Kriterien für eine ethische Bewertung der Energieversorgung

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Studium Generale:
Klimawandel und Energiewende
– Das Morgen beginnt heute
Arbeitsbereich
Ethik und
Bildung
Übersicht und Gliederung
Org.: Heinz Clement, Josef Jochum, Thomas Potthast
http://rockethics.psu.edu/climate/whitepaper/edcc-whitepaper.pdf
http://www.aquasoli.de/i
mages/energie/bild-4.jpg
Kriterien für eine ethische Bewertung
der Energieversorgung
Thomas Potthast
1.
Mythen, Geschichte und Utopien der Energieversorgung
2.
Aktueller Problemkontext: Fossile Energieträger,
Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität
3.
Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung
und Fragen der Abwägung
4.
Das Fallbeispiel „Energiepflanzen“
5.
Fazit und Ausblick
[email protected]
http://www.aquasoli.de/images/
energie/bild-3.jpg
http://www.contexo.net/wiki/imag
es/e/ed/Akw.jpg
http://www.energieagenda.ch/images/news/1261126542.jpg
http://bild3.qimage.de/energiepflanzen-miscanthus-x-foto-bild-36475233.jpg
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2
1.1 Feuer und Pflanzen:
Energie-Basis für die frühe Menschheit
1.
Mythen und Utopien der Energieversorgung
2.
Aktueller Problemkontext: Fossile Energieträger,
Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität
3.
Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung
und Fragen der Abwägung
4.
Das Fallbeispiel „Energiepflanzen“
5.
Fazit und Ausblick
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3
•
Prometheus, der Titan, bringt den
Menschen das ihnen von Zeus
entzogene Feuer zurück –
entzündet am Sonnenwagen des
Helios mit Hilfe eines Stängels des
Riesenfenchels (Ferula communis)
•
Die Beherrschung des Feuers – in
Form über die Ernährung hinaus
gehender Nutzung pflanzlicher
Energie – als Indikator für den
Beginn menschlicher Kultur
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4
1
1.3 Geschichte, Gegenwart, Zukunft:
Energienutzung und -bedarf
1.2 Energienutzung als Entwicklungsindikator
•
Energie„verbrauch“: Nahrung, Feuer, Artefakte...
(in Watt Dauerleistung, nach Heinloth 2003):
- Vorgeschichtlich:
ca. 100 W/Person
- Mittelalter:
ca. 1.000 W/Person
- Industrieländer:
ca. 7.000 W/Person
•
Große nationale Unterschiede:
Indien 0,3 / China 1,0 / Japan 5,7 /
Deutschland 6,0 / Niederlande 7,3 / USA 11,0 kW
•
Große soziale Unterschiede:
Innerhalb Deutschlands von 1,5 bis 15 kW
•
Industrielle Entwicklung und Bevölkerungswachstum
-> weiter steigender Energiebedarf
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(Heinloth 2003: 437)
5
1.4 Eine Zukunftsutopie von 1959
6
1.5 Eine Zukunftsutopie von 2009
„Wie die Kettenreaktionen auf der Sonne uns Wärme, Licht und Leben
bringen, so schafft die Atomenergie, in anderer Maschine als der der
Bombe, in der blauen Atmosphäre des Friedens, aus Wüste Fruchtland,
aus Eis Frühling. Einige Hundert Pfund Uranium und Thorium würden
ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen,
Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu
verwandeln. Sie würden ausreichen, um der Menschheit die Energie, die
sonst in Millionen von Arbeitsstunden gewonnen werden mußte, in
schmalen Büchsen, höchstkonzentriert, zum Gebrauch fertig
darzubieten.“
"Die Wüsten der Erde empfangen in 6 Stunden mehr Energie von der
Sonne, als die Menschheit in einem ganzen Jahr verbraucht. […] Studien
[…] zeigen, dass in Wüstengebieten vor allem solarthermische
Kraftwerke … [Strom] … ökonomisch erzeugen können. Um den
heutigen globalen Strombedarf von 18.000 TWh/Jahr zu decken, würde
es reichen, drei Tausendstel der weltweit ca. 40 Mio. km2 an
Wüstenflächen mit Spiegel- oder Kollektorfeldern solarthermischer
Kraftwerke auszustatten. Pro Mensch würden somit etwa 20 m2 Wüste
genügen, um den eigenen Strombedarf Tag und Nacht CO2-frei zu
decken“.
