Ein Begriff und zwei Beispiele Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der zwar inflationär gebraucht, aber selten genau definiert wird. Die Autoren fassen ihn mittels dreier Aspekte – Gesellschaft, Wirtschaft NACHHALTIGKEIT IM HOCHBAU und Umwelt – und wenden ihn auf zwei gebaute Beispiele an. Text: Hansruedi Preisig, Katrin Pfäffli Nachhaltigkeit ist ein Schlagwort, das zur Legitimation ver- wünschen, engen Kostenrahmen und eingeschränktem krea- schiedener Dinge gebraucht wird. Die bekannte Brundtland- tiven Spielraum; bei den Planenden laufen die Fäden zusam- Definition von 1987 lautet: «Nachhaltige Entwicklung ist men, sie sind prädestiniert dafür, auch die Forderungen der eine Entwicklung, die gewährleistet, dass die Bedürfnisse Nachhaltigkeit mit einzubeziehen. der heutigen Generation befriedigt werden, ohne die Mög- Einerseits gibt es heute auf dem Markt immerhin einige lichkeiten künftiger Generationen zur Befriedigung ihrer brauchbare Instrumente, welche Planende und Investierende eigenen Bedürfnisse zu beeinträchtigen.» Seit dem Rio-Kon- unterstützen und die notwendige Hilfestellung für eine nach- gress 1992 wird das Wort mit den drei Begriffen Umweltver- haltige Planung und Umsetzung leisten (vgl. S. 39); anderer- träglichkeit, Sozialverträglichkeit und Wirtschaftsverträglich- seits, und für die Durchsetzung der Idee nicht weniger wich- keit umschrieben. Es zeigt sich aber, dass zwei Leute, die von tig, gibt es Beispiele von Gebäuden, die explizit mit der Ziel- Nachhaltigkeit sprechen, selten dasselbe meinen. setzung des nachhaltigen Bauens geplant wurden und dieses Während Jahren konzentrierte sich die Forschung und Ziel auch zu einem guten Teil umgesetzt haben. Besonders Umsetzung in der Nachhaltigkeit auf umweltrelevante wichtig sind diese Bauten, weil sie das alte Vorurteil, dass Aspekte (häufig Bauökologie genannt). In diesem Bereich sich vor allem im Umweltbereich nachhaltige Gebäude kaum wurden beachtliche Fortschritte erzielt; die umweltrelevan- durch gute Architektur auszeichnen, gründlich und souverän ten Aspekte des Hochbaus fanden in diversen Publikationen widerlegen. und Lehrgängen ihren Ausdruck, und sie bilden die Grund- Im Folgenden werden wichtige Kriterien aus den drei lage für die Festlegung von Grenzwerten, deren Einhaltung Bereichen Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft näher um- heute darüber entscheiden kann, ob und wie Bauprojekte zur schrieben und jeweils an zwei beispielhaften Bauten illust- Ausführung gelangen. riert. Die beiden Bauten sind einerseits die Genossen- Dem Begriff einer nachhaltigen Entwicklung wird die Re- schaftsüberbauung KraftWerk11 in Zürich (Stücheli Architek- duktion auf den Bereich Umwelt allerdings nicht gerecht. ten mit Bünzli Courvoisier Architekten) und andererseits die Nicht nur die umweltrelevanten, sondern auch die gesell- Überbauungen Balance2 mit Eigentumswohnungen in Walli- schaftlichen und wirtschaftlichen Aspekte sollten in eine ge- sellen, Uster und Fällanden (Haerle Hubacher Architekten/ samtheitlichen Betrachtungsweise integriert sein. Nachhal- Streich AG). Eine umfassende Liste mit Kriterien, Zielformu- tiges Verhalten zeichnet sich durch Interdisziplinarität und lierungen und Leistungsbeschreibungen sind in der neuen durch ein Denken in längerfristigen Zeiträumen aus; insbe- Empfehlung SIA 112/1 enthalten (vgl. S. 39). sondere ist es durch ein Abwägen von sich ergänzenden und sich widersprechenden Forderungen