and Australia. These projects proof
that large artificial fracture systems can be
created with this technique and be used for
heat extraction. The reduction of the flow resistance in these systems and the restriction
of induced seismicity are two major objectives for further development of this promising technology.
urzfassung
Ausgehend von den geothermischen
Potenzialen für die geothermische
Wärme- und Stromnutzung werden der gegenwärtige Stand der Nutzung und neue in
Entwicklung befindliche Erschließungsverfahren vorgestellt. Die wesentlichen Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden:
Auch in Deutschland mit seinen eher moderaten Untergrundtemperaturen gibt es ein
beachtliches geothermisches Potenzial, das
den Energieinhalt aller konventionellen
Energieträger um ein vielfaches übersteigt.
Die gegenwärtige Nutzung beschränkt sich
auf Heißwasser-Aquifere und steht mit einer
installierten Leistung von 135 MWth für die
Wärmenutzung und lediglich 230 kW für die
Stromnutzung noch ganz in den Anfängen.
Die Erhöhung der Einspeisevergütung auf
0,15 Euro/kWh und die direkte Förderung
durch das BMU hat dem Aufbau einer geothermischen
Kraftwerkskapazität
in
Deutschland einen deutlichen Impuls gegeben. Die Nachhaltigkeit der dadurch in
Gang gesetzten Entwicklung hängt stark
vom Erfolg der laufenden Projekte vor allem
im Süddeutschen Molassebecken und im
Oberrheingraben ab.
Eine der Hauptschwierigkeiten ist die lokal
schwer einzuschätzende hydraulische Ergiebigkeit der Heißwasseraquifere. Da ähn-
K
lich finanzstarke Investoren und Förderunternehmen wie im Erdöl- oder Erdgasbereich fehlen, sind Versicherungs- oder
Fondslösungen zur Absicherung dieses Fündigkeitsrisikos erforderlich und in Entwicklung. Ein wichtiger Beitrag zur besseren
Einschätzbarkeit des Fündigkeitsrisikos
wird von einem am GGA-Institut, Hannover
im Aufbau befindlichen geothermischen Informationssystem erwartet. Die Nutzung der
Heißwasseraquifere für die Stromerzeugung
ist aufgrund des relativ geringen Potenzials
begrenzt und dürfte auch mittelfristig die
Größenordnung von einigen hundert MW
nicht überschreiten. Ihr Potenzial für die
Wärmenutzung ist um ein Vielfaches höher.
Da Wärme in Verbrauchernähe produziert
werden muss, wird jedoch voraussichtlich
nur ein geringer Bruchteil des Potenzials
tatsächlich erschlossen werden können.
Trotz dieser Einschränkungen stellen die
Heißwasseraquifere ein bedeutendes Energiepotenzial dar, dessen stärkere Nutzung
weitere Anstrengungen lohnt.
Eine wirklich breite Anwendung der Tiefengeothermie ist unter den Gegebenheiten in
Deutschland jedoch erst zu erwarten, wenn
neue in Entwicklung befindliche Erschließungmethoden eine geothermische Nutzung
auch der hydraulisch dichten Sediment- und
Kristallin-Gesteine des tiefen Untergrundes
ermöglichen und damit Erdwärme ohne
oder mit nur sehr geringem Erfolgsrisiko an
praktisch jedem Standort verfügbar machen. Die dafür erforderliche Schlüsseltechnologie, das Wasserfrac-Verfahren ist durch
die bei Experimenten in Soultz und Basel
ausgelöste Seismizität öffentlich in Kritik
geraten. Die Untersuchung der induzierten
Seismizität, insbesondere des Gefährdungspotenzials und seiner Reduzierung ist daher
für die Weiterentwicklung dieser Technologie fundamental.
Einleitung
In Ländern mit aktivem Vulkanismus
hat die Erdwärmenutzung bereits eine
lange Tradition. Für balneologische Zwecke
wird sie in Ländern wie China oder Japan seit
Jahrtausenden verwendet. Auch die geothermische Stromproduktion hat eine bereits
mehr als 100-jährige Geschichte. Heute
(Stand 2005) beträgt die installierte geothermische Kraftwerkskapazität rund 9.000 MWel
1
1
GEOTHERMIE
Abb. 1
Untergrundtemperaturen in Deutschland und Anwendungsbereiche
(Quelle: Temperatur-Datenbank des GGA-Instituts, Hannover, R.
Schellschmidt)
und rund 28.000 MWth werden thermisch genutzt. Die wichtigsten Förderländer liegen im
zirkumpazifischen Raum. In Europa sind Italien und Island führend. In Deutschland steht
die geothermische Energienutzung dagegen
noch in den Anfängen. Die Bemühungen zu
ihrer Erschließung haben durch die Erhöhung
der Einspeisevergütung auf 0,15 Euro/kWh
für geothermisch erzeugten Strom jedoch einen starken Impuls erhalten. Dies gilt vor allem für die Stromgewinnung aus Heißwasseraquiferen des Süddeutschen Molassebeckens
und des Oberrheingrabens. In diesen Regionen sind die für die Stromerzeugung infrage
kommenden Konzessionsgebiete inzwischen
weitgehend vergeben. Die geothermische
Nutzung, insbesondere die geothermische
Stromgewinnung stellt hohe Anforderungen
an die Ergiebigkeit bzw. Permeabilität der
Aquifere und ist daher vor allem im Oberrheingraben und im Norddeutschen Becken
mit einem hohen und schwer kalkulierbaren
Fündigkeitsrisiko behaftet. Daher stellt sich
die Frage, ob die mit konventioneller Technik
erschließbaren Heißwasser-Aquifere in naher
Zukunft tatsächlich einen nennenswerten Beitrag zur deutschen Energieversorgung leisten
können oder ob größere Beiträge erst zu erwarten sind, wenn neue in Entwicklung befindliche Erschließungsmethoden die Nutzung der sehr viel weiter verbreiteten gering
permeablen Kristallin- und Sedimentgesteine
möglich machen.
