„Normales“ Cholesterin medikamentös senken?

Werbung
T H E M E N
D E R
Z E I T
MEDIZINREPORT
Kongreß der American Heart Association
„Normales“ Cholesterin
medikamentös senken?
Im Mittelpunkt des 70. Kongresses der American Heart Association in Orlando
(Florida) stand erneut der präventive Nutzen der medikamentösen Cholesterinsenkung. Zwei neue große Interventionsstudien belegen, daß die medikamentöse Reduktion durchschnittlicher – derzeit als normal geltender Cholesterinspiegel – sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprävention kardiovaskuläre Komplikationen verhindern und die Mortalität senken kann.
Z
tienten mit instabiler Angina pectoris.
Das Patientenkollektiv in LIPID ist
repräsentativ für das Patientengut in
Klinik und Praxis. 11 000 Patienten
wurden gescreent, 9 014 nahmen an
der Studie teil.
17 Prozent der Studienteilnehmer waren Frauen, 39 Prozent waren
über 64 Jahre alt, und neun Prozent
waren Diabetiker. 36 Prozent der Patienten hatten eine instabile Angina
pectoris ohne Infarkt durchgemacht.
Das Gesamtcholesterin lag im Schnitt
Abbildung: Deutsche Herzstiftung
iel der LIPID*-Studie war der
Nachweis des präventiven Effektes der medikamentösen
Cholesterinsenkung nach einem Herzinfarkt beziehungsweise instabiler Angina pectoris mit dem
CSE-Hemmer Pravastatin. Bemerkenswert an der Untersuchung – insbesondere im Vergleich zu den vorausgegangenen Studien CARE* und
4S* – ist zum einen die große Zahl von
Frauen, älteren Menschen und Diabetikern sowie der Einschluß von Pa-
In Deutschland werden jährlich 6 000 bis 8 000 Kinder mit einem angeborenen Herzfehler geboren. Etwa 80
Prozent von ihnen müssen oder können einem korrigierenden Eingriff zugeführt werden – sei es operativ oder
in zunehmenden Maße auch interventionell. Das Spektrum der Anbieter für kinderkardiologische und kinderherzchirurgische Leistungen ist in den letzten Jahren sowohl hinsichtlich medizinischer als auch wirtschaftlicher
Aspekte zunehmend unübersichtlicher geworden, was Eltern, nichtspezialisierte Ärzte und Kostenträger verunsichert. Um eine rasche Orientierung zu gewährleisten, haben die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie jetzt die „Informationsschrift
1997“ herausgegeben, welche das Leistungsspektrum von 31 klinischen Einrichtungen widerspiegelt – wie
Zahl der Ärzte, Pflegekräfte, Eingriffe, Betten oder Art der Spezialoperationen. Die Herausgeber betonen, daß
die Informationsschrift nicht im Sinne einer „Rangliste“ für Kinderherzkliniken erstellt worden ist.
EB
bei 218 mg/dl (Einschlußkriterium:
155–270 mg/dl), das LDL-Cholesterin
bei 150 mg/dl. Die KHK-Patienten waren optimal behandelt. 82 Prozent nahmen ASS, 47 Prozent einen BetaBlocker und 34 Prozent einen Kalziumantagonisten ein. Zusätzlich zu dieser Behandlung erhielten die Studienteilnehmer 40 mg/d Pravastatin beziehungsweise Plazebo. Die mittlere Beobachtungszeit betrug sechs
Jahre. Das primäre Endziel der Studie
war die kardiovaskuläre Mortalität.
Im Mai diesen Jahres war LIPID
aufgrund der guten Ergebnisse vorzeitig abgebrochen worden. Die vorläufigen Ergebnisse wurden in Orlando vorgestellt. Der CSE-Hemmer
Pravastatin hatte im Vergleich zu Plazebo die kardiovaskuläre Mortalität
um 24 Prozent, die Gesamtmortalität
um 23 Prozent, die Rate nichttödlicher Herzinfarkte und Koronartod
um 23 Prozent, die Rate tödlicher und
nichttödlicher Infarkte um 29 Prozent
gesenkt. Das Risiko eines Schlaganfalls wurde um 20 Prozent, die Notwendigkeit eines chirurgischen Eingriffs um 24 Prozent vermindert.
Alle Patientengruppen, Frauen,
Ältere und Diabetiker, profitierten
gleichermaßen von der Medikation.