geprägt. Gesellschaft – der Mensch im Zentrum In der Architektur sind es in erster Linie die Planerinnen Dass die soziale Ebene im Hochbau relevant ist, lässt sich und Planer, denen die Aufgabe zukommt, zwischen unter- bereits dadurch illustrieren, dass Menschen in der Schweiz schiedlichen Forderungen abzuwägen und für das konkrete rund 80 Prozent ihrer Lebenszeit in Gebäuden verbringen. Objekt die beste Lösung zu finden. Diese Aufgabe verlangt Nachhaltige Gebäude bieten Sicherheit, Geborgenheit, er- ein hohes Fachwissen und ein Verständnis gegenüber den möglichen durch ihre räumliche Anordnung soziale Kontakte umfassenden Anforderungen des nachhaltigen Handelns. und Integration sowie Rückzug, Regeneration und Identifikation. Es sind Orte, die Menschen unterschiedlichen Alters Die Praxis – eine Kunst und unterschiedlicher Herkunft ein Zuhause zu bieten ver- Die Forderung, dass Planende sich dieser neuen Aufgabe mögen. Entsprechend lassen sich die Kriterien im Gesell- stellen sollten, ist naheliegend. Architektinnen und Archi- schaftsbereich der Nachhaltigkeit unter den Stichworten tekten verwalten ohnehin ein komplexes System von Rah- Gemeinschaft, Gestaltung, Sicherheit und Behaglichkeit zu- menbedingungen, Vorschriften, Empfehlungen, Bauherren- sammenfassen. 34 archithese 4.2004 1 Kraftwerk1 Architektur: Stücheli Architekten, Bünzli Courvoisier Architekten; Auftraggeber: Genossenschaft Kraftwerk1 A Ansicht (Foto: Reinhard Zimmermann) Gemeinschaft steht für den Zugang zu erschwinglichem Wohnraum für Personen in unterschiedlichen Lebensaltern und -situationen sowie aus ethnisch, religiös und sozial unterschiedlichen Gesellschaftsschichten – und für deren Integration. Gemeinschaft steht auch für die Möglichkeit der Begegnung, der Teilnahme an Aktivitäten sowie des Rückzugs und der Regeneration. Geringe Distanzen und eine gute und sichere Erreichbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel B Raumtypen und Infrastrukturbauten für den täglichen Bedarf (Schulen, Einkauf, Erholung usw.) unterstützen eine Vernetzung und zeichnen ein nachhaltig geplantes Gebäude aus. Gestaltung steht für angenehme Raumproportionen und Lichtverhältnisse sowie für gute und stimmungsvolle Räume 1 A mit hoher architektonischer Qualität. Diese Faktoren erlauben es den Benutzerinnen und Benutzern, sich mit den Orten zu identifizieren, sich darin räumlich zu orientieren, ihnen Sorge zu tragen und sich die Gebäude entsprechend durch persönliche Gestaltung anzueignen. Sicherheit und Behaglichkeit schliesslich stehen für Quar- tiere und Gebäude, in welchen sich die Leute sicher und wohl fühlen. Gebäude also, die dank genügend Licht und ausreichendem Luftwechsel, geringer Schadstoffbelastung und wenig Immissionen ein gesundes Umfeld bieten. Zum Beispiel KraftWerk1 Die Genossenschaft KraftWerk1 ist die Umsetzung einer sozialen Utopie. Was auf dem Nährboden der sozialen Unruhen der Achtzigerjahre im Zeichen der Wohnungsnot und des Häuserkampfs geboren, in einer Charta formuliert und über viele Jahre und hindernisreiche Wege 2001 endlich realisiert wurde, ist beispielhaft im gesellschaftlichen Bereich. Die Grundrissdisposition schafft unterschiedliche Wohnungen, von kleinen Einzimmerwohnungen über konventionellere 3- und 4-Zimmerwohnungen bis zu den sogenannten Suiten für 13 Personen, die sich als Wohngemeinschaft eine gemeinsame Küche teilen. Dem Ziel, eine vielfältige, die Welt im Kleinen abbildende Mieterschaft zu gewinnen, wurden viele