034-039 Preisig - Preisig Pfäffli

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Ein Begriff und zwei Beispiele Nachhaltigkeit
ist ein Begriff, der zwar inflationär gebraucht, aber
selten genau definiert wird. Die Autoren fassen
ihn mittels dreier Aspekte – Gesellschaft, Wirtschaft
NACHHALTIGKEIT
IM HOCHBAU
und Umwelt – und wenden ihn auf zwei gebaute
Beispiele an.
Text: Hansruedi Preisig, Katrin Pfäffli
Nachhaltigkeit ist ein Schlagwort, das zur Legitimation ver-
wünschen, engen Kostenrahmen und eingeschränktem krea-
schiedener Dinge gebraucht wird. Die bekannte Brundtland-
tiven Spielraum; bei den Planenden laufen die Fäden zusam-
Definition von 1987 lautet: «Nachhaltige Entwicklung ist
men, sie sind prädestiniert dafür, auch die Forderungen der
eine Entwicklung, die gewährleistet, dass die Bedürfnisse
Nachhaltigkeit mit einzubeziehen.
der heutigen Generation befriedigt werden, ohne die Mög-
Einerseits gibt es heute auf dem Markt immerhin einige
lichkeiten künftiger Generationen zur Befriedigung ihrer
brauchbare Instrumente, welche Planende und Investierende
eigenen Bedürfnisse zu beeinträchtigen.» Seit dem Rio-Kon-
unterstützen und die notwendige Hilfestellung für eine nach-
gress 1992 wird das Wort mit den drei Begriffen Umweltver-
haltige Planung und Umsetzung leisten (vgl. S. 39); anderer-
träglichkeit, Sozialverträglichkeit und Wirtschaftsverträglich-
seits, und für die Durchsetzung der Idee nicht weniger wich-
keit umschrieben. Es zeigt sich aber, dass zwei Leute, die von
tig, gibt es Beispiele von Gebäuden, die explizit mit der Ziel-
Nachhaltigkeit sprechen, selten dasselbe meinen.
setzung des nachhaltigen Bauens geplant wurden und dieses
Während Jahren konzentrierte sich die Forschung und
Ziel auch zu einem guten Teil umgesetzt haben. Besonders
Umsetzung in der Nachhaltigkeit auf umweltrelevante
wichtig sind diese Bauten, weil sie das alte Vorurteil, dass
Aspekte (häufig Bauökologie genannt). In diesem Bereich
sich vor allem im Umweltbereich nachhaltige Gebäude kaum
wurden beachtliche Fortschritte erzielt; die umweltrelevan-
durch gute Architektur auszeichnen, gründlich und souverän
ten Aspekte des Hochbaus fanden in diversen Publikationen
widerlegen.
und Lehrgängen ihren Ausdruck, und sie bilden die Grund-
Im Folgenden werden wichtige Kriterien aus den drei
lage für die Festlegung von Grenzwerten, deren Einhaltung
Bereichen Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft näher um-
heute darüber entscheiden kann, ob und wie Bauprojekte zur
schrieben und jeweils an zwei beispielhaften Bauten illust-
Ausführung gelangen.
riert. Die beiden Bauten sind einerseits die Genossen-
Dem Begriff einer nachhaltigen Entwicklung wird die Re-
schaftsüberbauung KraftWerk11 in Zürich (Stücheli Architek-
duktion auf den Bereich Umwelt allerdings nicht gerecht.
ten mit Bünzli Courvoisier Architekten) und andererseits die
Nicht nur die umweltrelevanten, sondern auch die gesell-
Überbauungen Balance2 mit Eigentumswohnungen in Walli-
schaftlichen und wirtschaftlichen Aspekte sollten in eine ge-
sellen, Uster und Fällanden (Haerle Hubacher Architekten/
samtheitlichen Betrachtungsweise integriert sein. Nachhal-
Streich AG). Eine umfassende Liste mit Kriterien, Zielformu-
tiges Verhalten zeichnet sich durch Interdisziplinarität und
lierungen und Leistungsbeschreibungen sind in der neuen
durch ein Denken in längerfristigen Zeiträumen aus; insbe-
Empfehlung SIA 112/1 enthalten (vgl. S. 39).
sondere ist es durch ein Abwägen von sich ergänzenden und
sich widersprechenden Forderungen geprägt.