(Ernst Bloch 1959: 775)
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(DESERTEC Red Paper auf: www.desertec.org)
7
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8
2
1.7 Probleme rein technisch-fortschrittsbasierter
Entwürfe der Energieversorgung
1.6 Der klassische fortschrittsbasierte Entwurf
1.
Die Zunahme an Energiebedarf ist ein Maß für zivilisatorischen
Fortschritt
•
Technische Machbarkeit zu optimistisch eingeschätzt!?
(z.B. Kernfusion)
2.
Für den zunehmenden Bedarf gibt es keine Alternative
•
3.
Technische Innovation kann den zunehmenden Bedarf decken
(Dampfmaschine -> Verbrennungsmotoren + Stromaggregate ->
Atomkraftwerke -> Solarkraftwerke -> …)
Ökonomische Machbarkeit zu optimistisch eingeschätzt!?
(z.B. Photovoltaik)
•
Soziale und politische Machbarkeit falsch eingeschätzt!?
(z.B. Atomkraft)
•
Gesundheitliche und Umweltrisiken falsch eingeschätzt!?
(z.B. Atomkraft, fossile Energieträger)
Politischer Fortschritt und bzw. durch Techniken der Energieversorgung:
„Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen
Landes“ (Lenin ca. 1920)
„Ohne Atomkraft gehen bei uns [im freien Westdeutschland] die Lichter
(Filbinger ca. 1977)
aus“
•
Zweifel an Fortschrittsorientierung insgesamt: Lebensstile/Lebensziele
⇒
Reine Technikorientierung (Energiemenge) nicht ausreichend
⇒
Zusätzliche Kriterien zur Bewertung von Energieversorgungsoptionen
aber…
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9
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10
2.1 Globale Primärenergieversorgung
(Total Primary Energy Supply: TPES): Verdopplung in 34 Jahren!
1.
Mythen und Utopien der Energieversorgung
2.
Aktueller Problemkontext: Fossile Energieträger,
Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität
3.
Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung
und Fragen der Abwägung
4.
Das Fallbeispiel „Energiepflanzen“
5.
Fazit und Ausblick
Primärenergie: aus Energiequellen zur Nutzung verfügbare Energie (inkl. Umwandlungsverlusten)
(Mtoe: Megatonnen Öläquivalent, 1 Mtoe = 11,63 TWh, Abb. und Daten aus IAE 2009)
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11
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12
3
2.2 Trends der Treibhausgasemissionen
(IPCC 2007)
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2.3 Anteilige Treibhausgasemissionen
13
2.4 Globale Problemfelder aufgrund
intensiver (v.a. fossiler) Energienutzung
(MacKay 2008: 438)
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14
2.5 Globale Problemfelder u.a. aufgrund
intensiver (allgemeiner) Energienutzung
• Klimawandel (Weltklimarat IPCC 2007):
- mit verursacht / verstärkt durch CO2-Emissionen als
Resultat der Nutzung fossiler Energieträger
- absehbare zerstörerische Folgen auf
ökologischer, ökonomischer und sozialer Ebene
40% Artenrückgang
in 30 Jahren
(Ergebnisse des
Millennium Ecosystem
Assessment 2005)
• Bedrohung der biologischen Vielfalt:
- aufgrund von Habitatzerstörung als Resultat menschlicher
Aktivitäten, gerade auch zur Energiegewinnung
- in Folge des Klimawandels: Eisbär als Symboltier
- schädliche Auswirkungen für ökologische Funktionen ebenso wie
in sozialer und ökonomischer Hinsicht (Stern 2006)
http://www.oekosystem-erde.de/assets/images/biodiv-03_living-planet.jpg
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16
4
2.6 Extremes Artensterben als
Resultat menschlicher Aktivitäten
2.7 Aktuelle umweltpolitische Kontexte
Vereinte Nationen:
2009: Kopenhagener Folgekonferenz zur Klimarahmenkonvention
von 1992 und zum Kyoto-Protokoll von 1997
2010: „Jahr der Biodiversität“ und Folgekonferenz in Nagoya zur
Biodiversitätskonvention von 1992
Aussterberaten sind
sehr viel höher als in
der Erdgeschichte
(Ergebnisse des
Millennium Ecosystem
Assessment 2005)
http://www.oekosystem-erde.de/assets/images/biodiv-01-extinction-rates.jpg
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17
18
3.1 Zukunftsfragen der Energieversorgung
„Die Zukunft beginnt heute“:
1.
