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FWF-Projekt Kasperls komische Erben (2011)
http://lithes.uni-graz.at
ANMERKUNGEN
Joseph Alois Gleich: Der alte Geist in der modernen Welt
Jennyfer GROßAUER-ZÖBINGER (Hrsg.)
Der alte Geist in der modernen Welt
Überlieferung
1. Der alte Geist / in der / modernen Welt. / Locales Zauberspiel / mit Gesang und Tableaux in zwey Aufzügen. / Von / Jos. Alois Gleich. / Für das k. k. priv. Theater in der Leopoldstadt. / Wien, 1822. / Im Verlage bey Ludwig Mausberger, k. k. privil. / Buchdrucker.
Druck; 78 Seiten; Kl.-8°
Wienbibliothek im Rathaus, Signatur A 9.607
Österreichische Nationalbibliothek, Signatur 4.732-A
Theatersammlung der ÖNB, Signatur 621.792-B
(D1, Editionsgrundlage)
(D1,1)
(D1,2)
Textgrundlage
Als Editionsgrundlage diente der Druck von 1822 (D1). Bei D1,1 und D1,2 handelt es sich um inhaltsgleiche Drucke; D1,2 entstammt dem eingeklebten Exlibris-Zettel nach der Sammlung Hugo Thimigs.
Lesarten
3,4 ist.] D1: ist (Satzzeichen von der Herausgeberin ergänzt)
7,2 Commissionen] D1: Commiss onen (i nicht gedruckt; der Buchstabe wurde von der Herausgeberin ergänzt)
8,18 reicher] D1: rei her (c nicht gedruckt; Buchstabe wurde von der Herausgeberin ergänzt)
8,32 schwarze] D1: chwarze (s nicht gedruckt; Buchstabe wurde von der Herausgeberin ergänzt)
10,17 Respect] D1: Re pect (s nicht gedruckt; Buchstabe wurde von der Herausgeberin ergänzt)
19,41 steht.] D1:steht (Satzzeichen von der Herausgeberin ergänzt)
26,30 ans] Druckfehler: aus
28,37 anfs] Druckfehler: aufs
29,1 zerstreuen sich.] D1: zerstreuen sich, (Satzzeichen von der Herausgeberin korrigiert)
31,39 Lichter mitnehmen.] D1: Lichter mitnehmen (Satzzeichen von der Herausgeberin ergänzt)
33,27 jetzt] D1: etzt (j von der Herausgeberin ergänzt)
34,4 and] Druckfehler: und
35,35 Pedanterie.] D1: Pedanterie“. (“ von der Herausgeberin ergänzt)
Uraufführung
15. September 1821 am Leopoldstädter Theater
Dokumente der Rezeption
Wiener allgemeine Theaterzeitung 14 (1821) vom 22. September, S. 455.
K. K. priv. Theater in der Leopoldstadt. Am 15. Septemb., gab man auf dieser Bühne, das erste Mahl, eine Zauberposse mit Gesang von Aloys Gleich: „Der alte Geist in der neuen Welt.“ Der Inhalt derselben ist ungefähr folgender:
Der Geist des, vor 60 Jahren verstorbenen, Seifensieders Lorenz, wird von der Unterwelt verurtheilt auf einige Zeit
in die Oberwelt zu reisen und dort seinen Spuk zu treiben. Er kommt an und findet die jetzige Lebensweise ganz
verschieden von jener, welche in der vorigen Zeit Statt gefunden hatte. Er will in seiner alten Manier handeln und
macht dadurch die derbsten Verstöße. Nachdem er sich eine Weile herumgetrieben, wird er von der Unterwelt revocirt und von dem Militär der Geisterwelt fortgeführt. – Das Sujet ist eine glückliche Fiction, aber die Ausarbeitung
trägt das Gepräge einer flüchtigen Arbeit, denn die Charaktere, in welchen der Geist erscheint, sind nicht hinlänglich
mit humoristischer Kraft unterstützt. Indeßen umschließen das Ganze einige witzige Einfälle, und viele treffende
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Ausfälle besonders im ersten Akt auf den Ton der heutigen Welt. Mit dem „Eheteufel“ desselben Verfassers hält es
freylich keinen Vergleich aus, hat aber dessen ungeachtet schon sechs Mahl das Haus gefüllt. Was will man mehr!! –
Hr. Ign. Schuster, welcher die Titelrolle spielte, und als Geist, Chevalier, Armenier und Salzburger zu erscheinen hatte, gab sich viele Mühe und wußte in einigen Scenen, wo das Komische mehr vorherrschend war, zu amüsiren und
Beyfall zu gewinnen. – Hr. Joh. Sartory spielte den glanzsüchtigen Bertram von Kampelstein mit Laune, und gefiel. –
Hr. Korntheuer erhielt für die gute Darstellung des alten Ladendieners Anselm, so wie Hr. Fermier, als lustiger Vetter des Hrn. von Kampelstein, verdienten Beyfall. – Die Herren waren sammt und sonders in ihrer Sphäre; wie sie
die Rollen gegeben haben, dürfte zu analysiren hier überflüssig seyn. – Mad. Raimund gehörte, als schöne Salzburgerinn, zu den Lichtpuncten dieser Vorstellung. – Die Musik von Hrn. Volkert ist dem Texte nicht anpassend, und hat
weder Leben noch gefällige Melodien; auch ist sie durchaus ernst. – Hr. Ign. Schuster wurde am Ende gerufen.