Gravierende Nebenwirkungen, insbesondere Krebserkrankungen, Myopathien, Einschränkungen der kognitiven Funktion und Depressionen, wurden nicht beobachtet. Die Schlußfolgerung der Autoren der Studie: „Die
Gabe eines CSE-Hemmers sollte bei
jedem Postinfarkt-Patienten sowie
bei allen Patienten nach instabiler
Angina pectoris erwogen werden.“
Selbst Menschen, deren koronares Risiko nahezu normal ist, profitieren von der medikamentösen Cholesterinsenkung durch einen CSEHemmer. Im Rahmen der Primärpräventionsstudie AF/TexCAPS* wurden 6 605 Männer und Frauen im Alter zwischen 45 und 73 Jahren fünf
Jahre lang mit dem CSE-Hemmer Lovastatin behandelt. Das Gesamtcholesterin lag im Schnitt bei 221 mg/dl
*LIPID (Long-Term Intervention with Pravastatin in
Ischemic Heart Disease)
CARE (Cholesterol and Recurrent Events)
4S (Scandinavian Simvastatin Survival Study)
WOS (West of Scotland Study)
AF/TexCAPS (Air Force/Texas Coronary Atherosclerosis Prevention Study)
Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 51–52, 22. Dezember 1997 (25) A-3461
T H E M E N
D E R
Z E I T
MEDIZINREPORT
(180 bis 264 mg/dl), das LDL-Cholesterin bei 150 mg/dl (130 bis 190
mg/dl). Mit Ausnahme des relativ
niedrigen HDL-Cholesterins von 37
mg/dl (< 50 mg/dl war die Patientenpopulation recht gesund. Lediglich
zwölf Prozent der Studienteilnehmer
rauchten, und nur 22 Prozent hatten
einen erhöhten Blutdruck. Ziel der
Therapie mit 20 beziehungsweise 40
mg/dl Lovastatin war ein LDL-Cholesterin unter 110 mg/dl. 42 Prozent der
Patienten erreichten dieses Ziel.
Wie LIPID wurde auch AF/TexCAPS vorzeitig abgebrochen. Der
CSE-Hemmer verminderte das Risiko akuter koronarer Komplikationen
(Infarkt, instabile Angina pectoris,
plötzlicher Herztod) um 36 Prozent,
wobei hier ebenfalls alle Patienten
gleichermaßen profitierten. Die Rate
invasiver revaskularisierender Eingriffe wurde um 33 Prozent gesenkt,
die Rate der stationären Aufnahmen
wegen instabiler Angina pectoris um
34 Prozent. Dadurch wurden laut
Gotto 800 000 US-Dollar eingespart.
Die Therapie war insgesamt sehr gut
verträglich. Gravierende Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.
Bislang gilt die These: Je niedriger das Cholesterin, um so besser.
Neue Daten aus der WOS- und
CARE-Studie deuten jedoch darauf
hin, daß es möglicherweise einen
„Cholesterin-Schwellenwert“ gibt, unterhalb dessen kein zusätzlicher Nutzen zu beobachten ist. In CARE fand
Robert-Koch-Medaille für Satoshi Omura
An die Symptome können sich in Deutschland nur noch wenige Kriegsveteranen erinnern: Es begann mit flüssigem Durchfall, kurz danach Fieber, starke Eingeweidekrämpfe, und schließlich wurde der Stuhl schleimig, eitrig, blutig. Die Shigellen-Ruhr hatte im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront viele Todesopfer gefordert. Es liegt aber nicht am engen Verhältnis der Bakterien zum Krieg, daß der Mikrobiologe Prof. Phillipe Sansonetti (Medizinischer Direktor des Institut Pasteur,
Paris) für seine Forschungsarbeiten zu Shigella den diesjährigen, mit 100 000 DM
dotierten Robert-Koch-Preis erhalten hat. Gerade wo Menschenmassen und verschmutztes Trinkwasser aufeinandertreffen, ist Shigella auch heute eine akute Gefahr: 600 000 Tote fordert die Darminfektion jährlich, meist Säuglinge und Kinder,
meist in den Entwicklungsländern. Auch mit der Verleihung der diesjährigen
Robert-Koch-Medaille in Gold für das wissenschaftliche Lebenswerk von Prof. Satoshi Omura verweist die Stiftung auf die Tatsache, daß im globalen Maßstab selbst
vermeintlich profane Infektionskrankheiten wie der Durchfall unbesiegt sind.
