Gliederung - Akademie für Psychotherapie und Seelsorge

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Erscheinungsformen sexueller
Süchtigkeit
Dr. med. Dietmar Seehuber
Chefarzt der Abteilung
Sozialpsychiatrie und
Suchtmedizin
Klinik Hohe Mark
61440 Oberursel
[email protected]
Drei „Teufelchen“ auf der
Schulter jedes Therapeuten
 Voyeuristische
Neugier
 Ausübung von Kontrolle
und Macht
 Versuch einer
Selbsttherapie
Erscheinungsformen sexueller Süchtigkeit
Gliederung
Fragen zu Liebe und Sexualität
 Herr M.
 Sucht= von der Sinnsuche zur
Erregungssuche
 Zwei unterscheidbare Formen
sexueller Süchtigkeit
 Entstehungsbedingungen

Erscheinungsformen sexueller Süchtigkeit
Gliederung


Fragen zu Liebe und
Sexualität
 Herr M.
Sucht= von der Sinnsuche zur Erregungssuche
 Zwei unterscheidbare Formen sexueller
Süchtigkeit
 Entstehungsbedingungen
Sexualität und Sinnlichkeit
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„Sexualität ist so etwas wie die Sahne auf dem
Kuchen. Der weitaus größere Bereich ist jedoch die
Sensualität. Wir haben den unendlichen Reichtum
an möglichen sinnlichen Erfahrungen überhaupt
noch nicht erschlossen und uns noch nicht bewußt
gemacht, welch starke Sinnlichkeit uns als
Geschenk gegeben ist.“
Walther H. Lechler
Sexualität und Beziehung

„Eine Liebesbeziehung stellt die Begegnung in den
Mittelpunkt, Sexualität ist nur ein Bestandteil. Sie
ist zeitlich fordernd, verlangt den Einsatz der
ganzen Person und orientiert sich an den
Empfindungen und Wünschen beider Partner. Die
unterschiedlichen Gefühle und Bezogenheiten der
Partner zueinander verlangen beiden immer wieder
neue Anpassungsleistungen ab, die eine Beziehung
erden und zur Reife bringen.“
Kornelius Roth
Was ist
normal ?
Dimensionen einer gesunden Sexualität:
Intimität + Verbundenheit +
 Leidenschaft +
 Entscheidung und Hingabe

→ Befriedigung in Beziehung
Liebe kann blind machen
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Abhängigkeit
Kontrollverlust
Unterschied BindungHörigkeit
„Ich bin verrückt
nach dir“
Wie oft darf´s sein
Was heißt
„befriedigt“?
Phantasie
Erscheinungsformen sexueller Süchtigkeit
Gliederung
 Fragen zu Liebe und Sexualität

Herr M.
 Sucht= von der Sinnsuche zur

Erregungssuche
Zwei unterscheidbare Formen sexueller
Süchtigkeit
 Entstehungsbedingungen
Herr M., 24 Jahre: „ich denke ich bin
sexsüchtig“
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
Erstkontakt wegen AIDS-Angst: „da dachte ich nur
noch jetzt hat´s mir der Herrgott heimgezahlt“
Kontext: episodische Prostituiertenkontakte, feste
Partnerschaft, unbefriedigte Sexualität,
ausgeprägte Internetbeschäftigung mit
Masturbation
Symptomatik: Leidensdruck mit Scham- und
Schuldempfinden, „es passiert obwohl ich es nicht
will“, „ich lasse mich hinreißen“, „ich bin ein
schlechter Mensch, bin ich pervers?“,
Kontrollverlust, unbezwingbares Verlangen, Suche
nach externer Kontrolle, Doppelleben,
Geständniszwang
Verhaltensanalyse
Herr M.: subjektives Erleben
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Sexuelle Gedanken und Handlungen werden nicht als lustvoll
sondern quälend imperativ erlebt
Sexuelle Handlungen wirken sich kurzfristig erleichternd,
langfristig belastend und schädlich aus
Selbstwert- und Identitätskrise
Subjektives Erleben von Unkontrollierbarkeit und passiver
Auslieferung
Orgasmus eher als Erschöpfung denn als Befriedigung
Schädliche Verhaltenskonsequenzen
Versuch Kontrolle durch Externalisierung zu gewinnen
Bestrafung und Beschämung
Episodisches Muster wie beim Quartalstrinken
Vernachlässigung des Studiums
Internet-Pornographie: das ideale Suchtmittel
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„Cyber-sex is the
crack cocaine of
sexual addiction“
(Dr.Robert Weiss)
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Ubiqitär preisgünstig verfügbar
Anonymität, Heimlichkeit
Vertrautheit
Rasche massive
Belohnungswirkung
Dosissteigerung möglich
Kann Riesenerwartungen und
grandiose Phantasien wecken:
„Nichts ist unmöglich“
Erlaubt spielerische
Veränderung der eigenen
Identität und Phantasie
Veränderung der Eigen- und
Fremdwahrnehmung
Erscheinungsformen sexueller Süchtigkeit
Gliederung


