SWR2 Cluster 13.11.2013, Musikmarkt extra: Buch

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SWR2 Cluster 13.11.2013, Musikmarkt extra: Buch-Tipp
„Ein Glücksfall für alle Operninteressierten“
Carolyn Abbate, Roger Parker
Eine Geschichte der Oper. Die letzten 400 Jahre.
C.H. Beck, 735 S, 38,00 Euro
ISBN 978-3-406-65542-5
Autor: Dieter David Scholz
Claudio Monteverdi: Toccata aus „L‟Orfeo“ (Ausschnitt)
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Es war der 24. Februar 1607, als der Hofkapellmeister Claudio Monteverdi im Palast
Vincenzo Gonzagas, des Herzogs von Mantua, seine „Favola in musica“, L'Orfeo zum ersten
Mal aufführte. Man darf diesen Tag als den Geburtstag der Oper bezeichnen. Auch wenn
neun Jahre zuvor bereits Jacopo Peri in Florenz ein „dramma per musica“ „Dafne“
geschrieben hatte, das aber nur fragmentarisch erhalten ist. Monteverdi beschritt mit seinem
Orfeo in der musikalisch-dramatischen Schilderung menschlicher Freuden und Leiden einen
Weg, der inzwischen ein vierhundert Jahre alter ist. Carolyn Abbate und Roger Parker
verfolgen diese "letzten 400 Jahre" zurück, wie es im Untertitel heißt, und suggerieren in
ihrem Optimismus, dass diese Operngeschichte keineswegs abgeschlossen ist. "Die
Tatsache, dass über so lange Zeiträume hinweg immer wieder Opern komponiert wurden,
und diese Kunstform sich zu einer Zeit weltweit verbreitet, da die übrige klassische Musik
ernsthaft bedroht ist, sollte in der Tat ein Grund zum Jubilieren sein."
Gian Carlo Menotti: Ouvertüre aus “Amelia al ballo” (Ausschnitt)
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Was die unglaublich umfassende, einbändige, mehr als 700 Seiten dicke Operngeschichte
des amerikanisch-britischen Autorenpaares vor allem auszeichnet, dass sie nicht nur die
bekanntesten Opernkomponisten wie Monteverdi, Händel, Mozart, Strauss, Puccini bis hin
zu Berg und Britten darstellt, und ihre Werke, sondern neben anschaulichen, nicht selten
amüsanten und ziemlich lebensnahen Kommentaren auch das soziokulturelle, politische und
musikalische Umfeld. Aber auch die Musik kommt nicht zu kurz: Die Autoren erklären
beispielsweise einleuchtend, wie die Händelschen „Blut- und Donner-Momente"
funktionieren, wie Verdi - der die Zerrissenheit von Außenseitern, Mächtigen und Opfern in
der Welt des 19. Jahrhunderts, den Konflikt zwischen Innen und Außen, Schein und Sein in
ungekannter Schärfe auf die Opernbühne brachte - sich vom "Rossini-Code" wegentwickelte,
und wie deutsche Komponisten in ihr Opernschaffen "einen Grundstock an technischem
Wissen" eingebracht hätten, "den sie sich (vor allem) als Komponisten von
Instrumentalmusik angeeignet hatten". Interessant auch, wie sie deutlicher als die meisten
Opernhistoriker endlich einmal darstellen, wie sehr sich der junge Richard Wagner,
bekennender Europäer, an der französischen und italienischen Oper orientiert habe.
Richard Wagner: Ouvertüre aus „Das Liebesverbot“ (Ausschnitt)
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Das Buch von Carolyn Abbate und Roger Parker ist das Ergebnis einer fast dreissigjährigen
Teamarbeit der Autoren und darf als höchst kompetente wie informative Liebeserklärung an
die Oper verstanden werden. Es ist bezeichnend für den so ganz ungelehrten Stil des
gelehrten Buches, wenn die Autoren zur Charakterisierung der Oper ironischerweise einen
Zeichentrickfilm von Kim Thompson, "All the great operas in ten minutes" zitieren, an dessen
Schluß das Wesen der Oper auf die Formel gebracht wird: "Einfach jede Menge Leute in
Kostümen, die sich verlieben und sterben. ... Na ja, da wäre noch die Musik. Gesungen wird
da auch noch? Ja, in der Oper wird eigentlich nicht gesprochen, sondern alles wird
gesungen. Jede Menge Musik. Das schon. Und zum Teil sogar ganz schön".
Richard Strauss: „Der Rosenkavalier“ (Ausschnitt)
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Eben das mache das Faszinosum Oper aus, dass sie auf eine seltsame, unvorhersehbare,
unrealistische Art und Weise etwas in uns anspreche, was ausserhalb unser kognitiven
Sphäre liege, aber "auf hohem Testosteronspiegel", so Carolyn Abbate und Roger Parker.
Oper sei "manipulative Kommunikation" jenseits des alltäglichen Lebens, und spiegele
gerade dadurch Lebenserfahrungen um so deutlicher, gewissermaßen im Hochrelief.
"Im Sterben Liegende, die nichtsdestotrotz in den höchsten Tönen weitersingen, sind in der
Oper das Normalste von der Welt." Man denke nur an Violetta in "La Traviata". Natürlich:
Die Oper ist ein unrealistisches Genre. Aber das eben macht die Oper so spannend: Gerade
wegen der oft so krassen Diskrepanz zwischen "unseren Plausibilitätserfahrungen aus der
wirklichen Welt" und dem, was in der Oper stattfinde, übt diese Gattung, die Oscar Bie
einmal als "unmögliches Kunstwerk" bezeichnete, seit nun schon vierhundert Jahren eine so
ungebrochene Anziehungskraft auf uns aus. Eben deshalb bezeichnen die Autoren alle
Versuche, Alltägliches auf die Opernbühne zu bringen, als fragwürdigen Populismus.
Ein Seitenhieb aufs sogenannte Regietheater.
Giuseppe Verdi: „Se una pudica vergine“ aus „La Traviata“ (Ausschnitt)
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Viel Musik wird heute komponiert zu Handlungen in Film, Fernsehen, Musical, für Werbung
und auch noch für die Opernbühne, gewiss. Aber, so prognostizieren Carolyn Abbate und
Roger Parker: "Das meiste davon wird vergehen und bald vergessen sein." Zuweilen werde
auch das Medium, das die Musik angeregt habe, wieder verschwinden; auch das sei schon
immer so gewesen. Anders die Oper, so bilanzieren sie: "Immer wieder wird sie die
vielfältigen menschlichen Erfahrungen ausdrücken wie keine andere Kunstform. Die Bäume
in diesem riesigen Wald sind in der Tat schon sehr alt und groß. Ihre Schönheit aber, wie
auch die Schatten, die sie werfen, sind gewaltig." Carolyn Abbates und Roger Parkers
Operngeschichte ist eine der besten, die je geschrieben wurden, und seit langem die erste
einbändige. Den Autoren ist fast so etwas wie die Quadratur des Kreises gelungen. Der
interessierte Laie wie der Kenner der Materie profitiert von diesem leicht lesbaren, von Karl
Heinz Siber und Nikolaus de Palézieux glänzend aus dem Englischen übersetzten Buch.
Man schmökert gern darin und lernt immer wieder dazu. Ein Glücksfall für alle
Operninteressierten, dieses Buch.
Wolfgang Amadeus Mozart: „Così fan tutte“ (Ausschnitt)
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