2
Abb. 2
Isothermenkarte Deutschlands in 1.000 m Tiefe (Quelle: TemperaturDatenbank des GGA-Instituts, Hannover, R. Schellschmidt)
Der Artikel baut weitgehend auf einem bei
der DGMK-Frühjahrstagung 2006 gehaltenen Vortrag [1] auf.
Untergrundtemperaturen in
Deutschland
Unsere Kenntnisse über die Temperaturen im tiefen Untergrund basieren auf
Temperatur-daten von ca. 10.000 Tiefbohrungen in Deutschland, die in der Temperaturdatenbank des GGA-Instituts in Hannover gespeichert sind. Ausgehend von einer
Oberflächentemperatur von ca. 10 °C, der
mittleren Jahrestemperatur in Deutschland,
nimmt die Temperatur im Mittel mit ca. 30
K/km mit der Tiefe zu. Das bedeutet im Allgemeinen werden in 1000 m Tiefe 40 °C erreicht, in 2000 m 70 °C und in 3000 m Tiefe
100 °C. Die höchsten nachgewiesenen Gradienten liegen in Deutschland bei 100 K/km,
die geringsten bei etwa 20 K/km (Abb. 1).
Der Bereich der Wärmenutzung beginnt bei
etwa 30 °C. Für derart niedrige Temperaturen sind im Allgemeinen Wärmepumpen erforderlich, um das für die Nutzung benötigte
Temperaturniveau zu erreichen. Der Bereich der Direktwärmenutzung beginnt bei
rund 60 °C, der Bereich der Stromerzeugung bei 100 °C. Die für den jeweiligen Anwendungsbereich erforderliche Bohrtiefe
kann sehr unterschiedlich sein (Abb.1).
Die höchsten Temperaturen findet man im
2
Oberrheingraben, am Südrand und im Nordosten des Norddeutschen Beckens und im
Bereich der Anomalie Bad Urach (Abb. 2).
Die meisten geothermischen Anomalien werden durch aufsteigende Tiefenwässer verursacht. Der Kenntnisstand über die Untergrundtemperaturen ist in weiten Teilen Deutschlands gering. Allerdings gibt es für die großen Beckenstrukturen, das Norddeutsche Becken, den Oberrheingraben und das Süddeutschen Molassebecken, die für die geothermische Nutzung besonders interessant sind,
eine große Zahl von Kohlenwasserstoffbohrungen und damit detaillierte Kenntnisse.
Geothermische Potenziale in
Deutschland
Die Erdwärme zählt zu den regenerativen Energien und sollte daher per Definition
unerschöpflich sein. Dies gilt jedoch nur,
wenn ihre Nutzung die Regeneration nicht
übersteigt. Diese Bedingung ist bei der praktischen Nutzung nicht erfüllt. Der Abbau der
Wärme erfolgt bei der praktischen Nutzung
viel schneller als die Regeneration durch die
natürliche Wärmeproduktion und den terrestrischen Wärmestrom. Geothermische
Potenzialabschätzung basieren daher auf
dem im Untergrund gespeicherten Wärmeinhalt (heat in place). Dies entspricht
dem Vorgehen bei den nicht regenerativen
Energierohstoffen (Erdöl, Erdgas usw.).
3
ERDÖL ERDGAS KOHLE 123. Jg. 2007, Heft 2
GEOTHERMIE
Dort schätzt man ebenfalls die im Untergrund vorhandenen Vorräte des jeweiligen
Energieträgers ab und klassifiziert diese als
Ressourcen (technisch nutzbar) oder Reserven (wirtschaftlich nutzbar). Der Begriff Potenzial entspricht in etwa dem Begriff Ressource. Die technische Nutzbarkeit eines
Erdwärmereservoirs hängt im Wesentlichen
von zwei Faktoren ab: der Temperatur und
der spezifischen Ergiebigkeit einer in dieses
Reservoir abgeteuften Bohrung.
Im Gegensatz zur oberflächennahen geothermischen Nutzung, wo die Wärme im
Allgemeinen mit Erdwärmesonden (geschlossene Systeme) gewonnen wird, wird
die Wärme aus großen Tiefen hauptsächlich
durch Förderung von Warm- oder Heißwasser aus dem Gestein erschlossen (offene
Systeme). Dies stellt hohe Anforderungen
an die Gesteins- oder Gebirgsdurchlässigkeit und nur wenige Gesteinsformationen
erreichen die für einen wirtschaftlichen Betrieb benötigte Mindest-Transmissibilität
von ca. 1 Darcy-Meter (10–12 m3) oder mehr.
