46 kultur ROBERTO FONSECA Neue Ära: Kuba ohne Grenzen Kaum ist Fidel Castro gestorben, wird Kuba auf den Kopf gestellt. Wie etwa auf «ABUC», dem neuen Album des kubanischen Piano-Virtuosen Roberto Fonseca, wo Kuba rückwärts buchstabiert wird. Ein verstecktes, subversives Signal, ein Aufruf zur politisch-kulturellen Auflehnung? «Die Idee war, ein anderes Kuba zu zeigen», sagt Fonseca gegenüber «Billboard» und mag den Tod des Máximo Líder nicht öffentlich kommentieren. Wie viele andere kubanische Musiker und Künstler hat auch Fonseca ein zwiespältiges Verhältnis zu Fidel Castro. Als Vorzeigekünstler und Exportartikel des Regimes, der lange mit dem legendären Buena Vista Social Club unterwegs war, hat er profitiert und war privilegiert, gleichzeitig waren ihm relativ enge künstlerische Grenzen gesetzt. Einen direkten Zusammenhang von «ABUC» zum Tod des Diktators gibt es natürlich nicht. Das Album war schon vor dem Ableben des Máximo Líder fertiggestellt. Doch es fängt die politische und kulturelle Zeitenwende in Kuba ein. «ABUC» bedeutet für Fonseca «kubanische Musik ohne Grenzen». Es ist die Abkehr eines in sich gekehrten, sich selbst genügenden Kuba. Stattdessen zeichnet Fonseca ein Bild eines offenen Landes, das Einflüsse aus aller Welt aufnimmt und verarbeitet. Fonseca will seine «kubanische Komfortzone» verlassen. Ausgangspunkt seiner musikalischen Reise ist aber immer die reiche, vielfältige Musiktradition von Kuba: Habanera, Son, Rumba, Mambo, Cha-Cha-Cha, Bolero und Salsa werden mit neuen Einflüssen kombiniert und sanft erneuert. Auf «Soul Guardians» zum Beispiel schafft er die Brücke zu HipHop und Reggaeton. Dagegen greift er auf «Habanera» auf die afrikanische Tradition der Yoruba zurück. Sprung nach New Orleans «ABUC» ist vor allem ein Zeugnis des Tauwetters zwischen Kuba und dem Erzfeind USA. Fonseca ist der erste kubanische Musiker, der auf dem legendären US-Jazzlabel Impulse/Universal erscheint. Am auffälligsten sind denn auch die kubanischen Avancen zur amerikanischen Musiktradition: Auf «Tierra Santa», «Familiy» und «Cubano Chant» (mit Power-Posaunist Trombone Shorty) gelingt Roberto Fonseca der Sprung von Havanna nach New Orleans und deutet in einer ekstatischen Melange an, was möglich wäre, wenn die beiden Musikstädte sich weiter annähern würden. STEFAN KÜNZLI Roberta Fonseca: ABUC, Impulse/Universal. Live: 5. 12. Moods Zürich; 19. 3. Musical Theater Basel. Schweiz am Sonntag 4. Dezember 2016 Der allererste Popsong heisst «Kleine Nachtmusik» Mozarts Musik kennt man bis heute – dabei jährt sich sein Tod am Montag zum 225. Mal. VON ANNA KARDOS ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Es ist fast zu simpel, um gut zu sein. Zwei Töne und dazwischen eine Melodie, die vom einen Ton zum anderen hüpft und wieder zurück – und wieder hin – und wieder zurück – und so weiter und so fort, bis die Melodie nach oben springt und auf einem Schlusston landet. Bei diesem Auf und Ab handelt es sich nicht um ein Kinderlied, sondern um das so ziemlich berühmteste klassische Stück der Welt, die «Kleine Nachtmusik» von Wolfgang Amadeus Mozart. Sie kennen das Stück. Klar kennen Sie es. Daneben vielleicht noch das eine oder andere mehr von Mozart. Etwa die Arie der Königin der Nacht, oder «Figaro, Figaro, Figaro». Schliesslich ist Mozart nicht nur der beliebteste Klassiker, sondern auch der weltweit am häufigsten gespielte Komponist. Da kann Ludwig van Beethoven noch so geniale Sinfonien schreiben. Denn dieser klein gewachsene Salzburger (Mozart soll rund 1,50 m gross gewesen sein) mit den