Abschnitt | 1 1 ARKTIS 26 MITTELMEERR AU M NÖRDLICHE G R E AT P L A I N S 5 27 C H I H UA H UA WÜSTE K ARIBIK 28 29 25 31 C H O C O - DA R I É N A M A ZO N A S B E C K E N G A L A PAG O S INSELN TROPISCHE ANDEN PA N TA N A L UND CERRADO 30 33 32 AT L A N T I S C H E R R E G E N WA L D 34 VA L D I V I AR E G E N WA L D 10 NAMIB UND K AROO BAIK ALSEE 15 K A R PAT E N 3 K AU K A S U S STEPPEN ZENTR ALASIENS 2 14 4 AMURREGION 16 D O N AU D E LTA HIMALAJAREGION 13 Die letzten Naturparadiese 6 17 H O C H L A N D VO N ÄT H I O P I E N M E KO N G G E B I E T VIRUNGAVULK ANE 19 8 KO N G O B E C K E N 7 KO R A L L E N D R E I E C K 9 18 NEUGUINEA S U M AT R A UND BORNEO 20 S AVA N N E N U N D M I O M B OWÄ L D E R P O LY N E S I E N 23 12 G R E AT BARRIER REEF M A DAG A S K A R S Ü DW E S TAU S T R A L I E N 21 11 K APREGION NEUSEELAND 22 A N TA R K T I S 35 24 Inhalt EINFÜHRUNG | 7 Die Schatzkammern der Erde 01 | 11 Ein Paradies für Extremisten: Arktis Europa 02 | 23 Zwischen Europa und Asien: Kaukasus 03 | 29 Eldorado für Raubtiere: Karpaten 04 | 37 Schilfröhricht und Sandsteppen: Donaudelta 05 | 43 Uraltes Kulturland: Mittelmeerraum Afrika 06 | 55 Auf dem Dach Afrikas: Hochland von Äthiopien 07 | 63 Eine grüne Apotheke: Kongobecken 08 | 71 Gorillas im Krieg: Virunga-Vulkane 09 | 79 Das Reich der Elefanten: Savannen und Miombowälder 10 | 91 Die Wüste lebt: Namib und Karoo 11 | 97 Botanische Schatzkammer: Kapregion Südafrikas 12 | 103 Eine Insel für halbe Affen: Madagaskar Asien 13 | 113 Im Land der Himmelsgöttin: Himalajaregion 14 | 119 Platz für Wanderer: Steppen Zentralasiens 15 | 125 Die Perle Sibiriens: Baikalsee 16 | 131 Tiger, Leoparden und Walnüsse: Amurregion 17 | 137 Delfine und Co.: Mekonggebiet 18 | 141 Die Heimat der Waldmenschen: Sumatra und Borneo 19 | 149 Vielfalt unter Wasser: Korallendreieck Ozeanien 20 | 157 Ein Platz für Exzentriker: Neuguinea 21 | 167 Eukalyptus und Beuteltiere: Südwest-Australien 22 | 173 Die Welt der Vögel: Neuseeland 23 | 181 Superlativ im Meer: Great Barrier Reef 24 | 189 Atolle der Südsee: Polynesien 25 | 197 Ziegen oder Schildkröten: Galapagosinseln Amerika 26 | 207 Eine Welt aus Gras: Nördliche Great Plains 27 | 213 Wo der Kuckuck rennt: Chihuahua-Wüste 28 | 219 Feinschmecker vertilgen Invasoren: Karibik 29 | 225 Glückliche Lücke im Verkehr: Choco-Darién 30 | 231 Zwischen Gletschern und Regenwald: Tropische Anden 31 | 239 Regenwald auf dem Trockenen: Amazonasbecken 32 | 247 Geschrumpftes Paradies: Atlantischer Regenwald 33 | 253 Geflutete Steppe: Pantanal und Cerrado 34 | 259 Relikt aus der Urzeit: Valdivia-Regenwald 35 | 265 Der Eisschrank der Erde: Antarktis I M P R E S S U M | 272 Die Schatzkammern der Erde „Wir sind hier in dem göttlichsten und vollsten Land“, schrieb Alexander von Humboldt 1799 an seinen Bruder Wilhelm. „Wunder­ bare Pflanzen, Zitteraale, Tiger, Armadölle, Affen, Papa­geien … Welche Bäume! Kokospalmen, 50 – 60 Fuß hoch!“ Gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Aimé Bonpland versuchte der Natur­ forscher damals, die reiche Tier- und Pflan­zenwelt im heu­ti­gen Venezuela zu erkunden – ein schwieriges Unterfangen: „Wie die Narren laufen wir bis jetzt umher; in den ersten drei Tagen können wir nichts bestimmen, da man immer einen Gegenstand wegwirft, um einen anderen zu ergreifen. Bonpland versichert mir, dass er von Sinnen kommen werde, wenn die Wunder nicht bald aufhören.