Entscheidungen zu Grunde gelegt: Damit Personen mit erschwertem Zugang zum Wohnungsmarkt und Personen in einer schwierigen Lebenssituation integriert werden können, wurde beispielsweise ein Solidaritätsfonds angelegt und die Zusammenarbeit mit sozialen Institutionen gesucht. Die Vielfalt der Wohnungen, die Büro- und Gewerberäume, die innen- und aussenräumlichen Möglichkeiten für Begegnungen sowie die Realisierung von Ideen durch Arbeitsgruppen und die Durchführung von Anlässen sind die Voraussetzung dafür, dass Gruppen und Einzelpersonen gleichzeitig und nebeneinander ihre kulturelle Eigenart leben können. Auch das umfangreiche Infrastrukturangebot – es umfasst Waschsalon, Kinderkrippe, Restaurant, Nähatelier, Gästezimmer etc. – unterscheidet KraftWerk1 von anderen Genossenschaftssiedlungen. Nach mittlerweile bald drei Jahren lässt sich vorbehaltlos behaupten, dass das Konzept im 1 B Bereich der sozialen Nachhaltigkeit fast alle Ziele mit Bravour erreicht hat.3 35 Zum Beispiel Balance Zum Beispiel KraftWerk1 Auch beim Beispiel des Wohnparks Balance wurden in der Die Finanzierung der Siedlung KraftWerk1 war ein schwieri- Planungsphase bereits frühzeitig die notwendigen Voraus- ges und heikles Unterfangen, da die Bauherrschaft, die junge setzungen geschaffen, um die Forderungen der Nachhal- Genossenschaft KraftWerk1, kaum eigenes Kapital hatte. tigkeit im Gesellschaftsbereich zu erfüllen. Die geschickte Dennoch gelang es ihr, Partner zu finden, die sich davon über- Situierung der Baukörper, die sorgfältige Architektur und die zeugen liessen, dass die Realisierung ihrer Ideen gut inves- veränderbare Grundrissdisposition erlauben die Nutzung der tiertes Geld sein würde. Geschosswohnungen durch unterschiedlichste Haushaltsfor- Der Standort der Siedlung im äusseren Industriequartier men und für vielfältige Nutzungen. Die Veränderbarkeit der der Stadt Zürich, einem der zentralen und lebendigsten Grundrisse, die Möglichkeit zur Abtrennung einer Einlieger- Entwicklungsgebiete der Stadt, ist ein trendiges Wohnum- wohnung oder die Unterteilung der gesamten Wohnung in feld; die urbane Dichte der Bauten passt zum Standort, die zwei unabhängige Wohnungen, die Mitsprachemöglichkeit vielfältigen Nutzungen – Wohnungen, Büros und Gewer- der Käuferschaft beim Ausbaustandard sprechen unter- beräume, kombiniert mit Infrastrukturen wie Restaurant, Blu- schiedliche Menschen in unterschiedlichen Lebenssitua- menladen, Kinderkrippe und Kinderhort, etc. – befruchten tionen an; dadurch wird eine soziale Vielfalt innerhalb der sich gegenseitig und steigern die Attraktivität des Ortes. Siedlung gefördert. Mitbestimmung und Mitgestaltung präg- Die Betriebskosten werden durch die hohe Kompaktheit ten die gesamte Verkaufspraxis. Auf diese Weise wird er- der Baukörper klein gehalten und dadurch, dass die Bauten reicht, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner mit den den Minergie-Standard erfüllen. Konstruktiv wurde – insbe- Gebäuden identifizieren und dass sie sich diese aneignen; sondere beim Hauptgebäude mit der Klinkerfassade – auf eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sie sich in den Räu- eine hohe Beständigkeit der Materialien geachtet. Ob auch men zuhause fühlen können, ist geschaffen. die Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten niedrig Unterstützt wird die hohe Wohnqualität durch die Skelett- sein werden, wird sich noch erweisen. bauweise und den modularen Aufbau der Fassaden, welche