1 SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen

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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen - Manuskriptdienst
Polarklang
Eine akustische Reise in die antarktische Unterwasserwelt
Autor: Marko Pauli
Redaktion: Detlef Clas
Regie: Günter Maurer
Erst-Sendung: 22. Oktober 2007, 8.30 Uhr, SWR 2
Wiederholung: 2. Januar 2009, 8.30 Uhr, SWR 2
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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
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Autor:
Weiß. Nichts als weiß. Eiseskälte. Wir befinden uns ganz im Norden des Kontinents
Antarktika. Man muss sich das mal vorstellen, ein Kontinent, um einiges größer als
Europa und ganz unbewohnt. Ist aber auch wirklich sehr kalt hier. Obwohl, ganz
unbewohnt stimmt gar nicht. Mehr als 80 Forschungsstationen verteilen sich über die
Antarktis. Einige Wissenschaftler wohnen also hier – zumindest für eine Weile. Die
deutsche Forschungsstation „Neumayer“ ist nur ein paar Kilometer entfernt. Zu der
gehört auch dieser kleine Container hier. Steht einfach da, mitten im Nichts. Da
hinten... Mikrofonkabel, die aus dem Eis kommen. Auf einer Reihe von Stangen
werden sie in den Container getragen.
Alles voller Elektronik hier. [Liest ab: ]... Audio Control Cabinet. Aha...
Sound Rosse-Robbe, alleine, bleibt anschließend unter:
O-Ton – Olaf Boebel:
Unter Wasser ist viel los, gerade im Sommer, wenn die Robben singen ist es ein
reines Konzert, und über Wasser ist gar nichts. Das für mich eindrucksvollste
Erlebnis war ein windstiller Tag, an dem ich vorn an der Eiskante war und vier Vögel
vorbei flogen, und es war so leise, dass man den Wind an den Flügeln hören konnte.
Man konnte die Vögel fliegen hören. Ich glaub, so leise Momente gibt es
wahrscheinlich nur noch in der Antarktis. Aber das Leben, das akustische Erleben
passiert unter Wasser in der Antarktis.
Ansage:
„Polarklang – Der Sound der Antarktis“ – ein Feature von Marko Pauli.
Atmo: Hafen, Möwen, Geplätscher, leise Gespräche, leiser Motorsound Polarstern
Autor:
Bremerhaven, die Heimat des Alfred-Wegener-Instituts, kurz AWI genannt. Das AWI
betreibt Forschungen in der Arktis und Antarktis, und das wichtigste Instrument
dieser Forschungen verlässt gerade den Hafen. Ein vor Kraft strotzendes Schiff, ein
Eisbrecher, 120 Meter lang. Der weiße Überbau ist mit vielen Kabinenfenstern
gespickt und trägt einen Garten aus Funk- und Satelliten-Anlagen auf dem Dach.
Vorne auf dem Deck befinden sich verschiedene Kräne. Darunter, auf dem tiefblauen
Rumpf, steht in großen weißen Lettern der Name dieses schwimmenden Großlabors:
„Polarstern“. Es ist das leistungsfähigste Polarforschungsschiff der Welt.
Die „Polarstern“ macht sich auf eine sehr lange Reise, rund 15.000 Kilometer weit
soll sie gehen. Das Ziel ist „Neumayer“, die deutsche Forschungsstation in der
Antarktis. 50, 60 Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen werfen einen letzten
Blick auf den Ort, den viele von ihnen erst in etwa sechs Monaten wieder sehen
werden. Einer, der die Reise schon mehrfach mitgemacht hat, ist Dr. Olaf Boebel,
Physiker, Ozeanograph und Leiter der Abteilung „Ozeanische Akustik“ am AWI:
O-Ton – Olaf Boebel:
Von Bremerhaven bis Kapstadt in Direktfahrt sind 3,5 - 4 Wochen. Meistens ist aber
auch noch irgendwelche wissenschaftliche Aktivität an Bord und wenn dazu gestoppt
werden muss, dann ja ... üblicherweise sind Reisen 4-5 Wochen.