Besetzung
In Ermangelung eines Theaterzettels siehe die Rezension in der Theaterzeitung Bäuerles vom 22. September 1821.
Inhalt
Folgende Ausgangssituation liegt vor: Lorenz, Geist und ehedem Seifensieder, verpasst den Zapfenstreich in der Unterwelt. Schuld daran ist ein „Räuscherl“, verursacht durch drei Maß süßen Weins. Sowohl der Portier als auch der
Feldwebel sind gezwungen, am beschwipsten, unpünktlichen Lorenz ein Exempel zu statuieren, da dieser mit seinem
Ausbleiben der gültigen Ordnung zuwider gehandelt hat. So bleiben für den Geist Lorenz die Pforten des vertrauten
Geisterreiches verschlossen. Sechzig Jahre nach seinem Tod kehrt er wieder in die Welt der Lebenden zurück.
In der Oberwelt angekommen, schlittert Lorenz – der gesellschaftliche Wandel ist natürlich an ihm unbemerkt vorübergegangen – von einer ihn befremdenden Situation in die nächste. Als erstes begegnet er der für ihre Profession
sehr elegant gekleideten und besonders hochtrabenden Köchin Friderike, die sich von ihrer Herrschaft nicht die
kleinste Grobheit bieten lässt. Ihrem Liebhaber Eduard schenkt sie Meerschaumpfeifen, lädt ihn zum Frühstück auf
die noble Burgbastei ein und äußert völlig unrealistische Wünsche bezüglich ihrer Entlohnung. Einen Bettler spricht
sie mit „Sie“ an, der unmodisch gekleidete Lorenz hingegen wird von oben herab behandelt; alles Verhaltensweisen,
die bei Lorenz auf Unverständnis stoßen. Im Putzgewölbe wird der „alte Geist“ erneut mit den modernen Sitten und
Gebräuchen konfrontiert. Zur Belustigung aller lässt er unter wüsten Beschimpfungen des Rabenvaters um den Bader rufen, als er in der Auslage einen gut gekleideten, bei Berührung aber komplett leblos-kalten Knaben entdeckt.
Sogleich wird er für die Rettung einer ihm unbekannten Schaufensterpuppe aus Wachs verlacht. Der Geschäftsdiener Anselm, von dem unerhörten Lärm auf den Plan gerufen, nützt die Bekanntschaft mit Lorenz, um ihm sogleich
neue Kleider zu verkaufen. Unter Verweis auf seine schäbige aber v. a. unmoderne Kleidung und unter dem Motto
„Kleider machen Leute“ wird Lorenz zu einem neuen Anzug überredet, für den, zu seiner großen Überraschung,
weder Schneidermeister noch Bargeld nötig sind. „Alles auf Conto“ lautet die dem Zeitgeist entsprechende Devise;
die moderne Gesellschaft lebt samt und sonders auf Kredit. Lorenz ist erschüttert von den Kosten für seinen neuen
Anzug, der Dekadenz der Schneiderfamilie, deren Häme und Gelächter er mit seinen alten Werten heraufbeschwört.
Er fühlt sich völlig fehl am Platz, wird aber von dem auch schon in die Jahre gekommenen Anselm geleitet, der sich
schließlich als Lorenz’ einstiges Patenkind entpuppt. Auch von weiteren noch lebenden Verwandten erzählt Anselm:
dem Kampelmacher (Kammmacher) Bertram und der Mahm Rosine, Stubenmädchen bei einem Armenier. Lorenz
will Rosine sofort aus den Fängen des Armeniers befreien. Frischen Mutes beschließt er dieses für seine Anverwandte kaum schickliches Arbeitsverhältnis zu lösen und Rosine zu einem ehrenhaften Leben zu verhelfen. Auch Rosine
fühlt sich in ihrer Rolle bei dem Armenier Melisses nicht wohl. Er überhäuft sie mit Geschenken, guten Kleidern,
will sie summa summarum in einen besseren Stand erheben. Rosine hat ein ehrliches Herz und lehnt die auf moralisch verwerfliche Gegenleistung zielenden Pretiosen des Armeniers ab. Nach gutem Zureden folgt Rosine Lorenz
schließlich und verlässt ihren Arbeitgeber. Wieder zeigt Lorenz, dass er mit den derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht vertraut ist und bringt Rosine guten Gewissens ausgerechnet im Haushalt der Madame Koeffüre unter. Er ist der Meinung, ein für ein junges Mädchen sicheres und angemessenes Quartier gewählt zu haben, ahnt aber
nicht, dass er sie persönlich in die Obhut einer stadtbekannten Kupplerin gegeben hat. Wieder ist es Anselm, der Lorenz die Augen öffnet.
