SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst Polarklang Eine akustische Reise in die antarktische Unterwasserwelt Autor: Marko Pauli Redaktion: Detlef Clas Regie: Günter Maurer Erst-Sendung: 22. Oktober 2007, 8.30 Uhr, SWR 2 Wiederholung: 2. Januar 2009, 8.30 Uhr, SWR 2 ___________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030 ___________________________________________________________ Entdecken Sie den SWR2 RadioClub! Lernen Sie das Radioprogramm SWR2 und den SWR2 RadioClub näher kennen! 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Mehr als 80 Forschungsstationen verteilen sich über die Antarktis. Einige Wissenschaftler wohnen also hier – zumindest für eine Weile. Die deutsche Forschungsstation „Neumayer“ ist nur ein paar Kilometer entfernt. Zu der gehört auch dieser kleine Container hier. Steht einfach da, mitten im Nichts. Da hinten... Mikrofonkabel, die aus dem Eis kommen. Auf einer Reihe von Stangen werden sie in den Container getragen. Alles voller Elektronik hier. [Liest ab: ]... Audio Control Cabinet. Aha... Sound Rosse-Robbe, alleine, bleibt anschließend unter: O-Ton – Olaf Boebel: Unter Wasser ist viel los, gerade im Sommer, wenn die Robben singen ist es ein reines Konzert, und über Wasser ist gar nichts. Das für mich eindrucksvollste Erlebnis war ein windstiller Tag, an dem ich vorn an der Eiskante war und vier Vögel vorbei flogen, und es war so leise, dass man den Wind an den Flügeln hören konnte. Man konnte die Vögel fliegen hören. Ich glaub, so leise Momente gibt es wahrscheinlich nur noch in der Antarktis. Aber das Leben, das akustische Erleben passiert unter Wasser in der Antarktis. Ansage: „Polarklang – Der Sound der Antarktis“ – ein Feature von Marko Pauli. Atmo: Hafen, Möwen, Geplätscher, leise Gespräche, leiser Motorsound Polarstern Autor: Bremerhaven, die Heimat des Alfred-Wegener-Instituts, kurz AWI genannt. Das AWI betreibt Forschungen in der Arktis und Antarktis, und das wichtigste Instrument dieser Forschungen verlässt gerade den Hafen. Ein vor Kraft strotzendes Schiff, ein Eisbrecher, 120 Meter lang. Der weiße Überbau ist mit vielen Kabinenfenstern gespickt und trägt einen Garten aus Funk- und Satelliten-Anlagen auf dem Dach. Vorne auf dem Deck befinden sich verschiedene Kräne. Darunter, auf dem tiefblauen Rumpf, steht in großen weißen Lettern der Name dieses schwimmenden Großlabors: „Polarstern“. Es ist das leistungsfähigste Polarforschungsschiff der Welt. Die „Polarstern“ macht sich auf eine sehr lange Reise, rund 15.000 Kilometer weit soll sie gehen. Das Ziel ist „Neumayer“, die deutsche Forschungsstation in der Antarktis. 50, 60 Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen werfen einen letzten Blick auf den Ort, den viele von ihnen erst in etwa sechs Monaten wieder sehen werden. Einer, der die Reise schon mehrfach mitgemacht hat, ist Dr. Olaf Boebel, Physiker, Ozeanograph und Leiter der Abteilung „Ozeanische Akustik“ am AWI: O-Ton – Olaf Boebel: Von Bremerhaven bis Kapstadt in Direktfahrt sind 3,5 - 4 Wochen. Meistens ist aber auch noch irgendwelche wissenschaftliche Aktivität an Bord und wenn dazu gestoppt werden muss, dann ja ... üblicherweise sind Reisen 4-5 Wochen. 