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Autor:
Von der Weser also in die Nordsee, durch den Ärmelkanal und in den Atlantik. Vorbei
an Frankreich, Spanien und Portugal passiert die „Polarstern“ auf ihrem Weg in die
Antarktis schließlich die ersten Länder der schier endlos scheinenden westlichen
afrikanischen Küste.
O-Ton – Olaf Boebel:
Der kürzeste Weg führt relativ nah bei Dakar vorbei und dann quer rüber über das
Angolabecken, runter nach Kapstadt, da ist von Küste nichts zu sehen. Wir haben
auch immer ein bisschen Bedenken wegen Piraterie. „Polarstern“ ist natürlich kein
schnelles Schiff, ist ganz leicht zu entern. Fährt maximal 15 Knoten, aber das ist
keine Geschwindigkeit, da kommt jedes Plastikboot hinterher. Insofern halten wir uns
gerne fern von kritischen Regionen. Übern Äquator hat man öfter das Problem, dass
es kein kaltes Wasser gibt, weil das kälteste Wasser ist das, was man aus dem Meer
rausziehen kann und das ist das Kühlwasser und das hat schon 25 bis 28 Grad,
dann kann man nur noch ganz heiß duschen. Das ist durchaus ein Problem.
Autor:
Zehn Tage dauert die anschließende Fahrt von Kapstadt in Richtung Südpol, zur
Neumayer-Station, die im Norden des antarktischen Kontinents liegt. Im Inland
beträgt die Jahres-Durchschnittstemperatur –55 Grad, hier an der Küste des
nordöstlichen Weddellmeeres ist es ein bisschen wärmer. Die Wissenschaftler haben
also wieder festen Boden unter den Füßen. Zumindest 200 Meter fest, denn so dick
ist das Eis, das die Neumayer-Station vom darunter liegenden Meer trennt. Die nach
dem deutschen Geophysiker und Polarforscher Georg von Neumayer benannte
Station ist ganzjährig bewohnt und besteht aus drei etwa 90 Meter langen
Stahlröhren, in denen Schlafkabinen, Labore, eine Küche, eine Krankenstation und
weitere Spezialräume eingerichtet sind.
Dreizehn Kilometer von Neumayer entfernt, befindet sich das neue akustische
Beobachtungssystem „PALAOA“ – was auf Hawaiianisch „Wal“ bedeutet. Ganz nah
an der Küste und ebenfalls auf Eis gebaut, steht der PALAOA-Container ganz
einsam und unbemannt da. Bevor die Station in Betrieb gehen konnte, mussten
Löcher durch das hier 100 Meter dicke Eis gebohrt werden, durch die vier
Hydrophone, Unterwassermikrofone, tief ins Meer hinabgelassen wurden. Diese
fangen nun die unerhörten Geräusche der umliegenden antarktischen
Unterwasserwelt ein – zum Beispiel die Stimme der Weddell-Robbe:
O-Ton - Joachim Plötz:
Weddell-Robben sind ja Gesangsmeister. Die haben um die 40 verschiedenen
Lauttypen. Von den 40 Lauten ist dieser hier, der „Trill“, der markanteste. Und er soll,
zumindest wird das vermutet, ausschließlich von Männchen abgegeben werden,
während der Paarungszeit.
Autor:
Dr. Joachim Plötz ist Warmblüter-Biologe am Alfred-Wegener-Institut, er arbeitet
speziell an Robben in der Antarktis. Er halt mit, die PALAOA-Station aufzubauen. Mit
dieser sollen besonders Meeressäugetiere wie Robben und Wale akustisch
beobachtet werden, um so mehr über die Tiere zu erfahren. Dieses Stethoskop in
den Südlichen Ozean offenbart eine Unterwasserwelt, die voller wunderlicher
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Geräusche ist. Die Tiere erzeugen sie, um zu kommunizieren, um zu navigieren oder
auch um Nahrung aufzuspüren. Die Weddell-Robbe ist gesanglich besonders aktiv,
nicht nur deshalb ist Joachim Plötz von ihr angetan:
O-Ton - Joachim Plötz:
Unser Lieblingstier. Wir arbeiten schon seit 10 Jahren an ihr. Wir untersuchen ihr
Tauchverhalten und ihre Nahrungsaufnahme.