Gesellschaft – der Mensch im Zentrum
In der Architektur sind es in erster Linie die Planerinnen
Dass die soziale Ebene im Hochbau relevant ist, lässt sich
und Planer, denen die Aufgabe zukommt, zwischen unter-
bereits dadurch illustrieren, dass Menschen in der Schweiz
schiedlichen Forderungen abzuwägen und für das konkrete
rund 80 Prozent ihrer Lebenszeit in Gebäuden verbringen.
Objekt die beste Lösung zu finden. Diese Aufgabe verlangt
Nachhaltige Gebäude bieten Sicherheit, Geborgenheit, er-
ein hohes Fachwissen und ein Verständnis gegenüber den
möglichen durch ihre räumliche Anordnung soziale Kontakte
umfassenden Anforderungen des nachhaltigen Handelns.
und Integration sowie Rückzug, Regeneration und Identifikation. Es sind Orte, die Menschen unterschiedlichen Alters
Die Praxis – eine Kunst
und unterschiedlicher Herkunft ein Zuhause zu bieten ver-
Die Forderung, dass Planende sich dieser neuen Aufgabe
mögen. Entsprechend lassen sich die Kriterien im Gesell-
stellen sollten, ist naheliegend. Architektinnen und Archi-
schaftsbereich der Nachhaltigkeit unter den Stichworten
tekten verwalten ohnehin ein komplexes System von Rah-
Gemeinschaft, Gestaltung, Sicherheit und Behaglichkeit zu-
menbedingungen, Vorschriften, Empfehlungen, Bauherren-
sammenfassen.
34
archithese 4.2004
1 Kraftwerk1
Architektur: Stücheli
Architekten, Bünzli
Courvoisier Architekten; Auftraggeber: Genossenschaft Kraftwerk1
A Ansicht
(Foto: Reinhard
Zimmermann)
Gemeinschaft steht für den Zugang zu erschwinglichem
Wohnraum für Personen in unterschiedlichen Lebensaltern
und -situationen sowie aus ethnisch, religiös und sozial
unterschiedlichen Gesellschaftsschichten – und für deren Integration. Gemeinschaft steht auch für die Möglichkeit der
Begegnung, der Teilnahme an Aktivitäten sowie des Rückzugs und der Regeneration. Geringe Distanzen und eine gute
und sichere Erreichbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel
B
Raumtypen
und Infrastrukturbauten für den täglichen Bedarf (Schulen,
Einkauf, Erholung usw.) unterstützen eine Vernetzung und
zeichnen ein nachhaltig geplantes Gebäude aus.
Gestaltung steht für angenehme Raumproportionen und
Lichtverhältnisse sowie für gute und stimmungsvolle Räume
1
A
mit hoher architektonischer Qualität. Diese Faktoren erlauben es den Benutzerinnen und Benutzern, sich mit den Orten
zu identifizieren, sich darin räumlich zu orientieren, ihnen
Sorge zu tragen und sich die Gebäude entsprechend durch
persönliche Gestaltung anzueignen.
Sicherheit und Behaglichkeit schliesslich stehen für Quar-
tiere und Gebäude, in welchen sich die Leute sicher und wohl
fühlen. Gebäude also, die dank genügend Licht und ausreichendem Luftwechsel, geringer Schadstoffbelastung und
wenig Immissionen ein gesundes Umfeld bieten.
Zum Beispiel KraftWerk1
Die Genossenschaft KraftWerk1 ist die Umsetzung einer
sozialen Utopie. Was auf dem Nährboden der sozialen Unruhen der Achtzigerjahre im Zeichen der Wohnungsnot und
des Häuserkampfs geboren, in einer Charta formuliert und
über viele Jahre und hindernisreiche Wege 2001 endlich
realisiert wurde, ist beispielhaft im gesellschaftlichen Bereich. Die Grundrissdisposition schafft unterschiedliche
Wohnungen, von kleinen Einzimmerwohnungen über konventionellere 3- und 4-Zimmerwohnungen bis zu den sogenannten Suiten für 13 Personen, die sich als Wohngemeinschaft eine gemeinsame Küche teilen. Dem Ziel, eine vielfältige, die Welt im Kleinen abbildende Mieterschaft zu gewinnen, wurden viele Entscheidungen zu Grunde gelegt: Damit Personen mit erschwertem Zugang zum Wohnungsmarkt
und Personen in einer schwierigen Lebenssituation integriert
werden können, wurde beispielsweise ein Solidaritätsfonds
angelegt und die Zusammenarbeit mit sozialen Institutionen
gesucht.