2 Autor: Von der Weser also in die Nordsee, durch den Ärmelkanal und in den Atlantik. Vorbei an Frankreich, Spanien und Portugal passiert die „Polarstern“ auf ihrem Weg in die Antarktis schließlich die ersten Länder der schier endlos scheinenden westlichen afrikanischen Küste. O-Ton – Olaf Boebel: Der kürzeste Weg führt relativ nah bei Dakar vorbei und dann quer rüber über das Angolabecken, runter nach Kapstadt, da ist von Küste nichts zu sehen. Wir haben auch immer ein bisschen Bedenken wegen Piraterie. „Polarstern“ ist natürlich kein schnelles Schiff, ist ganz leicht zu entern. Fährt maximal 15 Knoten, aber das ist keine Geschwindigkeit, da kommt jedes Plastikboot hinterher. Insofern halten wir uns gerne fern von kritischen Regionen. Übern Äquator hat man öfter das Problem, dass es kein kaltes Wasser gibt, weil das kälteste Wasser ist das, was man aus dem Meer rausziehen kann und das ist das Kühlwasser und das hat schon 25 bis 28 Grad, dann kann man nur noch ganz heiß duschen. Das ist durchaus ein Problem. Autor: Zehn Tage dauert die anschließende Fahrt von Kapstadt in Richtung Südpol, zur Neumayer-Station, die im Norden des antarktischen Kontinents liegt. Im Inland beträgt die Jahres-Durchschnittstemperatur –55 Grad, hier an der Küste des nordöstlichen Weddellmeeres ist es ein bisschen wärmer. Die Wissenschaftler haben also wieder festen Boden unter den Füßen. Zumindest 200 Meter fest, denn so dick ist das Eis, das die Neumayer-Station vom darunter liegenden Meer trennt. Die nach dem deutschen Geophysiker und Polarforscher Georg von Neumayer benannte Station ist ganzjährig bewohnt und besteht aus drei etwa 90 Meter langen Stahlröhren, in denen Schlafkabinen, Labore, eine Küche, eine Krankenstation und weitere Spezialräume eingerichtet sind. Dreizehn Kilometer von Neumayer entfernt, befindet sich das neue akustische Beobachtungssystem „PALAOA“ – was auf Hawaiianisch „Wal“ bedeutet. Ganz nah an der Küste und ebenfalls auf Eis gebaut, steht der PALAOA-Container ganz einsam und unbemannt da. Bevor die Station in Betrieb gehen konnte, mussten Löcher durch das hier 100 Meter dicke Eis gebohrt werden, durch die vier Hydrophone, Unterwassermikrofone, tief ins Meer hinabgelassen wurden. Diese fangen nun die unerhörten Geräusche der umliegenden antarktischen Unterwasserwelt ein – zum Beispiel die Stimme der Weddell-Robbe: O-Ton - Joachim Plötz: Weddell-Robben sind ja Gesangsmeister. Die haben um die 40 verschiedenen Lauttypen. Von den 40 Lauten ist dieser hier, der „Trill“, der markanteste. Und er soll, zumindest wird das vermutet, ausschließlich von Männchen abgegeben werden, während der Paarungszeit. Autor: Dr. Joachim Plötz ist Warmblüter-Biologe am Alfred-Wegener-Institut, er arbeitet speziell an Robben in der Antarktis. Er halt mit, die PALAOA-Station aufzubauen. Mit dieser sollen besonders Meeressäugetiere wie Robben und Wale akustisch beobachtet werden, um so mehr über die Tiere zu erfahren. Dieses Stethoskop in den Südlichen Ozean offenbart eine Unterwasserwelt, die voller wunderlicher 3 Geräusche ist. Die Tiere erzeugen sie, um zu kommunizieren, um zu navigieren oder auch um Nahrung aufzuspüren. Die Weddell-Robbe ist gesanglich besonders aktiv, nicht nur deshalb ist Joachim Plötz von ihr angetan: O-Ton - Joachim Plötz: Unser Lieblingstier. Wir