Viren und Arthritis - Deutsches Ärzteblatt

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MEDIZIN
ZUR FORTBILDUNG
Virus-Serie (9)
Viren und Arthritis
Hans-Iko Huppertz
D
ie viralen Arthritiden zählt
man nach klinischen Gesichtspunkten gemeinsam mit der
Lyme-Arthritis, dem akuten
rheumatischen Fieber und den durch
gramnegative Darmkeime oder
Chlamydien verursachten reaktiven
Arthritiden zu den infektassoziierten
Arthritiden. Diese Arthritiden sind
abzugrenzen von den chronischen Arthritiden unbekannter Ursache und
den septischen Arthritiden. Im Gegensatz zu den chronischen Arthritiden unbekannter Ursache, darunter
die rheumatoide Arthritis, haben die
infektassoziierten Arthritiden eine
bekannte, infektiöse Ursache. Im Gegensatz zu den septischen Arthritiden, meist durch Staphylokokkus aureus verursacht, kommt es bei den
infektassoziierten Arthritiden nicht
zur raschen eitrigen Zerstörung des
Gelenkes, wenn keine antibiotische
Therapie eingeleitet wird.
Bei allen akut beginnenden Arthritiden sind auch virale Ursachen
differentialdiagnostisch in Betracht
zu ziehen (10). Die Virusarthritiden
sind immer Allgemeininfektionen,
und entsprechend kann die virale Ursache einer akuten Arthritis oft aus
den für das jeweilige Virus typischen
Organbefunden, zum Beispiel Parotitis bei der Mumpsvirus-bedingten Arthritis, erschlossen werden. Oft ergibt
sich der entscheidende diagnostische
Hinweis auch aus dem epidemiologischen Zusammenhang, zum Beispiel
Auftreten von Röteln im Kindergarten. Die Diagnose wird serologisch
gesichert. Die meisten virusbedingten
Arthritiden haben eine gute Prognose
und heilen nach wenigen Tagen bis
Wochen folgenlos aus, weshalb sie zu
den akuten transienten Arthritiden
(Dauer unter sechs Wochen) gerechnet werden. Die häufigste akute transiente Arthritis im Kindesalter ist die
Eine Vielzahl von Viren kann zu einer
akuten Arthritis mit meist guter Prognose führen. Diese Erkrankungen sind
vor allem differentialdiagnostisch wichtig bei der initialen Abklärung einer
akut aufgetretenen Arthritis. Darüber
hinaus kommen chronische Verläufe
von viralen Arthritiden vor. Besondere
Aufmerksamkeit verdient der Zusammenhang „Virus und Arthritis", weil Viren möglicherweise eine wichtige Rolle
spielen bei der Auslösung und/oder
Unterhaltung chronisch entzündlicher
Gelenkerkrankungen, zum Beispiel der
rheumatoiden Arthritis, und bei chronischen Schmerzzuständen, zum Beispiel
dem Fibromyalgie-Syndrom.
Coxitis fugax, die mit großer Wahrscheinlichkeit durch ein noch nicht
identifiziertes Virus hervorgerufen
wird.
Das Verschwinden einer virusbedingten Gelenkentzündung sagt meist
nichts über die Prognose anderer Organe (zum Beispiel der Leber bei Hepatitis-B-Virus-Infektion) bei der Virusinfektion aus.
Klinische Manifestation
akuter viraler Arthritiden
Eine Vielzahl von Virusinfektionen kann mit einer Arthritis einhergehen (9) (Tabelle I).
Besonders häufig tritt die Rötelnvirus-Infektion mit einer Arthritis
zusammen auf (Tabelle 2). Meist handelt es sich um eine wandernde PoKinderklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Helmut
Bartels) der Universität Würzburg
lyarthritis mit Befall der kleinen Fingergelenke, der Hand- und Kniegelenke. Bei Jugendlichen kommt auch
eine flüchtige Oligoarthritis großer
Gelenke vor. Die Gelenkentzündung
kann mit und ohne Exanthem auftreten. Wenn kein Exanthem vorhanden
ist, können der epidemiologische Zusammenhang und retroaurikuläre
Lymphknotenschwellungen oder der
Nachweis von IgM-Antikörpern gegen Rötelnvirus die Diagnose stellen
helfen. Eine Arthritis bei einer Rötelnvirus-Infektion ist im Kindesalter
selten, nimmt aber nach der Pubertät
zu und kann bei erwachsenen Frauen
bis zur Hälfte der Infizierten betreffen. Nach Rötelnimpfung mit dem in
Deutschland gebräuchlichen Impfstamm RA 27/3 kommt es deutlich
seltener zur Arthritis als nach der
Wildvirus-Infektion. Im Kindesalter
kommt es nach der Impfung fast nie
zur Arthritis.