Bei der Ermittlung des Potenzials muss berücksichtigt werden, dass nicht der gesamte
Wärmeinhalt eines Reservoirs, sondern nur
ein Bruchteil erschlossen und genutzt werden kann. Dies geschieht durch den Gewinnungsfaktor, der je nach Reservoirtyp und
Reservoirtemperatur zwischen 2,5 % und
30 % liegen kann. Bei der Wärme-StromWandlung ist außerdem noch der Wirkungsgrad zu berücksichtigen, der aufgrund des
relativ niedrigen Temperaturniveaus (100–
250 °C) nur zwischen etwa 10 % und 14 %
liegt [2].
3.1 Geothermisches Potenzial für die
Wärmenutzung
Für die Wärmenutzung werden derzeit
hauptsächlich Heißwasseraquifere genutzt.
Tabelle 1
Potenzial der Heißwasseraquifere für
die Wärmenutzung [3, 4] (1 EJ = 1018 J)
Direktwärmenutzung
[EJth]
Norddeutsches Becken
293
Oberrheingraben
156
Süddeutsches Molassebecken
Gesamt
Tabelle 2
64
513
Die Aquifere mit dem höchsten Potenzial
liegen im Norddeutschen Becken (Tab. 1).
Hier sind es vor allem die Formationen: Lias
und Rhät, der Aalen, der Buntsandstein und
der Schilfsandstein. Die ebenfalls bedeutenden Rotliegend-Sandsteine wurden bei der
Direktwärmenutzung nicht berücksichtigt,
da sie eher für die Strom- und KWK-Nutzung infrage kommen. Im Oberrheingraben
sind vor allem die Rotliegend-Sandsteine,
der Buntsandstein und der Muschelkalk von
Bedeutung. Im Süddeutschen Molassebeckens ist der Malmkarst der wichtigste
Heißwasser-Aquifer.
Ein Vergleich mit dem deutschen JahresWärmebedarf, der rund 5 EJ (1 EJ = 1018 J)
beträgt, macht deutlich, dass die Heißwasser-Aquifere eine bedeutende Ressource für
die Wärmeversorgung in der Zukunft sein
können. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass
die Direkt-Wärmenutzung nur an Standorten mit hoher Siedlungsdichte sinnvoll ist,
da Wärme nur über relativ kurze Entfernungen wirtschaftlich transportiert werden
kann.
3.2 Geothermische Ressourcen für die
Stromerzeugung
In einem im Jahr 2003 veröffentlichten Gutachten des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) [3,
5] wurde das geothermische Strom- und
KWK-Potenzial in Deutschland abgeschätzt.
Nach dieser Studie beträgt das Stromerzeugungs-Potenzial insgesamt ca. 1.200 EJ (Tab.
2). Dies entspricht etwa dem 600-fachen des
deutschen Jahresstrombedarfs von ca. 2 EJ.
95 % dieses Potenzials entfallen auf die kristallinen Gesteine, 4 % auf die Störungszonen
und 1 % auf die Heißwasser-Aquifere. Das
zusätzliche Potenzial an Wärme bei der
KWK-Nutzung (Kraft- Wärme-Kopplung)
beträgt ein Mehrfaches des Strompotenzials
und lässt sich durch den Einsatz von Wärmepumpen noch steigern. Es entspricht etwa
dem 350-fachen bzw. dem 600-fachen Jahreswärmebedarf in Deutschland. Wie bei der
Direktwärmenutzung ist jedoch zu bedenken, dass die Wärmenutzung nur an Standorten mit hoher Siedlungsdichte sinnvoll ist.
Kristallingesteine
Die kristallinen Gesteine sind die mit Abstand größte geothermische Ressource. Die
bedeutendsten Kristallinvorkommen in
Geothermiches Strom- und KWK-Potenzial der für die
Stromerzeugung geeigneten Reservoirtypen in Deutschland, KWK: Kraft-Wärmekopplung, oW: ohne Wärmepumpe,
mW: mit Wärmepumpe (nach [3])
Elektrische
Energie [EJel]
KWK oW
[EJth]
KWK mW
[EJth]
1.100
1.600
2.800
Störungszonen
45
65
Aquifere
9,4
Gesamt
1.200
HDR
Tabelle 3
Deutschland sind das Süd- und Mitteldeutsche Kristallingebiet, das etwa ein Drittel
der Gesamtfläche Deutschlands ausmacht.
Ein Sonderfall innerhalb dieses Gebietes ist
wegen seiner erhöhten Untergrundtemperaturen der Oberrheingraben. Im Norddeutschen Becken bilden die Vulkanitgesteine
des Perm eine mächtige geothermische Ressource. Die Berücksichtigung der kristallinen Gesteine bei der Ermittlung des geothermischen Strompotenzials erfolgte unter
der Annahme, dass die HDR-Technik kurzoder zumindest mittelfristig zur Verfügung
stehen wird.
Tiefenstörungen
Bei den steil bis vertikal einfallenden Störungen sind Erschließungstiefe und damit
die Reservoirtemperatur in Grenzen wählbar. Durch Temperaturmessungen während
des Abteufens der Bohrungen kann gegebenenfalls auf Abweichungen von der Prognose reagiert werden. Dies ist ein großer Vorteil gegenüber den Heißwasser-Aquiferen.