arbeiten schon seit 10 Jahren an ihr. Wir untersuchen ihr Tauchverhalten und ihre Nahrungsaufnahme. Autor: Die stahlgraue und mit weißen Flecken gesprenkelte Weddell-Robbe ist nicht nur mit einem relativ friedfertigen Gemüt ausgestattet – was bei längst nicht allen Robben der Fall ist, wie später noch zu hören sein wird. Von Vorteil ist auch, dass sie in den antarktischen Sommermonaten am Rande des Packeises auf stabilem Meereis lebt. Joachim Plötz und seine Kollegen können sich ihr also auf sicherem Grund nähern. O-Ton - Joachim Plötz: Wir können dann dort über mehrere Wochen an diesem Tier arbeiten, das kann man in Packeisgebieten, wo die anderen Robbenarten vorkommen, nicht, von Scholle zu Scholle zu hüpfen, ist zu riskant. Die Weddell-Robbe ist extrem ortstreu, sie kommt in Festeisgebieten über das ganze Jahr hindurch vor. Typisch für die Weddell-Robbe ist, dass sie sehr träge ist im Gegensatz zu den anderen Packeis-Robben, also Seeleopard, Ross-Robbe und Krabbenfresser. Sie ist nicht so vital. Das ist ihre Überlebensstrategie in hochantarktischen Festeisgebieten. Sie schwimmt etwa 1,5 bis 2 Meter pro Sekunde, das ist also ein relativ langsamer Schwimmer – andere Robbenarten schwimmen wesentlich schneller. Aber sie hält mit ihrer Energie haus, und das ist notwendig, denn in diesen Gebieten ist es extrem kalt und unwirtlich. Sie hat einen relativ kleinen Kopf im Verhältnis zum massigen Körper. Sie wird fast eine halbe Tonne schwer. Und dieser Kopf sieht aus, als hätte man ihn ihr aufgesetzt, also aufgeschraubt, ist ganz eigenartig. Autor: Aber die Weddell-Robbe ist nicht nur träge und mit einem großen Gesangsrepertoire bzw. einem kleinen Kopf ausgestattet. Dr. Horst Bornemann, Veterinärmediziner und gemeinsam mit Joachim Plötz schon auf mehreren Antarktis-Expeditionen, berichtet von exklusiven Gegenden, die die Weddell-Robbe aufsucht, um ihre Beute zu finden und den Körper in massiger Form zu halten: O-Ton – Horst Borneman: Die Weddell-Robbe gilt unter den Packeisrobben als der Weltrekordhalter im Tauchen. Wir haben bei unseren Untersuchungen Tauchtiefen bis knapp 500 Meter gemessen. Aber wir wissen, dass das nicht das Äußerste ist. Die Tiere tauchen bis weit über 600 Meter tief. Autor: Ein ebenfalls sehr gesangsfreudiges Tier ist die Ross-Robbe. Sie ist relativ selten, und da sie sich vorwiegend in den Weiten der unzugänglichen Packeisgebiete aufhält, auch noch wenig erforscht. O-Ton – Horst Borneman: Wir haben akustische Signaturen dieser Tiere aufgezeichnet, die für das menschliche Ohr sehr fremd, sehr ungewohnt klingen. Und erfahrene Akustiker haben den 4 Verdacht beim ersten Hören dieser Töne, dass es gar nicht von einem Tier zu stammen scheint, sondern dass es sich um ein andersartiges Naturgeräusch handelt, das Geräusch von unter Wasser gegeneinander reibendem Eis zum Beispiel Autor: Die Ross-Robbe ist kleiner und mit einem Gewicht von etwa 200 Kilo auch deutlich leichter als die Weddell-Robbe. Besonderes Merkmal sind ihre riesigen Augen, die einen Durchmesser von etwa sieben Zentimetern haben. Autor: Was beim Anblick der ungastlichen Gegend an Land kaum vorstellbar war - unter Wasser existiert hier eines der üppigsten Ökosysteme der Welt. Die besondere Anziehungskraft der antarktischen