KRIEGSKUNST KRIEGSKUNST Eine illustrierte Geschichte von 3000 v. Chr. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Herausgeber Tim Newark ISBN: 978-3-8094-8011-2 © 2010 by Bassermann Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, 81673 München Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel The Grammar of Warfare bei Ivy Press Limited © 2009 by Ivy Press Limited, 210 High Street, Lewes, East Sussex, BN7 2NS, England Alle Rechte vorbehalten. © der deutschen Übersetzung by Ivy Press Limited Die Verwertung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne die Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Projektkoordination dieser Ausgabe: Dr. Iris Hahner Umschlaggestaltung: [email protected] unter Verwendung eines Bildes von akg-images (unten) Übersetzung: Gina Beitscher Redaktion und Producing: Thema media GmbH & Co. KG, München unter Mitarbeit von Friedrich Naab (Redaktion) und Thomas Piller (Satz) Die Informationen in diesem Buch sind von Autor und Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen. Druck und Bindung: Lion Productions Printed in China 817 2635 4453 6271 Inhalt 6 Einleitung 10 13 41 73 125 153 185 215 249 Die Entwicklung der Kriegsführung Kriegsführung in der Antike 3000 – 323 v. Chr. Rom und seine Feinde 509 v. Chr. bis 476 n. Chr. Die Kriegsführung im Mittelalter 500 – 1500 Die außereuropäische Welt 2000 v. Chr. bis 1865 n. Chr. Revolution der Feuerwaffen 1500 – 1650 Das Steinschlossgewehr als Militärwaffe 1650 – 1815 Anfänge des modernen Kriegs 1841 – 1865 Der Seekrieg 500 v. Chr. – 1865 n. Chr. 76 2 279 301 308 Revolutionäre Entwicklungen bei Waffen und Rüstung Waffen Die Rüstung Zeittafel 312 314 316 320 Glossar Bibliographie Index Danksagungen Einleitung „Die Fähigkeit, Sieger zu bleiben, indem man sich dem Gegner entsprechend verändert und anpasst, wird Genialität genannt.“ Dies schrieb der Krieger und Philosoph Sun Tzu vor über 2000 Jahren in seinem berühmten Werk Die Kunst des Krieges. Die Anpassung an veränderte Umstände ist tatsächlich der Schlüssel zum militärischen Erfolg. Im Krieg hängt der Sieg mehr vom gesunden Menschenverstand ab, von Erfindungsgeist und Mut zur Innovation als von roher Gewalt. Der feste Wille, Schwierigkeiten zu überwinden, den Gegner zu überlisten und neue Ideen zu entwickeln, ist ein Hauptthema dieses Buches. Sein Gegenstand ist die Kriegsführung im Wandel der Zeiten – die Entwicklungsgeschichte des bewaffneten Konflikts und seiner Elemente sowie ihrer Verbindung miteinander. Untersucht werden Waffensysteme und Befehlsstrukturen, Logistik, Organisation, Kommunikation, Rekrutierung, Ausbildung, Truppenarten, Strategien und Taktiken über einen Zeitraum, der bei den frühesten bekannten Konflikten beginnt und bis zum Amerikanischen Bürger­krieg reicht. Er gilt als „erster moderner Krieg“, denn hier kamen erstmals Errungenschaften der Industriellen Revolution voll zum Tragen. Waffen werden entwickelt, um eine verbesserte Panzerung zu überwinden, die ihrerseits als Schutz gegen neue Waffen konzipiert wurde. Dieser stetige technologische Rüstungswettlauf war oft die treibende Kraft bedeutsamer Entdeckungen. Der Erfindungsgeist der Militäringenieure versetzt immer wieder in Erstaunen. In diesem Buch werfen wir einen kritischen Blick auf das Arsenal der signifikantesten Waffen, die vom Menschen erdacht wurden. Waffen­ systeme sind jedoch nur ein Teil der Militärgeschichte. Die Einführung neuer Waffen nötigt zu defensiven Gegenmaßnahmen. Jede Schutzwaffe muss einen E inleitung Kompromiss darstellen: Sie soll einerseits der Gefahr auf dem Schlachtfeld begegnen