Die hydraulische Leitfähigkeit der Störungen ist dagegen wie bei den HeißwasserAquiferen von der Natur vorgegeben. Es ist
jedoch vorstellbar, dass sie in begrenztem
Maß durch Wasserinjektion (Wasser-Fractechnik) erhöht werden kann. Hinsichtlich
der zu erreichenden Fließraten sind derzeit
keine gesicherten Aussagen möglich. Für
den breiten Ausbau der geothermischen
Energienutzung in den nächsten Jahren
scheiden die Störungen als eigenständiger
Reservoirtyp aus. Sie werden jedoch bei der
Standortauswahl innerhalb der Heißwasser-Aquifere und der Kristallinen Gesteine
eine wichtige Rolle spielen.
Heißwasser-Aquifere
Die Heißwasseraquifere sind die mit Abstand kleinste geothermische Stromressource, jedoch die einzige, die mit konventioneller Technik erschließbar ist. Da sie kurzfristig den größten Beitrag liefern dürften, wird
näher auf sie eingegangen. Das Strompotenzial der Heißwasseraquifere ist in Tabelle 3
zusammengestellt. Insgesamt beträgt es
9,4·1018 J (Tab. 2). Dies entspricht etwa dem
Fünffachen des deutschen Jahresstrombedarfs. Ein Vergleich mit den deutschen Erdöl- und Erdgasreserven, die bei 46,5 Mio t
Erdöl bzw. 255 Mrd. m3 (Vn) Erdgas [6] liegen zeigt, dass es sich dennoch um eine be-
Strompotenziale (elektrische Energie) der bedeutendsten HeißwasserAquifere in Deutschland [3]
Region
Aquifer
Norddeutsches Becken
Rotliegend-Sandsteine
6,8.1018
120
Oberrheingraben
Muschelkalk
2,4.1017
23
50
Oberrheingraben
Buntsandstein
1,8.1018
1.700
3.000
Süddeutsches Molassebecken
Malmkarst
5,0.1017
ERDÖL ERDGAS KOHLE 123. Jg. 2007, Heft 2
Elektrische
Energie [J]
3
GEOTHERMIE
deutende heimische Ressource handelt. Unterstellt man einen mittleren Wirkungsgrad
von 50 % bei der Stromerzeugung aus Erdöl
und Erdgas, so entsprechen die Reserven
dieser beiden Energieträger einem Strompotenzial von rund 1·1018 J für Erdöl bzw. von
rund 5·1018 J für Erdgas.
Die für die geothermische Stromerzeugung
in Deutschland bedeutendsten Heißwasseraquifere sind der Malmkarst des Süddeutschen Molassebeckens, der Buntsandstein
und der Muschelkalk im Oberrheingraben,
sowie die Rotliegend-Sandsteine des Norddeutschen Beckens.
Norddeutsches Becken
Das größte Potenzial haben wegen ihrer großen flächenhaften Verbreitung die Rotliegend-Sandsteine des Norddeutschen Beckens. Ihre Tiefenlage liegt in weiten Bereichen des Norddeutschen Beckens bei
4.000–5.000 m, im Gebiet der Müritz sogar
bei mehr als 5000 m. Entsprechend liegt der
größte Teil dieser Ressource im Temperaturbereich zwischen 130 °C und 160 °C. Die
Permeabilität der Rotliegend-Sandsteine
dürften jedoch nur gebietsweise für Fließraten über 100 m3/h ausreichen. Die Wässer
der Rotliegend-Sandsteine sind hoch mineralisiert (d. h. hohe Salinitäten, hoher Eisengehalt). Die damit verbundene Korrosionsund Ausfällungsproblematik wird aber verfahrens- und materialtechnisch beherrscht.
Süddeutsches Molassebecken
Der Heißwasser-Aquifer mit den besten hydraulischen Eigenschaften ist der Malmkarst
des Süddeutschen Molassebeckens. In den
Bereichen der sog. Schicht- und Riff-Facies
kann durchwegs mit hohen Ergiebigkeiten
gerechnet werden. In vielen Fällen wurden
diese jedoch erst nach einer Säureinjektion
erreicht, was darauf hindeutet, dass die Wasser führenden Karsthohlräume ein relativ
grobes Netzwerk bilden. Der Malmaquifer
beißt in der Schwäbischen und Fränkischen
Alb aus und fällt in Richtung der Alpen bis
auf Tiefen unter 4.000 m ab, wo ihm deutlich
schlechtere hydraulische Eigenschaften zugesprochen werden. Für die Stromerzeugung
eignen sich daher nur zwei relativ kleine Gebiete südlich von München und im Bereich
des Chiemsees, in denen der Malmkarst zwischen etwa 2.500 m und über 4.000 m Teufe
ansteht [7]. Die Temperaturen liegen hier
sämtlich zwischen 100 °C und 130 °C. Wegen des geringen Wirkungsgrades bei der
Wärme-Strom-Wandlung, vor allem aber wegen der geringen nutzbaren Temperaturdifferenz, müssen für den Betrieb sehr hohe Fließraten (in der Regel >200 m3/h) erreicht werden, was jedoch bei fast allen der rund 35 bisher abgeteuften Geothermiebohrungen der
Fall war. Trotz der überragenden hydraulischen Eigenschaften des Malmkarsts kann
bei extrem hohen Fließraten der hohe Eigenbedarf der Förderpumpen problematisch
werden. Insgesamt empfiehlt sich bei den relativ niedrigen Thermalwassertemperaturen
4
Abb. 3
Wärmenutzung mittels Bohrlochdublette
des Malmkarsts die kombinierte Strom-Wärmenutzung. Ein besonderer Vorteil des
Malmkarsts ist die geringe Mineralisation
der Wässer, die in der Regel Trinkwasserqualität haben. Ihre Reinjektion in den Aquifer
ist aus Gründen der Druckerhaltung dennoch
nötig und vorgeschrieben.