Autor:
Die stahlgraue und mit weißen Flecken gesprenkelte Weddell-Robbe ist nicht nur mit
einem relativ friedfertigen Gemüt ausgestattet – was bei längst nicht allen Robben
der Fall ist, wie später noch zu hören sein wird. Von Vorteil ist auch, dass sie in den
antarktischen Sommermonaten am Rande des Packeises auf stabilem Meereis lebt.
Joachim Plötz und seine Kollegen können sich ihr also auf sicherem Grund nähern.
O-Ton - Joachim Plötz:
Wir können dann dort über mehrere Wochen an diesem Tier arbeiten, das kann man
in Packeisgebieten, wo die anderen Robbenarten vorkommen, nicht, von Scholle zu
Scholle zu hüpfen, ist zu riskant. Die Weddell-Robbe ist extrem ortstreu, sie kommt in
Festeisgebieten über das ganze Jahr hindurch vor. Typisch für die Weddell-Robbe
ist, dass sie sehr träge ist im Gegensatz zu den anderen Packeis-Robben, also
Seeleopard, Ross-Robbe und Krabbenfresser. Sie ist nicht so vital. Das ist ihre
Überlebensstrategie in hochantarktischen Festeisgebieten. Sie schwimmt etwa 1,5
bis 2 Meter pro Sekunde, das ist also ein relativ langsamer Schwimmer – andere
Robbenarten schwimmen wesentlich schneller. Aber sie hält mit ihrer Energie haus,
und das ist notwendig, denn in diesen Gebieten ist es extrem kalt und unwirtlich. Sie
hat einen relativ kleinen Kopf im Verhältnis zum massigen Körper. Sie wird fast eine
halbe Tonne schwer. Und dieser Kopf sieht aus, als hätte man ihn ihr aufgesetzt,
also aufgeschraubt, ist ganz eigenartig.
Autor:
Aber die Weddell-Robbe ist nicht nur träge und mit einem großen Gesangsrepertoire
bzw. einem kleinen Kopf ausgestattet. Dr. Horst Bornemann, Veterinärmediziner und
gemeinsam mit Joachim Plötz schon auf mehreren Antarktis-Expeditionen, berichtet
von exklusiven Gegenden, die die Weddell-Robbe aufsucht, um ihre Beute zu finden
und den Körper in massiger Form zu halten:
O-Ton – Horst Borneman:
Die Weddell-Robbe gilt unter den Packeisrobben als der Weltrekordhalter im
Tauchen. Wir haben bei unseren Untersuchungen Tauchtiefen bis knapp 500 Meter
gemessen. Aber wir wissen, dass das nicht das Äußerste ist. Die Tiere tauchen bis
weit über 600 Meter tief.
Autor:
Ein ebenfalls sehr gesangsfreudiges Tier ist die Ross-Robbe. Sie ist relativ selten,
und da sie sich vorwiegend in den Weiten der unzugänglichen Packeisgebiete
aufhält, auch noch wenig erforscht.
O-Ton – Horst Borneman:
Wir haben akustische Signaturen dieser Tiere aufgezeichnet, die für das menschliche
Ohr sehr fremd, sehr ungewohnt klingen. Und erfahrene Akustiker haben den
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Verdacht beim ersten Hören dieser Töne, dass es gar nicht von einem Tier zu
stammen scheint, sondern dass es sich um ein andersartiges Naturgeräusch handelt,
das Geräusch von unter Wasser gegeneinander reibendem Eis zum Beispiel
Autor:
Die Ross-Robbe ist kleiner und mit einem Gewicht von etwa 200 Kilo auch deutlich
leichter als die Weddell-Robbe. Besonderes Merkmal sind ihre riesigen Augen, die
einen Durchmesser von etwa sieben Zentimetern haben.