Omura, heute Präsident des Kitasato-Institutes in Tokio, hat in den letzten
Jahrzehnten an die 300 Wirkstoffkandidaten entdeckt. Auf der Liste seiner Entdeckungen findet sich neben Pflanzenschutzmitteln, Tierarzneimitteln und Antibiotika auch das „Avermectin“. Auf einem chemischen Abkömmling dieses Wurmmittels, dem Ivermectin, ruht derzeit die Hoffnung der Weltgesundheitsorganisation, die Flußblindheit in den Tropen auszurotten. 1996 haben 16 Millionen Menschen eine Tablette des Medikaments als Schutz vor langsamer Erblindung erhalten. Experten sehen in der Substanzklasse den wichtigsten Beitrag zur Antibiotikaforschung seit der Entdeckung des Penizillins. Bezeichnend für die Lage im Kampf
gegen Infektionskrankheiten ist, daß beide Preisträger keineswegs behaupten können, am Ziel zu sein.
Resistenzen haben auch vor den von Omura entdeckten Antibiotika nicht haltgemacht, so daß auch in Zukunft neue Substanzen gebraucht werden. Und auch
Sansonetti hat ein wichtiges Ziel seiner Arbeit, die Entwicklung eines Impfstoffs
gegen Shigellen, noch nicht erreicht. Allerdings ist seiner Forschung die Erkenntnis
zu verdanken, warum solch ein Impfstoff keine Routineangelegenheit ist. Zu den
ungewöhnlichen Eigenschaften der Shigellen gehört, daß sie sich nach der Infektion fast nur noch im Inneren von Körperzellen aufhalten, wo sie für das Immunsystem schwer zu erreichen sind. Ein Arsenal von Proteinen erlaubt den Erregern zudem einen intensiven „Wortwechsel“ mit menschlichen Zellen. Zum „Wortschatz“
der Shigellen gehören etwa Proteine, die dafür sorgen, daß Darmmukosazellen die
Bakterien aktiv „verschlucken“, andere erlauben Shigella die Weiterreise in die
Nachbarzelle oder veranlassen zur Abwehr anrückende Makrophagen zum Selbstmord. Immerhin haben Sansonettis Erkenntnisse zur Entwicklung von verschiedenen abgeschwächten Lebendimpfstoff-Kandidaten geführt, bei denen wichtige Virulenz-Gene zerstört wurden. Sie werden derzeit erprobt.
Klaus Koch
A-3462 (26) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 51–52, 22. Dezember 1997
Prof. Frank Sacks (Boston) ein kontinuierliches Absinken der kardiovaskulären Ereignisrate bis zu einem
LDL-Zielwert von 125 mg/dl. Eine
stärkere Senkung des LDL-Cholesterins erbrachte keinen weiteren Benefit. Der Cholesterin-Ausgangswert,
die prozentuale ebenso wie die absolute Reduktion der LDL-Konzentration
korrelierten nicht signifikant mit dem
Nutzen der Therapie. Die Analyse der
WOS-Daten ergab ebenfalls einen
„Schwellenwert“. Hier zeigte allerdings die Reduktion des LDL-Wertes
um minus 23 Prozent eine optimale
Wirkung. Für die in Orlando neu vorgestellten Studien LIPID und AF/TexCAPS liegen noch keine detaillierten
Auswertungen vor. Auf den ersten
Blick ließ sich kein „Schwellenwert“
feststellen. Die Frage, ob es sich dabei
um ein statistisches Problem oder um
ein klinisch relevantes Phänomen handelt, bleibt daher vorerst noch offen.
In den Interventionsstudien
CARE, LIPID und AF/TexCAPS
hatten Patienten mit „durchschnittlichen“ Cholesterinwerten von der medikamentösen Cholesterinreduktion
profitiert. Nach den derzeit gültigen
Richtlinien wären laut Prof. Antonio
Gotto (New York) lediglich 17 Prozent der Primärpräventions-Studie
AF/TexCAPS-Patienten für eine solche Behandlung in Frage gekommen.
Dennoch sank das koronare Risiko
der insgesamt recht gesunden Patientenpopulation deutlich. Es stellt sich
somit die Frage, ob unsere derzeit geltenden Cholesterinwerte auch tatsächlich der physiologischen Cholesterinkonzentration entsprechen. Nach
Meinung von Gotto sind die Normwerte ein Spiegel der durchschnittlichen Cholesterinwerte in der Bevölkerung der westlichen Industrienationen und Ausdruck der fettreichen Ernährung in diesen Ländern.
In östlichen Ländern mit anderen
Ernährungsgewohnheiten sind die
durchschnittlichen Cholesterinkonzentrationen deutlich niedriger. Ein
Beispiel, das in diesem Zusammenhang immer wieder angeführt wird,
sind die japanischen Immigranten in
Hawaii. Ihr Cholesterinspiegel und
ihr koronares Risiko gleichen sich im
amerikanischen „Klima“ nach wenigen Jahren der übrigen Bevölkerung
an.
Dr. med. Ramona Volkert
Herunterladen