Die klinische Manifestation der
Parvovirus-B19-Infektion (Ringelröteln) ähnelt der der Rötelnarthritis.
Neben wandernden Polyarthritiden
mit und ohne Exanthem werden Oligoarthritiden großer Gelenke beobachtet. Im Kindesalter kann die Arthritis auch mit Fieberschüben über
mehrere Tage einhergehen. Bei Erwachsenen fehlt häufig das Exanthem. Die Arthritis dauert oft länger
als andere virale Arthritiden. Die
Diagnose wird durch den Nachweis
von spezifischem IgM und/oder von
Virus-DNA im Blut oder in der Synovialflüssigkeit gestellt.
Die Mumpsvirus-Infektion verläuft gelegentlich parallel mit einer
bis zu einige Wochen dauernden Arthritis. Die Häufigkeit nimmt mit dem
Lebensalter zu, Männer erkranken
deutlich häufiger als Frauen. Neben
Arthralgien kann es zur wandernden
Polyarthritis großer Gelenke oder zur
Monarthritis der unteren Extremität
kommen Die Mumpsvirus-bedingte
Arthritis kann auch ohne Parotitis
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 20, 19. Mai 1995 (47) A-1443
v••·••••;
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auftreten. Meist hat jedoch die Erkrankung eine erhöhte Rate an
Orchitis, Pankreatitis und Meningitis,
wenn im Rahmen einer MumpsvirusInfektion eine Arthritis entsteht.
Nach der Mumpsimpfung ist die Arthritis nicht beschrieben worden.
Während der Prodromi der Infektion mit Hepatitis-B-Virus kommt
es in etwa 10 Prozent der Fälle zu Arthralgien oder Arthritiden in Form einer wandernden Polyarthritis für ein
bis zwei Wochen. Die ausgeprägte
Morgensteifheit kann auch an eine
beginnende rheumatoide Arthritis
denken lassen. Andere, die Arthritis
begleitende Symptome wie Übelkeit
und Erbrechen, Bauchschmerzen und
Urtikaria sowie epidemiologische Risikofaktoren sollten an eine Hepatitis-B-Virus-Infektion denken lassen,
die eine Komplementerniedrigung
zur Folge hat und durch den Nachweis
von HBsAg bei noch fehlendem antiHBs diagnostiziert wird. Bei Kindern
kommt es fast nie zur Arthritis. Mit
Auftreten des Ikterus verschwindet
die Arthritis.
Tabelle 1: Viren, die beim Menschen
eine Arthritis hervorrufen können
.,..
.,..
.,..
.,..
.,..
.,..
.,..
.,..
.,..
.,..
.,..
....
Rötelnvirus
Mumpsvirus
Parvovirus B19
Hepatitis-B-Virus
Varizella-Zoster-Virus
Herpes-simplex-Virus
Epstein-Barr-Virus
Zytomegalie-Virus
Adenovirus
Coxsackievirus, Echovirus
Arboviren (Alphaviren)
HTLV-1 (Adulte-T-ZellLeukämie)
.,.. Humanes-ImmundefizienzVirus (HIV)
Bei Auftreten einer Monarthritis
im Rahmen von Windpocken sollte
zunächst die häufigere septische Arthritis ausgeschlossen werden, die
durch hämatogene Aussaat von den
als Eintrittspforte dienenden Varizellen-Effloreszenzen erklärt wird. Sel-
ten gibt es bei Windpocken die virusbedingte Varizella-Zoster-Virus-Arthritis (Abbildung 1), die auch beim
Herpes zoster auftreten kann und
nach einigen Tagen folgenlos ausheilt.
Im Rahmen einer HIV-Infektion
kommen viele mögliche Ursachen einer Arthritis vor, zum Beispiel ein
Reiter-Syndrom oder eine septische
Arthritis. Es gibt einzelne Fälle, bei
denen das HIV selbst die Ursache der
Arthritis ist (7).