Mythen und Utopien der Energieversorgung
2.
Aktueller Problemkontext: Fossile Energieträger,
Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität
3.
Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung
und Fragen der Abwägung
Allgemeine Fragen:
•
Welche Ziele sind anzustreben und wer soll welchen Beitrag leisten?
4.
Das Fallbeispiel „Energiepflanzen“
•
5.
Fazit und Ausblick
Welche zukünftigen – positiven und negativen – Folgen hat die heutige
Wahl der (zukünftigen) Energieversorgung?
•
Welche dieser Folgen können (Empirie) und welche sollen (Ethik)
erreicht bzw. vermieden werden?
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•
19
Vorausgesetzt: Es besteht eine Verpflichtung gegenüber zukünftigen
Menschen und in gewisser Weise auch der biologischen Vielfalt
(für Details vgl. Vortrag vom 18.05-2021)
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20
5
3.2 Normative Grundlage I:
Nachhaltige Entwicklung im „starken“ Sinne
3.2 Normative Grundlage II: Erweiterung
jenseits der Verpflichtungen gegenüber Menschen
Inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit (vgl. Ott & Döring 2008)
Naturethische Perspektiven
Sozialethisch:
•
Eigenwert der biologischen Vielfalt:
moralische Bedeutsamkeit über klugheitsethische und instrumentelle
Bedeutung hinaus (vgl. Präambel Biodiversitätskonvention)
•
Berücksichtigung der Interessen leidens- und schmerzempfindlicher
nichtmenschlicher Lebewesen
•
Gerechtigkeit zwischen heutigen und zukünftigen Menschen
•
Verantwortung gegenüber heutigen und zukünftigen Menschen
•
Materiale Dimensionen der Grundbedürfnisse des Lebens beachten
Individualethisch:
•
---
Möglichkeiten ein individuell gelingendes Leben zu führen
Grundsätzlich wird das Verursacherprinzip anerkannt:
Die industrialisierten Länder sind zur umfangreicheren und schnelleren
Reduktion des THG Ausstoßes verpflichtet, weil sie zur THG Erhöhung
bislang sehr viel mehr beigetragen haben (vgl. Brown et al. 2004)
Klugheitsethisch:
•
Natur kann und darf nicht als unbegrenzt durch anderes „Kapital“
(Technik, Geld, Wissen) ersetzbar verstanden werden
•
Vorsorgeprinzip: bei Gefahr im Zweifel auf der sicheren Seite irren
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21
3.3 Kriterien zur Beurteilung von
Systemen der Energieversorgung
22
3.4 Fossile Energieträger
Fünf Kriterien (nach Streffer et al. 2005)
• Wirtschaftlichkeit
• Langfristige Versorgungssicherheit
• Umweltverträglichkeit
• Verteilungsgerechtigkeit: Gewinne und Lasten
• Sozialverträglichkeit: Akzeptabilität und Kompatibilität im Kontext
Zudem zusätzlich (tp)
• Politikverträglichkeit: keine „Ökodiktatur“
• Technische und systemische Handhabbarkeit im Sinne von
Fehlerfreundlichkeit bzw. Reversibilität (vgl. Jonas 1979)
-> weder reine Bedarfsorientierung noch rein technische Machbarkeit
-> alle Kriterien zusammen bilden den konkreten ethischen Sinn von
„Nachhaltigkeit“ als „Zukunftsgerechtigkeit“
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• Wirtschaftlichkeit
-> z.T. immer noch gegeben
• Langfristige Versorgungssicherheit
-> nur mittelfristig
• Umweltverträglichkeit
-> nein aufgrund THG-Problematik und Umweltkosten des Abbaus
• Verteilungsgerechtigkeit: Gewinne und Lasten