Die Vielfalt der Wohnungen, die Büro- und Gewerberäume, die innen- und aussenräumlichen Möglichkeiten für
Begegnungen sowie die Realisierung von Ideen durch Arbeitsgruppen und die Durchführung von Anlässen sind die
Voraussetzung dafür, dass Gruppen und Einzelpersonen
gleichzeitig und nebeneinander ihre kulturelle Eigenart leben
können. Auch das umfangreiche Infrastrukturangebot – es
umfasst Waschsalon, Kinderkrippe, Restaurant, Nähatelier,
Gästezimmer etc. – unterscheidet KraftWerk1 von anderen
Genossenschaftssiedlungen. Nach mittlerweile bald drei Jahren lässt sich vorbehaltlos behaupten, dass das Konzept im
1
B
Bereich der sozialen Nachhaltigkeit fast alle Ziele mit Bravour
erreicht hat.3
35
Zum Beispiel Balance
Zum Beispiel KraftWerk1
Auch beim Beispiel des Wohnparks Balance wurden in der
Die Finanzierung der Siedlung KraftWerk1 war ein schwieri-
Planungsphase bereits frühzeitig die notwendigen Voraus-
ges und heikles Unterfangen, da die Bauherrschaft, die junge
setzungen geschaffen, um die Forderungen der Nachhal-
Genossenschaft KraftWerk1, kaum eigenes Kapital hatte.
tigkeit im Gesellschaftsbereich zu erfüllen. Die geschickte
Dennoch gelang es ihr, Partner zu finden, die sich davon über-
Situierung der Baukörper, die sorgfältige Architektur und die
zeugen liessen, dass die Realisierung ihrer Ideen gut inves-
veränderbare Grundrissdisposition erlauben die Nutzung der
tiertes Geld sein würde.
Geschosswohnungen durch unterschiedlichste Haushaltsfor-
Der Standort der Siedlung im äusseren Industriequartier
men und für vielfältige Nutzungen. Die Veränderbarkeit der
der Stadt Zürich, einem der zentralen und lebendigsten
Grundrisse, die Möglichkeit zur Abtrennung einer Einlieger-
Entwicklungsgebiete der Stadt, ist ein trendiges Wohnum-
wohnung oder die Unterteilung der gesamten Wohnung in
feld; die urbane Dichte der Bauten passt zum Standort, die
zwei unabhängige Wohnungen, die Mitsprachemöglichkeit
vielfältigen Nutzungen – Wohnungen, Büros und Gewer-
der Käuferschaft beim Ausbaustandard sprechen unter-
beräume, kombiniert mit Infrastrukturen wie Restaurant, Blu-
schiedliche Menschen in unterschiedlichen Lebenssitua-
menladen, Kinderkrippe und Kinderhort, etc. – befruchten
tionen an; dadurch wird eine soziale Vielfalt innerhalb der
sich gegenseitig und steigern die Attraktivität des Ortes.
Siedlung gefördert. Mitbestimmung und Mitgestaltung präg-
Die Betriebskosten werden durch die hohe Kompaktheit
ten die gesamte Verkaufspraxis. Auf diese Weise wird er-
der Baukörper klein gehalten und dadurch, dass die Bauten
reicht, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner mit den
den Minergie-Standard erfüllen. Konstruktiv wurde – insbe-
Gebäuden identifizieren und dass sie sich diese aneignen;
sondere beim Hauptgebäude mit der Klinkerfassade – auf
eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sie sich in den Räu-
eine hohe Beständigkeit der Materialien geachtet. Ob auch
men zuhause fühlen können, ist geschaffen.
die Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten niedrig
Unterstützt wird die hohe Wohnqualität durch die Skelett-
sein werden, wird sich noch erweisen.