Bei Rückkehrern aus warmen
Ländern sollte man auch an eine
durch Arboviren bedingte Arthritis
denken. Gut beschrieben ist die in
Australien und der Südsee vorkommende
Ross-River-Virus-Erkrankung mit Polyarthritis und makulopapulösem Exanthem.
Pathogenese
akuter viraler Arthritiden
Die Pathogenese der viralen Arthritiden isttrotzbekannter Ätiologie
nur bei einigen Viren aufgeklärt (6).
Tabelle 2: Charakteristika einiger wichtiger viraler Arthritiden
Virus
ArthritisLokalisation
Röteln·
Virus
Weitere Befunde
Bevorzugtes
Alter/
Geschlecht
Labor·
befunde
Vermutete Pathogenese
Polyarthritis retroaurikuläre
Oligoarthritis Lymphknoten
Exanthem
postpubertär
weiblich
virusspezifisches
IgM
(Serum)
Virusreplikation im
entzündeten Gelenk,
Immunkomplexe?
Parvovirus B19
Polyarthritis Exanthem
Oligoarthritis
Erwachsene
virusspezifisches
IgM oder
Virus-DNA
(Blut)
Virusreplikation im
entzündeten Gelenk?
Mumpsvirus
Monarthritis
Polyarthritis
Parotitis
Meningitis
Orchitis
Erwachsene
männlich
virusspezifisches
IgM
(Serum)
Virusreplikation im
entzündeten Gelenk?
HepatitisB-Virus
Polyarthritis
Hepatitis
"Grippe"
Urtikaria
Erwachsene
HbsAgim
Serum
Komplementverbrauch
Transaminasenerhöhung
Antigen-Antikörper-Komplexe
Immunpathologische
Reaktion
VarizellaZosterVirus
Monarthritis
Exanthem
0
virusspezifisches
IgM
(Serum)
Virusreplikation im
entzündeten Gelenk
Arboviren
(Alphavirus)
Polyarthritis
Exanthem
Biphasisches
Fieber
Adoleszenten
Erwachsene
Touristen
virusspezifische
Antikörper
Neutropenie
unbekannt
A-1444 (48) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 20, 19. Mai 1995
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Die Infektion mit Hepatitis-B -Virus
führt initial zu zirkulierenden Immunkomplexen im Antigenüberschuß mit
Komplementverbrauch: die auf synovialen Oberflächen niedergeschlagenen Immunkomplexe führen zur
Arthritis.
Bei Patienten mit einer viralen
Arthritis konnten das Rötelnvirus
und das Varizella-Zoster-Virus aus
dem Gelenk im Labor angezüchtet
werden, Parvovirus-B19-DNA konnte im entzündeten Gelenk nachgewiesen werden.
Dies spricht für eine synoviale
Replikation, erklärt aber alleine die
Pathogenese nicht. Vermutlich spielen dazukommende Wirtsfaktoren eine wesentliche Rolle bei der Auslösung der Arthritis. In vitro konnte eine Zytopathogenität des Rötelnvirus
und des Varizella-Zoster-Virus für die
ortsständigen Synovialzellen nachgewiesen werden (4).
Chronische Arthritis
durch Viren
Neben der akuten transienten
Arthritis können Viren in Einzelfällen auch chronisch entzündliche Gelenkerkrankungen hervorrufen. So
konnte in einer Studie das Rötelnvirus bei einem Drittel der untersuchten Kinder mit chronischer Arthritis
aus den Lymphozyten der Synovialflüssigkeit oder des peripheren Blutes
isoliert werden. Es wurde ein pathogenetischer Zusammenhang postuliert. Rötelnvirus und Parvovirus
konnten bei einzelnen Patienten mit
chronischer Arthritis des Kniegelenkes oder rheumatoider Arthritis aus
der Synovialflüssigkeit isoliert werden. Bei einer Gruppe von Kindern
mit juveniler rheumatoider Arthritis
wurde die Erkrankung mit einer Influenza-A-Virus-H2N2-Infektion der
Mutter in der Schwangerschaft in Verbindung gebracht. Bei mehreren Patienten mit chronischer Arthritis des
Kniegelenkes wurde eine virale Ätiologie angenommen, wenn die synovialen Lymphozyten auf Mumpsoder Adenovirusantigen spezifisch
Pathogenese chronischer
viraler Arthritiden
Abbildung 1: Sprunggelenk eines Kleinkindes mit
Varizellen. Fünf Tage nach Beginn des Exanthems
kam es zur schmerzhaften Schwellung mit Erguß und
Bewegungseinschränkung des linken Sprunggelenkes. Spontane Besserung nach einer Woche
reagierten. Eine Rötelnvirusimpfung
von postpubertären Frauen zum Beispiel im Wochenbett oder vor der Arbeitsaufnahme im Kinderkrankenhaus ist mit chronischen Arthralgien,
Antriebslosigkeit und später auch unspezifischen neurologischen Symptomen assoziiert worden. Nur bei wenigen Fällen konnte die virale Ätiologie
der chronischen Arthritis zweifelsfrei
bewiesen werden.
