Vor 75 Jahren, am 11. März 1938, übernahmen die Nationalsozialisten die Macht in Österreich. Zwei Veranstaltungen, zusammengefasst unter dem Titel Emigration und Flucht, eröffnen das Gedenkjahr 2013. In Referaten, Gesprächen mit ZeitzeugInnen und Diskussionen kommen Wissenschaftlerinnen und ZeitzeugInnen gleichermaßen zu Wort. Die erste Veranstaltung am 15. Jänner 2013 rückt die Schweiz als Zielland jüdischer Emigration und Flucht in den thematischen Mittelpunkt. Die Historikerin Anna K. Liesch beschäftigt sich in ihrem Referat mit dem Familiennachlass der Familie Neufeld aus Lackenbach. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg ließen einen Teil dieser burgenländischen Familie in die Schweiz emigrieren. Die Versuche, andere Familienmitglieder vor der Verfolgung durch den Nationalsozialismus in die Schweiz zu bringen, gelangen nur teilweise. Zentrum des familiären Netzwerkes war Luzern. Hier lebte Adèle, die Viertälteste der Familie Neufeld (1879–1941), die die burgenländischen Traditionen, eine strenge Orthodoxie verbunden mit einem religiösen Zionismus, das burgenländische Jiddisch und den Zusammenhalt der Verwandtschaft hochhielt. Eine Familiengeschichte, in der sich die Geschichte der Emigration vieler jüdischer Familien in Europa widerspiegelt. Marion Fischer musste 1938 als Kind mit ihrer Familie aus Bad Sauerbrunn flüchten. Ihre frühen Erinnerungen an italienische Lager und die Flucht 1944 in die Schweiz zeugen von den schwierigen Anfangsjahren für jüdische Flüchtlinge nach dem Ende des Nationalsozialismus in Europa. Sie wird als Zeitzeugin an der Veranstaltung teilnehmen. Die zweite Veranstaltung am 22. Jänner 2013 beschäftigt sich mit der jüdischen Geschichte des Bezirks Oberwart und der angrenzenden Region in Westungarn. Mit der Publikation „Grenz-Setzungen im Zusammenleben“ hat Ursula Mindler am Beispiel Oberwart/ Felsőőr eine umfassende Studie zur regionalen Zeitgeschichte des jüdischen Burgenlandes vorgelegt. In ihrem Vortrag mit Buchpräsentation wird auch der Frage nachgegangen, ob die Erinnerung der Bevölkerung des Burgenlandes an das „gute Zusammenleben“ vor 1938 auch eine objektive historische Entsprechung hat oder nicht. Im Jahre 2001 interviewte die Burgenländische Forschungsgesellschaft Hans Deutsch aus Kőszeg. In einem kurzen Video mit Auszügen aus diesem Interview erzählt er vom Antisemitismus dieser Zeit ebenso wie von der Hilfsbereitschaft von Teilen der Bevölkerung im Raum Oberwart, als er als Häftling auf einem der ungarischen Todesmärsche von Ungarn in das Konzentrationslager Gunskirchen getrieben wurde. Eine Veranstaltung der Burgenländischen Forschungsgesellschaft in Kooperation mit dem Österreichischen Jüdischen Museum. Emigration und Flucht Beiträge zur jüdischen Geschichte des Burgenlandes Dienstag | 15. Jänner 2013 | 18:30 Anna K. Liesch (Historikerin – Universität Basel) Marion Fischer (Zeitzeugin – Innsbruck) Dienstag | 22. Jänner 2013 | 18:30 Ursula Mindler (Historikerin – Andrássy Universität Budapest) Gefördert von: Video mit Hans Deutsch (1924 – 2004, unveröffentlichtes Interview 2001) In Kooperation mit: Veranstaltungsort jeweils im Österreichischen Jüdischen Museum in Eisenstadt Informationen: Burgenländische Forschungsgesellschaft Tel. 02682 / 66886-13 www.forschungsgesellschaft.at https://www.facebook.com/BurgenlandischeForschungsgesellschaft Eine Veranstaltung der Burgenländischen Forschungsgesellschaft Emigration und Flucht Emigration und Flucht Teil 1: Lackenbach | Bad Sauerbrunn Teil 2: Oberwart/Felsőőr | Kőszeg Dienstag, 15. Jänner 2013, 18:30 Dienstag, 22. Jänner 2013, 18:30 Österreichisches Jüdisches Museum, Unterbergstraße 6, 7000 Eisenstadt Österreichisches Jüdisches Museum, Unterbergstraße 6, 7000 Eisenstadt Anna K. Liesch (Historikerin – Basel) Vortrag: Familie Neufeld aus Lackenbach – eine Familie zieht in den Westen Ursula Mindler (Historikerin – Andrássy Universität Budapest) Marion Fischer geb. Klein (Innsbruck) Zeitzeugin mit Familienwurzeln in Bad Sauerbrunn Video mit Hans Deutsch Moderation: Walter Reiss, ORF Landesstudio Burgenland Moderation: Gert Tschögl, Burgenländische Forschungsgesellschaft Anna K. Liesch | Universität Basel Lehrtätigkeit an Schweizer Schulen, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Basel, studierte Osteuropäische Geschicht, Jüdische Studien und Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Basel, Abschlussarbeit „’Der Mohr hat seine Pflicht getan: nun kann er gehen.’ Juden aus Osteuropa in der Schweiz von den 1920er bis 1950er Jahren am Beispiel einer Familiengeschichte“ (Publikation in Vorbereitung). Forschungsschwerpunkte: Osteuropa, Judentum, lebensweltliche Perspektiven. Publikationen: David Farbstein: Anwalt, Richter, Politiker. In: Käser, Künstler, Kommunisten. Vierzig russischschweizerische Lebensgeschichten aus vier Jahrhunderten, hg. von Eva Maeder und Peter von Niederhäuser, Zürich 2009. S. 186–190. Grenzgeschichte(n). Der Badische Bahnhof als Schauplatz erschwerter Passagen. In: Dreizehn 13. Basels Badischer Bahnhof in Geschichte, Architektur und Musik. Ein multidisziplinäres Projekt zur Vergangenheit und Gegenwart eines Stadtmonuments, hg. von Michael Kunkel, Anna K. Liesch und Erik Petry. Saarbrücken 2012. S. 21–30. Marion Fischer | geb. Klein, Bad Sauerbrunn – Innsbruck Marion Fischer wurde 1937 in Wiener Neustadt geboren. Ihr Vater Alexander betrieb ein Gold-, Silberund Bijouteriewarengeschäft in Bad Sauerbrunn. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1938 wollte die Familie Klein über Triest nach Palästina fliehen, musste jedoch in Zypern wegen fehlender Papiere das Schiff verlassen und gelangte zurück nach Triest. Im Jänner 1941 wurden sie in das Konzentrationslager Ferramonti in Kalabrien, das größte italienische Konzentrationslager für nichtitalienische Juden und Staatenlose, gebracht. Nach 11 Monaten im Lager Ferramonti verschickte man die Familie Klein als Zivilinternierte nach Arsiero, in der Provinz Vicenza. Die Familie Frigó nahm sich ihrer besonders an und organisierte, als die Gefahr deportiert zu werden größer wurde, Anfang 1944 die Flucht in die Schweiz. Zunächst in einem Flüchtlingslager untergebracht, wurde die Familie später nach St. Moritz geschickt, wo die Eltern Hilfsdienste in einem Hotel leisteten. Die Kinder kamen zu Familien in Basel, wo Marion die Volksschule besuchte. 1949 übersiedelten sie nach Meran und zogen 1950 auf Betreiben des Vaters nach Innsbruck. Marion Fischer lebt heute in Innsbruck, wo sie sich als Zeitzeugin in Schulprojekten engagiert. Vortrag und Buchpräsentation: Grenz-Setzungen im Zusammenleben. Jüdische Geschichte in Oberwart/Felsőőr (1924 – 2004, Buenos Aires) Unveröffentlichtes Interview 2001 Ursula Mindler | Andrássy Universität Budapest Assistentin an der Fakultät für Mitteleuropäische Studien der Andrássy Universität Budapest, Studium der Geschichte und „Europa“-Fächerkombination in Graz und Uppsala, wiss. Mitarbeiterin in Forschungsprojekten, Kuratorin von Ausstellungen, Lehrbeauftragte. Forschungsschwerpunkte: Nationalsozialismus, jüdische Geschichte, Regional- und Ortsgeschichte, Biographie, Identität, Erinnerung, Gedächtnis, Gedenken. Publikationen: Grenz-Setzungen im Zusammenleben. Verortungen jüdischer Geschichte in der ungarischen/Österreichischen Provinz am Beispiel Oberwart/Felsőőr. Innsbruck-Wien-Bozen 2011. NS-Herrschaft in der Steiermark. Positionen und Diskurse. Wien-Köln-Weimar 2012. (hg. mit Heimo Halbrainer / Gerald Lamprecht). Video | Hans Deutsch (Buenos Aires 2001, 18 Min.) Hans (Juan) Deutsch wurde 1924 in Kőszeg (Ungarn) geboren. Sein Vater Arthur Deutsch war Inhaber eines bereits von seinem Großvater gegründeten Getreide-Import-Exports. Die Mutter Anna, geborene Mandl, stammte aus Großpetersdorf. Hans Deutsch besuchte das Benediktinergymnasium in Kőszeg, wo er 1942 maturierte. Da es für Juden eine Aufnahmebeschränkung an den Universitäten gab, machte er eine Lehrausbildung in einer Fabrik für Transformatoren- und Motorenbau in Budapest. Anfang 1944 wurde er zum Arbeitsdienst eingezogen. Seine Eltern und seine Schwester Vera wurden nach dem Einmarsch der deutschen Truppen 1944 verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Im selben Jahr wurde er zum Bau des Südostwalls im Südburgenland abkommandiert. Er überlebte den anschließenden Todesmarsch ungarischer Juden und Zwangsarbeiter über den Präbichl in der Steiermark und kam ins Konzentrationslager Gunskirchen in Oberösterreich. Das Lager wurde am 5. Mai 1945 von US-Truppen befreit und Hans ging daraufhin nach Kőszeg zurück, wo er von der Ermordung seiner Eltern und seiner Schwester in Auschwitz erfahren musste. Von den mehr als hundert Juden Kőszegs konnten nur wenige dem Holocaust entkommen, von den neun Angehörigen der Familie Deutsch überlebte nur Hans. Er ging nach Zürich und studierte vier Jahre an der ETH, wo er zum Elektroingenieur ausgebildet wurde. In der Schweiz lernte er auch seine spätere Frau kennen. Dem Ruf eines Onkels folgend emigrierte er nach Buenos Aires und gründete dort eine Firma für technische Spezialmessgeräte. In Kőszeg war er nach 1946 nie mehr. Hans Deutsch verstarb im Jahr 2004 in Buenos Aires.