16927 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 Norbert Geis (A) Nun ist die Frage, ob einem Embryo im Reagenzglas – trotz der Technizität seiner Zeugung aufgrund der Tatsache, dass er am Anfang nicht in vivo, sondern in vitro lebt nicht in gleichem Maße zuzuerkennen sind, wie dies für den Embryo im Mutterleib gilt. Ich glaube, dies trifft zu. Es gibt keinen vernünftigen Grund, diese Rechte nicht schon bei einem Embryo im Reagenzglas anzuerkennen. Alles andere stünde im Widerspruch zur Logik unserer Rechtsordnung. Das hat Folgerungen für die Präimplantation und natürlich auch für die Forschung an Embryonen. Denn wenn dem Embryo das Recht auf Leben ungeteilt zusteht und wenn er ein ungeteiltes Recht auf die Unantastbarkeit seiner Würde hat, dann ist die Forschung an Embryonen nicht möglich. Dies gilt dann ganz gewiss für die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken, die ja aufgrund unseres Embryonenschutzgesetzes nicht möglich ist. Aber das gilt auch für die „überzähligen“ Embryonen, wobei ich bitte, das Wort „überzählig“ immer in Anführungszeichen zu setzen. Denn es erinnert allzu sehr an Vorgänge, an denen wir noch heute schwer zu tragen haben. Man soll in diesen Fragen mit der Semantik vorsichtig umgehen. Ich glaube, dass für „überzählige“ Embryonen das gleiche Recht gelten muss wie für Embryonen, die zu Forschungszwecken hergestellt werden. Das heißt, eine Forschung an solchen Embryonen darf nicht möglich sein. Unsere Verfassung verweist unsere Forschung auf andere Wege und diese Wege führen vielleicht eher zum Ziel, weil sie, wie ich meine, das Humanum mehr achten und weil sie, wie ich meine, mehr im Einklang mit unserer (B) Schöpfung stehen. Das gilt aber auch für die Präimplantationsdiagnostik; denn hier geschieht keine reine Diagnose. Sie wird vielmehr angewandt, um zu selektieren. Nur gesunde Embryonen sollen übertragen werden. Hier meine ich, dass der Vergleich zwischen Präimplantationsdiagnostik und Pränataldiagnostik, das heißt der Vergleich zwischen einem Embryo im Reagenzglas, also außerhalb des Mutterleibes, und einem Embryo im Mutterleib durchaus angezeigt erscheint. Ich sehe im Grunde keinen Unterschied zwischen der Tötung des Embryos im Reagenzglas und einer Abtreibung. Es wird immer eingewandt, bei der Abtreibung komme die Konfliktsituation der Frau mit ins Spiel. Das mag richtig sein, aber genau dieselbe Konfliktsituation kann bei einer bewussten Übertragung eines im Reagenzglas befindlichen kranken Embryos in den Mutterleib gegeben sein. Hier besteht also im Grunde genommen kein Unterschied. Das kann aber wiederum nicht heißen, dass wir es dann, wenn wir es hier erlauben, auch dort erlauben. Wir müssen uns vielmehr die Frage stellen, ob diese Gesetzespraxis, die in unserem Land insbesondere für die Spätabtreibung gilt, noch verfassungskonform ist, das heißt, im Einklang mit unserem Grundgesetz steht. Diese Frage darf hier nicht tabuisiert werden; denn es geht auch um einen Vergleich mit der Spätabtreibung. Da der Embryo im Reagenzglas einer fast unkontrollierbaren Gefährdung ausgesetzt ist, stellt sich noch eine weitere Frage, der man nicht ausweichen kann, nämlich, SEITE ZURÜCK ob die Zeugung im Labor richtig sein kann. Wenn man (C) diese Frage bejaht, muss aber die Gesellschaft Regelungen treffen, um diese Gefährdung zu reduzieren. Ich meine, das sollten wir bei künftiger Gesetzgebung mit berücksichtigen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Würde des Menschen und sein Recht auf Leben sind keine hehren Ziele unserer Verfassung, sondern sie sind das Minimum, das der Staat seinen Menschen zu gewähren hat. Dieses Minimum steht auch dem Embryo im Reagenzglas zu. Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Hanna Wolf. Hanna Wolf (München) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in meinem Beitrag mit den Versprechungen und Risiken der Präimplantationsdiagnostik – kurz PID – für Frauen auseinander setzen. Die Frauen kommen in der derzeitigen Diskussion kaum mehr vor. (Beifall der Abg. Ilse Janz [SPD] und der Abg. Angelika Volquartz [CDU/CSU]) Heute haben Gott sei Dank einige Kollegen darauf abgehoben. Ich will die Frauen wieder ins Zentrum rücken und ich werde begründen, warum ich die PID ablehne. Zur Vorgeschichte: Ohne künstliche Befruchtung im Reagenzglas fände heute keine Debatte über PID statt. Diese künstliche Befruchtung wird unfruchtbaren Frauen angeboten. Sie ist keine Heilung im ärztlich-ethischen Sinn, sondern eine Art Dienstleistung. Sie geht von der falschen Vorstellung aus, es gäbe ein Recht auf ein genetisch eigenes Kind. Die künstliche Befruchtung in vitro verlangt zunächst eine hormonelle Überstimulation und eine operative Eizellenentnahme. Sie ist nur in maximal 20 Prozent der Fälle erfolgreich. Die physischen und psychischen Folgen dieser so genannten Behandlung sind bisher nicht in Langzeitstudien erforscht. Bei dieser künstlichen Befruchtung entstehen mehrere Embryonen. Deshalb ist dies für mich bereits der Dammbruch hin zur Embryonenproduktion. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]) Unfruchtbare Frauen stehen unter Druck. Das vermeintliche Recht auf ein genetisch eigenes Kind kann zum psychischen Zwang werden. Nun zur PID. Sie bezieht sich im Prinzip nicht auf unfruchtbare, sondern auf fruchtbare Frauen. Sie könnten jederzeit ein Kind bekommen, allerdings mit dem Risiko einer Erbkrankheit. Auch diese fruchtbaren Frauen werden einer hormonellen Überstimulation und einer operativen Eizellenentnahme unterworfen. Hierfür werden noch mehr Embryonen als für die In-vitro-Fertilisation benötigt. SEITE VOR (D)