Trotz ihrer Seltenheit hat man
die chronisch verlaufenden viralen
Arthritiden näher untersucht, weil
man in ihnen ein Modell für die viel
häufigeren chronischen Arthritiden
unbekannter Ursache, zum Beispiel
die rheumatoide Arthritis, gesehen
hat. Zur Erklärung des Auftretens
chronischer Arthritiden nach Virusinfektionen nimmt man ein ungewöhnliches Zusammentreffen mehrerer
epidemiologischer und Wirtsfaktoren
an, die die Chronizität der Arthritis
bedingen sollen. Verschiedene immunologische Mechanismen wurden
vorgeschlagen. Es könnte eine Persistenz schwer abbaubarer viraler Antigene vorliegen oder eine Toleranzentwicklung gegenüber antigenen Determinanten, die für die Ausbildung neutralisierender Antikörper notwendig
sind. Gut vorstellbar ist auch ein „hitand-run"-Modell: Während der akuten Virusinfektion kommt es zu einer
Virusfaktoren
Wirtsfaktoren
Virusinfektion
Synoviotropismus
Entzündungsmediatoren
(Antigen-unspezifisch)
Akute Arthritis
Geringe Zytopathogenität
Fähigkeit zur Persistenz
Expression viraler Antigene
durch Synovialzellen
und Präsentation durch
Makrophagen
Unvollständige
Viruselimination
und persistierende
Infektion
Immunsupppression
Immunevasion
Abbildung 2: Hypothetisches Modell der Entstehung
chronisch entzündlicher Gelenkerkrankungen durch
Virusinfektionen
A - 1446 (50) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 20, 19. Mai 1995
T-Zell-Dysregulation
Chronische
Arthritits
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immunologischen Kreuzreaktion mit
synovialen Wirtsantigenen. Diese Reaktion besteht fort, wenn das Virus
bereits eliminiert ist, und führt über
ein sogenanntes „epitope spreading"
zur Ausdehnung auf andere im Rahmen der Entzündung präsentierte
synoviale Antigene und damit zur
autoimmunologisch bedingten chronischen Arthritis.
Interessante Daten gibt es zur
Hypothese der intraartikulär persistierenden Infektion (8) (Abbildung
2). Die Bekämpfung der Virusinfektion durch die entzündliche
Wirtsreaktion führt zur Arthritis. Das
Immunsystem kann die Infektion in
diesem Modell aber nicht eliminieren,
weil die virusinfizierten Zellen auf der
Oberfläche kaum noch virale Antigene oder zelluläre Adhäsionsmoleküle
exprimieren. Deshalb werden die infizierten Zellen nicht als „fremd" identifiziert, und die immunkompetenten
Zellen können nicht an den infizierten Zellen „andocken", wodurch die
Infektion persistieren kann (5).
