Studium Generale: Klimawandel und Energiewende – Das Morgen beginnt heute Arbeitsbereich Ethik und Bildung Übersicht und Gliederung Org.: Heinz Clement, Josef Jochum, Thomas Potthast http://rockethics.psu.edu/climate/whitepaper/edcc-whitepaper.pdf http://www.aquasoli.de/i mages/energie/bild-4.jpg Kriterien für eine ethische Bewertung der Energieversorgung Thomas Potthast 1. Mythen, Geschichte und Utopien der Energieversorgung 2. Aktueller Problemkontext: Fossile Energieträger, Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität 3. Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung und Fragen der Abwägung 4. Das Fallbeispiel „Energiepflanzen“ 5. Fazit und Ausblick [email protected] http://www.aquasoli.de/images/ energie/bild-3.jpg http://www.contexo.net/wiki/imag es/e/ed/Akw.jpg http://www.energieagenda.ch/images/news/1261126542.jpg http://bild3.qimage.de/energiepflanzen-miscanthus-x-foto-bild-36475233.jpg Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 2 1.1 Feuer und Pflanzen: Energie-Basis für die frühe Menschheit 1. Mythen und Utopien der Energieversorgung 2. Aktueller Problemkontext: Fossile Energieträger, Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität 3. Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung und Fragen der Abwägung 4. Das Fallbeispiel „Energiepflanzen“ 5. Fazit und Ausblick Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 3 • Prometheus, der Titan, bringt den Menschen das ihnen von Zeus entzogene Feuer zurück – entzündet am Sonnenwagen des Helios mit Hilfe eines Stängels des Riesenfenchels (Ferula communis) • Die Beherrschung des Feuers – in Form über die Ernährung hinaus gehender Nutzung pflanzlicher Energie – als Indikator für den Beginn menschlicher Kultur Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 4 1 1.3 Geschichte, Gegenwart, Zukunft: Energienutzung und -bedarf 1.2 Energienutzung als Entwicklungsindikator • Energie„verbrauch“: Nahrung, Feuer, Artefakte... (in Watt Dauerleistung, nach Heinloth 2003): - Vorgeschichtlich: ca. 100 W/Person - Mittelalter: ca. 1.000 W/Person - Industrieländer: ca. 7.000 W/Person • Große nationale Unterschiede: Indien 0,3 / China 1,0 / Japan 5,7 / Deutschland 6,0 / Niederlande 7,3 / USA 11,0 kW • Große soziale Unterschiede: Innerhalb Deutschlands von 1,5 bis 15 kW • Industrielle Entwicklung und Bevölkerungswachstum -> weiter steigender Energiebedarf Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 (Heinloth 2003: 437) 5 1.4 Eine Zukunftsutopie von 1959 6 1.5 Eine Zukunftsutopie von 2009 „Wie die Kettenreaktionen auf der Sonne uns Wärme, Licht und Leben bringen, so schafft die Atomenergie, in anderer Maschine als der der Bombe, in der blauen Atmosphäre des Friedens, aus Wüste Fruchtland, aus Eis Frühling. Einige Hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln. Sie würden ausreichen, um der Menschheit die Energie, die sonst in Millionen von Arbeitsstunden gewonnen werden mußte, in schmalen Büchsen, höchstkonzentriert, zum Gebrauch fertig darzubieten.“ "Die Wüsten der Erde empfangen in 6 Stunden mehr Energie von der Sonne, als die Menschheit in einem ganzen Jahr verbraucht. […] Studien […] zeigen, dass in Wüstengebieten vor allem solarthermische Kraftwerke … [Strom] … ökonomisch erzeugen können. Um den heutigen globalen Strombedarf von 18.000 TWh/Jahr zu decken, würde es reichen, drei Tausendstel der weltweit ca. 40 Mio. km2 an Wüstenflächen mit Spiegel- oder Kollektorfeldern solarthermischer Kraftwerke auszustatten. Pro Mensch würden somit etwa 20 m2 Wüste genügen, um den eigenen Strombedarf