Erneuerung - Bundesamt für Energie BFE

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Peter Schürch | Dieter Schnell
Erneuerung
Nachhaltiges Weiterbauen
Inhalt
Weiterbauen im 21. Jahrhundert
3
1. Ziele nachhaltigen Weiterbauens
11
2. Architektonische Wertschätzung
21
3. Analyse
25
4. Planungsprozesse, Strategie und Kommunikation 31
5. Ökonomische Nachhaltigkeit
35
6. Gebäudehülle
41
7. Schallschutz
59
8. Tragwerk
65
9. Altlasten, Bauschadstoffe, Materialkonzepte,
Systemtrennung
73
10. Sicherheit und Brandschutz
81
11. Energiekonzepte
85
12. Gebäudetechnik
93
13. Aussenraum
103
14. Beispiele
109
15. Anhang
139
Impressum
Erneuerung – Nachhaltiges Weiter­
bauen
Herausgeberin: Fachhochschule Nord­
west­schweiz, Institut Energie am Bau
Autoren: Peter Schürch und Dieter Schnell
mit Beiträgen von Aleksandar Backovic’,
Alfred Breitschmid, Klaus Eichenberger,
Urs-Thomas Gerber, Niklaus Hodel,
Philippe Lustenberger, Hansruedi Meyer,
Heinz Mutzner und Jürg Tschabold.
Projektleitung: Fachhochschule Nord­
westschweiz; Institut für Energie am Bau,
Muttenz; Armin Binz, Barbara Zehnder
Lektorat und Seitenherstellung: Faktor
Journalisten AG, Zürich; Othmar Humm,
Christine Sidler
Diese Publikation ist Teil der Fachbuchreihe
«Nachhaltiges Bauen und Erneuern».
Grundlage bilden die Zertifikatskurse des
Masterstudienganges «Energie und Nach­
haltigkeit am Bau» (www.enbau.ch), ein
Weiterbildungsangebot von fünf schwei­
zerischen Fachhochschulen. Die Publika­
tion wurde durch das Bundesamt für Ener­
gie BFE / EnergieSchweiz und die Konfe­
renz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK)
finanziert.
Bezug: Als Download (kostenfrei) unter
www.energiewissen.ch oder als Buch
beim Faktor Verlag, [email protected] oder
www.faktor.ch
Oktober 2011. ISBN: 978-3-905711-13-4
Einleitung
Weiterbauen im 21. Jahrhundert
Dieter Schnell
Peter Schürch
Weiterbauen war bis zu Beginn des zwan­
zigsten Jahrhunderts eine oft benutzte
und als selbstverständlich empfundene
Möglichkeit, ein Gebäude zu erweitern
oder den veränderten Bedürfnissen anzu­
passen. Zum einen erlaubten die ökono­
mischen Verhältnisse bei neuen Raumbe­
dürfnissen meist nicht den Abbruch und
einen Neubau, sondern bloss die Erweite­
rung und Ergänzung, zum andern scheint
aber auch das ganz bewusste und gezielte
Weiterverwenden von überkommenen
Bauten gepflegt worden zu sein. Der revo­
lutionäre Impetus der Modernen Architek­
tur, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg
entwickelt worden war, liess die Architek­
ten ein Weiterbauen als halbherzig und
mutlos empfinden. In der Folge ging die
alte Tradition des qualitätsvollen Weiter­
bauens verloren, die Architekten überlie­
ssen das Feld den Baumeistern und Bau­
zeichnern. So kommt es, dass eine Vorge­
hensweise, die einst selbstverständlich
auch von namhaften Architekten prakti­
ziert worden ist, heute als anspruchsvolle
Aufgabe neu entdeckt werden muss.
Durch die Verknappung von wichtigen
Ressourcen, durch den Klimawandel,
durch gesellschaftliche Trends und neue
gesetzliche Vorschriften, aber auch durch
steigende Komfortansprüche sind Gebäu­
deeigentümer heute aufgefordert, ihre
Bauten vorausschauend zu unterhalten
und schrittweise und mit hohen qualitati­
ven Ansprüchen in die Zukunft zu führen.
Weiterbauen, so verstanden, ist nicht
mehr ein anspruchsloses, von Beginn weg
auf fragwürdige Kompromisse angeleg­
tes, notdürftiges Zurechtbiegen eines in
die Jahre gekommenen Gebäudes, son­
dern eine grosse Herausforderung, die
vom Architekten erstens ein integrales
Verständnis für das Bestehende, zweitens
die virtuose Beherrschung der aktuellen
Techniken und Vorgaben der Nachhaltig­
keit sowie drittens eine hohe Innovations­
bereitschaft abverlangt. Der hohe Grad an
Innovation begründet sich erstens durch
die sehr hohen Anforderungen an ein
nachhaltiges Gebäude, zweitens durch
die Einzigartigkeit jeder derartigen Auf­
gabe und drittens durch den hohen ästhe­
tischen Anspruch, dem jedes Konzept des
Weiterbauens auch zu genügen hat. Die­
ser Anspruch begründet sich aus der Tat­
sache, dass Bauten, die als unattraktiv
oder gar durch spätere Eingriffe beein­
trächtigt erscheinen, nicht nur eine ge­
ringe Wertschätzung geniessen, sondern
auch viel rascher wieder als erneuerungs­
bedürftig betrachtet werden.
Das Buch versucht einen umfassenden
Blick auf das Thema; tagesaktuelle The­
men stehen nicht im Vordergrund. Es ist
auch kein Rezeptbuch für den Umgang
mit Vorschriften und Standards. Im Zent­
rum steht vielmehr der Blick auf grössere
Zusammenhänge. Dazu gehören gleicher­
massen sozio-kulturelle als auch methodi­
sche, ökonomische, ökologische als auch
technische und physikalische Fragen, die
sowohl in der Ausgangssituation als auch
für das geplante Konzept zu stellen sind.
Das wichtigste methodische Grundprinzip
ist die Teamarbeit. Diese wird nicht nur
immer wieder postuliert und als erfolgver­
sprechende Vorgehensweise empfohlen,
sondern selbstverständlich auch auf das
Buch selber angewandt. Die Projektleiter
und Hauptautoren unterrichten seit Jah­
ren gemeinsam Architekturstudierende an
der Berner Fachhochschule in Burgdorf.
«Gemeinsam» ist insofern wörtlich zu
nehmen, als an dieser Schule sehr viel Un­
terricht im Team erteilt wird, was viele in­
terdisziplinäre Gespräche ermöglicht.
Auch die meisten beigezogenen Autoren
fachspezifischer Kapitel stammen aus
dem Umfeld dieser Architekturausbil­
dungsstätte und gehören damit auch au­
sserhalb dieses Buchprojekts zum erwei­
terten Feld interdisziplinärer Zusammen­
arbeit. Für einige Kapitel zeichnen zudem
mehrere Autoren, die, stets mit unter­
schiedlichem Fachhintergrund, in enger
Zusammenarbeit den Text verfasst haben.
4
Weiterbauen im 21. Jahrhundert
Der Aufbau des Buches dokumentiert zum
einen das Anliegen, analytische, methodi­
sche und technische Elemente nebenein­
ander zu stellen und gleichgewichtig zu
behandeln, zum andern sind die Themen
in eine Reihenfolge gebracht, die in etwa
die Reihenfolge der auftauchenden Fragen
bei einem konkreten Projekt des Weiter­
bauens wiedergibt. Den Anfang machen
die Analysen, es folgen die Methoden und
danach die technisch-konstruktiven The­
men. Den Abschluss des Buches bilden
acht Beispiele, die stellvertretend für häu­
fige Aufgaben stehen und – vielleicht ab­
gesehen von allfälligen kleinen Problemen,
die überall auftreten – als positive und
glückliche Lösungen bezeichnet werden
können.
