Evangelische Kirche 24. März 2006 Berlin

Werbung
Evangelische Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
Georgenkirchstraße 69/79
10249 Berlin
24. März 2006
Stellungnahme
für den Ausschuss für Wirtschaft und Forschung des Abgeordnetenhauses von Berlin
zur Frage der
Liberalisierung der embryonalen Stammzellforschung
Ethische Grundlagen der biomedizinischen Debatte
Der medizinische Fortschritt gehört zu den großen Errungenschaften unserer Zeit. Insbesondere die biomedizinische Forschung stellt eine große Herausforderung dieses Jahrhunderts
dar. Damit verbinden sich auch Hoffnungen, Menschen besser helfen zu können. Aus christlicher Sicht ist die Heilung eines Menschen ein besonders hohes Gut. Die Evangelische Kirche in Deutschland teilt die Hoffnung auf Fortschritt in der Medizin und unterstützt alle Bemühungen darum. Gleichzeitig bedarf diese Hoffnung einer realistischen und kritischen
Sicht, denn die Möglichkeiten zur Heilung von Krankheiten sind nicht grenzenlos gegeben.
Gesundheit ist ein hohes Gut und doch kann es nicht das höchste sein. An höchster Stelle
steht aus christlicher Überzeugung immer das Heil des ganzen Menschen. Der Umgang mit
der Krankheit ist Teil einer Lebensaufgabe, die es zu bewältigen gilt. Hier bedarf es zusätzlich zur medizinischen Hilfe der Beratung und Begleitung. Gleichzeitig ist auch auf eine
Grenze unseres Handelns hinzuweisen, die auch für die medizinische Forschung gilt. Nicht
alles, was möglich ist, ist ethisch auch verantwortbar – je umfangreicher die Möglichkeiten,
desto größer wird die Verantwortung. Positive Ziele (Forschung und Heilung) rechtfertigen
nicht jeden Weg. Auch der Weg selbst muss ethisch vertretbar sein. Der Respekt vor dem
Leben des anderen ist eine Grenze, die nie überschritten werden darf, weder aus wirtschaftlichen Gründen noch aus Gründen des Wettbewerbs. Auf dieser Grundlage ist das Verhältnis
des biblischen Tötungsverbots und der Ethik des Helfens zu klären. Dort, wo um des Fortschritts Willen menschliches Leben beschädigt oder gar vernichtet wird, überschreitet die
medizinische Forschung die ethische Grenze, da Leben nicht gegen Leben verrechnet werden darf. Der Freiraum der Bio- und Gentechnologie findet seine Grenze am absoluten Wert
des Menschen, der Menschenwürde.
Die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen ist auf den Verbrauch, also auf Tötung menschlicher Embryonen angewiesen
Medizinisch gibt es erste Ergebnisse, die zu manchen Hoffnungen in der Stammzellforschung berechtigen. Fachleute warnen aber vor übertriebenen Erwartungen; die Möglichkeiten und Grenzen seien noch nicht erkennbar. Die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen hat zur Folge, dass diese verbraucht, d.h. vernichtet werden. Dem Embryo, der bereits
alle Anlagen des Menschseins hat, kommt wie einem geborenen Menschen eine Würde zu.
Nach christlicher Auffassung ist es deshalb nicht zulässig, die Forschung an menschlichen
embryonalen Stammzellen oder Stammzelllinien ethisch zu akzeptieren. Dem trägt auch das
1990 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Embryonenschutzgesetz Rechnung, das
-2-
-2bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Einzelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an unter unbedingten Schutz stellt. Stammzellengewinnung von einem erwachsenen Menschen, sog. adulte Stammzellen, oder aus dem Blut der Nabelschnur sind dagegen ethisch unbedenklich. Sie schädigen niemanden und vernichten kein menschliches Leben.
Der Hinweis, dass „überzählige“ Embryonen aus der In-vitro-Fertilisation ohnehin vernichtet
werden und deshalb für Zwecke der Forschung und Therapie zu nutzen seien, ist ebenfalls
kritisch zu beurteilen. Dadurch wird menschliches Leben als Ersatzteillager benutzt und damit als bloßes Mittel zum Zweck missbraucht. Das deutsche Embryonenschutzgesetz verlang deshalb, dass alle zu Reproduktionszwecken hergestellten Embryonen auch tatsächlich
für diesen Zweck verwendet werden.
Klonierungstechnik
Die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken ist abzulehnen. Sie ist als Verdinglichung anzusehen, die dem Wesen des Menschen und seines Lebens eklatant widerspricht
und damit den Gedanken der Menschenwürde grundsätzlich in Frage stellt. Damit wird nicht
bestritten, dass durch Forschung an embryonalen Stammzellen u.U. wichtige Einsichten für
neue therapeutische Möglichkeiten gewonnen werden könnten. Bestritten wird jedoch, dass
dies in ethischer Hinsicht eine akzeptable Begründung für die Erzeugung und den Verbrauch
von Embryonen sein könnte. Bei dem beschönigend und irreführend als „therapeutisches“
Klonen bezeichneten Verfahren, der Züchtung von menschlichen Embryonen, um sie danach
zu „therapeutischen“ Zwecken zu vernichten, wird der Embryo als „Rohstofflager“ für kranke
oder alte Menschen instrumentalisiert. Eine solche Instrumentalisierung von embryonalen
Menschen ist nicht zu rechtfertigen. Ein vermeintlicher therapeutischer Nutzen ist bis heute
noch nicht erwiesen. Deshalb ist eher vom „Forschungsklonen„ anstelle von „therapeutischem“ Klonen zu sprechen.