Tag und Nacht CO2-frei zu decken“. (Ernst Bloch 1959: 775) Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 (DESERTEC Red Paper auf: www.desertec.org) 7 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 8 2 1.7 Probleme rein technisch-fortschrittsbasierter Entwürfe der Energieversorgung 1.6 Der klassische fortschrittsbasierte Entwurf 1. Die Zunahme an Energiebedarf ist ein Maß für zivilisatorischen Fortschritt • Technische Machbarkeit zu optimistisch eingeschätzt!? (z.B. Kernfusion) 2. Für den zunehmenden Bedarf gibt es keine Alternative • 3. Technische Innovation kann den zunehmenden Bedarf decken (Dampfmaschine -> Verbrennungsmotoren + Stromaggregate -> Atomkraftwerke -> Solarkraftwerke -> …) Ökonomische Machbarkeit zu optimistisch eingeschätzt!? (z.B. Photovoltaik) • Soziale und politische Machbarkeit falsch eingeschätzt!? (z.B. Atomkraft) • Gesundheitliche und Umweltrisiken falsch eingeschätzt!? (z.B. Atomkraft, fossile Energieträger) Politischer Fortschritt und bzw. durch Techniken der Energieversorgung: „Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“ (Lenin ca. 1920) „Ohne Atomkraft gehen bei uns [im freien Westdeutschland] die Lichter (Filbinger ca. 1977) aus“ • Zweifel an Fortschrittsorientierung insgesamt: Lebensstile/Lebensziele ⇒ Reine Technikorientierung (Energiemenge) nicht ausreichend ⇒ Zusätzliche Kriterien zur Bewertung von Energieversorgungsoptionen aber… Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 9 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 10 2.1 Globale Primärenergieversorgung (Total Primary Energy Supply: TPES): Verdopplung in 34 Jahren! 1. Mythen und Utopien der Energieversorgung 2. Aktueller Problemkontext: Fossile Energieträger, Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität 3. Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung und Fragen der Abwägung 4. Das Fallbeispiel „Energiepflanzen“ 5. Fazit und Ausblick Primärenergie: aus Energiequellen zur Nutzung verfügbare Energie (inkl. Umwandlungsverlusten) (Mtoe: Megatonnen Öläquivalent, 1 Mtoe = 11,63 TWh, Abb. und Daten aus IAE 2009) Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 11 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 12 3 2.2 Trends der Treibhausgasemissionen (IPCC 2007) Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 2.3 Anteilige Treibhausgasemissionen 13 2.4 Globale Problemfelder aufgrund intensiver (v.a. fossiler) Energienutzung (MacKay 2008: 438) Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 14 2.5 Globale Problemfelder u.a. aufgrund intensiver (allgemeiner) Energienutzung • Klimawandel (Weltklimarat IPCC 2007): - mit verursacht / verstärkt durch CO2-Emissionen als Resultat der Nutzung fossiler Energieträger - absehbare zerstörerische Folgen auf ökologischer, ökonomischer und sozialer Ebene 40% Artenrückgang in 30 Jahren (Ergebnisse des Millennium Ecosystem Assessment 2005) • Bedrohung der biologischen Vielfalt: - aufgrund von Habitatzerstörung als Resultat menschlicher Aktivitäten, gerade auch zur Energiegewinnung - in Folge des Klimawandels: Eisbär als Symboltier - schädliche Auswirkungen für ökologische Funktionen ebenso wie in sozialer und ökonomischer Hinsicht (Stern 2006) http://www.oekosystem-erde.de/assets/images/biodiv-03_living-planet.jpg Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 15 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 16 4 2.6 Extremes Artensterben als Resultat menschlicher Aktivitäten 2.7 Aktuelle umweltpolitische Kontexte Vereinte Nationen: 2009: Kopenhagener Folgekonferenz zur