grosse, raumhohe Fensteröffnungen erlauben und damit Zum Beispiel Balance helle, lichtdurchflutete Räume generieren. Die Ausbildung Die Gebäudekörper des Wohnparks Balance gleichen grossen des Umgangs zu einer raumhaltigen Schicht ermöglicht Würfeln. Die hohe Kompaktheit der Bauten hatte tiefere Bau- auf der gesamten Südseite einen grosszügigen Balkon von kosten zur Folge, weil die Fassadenfläche, ein kosteninten- 3 Metern Tiefe. Er lässt sich individuell gestalten und weist sives Bauteil, verhältnismässig klein ausfällt. Sie führt aber einen hohen Erlebnis- und Erholungswert auf. Dank dem auch dank dem verminderten Heizenergiebedarf zu niedri- durch die Bedarfslüftung garantierten Luftwechsel und den gen Betriebskosten. schadstofffreien Materialien dürfen die Räume als eine gesunde Körperumgebung bezeichnet werden. Die Modularität und die einfache Montage der verschiedenen Schichten der Fassade mittels Schraubverbindungen ergeben eine preisgünstige Konstruktion, die kaum Abfälle Wirtschaft – gut investiertes Geld verursacht, neuen Wärmedämmforderungen einfach ange- Wird ökonomisch in längerfristigen Zeiträumen gedacht, passt und am Ende der Lebensdauer wieder auseinander ge- zahlt sich nachhaltiges Investieren auch finanziell aus. Die nommen werden kann. Forderungen betreffen hier insbesondere eine der geplanten Die allseitigen Umgänge verursachen bei der Erstellung Nutzung entsprechende Standortwahl sowie die Wahl einer Mehrkosten. Diese werden jedoch durch die vielfältige Nut- Gebäudestruktur, welche es erlaubt, auf sich verändernde zung als Gerüst bei der Erstellung, als gesicherte Arbeits- Marktbedingungen – das heisst: Raum- und Nutzungsbe- plattform bei periodischen Unterhaltsarbeiten sowie durch dürfnisse – flexibel zu reagieren. Wichtig ist es auch, Wert- den Gewinn an Aussenraum im Balkonbereich kompensiert. und Qualitätsbeständigkeit für die ganze Lebensdauer des Die höhere Anfangsinvestition führt damit zu niedrigen Gebäudes anzustreben. Daher ist es notwendig, die Lebens- Lebenszykluskosten. Die finanzielle «Belastung» für die zyklen von Bauteilen und Materialschichten zu kennen. Diese nächste Generation wird gering gehalten. Da die Fassaden sind je nach ihrer «Lebenserwartung» zugänglich und aus- dank den Umgängen witterungsgeschützt sind und die äus- wechselbar anzuordnen, und die Investitionen sind gezielt serste Schicht aus unterhaltsarmem Glas besteht, sind ge- darauf auszurichten. Nicht zuletzt ist es zentral, dass nicht ringe Unterhaltskosten für die Fassade sicher. Die Fassaden nur die Erstellungs- und die Anlagekosten entscheidend können dank der Umgänge auch laufend kontrolliert und sind, sondern die Kosten für Betrieb, Instandhaltung und In- ohne grossen Aufwand gepflegt werden. standsetzung, welche bereits in der Planung des Gebäudes Die in der Grundrissdisposition vorgegebene konzentrierte gezielt vorbestimmt werden. Niedrige Instandhaltungs- Kernzone erlaubt es, die ganze Haustechnik wirtschaftlich in kosten bedingen kontinuierliche Unterhaltsarbeiten, niedrige einer einzigen Steigzone zu führen. Sie ist direkt zugänglich Instandsetzungskosten eine geschickte Material-, System- und damit auch einfach kontrollier- und auswechselbar. Die und Konstruktionswahl, die sich durch Beständigkeit sowie Konzentration wirkt sich positiv auf die Erstellungskosten durch die gute Zugänglichkeit und die Auswechselbarkeit aus, die gute Zugänglichkeit trägt wesentlich zu geringen In- von Bauteilen