Vietnam: Die gesellschaftliche Verortung des Religiösen und

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Vietnam: Die gesellschaftliche Verortung des Religiösen und Spirituellen im Kontext der
asiatischen Moderne
PD Dr. Michael Dickhardt
Institut für Ethnologie Göttingen
Oktober 2010
Teil des Kompetenznetzwerks „Dynamiken von Religion und Politik in Südostasien“;
gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (Stärkung und
Weiterentwicklung der Regionalstudien (area studies)
In Vietnam hat die auf eine normative Modernität hin ausgerichtete Staatsideologie seit
Beginn der sozialistischen Reformpolitik im Jahre 1986 dem Religiösen und Spirituellen
immer mehr Freiräume zugelassen. Während die Akteure sich mit Hilfe von Religiosität und
Spiritualität mit den Konsequenzen von Modernisierungsprozessen auseinandersetzen,
handeln sie im Rahmen der staatlichen Kontrollansprüche, aber auch im Widerstreit
dagegen, den Ort und die Freiräume des Religiösen und Spirituellen aus. Diese ergeben sich
jedoch nicht aus einem unmittelbaren Wirkungszusammenhang mit der einen, normativ sich
durchsetzenden Moderne. Moderne, so die Ausgangsthese, wird vielmehr in ihren
Wirkungen und Repräsentationen vielgestaltig vermittelt durch konkrete Figurationen und
handlungsleitende Modelle von ethisch-moralischen, sozialen, politischen und
ökonomischen Ordnungen sowie von Personalität und Handlungsvermögen. Diese sollen in
ihrer historischen Entwicklung und alltagspraktischen Artikulation hinsichtlich ihrer Rolle bei
der gesellschaftlichen Verortung des Religiösen und Spirituellen untersucht werden. Die
intellektuellen Grundlagen dieser Figurationen und Modelle finden sich in Vietnam in den
Traditionen des Konfuzianismus, des Taoismus, des Buddhismus, des Christentums und des
Ahnen- und Geisterkultes sowie in den Ideologien des Nationalismus, Liberalismus und des
Sozialismus-Kommunismus. Diese sollen zunächst ideen- und wirkungsgeschichtlich so weit
herausgearbeitet werden, dass sie als Grundlage einer ethnographischen Untersuchung
dienen können, die sich den Prozessen der gesellschaftlichen Verortung des Religiösen und
Spirituellen in Kontexten zuwendet, die im urbanen Vietnam Schnittpunkte verschiedener
Akteure, Institutionen und Strukturierungsprinzipien bilden: die komplexe rituelle
Räumlichkeit, der allgegenwärtige Ahnen- und Geisterkult sowie der Bereich der
divinatorischen Praktiken (Horoskopie, Geomantik und Physiognomie). Diese Kontexte
führen staatliche Politik und gesellschaftliche Praxis auf vielfältige Art und Weise zusammen
und erlauben es, Prozesse gesellschaftlicher Verortung des Religiösen und Spirituellen im
Kontext von Moderne und Modernismus zwischen Alltagspraxis und staatlicher Politik in
einer großen Breite ethnographisch zu verfolgen, ohne sich auf eine zu eng umgrenzte
soziale Gemeinschaft oder eine bestimmte rituelle Form zu begrenzen.
The social placing of religion and spirituality in Vietnamese modernity
The political and economical reforms in Vietnam since 1986 have led to a greater freedom
for expression of religious and spiritual practices. This freedom of expression, the forms it
has developed in and its limitations have to be understood in a complex contextuality of
modernity and its diverse articulations within the official socialist model of modernity, the
conceptualizations of modernity of the actors and the broader dynamics of modernization
which are the consequences of social, political, economic and cultural developments since
1986. Empirical studies have shown that religion and spirituality are not only affected by
modernity in many ways but are also used to cope with the possibilities and impositions of
modernity in the lifeworlds of the Vietnamese. Thus, religion and spirituality became very
much part of modernity and their place in society has to be negotiated in a context which is
still under the influence of the moral and ethical claims of the socialist state. Here is the
starting point for the research project: How are religion and spirituality articulated with
modernity as condition and as representation of contemporary praxis? How do people place
religion and spirituality within the different morally and ethically charged practices and
discourses? Which sources do they draw upon and in which fields of socio-cultural praxis do
they negotiate? The processes of negotiating the place of religion and spirituality will be
investigated in three empirical contexts which bring together actors, institutions and
principles of structuration: ritual spaces, interaction with ancestors and spirits, and practices
of divination.
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