Das Weiterbauen an bestehenden Bau­
werken verlangt mit den aktuellen Zielset­
zungen neue, umfassende Konzepte und
angemessene Projekte. Konzepte sollen
die nötige Offenheit und Flexibilität auf­
weisen, um zu ei­
nem späteren Zeit­
«Offensichtlich ist das Schlüssel­
punkt auf Verände­
problem der Menschheit in diesem
rungen reagieren
Jahrhundert, wie man die Lebens­
zu können. Heute
qualität verbessern kann, ohne gleich­
sind eine präzise
zeitig die Umwelt zu zerstören.»
Analyse, eine Wert­
Edward O. Wilson, Biologe
schätzung der Bau­
substanz, eine de­
taillierte Diagnose der Bauwerke mit Ein­
bezug der Umgebung und der Aussen­
raumgestaltung gefragt. Daraus sind die
wirtschaftlich, gesellschaftlich, energe­
tisch, technisch und architektonisch rele­
vanten Aspekte herauszuarbeiten und
neue ganzheitliche, langfristige, vielleicht
auch radikale Lösungen zu entwickeln.
Dazu sind schlüssige Konzepte – möglichst
in Varianten – notwendig, welche die pro­
jektspezifischen Zielsetzungen erfüllen.
Bauwerke sollen integral betrachtet, archi­
tektonisch qualitätsvoll und sensibel im
Kontext zum Bestehenden, allenfalls durch
Weiterentwicklung von traditionellen res­
pektive regionalen Bauweisen, aber immer
unter Berücksichtigung gesellschaftlich re­
levanter Aspekte projektiert und realisiert
werden. Dieser ganzheitliche Ansatz ver­
langt von Planenden, sich einzulassen auf
zusätzliche Kriterien, neue Prozesse, spezi­
fische Rahmenbedingungen und an­
spruchsvolle Teamarbeit.
Ein altes Gebäude ist bereits ein differen­
ziertes System, welches auf Veränderun­
gen hochsensibel reagiert. Entsprechend
wichtig ist die adäquate, am bestehenden
Objekt orientierte Denk- und Planungs­
weise.
5
Gebäudeerneuerung
Lösungsstrategien
Peter Schürch
In erster Linie fordern wir gute, zeitgenös­
sische und qualitätsvolle Architektur, wel­
che städtebauliche, räumliche und archi­
tektonische Kriterien ebenso erfüllt wie die
Postulate der Nachhaltigkeit. Die Empfeh­
lung SIA 112/1 Nachhaltiges Bauen –
Hochbau, ergänzt mit vergleichbaren
Grundlagen der DGNB oder Leed, zusam­
men mit Zielsetzungen der Auftraggeber
oder projektspezifischen Aufgabenstellun­
gen kann als Basis für eine Zieldefinition
von Weiterbauprojekten dienen. Die Be­
achtung dieser Kriterien verhindert keines­
wegs «schlechte» Architektur, sondern sie
trägt dazu bei, in der Analyse und im Pla­
nungsprozess angewendet, dass die Pro­
jekte in die Tiefe und Breite entwickelt
werden und schärfer nachgedacht wird.
Die Planenden sind gefordert, ihre Kreati­
vität und Sensibilität gegenüber dem Be­
stehenden einzubringen und aus der Fülle
der Anforderungen ein kohärentes über­
zeugendes Projekt zu entwickeln.
Das Projekt berücksichtigt zudem die be­
stehenden baulichen, örtlichen, funktio­
nalen und gesellschaftlichen Qualitäten
oder Parameter. Architektur schaffen ist
auch ein interdisziplinärer Prozess. Identifi­
kationsstiftende, architektonisch wertvolle
Zeugnisse unserer Geschichte mit viel­
schichtigen räumlichen Qualitäten sind
sorgfältigst umzunutzen. Wissen und
Kompetenzen über energieeffiziente Ge­
bäude und Quartiere oder über Städtebau
sind genauso einzubringen wie die Fähig­
keit, Mobilität effektiver und emissionsarm
zu ermöglichen. Oft finden sich Zusatznut­
zen und Mehrwerte, die über die eigentli­
che Erfüllung der Aufgabe hinausgehen.
Planerische Offenheit
Konzepte sollen die nötige Offenheit und
Flexibilität aufweisen, um permanent auf
Veränderungen reagieren zu können. Da­
mit diese geforderten relevanten Leistun­
gen in einem vielleicht überbestimmten
System auch in der alltäglichen Weiterbau­
aufgabe erbracht werden können, soll die­
ser gesamtheitlichen Planerkompetenz
mehr Wert beigemessen werden. Es lassen
sich kaum sämtli­
che Problemstellun­ «Das Weiterbauobjekt ist in erster
gen in einem Pro­ Linie im lokalen Kontext zu betrach­
jekt umfassend lö­ ten; dieser Ansatz bewahrt vor
sen – ein enormer Architekturmoden und unangemes­
Anspruch an heu­ senen Lösungen. Das Bauen im
tige
Architektur­ Kontext stellt sich innerhalb freiwilli­
schaffende.
Viel­ ger Bindung an die bereits vor­
mehr gilt es, be­ handene Gegebenheit des Ortes
wusst Prioritäten zu immer auch die Frage nach der
setzen, Rahmenbe­ Ver­änderung sowie der Entwicklung
dingungen zu klä­ neuer Bautypen. Topos und Typus
ren und einen ge­ waren und sind noch immer die Ur­
wissen Mut zur Lü­ quellen der Architekturform.»
cke zu haben.
Gion Caminada
Ein Projekt oder ein
Konzept entwickelt sich aus den vorgege­
benen Zielen und architektonischen Über­
legungen:
]]Wie kann am Gebäude weitergebaut
werden, ohne Wertvolles zu zerstören?
]]Alte Gebäude sind Teil unserer Ge­
schichte und Kultur und sollen nicht hinter
Dämmschichten verschwinden.
]]Welche Konzepte und Konstruktionen
bieten sich für die Gebäudehülle an?
]]Welche räumlichen Eingriffe sind ange­
messen?
]]Tragendes architektonisches Konzept,
Idee?
]]Ist ein Ersatzneubau ein möglicher Lö­
sungsansatz?
]]Was sind Prioritäten des Auftraggebers?
Eine genaue Analyse und Auswertung der
Aufgabenstellung und der zur Verfügung
stehenden Ressourcen, eine langfristige
Betrachtungsweise sowie die Abschätzung
von Chancen und Risiken führen zu klaren
Entscheidungsgrundlagen. Heute sind
öko­nomische, zukunftsfähige, energieeffi­
ziente und auch ästhetisch überzeugende
Weiterbaulösungen gefragt. Empfehlens­
wert sind gut verortete und durchdachte
Gesamtkonzepte mit langfristigen Zielset­
zungen, welche modular umgesetzt wer­
den können.
6
Weiterbauen im 21. Jahrhundert
Abbildung 1: Die
fünf aufgeführten
Varianten unter­
scheiden sich in der
Eingriffstiefe, von
links nach rechts
nimmt das Volumen
der Massnahmen
natürgemäss zu.