-> global: nein, regional eher auch nicht (Bergbauschäden)
• Sozialverträglichkeit: Akzeptabilität und Kompatibilität im Kontext -> ja
• Politikverträglichkeit: keine „Ökodiktatur“ -> ja
• Technische und systemische Handhabbarkeit im Sinne von
Fehlerfreundlichkeit bzw. Reversibilität
-> nein aufgrund Klimawandel und Artenverlust
23
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24
6
3.5 Unterschiedliche Verpflichtungen zur
Treibhausgas-Reduktion…
3.4 Fossile Energieträger: Zur Abwägung
• Verteilungsgerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit, Fehlerfreundlichkeit
erfordern drastische Reduktion des Einsatzes
• trotz Wirtschaftlichkeit, mittelfristiger Versorgungssicherheit, Sozial- und
Politikverträglichkeit
⇒ Abwägung ist nicht subjektiv oder beliebig
⇒ Sie ergibt sich aus den
- bekannten empirischen Rahmenbedingungen
und
- den akzeptierten moralischen Prinzipien / Verpflichtungen
Convergence:
Unterschiedliche
Reduktionsverpflichtungen
je nach Land
Contraction:
Gemeinsame (ab 2030)
gleiche Reduktion
von THG
Global Commons Institute www.gci.org.uk/
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25
26
3.6 Alternativen zu fossilen Quellen
der Energieversorgung
Energiesparen (prioritär)
• Geräte, Gebäude, Verkehr, Energienetze technisch optimieren
• Bedarf für gelingendes Leben reflektieren -> Lebensstilfragen
Speicherung aktuell produzierter, aber nicht genutzter Energie
• Pumpspeicherwerke
• Neue Speichermedien (Wasserstoff, Brennstoffzellen, …)
Nicht-fossile Alternativen
• Atomenergie
• Strom aus Wind- und Wasserenergie
• Photovoltaik
• Geothermie
• Solarthermie (vgl. globales DESERTEC-Projekt)
• Energiepflanzen / Energie aus „Biomasse“
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1.
Mythen und Utopien der Energieversorgung
2.
Aktueller Problemkontext: Fossile Energieträger,
Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität
3.
Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung
und Fragen der Abwägung
4.
Das Fallbeispiel „Energiepflanzen“
5.
Fazit und Ausblick
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28
7
4.1 Was sind „Energiepflanzen“?
4.2 Wirtschaftlichkeit
-
http://www.bauerhubert.de/uploads/pics/energiepflanzen_01.jpg
Teilmenge der nachwachsenden Rohstoffe
zum Zwecke der Energienutzung agrarisch angebaut
Bäume immer schon auch „Energiepflanzen“, aber nicht nur
Kurzumtriebsplantagen „Energiewälder“ verwischen Gegensatz zwischen
Acker- und Waldbau
- Für Biogasanlagen: Mais, Wintergetreidearten (Triticale, Roggen,
Weizen), Sudangras, Zuckerhirse, Sonnenblumen, Gräser
- Global: Zuckerrohr (Brasilien), Palmöl (Südasien) für Kraftstoffe
„Biomasse“ zur energetischen Nutzung
- Nicht nur Energiepflanzen, sondern
- Organische Restsubstanzen: Pflanzenreste, Durchforstungs- und Totholz,
Sägespäne, pflanzliche Abfälle und Tierreste (Faeces)
• Bei steigenden Energie- und fallenden Nahrungsmittelpreisen bereits
jetzt gegeben (Raps und Zuckerrüben in Norddeutschland, Zuckerrohr in
Brasilien, Palmöl in Südasien)
• Aber welche Wirtschaftlichkeit:
- Betriebswirtschaftlich (Bauernhof, Mindestgröße)?
- Volkswirtschaftlich (Import-/Export Energie und Technologien)?