auszeichnet. standhaltungs- und Instandsetzungskosten bei. 36 archithese 4.2004 BALANCE XXL BASIC KS BO KS KS BO BO a , 1 Typ Nr. 4 b 2 Balance Architektur: Haerle Hubacher Architekten BSA, Zürich/ Streich AG; Initiator, Auftraggeber, Generalunternehmer: Andreas Streich AG, Zürich A Grundriss mit Unterteilungsvarianten 4 , 0 B Ansicht innerhalb der Siedlung (Foto: René Furrer) KS BO KS BO a b 2 2 A B 37 Umwelt – Denken in Kreisläufen Einen geschickten Schachzug haben die Planerinnen und Im Umweltbereich der Nachhaltigkeit geht es darum, den Planer der Siedlung KraftWerk1 auch für die umweltverträg- Raubbau der nicht erneuerbaren Ressourcen zu vermeiden, liche Abwicklung der Mobilität gemacht: Unmittelbar neben die Regeneration der erneuerbaren Ressourcen zu gewähr- der Siedlung befindet sich eine gut bediente Tramstation, Ve- leisten, die Belastung der Umwelt mit giftigen Abfällen und loparkplätze sind direkt bei den Hauseingängen angeordnet, Rückständen zu reduzieren und die biologische Vielfalt zu er- und in der Tiefgarage des Hauptgebäudes stehen drei Car- halten. Betrachtet wird die gesamte Lebensdauer von Hoch- Sharing-Autos zur Verfügung: Dank einem Kollektivvertrag bauten, angefangen bei der Produktion der Baustoffe über die mit der Firma Mobility haben die Genossenschafterinnen und Erstellung und den Betrieb bis hin zum Rückbau. Genossenschafter einen wesentlich vergünstigten Zugang Zentral und noch zu wenig beachtet ist der Energiever- zu dieser Dienstleistung. brauch für die Herstellung und den Transport von Baumaterialien, die sogenannte graue Energie (vgl. «Begriffe, Fakten, Zum Beispiel Balance Zahlen», S . 14). Sie hat beinahe dieselbe Grössenordnung wie Durch die kompakte Gebäudeform ergibt sich sowohl für die die Energie, die für den Betrieb eines Gebäudes über dessen Herstellung als auch für den Betrieb des Gebäudes ein gerin- ganze Nutzungsdauer – eine Generation, also ca. 30 Jahre – ger Material- und Energieverbrauch. benötigt wird. Der Bau von kompakten Volumen, der Verzicht Die Aussenwandkonstruktion hat ein gutes Wärmedämm- auf Unterniveaugaragen (insbesondere im Grundwasserbe- vermögen. Dieses kann zudem auf verblüffend einfache Art reich) und auf aufwändige Glas- und Metallfassaden senken und Weise neuen Forderungen angepasst werden: Die hinter den Bedarf an grauer Energie massgeblich. der Verglasung zur «Wärmepufferung» angeordneten Kar- Die Betriebsenergie lässt sich wiederum über eine kompakte tonwaben lassen sich in Zukunft durch ein hochwärmege- Bauweise und eine gut wärmegedämmte Aussenhülle niedrig dämmtes neues System wie VIP (vgl. «Zukunftsorientierter halten. Der Energiebedarf für Warmwasser und Elektrizität Altbau», S . 40) einfach ersetzen. Die hohe Trennbarkeit er- kann durch bauliche und haustechnische Vorkehrungen und laubt es, Schichten der Aussenwand nicht nur kostengüns- konzeptionelle Massnahmen nur bedingt gesenkt werden, der tig, sondern auch wenig umweltbelastend auszuwechseln Einfluss der Benutzerinnen und Benutzer ist erheblich. und am Ende der Lebensdauer wieder zurückzubauen. Die Gebäude sind so zu konstruieren, dass Komponenten mit verwendeten Materialien sind rezyklierbar und können prob- einer kürzeren Lebensdauer sich auf einfache Art und Weise lemlos wieder in den Stoffkreislauf eingespeist werden: Die auswechseln lassen. Dies ist nicht nur kostengünstiger, son- Rohstoffe für die Dämmung aus Zellulosefasern und die hin- dern erspart aufwändige und umweltbelastende