Autor:
Was beim Anblick der ungastlichen Gegend an Land kaum vorstellbar war - unter
Wasser existiert hier eines der üppigsten Ökosysteme der Welt. Die besondere
Anziehungskraft der antarktischen Gewässer geht von riesigen Krill-Schwärmen aus.
Die Kleinkrebse sind Grundlage für das Ökosystem und Hauptnahrung vieler Tiere in
der Antarktis. Das Wort „Krill“ kommt übrigens aus dem Norwegischen und bedeutet
übersetzt „Walnahrung“. Dass Wale aber nicht die einzigen Krill-Kenner sind, dafür
steht schon mit ihrem Namen die Krabbenfresser-Robbe. Obwohl sie ausschließlich
in den südpolaren Gewässern vorkommt, gibt es von keiner anderen Robbenart auf
der Welt so viele Individuen. Die Krabbenfresserrobbe ist kein Gesangsmeister, eine
einzige Lautäußerung hat man bisher registrieren können – diese allerdings hat es in
sich:
O-Ton – Joachim Plötz:
Wenn man sich ihr nähert, dann faucht sie in der Regel ganz laut und man hält dann
besser von ihr Abstand. Sie kann auch zupacken, sie attackiert auch. Das liegt
wahrscheinlich auch an ihrer Umwelt. Sie lebt eben in der Packeiszone und ist dem
Räuberdruck ausgesetzt, muss also sehr wehrhaft sein - im Gegensatz zur WeddellRobbe, die handzahm ist beinah. Sie wird von Orcas und Schwertwalen erbeutet. Vor
allem die Jungtiere. Man sieht das daran, dass es kaum eine Krabbenfresserrobbe
gibt, die an ihrer Flanke oder irgendwo in ihrer Rückenpartie keine Narben hat.
Autor:
Geräusche von Schwertwalen sind häufig in der Umgebung der PALAOAHydrophone zu hören. Es sind vor allem kurze und hochfrequente Klick- und
Pfeiftöne, die die Tiere von sich geben. Die Klicklaute dienen zur Echoortung von
Beute. Die Schallwellen treffen auf ein Hindernis wie etwa eine KrabbenfresserRobbe und werden zurückgeworfen. Aus der Laufzeit der Wellen können die Orcas
die Entfernung zur Robbe ermitteln.
Zurück auf dem Eis und bei der akustischen Beobachtungsstation PALAOA. Wenn
man den einsam gelegenen und so üppig mit Technik ausgestatteten Container so
betrachtet, stellt sich die banale Frage, wie dieser überhaupt mit Strom versorgt
werden kann. Dr. Olaf Boebel, Leiter der AWI-Forschungsgruppe „Ozeanische
Akustik“:
O-Ton – Olaf Boebel:
Die Station selber hat nur Solarpanels, Windgeneratoren und eine Brennstoffzelle,
und darüber versorgt die ganze Station sich selber, einschließlich der drahtlosen
Übertragung mittels der WLAN-Strecke an die Hauptstation des AWIs, der
Neumayer-Station. Und von dort über Satellit ans AWI und dort werden sie ins
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Internet gestellt, so dass jedermann sich anhören kann, was mehr oder weniger live
in der Antarktis unter Wasser im Moment zu hören ist.
Autor:
Mit etwas Glück sind Geräusche zu hören, von denen auch die Wissenschaftler keine
Ahnung haben, woher sie stammen. Olaf Boebel präsentiert solch ein mysteriöses
Fundstück:
O-Ton – Olaf Boebel:
Es gibt viele Geräusche, die klar zugeordnet sind. Aber es gibt auch Geräusche, ich
kann eins mal vorspielen, von denen wir keinen blassen Schimmer im Moment
haben, was das ist. Es fängt also an mit das, was ich Pfiff nenne, das ist ne WeddellRobbe, das ist erkannt ... Das war jetzt der Abbruch von Eis. [kurzer Dialog
Autor/Böbel:]„Das ist jetzt eine Robbe, die man da hört?“, „Ja.“ [Einsatz des
unbekannten Geräuschs] Dieses Geräusch kennen wir nicht. Das ist relativ laut. Wir
haben keine Erklärung im Moment. Im Hintergrund hört man noch die WeddellRobbe, das Gepfeife. Die machen immer so ne Sequenz von Trills, nennt man das.