- Gesamtwirtschaftlich (Einrechnung der Umweltkosten, die ggf.
anderen anderswo entstehen)?
https://www.landtechnik-online.eu/typo3temp/pics/345e4335b5.jpg
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30
4.3 Langfristige Versorgungssicherheit
projekte_pics/agrowood_01.jpg
• Nachwachsender Rohstoff, daher grundsätzlich möglich
aber:
• nur sofern nachhaltige Anbaupraxis ohne Bodendegradation etc.
-> Problem: Monokulturen ohne Fruchtwechsel als Trend der
Energiepflanzen (Mais, Zuckerrübe, z.T. Raps, Zuckerrohr, Ölpalmen)
• Wechsel zurück zu Nahrungspflanzen aus verschiedenen ökonomischen
(„Preise für Nahrung“) oder politischen Gründen („Güterabwägung“)
-> keine sichere langfristige Energie- und Agrarstrategie
• Mögliche Alternative: Forstflächen als Kurzumtriebsplantagen
(„Energiewald“)
-> Monokulturproblem und Bodenveränderung („Aushagerung“ der Böden
wie bei früheren Niederwäldern)?
http://www.waldundklima.net/projekte/
http://www.biotechnologie.de/BIO/Redaktion/Bilder/de/Newsfotos/2007/fnr-energiepflanzen-bilanz,property=bild,bereich=bio,sprache=de.jpg
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32
8
4.4 Umweltverträglichkeit
Fächenbedarfe für
Energieversorgung
in Deutschland
(Heinloth 2003)
-> unrealistische Ziele
Abhängig von
• nachhaltiger Anbaupraxis und Bewirtschaftung
- kein großflächiger pestizidgestützter und vor allem dünger- und
treibstoffintensiver Anbau
(Energie- und C02-Bilanz sonst doch negativ)
- keine Monokulturen ohne Fruchtwechsel
• Herkunft der Anbaufläche
- keine Zerstörung von
naturschutzrelevanten Flächen
- kein Anbau auf Moorböden,
diese setzen bei Zerstörung durch
Anbau mehr CO2 frei als eingespart wird
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Umweltverträglichkeit: carbon debt
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34
Umweltverträglichkeit: Zweikulturverfahren
Neue Zweikulturverfahren:
Energiepflanze und eine passende Nahrungspflanze
nacheinander in einem Jahr
http://photos.mongabay.com/08/0207science_biofuels400.jpg
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36
9
Exkurs: Zweikulturverfahren
4.5 Verteilungsgerechtigkeit
• Das Zweikulturnutzungsverfahren besteht zum Beispiel aus einer
Wintergetreideart und einer Sommerkultur wie z. B. Mais.
• vorgezogene Ernte des Getreides, verbleibende Vegetationszeit wird für
den Maisanbau genutzt. Bei ausreichend langer Sommervegetationszeit
und guter Wasserversorgung kann noch ein durchschnittlicher bis hoher
Maisertrag erzielt werden. Wird auf den Höchstertrag der ersten Kultur
verzichtet und diese bereits in der Blüte geerntet, ist Mais so gut wie bei
Einkulturnutzung
• In klimatisch weniger günstigen Lagen oder auf flachgründigen Böden:
die Winterung (Triticale, Roggen) erst Ende Juni/Anfang Juli ernten, um
den Zeitpunkt der höchsten Biomasseproduktion abzuwarten. Als
Zweitkultur bieten sich dann Sommergetreidearten wie Sommerroggen
oder Sommertriticale an, die auch bei kurzer Vegetationszeit einen
ausreichenden Reifegrad erreichen.