Klimarahmenkonvention von 1992 und zum Kyoto-Protokoll von 1997 2010: „Jahr der Biodiversität“ und Folgekonferenz in Nagoya zur Biodiversitätskonvention von 1992 Aussterberaten sind sehr viel höher als in der Erdgeschichte (Ergebnisse des Millennium Ecosystem Assessment 2005) http://www.oekosystem-erde.de/assets/images/biodiv-01-extinction-rates.jpg Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 17 18 3.1 Zukunftsfragen der Energieversorgung „Die Zukunft beginnt heute“: 1. Mythen und Utopien der Energieversorgung 2. Aktueller Problemkontext: Fossile Energieträger, Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität 3. Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung und Fragen der Abwägung Allgemeine Fragen: • Welche Ziele sind anzustreben und wer soll welchen Beitrag leisten? 4. Das Fallbeispiel „Energiepflanzen“ • 5. Fazit und Ausblick Welche zukünftigen – positiven und negativen – Folgen hat die heutige Wahl der (zukünftigen) Energieversorgung? • Welche dieser Folgen können (Empirie) und welche sollen (Ethik) erreicht bzw. vermieden werden? Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 • 19 Vorausgesetzt: Es besteht eine Verpflichtung gegenüber zukünftigen Menschen und in gewisser Weise auch der biologischen Vielfalt (für Details vgl. Vortrag vom 18.05-2021) Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 20 5 3.2 Normative Grundlage I: Nachhaltige Entwicklung im „starken“ Sinne 3.2 Normative Grundlage II: Erweiterung jenseits der Verpflichtungen gegenüber Menschen Inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit (vgl. Ott & Döring 2008) Naturethische Perspektiven Sozialethisch: • Eigenwert der biologischen Vielfalt: moralische Bedeutsamkeit über klugheitsethische und instrumentelle Bedeutung hinaus (vgl. Präambel Biodiversitätskonvention) • Berücksichtigung der Interessen leidens- und schmerzempfindlicher nichtmenschlicher Lebewesen • Gerechtigkeit zwischen heutigen und zukünftigen Menschen • Verantwortung gegenüber heutigen und zukünftigen Menschen • Materiale Dimensionen der Grundbedürfnisse des Lebens beachten Individualethisch: • --- Möglichkeiten ein individuell gelingendes Leben zu führen Grundsätzlich wird das Verursacherprinzip anerkannt: Die industrialisierten Länder sind zur umfangreicheren und schnelleren Reduktion des THG Ausstoßes verpflichtet, weil sie zur THG Erhöhung bislang sehr viel mehr beigetragen haben (vgl. Brown et al. 2004) Klugheitsethisch: • Natur kann und darf nicht als unbegrenzt durch anderes „Kapital“ (Technik, Geld, Wissen) ersetzbar verstanden werden • Vorsorgeprinzip: bei Gefahr im Zweifel auf der sicheren Seite irren Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 21 3.3 Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung 22 3.4 Fossile Energieträger Fünf Kriterien (nach Streffer et al. 2005) • Wirtschaftlichkeit • Langfristige Versorgungssicherheit • Umweltverträglichkeit • Verteilungsgerechtigkeit: Gewinne und Lasten • Sozialverträglichkeit: Akzeptabilität und Kompatibilität im Kontext Zudem zusätzlich (tp) • Politikverträglichkeit: keine „Ökodiktatur“ • Technische und systemische Handhabbarkeit im Sinne von Fehlerfreundlichkeit bzw. Reversibilität (vgl. Jonas 1979) -> weder reine Bedarfsorientierung noch rein technische Machbarkeit -> alle Kriterien zusammen bilden den konkreten ethischen Sinn von „Nachhaltigkeit“ als „Zukunftsgerechtigkeit“ Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 • Wirtschaftlichkeit -> z.T. immer noch gegeben • Langfristige Versorgungssicherheit -> nur mittelfristig • Umweltverträglichkeit -> nein aufgrund THG-Problematik und Umweltkosten des Abbaus • Verteilungsgerechtigkeit: Gewinne und Lasten -> global: nein, regional eher auch nicht (Bergbauschäden) • Sozialverträglichkeit: Akzeptabilität und Kompatibilität im Kontext -> ja • Politikverträglichkeit: keine „Ökodiktatur“ -> ja • Technische und systemische Handhabbarkeit im Sinne von Fehlerfreundlichkeit bzw. Reversibilität -> nein aufgrund Klimawandel und Artenverlust 23 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 24 6 3.5 Unterschiedliche Verpflichtungen zur Treibhausgas-Reduktion… 3.4 Fossile Energieträger: Zur Abwägung • Verteilungsgerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit, Fehlerfreundlichkeit erfordern drastische Reduktion des Einsatzes • trotz Wirtschaftlichkeit, mittelfristiger Versorgungssicherheit, Sozial- und Politikverträglichkeit ⇒ Abwägung ist nicht subjektiv oder beliebig ⇒ Sie ergibt sich aus den - bekannten empirischen Rahmenbedingungen und - den akzeptierten moralischen Prinzipien / Verpflichtungen Convergence: Unterschiedliche Reduktionsverpflichtungen je nach Land Contraction: Gemeinsame (ab 2030) gleiche Reduktion von THG Global Commons Institute www.gci.org.uk/ Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 25 26 3.6 Alternativen zu fossilen Quellen der Energieversorgung Energiesparen (prioritär) • Geräte, Gebäude, Verkehr, Energienetze technisch optimieren • Bedarf für gelingendes Leben reflektieren -> Lebensstilfragen Speicherung aktuell produzierter, aber nicht genutzter Energie • Pumpspeicherwerke • Neue Speichermedien (Wasserstoff, Brennstoffzellen, …) Nicht-fossile Alternativen • Atomenergie • Strom aus Wind- und Wasserenergie • Photovoltaik • Geothermie • Solarthermie (vgl. globales DESERTEC-Projekt) • Energiepflanzen / Energie aus „Biomasse“ Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 27 1. Mythen und Utopien der Energieversorgung 2. Aktueller Problemkontext: Fossile Energieträger, Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität 3. Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung und Fragen der Abwägung 4. Das Fallbeispiel „Energiepflanzen“ 5. Fazit und Ausblick Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 28 7 4.1 Was sind „Energiepflanzen“? 4.2 Wirtschaftlichkeit - http://www.bauerhubert.de/uploads/pics/energiepflanzen_01.jpg Teilmenge der nachwachsenden Rohstoffe zum Zwecke der Energienutzung agrarisch angebaut Bäume immer schon auch „Energiepflanzen“, aber nicht nur Kurzumtriebsplantagen „Energiewälder“ verwischen Gegensatz zwischen Acker- und Waldbau - Für Biogasanlagen: Mais, Wintergetreidearten (Triticale, Roggen, Weizen), Sudangras, Zuckerhirse, Sonnenblumen, Gräser - Global: Zuckerrohr (Brasilien), Palmöl (Südasien) für Kraftstoffe „Biomasse“ zur energetischen Nutzung - Nicht nur Energiepflanzen, sondern - Organische Restsubstanzen: Pflanzenreste, Durchforstungs- und Totholz, Sägespäne, pflanzliche Abfälle und Tierreste (Faeces) • Bei steigenden Energie- und fallenden Nahrungsmittelpreisen bereits jetzt gegeben (Raps und Zuckerrüben in Norddeutschland, Zuckerrohr in Brasilien, Palmöl in Südasien) • Aber welche Wirtschaftlichkeit: - Betriebswirtschaftlich (Bauernhof, Mindestgröße)? - Volkswirtschaftlich (Import-/Export Energie und Technologien)? - Gesamtwirtschaftlich (Einrechnung der Umweltkosten, die ggf. anderen anderswo entstehen)? https://www.landtechnik-online.eu/typo3temp/pics/345e4335b5.jpg Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 29 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 