Autor:
Mit den Langzeitaufnahmen der PALAOA-Station kann erstmals das akustische
Repertoire von Walen und Robben in einem von Menschen nahezu ungestörten
Lebensraum untersucht werden. Dieses Tonmaterial soll auch als Basismaterial
dienen, um es mit den Geräuschen von Artgenossen zu vergleichen, die in einer zum
Beispiel von Schiffslärm belasteten Umwelt leben. Man hofft durch einen Vergleich,
auf mögliche Auswirkungen solcher Schallemissionen schließen zu können. Die
PALAOA-Station bietet aber auch Anwendungsmöglichkeiten, die einen
unmittelbaren Nutzen darstellen:
O-Ton – Olaf Boebel:
[Geräusch Seeleopard] Das ist ein Seeleopard, dieses leicht heulende tiefe
Geräusch. Seeleoparden sind die gefährlichsten Tiere für Taucher in der Antarktis.
Eine Richtung, die wir jetzt verfolgen, ist jetzt vor Tauchgängen solche Aufnahmen zu
machen und dann für ein paar Stunden das Umfeld zu untersuchen, ob da
Seeleoparden-Vokalisationen auftreten, und so die Taucher informieren zu können,
ob da ein Risiko existiert oder nicht.
Autor:
2003 kam eine britische Wissenschaftlerin ums Leben, als sie beim Schnorcheln in
der Nähe ihrer Forschungsstation von einem Seeleoparden in die Tiefe gezogen
wurde. Der Warmblüter-Biologe Joachim Plötz ist der räuberischen Robbe an Land
begegnet:
O-Ton - Joachim Plötz:
Die verhalten sich aggressiv. Ich hab das selbst schon beinahe zu spüren
bekommen, ziemlich direkt. Mit einer Filmkamera lag ich vor der Robbe, und ohne
dass man etwas im Gesicht sehen konnte – Hunde legen die Ohren an - gab es
einen Angriff. Sie ist ganz schnell, schnellt nach vorne. Voll bezahnt, mit ganz
scharfen, großen, spitzen Zähnen und der Rachen ist ganz tief eingeschnitten im
Kopf. Es sieht wirklich reptilienartig aus, das Tier.
Autor:
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Joachim Plötz und Horst Bornemann haben in den letzten drei Jahren drei
Expeditionen gemeinsam in der Antarktis unternommen. Während sie in diesem
antarktischen Sommer an Seeelefanten gearbeitet haben, den größten Robben
überhaupt, halfen sie im vergangenen Jahr dabei, das PALAOA-Observatorium
aufzubauen. Zuvor waren sie für einen mehrwöchigen Aufenthalt an der Ostküste
des Weddellmeeres, im Drescher-Camp. Das nach einem der ersten AWI-Mitarbeiter
benannte mobile Eiscamp wird nur bei Bedarf errichtet. Per Helikopter, der von der
„Polarstern“ aus startet, werden rote Glasfaseriglus transportiert, aus denen dann
sehr schnell ein kleines Dorf errichtet wird.
O-Ton – Joachim Plötz:
Innerhalb von vier bis fünf Stunden ist das Camp aufgebaut. Dann stehen da etwa
fünf Kunststoffiglus und ein paar Generatoren und ein Toilettenzelt. Und das ist unser
Camp für vier bis fünf Personen. Es muss schnell passieren, wir haben auch Helfer,
die dann wieder zum Schiff zurückgeflogen werden. Aber das Wetter in der Antarktis
ist sehr instabil, Wetterumschwünge kommen schnell und kaum hat man sich
versehen, da sitzt man schon in einer tiefen Schneedrift. Es ist kein Schneefall, da
werden durch den Sturm Eiskristalle aufgewirbelt und nehmen einem die Sicht. Und
da muss man schon in die Iglus rein. Und das ist uns beim letzten Mal passiert, wir
hatten kaum das Zelt aufgebaut, da hatten wir schon die erste heftige Schneedrift.
