14-17 Ausrottung

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NATUR Reportage
Ausrottung im
Der Zoo von Buenos Aires widmet sich der
Rettung von Tierarten. Einerseits durch ein
Aufzuchtprogramm für den bedrohten Kondor,
andererseits durch eine Genbank – eine
Arche Noah des 21. Jahrhunderts.
Text: Martin Arnold
V
orsichtig schiebt Norberto Jácome ein Stück schwarzen
Kunststoff zur Seite und späht
ins Gehege: «Schauen Sie links
hinunter. Dort steht Pachaqutec.» Pachaqutec ist ein wenige Wochen alter Kondor. Das winzige Knäuel trägt einen
grossen Namen. Pachaqutec heisst in
der Sprache der Indianer so etwas wie
Epoche. Seine Federn sind noch grau
und eher ein Flaum, der im Wind tanzt.
Mit seiner Geburt verbinden Jácome und
seine Mitarbeiter eine neue Ära, die das
Ende der Ausrottung von Pflanzen und
Tierarten einläutet. Jácomes Arbeitgeber,
der Zoo von Buenos Aires, hilft tatkräftig
mit, diese Vision zu verwirklichen.
Latexmama als Elternersatz
Wie vor ihm schon 20 andere Kondore aus
dem ganzen Land, wurde auch Pachaqutec
hier im Zoo ausgebrütet, und zwar in einem Brutapparat. Das Ei, aus dem er geschlüpft ist, stammt aus der Wildnis. Die
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Wissenschaftler sammeln die Eier in den
Horsten ein. Damit animieren sie die erwachsenen Tiere, nochmals ein Ei zu legen.
Damit sich der Nachwuchs gar nicht
erst an Menschen gewöhnt, erblickt er als
Erstes eine Kondormama aus Latex. Später
halten sich die Kleinen einige Monate mit
anderen Jungen und erwachsenen Kondoren in einem Freiluftkäfig auf. Ihr Sozialverhalten wird entscheiden, mit wem
und wo sie später freigelassen werden.
Am Rande der Ausrottung
Dieses Zuchtprogramm ist für das weitere
Überleben des Kondors äusserst wichtig.
Ein Paar brütet nur alle drei Jahre ein Ei
aus. Aus diesem Grund könnte sich der
dezimierte Bestand selbst dann nur sehr
langsam erholen, wenn alle Jungtiere die
Geschlechtsreife erreichen. In Venezuela
zum Beispiel sind die weltweit grössten
Vögel bereits ausgestorben, in Ecuador,
Peru und Bolivien leben nur noch wenige
Exemplare. Auch die Bestände in Argen-
tinien und Chile schrumpfen. Dem heiligen Vogel der Indianer, dem Boten
zwischen Göttern und Menschen und
Überbringer menschlicher Seelen, erging
es gleich wie den Ureinwohnern. Er
wurde ein Opfer der Eroberer. Sie töteten
ihn, weil er den Indianern heilig war. Das
Werk der Konquistadoren wurde von
den Landwirten weitergeführt, die ihre
Lämmer mit Strychnin bestrichen, um
Pumas und Füchse zu töten. Heute sind
es vor allem Hochspannungsleitungen,
die viele Opfer verursachen.
Bereits seit 13 Jahren kämpft Norberto
Jácome, technischer Direktor des Zoos
von Buenos Aires, im Auftrag der Stiftung
Bioandina gegen das schleichende Ver-
Reportage NATUR
Minutentakt
schwinden dieses Kulturtieres der Anden.
Er baut seine Arbeit auf drei Säulen auf:
die Aufzucht von Kondoren, die Pflege
von verletzten Tieren und die Aufklärung
der Bewohner in jenen Gegenden, wo
die im Zoo geborenen Kondore ausgesiedelt werden.