30 4.3 Langfristige Versorgungssicherheit projekte_pics/agrowood_01.jpg • Nachwachsender Rohstoff, daher grundsätzlich möglich aber: • nur sofern nachhaltige Anbaupraxis ohne Bodendegradation etc. -> Problem: Monokulturen ohne Fruchtwechsel als Trend der Energiepflanzen (Mais, Zuckerrübe, z.T. Raps, Zuckerrohr, Ölpalmen) • Wechsel zurück zu Nahrungspflanzen aus verschiedenen ökonomischen („Preise für Nahrung“) oder politischen Gründen („Güterabwägung“) -> keine sichere langfristige Energie- und Agrarstrategie • Mögliche Alternative: Forstflächen als Kurzumtriebsplantagen („Energiewald“) -> Monokulturproblem und Bodenveränderung („Aushagerung“ der Böden wie bei früheren Niederwäldern)? http://www.waldundklima.net/projekte/ http://www.biotechnologie.de/BIO/Redaktion/Bilder/de/Newsfotos/2007/fnr-energiepflanzen-bilanz,property=bild,bereich=bio,sprache=de.jpg Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 31 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 32 8 4.4 Umweltverträglichkeit Fächenbedarfe für Energieversorgung in Deutschland (Heinloth 2003) -> unrealistische Ziele Abhängig von • nachhaltiger Anbaupraxis und Bewirtschaftung - kein großflächiger pestizidgestützter und vor allem dünger- und treibstoffintensiver Anbau (Energie- und C02-Bilanz sonst doch negativ) - keine Monokulturen ohne Fruchtwechsel • Herkunft der Anbaufläche - keine Zerstörung von naturschutzrelevanten Flächen - kein Anbau auf Moorböden, diese setzen bei Zerstörung durch Anbau mehr CO2 frei als eingespart wird Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 33 Umweltverträglichkeit: carbon debt Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 34 Umweltverträglichkeit: Zweikulturverfahren Neue Zweikulturverfahren: Energiepflanze und eine passende Nahrungspflanze nacheinander in einem Jahr http://photos.mongabay.com/08/0207science_biofuels400.jpg Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 35 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 36 9 Exkurs: Zweikulturverfahren 4.5 Verteilungsgerechtigkeit • Das Zweikulturnutzungsverfahren besteht zum Beispiel aus einer Wintergetreideart und einer Sommerkultur wie z. B. Mais. • vorgezogene Ernte des Getreides, verbleibende Vegetationszeit wird für den Maisanbau genutzt. Bei ausreichend langer Sommervegetationszeit und guter Wasserversorgung kann noch ein durchschnittlicher bis hoher Maisertrag erzielt werden. Wird auf den Höchstertrag der ersten Kultur verzichtet und diese bereits in der Blüte geerntet, ist Mais so gut wie bei Einkulturnutzung • In klimatisch weniger günstigen Lagen oder auf flachgründigen Böden: die Winterung (Triticale, Roggen) erst Ende Juni/Anfang Juli ernten, um den Zeitpunkt der höchsten Biomasseproduktion abzuwarten. Als Zweitkultur bieten sich dann Sommergetreidearten wie Sommerroggen oder Sommertriticale an, die auch bei kurzer Vegetationszeit einen ausreichenden Reifegrad erreichen. Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 • Grundsätzlich ja, insofern Anbau fast überall möglich ist Aber v.a. in Ländern des globalen Südens (Afrika, Südamerika, Asien): • Abhängig von gerechten Bodenbesitzverhältnissen -> Problemverstärkung des „land grab“: Kauf oder Pacht reicher Staaten für deren Energiepflanzenproduktion • Konflikt „Voller Tank – leere Teller“ in Konkurrenz mit Nahrungsproduktion als zentrales Problem -> Problemverstärkung der „cash crops“ =>Insgesamt starkes Gegenargument in der Güterabwägung gerade auch zwischen den Kriterien 37 4.6 Sozialverträglichkeit 38 4.7 Demokratieverträglichkeit • Konkurrenz