“ Heutige Wissenschaftler würden die Schauplätze ihrer For­ schung wohl nicht ganz so überschwänglich beschreiben. Doch die Faszination ist geblieben. Noch immer bietet die Erde Land­ schaften voller einzigartiger Tiere und Pflanzen. Die Vielfalt reicht von üppigen Regenwäldern bis zu kargen Wüsten, von bunten Korallenriffen bis zu glitzernden Eis­welten. In jedem dieser Lebensräume verbergen sich noch zahllose unentdeckte Arten und ungelöste Rätsel. Doch ihre Erforschung ist oft ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn der Mensch bringt viele dieser Ökosysteme samt ihrer Bewohner in massive Schwierigkeiten. Und damit gefährdet er letztlich auch sein eigenes Überleben. Was also sollte man unbedingt retten? Wo liegt das bio­lo­gi­ sche Tafelsilber der Erde? Vor diesen schwierigen Fragen stehen Wissenschaftler und Naturschutzorganisationen wie der WWF, die sich für die Erhaltung der wertvollsten Lebensräume der Welt engagieren. Sie orientieren sich dabei unter anderem an der Gefährdung des jeweiligen Gebietes, seiner Artenvielfalt und der Zahl der nur dort vorkommenden Tiere und Pflanzen. Je nachdem, welche dieser Kriterien man wie stark gewichtet, kommt es bei der Auswahl der besonders schützenswerten Naturparadiese zu etwas unterschiedlichen Grenzziehungen und Ranglisten. Es würde sich sicher lohnen, alle ausge­wähl­ten Kan­ didaten näher kennenzulernen. Doch wie jede Reise muss sich auch dieses Buch auf ein paar Ziele beschränken. Seine Bilder und Texte stellen daher 35 jener Regionen vor, die der WWF als biologische Schatz­­kam­mern identifiziert hat. In großen Schlei­fen führt diese Ent­deckungs­reise rund um die Welt: ins Reich der Eisbären im hohen Norden und in die Hochburgen der euro­päischen Raub­ tiere, zwischen die trampelnden Hufe der riesigen Tierherden in der afri­kani­schen Savanne und zu den Orang-Utans auf Su­ matra und Borneo, die sich manchmal so verblüffend menschlich verhalten. Dann geht es in die Unter­w asserwelt des australi­ schen Great Barrier Reef und in die unüber­schau­bare Vielfalt der südamerikani­schen Regen­wälder. Und schließlich in einen der härtesten Lebensräume, die der Planet überhaupt zu bieten hat: die Antarktis. Auch in den entlegensten dieser Regionen hinterlässt der Mensch inzwischen seine Spuren. Doch nicht immer muss das für die dort lebenden Tiere und Pflanzen in einer Katastrophe enden. Zwar werden die Listen der bedrohten Arten immer länger. Naturschützer haben aber auch Erfolgsgeschichten zu erzählen. Von Lebensräumen, die doch noch gerettet werden konnten und von bedrohten Arten, die sich wieder vermehren. Der Kampf um die Naturschätze der Erde ist oft zäh und lang­­­ wierig. Doch er lohnt sich. Damit die Wunder eben nicht so bald aufhören und auch noch unseren Nachfahren erhalten bleiben. Kurz nach Sonnenaufgang hängt der Morgennebel noch in den Wipfeln des artenreichen Regenwalds von Borneo. Naturparadiese | 7 Ein Paradies für Extremisten: 01 | Arktis USA RUSSL AND K A N A DA G RÖ N L A N D S K A N D I N AV I EN Polarmeer, Tundra T I E R E Eisbär, Rentier, Ringelrobbe P F L A N Z E N Arktische Weide, Polar-Birke G E F Ä H R D U N G Der Klimawandel lässt das Packeis schmelzen und zerstört so das Jagdrevier der Eisbären und die Kinderstuben verschiedener Robben. Auch die Algen im Meer und die von ihnen abhängigen Nahrungsketten leiden unter den steigenden Temperaturen. LEBENSR AUM Ganz