und darf andererseits die Handhabung der Trutzwaffe nicht beeinträchtigen. Natürlich spielt auch der Kostenfaktor eine Rolle. So trug ein Bogenschütze keine schwere Rüstung, weil diese ihn beim Umgang mit der Waffe behinderte. Da Bogenschützen in großer Zahl antraten, wäre es wohl auch nicht machbar gewesen, sie alle mit einem vollen Plattenharnisch auszustatten. Ihr Vorteil war die Beweglichkeit, und dass sie sich aus dem einfachen Volk rekrutieren ließen. Für Ritter war die wichtigste Kampfweise der Stoßangriff. Sie benötigten eine Vollrüstung, ein Streitross und Ersatzpferde – alles mit hohem Aufwand verbunden, den sich nur Wohlhabende leisten konnten. Alle Armeen kombinieren leichte und schwere Truppen, die sich ergänzen und jeweils eigene Taktiken anwenden, um zum Erfolg zu gelangen. „Taktik“ ist die Kunst, Truppen und Ausrüstung für eine Begegnung mit dem Feind zu positionieren. Die großen Feldherrn der Geschichte haben entweder die herkömmlichen Taktiken verändert oder waren in der Lage, sie den jeweiligen Verhältnissen auf dem Schlachtfeld anzupassen, um den Sieg zu erringen. Will man die Entwicklung der taktischen Spielarten weltweit auf­ zeigen, führt uns der Weg von den altorientalischen und ägyptischen Einleitung Streitwagenkämpfern zur Ära der berittenen Bogenschützen. Wir sehen, wie die orientalische Stipptaktik des schnellen Angriffs mit Scheinflucht völlig abwich von der westlichen Kampftradition, die den mit aller Wucht durchgeführten Frontalangriff bevorzugte – wie die Phalanx Alexanders des Großen oder der römischen Legionen. Auch hier bildet das taktische Vorgehen nur das Segment eines größeren Zusammenhangs. Der preußische General Carl von Clausewitz, Verfasser des berühmten Werkes „Vom Kriege“, definierte den Krieg als Akt der Gewalt mit dem Ziel, dem Gegner den eigenen Willen aufzuzwingen. Oft ist dies durch den Sieg auf dem Schlachtfeld erreicht worden. In anderen Fällen diente die Belagerung einer Stadt oder Festung als Mittel zum Zweck. Bei der Belagerung geht es um die Kontrolle über ein bestimmtes Territorium; hier ist vor E inleitung allem der strategische Vorteil von Bedeutung. Im Unterschied zur Taktik verfolgt die Strategie planvoll ein weitreichenderes Ziel. Bei der Eroberung Konstantinopels ging es nicht nur um die Unterwerfung dieser Stadt, sie brachte auch die militärische Kontrolle über die Handelswege durch die Dardanellen und den Bosporus – die Verbindung von Mittelmeer und Schwarzem Meer. Taktiken sind die Vorgehensweise, mit denen eine Belagerung durchgeführt wird – Beschuss durch Kanonen oder Belagerungsmaschinen, Erklettern der Mauern mit Sturmleitern, Unterminieren, Aushungern durch monatelange Einschließung. Zahlreiche Faktoren, wie geografische Gegebenheiten, Klima, Kultur und natürliche Ressourcen, haben sich – wo auch immer – auf den Gang der militärischen Entwicklung ausgewirkt. Um dies widerzuspiegeln, ist unsere Darstellung sowohl chronologisch als auch thematisch strukturiert. Der erste Abschnitt Die Entwicklung der Kriegsführung verschafft eine Übersicht über die Geschichte der Technologien und Taktiken, während der zweite Abschnitt Revolutionäre Entwicklungen bei Waffen und Rüstung detailliert auf einzelne Sachbereiche eingeht. Obwohl das Buch ein so weites wie vielfältiges Spektrum von Kulturen und Epochen umfasst, sorgen die Illustrationen aus dem 19. Jahrhundert, der Pionierzeit historischer Forschung, für eine einheitliche Linie. Auch wenn die damaligen Illustratoren bisweilen der Phantasie die Zügel schießen ließen, so hatten sie doch ein gutes Auge für das Detail und schufen wunderbar an­ schauliche Bilder. Wo ihre Interpretation nicht mit modernen Erkenntnissen übereinstimmt, haben die Verfasser darauf hingewiesen. All das macht unser Thema nur noch interessanter. 