Gewässer geht von riesigen Krill-Schwärmen aus. Die Kleinkrebse sind Grundlage für das Ökosystem und Hauptnahrung vieler Tiere in der Antarktis. Das Wort „Krill“ kommt übrigens aus dem Norwegischen und bedeutet übersetzt „Walnahrung“. Dass Wale aber nicht die einzigen Krill-Kenner sind, dafür steht schon mit ihrem Namen die Krabbenfresser-Robbe. Obwohl sie ausschließlich in den südpolaren Gewässern vorkommt, gibt es von keiner anderen Robbenart auf der Welt so viele Individuen. Die Krabbenfresserrobbe ist kein Gesangsmeister, eine einzige Lautäußerung hat man bisher registrieren können – diese allerdings hat es in sich: O-Ton – Joachim Plötz: Wenn man sich ihr nähert, dann faucht sie in der Regel ganz laut und man hält dann besser von ihr Abstand. Sie kann auch zupacken, sie attackiert auch. Das liegt wahrscheinlich auch an ihrer Umwelt. Sie lebt eben in der Packeiszone und ist dem Räuberdruck ausgesetzt, muss also sehr wehrhaft sein - im Gegensatz zur WeddellRobbe, die handzahm ist beinah. Sie wird von Orcas und Schwertwalen erbeutet. Vor allem die Jungtiere. Man sieht das daran, dass es kaum eine Krabbenfresserrobbe gibt, die an ihrer Flanke oder irgendwo in ihrer Rückenpartie keine Narben hat. Autor: Geräusche von Schwertwalen sind häufig in der Umgebung der PALAOAHydrophone zu hören. Es sind vor allem kurze und hochfrequente Klick- und Pfeiftöne, die die Tiere von sich geben. Die Klicklaute dienen zur Echoortung von Beute. Die Schallwellen treffen auf ein Hindernis wie etwa eine KrabbenfresserRobbe und werden zurückgeworfen. Aus der Laufzeit der Wellen können die Orcas die Entfernung zur Robbe ermitteln. Zurück auf dem Eis und bei der akustischen Beobachtungsstation PALAOA. Wenn man den einsam gelegenen und so üppig mit Technik ausgestatteten Container so betrachtet, stellt sich die banale Frage, wie dieser überhaupt mit Strom versorgt werden kann. Dr. Olaf Boebel, Leiter der AWI-Forschungsgruppe „Ozeanische Akustik“: O-Ton – Olaf Boebel: Die Station selber hat nur Solarpanels, Windgeneratoren und eine Brennstoffzelle, und darüber versorgt die ganze Station sich selber, einschließlich der drahtlosen Übertragung mittels der WLAN-Strecke an die Hauptstation des AWIs, der Neumayer-Station. Und von dort über Satellit ans AWI und dort werden sie ins 5 Internet gestellt, so dass jedermann sich anhören kann, was mehr oder weniger live in der Antarktis unter Wasser im Moment zu hören ist. Autor: Mit etwas Glück sind Geräusche zu hören, von denen auch die Wissenschaftler keine Ahnung haben, woher sie stammen. Olaf Boebel präsentiert solch ein mysteriöses Fundstück: O-Ton – Olaf Boebel: Es gibt viele Geräusche, die klar zugeordnet sind. Aber es gibt auch Geräusche, ich kann eins mal vorspielen, von denen wir keinen blassen Schimmer im Moment haben, was das ist. Es fängt also an mit das, was ich Pfiff nenne, das ist ne WeddellRobbe, das ist erkannt ... Das war jetzt der Abbruch von Eis. [kurzer Dialog Autor/Böbel:]„Das ist jetzt eine Robbe, die man da hört?“, „Ja.