Oberrheingraben
Hinsichtlich der Bohrtiefe sind die beiden
Heißwasser-Aquifere des Oberrheingrabens, der Muschelkalk und der Buntsandstein die attraktivsten Ressourcen für die geothermische Stromerzeugung. Allerdings
können die beiden Aquifere nicht länger als
Schichtwasserleiter mit flächenhaft gut ausgebildeten Aquifereigenschaften angesehen
werden, wie dies in früheren Studien gemacht wurde [8]. Beim Buntsandstein muss
angenommen werden, dass die primär vorhandene Porosität infolge einer grabeninternen Diagenese weitgehend zementiert wurde. Hohe Ergiebigkeiten sind offensichtlich
an Störungen und Kluftzonen gebunden.
Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für den
Muschelkalk. Da diese im Oberrheingraben
ein relativ dichtständiges Muster bilden, ist
die Chance höhere Ergiebigkeiten im Buntsandstein zu erzielen, nicht so gering einzuschätzen wie dies von [9] getan wurde, deren
Aussagen ausschließlich auf Permeabilitätsbestimmungen an Bohrkernen beruhen.
Die weitaus größten Bereiche des Muschelkalks und Buntsandsteins, die für die Stromerzeugung infrage kommen, liegen im nördlichen Teil des Oberrheingrabens zwischen
Worms und Baden-Baden. Typische Teufen
liegen zwischen 2.500 m und 4.000 m [7].
Der überwiegende Teil dieser Ressourcen
weist Temperaturen zwischen 130 °C und
160 °C auf, vereinzelt erreichen sie auch 180
°C. Die relativ hohen Temperaturen in vergleichsweise geringer Teufe und das dichtständige Netz von Störungszonen und Klufzonen machen diese beiden Ressourcen und
den Oberrheingraben insgesamt für die geothermische Stromerzeugung besonders in-
teressant. An vielen Standorten bietet es sich
an, den nur wenig tiefer liegenden Granit mit
zu erschließen, da die Chance dort höhere
Ergiebigkeiten aus Störungs- oder Kluftzonen zu erzielen, höher erscheint als im Muschelkalk oder Buntsandstein und außerdem
im HDR-Projekt Soultz mit der Wasserfrac-Technik gute Erfolge im Granit erzielt
wurden. Die Mineralisation der Tiefenwässer im Oberrheingraben ist deutlich höher
als im Malmkarst, aber deutlich geringer als
im Norddeutschen Becken.
Stand der Technik und Status der
Nutzung
Abgesehen von der oberflächennahen
Erdwärmenutzung werden in Deutschland
derzeit nahezu ausschließlich Warm- und
Heißwasser-Aquifere genutzt. Die Erschließungstechnik hierfür ist ausgereift. In der
Regel werden Bohrlochdubletten, bestehend
aus einer Produktions- und einer Re-Injektionsbohrung in den Heißwasser-Aquifer
abgeteuft (Abb. 3). In der Produktionsbohrung wird das Thermalwasser mittels einer
elektrischen Unterwasserpumpe, die in
mehreren hundert Metern Tiefe installiert
wird, gefördert. In einem Wärmetauscher
überträgt man die Wärme auf den Sekundärkreislauf. Das abgekühlte Thermalwasser
wird anschließend mit einer Injektionspumpe über die Re-Injektionsbohrung wieder in
den Aquifer verpresst. Um einen zu schnellen Durchbruch des abgekühlten Thermalwassers zur Produktionsbohrung zu vermeiden, müssen die Bohrungen im Aquifer einen Mindestabstand haben. Der Abstand bemisst sich an der angestrebten Nutzungsdauer (meist >25 Jahre) und thermischen
Leistung des Systems und beträgt in der Regel mehr als 1.000 m. Ein ausreichender Abstand lässt sich durch entsprechend auseinander liegende Bohransatzpunkte erreichen,
oder, was meist günstiger ist, durch Ablenken der von einem gemeinsamen Bohrplatz
aus abgeteuften Bohrungen.
4
ERDÖL ERDGAS KOHLE 123. Jg. 2007, Heft 2
GEOTHERMIE
ser verhindert, lassen sich diese Probleme technisch beherrschen.
Ende 2004 waren in
Deutschland 31 größere Anlagen zur
Wärmenutzung mit
einer installierten
Gesamtleistung von
135 MWth in Betrieb
(Abb. 4). Zum überwiegenden Teil handelt es sich um Dublettensysteme. Mit
wenigen
Ausnahmen befinden sich
die Anlagen in den
oben genannten Beckenstrukturen,
Norddeutsches Becken, Oberrheingraben und Süddeutsches Molassebecken. Die erste geothermische Stromerzeugungsanlage in
Deutschland ging
2004 in NeustadtGlewe in Betrieb.