Varianten des Weiterbauens
1. Pinselrenovation und Mängelbehe­
bung: Tiefe Baukosten, dadurch kurze
Amortisationszeiten. Keine Werterhal­
tung, keine langfristige Perspektive. Ge­
samtkonzept nicht notwendig. Aufwand
der einzelnen Massnahmen stark be­
schränken. Fazit: Nur sinnvoll, wenn spä­
tere Nutzung unklar. Kurzfristige Lösung
nicht ökonomisch, nicht nachhaltig!
2. In Etappen modernisieren: Relativ
hohe Baukosten verteilen sich auf die
Etappen während mehreren Jahren (bis zu
25 Jahren); Konzept der Modernisierung
muss sich auf alle Etappen beziehen. Ein­
zelne Etappen nicht isoliert planen. Die
beiden Varianten «in Etappen» und «Ge­
samt» sind in den einzelnen Massnahmen
gleichwertig – es gibt keine Alternative
zum guten professionellen Bauen.
3. Gesamtmodernisierung: Teure, aber
langfristig günstigere Variante, da lange
Amortisationszeiten möglich sind. Ge­
samtkonzept Bedingung: Unterstützung
durch Architekten und Technikplaner. Die
beiden Varianten «in Etappen» und «Ge­
Sanierung: fünf Varianten
Entscheid fürs Weiterbauen
Analyse
Baurechtliches
Potenzial
Beurteilung
Bausubstanz
Immaterielle Werte
Nutzungspotenzial
Wirtschaftliches
Potenzial
Gebäudetechnik
Innenraum
4. Projektspezifische
Lösung
5. Ersatzneubau
Zielsetzungen
Nutzung zukunfts­
fähig
Architektonische Idee,
Angemessenheit
Gebäudehülle
Variantenstudien
1. Pinselrenovation
2. In Etappen
modernisieren
3. Gesamtmoderni­
sierung
Entscheid nachhaltige Kriterien SIA 112/1
Projektierung und Realisierung
Erfolgskontrolle
7
Gebäudeerneuerung
samt» sind in den einzelnen Massnahmen
gleichwertig – es gibt keine Alternative
zum guten professionellen Bauen.
4. Projektspezifische Lösung: Transfor­
mation, Anbau, Teilumbau, Modernisie­
rung, etc. Es gilt, ein schlüssiges pro­
jektspezifisches Gesamtkonzept zu entwi­
ckeln, welches aus einer Mischung von
verschiedenen Massnahmen besteht.
5. Ersatzneubau: Die Lage auf dem Woh­
nungsmarkt ist langfristig schwer einzu­
schätzen. Die Gesellschaft verändert sich
und damit die Ansprüche an den Wohn­
raum. Heute brauchen weniger Leute
mehr Wohnfläche und diese soll vielseitig
und flexibel genutzt werden können.
Wenn der Grundriss eines Ein- oder Mehr­
familienhauses nicht mehr zeitgemäss ist,
die Bausubstanz sowie die Anlagen sanie­
rungsbedürftig sind und auch der Schall­
schutz ungenügend ist, macht es Sinn,
über einen Neubau nachzudenken.
Ein Neubau bietet mehr Spielraum: Einer­
seits kann die Ausnutzung erhöht werden,
was zu besseren Erträgen führt. Anderer­
seits schafft man mit modernem Wohn­
raum neue Nachfrage. Dadurch kann ein
Quartier aufgewertet und die Siedlungs­
entwicklung positiv beeinflusst werden.
Ein Neubau kann auch aus architektoni­
scher Sicht ein Gewinn sein.
Welches Weiterbauprojekt?
Unterschiedliche Lösungsstrategien als
Chance: Die Erarbeitung von unterschied­
lichen Projektansätzen verlangt Rechen­
schaft über kurz-, mittel- und langfristig
erforderliche Massnahmen. Dabei gilt es,
die Zielsetzungen, die Rahmenbedingun­
gen, die Qualitäten und allfällige Mehr­
werte zu bewerten und zu analysieren.
]]Beizug von Fachleuten
]]Variantenstudien
]]Architektonische Qualität, Atmosphäre,
Dichte
]]Machbarkeitsstudien mit Kosten- und Er­
tragsschätzungen
]]Ökonomische Risiken mit einer seriösen
Kostenerfassung abschätzen
]]Langfristig tiefer Energieverbrauch, um
weitestgehend unabhängig von den Preis­
schwankungen der Energieträger zu sein.
]]Nutzung erneuerbarer Energien
]]Beitrag zur Biodiversität
]]Schlüssiges Wassermanagement (Nut­
zung von Grauwasser, Schmutzwasser, Re­
genwasser)
]]Qualitätsvoller Aussenraum
Sonnenkollektoren
Photovoltaik
Sonnenkollektoren
Photovoltaik
Sonnenkollektoren
Photovoltaik
W rmebr cke
Photovoltaik
Sonnenkollektoren
DG
OG
D mmperimeter
OG
D mmperimeter
Sonnenkollektoren
Photovoltaik
W rmebr cke
DG
EG
W rmebr cke
EG
UG
UG
Sonnenkollektoren
Photovoltaik
Sonnenkollektoren
Photovoltaik
Photovoltaik
Sonnenkollektoren
DG
OG
EG
Dämmperimeter
D mmperimeter
OG
EG
UG
UG
Abbildung 2:
Beispiel für ein Vari­
antenstudium.
8
Weiterbauen im 21. Jahrhundert
Mögliche Lösungsansätze beschränken
sich zukünftig nicht ausschliesslich auf das
einzelne Bauwerk, sondern beziehen sich
übergreifend auf ein Quartier, eine Sied­
lung oder gar auf eine Region. Dabei sind
auch radikale Lösungen anzudenken, die
vielleicht von einer starken Peripherie und
impulsgebenden Zentren ausgehen, die
eine Schweiz der Regionen und damit ihre
vielfältige und reiche Baukultur erhält. Den
weiter gebauten Werken sollte man anse­
hen, dass umsichtige Personen am Werk
waren, die das Vorgefundene behutsam
und respektvoll in die Zukunft überführen.
Praxisrelevantes: Frühzeitige Kontakt­
aufnahme mit Unternehmern und ande­
ren Fachleuten, um die Bausubstanz zu
analysieren, lohnt sich. Unternehmerwis­
sen ist gefragt und soll auch angemessen
entschädigt werden.
Es gilt, den Prozess und die Rahmenbedin­
gungen immer wieder klug zu hinterfra­
gen:
]]Macht sich langfristiges Denken bezahlt?
]]Die Energiekosten in den nächsten Jahr­
zehnten im Griff?
]]Kann der gewählte Baustoff einfach er­
setzt oder repariert werden?
]]Der Schnittstellenproblematik ist bei Um­
bauten grosse Aufmerksamkeit zu schen­
ken.
]]Bilden die Unterhaltskosten ein Risiko?
]]Höhere Wohnqualität bei gleichzeitig ge­
ringeren CO2-Emissionen?
]]Authentisches Wohnen?
]]Das Gebäude, das Quartier, die Stadt als
Kraftwerk – autonom und postfossil?
]]Nachhaltig geplant und qualitätsvolle,
gelungene Weiterbauobjekte?
]]Gebäude produzieren die nötige Mobili­
tätsenergie für die Bewohner gleich mit?
]]Integrative Solarpanels als Ausrüstung
von Bauten?