Der zweite Akt beginnt mit der Vorstellung des geadelten Kammmachers Bertram. Erst jüngst nobilitiert ist er prototypischer Vertreter des Geldadels und – wie könnte es anders sein – in der neuen Gesellschaftsschicht fehlplatziert.
Lorenz meldet sich bei Bertram als Vetter aus Salzburg an und testet so die inneren Werte des Kammmachers, mit
denen es nicht zum Besten steht. Abgesehen davon sucht er auch eine gute Partie für Rosine, die er vor seiner Rückkehr in die Unterwelt versorgt wissen will. Zu seinem Entsetzen beginnt ausgerechnet der talent- und mittelose
Dichter Georgerl um Rosine zu werben. Weil es gerade modern ist, will er mit ihr durchbrennen. Völlig naiv und
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ganz Kind seiner Zeit macht er sich keine Gedanken um finanzielle Sicherheit bzw. den gemeinsamen Lebensunterhalt. Auch mit seiner Treue ist es nicht weit her. Schnell lässt er sich von einer schönen Harfenspielerin (der verkleidete Lorenz, der Georgerl testen will) bezirzen und vergisst darüber Rosine. Letzten Endes wirbt auch noch Bertram
um Rosine. Als Geist verkleidet will er sie erschrecken, damit sie in eine Ehe mit ihm einwilligt. Sein Plan geht nicht
auf, dafür wird er selbst zum Gefoppten: Lorenz zeigt sich Bertram als Geist, dieser erschrickt und willigt ein,
Georgerl und Rosine ein paar Millionen Gulden als Mitgift zu geben. Einer Ehe mit dem geläuterten Georgerl steht
nun nichts mehr im Wege, Rosine ist versorgt und Lorenz kehrt wehmütig ins Geisterreich zurück.
Wort- und Sachkommentar
1,5 Jos.] Joseph
6,45 Litzen] die Litze; Geflecht, Stickerei, gewobenes Band; fand Verwendung bei der Verzierung von Uniformen und
Tracht
8,29 Fleischbank] Sammelbegriff für Metzgerstände
8,33 Kucheltrabant] Köchin, Küchenmagd
8,33 Komißschuhen] feste Schuhe aus den Beständen des Militärs; Kommiss umgangssprachlich für Militär, Heer
8,42 O tempora! o mores!] lat. Ausspruch: Was für Zeiten, was für Sitten!
11,25 Conte] vermutlich Conté-Stift; Bleistift
12,28 Casimir] Kaschmirwolle
13,27 Kampelmacher] Kammmacher
13,31 Mahm] Muhme, Tante
13,42 kuranzen] veraltet für tyrannisieren, schikanieren, quälen
14,17 Shawl] Schal, Umhang
14,42 Affectation] franz. affectation; Geziertheit, Künstelei
15,3 Traiteursgarten] Traiteur von franz. traiter (handeln, durchführen); Koch, Gastwirt; hier: Gastgarten
16,41 Hekate] griech. Göttin des Mondlichts; die Schützerin der Wege; Geburts- und Fruchtbarkeitsgöttin; Göttin des nächtlichen Spuks und des Zauberwesens
16,42 Eumeniden] auch Erinyen; griechische Rachegöttinnen, die menschliche Vergehen (Meineid, Mord, Verletzung der
Pietät etc.) ahnden
17,35 pomali] österreichisch umgangssprachlich für langsam, gemächlich
17,45 wacherlwarm] vermutlich bacherlwarm; lauwarm
21,8 menaschirlich] haushälterisch sparsam mit etwas umgehen; auch etwas schonen (z. B. seine Kleider)
21,15 Bär] Verballhornung des Namens Pierre
21,22 Brandstatt] Freier Platz, unbebaute Fläche in der Nähe des Wiener Stephansdoms, infolge der Feuerbrünste des
13. und 14. Jahrhunderts entstanden (daher der Ortsname Brandstätte). Im 18. Jahrhundert wurde der Platz von Verkaufsläden, sogenannten „Standeln“, gesäumt.
21,33 fl] Abkürzung für Gulden (Florenus, Florin)
22,3 Scandiren] skandieren; Verse nach dem Rhythmus vortragen
24,3 schwedische Handschuh] pelzgefütterter Damenhandschuh
25,45 Potpourie] franz. pot-pourri; Duftmischung
26,30 ans] Druckfehler: aus
28,19 Gestrampfter] Gestrampfter Tanz
28,37 anfs] Druckfehler: aufs
29,24 das Land, wo die Citronen blühen?] Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?; Lied aus dem Romanfragment Wilhelm
Meisters theatralische Sendung, gesungen von Goethes Romanfigur Mignon; Synonym für Italien
33,35 schliefen] schlüpfen, kriechen
34,4 and] Druckfehler: und
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Abbildung
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