im Norden unseres Planeten liegt eine lebensfeindliche Welt. Das Nordpolarmeer, das von den kontinentalen Rändern Europas, Nordamerikas und Asiens eingefasst wird, präsentiert sich selbst im Sommer in seiner kalten Pracht voller Eisberge und Eisschollen. Im Winter verschwindet das Polarmeer größtenteils unter einem meterdicken Panzer aus Packeis. Und auch an Land sieht die Arktis nicht viel einladender aus: Weite, baumlose Tundren, auf denen Flechten, Moose und nur zentimeterhohe Zwergsträucher wie Polar-Weiden und Polar-Birken wachsen. Kahle Berghänge, schroffe Felsen und Gletscher – ein Schlaraffenland stellt man sich anders vor. Doch genau das ist die Arktis für viele Tiere. Denn das Meer vor ihren Küsten ist zwar kalt, dafür aber besonders nährstoffreich. Daher wimmelt es von Algen, die ein Heer von „Krill“ genannten Krebsen und anderen Kleintieren ernähren. Damit ist der Tisch auch für Fische wie Hering und Kabeljau, Seevögel wie den Eissturmvogel und verschiedene Walarten reich gedeckt. Und es gibt genügend Robben als Beute für die Symboltiere der Arktis – die Eisbären. Oft lauern diese massigen Raubtiere stundenlang vor einem Loch im Packeis, bis ein potenzielles Opfer kurz zum Atmen auftaucht. Dann schlagen sie blitzschnell zu. In neun von zehn Fällen entkommt ihnen die Beute allerdings. Bis ein junger Bär bei der Robbenjagd nennenswerte Erfolge erzielt, muss er mehr als zwei Jahre lang trainieren. Während männliche Eisbären als Einzelgänger durch die Gegend streifen, bleiben Weibchen daher lange Zeit an der Seite ihres Nachwuchses. Sie säugen ihn bis zum Alter von zweieinhalb Jahren und beaufsichtigen seine Ausbildung zum Robbenfang-Experten. Ob die alten Jagdstrategien in Zukunft überhaupt noch funktionieren werden, ist allerdings fraglich. Denn die Arktis gehört zu den Lebensräumen der Erde, die sich im Zuge des Klimawandels am stärksten verändern. Polarforscher sehen bereits einen deutlichen Trend zu immer weniger Eis auf dem Nordpolarmeer. Besonders in den Jahren 2007 und 2012 hatte das Meereis eine extrem geringe Ausdehnung. Und so gut wie alle Klimamodelle prognostizieren, dass die Arktis weiter auftauen wird. Schon heute aber fehlt vor allem den relativ weit im Süden lebenden Bären im Sommer das Packeis für die Robbenjagd. Etwa vier Monate lang müssen sie daher an Land auf Nahrungssuche gehen und sich mit kleinen Säugetieren und Vögeln, mit Gras, Beeren oder Müll aus den Siedlungen begnügen. Da diese Fastenzeit immer länger wird, haben vor allem Eisbärenmütter Die größten Landraubtiere der Erde sind die Eisbären (Ursus maritimus). Sie werden bis zu 3,40 Meter lang und bis zu 800 Kilogramm schwer. Arktis | 11 Arktis und Jungtiere immer schlechtere Überlebenschancen. Das hat bereits Folgen für die Bestände, zeigt eine Ende 2014 veröffentlichte Studie des U.S. Geological Survey und verschiedener anderer US-amerikanischer und kanadischer Forschungseinrichtungen. Demnach ist die Zahl der Eisbären in der südlichen Beaufortsee vor Kanada und Alaska in nur neun Jahren um etwa 40 Prozent gesunken. Lebten dort im Jahr 2001 noch rund 1500 der weißen Raubtiere, waren es 2010 nur noch 900. Unter dem Rückzug des Eises werden aber auch viele andere Arktisbewohner wie Ringelrobben und Walrosse zu leiden haben, die auf dem Packeis ihre Jungen zur Welt bringen. Wenn das Meereis verschwindet, dürften zudem die Bestände der Algen und Kleintiere