bauweise und den modularen Aufbau der Fassaden, welche
grosse, raumhohe Fensteröffnungen erlauben und damit
Zum Beispiel Balance
helle, lichtdurchflutete Räume generieren. Die Ausbildung
Die Gebäudekörper des Wohnparks Balance gleichen grossen
des Umgangs zu einer raumhaltigen Schicht ermöglicht
Würfeln. Die hohe Kompaktheit der Bauten hatte tiefere Bau-
auf der gesamten Südseite einen grosszügigen Balkon von
kosten zur Folge, weil die Fassadenfläche, ein kosteninten-
3 Metern Tiefe. Er lässt sich individuell gestalten und weist
sives Bauteil, verhältnismässig klein ausfällt. Sie führt aber
einen hohen Erlebnis- und Erholungswert auf. Dank dem
auch dank dem verminderten Heizenergiebedarf zu niedri-
durch die Bedarfslüftung garantierten Luftwechsel und den
gen Betriebskosten.
schadstofffreien Materialien dürfen die Räume als eine gesunde Körperumgebung bezeichnet werden.
Die Modularität und die einfache Montage der verschiedenen Schichten der Fassade mittels Schraubverbindungen
ergeben eine preisgünstige Konstruktion, die kaum Abfälle
Wirtschaft – gut investiertes Geld
verursacht, neuen Wärmedämmforderungen einfach ange-
Wird ökonomisch in längerfristigen Zeiträumen gedacht,
passt und am Ende der Lebensdauer wieder auseinander ge-
zahlt sich nachhaltiges Investieren auch finanziell aus. Die
nommen werden kann.
Forderungen betreffen hier insbesondere eine der geplanten
Die allseitigen Umgänge verursachen bei der Erstellung
Nutzung entsprechende Standortwahl sowie die Wahl einer
Mehrkosten. Diese werden jedoch durch die vielfältige Nut-
Gebäudestruktur, welche es erlaubt, auf sich verändernde
zung als Gerüst bei der Erstellung, als gesicherte Arbeits-
Marktbedingungen – das heisst: Raum- und Nutzungsbe-
plattform bei periodischen Unterhaltsarbeiten sowie durch
dürfnisse – flexibel zu reagieren. Wichtig ist es auch, Wert-
den Gewinn an Aussenraum im Balkonbereich kompensiert.
und Qualitätsbeständigkeit für die ganze Lebensdauer des
Die höhere Anfangsinvestition führt damit zu niedrigen
Gebäudes anzustreben. Daher ist es notwendig, die Lebens-
Lebenszykluskosten. Die finanzielle «Belastung» für die
zyklen von Bauteilen und Materialschichten zu kennen. Diese
nächste Generation wird gering gehalten. Da die Fassaden
sind je nach ihrer «Lebenserwartung» zugänglich und aus-
dank den Umgängen witterungsgeschützt sind und die äus-
wechselbar anzuordnen, und die Investitionen sind gezielt
serste Schicht aus unterhaltsarmem Glas besteht, sind ge-
darauf auszurichten. Nicht zuletzt ist es zentral, dass nicht
ringe Unterhaltskosten für die Fassade sicher. Die Fassaden
nur die Erstellungs- und die Anlagekosten entscheidend
können dank der Umgänge auch laufend kontrolliert und
sind, sondern die Kosten für Betrieb, Instandhaltung und In-
ohne grossen Aufwand gepflegt werden.
standsetzung, welche bereits in der Planung des Gebäudes
Die in der Grundrissdisposition vorgegebene konzentrierte
gezielt vorbestimmt werden. Niedrige Instandhaltungs-
Kernzone erlaubt es, die ganze Haustechnik wirtschaftlich in
kosten bedingen kontinuierliche Unterhaltsarbeiten, niedrige
einer einzigen Steigzone zu führen. Sie ist direkt zugänglich
Instandsetzungskosten eine geschickte Material-, System-
und damit auch einfach kontrollier- und auswechselbar. Die
und Konstruktionswahl, die sich durch Beständigkeit sowie
Konzentration wirkt sich positiv auf die Erstellungskosten
durch die gute Zugänglichkeit und die Auswechselbarkeit
aus, die gute Zugänglichkeit trägt wesentlich zu geringen In-
von Bauteilen auszeichnet.
standhaltungs- und Instandsetzungskosten bei.
36
archithese 4.2004
BALANCE XXL BASIC
KS
BO
KS
KS
BO
BO
a
, 1
Typ Nr.