Das tragende Argument für die Ablehnung des Forschungsklonens liegt in der Auffassung,
dass menschlichen Embryonen Lebensrecht und Menschenwürde von Anfang an zukommen
und sie deshalb keinesfalls für Forschungszwecke – und seien sie noch so plausibel – hergestellt und vernichtet werden dürfen. Die Evangelische Kirche in Deutschland unterstützt
die gemeinsame Empfehlung des Nationalen Ethikrates, das Forschungsklonen in Deutschland nicht zuzulassen. Das „Forschungsklonen“ kommt unweigerlich auch dem reproduktiven
Klonen zugute und unterläuft somit auch alle internationalen Bestrebungen, das reproduktive
Klonen zu ächten.
Das reproduktive Klonen ist Menschenzucht und wird daher strikt abgelehnt. Dies entspricht
einer nahezu einhelligen Urteilsbildung weltweit und wird so auch in kirchlichen Stellungnahmen vertreten. Die Evangelische Kirche in Deutschland unterstützt Bemühungen um eine
Konvention auf UN-Ebene zum Verbot des Fortpflanzungsklonens.
Helfen und Heilen um jeden Preis?
Eine Ethik des Helfens und Heilens würde sich selbst diskreditieren, wenn sie für Mittel des
Helfens und Heilens plädieren würde, die ethisch nicht vertretbar sind. Helfen und Heilen
können nicht um jeden Preis geschehen.
-3-
-3In der bioethischen Debatte stehen sich nicht wissenschaftliche oder wirtschaftliche Interessen auf der einen und ethische Position auf der anderen Seite gegenüber. Es sind eher die
ethischen Maßstäbe und Argumente selbst, die strittig sind. Die bioethische Debatte bietet
der Gesellschaft eine hervorragende Gelegenheit, sich über so grundlegende Fragen wie
das Verständnis des Menschen zu verständigen.
Wer sich bezüglich des Helfens und Heilens ganz und gar von den Impulsen des Mitleids
bestimmen lässt, steht in der Gefahr, das Tötungsverbot klein zu reden oder zu verdrängen.
Der Schutz menschlichen Lebens stellt ein vorrangiges moralisches und verfassungsrechtliches Gebot dar.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Auseinandersetzung mit dem Argument, die
verbrauchende Embryonenforschung sei verfassungsrechtlich deshalb vertretbar, weil Artikel
2 des Grundgesetzes Eingriffe in das Recht auf Leben und unter bestimmten Voraussetzungen sogar die Tötung von Menschen zulasse. Richtig ist, dass der Grundsatz „Jeder hat das
Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ durch einen Gesetzesvorbehalt eingeschränkt ist: In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Jedoch
lässt unser Recht die Tötung von Menschen nur zu, um ein anderes akut bedrohtes Leben
gegen den Angreifer, von dem eine Gefahr ausgeht, zu retten. Von Embryonen geht aber in
der Regel keine Gefahr aus. Sie sind vielmehr selbst von Anfang an im höchsten Maße gefährdet.
„Es gibt Raum diesseits des Rubikon“ (Johannes Rau)
Es gibt Situationen, in denen auf bestimmte Wege der Entwicklung bewusst verzichtet werden muss und es gibt Grenzen, die zu respektieren sind, auch, „wenn man dadurch auf bestimmte Vorteile verzichten muss“. Die Stammzellforschung liegt auch in Deutschland nicht
brach, wenn die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen eingeschränkt wird.
Auch die Forschung an adulten Stammzellen hat ein großes Potential. Es gibt genug Raum
dafür, ohne dass Forschung und Wissenschaft sich auf ethisch bedenkliche Felder begeben
müssen.
Die im Vorfeld der Entscheidung über das Stammzellgesetz im Jahre 2002 geführte Debatte
führte zu einer gesetzlichen Regelung, die Forschungsklonen ausschließt und nur sehr begrenzte und stark reglementierte Forschung mit bereits bestehenden embryonalen Stammzelllinien aus dem Ausland ermöglicht. Dafür wurde das Instrument einer Stichtagsregelung
eingeführt; es kann von unterschiedlichen ethischen Ausgangspunkten aus mitgetragen werden und sollte deshalb beibehalten werden. Bisher erschienene Stammzellberichte machen
deutlich, dass es weder aus rechtlichen noch aus wissenschaftlichen Gründen einer Novellierung bzw. Erweiterung der Gesetzgebung im Bereich der embryonalen Stammzellforschung bedarf.
Im Auftrag
Dr. h.c. Volker Faigle
Oberkirchenrat
Ausschuss-Kennung : WissForschgcxzqsq
Herunterladen