Mit Sendern
ausgestattete Vögel
Wichtig ist, dass verletzte Kondore
während der Pflege rüde behandelt
werden. Dazu Jácome: «Es ist beabsichtigt, dass sie Menschen in unangenehmer
Erinnerung behalten und sich von ihnen
fern halten.»
Doch ohne Sensibilisierung der Leute,
die die Heimat der Kondore bewohnen,
werden die Vögel aussterben und mit
ihnen noch viele andere Tierarten. In
den letzten Jahren haben Jácome und
seine Leute deshalb 65 000 Kinder in 600
Schulen auf das Schicksal des «heiligen
Vogels» aufmerksam gemacht. Bei dieser
Gelegenheit sprachen sie auch über Arca,
kanische Tiere. «Doch auf der Arche
Noahs waren alle Tiere vertreten. Deshalb
konservieren wir auch genetisches Material von Tigern, Schimpansen oder
Giraffen.»
Unter den südamerikanischen Tierarten befinden sich die selten gewordenen Pampa-Hirsche, der Brillenbär, aber
auch Katzenarten wie Puma, Jaguar,
Ozelot oder die Bergkatze. In der Genbank werden Spermien, Eier, Embryonen,
Haarwurzeln, Blut, Urin, Fäkalien und
anderes Zellmaterial aufbewahrt.
Foto: Thomas Vogel
Die Freilassung wird von indianischen
Ritualen begleitet, das Tier wird begrüsst
und zwei Federn seiner Eltern dem Wind
übergeben, bevor der Vogel selber in die
Lüfte steigt. Als Aasfresser, die sogar
Knochen aufbrechen können, sind Kon-
Alle drei Minuten
stirbt eine Art aus
dore für das Ökosystem der Anden von
grosser Bedeutung.
Von den bisher aus der Aufzucht freigelassenen 20 Kondoren ziehen noch 17
ihre weiten Kreise am Himmel zwischen
Venezuela und Patagonien. Ein Tier flog
in ein Kabel, eines wurde in Chile abgeschossen und ein anderes vergiftete sich.
Unter Mithilfe des Wiener Zoos Tiergarten Schönbrunn wurde ein Monitoringprogramm auf die Beine gestellt. Die
Kondore sind mit Sendern und GPS ausgestattet, sodass Jácome und sein Team
mehr über die Lebensgewohnheiten der
Vögel erfahren. Das hat auch Einfluss
auf die Pflegestation, die während der
drei Jahre ihres Bestehens 23 verletzte
Kondore pflegte. Einige kamen mit
schweren Brüchen und Verbrennungen in
das «Centro de Rescate».
ein weltweit einzigartiges Projekt
zur Erhaltung der genetischen Ressourcen möglichst vieler Tierarten. Denn:
Alle drei Minuten stirbt eine Wildtierart aus. Gleichzeitig werden sechs Hektaren tropischen Regenwaldes zerstört.
«Die Menschen produzieren täglich eine
Sintflut, die Pflanzen und Tiere mehr
und mehr ausrottet», resümiert Jácome.
Moderne Arche Noah
Mit seiner Arche hat er nun den Kampf
dagegen aufgenommen. Die moderne
Arche ist kein Schiff. Sie besteht aus
sechs 18-Liter-Tanks, die sich im Labor
des Zoos befinden. Flüssiger Stickstoff
kühlt den Inhalt auf auf 196 Grad unter
null ab. Im Innern der Tanks befindet
sich genetisches Material von 42 Tierarten. Im Fokus stehen zwar lateinameri-
Es ist wissenschaftlich noch umstritten, wie alt Zellmaterial werden kann,
um es noch aktivieren zu können. Der
Zoo von Buenos Aires hat einen Versuch
gewagt: Aus drei Jahre lang gefrorenem
Material entstand ein quicklebendiges,
korsisches Mufflon. Die angewendeten
Techniken kommen auch schon in der
humanen Fortpflanzungsmedizin zum
Einsatz.
Programm überlebte sogar
Wirtschaftskrise
Beim Aufbau der Genbank bekommt
Jácome Hilfe von amerikanischen Zoos.