mit Nahrungsmittelproduktion (vgl. 4.4) • Strukturwandel: nur große Betriebe mit externem Kapitaleinsatz möglich, Kleinbauern ausgeschlossen? • Weizen als Energiepflanze: religiöses oder säkular-moralisches Unbehagen, die Symbolpflanze der Ernährung zu verbrennen („Heizen mit Weizen“) • Hochleistungssorten (z.B. Mais-Sorte Atletico): - landschaftsästhetische Bedenken gegen 4 m hohe Maispflanzen - verkehrstechnische Folgen: Abstand von Straßen muss wegen der Einsehbarkeit von Kreuzungen vergrößert werden Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 • Keine grundsätzlichen Bedenken • stark abhängig vom landwirtschaftlichen System insgesamt • ggf. Probleme beim Anbau patentierter Sorten (Landwirtevorbehalt in der Züchtung umgangen, dies ist auch relevant für Verteilungsgerechtigkeit und Sozialverträglichkeit) 39 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 40 10 4.8 Handhabbarkeit, Fehlerfreundlichkeit, Reversibilität 4.9 Übergreifende Aspekte Weitere Differenzierungen nötig: • Effizienz der Energienutzung und des technischen Energie- und CO2Aufwands unterschiedlicher Verfahren -> direkte Heiznutzung und Biogas sehr viel effizienter als Verstromung und vor allem Treibstoffproduktion • Pflanzenauswahl: regionale, heimische, Neophyten, GVO -> Aspekte des Naturschutzes, der Risikovorsorge • Flächenauswahl und -größe: -> weder national „St. Florian“ noch neokoloniale Verschiebung des Anbaus • Kontext der energetischen Nutzung: Reststoffnutzung vs. gezielter Anbau -> Reststoffnutzung bevorzugt • Grundsätzlich gegeben, insofern Anbau reversibel • Grundsätzlich nicht gegeben bei Zerstörung von Moorböden und langfristiger Bodendegradation durch nicht nachhaltigen Anbau • Ökologische Effekte nichtheimischer Arten: weniger mit der Art verbundene Mitglieder der Lebensgemeinschaft, ggf. Artenverlust • Problematik gentechnisch veränderter Sorten (GVO) nicht spezifisch, aber ggf. auch vorhanden Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 41 42 4.10 Abwägungsfragen • Wichtige Rolle als Brückentechnologie für zeitweiligen Ersatz fossiler Energieträger bis ca. 2050, wenn größere Mengen Strom aus Wind- und Solarenergie vorliegen (WBGU 2009)? • Akzeptabel dort, wo es Nahrungsmittelüberproduktion gibt? • Nutzungsdruck versus Naturschutz? • Prioritätenliste für landwirtschaftliche Landnutzung insgesamt? -> Bis zu maximal 10% des globalen Energiebedarfs für das Jahr 2050 (WBGU 2009) Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 43 1. Mythen und Utopien der Energieversorgung 2. Aktueller Problemkontext: Fossile Energieträger, Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität 3. Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung und Fragen der Abwägung 4. Das Fallbeispiel „Energiepflanzen“ 5. Fazit und Ausblick Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 44 11 5.1 Zukunftsgerechte Energieversorgung Konsense und moralische Verpflichtungen • Intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit • Erhaltung der Biodiversität, Stopp des Sorten- und Artenrückgangs • Effizienz der Energienutzung erheblich erhöhen • Rascher und weitgehender Ersatz der fossilen Energieträger • Nicht jede Form regenerierbarer oder CO2-neutraler Energiequellen ist per se nachhaltig (Abwägung der unterschiedlichen Kriterien) Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 45 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 5.2 Zukunftsgerechte Energiepflanzen 5.3 Technik und Naturverhältnis • Im großen Stil Übergangs-/Brückenenergie mit nur zeitweiligem Ausbau • Konkurrenz