Viren und Arthritiden
unbekannter Ursache
Heutige Vorstellungen zur Pathogenese der rheumatoiden Arthritis, der häufigsten und wichtigsten
chronisch entzündlichen Gelenkerkrankung, räumen einem trimolekularen Komplex aus HLA-Molekül,
unbekanntem Antigen und T-ZellRezeptor eine Schlüsselstellung ein
(2). Dabei wird ein hypothetisches
Antigen von antigenpräsentierenden
Zellen, zum Beispiel Makrophagen,
zu einem Oligopeptid prozessiert und
dann in der Grube eines mit der Erkrankung assoziierten HLA-Moleküls den T-Zellen präsentiert, die einen für HLA-Molekül und Oligopeptid spezifischen Rezeptor aufweisen. Diese Reaktion soll zur Aktivierung der T-Zelle und nachfolgernd zu
einer immunpathologischen Reaktion mit chronischer Entzündung führen. Das notwendige Antigen ist bisher völlig unbekannt, die meisten
Theorien nehmen ein oder mehrere
virale Antigene an. Dabei könnte es
zu einer persistierenden intraartikulären Infektion mit unbekanntem
Virus kommen, das das Immunsystem
nicht eliminieren kann. Allerdings
konnten bisher nur Befunde an Zellkultur-Modellen und von Tierversuchen Hinweise für die Gültigkeit dieser Hypothese liefern (3).
Viren als Ursache von
Schmerzsyndromen
Schließlich sind auch chronische
Schmerzzustände am Bewegungsapparat mit einer vorausgehenden Virusinfektion in Zusammenhang gebracht worden (1).
Bei den sogenannten Schmerzverstärkungssyndromen empfinden
die Patienten eine leichte Berührung
von außen oder das innere Gefühl für
ein Körperteil in Ruhe oder bei Bewegung als Schmerz.
Es liegen nur Arthralgien vor, jedoch keine Arthritis mit Schwellung,
Erguß oder schmerzhafter Bewegungseinschränkung. Gleichzeitig bestehen oft Antriebslosigkeit, chronische Müdigkeit und Schlafstörungen.
Beim Fibromyalgie-Syndrom kann
man darüber hinaus charakteristische
symmetrische Druckpunkte nachweisen, deren Berührung starke Schmerzen auslöst.
Da sich an den schmerzhaften
Stellen histologisch keine Auffälligkeiten finden, hat man die Beschwerden als eine funktionelle Perzeptionsstörung interpretiert. Oft berichten
die Patienten von einer grippeartigen
Erkrankung, die vor den Schmerzzuständen auftrat.
In Einzelfällen hat man diese
vorangehende Infektion, zum Beispiel mit Parvoviren, nachweisen können.
Therapeutische
Implikationen
Wenn bei einer akuten viralen
Arthritis starke Beschwerden bestehen, kommen zur symptomatischen
Behandlung nichtsteroidale Antirheumatika in Frage.
Weitere Maßnahmen sind beim
immungesunden Patienten jedoch
nicht notwendig.
Wenn sich die Arthritis trotzdem
verschlechtert, sollte statt weiterer
therapeutischer Maßnahmen eher an
eine andere Ursache der Arthritis gedacht werden. Es gibt aufgrund der
Seltenheit der Erkrankung keine Studie zur Wirkung von Aciclovir bei der
Varizellenarthritis. Obwohl keine
grundsätzlichen Bedenken bestehen,
halten wir eine Therapie mit Aciclovir
nicht für gerechtfertigt. Auch sollte
man bei viraler Arthritis keine Hyperimmunseren verabreichen.
Die Wirkung dieser Seren auf die
Gelenkentzündung ist ungewiß, es
könnte sogar über ImmunkomplexMechanismen zur Verschlechterung
der Arthritis kommen
Zudem sprechen die nie ganz
auszuschließenden Risiken bei der
Übertragung von Blutprodukten gegen ihre Anwendung bei einer selbstbegrenzten Erkrankung.
Da die Therapie chronisch entzündlicher Gelenkerkrankungen und
chronischer Schmerzzustände bisher
nur empirisch begründbar ist und
ungünstige Verläufe oft nicht verhindern kann, erhofft man sich von der
Aufklärung der Ätiopathogenese
auch eine Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten. Bei genauer
Kenntnis des oder der hypothetischen
Viren wäre vielleicht sogar eine
Prävention dieser Erkrankungen
möglich.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1995; 92: A-1443-1447
[Heft 20]
Literatur
1. Goldenberg DL: Do infections trigger fibromyalgia? Arthritis Rheum 1993; 36:
1489-1492.
2. Grom AA, Giannini EH, Glass DN: Juvenile rheumatoid arthritis and the trimolecular complex. Arthritis Rheum 1994;
37: 601-607.
3. Huppertz HI, Chantler JK: Restricted
mumps virus infection of cells derived
from normal human joint tissue. J Gen Viro11991; 72: 339-347.
