Tagungsbericht Christdemokratische und konservative Parteien in Europa Entwicklungstendenzenund Perspektiven Stefan Jungbauer Expertentagung der Hanns-Seidel-Stiftung in Kooperation mit dem „Centre for European Studies“ (CES) am 21./22.11.2011 im Konferenzzentrum München Datei eingestellt am 24. November 2011 unter www.hss.de/download/111121-22_Parteien-in-Europa.pdf Empfohlene Zitierweise Beim Zitieren empfehlen wir hinter den Titel des Beitrags das Datum der Einstellung und nach der URL-Angabe das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse anzugeben. [Vorname Name: Titel. Untertitel (Datum der Einstellung). In: http://www.hss.de/...pdf (Datum Ihres letzten Besuches).] Chancen nutzen – Realitäten anerkennen In Kooperation mit dem Brüsseler Centre for European Studies (CES) veranstaltete die HannsSeidel-Stiftung im Konferenzzentrum in München am 21. und 22. November 2011 eine Expertentagung über Entwicklungstendenzen und Perspektiven christdemokratischer und konservativer Parteien in Europa. Im Rahmen dieser zweitägigen Veranstaltung wurde einerseits die deutsche Situation mit den Schwesterparteien CDU und CSU näher beleuchtet und andererseits mit Niederlande und Österreich ausgewählte Nachbarstaaten in den Fokus gerückt. Den Auftakt machte Klaus-Peter Schöppner (TNS Emnid), der aus zahlreichen Studien zur Politikund Sozialforschung bekannt ist. In seiner Präsentation ging Schöppner zunächst der Frage nach, warum der Bürger der Politik im Allgemeinen nicht mehr vertraue und immer öfter den Vorwurf des „getriebenen Staates“ erhebe. Die Parteien seien deshalb gefordert, Politik „für den Bürger“ zu betreiben, „Vertrauen“ bei den Wählern zu erwecken und das Thema „Fairness“ in den Mittelpunkt aller Anstrengungen zu rücken. Nur so könne Politik wieder für die Menschen „attraktiv“ werden, weil sich diese Politiker als „Kümmerer“ wünschten, die „Bürgerpolitik“ der „Parteipolitik“ klar vorziehen sollten. Die Leiterin des Teams Empirische Sozialforschung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin, Dr. Viola Neu, beschäftigte sich im Anschluss daran mit dem Trend, dass die Wahlentscheidung des einzelnen Bürgers immer „zufälliger, kurzfristiger und emotionaler“ werde. Deshalb müssten sich die Parteien zunehmend damit abfinden, dass es den typischen Stammwähler nicht mehr gebe und man heute in einer „Stimmungsdemokratie“ leben würde. Für christdemokratische Parteien bedeute dies, dass der C-Faktor keine „wahlentscheidende“ Wirkung mehr entfalte. Vielmehr müssten CDU und CSU die Wirklichkeit einer säkularisierten Gesellschaft anerkennen und programmatische Anpassungsprozesse in die Wege leiten. Auf diese Fragestellung gingen auch Professor Udo Zolleis und Daniel Kopp von der Eberhard Karls Universität in Tübingen ein, die in ihrem Vortrag die Lage der CDU in Baden-Württemberg beleuchteten. Vor dem Hintergrund des sinkenden Stammwählerpotentials könne als Antwort auf die Niederlage in der zurückliegenden Landtagswahl im März 2011 als Gegenstrategie der Slogan der „Baden-Württemberg-Partei“ ausgegeben werden. Um den Regierungsverantwortung im „Ländle“ zu finden, müsse die CDU Weg zurück in die bei den Bürgern als fortschrittlich („Fortschrittspartei“), heimatnah („Heimatpartei“) und kompetent („Erfolgspartei“) erscheinen. Daneben zeigte Dr. Gerhard Hopp, Mitherausgeber eines kürzlich erschienen politikwissenschaftlichen Sammelbandes über die CSU, Wege auf, die der Bayerischen Schwesterpartei nach den zurückliegenden Wahlverlusten eine positive Zukunft verheißen können. So seien die eigenen „Netzwerke der Macht“ (institutionelle, organisatorische und personelle Ressourcen) ein großer Vorteil im politischen Wettbewerb mit potentiellen Konkurrenten. Zudem müsse die Partei neben den „alten“ bewährten Kommunikationsformen auch „neue“ Medien nutzen, um beispielsweise gezielt jüngere Wähler anzusprechen. Dabei dürfe die CSU aber nicht vernachlässigen, programmatisch