Ausführungsphase, Realisierung: Diese
Phase erfordert grosse Sorgfalt aller Betei­
ligten, gilt es doch, auf die vorhandenen
Baukonstruktionen Rücksicht zu nehmen,
auf bauliche Überraschungen angemessen
zu reagieren sowie im Projektablauf rasch
und umsichtig Entscheide zu fällen.
Kommunikation: Um die Ziele des zu­
kunftsfähigen Weiterbauens zu erreichen,
ist der Kommunikation grosse Beachtung
zu schenken. Alle am Prozess Beteiligten,
Auftrageber, Planende und Denkmalpfle­
ger, Bauingenieure und Unternehmer soll­
ten den Dialog über die Aufgabenstellung
und die Lösungen führen und auch kont­
roverse Diskussionen austragen. Heute fi­
nanzieren, planen und bauen wir die Ge­
bäude, auch für das «postfossile» Zeital­
ter.
Langfristige Betrachtungsweisen führen zum Erfolg
Bei Investitionen für Sanierungen handelt
es sich um Investitionen in die Zukunft.
Diese sollen intensiv und transparent dis­
kutiert werden. Erfolgreiche Weiterbau­
planungen sind komplexe Prozesse, bei
denen zu Beginn sehr wichtige Entschei­
dungen getroffen und Rahmenbedingun­
gen vereinbart werden. Eine genaue Ana­
lyse und Auswertung der Aufgabenstel­
lung und der zur Verfügung stehenden
Ressourcen, eine langfristige Betrach­
tungsweise sowie die Definition der Chan­
cen und Risiken führen zu klaren Entschei­
dungsgrundlagen.
Heute sind innovative, kreative gesamt­
heitliche und ästhetisch überzeugende
Weiterbau- und Sanierungsstrategien ge­
fragt, um dies zu erreichen sind alle Betei­
ligten in der Bauplanung aufgerufen, sich
dieser Herausforderung zu stellen.
Empfehlenswert sind überzeugende Ge­
samtkonzepte, welche verortet und durch­
dacht sind, langfristige Zielsetzungen auf­
weisen und modular umgesetzt werden
können. Wichtig ist, die aufgeführten As­
pekte, Kriterien und Systemgrenzen konti­
nuierlich zu hinterfragen und immer wie­
der neu zu schärfen. Die Erarbeitung von
unterschiedlichen Projektansätzen ver­
langt Rechenschaft über kurz-, mittel- und
langfristig erforderliche Massnahmen.
Gebäude als System
Alte Gebäude sind hochdifferenzierte Sys­
teme, welche auf Veränderungen sensibel
reagieren. Es gilt vieles im Blick zu behal­
ten, gut zu analysieren und Entscheide auf
transparenten Kriterien nachhaltigen Bau­
Abbildung 3:
Erneuerung der
Siedlung Heuried
in Zürich von
Adrian Streich.
(Foto: Roger Frei)
9
Gebäudeerneuerung
10
Weiterbauen im 21. Jahrhundert
ens zu begründen. Nachhaltigkeit in der
Architektur soll nicht länger eine leere
Worthülse bleiben, sondern als ein wichti­
ger Bestandteil der Planungsmethoden
konkret umgesetzt werden. Energieeffizi­
enz steht heute im Fokus aller Bauprojekte
und ist eine Zielsetzung des ressourcenbe­
wussten Bauens, jedoch wäre es ein gro­
sses Versäumnis, sich ausschliesslich auf
diesen Aspekt zu konzentrieren. Architek­
tonische Qualitäten
«Die entwerfenden Architekten, die
sollen keineswegs
sich dem Projektieren im Bestand
dem Wärmedämm­
verschreiben, sollten nicht grundsätz­
wahn geopfert wer­lich andere Aufgaben übernehmen
den, auf der ande­
als bei einem Neubau. Die Beurteilung
ren Seite soll eine
des Bestehenden, das Erkennen von
vertiefte Auseinan­
wirtschaftlichen, ökologischen und ar­
dersetzung mit dem
chitektonisch vertretbaren Verände­
Thema Energieeffi­
rungsmöglichkeiten, die Kenntnis über
zienz und Behag­
das Alterungsverhalten von Bautei­
lichkeit Dämmstra­
len, Neugier und Freude am bereits Getegien und kluge
bauten wird wichtig. Gesucht sind
Energiekonzepte
deshalb entwerfende Architektinnen,
ein­schliessen.
die autonom und flexibel in der Lage
Das Wissen und die
sind, Erneuerungskonzepte zu entwiKompetenzen über
ckeln und die Ergebnisse den Bestel­
energieeffiziente
lern erfolgreich zu kommunizieren. Die­Gebäude, Quartiere
se Arbeit kann in einem kleinen Team
oder
Städtebau
– in dem ein Generalist eine zentrale
sind genauso vor­
Rolle spielt – erfolgreich abgewickelt
handen wie die Fä­
werden.»
higkeit, die Mobili­
Jürg Gredig, Martin Halter, Urs Hettich,
tät effektiver und
Niklaus Kohler
emissionsarm zu er­
möglichen. Heute
finanzieren, planen und bauen wir die Ge­
bäude für das «nachfossile» Zeitalter.
Denn die grossen Zeiträume, die für un­
sere gebaute Umwelt üblicherweise gel­
ten, erlauben kein Zuwarten.
Ökonomie
Rückkoppelung durch Kostenerfassung
und ein Überprüfen der Angemessenheit
gehört zum nachhaltigen Bauen. Damit
diese geforderten relevanten Leistungen in
einem – vielleicht überbestimmten – Sys­
tem auch in der alltäglichen Weiterbau­
aufgabe (lowend segement) erbracht wer­
den, soll dieser gesamtheitlichen Planer­
kompetenz mehr Wert beigemessen wer­
den. Leistung soll ihren Preis haben dürfen.
Kulturelle Leistung und ästhetische
Qualität
Das Dazwischen und Undefinierte, das Un­
bewusste und Wahrgenommene gibt der
Architektur ihren Gehalt. Letztlich sollen
auch Weiterbauprojekte mit einer hohen
gestalterischen Qualität überzeugen. Um
dies zu erreichen, ist eine bessere Kommu­
nikation unter all den am Bauprozess Be­
teiligten und eine konkrete, forschere Um­
setzung des vorhandenen Know-hows
über energieeffizientes Bauen – ohne Ab­
striche bei der architektonischen Qualität
– zu wünschen. Mögliche Lösungsansätze
beschränken sich nicht ausschliesslich auf
das einzelne Bauwerk, sondern betreffen
ein Quartier oder eine Siedlung, mitunter
eine ganze Region. Dabei sind auch radi­
kale Lösungen anzudenken, die vielleicht
von einer starken Peripherie und impulsge­
benden Zentren ausgehen, die eine
Schweiz der Regionen entstehen lassen,
welche unsere bauliche Verortung stärkt,
Innovationen aufnimmt und sensibler mit
der Ressource Raum umgeht. Anstelle von
Konkurrenz unter den Gemeinden um
Steuergelder – koste es, was es wolle –
braucht es eine tragfähige und konstruk­
tive Kooperation. Unsere überbordende
Mobilität und der damit verbundene Land­
verschleiss kann nur durch eine Raumpla­
nung gestoppt werden, welche Einzelinte­
ressen vor dem Blick fürs Gesamte zurück­
nimmt. Konzepte sollen die nötige Offen­
heit und Flexibilität aufweisen, um perma­
nent auf Veränderungen reagieren zu
können.