4. Huppertz HI, Miki N, Chantler JK: Susceptibility of normal human joint tissue to
viruses. J Rheumatol 1991; 18: 699-704.
5. Huppertz HI: How could infectious agents
hide in synovial cells? Possible mechanisms of persistent viral infection in a model for the etiopathogenesis of chronic arthritis. Rheumatol Int 1994; 14: 71-76.
6. Koopman WJ: Immunopathogenetic mechanisms in viral disease. In: Espinoza L
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Orlando: Grune & Stratton, 1988; 81-88.
7. Malin JK, Patel NJ: Arthropathy and HIV
infection. A muddle of mimicry. Postgrad
Med 1993; 93: 149-150.
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 20, 19. Mai 1995 (51) A 1447
-
MEDIZIN
ZUR FORTBILDUNG / FUR SIE REFERIERT
8. Oldstone MBA: Viral persistence. Cell
1989; 56: 517-520.
9. Petty RE, Tingle AJ: Arthritis and viral infection. J Pediatr 1988; 113: 948-949.
10. Schnitzer TJ: Viral Arthritis. In: Kelley
WN et al.: Textbook of Rheumatology.
Philadelphia: Saunders, 1993; 1494-1508.
Mit diesem Beitrag schließt das
Deutsche Ärzteblatt die „VirusSerie" ab. Es sind hierzu erschienen:
(1) zur Hausen H: Krebsentstehung durch Infektionen — ein
wichtiger, noch wenig beachteter Sektor der Krebsforschung. Dt Ärztebl 1994; 91:
A-738-740 [Heft 11]
(2) Bialasiewicz AA, Jahn GJ:
Augenbefunde bei Virusinfektionen außer AIDS. Dt Ärztebl
1994; 91: A-905-914 [Heft 13]
(3) zur Hausen H: Papillomvirusinfektionen als Ursache des
Gebärmutterhalskrebses. Dt
Ärztebl 1994; 91: A-19451948 [Heft 28/29]
(4) Prange HW, Kitze B: Die Herpes-simplex-Enzephalitis. Dt
Ärztebl 1994:91: A-3267-3272
[Heft 47]
(5) Prange HW, Kitze B: Neurologische Komplikationen anogenitaler Herpes-simplex-Infektionen. Dt Ärztebl 1994; 91:
A-3273-3278 [Heft 47]
(6) Thraenhart 0: Aktueller
Stand der Epidemiologie, Diagnostik und Prävention der
Tollwut. Dt Ärztebl 1994; 91:
A-3280-3286 [Heft 47]
(7) Gerken G, Goergen B, Meyer
zum Büschenfelde KH: Virushepatitis und B-Virusmutanten. Dt Ärztebl 1994; 91:
A-3288-3293 [Heft 47]
(8) Harms E, Koch HG: Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus. Dt Ärztebl 1995; 92:
A-436-441 [Heft 7]
(9) Huppertz HI: Viren und Arthritis. Dt Ärztebl 1995; 92:
A-1443-1447 [Heft 20]
Anschrift des Verfassers:
Priv.-Doz. Dr. med.
Hans-Iko Huppertz
Universitätskinderklinik
Josef-Schneider-Straße 2
97080 Würzburg
Lebensbedrohliche Magen-Darm-Schäden
durch nichtsteroidale Antirheumatika
In den vergangenen Jahren wurden die Risiken der nichtsteroidalen
Antirheumatika (Analgetika) mit
epidemiologischen Methoden definiert. Vier Studien aus drei Ländern
erbrachten dabei ähnliche Ergebnisse. Sie alle kommen zu dem Schluß,
daß Ibuprofen, möglicherweise auch,
weil es häufig relativ niedrig dosiert
als Analgetikum verwendet wird, weniger gastrointestinale Schäden auslöst als andere derartige Wirkstoffe
inklusive Acetylsalizylsäure, Diclofenac und Naproxen. Hinsichtlich der
Frage, welche Substanzen risikoreich
sind, kommen die Arbeiten zu unterschiedlichen Ergebnissen — der Trend
ist der gleiche.