Fragen zu Liebe und Sexualität
 Herr M.
Sucht= von der Sinnsuche zur
Erregungssuche
 Zwei unterscheidbare Formen sexueller

Süchtigkeit
Entstehungsbedingungen
Wie arbeitet das Gehirn ?
 Hierarchische
Gliederung
 Automatisierung von
Abläufen
 Vernetzung
 Plastizität
Glücksgeneratoren, Lustzentren,
Vergnügungsviertel- neurobiologischer Exkurs
Hierarchische
Gliederung
Präfrontale Exekutivfunktionen:
•Entscheidungen treffen
•Werte, Sinnzusammenhänge
•Planen
•Arbeitsspeicher
•Hemmung, Steuerung
•Flexibilität des Denkens
Hierarchische Gliederung
Steuerung von oben nach unten
 Hemmung und Aktivierung
 Regelung um ins Gleichgewicht zu
kommen

Automatisierung
von Abläufen
Netzwerke
Emotionalität, Gedächtnis und
Verhaltensmuster gehören eng
zusammen
 Verhaltenssteuerung durch Belohnung
und Verstärkung
 Verankerung von Erlebtem im
Gedächtnis

Was bedeutet das für das
Verständnis von Suchterkrankungen ?
Veränderung der
Netzwerke
 Veränderung von Erleben
und Verhalten
 Steuerung von unten nach
oben

Veränderung der Netzwerke
Veränderung von Verhalten
und Erleben
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Verlangen statt
Vergnügen
Gier statt Lust
Bedürfnisbefriedigung
statt Lebensfreude
Euphorie statt Genuss
Erregung statt Sinn
Kick statt Sinnlichkeit
Umkehr der Verhaltenssteuerung:
Steuerung von unten nach oben- Handeln wider besseres Wissen
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„Das Bier hat mich getrunken“
„Plötzlich hatte ich die Flasche
am Mund, ich weiß gar nicht mehr
wie es dazu kam“
„Ich weiß genau dass Alkohol für
mich Gift ist, trotzdem fange ich
immer wieder an“
„Ich bin wie ferngesteuert“
„Ich wurde von den Frauen
überwältigt“
„Ich fühle mich eher wie ein Tier
als wie ein Mensch!“
„Ich komme mir vor wie ein
Geisterfahrer auf der Autobahn!“
Was versteht man unter Substanzabhängigkeit ?
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Einschlusskriterien (mindestens drei):
Starker „Wunsch“ oder Zwang zu konsumieren
verminderte Kontrollfähigkeit (bezogen auf Beginn,
Beendigung, Menge)
Substanzgebrauch um Entzugssymptome zu mildern
Körperliches Entzugssyndrom
Toleranzentwicklung
Eingeengtes Verhaltensmuster (z.B. täglich, morgendlich)
Fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen
Anhaltender Substanzkonsum trotz eindeutiger schädlicher
Folgen (sozial, psychisch, physisch)
Mindestdauer ein Jahr
Von der Sinnsuche zur
Erregungssuche

„Wir Menschen sind von der Genetik her
als Sinnsucher angelegt“.
Prof. J.Margraf, Basel beim DGPPNKongress 2006
Erscheinungsformen sexueller Süchtigkeit
Gliederung