4
b
2 Balance
Architektur: Haerle
Hubacher Architekten BSA, Zürich/
Streich AG;
Initiator, Auftraggeber, Generalunternehmer: Andreas
Streich AG, Zürich
A Grundriss
mit Unterteilungsvarianten
4 , 0
B Ansicht innerhalb der Siedlung
(Foto: René Furrer)
KS
BO
KS
BO
a
b
2
2
A
B
37
Umwelt – Denken in Kreisläufen
Einen geschickten Schachzug haben die Planerinnen und
Im Umweltbereich der Nachhaltigkeit geht es darum, den
Planer der Siedlung KraftWerk1 auch für die umweltverträg-
Raubbau der nicht erneuerbaren Ressourcen zu vermeiden,
liche Abwicklung der Mobilität gemacht: Unmittelbar neben
die Regeneration der erneuerbaren Ressourcen zu gewähr-
der Siedlung befindet sich eine gut bediente Tramstation, Ve-
leisten, die Belastung der Umwelt mit giftigen Abfällen und
loparkplätze sind direkt bei den Hauseingängen angeordnet,
Rückständen zu reduzieren und die biologische Vielfalt zu er-
und in der Tiefgarage des Hauptgebäudes stehen drei Car-
halten. Betrachtet wird die gesamte Lebensdauer von Hoch-
Sharing-Autos zur Verfügung: Dank einem Kollektivvertrag
bauten, angefangen bei der Produktion der Baustoffe über die
mit der Firma Mobility haben die Genossenschafterinnen und
Erstellung und den Betrieb bis hin zum Rückbau.
Genossenschafter einen wesentlich vergünstigten Zugang
Zentral und noch zu wenig beachtet ist der Energiever-
zu dieser Dienstleistung.
brauch für die Herstellung und den Transport von Baumaterialien, die sogenannte graue Energie (vgl. «Begriffe, Fakten,
Zum Beispiel Balance
Zahlen», S . 14). Sie hat beinahe dieselbe Grössenordnung wie
Durch die kompakte Gebäudeform ergibt sich sowohl für die
die Energie, die für den Betrieb eines Gebäudes über dessen
Herstellung als auch für den Betrieb des Gebäudes ein gerin-
ganze Nutzungsdauer – eine Generation, also ca. 30 Jahre –
ger Material- und Energieverbrauch.
benötigt wird. Der Bau von kompakten Volumen, der Verzicht
Die Aussenwandkonstruktion hat ein gutes Wärmedämm-
auf Unterniveaugaragen (insbesondere im Grundwasserbe-
vermögen. Dieses kann zudem auf verblüffend einfache Art
reich) und auf aufwändige Glas- und Metallfassaden senken
und Weise neuen Forderungen angepasst werden: Die hinter
den Bedarf an grauer Energie massgeblich.
der Verglasung zur «Wärmepufferung» angeordneten Kar-
Die Betriebsenergie lässt sich wiederum über eine kompakte
tonwaben lassen sich in Zukunft durch ein hochwärmege-
Bauweise und eine gut wärmegedämmte Aussenhülle niedrig
dämmtes neues System wie VIP (vgl. «Zukunftsorientierter
halten. Der Energiebedarf für Warmwasser und Elektrizität
Altbau», S . 40) einfach ersetzen. Die hohe Trennbarkeit er-
kann durch bauliche und haustechnische Vorkehrungen und
laubt es, Schichten der Aussenwand nicht nur kostengüns-
konzeptionelle Massnahmen nur bedingt gesenkt werden, der
tig, sondern auch wenig umweltbelastend auszuwechseln
Einfluss der Benutzerinnen und Benutzer ist erheblich.
und am Ende der Lebensdauer wieder zurückzubauen. Die
Gebäude sind so zu konstruieren, dass Komponenten mit
verwendeten Materialien sind rezyklierbar und können prob-
einer kürzeren Lebensdauer sich auf einfache Art und Weise
lemlos wieder in den Stoffkreislauf eingespeist werden: Die
auswechseln lassen. Dies ist nicht nur kostengünstiger, son-
Rohstoffe für die Dämmung aus Zellulosefasern und die hin-
dern erspart aufwändige und umweltbelastende Sanierungs-
ter Glas geschützten Kartonwaben sind gut verfügbar; na-
arbeiten. Zudem ist darauf zu achten, dass alle Bauten einmal
türliche Ressourcen werden geschont.