aktiv zu werden, indem „Visionen für Bayern“ entwickelt würden. Letzteres beinhalte auch, dass neben den ländlichen Regionen Bayerns das Wählerpotenzial der (Groß-)Städte berücksichtigt und auch dort die „Kümmerfunktion“ übernommen werde. Den Blick auf die europäische Perspektive eröffnete Dr. Florian Hartleb (CES), der sich mit dem Thema rechtspopulistischer Parteien in Europa beschäftigte. Zwar stelle Deutschland im europäischen Vergleich diesbezüglich eine Ausnahme dar, doch würden Länder wie Frankreich, Niederlande oder Österreich beweisen, dass die „zweite Generation“ derartiger Parteien eine große Herausforderung darstelle. So besitze der Populismus eine vertikale („Wir gegen die politische Klasse“) und horizontale („Wir gegen die da draußen“) Dimension, wodurch sich Euroskeptizismus und Ausländerfeindlichkeit / Islam-Kritik zu den zwei zentralen Themen rechtspopulistischer Parteien entwickelt hätten. Für die etablierten (Regierungs-)Parteien in Europa ergebe sich im Zuge dessen die Frage, welche Strategie man gegenüber solchen Strömungen verfolgen solle: Regierungsbeteiligung, Ausgrenzung oder Tolerierung. Diese Fragestellung wurde von den Tagungsteilnehmern intensiv diskutiert, wobei mehrheitlich betont wurde, dass etablierte (Volks-)Parteien den „Schutz des kleinen Mannes“ nicht vernachlässigen dürften und zudem eine Regierungsbeteiligung rechtspopulistischer Parteien in bestimmten Ländern die dortige Konsensdemokratie „konfliktfähiger“ machen könne. Der Stellvertretende Leiter der Wiener Politischen Akademie der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), Mag. Peter Danich, knüpfte daran an und erläuterte den Tagungsteilnehmern vor dem Hintergrund des Aufkommens neuer sozialer Bewegungen (Anti-Atomkraft) und (rechts)populistischer Strömungen die Gründe für die massive Wählererosion der österreichischen Volksparteien seit den 1970er-Jahren. Danich pflichtete Neu bei und gab zu bedenken, dass die Volatilität der Wähler die Volksparteien überaus stark betreffe, weil mit dem Prozess der Milieuauflösung auch die Leitziele der Volksparteien verschwinden würden. Aus diesem Grund hätten Volksparteien nur dann eine „Zukunft“, wenn sie folgende Prinzipien gegenüber der Wählerschaft repräsentieren: Verlässlichkeit, Selbstverantwortung, Wertorientierung, Gemeinwohl und Gesamtinteressen. Dies alles müsse durch einen überzeugenden „positiven Narrativ“ zusammengehalten werden. Neben der österreichischen Situation wurden durch Professor Ton Nijhuis, Wissenschaftlicher Direktor des Deutschlands Instituts in Amsterdam, abschließend die niederländischen Verhältnisse aufgegriffen. Nijhuis schilderte zunächst die Krise der christdemokratischen sowie sozialdemokratischen Volksparteien, gab jedoch zu bedenken, dass dies nicht auf „bestimmte Entwicklungen“ zurückgeführt werden könne. Das Hauptaugenmerk richtete der Gast aus Amsterdam auf die extreme Wählervolatilität in den Niederlanden, die sich darin niederschlage, dass im Vergleich zu Deutschland aufgrund einer fehlenden 5%-Klausel rund zehn Parteien im Parlament vertreten seien. Dies führte er unter anderem auf die weit fortgeschrittene Säkularisierung der Gesellschaft und die damit zusammenhänge Entideologisierung des Wahlkampfs zurück, wodurch eine „disziplinierende Wirkung“ ausbleibe. Am Schluss der zweitägigen Veranstaltung waren sich die Teilnehmer schließlich darin einig, dass christdemokratische und konservative Parteien in Europa vor der Herausforderung stehen, sich an die veränderten Realitäten (wie Säkularisierung der Gesellschaft, Volatilität der Wähler) anzupassen zu müssen, um „weiterhin“ oder „aufs Neue“ die Wähler für sich gewinnen zu können. Dies werde in Zukunft gelingen, wenn die Parteien „verlässliche“ und „glaubwürdige“ Politik gestalten, aber zugleich ihre „Kommunikationsfunktion“ nicht vernachlässigen, um den Wählern zu signalisieren: „Wir kümmern uns um eure Anliegen und Sorgen!“