Und die hält dann vier, fünf Tage an.
Autor:
Das Camp kann bei einer solchen Schneedrift nicht verlassen werden. Der Schnee
ist nicht nur unter den Füßen, er ist überall. Man sieht nur noch weiß, und dieses
Weiß weht einen auch noch mit einer solchen Wucht an, dass nur der Rückzug ins
Iglu bleibt.
O-Ton – Horst Bornemann:
Man schätzt vielleicht falsch ein, wie reizarm das Leben mitunter sein kann, wenn
man unter diesen Bedingungen lebt und arbeitet. Natürlich ist auch so ein
Schneedrifterlebnis etwas Außergewöhnliches und lehrt einen Demut vor der Natur.
Auf der anderen Seite ist man in dem Aktionsradius, den man da hat, äußerst
eingeschränkt, und das Leben findet dann wirklich für mehrere Tage auf 2, 3, 4
Quadratmetern statt. Man muss das wirklich im wahrsten Sinne des Wortes
abwettern. Man kann natürlich eine Weile noch am Computer arbeiten, aber wenn
die Akkus aufgebraucht sind, dann war es das mit Elektrizität, denn die Generatoren
können wir während der Drift nicht betreiben. Und dann wird man quasi auch ein
bisschen zurückversetzt in der Zeit und kann ein kleines bisschen ein Gefühl dafür
entwickeln, wie es während der historischen Polarexpedition gewesen sein muss, wo
Elektrizität unterwegs überhaupt keine Rolle gespielt hat.
Autor:
Das Camp liegt fernab von irgendeiner Forschungsstation. Es wird an ausgerechnet
diesem Ort errichtet, weil von hier aus besonders gut an den nahe gelegenen
Weddell-Robben-Kolonien gearbeitet werden kann. Und so klingt es, wenn dort 4 bis
5 Wochen junge Weddell-Robben von ihren Müttern zum Schwimmtraining ins Meer
gelockt werden:
Geräusch: Wedell-Robben
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Autor:
Zurück zu PALAOA, dem akustischen Observatorium bei der Neumayer-Station,
einige Hundert Kilometer weiter nördlich des temporären Drescher-Camps gelegen.
Mit PALAOA werden auch Eis-Abbruchraten gemessen. Diese kleinen Eisabbrüche
sind von keinem Satelliten zu sehen, im Wasser jedoch gut zu hören. Je nach
Quantität können sie ein konkreter Hinweis auf Auswirkungen einer Klimaerwärmung
sein. Was jetzt zu hören ist, hat aber mit kleinen Eisabbrüchen nichts zu tun – nicht
erschrecken, zwei Eisberge treffen im Küstenstrom aufeinander:
Geräusch: Eisberge
O-Ton – Olaf Boebel:
Ja dann passiert es, dass zwei Eisberge von der Größe jeweils Bremerhavens mit
ungefähr 5 km/h ineinander rasseln – da ist natürlich viel Energie zu vernichten,
bevor da einer zum Stehen gekommen ist. Solche akustischen Ereignisse sind
bislang nicht aufgezeichnet worden.
O-Ton – Joachim Plötz:
Und in dieser Geräuschkulisse leben Robben, und die ist ganz schön heftig. Jahr ein
Jahr aus und Tag ein Tag aus leben sie unter diesen lauten Geräuschen und wir
vermuten auch, dass aus dem Grunde die Weddell-Robbe selbst ein so guter
Gesangskünstler ist. Weil sie sich über die Umweltgeräusche an der Schelfeisküste
hinwegsetzen muss, akustisch, um sich überhaupt mitzuteilen.