“ [Einsatz des unbekannten Geräuschs] Dieses Geräusch kennen wir nicht. Das ist relativ laut. Wir haben keine Erklärung im Moment. Im Hintergrund hört man noch die WeddellRobbe, das Gepfeife. Die machen immer so ne Sequenz von Trills, nennt man das. Autor: Mit den Langzeitaufnahmen der PALAOA-Station kann erstmals das akustische Repertoire von Walen und Robben in einem von Menschen nahezu ungestörten Lebensraum untersucht werden. Dieses Tonmaterial soll auch als Basismaterial dienen, um es mit den Geräuschen von Artgenossen zu vergleichen, die in einer zum Beispiel von Schiffslärm belasteten Umwelt leben. Man hofft durch einen Vergleich, auf mögliche Auswirkungen solcher Schallemissionen schließen zu können. Die PALAOA-Station bietet aber auch Anwendungsmöglichkeiten, die einen unmittelbaren Nutzen darstellen: O-Ton – Olaf Boebel: [Geräusch Seeleopard] Das ist ein Seeleopard, dieses leicht heulende tiefe Geräusch. Seeleoparden sind die gefährlichsten Tiere für Taucher in der Antarktis. Eine Richtung, die wir jetzt verfolgen, ist jetzt vor Tauchgängen solche Aufnahmen zu machen und dann für ein paar Stunden das Umfeld zu untersuchen, ob da Seeleoparden-Vokalisationen auftreten, und so die Taucher informieren zu können, ob da ein Risiko existiert oder nicht. Autor: 2003 kam eine britische Wissenschaftlerin ums Leben, als sie beim Schnorcheln in der Nähe ihrer Forschungsstation von einem Seeleoparden in die Tiefe gezogen wurde. Der Warmblüter-Biologe Joachim Plötz ist der räuberischen Robbe an Land begegnet: O-Ton - Joachim Plötz: Die verhalten sich aggressiv. Ich hab das selbst schon beinahe zu spüren bekommen, ziemlich direkt. Mit einer Filmkamera lag ich vor der Robbe, und ohne dass man etwas im Gesicht sehen konnte – Hunde legen die Ohren an - gab es einen Angriff. Sie ist ganz schnell, schnellt nach vorne. Voll bezahnt, mit ganz scharfen, großen, spitzen Zähnen und der Rachen ist ganz tief eingeschnitten im Kopf. Es sieht wirklich reptilienartig aus, das Tier. Autor: 6 Joachim Plötz und Horst Bornemann haben in den letzten drei Jahren drei Expeditionen gemeinsam in der Antarktis unternommen. Während sie in diesem antarktischen Sommer an Seeelefanten gearbeitet haben, den größten Robben überhaupt, halfen sie im vergangenen Jahr dabei, das PALAOA-Observatorium aufzubauen. Zuvor waren sie für einen mehrwöchigen Aufenthalt an der Ostküste des Weddellmeeres, im Drescher-Camp. Das nach einem der ersten AWI-Mitarbeiter benannte mobile Eiscamp wird nur bei Bedarf errichtet. Per Helikopter, der von der „Polarstern“ aus startet, werden rote Glasfaseriglus transportiert, aus denen dann sehr schnell ein kleines Dorf errichtet wird. O-Ton – Joachim Plötz: Innerhalb von vier bis fünf Stunden ist das Camp aufgebaut. Dann stehen da etwa fünf Kunststoffiglus und ein paar Generatoren und ein Toilettenzelt. Und das ist unser Camp für vier bis fünf Personen. Es muss schnell passieren, wir haben auch Helfer, die dann wieder zum Schiff zurückgeflogen werden. Aber das Wetter in der Antarktis ist sehr instabil, Wetterumschwünge kommen schnell und kaum hat man sich versehen, da sitzt man schon in einer tiefen Schneedrift. Es ist kein Schneefall, da werden durch den Sturm Eiskristalle aufgewirbelt und nehmen einem die Sicht. Und da muss man schon in die Iglus rein. Und das ist uns beim letzten Mal passiert, wir hatten kaum das Zelt aufgebaut, da hatten wir schon die erste heftige Schneedrift. Und die hält dann vier, fünf Tage an. Autor: Das Camp kann bei