Fragen zu Liebe und Sexualität
 Herr M.
Sucht= von der Sinnsuche zur
Erregungssuche
Zwei unterscheidbare Formen
sexueller Süchtigkeit
 Entstehungsbedingungen
Vorschläge zur Klassifikation sexueller Süchtigkeit
• Paraphiles Muster
• Nicht-paraphiles Muster
-Sexual addiction (Carnes 1992)
-Compulsive sexual Behaviour (Coleman
1992, Bradford 1999)
-Impulskontrollstörung (Barth 1980)
-Gesteigertes sexuelles Verlangen (ICD
10)
-Paraphilia related Disorder (Martin
Kafka 1999)
-Phantasiestörung (Ulrich Clement 1997)
Zwang, Drang,
Handlungsimpuls
Vernachlässigung
anderer Interessen
und Aktivitäten
Ebene der
Symptome
fortgesetztes Verhalten
trotz schädlicher Folgen
Zunahme sexueller
Aktivität und Phantasie
Erleben von
Kontrollverlust
Unbefriedigt sein
Störung der
Impulskontrolle
Sexuelle Süchtigkeit
keine Paraphilie
konstante
Beziehungsmuster
gute
mäßige
Integration
Paraphilie
wechselnde
Sexualpartner
geringe
Ebene der
Syndrome
Ebene der
Sexualpräferenz
Ebene der
Komorbidität
Desintegration
Ebene der
Persönlichkeitsorganisation
Vorschlag einer
diagnostischen
Zuordnung
Paraphilien - sexuelle
Deviationen – Störungen der Sexualpräferenz
Schwierigkeit,
Grenze zwischen „Normalität“
und
„Abweichung“ zu ziehen (kultureller Aspekt)
 Verhaltensebene: Paraphilie als sexueller
Drang
nach einem unüblichen Sexualobjekt oder nach
unüblicher Art sexueller Stimulierung
 Paraphilie erst, wenn sie „fixiert“ ist
 Paraphilien können kombiniert auftreten
„Etwas zieht Erika saugend in diese
Landschaft hinein, und nicht zum ersten Mal
heute. Sie war schon öfter hier. Sie kennt
sich aus… Eben haben sich an den
Haltestellen noch Menschentrauben,
Gruppen und Inseln zusammengeballt, um
irgendwo gemeinsam hinzustürmen, und nun,
da es, von Erika gut berechnet, rasch dunkel
wird, erlöschen auch die Lichter
menschlicher Anwesenheit… Erika stiefelt,
von der Dunkelheit angezogen, in die Wiesen
hinein, die sich, durchzogen von Busch- und
Waldwerk und Rinnsalen, hier breit machen…
Dieses Treiben lässt Erika entschlossen
hinter sich, bevor sie es überhaupt an sich
herangelassen hat. Die Lichter tappen kurz
mit den Fingern nach Erika, finden keinen
Halt, wischen ihr fahrig übers Haar…
Saugend öffnen menschenleere Auen ihre
Schlünder.“
„Sie macht sich leise und federleicht. Sie
macht sich weich und schwerelos. Sie macht
sich fast unsichtbar. Sie geht beinahe in
Luft auf. Sie ist ganz Ohr. Ihr verlängertes
Auge ist das Fernglas… Sie späht unter
Zuhilfenahme des Sehgeräts nach Paaren
aus, vor denen andere Menschen
zurückscheuen würden… Dann hat sie es
erreicht. Es wächst jetzt, einem großen
Lagerfeuer gleich, das Geschrei eines sich
liebenden Paares vor Erika Kohut aus der
Wiesensohle hervor. Endlich Heimat für die
Schauende. Es ist so nah, dass sie den
Feldstecher nicht einmal braucht… Wie der
Heimat Haus stöhnt sich das Paar aus dem
schönsten Wiesengrunde heraus und in
Erikas Augäpfel hinein… Erika kauert sich
zusammen. Sie macht es sich bequem… Sie
will nicht teilnehmen, aber es soll auch nicht
ohne sie stattfinden… Sie macht, ohne dass
die beiden es ahnen, aus deren
Zweiergruppe eine Dreiergruppe…“
„Irgendwelche Organe in ihr arbeiten
plötzlich, ohne dass sie es
kontrollieren kann, in doppeltem
Tempo oder noch rascher.. Erika
reagiert unwillkürlich mit einem leisen
Rascheln in den Zweiglein. Wollte sie
das Rascheln oder nicht? Es wird
immer ärger mit dem Drang der von
innen herausdrückt…
Äußerlich deutet nichts auf
Verstörung hin. Doch ein Wirbelsturm
erhebt sich in ihr, sieht sie am
Praterstrand junge Männer mit
jungen Körpern herumstreunen...“
F65.3. Voyeurismus
Beobachtung nichts ahnender Personen, die
nackt sind, sich gerade ausziehen oder
sexuelle Handlungen ausführen, als bevorzugte
oder ausschließliche Variante sexuell erregt zu
werden.
(Kaplan&Krueger,1997)
Keine sexuelle Erregung bei Einverständnis und
absichtlichem Entkleiden der beobachteten
Person
•Nicht-paraphiles Muster (qualitativ !!)
-„normales sexuelles Erregungsmuster“ möglich
-sexuelle Gedanken werden nicht als lustvoll und nicht
als Ausdruck primär sexueller Wünsche erlebt
-Auftreten im Zusammenhang mit Leeregefühlen, Angst
nicht begehrt zu werden oder im Rahmen einer
Selbstwertkrise
-progredienter Verlauf (Hoch/ Tief)
-imperative Onanieimpulse
-exzessiver Porno- und Medienkonsum
-subjektives Leid, soziale Probleme
-Gefühl der Erniedrigung und Beschämung
-Unkontrollierbarkeit der eigenen Impulse
-Verlust an Befriedigung, eher Erleichterung oder
Erschöpfung
-Selbsterleben ausgeliefert, gedemütigt, minderwertig
-Doppelleben
-Verleugnung, Bagatellisierung, Externalisierung
Was versteht man unter Sexueller Süchtigkeit ?
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8.
Einschlusskriterien (mindestens drei):
Starker „Wunsch“ oder Zwang zu konsumieren
Zwang, Drang, Triebhaftigkeit
verminderte Kontrollfähigkeit (bezogen auf Beginn,
Beendigung, Menge) Kontrollverlust
Substanzgebrauch um Entzugssymptome zu mildern
Emotionale Destabilisierung
Körperliches Entzugssyndrom Phantasien als
Bewältigungsversuche
Toleranzentwicklung „Dosissteigerung“
Eingeengtes Verhaltensmuster (z.B. täglich, morgendlich)
Fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen
Dominanter Verhaltensbereich, Einengung des Verhaltens
Anhaltender Substanzkonsum trotz eindeutiger schädlicher
Folgen (sozial, psychisch, physisch) Schädlichkeit
Klinische Besonderheiten sexueller Süchtigkeit
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Progredienter Verlauf gesteigerten sexuellen
Verlangens mit polymorpher Phantasieentwicklung
und imperativen Onanieimpulsen
Häufig wechselnde Sexualpartner (Objekte des
Drangs und der Begierde, nicht der Bindung und
Beziehung), Verlust des Kontextes der Beziehung
Exzessiver Pornographie- und Mediengebrauch
Herbeiführen von Situationen mit potentieller
Selbst- und /oder Fremdgefährdung
Offenbarungsdruck
Kontrollverlust
Extreme Scham/Schuldgefühle mit sozialer
Isolation und negativem Selbstwertgefühl
(internale Attribuierung: „ich bin pervers,
abnorm…)
Fehlende Befriedigung
Erscheinungsformen sexueller Süchtigkeit
Gliederung
Fragen zu Liebe und Sexualität
 Herr M.
 Sucht= von der Sinnsuche zur
Erregungssuche
Zwei unterscheidbare Formen sexueller
Süchtigkeit