mit Nahrungsmitteln vermeiden -> Reststoffnutzung prioritär -> Zweikulturverfahren weiter erproben und entwickeln • Nur auf geeigneten Flächen -> Bodenschutz, kein Umbruch von Grünland, keine Flächen in Schutzgebieten (Biodiversität) • Ziele und Zwecke im Kontext gesellschaftspolitischer Entwürfe abwägen • Priorisierung für Landwirtschaftliche Flächen: Nahrung (vor)> Naturschutz (vor)> Rohstoffnutzung (vor)> Futtermittel (vor)> Energiepflanzen "[Technische Unfälle und Ökonomische Krisen – es] entsprechen sich beide Katastrophen tiefliegend, denn beide stammen letzthin aus einem schlecht vermittelten, abstrakten Verhältnis der Menschen zum materiellen Substrat ihres Handelns." (Bloch 1959: 811) "Auf diese Art entstand, neben allen Segnungen, ein so eigentümlich artifiziell-abstraktes Wesen an der bürgerlichen Technik, dass sie wohl auch, in manchen ihrer listigen Erfindungen, als noch "unnatürlich" fundiert wirken kann und nicht nur als noch unmenschlich verwaltet. Das "Haus Salomonis" [die wissenschaftlich-technische Welt; tp], so scheint es, kommt doch nicht ohne Salomo aus, das ist ohne Naturweisheit." (767) "Marxismus der Technik, wenn er einmal durchdacht sein wird, ist keine Philanthropie für misshandelte Metalle, wohl aber das Ende der Übertragung des Ausbeuter- und Tierbändigerstandpunkts auf die Natur." (813) => gesucht: neue postideologische „Allianztechniken“ zur Energieversorgung Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 47 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 46 48 12 5.4 Kriterien zur Beurteilung von „allianztechnisch“ positiven Bedingungen für Systeme der Energieversorgung Danke für Ihre Aufmerksamkeit ! • • • • • • • Wirtschaftlichkeit im Sinne vorsorgenden Wirtschaftens mit der Natur Langfristige Versorgungssicherheit durch flexible modifizierbare Systeme Umweltverträglichkeit: nachhaltiger Ressourceneinsatz und Naturschutz Verteilungsgerechtigkeit: Gewinne und Lasten, keine Monopole Sozialverträglichkeit: Akzeptabilität und Kompatibilität in der Gesellschaft Politikverträglichkeit: Demokratische Entscheidbarkeit und Kontrolle Technische und systemische Handhabbarkeit: Fehlerfreundlichkeit und möglich weit gehende Reversibilität -> alle Kriterien zusammen bilden den konkreten ethischen Sinn von „Nachhaltigkeit“ der Energieversorgung als Teil gelingender gesellschaftlicher Naturverhältnisse („Allianztechnik“) Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 49 Studium Generale SoSem 2010 18.05.2010 50 Literatur Bloch, Ernst (1959): Das Prinzip Hoffnung, 3 Bde. Suhrkamp, Frankfurt am Main Brown, Donald et al. (2004): White Paper on the Ethical Dimensions of Climate Change. Collaborative Program on the Ethical Dimensions of Climate Change, http://rockethics.psu.edu/climate/whitepaper/edcc-whitepaper.pdf (10.5.2010). AG Energiebilanzen (2009): Heizwerte der Energieträger und Faktoren für die Umrechnung von spezifischen Mengeneinheiten in Wärmeinheiten (2000-2007), http://www.ag-energiebilanzen.de/viewpage.php?idpage=65. Heinloth, Klaus (2003): Die Energiefrage. Braunschweig: Vieweg IEA – International Energy Agency (2009): Key World Energy Statistics, Paris http://www.iea.org/textbase/nppdf/free/2009/key_stats_2009.pdf IPCC - Intergovernmental Panel on Climate Change (2007): Climate Change 2007 - Fourth Assessment Report (AR4) (http://www.ipcc.ch/publications_and_data/publications_and_data_reports.htm#1 Jonas, Hans (1979): Das Prinzip Verantwortung. Frankfurt am Main: Suhrkamp. MacKay, David J.C. 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