einer solchen Schneedrift nicht verlassen werden. Der Schnee ist nicht nur unter den Füßen, er ist überall. Man sieht nur noch weiß, und dieses Weiß weht einen auch noch mit einer solchen Wucht an, dass nur der Rückzug ins Iglu bleibt. O-Ton – Horst Bornemann: Man schätzt vielleicht falsch ein, wie reizarm das Leben mitunter sein kann, wenn man unter diesen Bedingungen lebt und arbeitet. Natürlich ist auch so ein Schneedrifterlebnis etwas Außergewöhnliches und lehrt einen Demut vor der Natur. Auf der anderen Seite ist man in dem Aktionsradius, den man da hat, äußerst eingeschränkt, und das Leben findet dann wirklich für mehrere Tage auf 2, 3, 4 Quadratmetern statt. Man muss das wirklich im wahrsten Sinne des Wortes abwettern. Man kann natürlich eine Weile noch am Computer arbeiten, aber wenn die Akkus aufgebraucht sind, dann war es das mit Elektrizität, denn die Generatoren können wir während der Drift nicht betreiben. Und dann wird man quasi auch ein bisschen zurückversetzt in der Zeit und kann ein kleines bisschen ein Gefühl dafür entwickeln, wie es während der historischen Polarexpedition gewesen sein muss, wo Elektrizität unterwegs überhaupt keine Rolle gespielt hat. Autor: Das Camp liegt fernab von irgendeiner Forschungsstation. Es wird an ausgerechnet diesem Ort errichtet, weil von hier aus besonders gut an den nahe gelegenen Weddell-Robben-Kolonien gearbeitet werden kann. Und so klingt es, wenn dort 4 bis 5 Wochen junge Weddell-Robben von ihren Müttern zum Schwimmtraining ins Meer gelockt werden: Geräusch: Wedell-Robben 7 Autor: Zurück zu PALAOA, dem akustischen Observatorium bei der Neumayer-Station, einige Hundert Kilometer weiter nördlich des temporären Drescher-Camps gelegen. Mit PALAOA werden auch Eis-Abbruchraten gemessen. Diese kleinen Eisabbrüche sind von keinem Satelliten zu sehen, im Wasser jedoch gut zu hören. Je nach Quantität können sie ein konkreter Hinweis auf Auswirkungen einer Klimaerwärmung sein. Was jetzt zu hören ist, hat aber mit kleinen Eisabbrüchen nichts zu tun – nicht erschrecken, zwei Eisberge treffen im Küstenstrom aufeinander: Geräusch: Eisberge O-Ton – Olaf Boebel: Ja dann passiert es, dass zwei Eisberge von der Größe jeweils Bremerhavens mit ungefähr 5 km/h ineinander rasseln – da ist natürlich viel Energie zu vernichten, bevor da einer zum Stehen gekommen ist. Solche akustischen Ereignisse sind bislang nicht aufgezeichnet worden. O-Ton – Joachim Plötz: Und in dieser Geräuschkulisse leben Robben, und die ist ganz schön heftig. Jahr ein Jahr aus und Tag ein Tag aus leben sie unter diesen lauten Geräuschen und wir vermuten auch, dass aus dem Grunde die Weddell-Robbe selbst ein so guter Gesangskünstler ist. Weil sie sich über die Umweltgeräusche an der Schelfeisküste hinwegsetzen muss, akustisch, um sich überhaupt mitzuteilen. Autor: Eisberge geben aber nicht nur bei Unfällen Geräusche von sich. Wissenschaftler des geophysikalischen Observatoriums an der Neumayer-Station haben einen eigenartigen Klageruf aufgefangen, der sich über Tausende von Kilometern in der Antarktis ausgebreitet hat. Nach längerem Rätselraten konnte ein Eisberg als Quelle identifiziert werden: Die Geräusche der Eisberge wurden bei ihrer Entdeckung nicht akustisch registriert, sondern