Sanierungs- ter Glas geschützten Kartonwaben sind gut verfügbar; na- arbeiten. Zudem ist darauf zu achten, dass alle Bauten einmal türliche Ressourcen werden geschont. wieder zurückgebaut werden müssen: Ein Rückbau sollte so Das kompakte Gebäude besetzt auf der Parzelle wenig erfolgen können, dass sich die Materialien einfach trennen Fläche und lässt viel Umraum frei, der als Grünfläche einen und wieder verwenden lassen und nicht als Sondermüll in der wertvollen Lebensraum darstellt und die biologische Vielfalt Deponie entsorgt werden müssen. unterstützt. Die Stahlkonstruktion der Umgänge kann be- Kompakte Häuser haben neben den geringeren Erstellungskosten sowie dem geringeren Energieverbrauch in der grünt werden, für die Natur wird damit wertvoller Lebensraum geschaffen. Erstellung und im Betrieb auch den positiven Effekt, dass sie weniger überbaute Grundstücksfläche benötigen – und damit mehr Bodenfläche für eine naturnahe und sickerfähige Aussenraumgestaltung freilassen. Zum Beispiel KraftWerk1 Die Genossenschaft KraftWerk1 hatte sich Forderungen aus Autoren: Hansruedi Preisig ist Dozent an der Zürcher Hochschule Winterthur und Inhaber eines Architekturbüros in Zürich. Er ist in diversen SIA-Kommissionen tätig, unter anderem für SIA 112/1 «Nachhaltiges Bauen – Hochbau». Katrin Pfäffli ist Architektin und arbeitet als Projektleiterin im Architekturbüro Viridén + Partner AG in Zürich sowie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Hansruedi Preisig. dem Umweltbereich der Nachhaltigkeit von Anfang an auf die Fahne geschrieben und das Ziel eines exemplarischen Baus nie aus den Augen verloren. Den Lebenszyklen der einzelnen Bauteile und der grauen Energie wurde Beachtung geschenkt. Das Hauptgebäude der Siedlung KraftWerk1 ist nicht nur sehr kompakt, sondern wurde auch gemäss dem Minergie-Standard gebaut und mit einer dicken Wärmedämmung und einer kontrollierten Lüftung mit Wärmerückgewinnung ausgestattet. Die Versorgung mit «umweltfreundlicher» Energie ist durch den Anschluss an das Fernwärmenetz der Stadt Zürich sichergestellt. Rund 10 Prozent des Strombedarfs der Siedlung werden durch eine eigene Fotovoltaik-Anlage auf den Hausdächern produziert. 38 archithese 4.2004 Anmerkungen 1 tec21, Nr. 42, Sondernummer KraftWerk1, 19. Oktober 2001. www.kraftwerk1.ch 2 tec Dossier Minergie, Beilage zu Heft 26/2003; archithese, Januar 1998. www.wohnpark-balance.ch 3 Gewohnte Utopien – die innovativen Siedlungen KraftWerk1 und Regina-Kägi-Hof in Zürich, Bericht zur Erstevaluation, ETH Zürich, Departement Architektur, ETH Wohnforum, Januar 2004. Weiterführende Literatur, Planungsinstrumente Planerinnen, Planern und Baufachleuten stehen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsforderungen diverse Instrumente zur Verfügung. Nach wie vor ist der Bereich Umwelt am besten bestückt, für die Bereiche Gesellschaft und Wirtschaft fehlen griffige Instrumente noch weitgehend. köb – Koordinationsgruppe Ökologisches Bauen: SNARC www.eco-bau.ch Die Methode «SNARC – Systematik zur Beurteilung der KBOB – Koordination der Bau- und Liegenschaftsorgane Nachhaltigkeit von Architekturprojekten für den Bereich des Bundes: www.kbob.ch Umwelt» ist das Ergebnis einer angewandten Forschung BWO – Bundesamt für Wohnungswesen: an der Zürcher Hochschule Winterthur. Sie wurde von öf- www.wohnen-nachhaltigkeit.ch fentlichen Bauherren, privaten Investoren sowie dem SIA novatlantis Nachhaltigkeit im ETH-Bereich: und dem CRB mitgetragen und