schrumpfen, sodass viele Arten ihre Lebensgrundlage verlieren. Selbst Rentiere, die überhaupt nicht auf Eis angewiesen sind, könnten zu den Verlierern der Erwärmung gehören. Wenn nämlich im Winter mehr Regen auf den Schnee der Tundra fällt und zu einer harten Eisdecke gefriert, sind die darunter verborgenen Flechten und Moose unerreichbar für ihre hungrigen Mäuler. Auch die „Vegetarier des hohen Nordens“ könnten dann künftig häufiger mit leerem Magen dastehen. Eine Art, die mit dem Klimawandel wohl massive Probleme bekommen wird, ist die Ringelrobbe (Pusa hispida). Denn sie braucht das Eis nicht nur als Ruheplatz, sondern zieht auch ihren Nachwuchs auf dem gefrorenen Panzer des Nordpolarmeeres und der nördlichen Ostsee auf. An Land kommen die bis zu 100 Kilogramm schweren Tiere so gut wie nie. Arktis | 13 Den größten Teil ihres Lebens verbringen Eissturmvögel (Fulmarus glacialis) über dem Meer. Endlos segeln sie über den Wellen des Nordatlantiks und des Nordpazifiks und fangen Fische, Krebse, Schnecken und andere Wassertiere. An Land kommen sie vor allem zur Familiengründung. Ihre Brutkolonien liegen auf Felsinseln und an Steilküsten, wo sie aggressiv ihre Nester verteidigen. Über den Alltag der bis zu acht Meter langen und 2,5 Tonnen schweren Grönlandhaie (Somniosus microcephalus) wissen Biologen noch nicht sehr viel. Ein besonders hektisches Leben scheinen sie jedenfalls nicht zu führen: Mit Spitzengeschwindigkeiten von nicht einmal drei Kilometern pro Stunde sind sie die langsamsten aller Haie. Sie leben vor allem in den arktischen Regionen des Nordatlantiks. Männliche Narwale (Monodon monoceros) tragen einen bizarren, schraubenförmigen Stoßzahn mit sich herum, der bis zu drei Meter lang und zehn Kilogramm schwer werden kann. In vielen Teilen Europas wurden diese vergrößerten Eckzähne seit dem Mittelalter als Stirnwaffen der legendären Einhörner gehandelt. Da man ihnen sowohl magische als auch medizinische Kräfte zuschrieb, wurde ihr Gewicht vielfach in Gold aufgewogen. Ein weiterer typischer Wal der arktischen Gewässer ist der nahe verwandte Beluga (Delphinapterus leucas), der wegen seiner abwechslungsreichen Gesänge als „Kanarienvogel der Meere“gilt. Um sich möglichst ungesehen an seine Beute heranpirschen zu können, hat der Polarfuchs (Vulpes lagopus) im Sommer ein bräunliches und im Winter ein weißes Fell. Diese Tarnung nutzt der flinke Jäger, um Lemminge und andere Nagetiere zur Strecke zu bringen. Viel Deckung bietet sein Lebensraum in der Tundra nämlich nicht. Schließlich gibt es dort keine Bäume und die Sträucher erreichen nur Zwergenstatur. Die Arktische Weide (Salix arctica) zum Beispiel wird meist nicht höher als 15 Zentimeter. Diese zähe Pflanze wächst sogar im äußersten Norden Grönlands und damit weiter nördlich als jedes andere Gehölz. Über die Tundra und durch die Taiga im Norden Eurasiens und Nordamerikas sowie über etliche Inseln im hohen Norden streifen die in Herden lebenden Rentiere (Rangifer tarandus). Ihre Nahrung besteht aus Gras, Flechten, Moosen und Pilzen. Rentiere sind die einzigen Hirsche, die der Mensch domestiziert hat. Genutzt werden vor allem Fleisch, Fell und Geweihe, doch auch als Milchlieferanten, Lastenträger und Zugtiere lassen sie sich einsetzen. Sie waren schon Weggefährten von längst ausgestorbenen Eiszeittieren wie Mammut und Wollnashorn: die Moschusochsen (Ovibos moschatus). Gegen die Kälte schützen