Predigt über 1. Mose 2,4-15

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15. Sonntag nach Trinitatis
2. Oktober 2011
Pfarrer Dr. J. Kaiser
Französische Friedrichstadtkirche
Predigt über 1. Mose 2,4-15
4 Zur Zeit, als der HERR, Gott, Erde und Himmel machte
5 und es noch kein Gesträuch des Feldes gab auf der Erde und noch kein Feldkraut
wuchs, weil der HERR, Gott, noch nicht hatte regnen lassen auf die Erde und noch kein
Mensch da war, um den Erdboden zu bebauen,
6 als noch ein Wasserschwall hervorbrach aus der Erde und den ganzen Erdboden
tränkte, 7 da bildete der HERR, Gott, den Menschen aus Staub vom Erdboden und blies
Lebensatem in seine Nase. So wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.
8 Dann pflanzte der HERR, Gott, einen Garten in Eden im Osten, und dort hinein setzte
er den Menschen, den er gebildet hatte.
9 Und der HERR, Gott, ließ aus dem Erdboden allerlei Bäume wachsen, begehrenswert
anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum
der Erkenntnis von Gut und Böse.
10 Und in Eden entspringt ein Strom, um den Garten zu bewässern, und von da aus teilt
er sich in vier Arme.
11 Der eine heißt Pischon. Das ist jener, der das ganze Land Chawila umfliesst, wo es
Gold gibt,
12 und das Gold jenes Landes ist kostbar. Dort gibt es Bdellionharz und Karneolstein.
13 Und der zweite Fluss heißt Gichon. Das ist jener, der das ganze Land Kusch
umfließt.
14 Und der dritte Fluss heißt Chiddekel. Das ist jener, der östlich von Assur fließt. Und
der vierte Fluss, das ist der Eufrat.
15 Und der HERR, Gott, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit
er ihn bebaute und bewahrte.
16 Und der HERR, Gott, gebot dem Menschen und sprach: Von allen Bäumen des
Gartens darfst du essen.
17 Vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse aber, von dem darfst du nicht essen,
denn sobald du davon isst, musst du sterben.
Liebe Gemeinde!
Es hat ja alles ganz gut angefangen. Der Herr, Gott, formte den Menschen, hauchte ihm das
Leben ein und setzte ihn in einen Garten. Das fing gut an und hätte gut und gerne auch so
bleiben können.
Aber, das Stück biblischer Urliteratur, das wir gerade gehört haben, die Erzählung vom
Paradies, läuft auf eine Katastrophe hinaus. Der Mensch will Erkenntnis
In dem Abschnitt, den ich gelesen habe, deutet sich die Katastrophe am Ende nur eben an im
göttlichen Verbot vom Baume der Erkenntnis von gut und böse zu essen, andernfalls müsse
der Mensch sterben. Im klassischen Drama nennt man solche eine Stelle das erregende
Moment.
Wir kennen den Fortgang der Geschichte, das Drama nimmt seinen unabänderlichen Lauf.
Trotz des Verbotes wird der Mensch von diesem Baum essen und muss den Garten verlassen.
Vor diesem sog. zweiten Schöpfungsbericht – eine falsche Bezeichnung, denn er berichtet
nicht und schon gar nicht von der Schöpfung – steht der sog. erste Schöpfungsbericht, der
zurecht so heißt. Die Bibel beginnt mit dem Anfang. „Im Anfang schuf Gott Himmel und
Erde“ (Gen 1,1) Schon diese Überschrift ist bemerkenswert. Es heißt nicht: Im Anfang schuf
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2. Oktober 2011
Pfarrer Dr. J. Kaiser
Französische Friedrichstadtkirche
Gott die Welt. Es gibt im Hebräischen gar kein Wort für Welt, für das Ganze. Das Ganze ist
schon eine unterschiedene Zweiheit: Himmel und Erde.