begleitet. Die Kommis- www.novatlantis.ch sion für Technologie und Innovation (KTI ) des Bundes ZEN – Zentrum für Energie und Nachhaltigkeit: hat sie mitfinanziert. www.empa.ch/zen SNARC enthält ausschliesslich gebäudenahe Kriterien Ökologische Baukompetenz. Handbuch für die aus dem Umweltbereich, soweit sie in der Konzeptphase kostenbewusste Bauherrschaft, von Architekturprojekten schon bekannt sind. Kriterien, Werd Verlag, d/f/i/e, 1999 welche erst in der Ausführungsphase relevant werden, Hansruedi Preisig, Katrin Pfäffli: «Theoretisch sind wie beispielsweise der Einsatz von Materialien wie sich alle einig», NZZ 25. 11. 2003, oder: Chrom (erhebliche Gewässerbelastung und Bodenkonta- www.hansruedipreisig.ch/publikationen/index.html mination), sind nicht Gegenstand von SNARC, da im Zeitpunkt der Konzeptphase ein solcher Bezug zum Pro- Empfehlung SIA 112/1 «Nachhaltiges Bauen – Hochbau» jekt noch nicht hergestellt werden kann. Die Empfehlung SIA 112/1 «Nachhaltiges Bauen – Hoch- Die SNARC-Kriterien betreffen die Bereiche Grundstück, bau» ist ein Instrument für die Bestellung und Erbrin- Ressourcenaufwand für Erstellung und Betrieb sowie gung spezieller Planerleistungen für ein nachhaltiges Funktionstüchtigkeit. Sie beziehen sich auf einen Le- Bauen in den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Um- benszyklus von 30 Jahren. Das mag für den Rohbau eines welt. Gebäudes kurz erscheinen, ist jedoch in Bezug auf das Sie enthält 35 relevante Kriterien wie Integration/Durch- Vorsorge- und Verursacherprinzip gerechtfertigt. mischung, Lebenszykluskosten und graue Energie. Jedes In einer zweijährigen Testphase sind im Rahmen von Kriterium ist mit einer Zielvereinbarung und Leistungs- mehr als 30 Wettbewerben und Studienaufträgen etwa beschrieben versehen, die helfen, die angestrebten Ziele 200 Konzepte von Architekturprojekten nach SNARC be- umzusetzen. Die Beschreibungen der Leistungen sind in urteilt worden. Dabei hat sich das Instrument als hilf- der Reihenfolge der Phasen der SIA-Ordnung 112 «Leis- reich erwiesen. Weder die Vielfalt der Lösungen noch die tungsmodell» aufgeführt, beginnend bei der strategi- kreativen Spielräume sind beeinträchtigt worden. Das schen Planung über die Phasen Vorstudien, Projektie- Instrument wurde in der Folge noch einmal überarbeitet rung und Ausschreibung bis hin zur Realisierung. Sie und gestrafft, die Anzahl der Kriterien stark reduziert werden ergänzt durch spezielle Hinweise zur Schnitt- und Kriterien im Ermessensbereich nicht mehr quantita- stelle der Phase Bewirtschaftung. Angaben zu Werkzeu- tiv, sondern qualitativ erfasst. gen und Hilfsmitteln sowie Literaturhinweise und Bei- Entstanden ist ein taugliches Instrument zur Prüfung der spiele helfen, die vereinbarten Leistungen zu erbringen. Umweltaspekte der Nachhaltigkeit, das sich für die Beur- Die Erarbeitung der Empfehlung wurde durch die Bun- teilung von Architekturprojekten in der Konzeptphase desämter ARE, BBL, ASTRA, BUWAL, BWO, BAV und BFE eignet. Unbestritten ist, dass der Handlungsspielraum massgeblich unterstützt. Nach einer gesamtschweize- und der Einfluss auf die Umweltauswirkung eines Ge- rischen Vernehmlassung erscheint sie in der zweiten bäudes in einer frühen Konzeptphase am grössten ist; Hälfte des Jahres 2004. SNARC vermag beim Vergleich mehrerer Projekte ver- www.sia.ch/d/praxis/normen/vernehmlassung.cfm bindliche und nachvollziehbare Aussagen zu machen. www.nachhaltiges-bauen.ch/forschung/snarc 39