10 Die Entwicklung der Kriegsführung 11 12 Kriegsführung in der Antike 3000 – 323 v. Chr. Die Geschichte der Kriegsführung von den der Jüngeren Altsteinzeit vor ca. 50 000 Jahren, Anfängen der Zivilisation bis zum Tod Alex­ deren Kunst ein hochentwickeltes kognitives Ni­ anders des Großen umfasst einen Zeitraum veau bezeugt. Seitdem waren Konflikte zwi­ von fast 3000 Jahren. Kriegerische Ausein­ schen immer größeren Gruppen ein grundle­ andersetzungen hat es freilich schon vorher gendes Merkmal der Menschheitsgeschichte und gegeben. Wo ist ihr Ursprung zu suchen? ein Auslöser kultureller Entwicklung. Auch Schimpansen unternehmen gruppen­ Das Aufkommen komplexer Gesellschaf­ weise Überfälle auf ihre Nachbarn. Dies führt ten führte zu keiner Veränderung im Grund­ jedoch nicht zu organisierten Konflikten zwi­ muster der Kriegsführung, ermöglichte aber schen ganzen Horden. Die menschliche Rasse die Mobilisierung weit größerer Ressourcen. erreichte einen weit höheren Grad der Orga­ Das Erscheinungsbild des Krieges wandelte nisation, indem sie Stammesgemeinschaften sich: in der späten Bronzezeit (um 1650 v. verwandter Gruppen entwickelte, die zum Teil Chr.) verlieh ihm der Pferdewagen Mobilität; biologisch, aber auch durch ethnische Merk­ die frühe Eisenzeit (um 1000 v. Chr.) brachte male wie Sprache und Bräuche verbunden die formierte Infanterie und Kavallerie, den waren. Während bei Tieren kooperative Ak­ kombinierten Einsatz verschiedener Waffen­ tivitäten auf Kleingruppen beschränkt blei­ gattungen, die ersten effektiven Belagerungs­ ben, sind menschliche Gemeinschaften zu or­ maschinen. Die Griechen setzten schwere ganisierten Konflikten fähig, an denen Infanterie ein, die Makedonier schwere Kav­ Hun­derte Individuen beteiligt sein können. allerie und erstmals Artillerie. Die Armee Zu solchen Konflikten kam es vermutlich Alexanders verband dies alles zu einer Mili­ bereits, als der Homo sapiens genügend kogni­ tärmaschine, die bis zum Aufkommen der tive Fähigkeiten erworben hatte, um ethnische Feuerwaffen keine wesentlichen Verbesserun­ Zeichen hervorzubringen – spätestens zu Beginn gen mehr erfahren sollte. 13 KRIEGSFÜHRUNG IN DER ANTIKE Kriegsführung im Alten Ägypten, 3000 – 1000 v. Chr. Altes und Mittleres Reich Die Geschichte Ägyptens wurde früher in 30 Dynastien eingeteilt. Heutige Ägyptologen unterscheiden dagegen die drei Hauptperioden Altes Reich, Mittleres Reich und Neues Reich, zwischen denen wiederum sogenannte „Zwischenzeiten“ liegen. Das Alte Reich von der 3. bis zur 6. Dynastie (2686 – 2181 v. Chr.) war das Zeitalter der Pyramiden, in dem die Grundlagen der ägyptischen Zivilisation gelegt wurden. Die Erste Zwischenzeit dauerte von 2181 – 2040 v. Chr. Im Mittleren Reich (11. und 12. Dynastie, 2040 – 1786) wurde das Herr­ schaftssystem der Pharaonen erneuert. Während im Alten Reich die königliche Leibgarde das einzige stehende Heer bildete, benötigte das Mittlere Reich eine bessere militärische Organisation, denn man unternahm nun Feldzüge von größerer Reichweite. Schilde Der ägyptische Schild bestand aus einem oben gerundeten Holzrahmen, über den eine Rinder­ haut gespannt wurde (links). Der Krieger konnte sich den Schild über den Rücken hängen, um beide Arme frei zu haben, z.B. bei einer Belagerung (rechts). Nubier Nubien im oberen Niltal wurde von den alten Ägyptern Kusch genannt. Das heute zwischen Ägypten und Sudan aufgeteilte Land