Ihre installierte LeiAbb. 4 Lokationen der in Betrieb befindlichen geothermischen Anlagen zur
Wärmenutzung. Kleine Kreise: installierte Leistung größer 0,1 MWth,
stung beträgt 230
große Kreise: installierte Leistung größer 5 MWth [4]
kWel.
Das größte HemmTechnische Schwierigkeiten beim Betrieb nis für eine breitere Nutzung der Heißwaskönnen vor allem durch die meist hoch mi- ser-Aquifere ist das Fündigkeitsrisiko [10].
neralisierten Thermalwässer und die damit Dieses besteht darin, dass die für den wirtverbundene Ausfällungs- und Korrosions- schaftlichen Betrieb benötigten Temperatuproblematik entstehen. Durch Auswahl ge- ren und Fließraten nicht erreicht werden. In
eigneter Materialien und durch ausreichen- der Regel können Reservoirtiefe und -temde Druckhaltung im Thermalwasserkreis- peratur noch relativ genau vorausgesagt
lauf, die einen Sauerstoffeintrag und die werden. Allerdings können schon geringe
Entlösung von Gasen aus dem Thermalwas- Abweichungen, z. B. eine um 10 °C zu nied-
Abb. 5
Schema des Hot-Dry-Rock-Systems Soultz und derzeitige Leistungsdaten [11]
ERDÖL ERDGAS KOHLE 123. Jg. 2007, Heft 2
rige Temperatur, den wirtschaftlichen Erfolg eines Projektes gefährden. Das größere
Risiko liegt aber meist in der zu geringen
hydraulischen Leitfähigkeit des Aquifers
und der zu geringen Thermalwasser-Produktion.
Mit finanzieller Förderung durch das BMU
wird derzeit am GGA-Institut Hannover ein
digitales über das Internet zugängliches
»Geothermisches Informationssystem« aufgebaut, das möglichen Interessenten und Investoren Informationen über die regionalen
geologischen und geothermischen Verhältnisse liefern soll [13].
Neue Erschließungsverfahren
Das große Potenzial der kristallinen
Gesteine und der gering-permeablen
Sedimentgesteine lässt sich derzeit noch
nicht kommerziell nutzen, da die Erschließungstechnik noch nicht voll entwickelt ist.
5
5.1 Das Hot-Dry-Rock-Verfahren
Seit mehr als 30 Jahren wurde und wird in
mehreren internationalen Forschungsprojekten an der Entwicklung von Erschließungsmethoden für die Wärmegewinnung
aus kristallinen Gesteinen gearbeitet.
Schlüsseltechnik ist das Wasserfrac-Verfahren. Bei diesem Verfahren werden mit hohem Druck große Wasservolumina in Tiefbohrungen verpresst. Auf diese Weise werden großflächige Risse erzeugt oder vorhandene Rissflächen hydraulisch aufgeweitet.
Diese Risse werden als Wärmetauscherflächen genutzt, in denen Wasser zum Entzug
der Gesteinswärme zwischen zwei oder
mehreren Bohrungen zirkuliert wird. Um
eine hinreichend lange Nutzungsdauer dieser HDR-Systeme zu garantieren, müssen
die Rissflächen mehrere Quadratkilometer
groß sein und die Bohrlochabstände 1 km
oder mehr betragen.
Das weltweit führende Forschungsvorhaben
ist das europäische Hot-Dry-Rock Forschungsvorhaben Soultz. Innerhalb dieses
Projektes gelang es bereits vor ca. 10 Jahren,
mit der Wasserfrac-Technik Bohrungen
über eine Entfernung bis zu 450 m miteinander zu verbinden. Während eines Zirkulationsexperiments konnten im Jahr 1997 mit
einer Fließrate von 90 m3/h und einer thermischen Leistung von ca. 10 MW erstmals
kommerziell interessante Werte erreicht
werden.
Zurzeit wird in Soultz ein neues HDR-System erstellt, das aus zwei Förder- und einer
Re-Injektionsbohrung besteht und einen Volumenstrom von 180 m3/h je Produktionsbohrung erreichen soll.
Mittels massiver Wasserfrac-Tests gelang
es, in dem für die zukünftige Nutzung besonders interessanten Tiefenbereich um
5.000 m ein HDR-System in großtechnischem Maßstab zu schaffen. Mit einem
Bohrloch zu Bohrlochabstand von mehr als
600 m übertrifft es alle bisher realisierten
Systeme erheblich und erreicht damit schon
5
GEOTHERMIE
die für die kommerzielle Nutzung erforderliche Größenordnung. Ein erster Zirkulationstest im Jahr 2005 zeigte jedoch, dass die hydraulischen Eigenschaften des Riss-Systems noch
erheblich verbessert werden müssen,
um die angestrebten Fließraten und
thermischen Leistungen zu erzielen.
Das Erreichen ausreichender Fließraten mit akzeptablen Pumpleistungen
bleibt damit weiterhin das zentrale
Problem der HDR-Entwicklung. Eine
weitere zu Beginn der Projektphase
noch nicht so deutlich erkennbare
Problematik liegt in der durch die
massiven Stimulationstests induzierten Seismizität, die zwar weit unter
dem Schadenslimit lag, aber zu Unruhe in der Bevölkerung geführt hat.