Entstehungsbedingungen
Genetische Ausstattung
Sexuelle Erlebnisse
Frühe Kindheit
Störung der Intimität,
Übergriffe,
sexuelle Verwundung
Individuelle Ansprechbarkeit
und Empfindsamkeit
Lernerfahrungen:
- positive und negative
Verstärkung
- Bestrafung
Paraphilie, Deviation
Sexualisierung
Suchtkreislauf
Entwicklung des
motivationalen Systems
Depression
Entwicklung des
Selbstbildes
-
Umgebungsfaktoren
Beziehungserfahrungen
Kognitive Verarbeitung
Erfahrungen von Sinnlichkeit,
Kontrolle, Moral, Beliebigkeit…
Aufrechterhaltende Faktoren
Psychosoziale Konsequenzen
© Dr. Dietmar Seehuber
Entstehung sexueller Süchtigkeit
Ausblick:
Bin ich meiner
Sucht
ausgeliefert ?
Therapie im
Hier und
Jetzt
 Verhaltenssteuerung
 Beziehungsfertigkeiten
Therapie im
Dort und
Damals
 Beziehungsbiographie
Therapie
und
Seelsorge
für Heute
und Morgen
 Vom
Erregungssucher zum
Sinnfinder
Therapeutische Ansätze
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





Psychoedukation, Umgang mit Schuld und
Scham
Kontrollmöglichkeiten verbessern
Klärung auslösender Gedanken und
Stressoren
Entwicklung von Handlungsalternativen
Einbeziehung von Vertrauenspersonen
Nach Stabilisierung psychodynamische
Beziehungsarbeit
Selbsthilfe
SSRI ? Antiandrogen ?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !
dem der glaubt…
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