wieder zurückgebaut werden müssen: Ein Rückbau sollte so
Das kompakte Gebäude besetzt auf der Parzelle wenig
erfolgen können, dass sich die Materialien einfach trennen
Fläche und lässt viel Umraum frei, der als Grünfläche einen
und wieder verwenden lassen und nicht als Sondermüll in der
wertvollen Lebensraum darstellt und die biologische Vielfalt
Deponie entsorgt werden müssen.
unterstützt. Die Stahlkonstruktion der Umgänge kann be-
Kompakte Häuser haben neben den geringeren Erstellungskosten sowie dem geringeren Energieverbrauch in der
grünt werden, für die Natur wird damit wertvoller Lebensraum geschaffen.
Erstellung und im Betrieb auch den positiven Effekt, dass sie
weniger überbaute Grundstücksfläche benötigen – und damit mehr Bodenfläche für eine naturnahe und sickerfähige
Aussenraumgestaltung freilassen.
Zum Beispiel KraftWerk1
Die Genossenschaft KraftWerk1 hatte sich Forderungen aus
Autoren: Hansruedi Preisig ist Dozent an der
Zürcher Hochschule Winterthur und Inhaber
eines Architekturbüros in Zürich. Er ist in diversen SIA-Kommissionen tätig, unter anderem
für SIA 112/1 «Nachhaltiges Bauen – Hochbau».
Katrin Pfäffli ist Architektin und arbeitet
als Projektleiterin im Architekturbüro Viridén +
Partner AG in Zürich sowie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Hansruedi Preisig.
dem Umweltbereich der Nachhaltigkeit von Anfang an auf
die Fahne geschrieben und das Ziel eines exemplarischen
Baus nie aus den Augen verloren. Den Lebenszyklen der einzelnen Bauteile und der grauen Energie wurde Beachtung geschenkt. Das Hauptgebäude der Siedlung KraftWerk1 ist
nicht nur sehr kompakt, sondern wurde auch gemäss dem
Minergie-Standard gebaut und mit einer dicken Wärmedämmung und einer kontrollierten Lüftung mit Wärmerückgewinnung ausgestattet. Die Versorgung mit «umweltfreundlicher» Energie ist durch den Anschluss an das Fernwärmenetz der Stadt Zürich sichergestellt. Rund 10 Prozent des
Strombedarfs der Siedlung werden durch eine eigene Fotovoltaik-Anlage auf den Hausdächern produziert.
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archithese 4.2004
Anmerkungen
1 tec21, Nr. 42, Sondernummer KraftWerk1,
19. Oktober 2001.
www.kraftwerk1.ch
2 tec Dossier Minergie, Beilage zu Heft 26/2003;
archithese, Januar 1998.
www.wohnpark-balance.ch
3 Gewohnte Utopien – die innovativen Siedlungen KraftWerk1 und Regina-Kägi-Hof in
Zürich, Bericht zur Erstevaluation, ETH Zürich,
Departement Architektur, ETH Wohnforum,
Januar 2004.
Weiterführende Literatur, Planungsinstrumente
Planerinnen, Planern und Baufachleuten stehen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsforderungen diverse
Instrumente zur Verfügung. Nach wie vor ist der Bereich Umwelt am besten bestückt, für die Bereiche Gesellschaft
und Wirtschaft fehlen griffige Instrumente noch weitgehend.
köb – Koordinationsgruppe Ökologisches Bauen:
SNARC
www.eco-bau.ch
Die Methode «SNARC – Systematik zur Beurteilung der
KBOB – Koordination der Bau- und Liegenschaftsorgane
Nachhaltigkeit von Architekturprojekten für den Bereich
des Bundes: www.kbob.ch
Umwelt» ist das Ergebnis einer angewandten Forschung
BWO – Bundesamt für Wohnungswesen:
an der Zürcher Hochschule Winterthur. Sie wurde von öf-
www.wohnen-nachhaltigkeit.ch
fentlichen Bauherren, privaten Investoren sowie dem SIA
novatlantis Nachhaltigkeit im ETH-Bereich:
und dem CRB mitgetragen und begleitet. Die Kommis-
www.novatlantis.ch
sion für Technologie und Innovation (KTI ) des Bundes
ZEN – Zentrum für Energie und Nachhaltigkeit:
hat sie mitfinanziert.