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• Grundsätzlich ja, insofern Anbau fast überall möglich ist
Aber v.a. in Ländern des globalen Südens (Afrika, Südamerika, Asien):
• Abhängig von gerechten Bodenbesitzverhältnissen
-> Problemverstärkung des „land grab“: Kauf oder Pacht reicher Staaten für
deren Energiepflanzenproduktion
• Konflikt „Voller Tank – leere Teller“ in Konkurrenz mit
Nahrungsproduktion als zentrales Problem
-> Problemverstärkung der „cash crops“
=>Insgesamt starkes Gegenargument in der Güterabwägung gerade auch
zwischen den Kriterien
37
4.6 Sozialverträglichkeit
38
4.7 Demokratieverträglichkeit
• Konkurrenz mit Nahrungsmittelproduktion (vgl. 4.4)
• Strukturwandel: nur große Betriebe mit externem Kapitaleinsatz möglich,
Kleinbauern ausgeschlossen?
• Weizen als Energiepflanze: religiöses oder säkular-moralisches
Unbehagen, die Symbolpflanze der Ernährung zu verbrennen („Heizen
mit Weizen“)
• Hochleistungssorten (z.B. Mais-Sorte Atletico):
- landschaftsästhetische Bedenken
gegen 4 m hohe Maispflanzen
- verkehrstechnische Folgen: Abstand
von Straßen muss wegen
der Einsehbarkeit von Kreuzungen
vergrößert werden
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• Keine grundsätzlichen Bedenken
• stark abhängig vom landwirtschaftlichen System insgesamt
• ggf. Probleme beim Anbau patentierter Sorten (Landwirtevorbehalt in
der Züchtung umgangen, dies ist auch relevant für
Verteilungsgerechtigkeit und Sozialverträglichkeit)
39
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40
10
4.8 Handhabbarkeit,
Fehlerfreundlichkeit, Reversibilität
4.9 Übergreifende Aspekte
Weitere Differenzierungen nötig:
• Effizienz der Energienutzung und des technischen Energie- und CO2Aufwands unterschiedlicher Verfahren
-> direkte Heiznutzung und Biogas sehr viel effizienter als Verstromung
und vor allem Treibstoffproduktion
• Pflanzenauswahl: regionale, heimische, Neophyten, GVO
-> Aspekte des Naturschutzes, der Risikovorsorge
• Flächenauswahl und -größe:
-> weder national „St. Florian“ noch neokoloniale Verschiebung des
Anbaus
• Kontext der energetischen Nutzung: Reststoffnutzung vs. gezielter
Anbau
-> Reststoffnutzung bevorzugt
• Grundsätzlich gegeben, insofern Anbau reversibel
• Grundsätzlich nicht gegeben bei Zerstörung von Moorböden und
langfristiger Bodendegradation durch nicht nachhaltigen Anbau
• Ökologische Effekte nichtheimischer Arten: weniger mit der Art
verbundene Mitglieder der Lebensgemeinschaft, ggf. Artenverlust
• Problematik gentechnisch veränderter Sorten (GVO) nicht spezifisch,
aber ggf. auch vorhanden
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42
4.10 Abwägungsfragen
• Wichtige Rolle als Brückentechnologie für zeitweiligen Ersatz fossiler
Energieträger bis ca. 2050, wenn größere Mengen Strom aus Wind- und
Solarenergie vorliegen (WBGU 2009)?
• Akzeptabel dort, wo es Nahrungsmittelüberproduktion gibt?
• Nutzungsdruck versus Naturschutz?
• Prioritätenliste für landwirtschaftliche Landnutzung insgesamt?
-> Bis zu maximal 10% des globalen Energiebedarfs für das Jahr 2050
(WBGU 2009)
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1.
Mythen und Utopien der Energieversorgung
2.
Aktueller Problemkontext: Fossile Energieträger,
Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität
3.
Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung
und Fragen der Abwägung
4.
Das Fallbeispiel „Energiepflanzen“
5.