Kapitel 1
Ziele nachhaltigen Weiterbauens
Alfred Breit­
schmid
Dieter Schnell
Peter Schürch
Unter «Weiterbauen» wird ein evolutionä­
rer Entwurfsansatz verstanden, bei dem
das Vorhandene den Ausgangspunkt bil­
det. Das Ziel ist eine Gebäudetransforma­
tion zu neuem, zukunftsgerichtetem Ge­
brauch, die ihre Entstehung aus dem Be­
stehenden weder leugnet noch inszeniert,
sondern als Faktum akzeptiert. «Weiter­
bauen» so verstanden, meint eine Archi­
tektur, die sich nicht in radikalen und kom­
promisslosen Lösungen gefällt, sondern
eine kontinuierliche, mitunter auch un­
spektakuläre Transformation unserer ge­
bauten Umwelt anstrebt. Das hoch ge­
steckte Ziel muss dabei sein, den Baube­
stand so zu verbessern, dass er unter Wah­
rung seiner wertvollen Eigenschaften den
neuen Bedürfnissen adäquat angepasst
und den aktuellen ökologischen, ökono­
mischen und sozialen Herausforderungen
gewachsen ist. Feinfühliges Erkennen und
Weiterentwickeln des Bestehenden ist da­
bei die eigentliche Herausforderung. Zwi­
schen den beiden Polen Totalabbruch und
Konservierung des Bestehenden liegen un­
endlich viele Abstufungen und damit
Handlungsmöglichkeiten. Die beiden Pole
werden hier keineswegs gewertet: Sowohl
der Abbruch als auch die Konservierung
können je nach Situation genauso sinnvoll
sein wie alle erdenklichen Stufen dazwi­
schen. Es gibt kein für jeden Einzelfall rich­
tiges, es gibt nur ein der jeweiligen Situa­
tion angemessenes Weiterbauen.
Die Ziele nachhaltigen Weiterbauens wer­
den in enger Anlehnung an die Empfeh­
lung SIA 112/1 «Nachhaltiges Bauen –
Hochbau» definiert. In leichter Abwei­
chung von der Vorlage sind die drei Berei­
che «Gesellschaft», «Wirtschaft» und
«Umwelt» in je vier Handlungsfelder un­
terteilt, womit eine Tabelle mit zwölf Un­
terteilungen entsteht (Tabelle 1). Primär
für den Neubau entwickelt, eröffnen sich
Abbildung 4:
Das Objekt aus der
Beundenfeldstrasse
in Bern von Corne­
lius Morscher Archi­
tekten Bern. (Foto:
Dominique Uldry)
12
Ziele nachhaltigen Weiterbauens
unter dem Gesichtspunkt des Weiterbau­
ens gewisse Akzentverschiebungen, die
hier zur Sprache kommen.
Gesellschaft
Gemeinschaft: Altbauten sind oder wa­
ren bereits Teil eines sozialen Gefüges;
Menschen wohnten oder arbeiteten bis
unmittelbar vor dem Umbau hier. Die Be­
wohner des Quartiers kennen das Ge­
bäude und verbinden mit ihm gewisse Be­
deutungen und Stimmungen. Dies alles
gilt es zunächst wahrzunehmen, um be­
wusst und gezielt darauf zu reagieren. Ein
Umbau ist immer auch für die Nachbarn
ein emotionales Ereignis. Gute Kommuni­
kation und Partizipation schaffen die nö­
tige Akzeptanz.
Gestaltung: Altbauten sind Teil des Orts-,
Quartiers- und Strassenbildes. Ihre Ästhe­
tik stammt aus anderer Zeit und strahlt
eine entsprechende Atmosphäre aus. Ge­
nauso wie eine Modeberaterin das Alter,
die Haar- und Augenfarbe, die Figur und
den Stil der zu beratenden Person berück­
sichtigen muss, um ein gutes Resultat zu
Abbildung 5:
Saniertes Einfamili­
enhaus in Zolli­
kofen von Halle 58
Architekten, Bern.
(Foto: Christine
Blaser)
Bereich
Handlungsfeld
Kriterien
Gesellschaft
(sozial)
Gemeinschaft
Integration, Durchmischung, soziale Kontakte, Solidarität, Ge­
rechtigkeit, Partizipation
Gestaltung
Räumliche Identität, Wiedererkennung, individuelle Gestaltung
Nutzung und Er­
schliessung
Grundversorgung, Nutzungsmix, öffentlicher Verkehr, Zugänglich­
keit, Nutzbarkeit
Wohlbefinden und
Gesundheit
Sicherheit, Licht, Raumluft, Strahlung, sommerlicher Wärme­
schutz, Lärm, Erschütterung
Gebäudesubstanz
Standort, Gebäudestruktur, Ausbau, Flexibilität neue und beste­
hende Bausubstanz*, Weiterbauen*
Anlagekosten
Lebenszykluskosten, Investitionen, Finanzierung, externe Kosten,
Rückbau
Betriebs- und Unter­
haltskosten
Betrieb und Instandhaltung, Vermarktung, Umnutzungsinvestitio­
nen*
Wertschöpfung und
Immobilienmarkt*
Mehrwert für Gebäude*, Quartier und Siedlung*, Erträge*,
Abschöpfung von Förderbeiträgen*
Baustoffe
Rohstoffe, Verfügbarkeit, Umweltbelastung, Schadstoffe,
Rückbau
Betriebsenergie
Wärme (Kälte) für Raumklima, Wärme für Warmwasser,
Elektrizität, Deckung Energiebedarf
Boden und Land­
schaft
Grundstückfläche, Freianlagen, Aussenraumgestaltung
Infrastruktur
Mobilität, Abfälle aus Betrieb und Nutzung, Wasser
Wirtschaft
(ökonomisch)
Tabelle 1:
Nachhaltigkeit mit
drei Bereichen und
zwölf Handlungsfel­
dern sowie bewer­
tungsrelevanten
Kriterien (Quelle:
SIA 112/1).
* nicht Teil der SIA
112/1, Ergänzung
der Autoren
erzielen, muss der Architekt auf die bereits
vorhandene Ästhetik eines Altbaus einge­
hen. Einem in die Jahre gekommenen Ge­
bäude die «eigene» Ästhetik aufzuzwin­
gen ist genauso unpassend, wie einer
hochbetagten Dame hautenge Stöckel­
stiefel zu empfehlen. Beim Weiterbauen
geht es vielmehr darum, die vorhandenen
Qualitäten zu stärken, im Nebeneinander
von Alt und Neu eine interessante Harmo­
nie zu erreichen, die das Alte weder be­
drängt oder gar zerstört noch inszeniert
und vorführt, sondern als immer schon
Vorhandenes wie selbstverständlich ak­
zeptiert.
Nutzung und Erschliessung: Altbauten
eröffnen nicht nur zahlreiche Möglichkei­
ten neuer Nutzungen, sie schränken auch
ein. Nicht jeder Altbau eignet sich für jede
Neunutzung. Womöglich widersetzen sich
auch der Standort, das Quartier oder die
Erschliessungssituation gewissen Nut­
zungsabsichten. Sehr häufig kommt es
vor, dass einem Altbau zu viel Nutzraum
abgerungen werden soll (mehrstöckige
Unterkellerungen, Dachausbauten usw.).