war fast ebenso früh wie Ägypten ein vereintes Königreich und brachte eine eigene nubische Zivilisation hervor, die vom allgegenwärtigen Einfluss Ägyptens geprägt wurde. Die Ägypter unterhielten Handelsbeziehungen mit Nubien, bezogen von dort Elfenbein, Gold, Straußen­ federn, Leopardenfelle etc. und führten – wohl zur Kontrolle der Handelswege – häufig militä­ rische Expeditionen durch. Die Abbildung zeigt einen nubischen König mit Gefolge; er steht auf einem von Ochsen gezogenen Streitwagen; im Hintergrund Pyramiden in der für Nubien typischen steilen Form. 14 KRIEGSFÜHRUNG IM A LT E N Ä G Y P T E N Der Pharao schlägt die Feinde Diese Art einer Triumph­ szene, in der ein Pharao seine Feinde mit der Keule niederstreckt, wiederholt sich in der ägyptischen Kunst häufig. Meistens handelt es sich bei den Feinden um Nubier (links), während der Pharao rechts über die drei traditionellen Feinde Ägyptens – einen Nubier, einen Berber und einen Syrer – triumphiert. Streitäxte Im Mittleren Reich verdrängte die Streitaxt die Keule, die nur noch für zeremonielle Anlässe in Gebrauch blieb. Für den Nah­ kampf hatte der Krieger im Alten Reich Waffen aus gehämmertem Kupfer oder aus Stein mit einem Griff aus Holz: Lanze, Dolch, birnen­ förmige Keule und Streitaxt. Erst seit der Zeit der 12. Dynastie begann man, das Kupfer durch Bronze zu ersetzen. Schuss- und Schleuderwaffen • Bogen • Schleuder Abwehr/Verteidigung • Schild Bekleidung Nubische Waffen Schwerter Keulen Hand- und Nahkampfwaffen • Streitaxt • Dolch • Keule • Lanze • Schwert Die drei Exemplare oben links sind Beispiele für das ca. 45 cm lange sichelför­ mige Schwert, das aus Asien übernommen, von den Ägyptern Khopesch genannt und schließlich durch das gerade Schwert (rechts) ersetzt wurde. Die Bewaffnung der Nubier war der ägyptischen sehr ähnlich. Doch hatte ihr Bogen zwei Krümmungen, der ägyptische nur eine. Aus einem einzigen Holzstück ge­ fertigt, betrug die Reichweite nur 60 m. Viele nubische Bo­ genschützen dienten als Söld­ ner in der ägyptischen Armee. Krieger • nubische Bogenschützen Konzepte & Taktiken Bauwerke & Transportmittel • Ochsenwagen 15 KRIEGSFÜHRUNG IN DER ANTIKE Kriegsführung im Alten Ägypten Neues Reich: Taktik und Technologie Der Pharao zieht in den Krieg In der langen Zweiten Zwischenzeit wurde das Nildelta von Invasoren aus Asien, den sogenannten „Hyksos“, besetzt. Nach deren Vertreibung durch die Herrscher Thebens im 16. Jahrhundert, wurde Ägypten zur Groß­ macht und dominierte ganz Nubien und weite Teile Vorderasiens. Im Neuen Reich (18. – 20. Dynastie) erlebte Ägypten den Höhepunkt seiner Macht, seines Reichtums und seiner Größe. Es verfügte über ein großes stehendes Heer, dessen wichtigstes Element der Streit­ wagen war. Der leichte von zwei Pferden gezogene Wagen kam um 1650 v. Chr. in Anatolien auf und wurde von den Hyksos nach Ägypten eingeführt. In der Epoche des Neuen Reiches (1550 – 1069 v. Chr.) gab es bereits internationale Beziehungen, die Großmächte standen auf diplomatischer Ebene in permanentem Kontakt. In der späten Bronzezeit wurde eine einzigartige Methode der Kriegsführung entwickelt, bei der die ausschließliche Offensivwaffe aus Bogenschützen in von Pferden gezogenen Streitwagen bestand. Dagegen dürfte die Infanterie – außer beim Schutz von Feldlagern und Stadtmauern – keine große Rolle gespielt haben. Die Darstellung der lose formierten Gruppe (unten) mit ihrer heterogenen Ausrüstung (Lanze, Streitaxt, Sichelschwert und Bogen) könnte durchaus realistisch sein. Siehe auch Altes und Mittleres Reich, S. 14 – 15 Keulen, Streit­ kolben und Streit­äxte, S. 