Dies erschwert die weiteren Stimulationsmaßnahmen. Ähnliche Erfahrungen wurden im »Deep-Heat-Mining«Projekt, Basel gemacht. Da es sich
wahrscheinlich um ein generelles
Problem im Oberrheingraben handelt, müssen hierfür Lösungsmöglichkeiten gefunden werden.
Obwohl die HDR-Technik auch für
die Direktwärmenutzung attraktiv
wäre, kommt für den raschen Aufbau
einer kommerziellen Nutzung nur die Abb. 6
Stromerzeugung in Betracht. Die besten Bedingungen bietet der Oberrheingraben, der über die höchsten Temperaturen und über die günstigsten tektonischen Bedingungen verfügt. Vorteilhaft ist
vor allem die hohe Anisotropie der Gebirgsspannungen, die eine Risserzeugung bei
niedrigen Injektionsdrucken ermöglicht.
Dieser günstige Umstand führt andererseits
aber zu einer unerwünscht starken Seismizität während der Rissererzeugung. Bei Experimenten in Soultz und in jüngster Zeit auch
in Basel wurden einzelne Beben ausgelöst,
die an der Oberfläche hörbar und fühlbar
waren und die Bevölkerung beunruhigten.
Das Phänomen der induzierten Seismizität
ist seit langem bekannt und wird schon seit
Beginn der Hot-Dry-Rock-Entwicklung aktiv genutzt, um die raumzeitliche Ausbreitung der Risse im Untergrund zu verfolgen.
Die davon ausgehende mögliche Gefährdung rückte aber erst in jüngster Zeit besonders durch die Ereignisse in Basel in den Fokus. Die Untersuchung dieses Phänomens
und die Entwicklung von Konzepten zur
Vermeidung solch starker Ereignisse ist daher für die Weiterentwicklung der Hot-DryRock-Technik vor allem in tektonisch aktiven Gebieten wie dem Oberrheingraben
fundamental.
Die für den Oberrheingraben abgeschätzte
geothermische Stromressource beläuft sich
auf über 60 EJel. Unter der Annahme, dass
diese für einen Zeitraum von 100 a ausreichen soll, wären 20 GWel installierbar. Damit könnte über diesen Zeitraum theoretisch
ein Drittel des deutschen Jahresstrombedarfs von ca. 60 GWa gedeckt werden. Kurz6
Tiefenzirkulationsverfahren des GeneSys-Projekts
(Zeichnung R. Junker, 2006)
fristig ist dies nicht erreichbar. Die Zahlen
machen aber deutlich, dass die Kristallingesteine des Oberrheingrabens eine bedeutende Ressource sind, für deren Erschließung sich weitere Anstrengungen lohnen.
5.2 Das GeneSys-Konzept
Das vom Geozentrum Hannover entwickelte
Genesys-Konzept »Gewinnung geothermischer Energie mittels generierter geothermischer Energiesysteme« zielt vorwiegend auf
die Direktwärmenutzung gering-permeabler Sedimentgesteine [12].
Wegen der weiten Verbreitung dieser Gesteine würde z. B. im Norddeutschen Becken eine geothermische Energienutzung an
praktisch jedem Standort möglich sein. Um
auch hinsichtlich der Abnehmerstruktur
möglichst geringere Anforderungen an den
Standort stellen zu müssen, werden Einbohrlochsysteme bevorzugt, die schon im
Leistungsbereich weniger MWth wirtschaftlich sein können.
Das einzige etablierte Einbohrlochverfahren ist die tiefe Erdwärmesonde. Die thermische Leistung tiefer Erdwärmesonden ist
aufgrund der vergleichsweise geringen
Wärmeaustauschfläche ( Bohrlochwand) jedoch begrenzt, so dass nur in seltenen Fällen
Wirtschaftlichkeit erreicht werden kann.
Beim Genesys-Verfahren sollen mit Hilfe
der Frac-Technik deutlich größere Austauschflächen geschaffen und damit ein erheblich größerer Energiegewinn erzielt werden. Wie beim HDR-Verfahren wird dabei
auf das Wasserfrac-Verfahren gesetzt. We-
gen der geringeren Anforderungen an
die thermische Leistung reichen hier
jedoch Rissgrößen zwischen hunderttausend und wenigen hunderttausend
Quadratmetern.
In der aufgelassenen Erdgasbohrung
Horstberg Z1 nördlich von Unterlüß
wurden umfangreiche Tests zur Entwicklung des GeneSys-Konzepts ausgeführt. Mittels massiver Wasserfrac-Tests wurde im mittleren Buntsandstein in rund 3.800 m Tiefe ein
mehr als 100.000 m2 großer Zugriss
erzeugt und für den Wärmeentzug aus
dem Gebirge genutzt. Zwei Verfahren
erwiesen sich als erfolgreich:
– Beim Zyklus-Verfahren wird kaltes
Wasser in die Rissfläche verpresst.
Dieses erwärmt sich während einer
Wartezeit und wird anschließend
als Heißwasser wieder zutage gefördert. Die Förderung geschieht
dabei selbständig durch den im Riss
vorhandenen Überdruck und erfordert deshalb keine Unterwasser-Motorpumpe. Mit dem Verfahren konnte eine mittlere thermische
Leistung von rund 1 MWth nachgewiesen werden.