Fazit und Ausblick
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44
11
5.1 Zukunftsgerechte Energieversorgung
Konsense und moralische Verpflichtungen
• Intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit
• Erhaltung der Biodiversität, Stopp des Sorten- und Artenrückgangs
• Effizienz der Energienutzung erheblich erhöhen
• Rascher und weitgehender Ersatz der fossilen Energieträger
• Nicht jede Form regenerierbarer oder CO2-neutraler Energiequellen ist
per se nachhaltig (Abwägung der unterschiedlichen Kriterien)
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5.2 Zukunftsgerechte Energiepflanzen
5.3 Technik und Naturverhältnis
• Im großen Stil Übergangs-/Brückenenergie mit nur zeitweiligem Ausbau
• Konkurrenz mit Nahrungsmitteln vermeiden
-> Reststoffnutzung prioritär
-> Zweikulturverfahren weiter erproben und entwickeln
• Nur auf geeigneten Flächen
-> Bodenschutz, kein Umbruch von Grünland,
keine Flächen in Schutzgebieten (Biodiversität)
• Ziele und Zwecke im Kontext gesellschaftspolitischer Entwürfe abwägen
• Priorisierung für Landwirtschaftliche Flächen:
Nahrung (vor)> Naturschutz (vor)> Rohstoffnutzung (vor)>
Futtermittel (vor)> Energiepflanzen
"[Technische Unfälle und Ökonomische Krisen – es] entsprechen sich beide
Katastrophen tiefliegend, denn beide stammen letzthin aus einem schlecht
vermittelten, abstrakten Verhältnis der Menschen zum materiellen Substrat
ihres Handelns."
(Bloch 1959: 811)
"Auf diese Art entstand, neben allen Segnungen, ein so eigentümlich
artifiziell-abstraktes Wesen an der bürgerlichen Technik, dass sie wohl auch,
in manchen ihrer listigen Erfindungen, als noch "unnatürlich" fundiert wirken
kann und nicht nur als noch unmenschlich verwaltet. Das "Haus Salomonis"
[die wissenschaftlich-technische Welt; tp], so scheint es, kommt doch nicht
ohne Salomo aus, das ist ohne Naturweisheit." (767)
"Marxismus der Technik, wenn er einmal durchdacht sein wird, ist keine
Philanthropie für misshandelte Metalle, wohl aber das Ende der Übertragung
des Ausbeuter- und Tierbändigerstandpunkts auf die Natur." (813)
=> gesucht: neue postideologische „Allianztechniken“ zur Energieversorgung
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5.4 Kriterien zur Beurteilung von „allianztechnisch“
positiven Bedingungen für
Systeme der Energieversorgung
Danke für Ihre Aufmerksamkeit !
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Wirtschaftlichkeit im Sinne vorsorgenden Wirtschaftens mit der Natur
Langfristige Versorgungssicherheit durch flexible modifizierbare Systeme
Umweltverträglichkeit: nachhaltiger Ressourceneinsatz und Naturschutz
Verteilungsgerechtigkeit: Gewinne und Lasten, keine Monopole
Sozialverträglichkeit: Akzeptabilität und Kompatibilität in der Gesellschaft
Politikverträglichkeit: Demokratische Entscheidbarkeit und Kontrolle
Technische und systemische Handhabbarkeit: Fehlerfreundlichkeit und
möglich weit gehende Reversibilität
-> alle Kriterien zusammen bilden den konkreten ethischen Sinn von
„Nachhaltigkeit“ der Energieversorgung als Teil gelingender
gesellschaftlicher Naturverhältnisse („Allianztechnik“)
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50
Literatur
Bloch, Ernst (1959): Das Prinzip Hoffnung, 3 Bde. Suhrkamp, Frankfurt am Main
Brown, Donald et al. (2004): White Paper on the Ethical Dimensions of Climate Change. Collaborative Program on the Ethical
Dimensions of Climate Change, http://rockethics.psu.edu/climate/whitepaper/edcc-whitepaper.pdf (10.5.2010).
AG Energiebilanzen (2009): Heizwerte der Energieträger und Faktoren für die Umrechnung von spezifischen Mengeneinheiten
in Wärmeinheiten (2000-2007), http://www.ag-energiebilanzen.de/viewpage.php?idpage=65.
Heinloth, Klaus (2003): Die Energiefrage. Braunschweig: Vieweg
IEA – International Energy Agency (2009): Key World Energy Statistics, Paris
http://www.iea.org/textbase/nppdf/free/2009/key_stats_2009.pdf
IPCC - Intergovernmental Panel on Climate Change (2007): Climate Change 2007 - Fourth Assessment Report (AR4)
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Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010
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