Autor:
Eisberge geben aber nicht nur bei Unfällen Geräusche von sich. Wissenschaftler des
geophysikalischen Observatoriums an der Neumayer-Station haben einen
eigenartigen Klageruf aufgefangen, der sich über Tausende von Kilometern in der
Antarktis ausgebreitet hat. Nach längerem Rätselraten konnte ein Eisberg als Quelle
identifiziert werden: Die Geräusche der Eisberge wurden bei ihrer Entdeckung nicht
akustisch registriert, sondern seismisch, als Bodenwellen. Um diese tieffrequenten
Wellen in den hörbaren Bereich zu bringen, hat Dr. Christian Müller, der das
geophysikalische Observatorium an der Neumayer-Station betreut, die Aufnahmen
zeitlich stauchen müssen. Wie diese Geräusche überhaupt entstehen, ist noch
ungeklärt. Es besteht aber eine auffällige Ähnlichkeit mit den Tönen, die Vulkane
kurz vor der Eruption erzeugen, so Christian Müller:
O-Ton – Christian Müller:
Das ist insofern bedeutend, weil bei großen Ausbrüchen diese Tremore oft
vorhergehen. Das heißt, man könnte sie auch als Vorhersage benutzen. Deshalb
kann in Analogie so ein Eisberg, der ja ein sehr einfaches System ist, verglichen mit
so einem komplexen Vulkansystem, zum Verständnis beitragen.
Autor:
Eisberge also als einfache Vulkanmodelle. Eine Theorie der Vulkanologen könnte
auch die Gesänge der Eisberge erklären. Das Magma der Vulkane bzw. das kalte
Wasser im Innern der Eisberge presst sich unter hohem Druck durch enge Kanäle ...
O-Ton – Christian Müller:
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... durch den erhöhten Druck werden die Wände des Spaltes auseinandergedrückt,
dadurch sinkt der Druck und die entlasten sich wieder, es wird eine Vibration erzeugt.
Im Grunde nicht anders als das, was unsere Stimmbänder machen beim Sprechen.
Autor:
Wenn bei uns die Freibäder öffnen, naht in der Antarktis der Winter. Die Sonne ist zu
dieser Zeit kaum noch zu sehen und die Temperaturen sinken ins Bodenlose.
Während einige wenige Überwinterer zurückbleiben und sich auf ein einsames und
dunkles Halbjahr vorbereiten, verlassen die meisten Wissenschaftler die Antarktis.
Was sie neben den gesammelten wissenschaftlichen Daten und Proben mitnehmen,
sind die Erinnerungen an beeindruckende Erlebnisse:
O-Ton - Joachim Plötz:
Die Kontraste. Wenn man auf dem Eis steht an windstillen Tagen, ist es extrem still,
und kaum hält man ein Mikrofon ins Wasser und hat einen Kopfhörer auf, da tobt das
Leben unter dem Eis. Es ist laut, wie wir ja vorhin schon gehört haben an den
Robbenlauten, die sind ja heftig laut. Dieser Kontrast ist für mich zum Beispiel sehr
beeindruckend. Also über dem Eis Stille, und unter dem Eis Leben.
O-Ton – Olaf Böbel:
Wenn im antarktischen Frühjahr/Sommer die Robben und Wale an die Eiskante
zurückkommen, da gibt es Bereiche, da kommt man sich vor wie im Urwald.
O-Ton – Horst Bornemann:
Besonders wenn das Camp abgebaut wird und man mit dem Hubschrauber abfliegt
zum Schiff und aus größerer Höhe wahrnimmt, wo man eigentlich gewesen ist, in
dieser unendlichen Weite und Einsamkeit. Dann empfindet man, wenn man über
diesen weißen, weiten Schelf blickt, auch sofort, wie deplaziert menschliche Existenz
in dieser unwirtlichen Eiswüste, wie sie einem dann erscheint, auch ist, und wie froh
man dann ist, nach vielen Wochen sich wieder in den Komfort und die sichere
Umgebung des Schiffes zu begeben.
Autor:
Über die Hydrophone der PALAOA-Station ist auch schon der Motor der „Polarstern“
zu hören. Ein Klang, der die Rückkehr in die Zivilisation verspricht. Das
Forschungsschiff des Alfred-Wegener-Instituts bringt die Neumayer-Mitarbeiter auf
ihrem Rückweg nach Bremerhaven zunächst wieder nach Kapstadt. Nach einem
kurzen Zwischenstopp geht es von hier aus weiter - die gesamte afrikanische
Westküste entlang.
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