seismisch, als Bodenwellen. Um diese tieffrequenten Wellen in den hörbaren Bereich zu bringen, hat Dr. Christian Müller, der das geophysikalische Observatorium an der Neumayer-Station betreut, die Aufnahmen zeitlich stauchen müssen. Wie diese Geräusche überhaupt entstehen, ist noch ungeklärt. Es besteht aber eine auffällige Ähnlichkeit mit den Tönen, die Vulkane kurz vor der Eruption erzeugen, so Christian Müller: O-Ton – Christian Müller: Das ist insofern bedeutend, weil bei großen Ausbrüchen diese Tremore oft vorhergehen. Das heißt, man könnte sie auch als Vorhersage benutzen. Deshalb kann in Analogie so ein Eisberg, der ja ein sehr einfaches System ist, verglichen mit so einem komplexen Vulkansystem, zum Verständnis beitragen. Autor: Eisberge also als einfache Vulkanmodelle. Eine Theorie der Vulkanologen könnte auch die Gesänge der Eisberge erklären. Das Magma der Vulkane bzw. das kalte Wasser im Innern der Eisberge presst sich unter hohem Druck durch enge Kanäle ... O-Ton – Christian Müller: 8 ... durch den erhöhten Druck werden die Wände des Spaltes auseinandergedrückt, dadurch sinkt der Druck und die entlasten sich wieder, es wird eine Vibration erzeugt. Im Grunde nicht anders als das, was unsere Stimmbänder machen beim Sprechen. Autor: Wenn bei uns die Freibäder öffnen, naht in der Antarktis der Winter. Die Sonne ist zu dieser Zeit kaum noch zu sehen und die Temperaturen sinken ins Bodenlose. Während einige wenige Überwinterer zurückbleiben und sich auf ein einsames und dunkles Halbjahr vorbereiten, verlassen die meisten Wissenschaftler die Antarktis. Was sie neben den gesammelten wissenschaftlichen Daten und Proben mitnehmen, sind die Erinnerungen an beeindruckende Erlebnisse: O-Ton - Joachim Plötz: Die Kontraste. Wenn man auf dem Eis steht an windstillen Tagen, ist es extrem still, und kaum hält man ein Mikrofon ins Wasser und hat einen Kopfhörer auf, da tobt das Leben unter dem Eis. Es ist laut, wie wir ja vorhin schon gehört haben an den Robbenlauten, die sind ja heftig laut. Dieser Kontrast ist für mich zum Beispiel sehr beeindruckend. Also über dem Eis Stille, und unter dem Eis Leben. O-Ton – Olaf Böbel: Wenn im antarktischen Frühjahr/Sommer die Robben und Wale an die Eiskante zurückkommen, da gibt es Bereiche, da kommt man sich vor wie im Urwald. O-Ton – Horst Bornemann: Besonders wenn das Camp abgebaut wird und man mit dem Hubschrauber abfliegt zum Schiff und aus größerer Höhe wahrnimmt, wo man eigentlich gewesen ist, in dieser unendlichen Weite und Einsamkeit. Dann empfindet man, wenn man über diesen weißen, weiten Schelf blickt, auch sofort, wie deplaziert menschliche Existenz in dieser unwirtlichen Eiswüste, wie sie einem dann erscheint, auch ist, und wie froh man dann ist, nach vielen Wochen sich wieder in den Komfort und die sichere Umgebung des Schiffes zu begeben. Autor: Über die Hydrophone der PALAOA-Station ist auch schon der Motor der „Polarstern“ zu hören. Ein Klang, der die Rückkehr in die Zivilisation verspricht. Das Forschungsschiff des Alfred-Wegener-Instituts bringt die Neumayer-Mitarbeiter auf ihrem Rückweg nach Bremerhaven zunächst wieder nach Kapstadt. Nach einem kurzen Zwischenstopp geht es von hier aus weiter - die gesamte afrikanische Westküste entlang. ***** 9