sie sich mit mehr als einen halben Meter langen Deckhaaren und weicher, isolierender Unterwolle. Ihre Hufe sind im Winter so rutschfest wie Schneeschuhe und ihre Pupillen können sie fast komplett schließen, um nicht schneeblind zu werden. Der Speiseplan der Polarfüchse (Vulpes lagopus) ist reichhaltig, fressen sie doch fast alles, was ihnen vor die Schnauze kommt – von selbst erlegten Nagetieren über die Beutereste von Polarwölfen bis hin zu angeschwemmten Fischen. Auch Vögel, Küken und Eier verschmähen sie nicht. Arktis Vom Menschen geprägt: Europa In Europa hat der Mensch besonders deutliche Spuren in der Natur hinterlassen. Im Laufe der Jahrhunderte hat er nicht nur etliche Tierarten ausgerottet, sondern auch riesige Wälder gerodet oder völlig umgestaltet. Er hat Felder und Viehweiden geschaffen, Moore trockengelegt und Flüsse begradigt. Unberührte Wildnis findet man nur noch in wenigen europäischen Regionen. Trotzdem gibt es noch viele faszinierende und artenreiche Landschaften. Und etliche Tiere wie Wolf und Bär, Luchs und Biber sind dabei, einen Teil ihrer ehemaligen Lebensräume zurückzuerobern. K ARPATEN DONAUDELTA K AUK A SUS MIT TELMEERR AUM Europa | 21 Zwischen Europa und Asien: 02 | Kaukasus RUSSL AND S C H WA R ZE S M EER G EO RG I EN K A S PI S C H E S M EER A R M EN I EN TÜRKEI A S ER B A I D S C H A N IR AN Hochgebirge, Wälder, Halbwüsten, Steppen T I E R E Kaukasus-Leopard, West- und Ostkaukasischer Steinbock P F L A N Z E N Kaukasus-Rhododendron, Krim-Lilie G E F Ä H R D U N G Große Waldbereiche werden gerodet, um Holz zu gewinnen und Platz für Siedlungen, Straßen und Talsperren zu schaffen. Wilderer schießen zudem etliche Tierarten bis hin zum vom Aussterben bedrohten Kaukasus-Leoparden, dessen Fell eine begehrte Jagdtrophäe ist. LEBENSR AUM Der Kaukasus ist vor allem als politisches Pulverfass bekannt, in dem immer wieder Gewalt und bewaffnete Konflikte auf­ flammen. Naturschützer und Ökologen aber sehen an dieser Nahtstelle zwischen Europa und Asien etwas ganz anderes: eine biologische Schatzkammer, die so vielfältig ist wie kaum ein anderes Gebiet in den gemäßigten Breiten. Denn auf der gebirgigen Landenge zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer finden sich die unterschiedlichsten Landschaften. Da ragen im Norden die mehr als 5000 Meter hohen Gipfel des Großen Kaukasus mit ihren Gletschern, alpinen Wiesen und Gebirgswäldern empor. Der Kleine Kaukasus im Süden dagegen bietet Wälder und Wiesen auf sanften Hügeln. Im Westen liegt die fruchtbare Ebene der Kolchis, in deren günstigem Klima zahlreiche Pflanzen die letzte Eiszeit überdauert haben. Den Osten prägen weitläufige Steppen und Halbwüsten. Mehr als hundert verschiedene Landschaftstypen können Ex- perten im Kaukasus unterscheiden. Ob Hochgebirgstiere oder Küstengewächse – irgendwo in diesem vielfältigen Mosaik unterschiedlichster Lebensräume finden sie alle ihr Auskommen. Da wundert es nicht, dass der Kaukasus als eine der artenreichsten Regionen der Erde gilt. In dem Gebiet, das mit 500 000 Quadratkilometern Fläche ungefähr so groß wie Spanien ist, wachsen allein 6500 Arten von höheren Pflanzen. Deutschland muss sich dagegen mit rund 4100 begnügen. Und es sind keineswegs nur Allerweltsgewächse, die Botaniker im Kaukasus finden: Etwa ein Viertel der dortigen Pflanzen wie der Kaukasus-Rhododendron, die Krim-Lilie oder das Kaukasus-­Vergissmeinnicht kommen