Und so geht es weiter. Gott erschafft, indem er das Seiende benennt, es definiert und mit der
Definition ordnet. Schöpfung ist primär Ordnen. Ordnen aber setzt Unterscheidung voraus,
Unterscheidung aber Erkenntnis. Der Anfang der Wissenschaft ist das unterscheidende
Erkennen. Der erste Schöpfungsbericht ist gewissermaßen eine antike Doktorarbeit. Es wird
unterschieden, und das Unterschiedene wird definiert. Das Wasser und das Trockene, das
Licht und die Finsternis. Sonne, Mond und Sterne. Sie sind Geschöpfe und nicht Götter. Hier
begegnet uns bereits ein Stück Aufklärung und Entmythologisierung. Alle anderen glaubten
zu der Zeit, Sonne, Mond und Sterne seinen Götter. Und dann werden unterschieden und
erkannt die Tiere im Wasser und die Tiere an Land und schließlich die Tiere und der Mensch.
Der Doktorvater dieser Arbeit ist Gott. Von ihm stammt die Unterscheidung, er definiert, er
ordnet und gibt jedem Teil die Note sehr gut, summa cum laude. Außer beim letzten Teil der
Arbeit, der Erschaffung des Menschen, da fehlt bezeichnenderweise das „Und siehe, es war
gut“, die Beurteilung steht noch aus. Gott weiß, warum. Und wir ahnen warum.
Und dann kommt der sog. zweite Schöpfungsbericht, der ja keiner ist, weil er sich nur für den
Menschen interessiert. Gleichwohl geht es auch hier um Erkenntnis und um Wissenschaft.
Am Anfang wieder ein bisschen Physik, Chemie und Bio in ihren Anfängen, dann aber vor
allem Theologie, Philosophie, Ethik, Psychologie und ein bisschen Geografie.
Der Mensch wird aus Staub gemacht. Er ist Materie und wird wieder Materie. Aber als
Mensch ist er lebende Materie. Die wahrscheinlich spannendste wissenschaftliche Frage ist
noch nicht beantwortet: Wie ist das Leben entstanden? Wie hat tote Materie zu leben
begonnen. Man kennt die Zutaten: Wasser, Energie, Sauerstoff, bestimmte
Molekülverbindungen – und trotzdem: Plötzlich hat das Gemisch angefangen zu leben und
sein Leben weitergetragen. Wir haben das Wunder noch nicht erkennen können und werden
es vielleicht auch nie erfassen. So lange und noch länger dürfen wir getrost erzählen: Gott hat
dem Staub den Lebensodem durch die Nase geblasen.
Für den Menschen pflanzt Gott einen Garten an. Diesen Garten Eden nannte man anderswo
Paradies. Das Paradies ist ein Ort dieser Erde. Schwer zu lokalisieren, irgendwo im
westiranischen Bergland gelegen. Diese Erzählung klingt nach Märchen und Mythos, will das
aber nicht sein. Das Paradies wird geografisch lokalisiert und geerdet. Es geht um den realen
Menschen und um seine reale Lebenswelt. Um das Wunderbare und Mögliche und um das
Gefährdete und Tödliche. Der Mensch dieser Erzählung ist der Mensch dieser Erde. Das
Paradies aus dem er kam, war ein Ort dieser Erde. Warum also sollten wir die Suche nach
diesem Ort aufgeben?
Im Garten steht der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Von dessen Früchten darf der
Mensch nicht essen. Warum? Offensichtlich deshalb, weil dies den Menschen überfordert.
Diese Früchte bekommen ihm nicht, er kann sie nicht verdauen. In der Tat muss man nach
allem, was geschehen ist, seit Kain seinen Bruder Abel erschlug, fragen, ob der Mensch
wirklich zu einem umfassenden ethischen Urteil fähig ist. Fehlt ihm dazu nicht der Überblick?