Umwelt
(ökologisch)
13
Gebäudeerneuerung
14
Ziele nachhaltigen Weiterbauens
Altbauten haben nicht nur ein Nutzungs­
potenzial, sie konfrontieren uns auch mit
den Lebensgewohnheiten älterer Genera­
tionen: In den vergangenen vierzig Jahren
hat sich in der Schweiz der Flächenbedarf
an Wohnraum pro Person nahezu verdop­
pelt. Dass diese Entwicklung einer ökologi­
schen Nachhaltigkeit widerspricht, ver­
steht sich von selbst. Es wäre wünschens­
wert, wenn uns Altbauten lehrten, auf
gewisse Maximalforderungen zu verzich­
ten. Weiterbauen-Projekte gelingen dann
am besten, wenn die neue Nutzung mög­
lichst zwanglos in die alte Situation einge­
fügt werden kann.
Wohlbefinden und Gesundheit: Alte
Bauten und Räume strahlen eine beson­
dere Atmosphäre aus, die von vielen Men­
schen als angenehm empfunden wird.
Diese Atmosphäre gilt es als Qualität zu
stärken. Bei Wohnbauten ist es heute üb­
lich, Trennwände zu entfernen, um grosse,
als zeitgemäss empfundene Raumeinhei­
ten zu schaffen. Mit Sicherheit wird dabei
die alte Raumatmosphäre zerstört, ohne
dass in jedem Fall etwas Gleichwertiges
entsteht. In Bezug auf die Gesundheit ha­
ben Altbauten den Vorteil, dass allfällige
Lösungsmittel und andere Giftstoffe längst
verdampft und verschwunden sind. Prob­
lematisch sind jedoch Asbest, Feuchtigkeit
und Schimmel. Für alle drei braucht es
frühzeitig Sanierungskonzepte.
Wirtschaft
Gebäudesubstanz: Nachhaltiges Weiter­
bauen führt Altbauten insofern in eine
wirtschaftlich sichere Zukunft, als das Ge­
bäude für längere Zeit den Anforderungen
wieder gewachsen ist. Wichtig ist, dass in
der Projektierung bereits die nächsten Er­
neuerungen mit bedacht werden. Der Ein­
bau reversibler Elemente, leicht auswech­
selbarer Verschleissteile oder anpassungs­
fähiger Oberflächen wird für längere Zeit
einen tiefen und damit kostenintensiven
Eingriff vermeiden helfen.
Anlagekosten: Bei der Sanierung eines
Altbaus sind die voraussichtlichen Erstel­
lungs- und auch die Lebenszykluskosten
bis auf Einzelteile genau zu berechnen, da
gewisse Massnahmen, die womöglich gar
nicht zwingend notwendig sind, sehr hohe
Kosten verursachen können. So sind bei­
spielsweise Dachausbauten in der Regel
sehr teuer und stehen für sich berechnet in
keinem sinnvollen Verhältnis zur Nutzbar­
keit oder zum zu erwartenden Mietertrag.
Möglichst exakte Kostenprognosen erlau­
ben in der Planung, statt einer Maximie­
rungs- eine Optimierungsstrategie einzu­
schlagen, was im Resultat sowohl baulich
als auch finanziell grosse Unterschiede zei­
tigen kann.
Betriebs- und Unterhaltskosten: Histori­
sche Baumaterialien sind relativ unter­
haltsintensiv. Je früher ein Schaden ent­
deckt und behoben werden kann, desto
geringer ist der Schaden und somit die Re­
paraturkosten. Eine Optimierung der Be­
triebs- und Unterhaltskosten beinhaltet
deshalb ein sorgfältiges Unterhaltskon­
zept.
Wertschöpfung und Immobilienmarkt:
Die atmosphärischen Qualitäten eines Alt­
baus sind durchaus auch von ökonomi­
scher Relevanz. Historisches Cachet ist ein
nicht vermehrbares Gut und geniesst da­
her auf dem Markt einen ideellen Wert.
Wenn es gelingt, einem historischen Ge­
bäude seine Einzigartigkeit zu wahren, so
werden sich auch Liebhaber finden, die ei­
nen Aufpreis zu zahlen bereit sind. Wie
der Antiquitätenhandel als auch die immer
zahlreicheren Flohmärkte und SecondHand-Börsen beweisen, ist das Interesse
an alten Gütern seit Jahrzehnten stark stei­
gend und es gibt keine Hinweise darauf,
dass der Trend demnächst rückläufig sein
könnte.
Umwelt
Baustoffe: Altbauten haben Systemcha­
rakter, das heisst, die Baustoffe sind genau
aufeinander bezogen und ergänzen sich in
ihren Eigenschaften zumeist optimal. Bei
der Wahl von neuen Baustoffen ist dem­
nach vom Vorhandenen auszugehen. Da­
bei ist zu beachten, dass die neuen Stoffe
die alten weder schädigen (Beton entzieht
beispielsweise altem Kalkmörtel verschie­
dene Salze und zerstört ihn damit länger­
fristig) noch einer Mehrbelastung ausset­
zen (Gewicht, Feuchtigkeitshaushalt usw.).
15
Gebäudeerneuerung
Gemeinschaft
ft
ha
lsc
sel
Ge
we
lt
Infrastruktur
Boden, Natur
Landschaft
Um
Gestaltung
2
4
6
Nutzung,
Erschliessung
8
10
Betriebsenergie
Wohlbefinden,
Gesundheit
Baustoffe
Wertschöpfung,
Immobilienmarkt*
Gebäude- und
Bausubstanz
Betriebs- und
Unterhaltskosten
Anlagekosten
Wirtschaft
Boden, Natur
Landschaft
Gestaltung
2
4
6
8
Nutzung,
Erschliessung
10
Betriebsenergie
aft
h
lsc
sel
Um
Gemeinschaft
Ge
we
lt
Infrastruktur
Wohlbefinden,
Gesundheit
Baustoffe
Wertschöpfung,
Immobilienmarkt*
Gebäude- und
Bausubstanz
Betriebs- und
Unterhaltskosten
Anlagekosten
Wirtschaft
Abbildung 6: Die einfache Nachhaltigkeits­
rosette mit den drei Bereichen «Gesell­
schaft», «Wirtschaft», «Umwelt» und je­
weils vier Handlungsfeldern.
Die Punktvergabe (Minimum 0, Maximum
10 Punkte) erfolgt aufgrund der Einschät­
zungen von konkreten Kriterien (Tabelle
1). Damit eine anspruchsvolle Umsetzung
von Zielen der Nachhaltigkeit gelingt, müs­
sen in allen drei Bereichen gute Resultate
erzielt werden. Bei der Unterschreitung
der Qualitätsgrenze Nachhaltigkeit (4
Punkte) besteht Handlungsbedarf. In Er­
gänzung der Empfehlungen von SIA 112/1
wurden zwölf Handlungsfelder (je 4 pro
Bereich) mit entsprechenden Kriterien fest­
gelegt (Tabelle 1). Dabei wurden neu das
Handlungsfeld «Wertschöpfung und Im­
mobilienmarkt» im Bereich Wirtschaft ein­
geführt und neue Kriterien für die Berück­
sichtigung von Themen im Weiterbauen
und in der Erneuerung bestimmt.
* nicht Teil der SIA 112/1, Ergänzung der
Autoren
(Quelle: SIA112/1, mit ergänzten Kriterien).