von Natur aus nirgendwo sonst auf der Erde vor. Auch die Tierwelt hat solche einzigartigen Vertreter zu bieten. Da gibt es zum Beispiel die Darevski-Kreuzotter, die nur in einem wenige Hundert Quadratkilometer großen Gebiet im Hochland des südlichen Kaukasus lebt. Oder den Westkaukasischen und Der mehr als 4000 Meter hohe Berg Dombai-Ulgen im Großen Kaukasus ist das ganze Jahr hindurch von Schnee und Gletschern gekrönt. Europa | 23 Kaukasus den Ostkaukasischen Steinbock, die über die Felsklippen und Steilhänge des Gebirges klettern. Andere Arten beschränken sich zwar nicht auf den Kaukasus, sind vielerorts aber längst verschwunden. Dazu gehören zum Beispiel Wölfe, Bären und Luchse, aber auch etliche Huftiere wie die Bezoarziege, die Kropfgazelle oder der Wisent. Zudem ist der Kaukasus eine beliebte Raststation für Zugvögel. Abertausende von Kranichen, Pelikanen, Gänsen und Enten machen in den Flussauen, Feuchtgebieten und Mooren Station, um sich auszuruhen und Kraft für den Weiterflug anzufressen. Die prominenteste Tierart der Region aber ist der Kaukasus-­ Leopard. Eigentlich galt diese einzige europäische Leoparden-­ Unterart schon in den 1960er-Jahren als ausgestorben. Doch im Jahr 2001 machten sich WWF-Mitarbeiter um den russischen Leopardenexperten Victor Lukarevsky systematisch auf die Suche nach Spuren und Kot der gefleckten Katze – mit Erfolg. Nach ihren Feldstudien in den Jahren 2001 bis 2006 schätzen die Naturschützer, dass es noch zwischen 40 und 65 Tiere gibt. Nicht viel, aber immerhin: Europas Leopard hat vielleicht doch noch eine Überlebenschance. Im Kaukasus leben etliche weltweit einzigartige Tiere wie die Kaukasus-Otter (Vipera kaznakovi) oder der Kaukasus-Leopard (Panthera pardus saxicolor). Diese einzige europäische Leoparden-Unterart ernährt sich vor allem von Huftieren wie Bezoarziegen, Hirschen und Rehen. Vielerorts sind ihre Beutetiere allerdings knapp geworden. Zudem leiden die stark gefährdeten Katzen unter Wilderei und dem Verlust ihrer Lebensräume. 24 | Europa Im Kaukasus sucht der Berggimpel (Carpodacus rubicilla) auf Höhen zwischen 2500 und 3500 Metern über dem Meeresspiegel nach Samen, Beeren und Insekten. Im Himalaja kommt der echte Hochgebirgsbewohner sogar noch viel weiter oben zurecht. Im Winter muss er allerdings in tiefere Lagen ausweichen. Zu seinen Nach­­­barn gehört zum Beispiel der Westkaukasische Steinbock (Capra caucasica), der an Steilhängen und auf Felsklippen in Höhen zwischen 800 und 4200 Metern lebt. Selbst die Jungtiere dieser massigen, bis zu 100 Kilogramm schweren Ziegenverwandten klettern dort schon äußerst geschickt durch das anspruchsvolle Gelände. Seinem westlichen Verwandten ist der Ostkaukasische Steinbock (Capra cylindricornis) äußerlich sehr ähnlich. Allerdings unterscheidet er sich genetisch deutlich von diesem und hat zudem einen kürzeren Bart und größere Hörner. Während dieser Kopfschmuck bei den Weibchen nur etwa 30 Zentimeter lang wird, erreicht er bei den Männchen eindrucksvolle Dimensionen von bis zu einem Meter Länge. Zu den kleinen Raubtieren, die durch den Kaukasus streifen, gehört zum Beispiel das Hermelin (Mustela erminea). Diese Marder, die ohne Schwanz gut 30 Zentimeter lang und bis zu 360 Gramm schwer werden können, sind geschickte Jäger. Abgesehen haben sie es vor allem auf kleine Säugetiere wie Ratten und Mäuse. Doch auch Vögel und deren Nachwuchs verschmähen sie nicht.