www.empa.ch/zen
SNARC enthält ausschliesslich gebäudenahe Kriterien
Ökologische Baukompetenz. Handbuch für die
aus dem Umweltbereich, soweit sie in der Konzeptphase
kostenbewusste Bauherrschaft,
von Architekturprojekten schon bekannt sind. Kriterien,
Werd Verlag, d/f/i/e, 1999
welche erst in der Ausführungsphase relevant werden,
Hansruedi Preisig, Katrin Pfäffli: «Theoretisch sind
wie beispielsweise der Einsatz von Materialien wie
sich alle einig», NZZ 25. 11. 2003, oder:
Chrom (erhebliche Gewässerbelastung und Bodenkonta-
www.hansruedipreisig.ch/publikationen/index.html
mination), sind nicht Gegenstand von SNARC, da im
Zeitpunkt der Konzeptphase ein solcher Bezug zum Pro-
Empfehlung SIA 112/1 «Nachhaltiges Bauen – Hochbau»
jekt noch nicht hergestellt werden kann.
Die Empfehlung SIA 112/1 «Nachhaltiges Bauen – Hoch-
Die SNARC-Kriterien betreffen die Bereiche Grundstück,
bau» ist ein Instrument für die Bestellung und Erbrin-
Ressourcenaufwand für Erstellung und Betrieb sowie
gung spezieller Planerleistungen für ein nachhaltiges
Funktionstüchtigkeit. Sie beziehen sich auf einen Le-
Bauen in den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Um-
benszyklus von 30 Jahren. Das mag für den Rohbau eines
welt.
Gebäudes kurz erscheinen, ist jedoch in Bezug auf das
Sie enthält 35 relevante Kriterien wie Integration/Durch-
Vorsorge- und Verursacherprinzip gerechtfertigt.
mischung, Lebenszykluskosten und graue Energie. Jedes
In einer zweijährigen Testphase sind im Rahmen von
Kriterium ist mit einer Zielvereinbarung und Leistungs-
mehr als 30 Wettbewerben und Studienaufträgen etwa
beschrieben versehen, die helfen, die angestrebten Ziele
200 Konzepte von Architekturprojekten nach SNARC be-
umzusetzen. Die Beschreibungen der Leistungen sind in
urteilt worden. Dabei hat sich das Instrument als hilf-
der Reihenfolge der Phasen der SIA-Ordnung 112 «Leis-
reich erwiesen. Weder die Vielfalt der Lösungen noch die
tungsmodell» aufgeführt, beginnend bei der strategi-
kreativen Spielräume sind beeinträchtigt worden. Das
schen Planung über die Phasen Vorstudien, Projektie-
Instrument wurde in der Folge noch einmal überarbeitet
rung und Ausschreibung bis hin zur Realisierung. Sie
und gestrafft, die Anzahl der Kriterien stark reduziert
werden ergänzt durch spezielle Hinweise zur Schnitt-
und Kriterien im Ermessensbereich nicht mehr quantita-
stelle der Phase Bewirtschaftung. Angaben zu Werkzeu-
tiv, sondern qualitativ erfasst.
gen und Hilfsmitteln sowie Literaturhinweise und Bei-
Entstanden ist ein taugliches Instrument zur Prüfung der
spiele helfen, die vereinbarten Leistungen zu erbringen.
Umweltaspekte der Nachhaltigkeit, das sich für die Beur-
Die Erarbeitung der Empfehlung wurde durch die Bun-
teilung von Architekturprojekten in der Konzeptphase
desämter ARE, BBL, ASTRA, BUWAL, BWO, BAV und BFE
eignet. Unbestritten ist, dass der Handlungsspielraum
massgeblich unterstützt. Nach einer gesamtschweize-
und der Einfluss auf die Umweltauswirkung eines Ge-
rischen Vernehmlassung erscheint sie in der zweiten
bäudes in einer frühen Konzeptphase am grössten ist;
Hälfte des Jahres 2004.
SNARC vermag beim Vergleich mehrerer Projekte ver-
www.sia.ch/d/praxis/normen/vernehmlassung.cfm
bindliche und nachvollziehbare Aussagen zu machen.
www.nachhaltiges-bauen.ch/forschung/snarc
39
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