Abbildung 7: Die doppelte Nachhaltigkeits­
rosette für die Beurteilung eines Projektes
vor und nach dem Eingriff. Basierend auf
der Ausgangssituation (gelbe Fläche) wer­
den Verbesserungen (grüne Fläche) oder
Verschlechterungen (rote Fläche) ausge­
wiesen.
* nicht Teil der SIA 112/1, Ergänzung der
Autoren
(Quelle: SIA112/1, mit ergänzten Kriterien)
Gesellschaft
]]Gemeinschaft
]]Gestaltung
]]Nutzung, Erschliessung
]]Wohlbefinden, Gesundheit
Wirtschaft
]]Gebäude- und Bausubstanz
]]Anlagekosten
]]Betriebs- und Unterhaltskosten
]]Wertschöpfung, Immobilienmarkt
Umwelt
]]Baustoffe
]]Betriebsenergie
]]Boden, Natur, Landschaft
]]Infrastruktur
16
Ziele nachhaltigen Weiterbauens
Da das Langzeitverhalten neuester Bau­
stoffe meist wenig bekannt ist, kann als
Faustregel gelten, dass im Zweifelsfall die
traditionellen Materialien den neuesten
Produkten vorzuziehen sind.
Betriebsenergie: Die Optimierung von
Haustechnikanlagen und damit der Be­
triebsenergie kann beim Altbau nicht nach
denselben Standards erfolgen wie beim
Neubau. Grosse Auswirkungen auf die Be­
triebsenergie haben die stets steigenden
Komfortansprüche an Innenräume. Wäh­
rend bei einem Neubau in der Regel sämt­
liche Räume auf denselben technischen
Stand gebracht werden, ist diese Gleich­
behandlung beim Altbau keineswegs
zwingend. Vielmehr kann ein sehr diffe­
renziertes Ausbaukonzept, bei dem nicht
alle Räume gleich warm beheizt, nicht alle
belüftet oder gekühlt werden, die Betrieb­
senergie massiv reduzieren. Altbauten
wurden nicht im Hinblick auf die heutigen
technischen Möglichkeiten gebaut. Zu
hohe Dämmwerte können beispielsweise
den Feuchtigkeitshaushalt eines Altbaus
vollständig verändern und dabei grosse
Probleme bis hin zu Fäulnis an Holzteilen
und Schimmelbildungen verursachen.
Boden und Landschaft: Altbauten haben
bereits eine Umgebungsgestaltung. Auch
hier gilt der Grundsatz, dass das Vorhan­
dene als Ausgangspunkt der Planungs­
überlegungen zu betrachten ist. Im Ideal­
fall geht das bereits Vorhandene gestärkt
aus der Umgestaltung hervor. Im Hinblick
auf eine nachhaltige Nutzung des Bodens
ist grundsätzlich bei Altbausanierungen
eine Mehrnutzung zu begrüssen. Dabei
sollte diese höhere Nutzung das Gebäude
nicht überfordern, sondern im Zweifelsfall
durch einen An- oder Zubau umgesetzt
werden. Der Aussenraum verliert bei der
Verdichtung an Boden, kann aber bei
sorgfältiger Gestaltung an Qualität gewin­
nen.
Infrastruktur: Wie bereits unter Punkt
«Nutzung und Erschliessung» aufgeführt,
so sind auch Infrastrukturfragen bereits
bei der Wahl der neuen Nutzung in Be­
tracht zu ziehen. Gerade Fragen der Mobi­
lität können wesentliche Argumente für
oder gegen eine Neunutzung darstellen.
Die Nachhaltigkeitsrosette
Damit eine ganzheitliche, nachhaltige Ar­
chitektur gelingt, müssen in allen Berei­
chen der Gesellschaft (sozial), der Wirt­
schaft (ökonomisch) und der Umwelt
(ökologisch) gute Umsetzungen erzielt
werden. Mit der an der Berner Fachhoch­
schule entwickelten Nachhaltigkeitsro­
sette können diese bewertet, grafisch dar­
gestellt und diskutiert werden (Abbildung
6). Für jedes Handlungsfeld erfolgt eine
subjektive Bewertung von 0 (Minimum) bis
10 Punkten (Maximum) auf der Basis der
aufgeführten Kriterien. Damit die kon­
krete qualitative oder quantitative Bewer­
tung nachvollziehbar ist, muss die Ein­
schätzung der einzelnen Kriterien begrün­
det werden. Dies ist mit einem Würdi­
gungstext oder mit einer entsprechenden
Tabelle möglich. Ein nachhaltiges Projekt
wird mit einer ausgeglichenen Nachhaltig­
keitsrosette in einem Zwölfeck grafisch
ausgewiesen. Die Nachhaltigkeitsrosette
ist kein objektives Labelinstrument, son­
dern ein didaktisches Instrument für die
Darstellung der Selbsteinschätzung von
Anstrengungen in der Umsetzung der
nachhaltigen Aspekte eines geplanten
oder ausgeführten Projektes. Mit zuneh­
mendem Wissen über die einzelnen Krite­
rien gelingt eine sinnvolle Diskussion zur
Optimierung einer ganzheitlichen, nach­
haltigen Architektur und Siedlungsent­
wicklung. Die Nachhaltigkeitsrosette kann
auch eingesetzt werden für die Diskussion
und die Abwägung von verschiedenen Va­
rianten desselben Projektes.
Die doppelte Nachhaltigkeitsrosette
Für die Beurteilung und die Diskussion ei­
ner Erneuerung im Weiterbauen kann die
doppelte Nachhaltigkeitsrosette einge­
setzt werden (Abbildung 7), mit der Wür­
digung des Projektes vor und nach dem
Eingriff. Es ist klar, dass mit dem Projekt­
vorschlag eine Verbesserung der beste­
henden Situation angestrebt werden
muss, was in der doppelten Nachhaltig­
keitsrosette sichtbar wird.
17
Gebäudeerneuerung
Philippe
Lustenberger
Nachhaltigkeit ist bewertbar
Nachfolgend werden einzelne Beispiele
aufgeführt, welche Handlungsfelder die
Nachhaltigkeit einer Immobilie beeinflusst
und wie die Kriterien dargestellt werden
können. Diese Handlungsfelder bilden
auch eine Basis zur Bewertung der Nach­
haltigkeit, wie dies im Kapitel 1 «Ziele
nachhaltigen Weiterbauens» erläutert
wird. Unter anderem werden die Hand­
lungsfelder in der Norm SIA 112/1, Nach­
haltiges Bauen – Hochbau, beschrieben.
Die Handlungsfelder der Nachhaltigkeit,
wie sie im Kapitel 1 dargestellt werden,
haben gegenüber der SIA 112/1 Ergän­
zungen erfahren. Eine gesamtheitliche Be­
trachtung der Nachhaltigkeit ist in der Pla­
nung, in der Erstellung und im Betrieb ei­
ner Immobilie absolute Pflicht.
Beispiel 1: Bereich Gesellschaft, Hand­lungsfeld Nutzung, Erschliessung,
Kriterium Grundversorgung, am Beispiel des Wohnflächenbedarfs, des
demografischen Wandels und der zukünftigen Bevölkerungszunahme in
der Schweiz.