Aber auch eigene Innovationen sind eingeflossen, beispielsweise bei der Entwicklung einer chemischen Suppe, die unter
anderem Antibiotika enthält und die
Zellen vor Frostbrand schützt. Für beNatürlich | 10-2005 15
Kondor: ein riesiger Geier
Es gibt zwei Arten von Kondoren: den
Andenkondor (Vultur gryphus) und den kalifornischen Kondor (Gymnogyps californianus). Zwar gehört auch der Andenkondor zu
den gefährdeten Vogelarten. Während er
sich aber bis in die heutige Zeit über ein
relativ weites Gebiet verbreiten konnte, ist
der kalifornische Kondor ein sehr seltener
Raubvogel, mit wenigen überlebenden
Exemplaren. Dank erfolgreichen Nachzuchten in Gefangenschaft kann der kalifornische Kondor inzwischen wieder ausgesiedelt werden.
Die rund zehn bis zwölf Kilogramm schweren Geier sind abwechslungsreich gefärbt;
sie sind zwar überwiegend glänzend
schwarz, haben aber eine flaumige, weisse
Halskrause, und die oberen Flügeldecken
sowie die Armschwingen sind glänzend
silberweiss. Kopf und Hals sind nackt und
blut- bis dunkelrot.
Dank einer Flügelspannweite von über
drei Metern sind Kondore ausgezeichnete
Segler und imstande, sich auch durch
geringe thermische Aufwinde mit rund 55
Stundenkilometern dahintragen zu lassen.
Der Andenkondor ist nicht nur der grösste
aller flugfähigen Vögel, er lässt auch mit
bis zu 7000 Meter Flughöhe jeden anderen
Vogel unter sich zurück.
In Gefangenschaft erreichen die Aasfresser
ein Alter von bis zu 85 Jahren. In freier Wildbahn geht man von einem Durchschnittsalter von etwa 40 Jahren aus.
thv
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stimmte Projekte, wie der Sammlung von
genetischem Material aller amerikanischen Wildkatzen, hat Jácome inzwischen Sponsoren gefunden.
Selbst während der schwierigen Zeit
der argentinischen Wirtschaftskrise vor
drei Jahren wurde das Programm nie infrage gestellt. Adrian Sestelo, Koordinator
von Arca: «Genauso wie man die Tiere
weiter füttern muss, kann man auch ein
solches Programm nicht aufgeben, wenn
das Geld spärlicher fliesst. Denn dann
wäre die ganze bisherige Arbeit überflüssig gewesen.»
Die Forscher des Arche-Projektes
bemühen sich, von den gesammelten
Tierarten ein möglichst breites Spektrum
an genetischem Material zu erhalten.
Quellen sind Tiere im Zoo oder in Parks,
aber auch verunfallte Wildtiere. «Wir
können aber nicht mit der ganzen Laboreinrichtung den Tieren in den Bergen
hinterherjagen», sagt Adrian Sestelo.
Denn das genetische Material muss
schnellstmöglich verarbeitet werden,
sonst stirbt es ab. Solange Platz und Geld
vorhanden ist, möchte Jácome so vielen
Tierarten wie möglich Platz in seiner
Arche bieten, auch wenn es nur deren
genetisches Material ist. Er sagt: «Früher
genügte es, wenn die Zoos Elefanten,
Bären, Tiger und Löwen zeigten. Heute,
wo die Lebensgrundlage dieser Tiere
bedroht ist, müssen sie mehr tun. Sie
müssen selber zur Rettung von Tierarten
beitragen.»
■
www.fundacionbioandina.org.ar
Gendatenbank:
Von 42 Tierarten bewahrt der Zoo Buenos
Aires genetisches
Material auf
Frisch geschlüpft:
Auf diesem Kondor
ruht die Hoffnung der
Umweltschützer
Fotos: zVg
Foto: Okapia
NATUR Reportage
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