Wir streben nach Erkenntnis, wir beobachten, analysieren die Natur, wenden einzelne
Erkenntnisse an, um uns dadurch einen Nutzen zu verschaffen. Aber wir haben nicht den
Überblick, um entscheiden zu können, ob unsere Anwendungen gut oder böse sind. Nehmen
Sie nur das Beispiel der Gentechnik. Sie könnte helfen, die Menschheit besser zu ernähren,
sie könnte manchen Krankheiten heilen, sie könnte aber auch vieles aus einem Gleichgewicht
bringen und unumkehrbare biologische Kettenreaktionen in Gang setzen. Wer weiß das?
Haben wir wirklich genug Überblick, um zwischen gut und böse unterscheiden zu können?
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Können wir die Früchte dieses Baums verdauen? Oder sollten wir uns nicht doch besser auf
Prinzipien verlassen, die wir nicht selbst als gut erkannt und uns deshalb selber gegeben
haben, sondern uns haben geben lassen?
Interessant ist die Fortsetzung unserer Erzählung. Sie kennen sie. Gott sagt: von den Früchten
des Baumes der Erkenntnis sollt ihr nicht essen, sonst müsst ihr sterben. Das ethische Urteil:
Es ist gut, steht nur Gott zu, nur er kann es. Die Schlange stellt dazu die Gegenthese auf:
Wenn ihr von diesen Früchten esst, werden euch die Augen aufgehen und ihr werdet sein wie
Gott. Wer sich das ethische Urteil zutraut, wird göttliche Kompetenzen gewinnen.
Gott sagt: Ihr seid nicht Gott, also könnt ihr das nicht. Die Schlange sagt: Lernt es und ihr
werdet Gott sein.
Wir wissen, wie die Geschichte ausgegangen ist. Sie haben von den Früchten dieses Baumes
gegessen. Im ersten Teil hatte die Schlange recht. Ihnen gingen die Augen auf. Aber sie
wurden nicht wie Gott, sondern lediglich gewahr, dass sie nackt waren. Sie erkannten mit
Schrecken, dass sie nun vor Aufgaben standen, denen sie nicht gewachsen waren. Aus dem
Paradies geworfen mussten sie ihre Welt ordnen und hatten nichts an sich, was sie dazu in die
Lage versetzte. Sie waren nackt.
Es gab im Garten Eden noch einen anderen Baum, den Baum des Lebens. Für den
interessierte sich keiner. Nicht die Menschen im Paradies und nicht die Erzähler der
Paradiesgeschichte. Sie haben ihn eingeführt in die Erzählung, aber später kommt er einfach
nicht mehr vor. Da Interesse gilt nur noch jenem anderen Baum, dem Baum der Erkenntnis.
Gott verbot, davon zu essen, weil er wollte, dass die Menschen leben. Von allen Bäumen im
Garten dürfen die Menschen essen, nur vom Baum der Erkenntnis nicht, also auch vom Baum
des Lebens dürfen sie essen. Aber diese Frucht schmeckte ihnen nicht.
Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf den Weg der Sünder noch
sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des HERRN und sinnt über seinem
Gesetz Tag und Nacht! Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine
Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht. Und was er macht, das gerät
wohl. (Psalm 1)
So beginnt der Psalter. Wieder ein guter Anfang. Da taucht er wieder auf, der Baum des
Lebens an den Bächen Edens. Der Mensch mit Lust am Gesetz des Herrn.
Wir können erkennen, wir können unterscheiden, analysieren, Erkenntnisse anwenden und
uns zunutze machen in den verschiedensten Techniken. Aber das Urteil darüber, ob das, was
wir tun, gut oder böse ist, steht Gott zu. Der allein kann das beurteilen. Deshalb ist
Wissenschaft eigentlich nur im Gehorsam gegenüber Gottes Gebot möglich und
lebensdienlich.
Wenn der Wille zur Erkenntnis der Welt und die Lust am Gesetz des Herrn
zusammenkommen, dann wird das Erkennen des Menschen dem Leben dienen, es wird
vorsichtig sein und demütig, bescheiden und ehrfürchtig, es wird um seine Grenzen wissen
und sie achten. Und es wird selbst nicht das Urteil sprechen, sondern gerade das letzte Urteil
Gott überlassen. Der soll sagen: Es ist gut.
Amen.
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