286 – 287 16 K R I E G S F Ü H R U N G I M A LT E N Ä G Y P T E N Höflinge im Neuen Reich Im Neuen Reich wurde der ägyptische Staat vom Militär dominiert. Eine neue aristokratische Kriegerklasse entstand, und die militärische Elite, speziell die Befehlshaber der Streitwagen­ truppe, ersetzte nach und nach die traditionelle Elite der Schreiber als wichtigste Berater des Pharao. Hand- und Nahkampfwaffen • Streitaxt • Sichelschwert • Lanze Schuss- und Schleuderwaffen • Bogen Abwehr/Verteidigung • Schild Bekleidung • Schurz mit Lederdecke Krieger • Kämpfer im Streitwagen Konzepte & Taktiken • Diplomatie Bauwerke & Transportmittel • von zwei Pferden gezogener Streitwagen Der Pharao des Neuen Reiches Pharao mit einem Beamten. Das Bild des Pharao erhielt ebenfalls eine stark militärische Prägung. Im Alten und Mittleren Reich wurden die Pharaonen göttergleich in feierlicher Ruhepose dargestellt. Typisch für das Neue Reich ist es jedoch, den Pharao als bogenschießenden Krieger im Streitwagen zu zeigen (siehe S. 19). 17 KRIEGSFÜHRUNG IN DER ANTIKE Kriegsführung im Alten Ägypten Der Streitwagen Das Wildpferd stammte aus der eurasischen Steppe, wo es wahr­ scheinlich im vierten vorchristlichen Jahrtausend domestiziert wurde und zunächst als Fleischlieferant diente. Um 3000 v. Chr. kamen mit Schei­ benrädern versehene Wagen auf, die jedoch noch sehr schwer waren und von Onagern oder Ochsen gezogen wurden. Der mit zwei Pferden bespannte leichte Streitwagen mit Speichenrädern wurde im 17. Jahr­ hundert v. Chr. vermutlich in Ana­ tolien erfunden und zunächst wohl zur Jagd genutzt. Um 1650 v. Chr. zur Kriegsführung eingesetzt, ermög­ lichte er den Aufstieg des Hethiter­ reiches in Anatolien und die Invasion Ägyptens durch die Hyksos. Ägypten und das Hethiterreich waren die beiden Großmächte der späten Bronzezeit – und der syrische Raum diente ihnen als Schlachtfeld. Ägypter verfolgen Kanaaniter Da die Ägypter ihre Feinde wie Hethiter oder Kanaaniter (Syrer) stets mit Lanzen und nicht mit Bogen abbildeten, nahmen moderne Gelehrte an, diese hätten auf dem Streitwagen tatsächlich mit der Lanze gekämpft. Aber sie waren sicher ebenfalls mit Bogen ausgerüstet. Die ägyptische Ikonographie verlangte es jedoch, den Feind als unterlegen darzustellen. Ägyptischer Streitwagen Der Streitwagen war eine mobile Kampf­ plattform und erreichte 16 km/h. Das abgebildete Exemplar ist mit zwei Mann besetzt: einer fungiert als Wagenlenker und Schildträger, der andere als Bogenschütze. Er ist mit einem zusammengesetzten Bogen ausgerüstet, der die doppelte Reichweite des einfachen Bogens (siehe S. 15) hatte. Ein Köcher und ein Bogenfutteral sind seitlich am Wagen befestigt. 18 Siehe auch Bogen, S. 290 – 291 Harnisch, S. 302 – 303 K R I E G S F Ü H R U N G I M A LT E N Ä G Y P T E N Rüstung Die Schlacht von Kadesch Die bekannteste Schlacht der späten Bronzezeit war die zwi­ schen Hethitern und Ägyptern bei Kadesch in Syrien 1275 v. Chr. Ramses II. ließ sie auf den Wänden vieler ägyptischer Tempel detailliert verewigen. Die Hethiter verfügten über 3500 Wagen und die Ägypter wahrscheinlich über eine ent­ sprechende Anzahl. Die Abbil­ dung zeigt die Bereitstellung des Streitwagens des Pharaos. Die Abbildung, ebenfalls aus einer Dar­stellung der Schlacht von Kadesch, zeigt Ramses beim Angriff. Er trägt ein mit Metallschuppen bedecktes Panzerhemd. In der Streit­ wagenära kamen die ersten Rüstungen auf, um die Wagen­ kämpfer gegen Pfeile zu schützen. Manchmal erhielten auch die Pferde eine Panzerung. Hand- und Nahkampfwaffen • Lanze • Sichelschwert • Dolch Schuss- und Schleuderwaffen • Bogen Abwehr/Verteidigung • Schild Bekleidung • Schuppenpanzer Krieger • Kämpfer im Streitwagen Der Streitwagen im Detail Konzepte & Taktiken Elf Beispiele von Streitwagen wurden in ägyptischen Grab­stätten gefunden, vier davon im berühmten Grab des Tutanch­ amun. Der Rahmen aus leichtem Hartholz hatte eine offene Rück­ seite und eine Plattform aus einem Ledergeflecht, auf dem die Krieger stehen konnten. Er saß auf einer Achse mit zwei Rädern, jedes mit vier bis sechs Speichen. Der Wagen wog rund 30 kg und konnte von einem Mann getragen werden. Bauwerke & Transportmittel • Streitwagen 19 KRIEGSFÜHRUNG IN DER ANTIKE Assyrien, um 1000 – 612 v. Chr. Assyrien: Taktik und Technologie In der Bronzezeit zerfiel Mesopotamien in konkurrierende Stadtstaaten. Versuche, die Region unter einem Herr­ scher zu vereinen, waren nie von langer Dauer. Das erste mesopotamische Reich gründete Sargon I. von Akkad um 2300 v. Chr. In der späten Bronzezeit entstanden mit Babylon im Süden und Assyrien im Norden zwei neue Großreiche, die – ebenso wie das der Hyksos und das Neue Reich in Ägypten – auf Streitwagen-Armeen basierten. Am Ende der Bronzezeit kam es zu einem allgemeinen Niedergang der Zivilisationen im Vorderen Orient. Die einsetzende Eisenzeit um 1000 v. Chr. brachte eine Wende in der Kriegskunst: Fußsoldaten traten erstmals in geordneten Formationen auf, und man ging generell zur Infanteriearmee über. Die Imperien der Eisenzeit gelangten zu nie da gewesener Macht und Größe. Das Erste davon war das Reich der Assyrer. 20 Siehe auch Bogen, S. 290 – 291 Belagerung, S. 294 – 295 Schilde, S. 306 – 307 Assyrische Belagerungskunst Die Belagerungstechnik der assyrischen Armee war gefürchtet. Rechts im Bild sieht man zwei fahrbare Rammböcke. Bei der Eroberung von Festungen wurden die Mauern gerammt, mit Leitern erstürmt und unterminiert. Der Belagerungsturm im Hintergrund war mit Bogenschützen besetzt, die den Sturmtruppen Feuerschutz gaben. ASSYRIEN Schwere Infanterie Jagdgesellschaft Der schwer bewaffnete Fuß­ soldat der Assyrer (Kallapu) war mit Lanze, großem Rundschild, konischem Eisenhelm und Schuppen­ panzer ausgerüstet. Diese aus Assyrern rekrutierte schwere Infanterie bildete das Rückgrat der Armee. Hilfstruppen, vor allem aus aramäischen Stämmen, waren leichter gerüstet und mit Speeren, Bogen oder Schleudern bewaffnet. Die beiden Mitglieder der assyrischen Herrscher­ familie (links im Bild) sind mit zusammen­ gesetzten Bogen ausge­ rüstet und bereiten sich auf die Schlacht oder Jagd vor. Die Gestalt ganz links trägt die assyrische Königskrone in Form einer Mitra mit abge­ flachter Spitze. Begleitet werden sie von leicht bewaffneten Fußsoldaten und einem Zitherspieler. Hand- und Nahkampfwaffen • Lanze Schuss- und Schleuderwaffen • zusammengesetzter Bogen • Schleuder Abwehr/Verteidigung • Schild Bekleidung • Eisenhelm • Schuppenpanzer Krieger • Bogenschützen • Hilfstruppen • Infanterie Konzepte & Taktiken • Infanterieformationen • Belagerungskunst Bauwerke & Transportmittel • Streitwagen 21 KRIEGSFÜHRUNG IN DER ANTIKE Assyrien Assyrien: Taktik und Technologie Das assyrische Kernland bestand aus einem 160 km breiten Streifen am oberen Tigris und umfasste neben dem alten religiösen Zentrum Assur auch die Reichs­ hauptstadt Nimrud. In der späten Bronzezeit kontrollier­ te die Großmacht Assyrien den gesamten Norden des Zwei­stromlands zwischen Euphrat und Tigris. Zu Beginn der Eisenzeit wieder auf das Kernland reduziert, kam es im 9. Jahrhundert zu einer Renaissance assyri­scher Macht, die sich auf eine Infanteriearmee stützte. Assur­ nassirpal II. (883 – 859 v. Chr.) stellte die früheren Gren­ zen erneut her und sicherte sich eine Reihe von Vasallen­ staaten von Nordsyrien bis zum Mittelmeer. Tiglatpile­sar III. (744 – 727 v. Chr.) schuf den ersten zentralisierten Staat der Geschichte und unterwarf Babylonien. Im 7. Jahrhundert wurde auch Ägypten erobert. Der König und sein Hofstaat Der König ist am Palasttor von seinem mobilen Thron herab­ gestiegen und nun von Höflingen und Musikanten umgeben. Das Assyrerreich hatte rund 80 Provinzen, deren Gouverneure 22 regelmäßig Bericht erstatten mussten. In diesem Staat – dem größten und mächtigsten, den es bis dahin gegeben hatte – lebten Millionen Menschen. Seine Streit­ macht dürfte über eine halbe Million Mann verfügt haben. Die voll ausgereifte assyrische Armee 750 – 612 v. Chr. Das Palastrelief zeigt schwere Infanterie (mit Lanze und Schild), leichte Infanterie (mit Bogen und Schleuder) und Reiter, die teils mit Bogen, teils mit Lanzen bewaffnet sind. Schlachten wurden wohl meist von den Bogenschützen entschieden, die Lanzenträger warfen den Feind dann endgültig nieder. ASSYRIEN Siehe auch Der Streitwagen, S. 18 – 19 Hand- und Nahkampfwaffen • Lanze Schuss- und Schleuderwaffen • Bogen • Schleuder Abwehr/Verteidigung • Schild Assyrischer Streitwagen Reiterpaare Der assyrische Streitwagen war schwerer als der ägyp­ tische und mit drei Mann besetzt: Wagenlenker, Bogen­ schütze und Schildträger. Die Reitkunst wurde wohl um 1000 v. Chr. in der eurasischen Steppe entwickelt. Die Assyrer übernahmen diese Fertigkeit im 9. Jahrhundert von den Nomaden, ritten aber zunächst paarweise, wobei ein Mann die Zügel hielt, während der andere seine Pfeile abschoss. Um 750 v. Chr. waren die Assyrer so gute Reiter, dass sie auf den Pferdelenker verzichten konnten. Der Streitwagen hatte für den militärischen Einsatz ausgedient. Bekleidung Krieger • Bogenschütze • Kavallerie • Infanterie • Lanzenträger Konzepte & Taktiken Der Königswagen Bauwerke & Transportmittel • Streitwagen Im 8. Jahrhundert wurde der assyrische Streitwagen durch die Reiterei ersetzt und diente nur noch zu Repräsentations­ zwecken. So sind die Herrscher gewöhnlich in einem schweren, vierspännigen und für vier Personen ausgelegten Wagen unter einem Sonnen­ schirm dargestellt. 23 UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE Tim Newark Kriegskunst Eine illustrierte Geschichte von 3000 v. Chr. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Gebundenes Buch, Pappband mit Schutzumschlag, 320 Seiten, 19,6x23,5 ISBN: 978-3-8094-8011-2 Bassermann Erscheinungstermin: Mai 2010 Von den frühesten Schlachten zum ersten modernen Krieg Die Geschichte der Kriegskunst erzählt von den unermüdlichen Versuchen der Menschheit, ständig effizientere Methoden der Kriegsführung zu Wasser und zu Land zu ersinnen. Um diese Entwicklung erfahrbar zu machen, werden in diesem Buch erläuternde Texte renommierter Militärhistoriker mit über 1000 Illustrationen, Stichen und Diagrammen des 19. Jahrhunderts kombiniert. Es bietet ein umfassendes Bild über die Entwicklung des Kriegswesens seit den frühesten bekannten Schlachten bis zum Amerikanischen Bürgerkrieg, der als erster modern geführter Krieg in die Geschichte einging. Der chronologischen Aufbereitung der Taktiken und Technologien, die in unterschiedlichen kulturellen Kontexten entstanden, folgt eine informative Zusammenstellung einzelner Waffentypen und Ausrüstungsgegenstände sowie ein umfangreiches Glossar militärischer Begriffe. Hilfreich sind die farbigen Navigationsleisten mit Querverweisen und eine Zeittafel der entscheidenden Kriege und Erfindungen.