Pockennarben im Gesicht ist ihm in puncto Bekanntheit eine Nasenlänge voraus – was übrigens gar nicht so wenig ist, denn Mozarts Gesicht muss eine imposante Nase geziert haben. Coca-Cola und Mozart Doch Nasen hin oder her, an seinem 225. Todestag kommenden Montag würde sich der berühmteste aller Österreicher bestimmt freuen zu hören, dass er noch immer den Klassikmarkt bestimmt: 17 Prozent aller in Europa verkaufter Klassik stammen aus seiner Feder – in einigem Abstand gefolgt von Beethoven und Schubert (Statistik von 2005). Und auf der Rangliste der weltweit bekanntesten Begriffe steht Mozart auf Platz zwei ( Jesus auf drei). Einzig Coca-Cola prickelt den Menschen weltweit noch häufiger auf der Zunge als Mozarts Musik. Da erstaunt es kaum mehr, dass noch in China mehr Menschen «Mozhate» kennen als den chinesischen Staatspräsidenten. Der Mann ist allerdings nicht nur weltbekannt. Er ist auch der einzige klassische Komponist mit Pop-Potenzial. Nicht wegen seines Lebens – ja, nicht einmal wegen seiner Starallüren, für die er zu Lebzeiten fast so berühmt war wie für seine Werke: Mit Sechs schmatzte er der verdutzten Kaiserin Maria Theresia einen Kuss auf die gepuderte Wange. Schon als Kind war er zum ersten Mal «on tour» und auf der Klaviatur der Fäkalausdrücke spielte er mit derselben Begeisterung wie auf dem goldenen Hammerklavier von Madame Pompadour. Ja, selbst das Motto «live fast, love hard, die young» hätte er sich locker aufs T-Shirt drucken lassen können, wenn es damals schon T-Shirts gegeben hätte – er war, als er 1791 starb, ganze 35 Jahre alt. Mehr Glück als mit der Lebensdauer hatte Wolfgang Amadé (Amadeus ist ein späteres Konstrukt der Geschichtsschreibung), dass Mit 1,50 Metern nicht eben gross gewachsen, ist er für viele schlicht der Grösste: Wolfgang Amadeus Mozart. Der ganze Mozart Zum 225. Todestag von Wolfgang Amadeus Mozart haben sich die Deutsche Grammophon und Decca etwas Besonderes einfallen lassen – das Gesamtwerk des Komponisten als CDBox der Superlative: 200 CDs, 240 Stunden Musik, der gesamte klingende Mozartkosmos als 10-KiloBox. Die meisten Aufnahmen stammen aus dem Archiv, neu eingespielt wurden bislang unbekannte Kompositionen sowie Werke auf eigenen Instrumenten von Mozart. Die Edition ist limitiert und mit unter 400 Franken ein veritables Schnäppchen. (ANK) er ausgerechnet ins Zeitalter der Klassik hineingeboren wurde. Wäre er in der Spätromantik gross geworden, er hätte seine Musik durch harmonische Abgründe jagen müssen; als Zögling der Neuen Wiener Schule wären seine Melodien statt nach dem Gesichtspunkt der Natürlichkeit nach jenem abstrakter Reihen organisiert worden. Aber die Zeit war Mozart gnädig – und mit der Klassik ein Musikstil angesagt, der nach musikalischer Einheit, Klarheit und Schönheit strebte. Hintergrund für Hundefutter Wohl deshalb klimpern die Werke des Salzburgers noch 225 Jahre nach seinem Tod aus Spielzeugklavieren, untermalen Werbung für Fluggesellschaften oder Hundefutter und wiegen als Endlosschlaufe Babys in den Schlaf. Wobei: Musik zum Einschlafen? Das klingt nicht eben nach einem Gütesiegel für umwerfende Spannung. Ist Mozarts Musik etwa langweilig? Piano, piano: Diesem Komponisten Langeweile anzudichten, hiesse, ihn nicht richtig zu hören. Aber tatsächlich ist eine der erstaunlichsten Gaben Mozarts, dass seine Musik ihre Hörer nie überrumpelt, die Ohren nie brüskiert. Der Salzburger wusste um diese Gabe – und arbeitete hart an ihr. So schrieb er beim Komponieren der «Entführung aus dem Serail» an seinen Vater: «Und die Musick muss, auch