– Beim Tiefenzirkulationsverfahren
dient der Riss als Verbindungfläche
zwischen zwei Sandsteinbänken.
Zum Wärmeentzug wurde über einen Injektionsstrang unterhalb eines Packers kaltes Wasser in die gefracte untere
Sandsteinschicht gepresst und das Heißwasser aus der oberen Sandsteinbank über
den Ringraum oberhalb des Packers rückgefördert. Bei diesem Test wurde eine
Fließrate von rund 20 m³/h erzielt, was einer thermischen Leistung von mehr als 1
MWth entspricht.
Aufgrund dieser erfolgreichen Tests, soll
auf dem Gelände des Geozentrums eine
rund 3.800 m tiefe Bohrung in den Buntsandstein abgeteuft werden, um mit Hilfe
des GeneSys-Konzeptes Wärme für die Beheizung des Geozentrums zu gewinnen. Die
Bohrung Horstberg Z1 wird gleichzeitig mit
Mitteln des BMU zu einem In-situ-Labor für
die Erprobung weiterer Erschließungsverfahren ausgebaut.
Weitere Untersuchungen zur Anwendung
der Wasserfrac-Technik in gering permeablen Sedimentgesteinen laufen im Geothermieprojekt Großschönebeck des Geoforschungszentrums Potsdam. Der Fokus liegt
hier auf der Stromerzeugung.
Chancen der geothermischen Energienutzung für die deutsche Bohr- und
Bohrservice-Industrie
Ein forcierter Ausbau der geothermischen
Energienutzung in Deutschland bietet große
Chancen für die deutsche Bohr- und Bohrservice-Industrie. Der stärkste Impuls geht
zweifellos von der neuen Einspeisevergütung von 0,15 Euro/kWh Strom aus, der
6
ERDÖL ERDGAS KOHLE 123. Jg. 2007, Heft 2
GEOTHERMIE
kurzfristig die geothermische Stromerzeugung in den Vordergrund rücken wird. Ein
Aufbau einer nennenswerten geothermischen Kraftwerkskapazität in den kommenden Jahren würde große Möglichkeiten für
die deutsche Bohr- und Bohrservice-Industrie eröffnen. Dies machen folgende Abschätzungen deutlich: Wie Tabelle 4 zeigt,
haben Bohrlochdubletten eine typische
Brutto-Stromleistung von 2–3 MWel. Für
den Aufbau einer elektrischen Gesamtleistung von 1 GWel innerhalb von 15 Jahren
müssen daher mindestens 330 Bohrlochdubletten installiert werden, entsprechend einem Zubau von 22 Dubletten pro Jahr. Bei
mittleren Bohrtiefen von 4.500–6.500 m ist
dazu eine Jahres-Bohrleistung von rund
220.000 m erforderlich. Aktuell werden in
Deutschland pro Jahr ca. 30.000 m gebohrt.
Dies bedeutet, dass die Leistung der deutschen Bohrindustrie vervielfacht werden
muss. Entsprechendes gilt für die einschlägigen Serviceunternehmen der Bohrindustrie einschließlich der Firmen für die
Durchführung der Wasserfrac-Tests und für
Geothermiefirmen. Diese Überlegungen
zeigen, dass bereits der Ersatz einer im nationalen Maßstab bescheidenen Kraftwerkskapazität durch geothermische Kraftwerke
ein sehr anspruchsvolles Ziel ist, das nur
durch einen raschen Wiederaufbau der deutschen Bohr- und Serviceindustrie auf ein Niveau erreicht werden kann, wie es zu Zeiten
der höchsten Erdöl- und Erdgasexplorationstätigkeit in Deutschland vorhanden
war.
Zusammenfassung und Folgerungen
Die oben aufgeführten Überlegungen
zeigen, dass die geothermische Energienutzung auch für Deutschland eine ernst
zu nehmende Option ist. Für den raschen
Ausbau der geothermischen Energienutzung
kommt hauptsächlich die Stromproduktion
infrage. Mittelfristig scheint der Aufbau einer geothermischen Stromproduktion mit einer installierten Leistung von 1 GW möglich. Die besten Bedingungen für den Aufbau einer geothermischen Kraftwerkskapazität hat der Oberrheingraben, der sowohl
über ausreichend temperierte HeißwasserAquifere als auch über die am leichtesten erschließbaren Kristallinvorkommen verfügt.
Die größten Hemmnisse für die verstärkte
Nutzung dieser Ressourcen sind bei den
Heißwasser-Aquiferen das Fündigkeitsrisiko und bei den Kristallingesteinen die noch
nicht voll entwickelte Erschließungstechnik.
Der Aufbau einer geothermischen Stromerzeugung mit einer Größenordnung von 1
GW innerhalb der nächsten 15 Jahre ist unter
diesen Umständen ein ehrgeiziges aber nicht
unrealistisches Ziel. Er würde der deutschen
Bohr- und Bohrserviceindustrie neue
Wachstumsimpulse geben und diesem Wirtschaftszweig eine Bedeutung zurückgewinnen, die er zur Zeit der größten Erdölexplorationstätigkeit schon einmal besaß.
7
ERDÖL ERDGAS KOHLE 123. Jg. 2007, Heft 2
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