Langman (2) und Rodriguez (4)
klassifizieren Azapropazon als besonders gefährlich, dicht gefolgt von
Piroxicam. Savage et al. (5) finden besonders zahlreiche gravierende Magen-Darm-Schädigungen nach Indometacin, gefolgt von Piroxicam. Bei
Henry et al. (1) ist Piroxicam die gefährlichste Substanz. Divergenzen ergeben sich nur hinsichtlich des Ketoprofens. Bei zwei Untersuchungen ist
Ketoprofen harmlos oder relativ gut
verträglich (Rodrigues [4] und Savage
[5]); nur bei Langman erscheint Ketoprofen gefährlicher sogar als Piroxicam zu sein. In einer Beobachtungsstudie (SPALA) fanden wir, daß Ketoprofen am wenigsten von den in
Deutschland häufig gebrauchten
nichtsteroidalen Antirheumatika wegen „Nebenwirkungen" abgesetzt
wurde. Man muß sich daher fragen,
warum bei der sonst vergleichbaren
Risikobewertung Ketoprofen nur bei
Langman et al. (2) auffällig wurde.
Haben die anderen Autoren eine Gefahrensituation übersehen? Ist es ein
zufälliger Befund von Langman —
denn auch er war vom Ergebnis überrascht —, oder ist Gefahr in Verzug?
Bei der Durchsicht der Arbeit von
Langman et al. fällt auf, daß Ketoprofen in seiner Patientengruppe,
aber auch in der Gruppe seiner Kontrollen, die am seltensten verwendete
Substanz war. Die Aussage, Ketoprofen sei relativ toxisch, steht daher
auf statistisch sehr schwachen Beinen.
(Was auch Langman et al. vermerken.) So kann Ketoprofen wohl weiterhin als (relativ) gut verträglich gelten, im Gegensatz zu Piroxicam (Azapropazon wird in Deutschland kaum
als Antirheumatikum verwendet). Es
wäre daher an der Zeit, die Indikation
für Piroxicam enger zu stellen.
Nach diesen Ergebnissen wird
sich die Erforschung der Nebenwirkungen der Antirheumatika in den
kommenden Jahren darauf konzentrieren, die Ursachen schlecht quantifizierbarer Nebenwirkungen an der
Leber und Niere aufzuspüren. Auch
für die Entstehung der wahrscheinlichen allergisch bedingten Nebenwirkungen an der Leber (Diclofenac)
und Niere (Ketorolac) gibt es neue
Konzepte, die erwarten lassen, daß
beide Risiken in Zukunft vor Neueinführungen analysiert und vermieden
werden können. Für die wahrscheinlich allergischen Nebenwirkungen in
der Leber (Diclofenac) werden metabolische Reaktionen verantwortlich
gemacht (6). Einzelne Analgetika
scheinen ihre Nephrotoxizität einer
ausgeprägten Hemmung der Prostaglandinbildung zu verdanken (3). bue
Literatur:
1. Henry D, Dobson A, Turner C: Variability
in the risk of major gastrointestinal complications from nonaspirin nonsteroidal antiinflammatory drugs. Gastroenterol 1993;
105: 1078-1088
2. Langman MJS, Weil J, Wainwright P, Lawson DH, Rawlings MD, Logan RFA, Murphy M, Vessey MP, Colin-Jones DG: Risks
of bleeding peptic ulcer associated with individual nonsteroidal anti-inflammatory
drugs. Lancet 1994; 343: 1075-1078
3. Pallapies D, Salinger A, Meyer zum Gottesberge A, Atkins DJ, Rohleder G, Nagyivanyi P, Peskar BA: Effects of lysine clonixinate and ketorolac tromethamine an
prostanoid release from various rat organs
incubated ex vivo. Life Science; im Druck
4. Rodriguez LAG, Jick H: Risk of upper gastrointestinal bleeding and perforation associated with individual nonsteroidal antiinflammatory drugs. Lancet 1994; 343:
769-772
5. Savage RL, Moller PW, Ballantyne CL,
Wells JE: Variation in the risk of peptic ulcer complications with nonsteroidal anti-inflammatory drug therapy. Arthrit Rheumat
1994; 1: 84-90
6. Zia-Amirhosseini P, Harris RZ, Brodsky
FM, Benet LZ: Hypersensitivity to nonsteroidal anti-inflammatory drugs. Nature
Medicine 1995; 1: 2-4
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 20, 19. Mai 1995 (53) A-1449
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