in der schau- dervollsten lage, das Ohr niemalen beleidigen, sondern doch dabey vergnügen.» Anders gesagt: Noch die grösste Leidenschaft, der tiefste Abgrund, muss Musik hervorbringen, die Vergnügen schafft. Komponieren nach Pop-Prinzip Das allerdings rückt den anmutigsten aller Klassiker in die Nähe des Pop. Denn Pop zeichnet sich traditionell durch «angenehm empfundene Abfolgen, eingängige Melodien und simple Rhythmen» aus. All dies trifft auch auf den Mr. Anmut der Klassik zu: Seine Rhythmen werden im Musikschulunterricht als Muster für Gleichmässigkeit heranzitiert. Seine Harmoniefolgen sind so schmiegsam, dass die Hörer kaum merken, was er sich im Hintergrund alles hat einfallen lassen. Und die Melodien, ja die Melodien, sind so simpel, dass viele Menschen sie noch heute kennen – und singen können. In einem Zeitalter, wo 90 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung «in einer geistigen Welt lebt, in welcher Hochkultur irrelevant ist, eine fast atemberaubende Ausnahme. Doch seine atemberaubende Wirkung gehörte für Mozart ohnehin zur Tagesordnung. Wohl darum herrschte er nach seinem Auftritt, bei dem er ohne Kuss ausging, Madame Pompadour an: «Wer sind Sie eigentlich, dass Sie mich nicht küssen wollen?!» Fortsetzung von Seite 45 INSERAT Aus-/Weiterbildung Immobilien Verkauf Sind Sie noch nicht in Pension? Legen Sie Ihr Geld in eine neuwertige Villa im Locarnerse, Sonnenseite, an! Volle, unverbaubare Seesicht, Ruhe. Wohnfläche 350 m², mit Indoorpool/Sauna, 2 PP. Unsere Idee: Wir, 2 Personen, bleiben wohnen, zahlen Miete, bis Sie bereit sind, selber einzuziehen. VP Fr. 4,2 Mio. Schreiben Sie unter Chiffre V 012-290972, an Publicitas S. A., Postfach 1280, 1701 Fribourg. MTA vor einer Woche wieder mit 49 000 Zuschauern ein, und zweitens zeigte die Sendung auch inhaltlich eine Steigerung: politischer, schneller, wilder. Wie die Deville-Leute den unvermeidlichen Baschi mit verbundenen Augen und einem Baseball-Schläger prügeln liessen: Das hatte diese erhoffte Punk-Attitüde und kreierte auch gleich mediale Aufmerksamkeit. Begrenzte Konzepte für Müslüm Beim SRF sagt der Comedy-Verantwortliche Rolf Tschäpätt: «Das LateNight-Potenzial von Dominic Deville und seinem Team ist aber zweifellos vorhanden.» Nur: Deville zu einem massentauglichen Quotenhit am Sonntagabend formen zu wollen, würde der Sendung alles nehmen, was sie an Potenzial mitbringt. Der ehemalige Zauberer Michel Gammenthaler bringt mit «Querdenker» mehr Konformität mit. Die Sendung, als Smart Late-Night betitelt, zeigt bei der Quote denn auch steigen- de Tendenz. Zuletzt schauten 68 000 Zuschauer zu. Aber sie ist eben auch reichlich konform. Und Müslüm wollen die SRF-Verantwortlichen zu Recht innovative, zeitlich begrenzte Konzepte auf den Leib schneidern, statt ihn in eine unbefristete Serie zu pressen. Diese Attitüde ist löblich. Den Jungen Zeit lassen. Oder wie es Tschäppätt formuliert: «Comedy-Formate müssen sich entwickeln können, das zeigen die Erfahrungen, nicht nur in der Schweiz.» Blöderweise hören Giacobbo/Müller aber jetzt auf. Was man den Verantwortlichen im Leutschenbach tatsächlich vorwerfen kann, ist, dass sie sich etwas gar spät um die Nachfolge zu sorgen begannen. Aber so geht das, wenn Figuren wie Giacobbo/Müller alles absorbieren. Dann merkt man manchmal auch gar nicht, welche Talente eigentlich da wären. Selbst wenn sie über den eigenen Sender flimmern. Und so ist Hazel Brugger, das grösste Talent der Schweizer Satire- und Comedy-Szene, jetzt halt freie Mitarbeiterin bei der «heute-show» im deutschen ZDF.