Bezüge bestehen unter anderem zu fol­
genden Kapitel:
]]Kapitel 4 «Planungsprozesse, Strategie
und Kommunikation»
]]Kapitel 5 «Ökonomische Nachhaltigkeit»
]]Kapitel 7 «Schallschutz»
Gemäss dem Bundesamt für Raument­
wicklung (ARE) stieg der Wohnflächenbe­
darf in den letzten Jahrzenten kontinuier­
lich an. Lag der Wohnflächenbedarf im
Jahre 1980 bei 34 m2 pro Person, ist dieser
auf 48 m2 pro Person im Jahre 2007 ge­
stiegen. Die Prognosen des ARE gehen da­
von aus, dass im Jahr 2030 ein Wohnflä­
chenbedarf von 55 m2 pro Person besteht.
Das Bundesamt für Statistik prognostiziert,
dass die Bevölkerung in der Schweiz von
rund 7,8 Mio. Einwohner Im Jahr 2010 auf
8,8 Mio. Einwohner im Jahr 2035 anstei­
gen wird. Das entspricht einer Zunahme
von 12,5 %. Werden die einzelnen Teil­
räume betrachtet, steigen die Bevölke­
rungszahlen unterschiedlich: am stärksten
betroffen werden demnach die Kantone
Waadt, Freiburg, Aargau, Genf, Obwal­
den, Luzern, Thurgau und Zürich sein, in
welchen die Bevölkerung um 15 bis 25
Prozent zunimmt. Werden die sich verän­
dernden Qualitätsansprüche aufgrund des
demografischen Wandels (Altersaufbau,
Steigerung des Wohlstandes, vermehrt
Einzelhaushalte, usw.) berücksichtigt, ist
zu erwarten, dass sich die Ansprüche ans
Wohnen und an die Raumplanung weiter
wandeln werden.
Zuwachs in %
40
35
Wohnfläche pro Person
+ 34%
Siedlungsfläche
+ 25%
Bevölkerung
+ 18%
30
25
20
15
10
5
0
1983
1995
Jahr
2007
Abbildung 8:
Vergleich Wachs­
tum von Bevölke­
rung, Siedlungsflä­
che und Wohnflä­
che pro Person in
Prozent. (Quelle:
ARE, 2011)
18
Ziele nachhaltigen Weiterbauens
Abbildung 9:
Lebensdauer und
Systemtrennung des
Primärsystems
Abbildung 10:
Lebensdauer und
Systemtrennung des
Sekundärsystems
F unktions tüchtigkeit
Abbildung 11:
Lebensdauer und
Systemtrennung des
Tertiärsystems
Beispiel 2: Bereich Wirtschaft, Handlungsfeld Gebäude-Bausubstanz, Kriterium Gebäudestruktur am Beispiel
der Systemtrennung des Kantons
Bern.
Bezüge bestehen unter anderem zu fol­
genden Kapitel:
]]Kapitel 8 «Tragwerk»
]]Kapitel 9 «Altlasten, Bauschadstoffe und
Materialkonzepte»
Systemstufendefinition: «Bauteiltren­
nung» definiert die Trennung von Bauele­
menten unterschiedlicher Lebens- und
Nutzungsdauer. Allzu oft werden kurzle­
bige Bauelemente fest mit langlebigen
Erstellung
Betrieb
1
2
0
20
Erneuerung
verbunden, so dass die Lebensdauer des
Ganzen auf die kurzlebigen Teile reduziert
wird (z. B. einbetonierte Leitungen). Das
Ziel muss sein, Bauteile von unterschiedli­
cher technischer und betrieblicher Funkti­
onstüchtigkeit in der Planung und Realisie­
rung konsequent voneinander zu trennen.
Der Austausch einzelner Komponenten
kann erfolgen, ohne dass funktionstüch­
tige Teile zerstört werden müssen. Dies si­
chert den Gebrauchswert für die Zukunft.
Die Bauteiltrennung erfolgt in den drei
Systemstufen Primär-, Sekundär- und Terti­
ärsystem.
Betrieb
3
40
Abbruch
5 Phasen
4
60
80
F unktions tüchtigkeit
Jahre
Erstellung
Betrieb
1
2
0
20
Erneuerung
Betrieb
3
40
Abbruch
5 Phasen
4
60
80
F unktions tüchtigkeit
Jahre
Erstellung
Betrieb
1
2
0
20
Erneuerung
Betrieb
3
40
Abbruch
5 Phasen
4
60
80
Jahre
19
Gebäudeerneuerung
Primärsystem
Das Primärsystem ist eine langfristige In­
vestition (50 bis 100 Jahre) und versteht
sich als unveränderbarer Rahmen des Se­
kundärsystems. Es umfasst im Wesentli­
chen:
]]die Tragkonstruktion (horizontales und
vertikales Raster)
]]die Gebäudehülle (Fassade und Dach)
]]die äussere Erschliessung (Arealerschlie­
ssung)
]]die innere Erschliessung (Haupterschlie­
ssung horizontal und vertikal)
]]die Grundstruktur der Haustechnik (Kon­
zept der technischen Erschliessung hori­
zontal und vertikal, Standort der Technik­
räume)
Sekundärsystem
Das Sekundärsystem stellt eine mittelfris­
tige Investition (15 bis 50 Jahre) dar und
sollte über einen hohen Variabilitätsgrad
verfügen. Es ist anpassbar und enthält in
erster Linie die Elemente:
]]Innenausbau (Wände, Böden, Decken)
]]haustechnische Installationen
]]Beleuchtung, Sicherheitsinstallationen,
Kommunikationsmittel
Tertiärsystem
Das Tertiärsystem ist eine kurzfristige In­
vestition (5 bis 15 Jahre) und ohne grö­
ssere bauliche Massnahmen veränderbar.
Zum Tertiärsystem zählen vor allem:
]]die Einrichtung und das Mobiliar
]]die Apparate (inklusive ihrer Anschlüsse
ab dem Sekundärsystem)
]]die EDV-Verkabelung
Beispiel 3: Bereich Umwelt, Handlungsfeld Baustoffe, Kriterium Umweltbelastung, am Beispiel der Ökobilanz
Bezüge bestehen unter anderem zu fol­
gen­den Kapitel:
]]Kapitel 5 «Ökonomische Nachhaltigkeit»
]]Kapitel 9 «Altlasten, Bauschadstoffe und
Materialkonzepte»
]]Kapitel 11 «Energiekonzepte»
]]Kapitel 12 «Gebäudetechnik»
Ökobilanzdaten basieren auf branchenbe­
zogenen Stoff- und Energieflüssen, wel­
che bezüglich ihrer Umweltrelevanz be­
wertet werden. In der Empfehlung des
KBOB (Koordinationskonferenz der Bauund Liegenschaftsorgane der öffentlichen
Bauherren) erfolgt die Gesamtbewertung
mit der Methode der ökologischen Knapp­
heit und wird in Umweltbelastungspunk­
ten (UBP) ausgedrückt [KBOB/ IPB, 2009].
Die Methode erlaubt eine Abwägung zwi­
schen:
]]einerseits einem Vergleich zwischen un­
terschiedlichen Konstruktionsarten sowie
]]andererseits einem Vergleich von Ab­
bruch oder Erhalt von bestehender Bau­
substanz und damit bereits eingebundener
oder neuer Umweltbelastung.
Wird die Berechnungsmethode der Um­
weltbelastungspunkte als Entscheidungs­
grundlage zwischen Abbruch oder Erhalt
bestehender Bausubstanz angewandt,
muss auch der Effizienzgewinn zwischen
alter und neuer Baustruktur berücksichtigt
werden, welche sich positiv oder negativ
auf die Betriebskosten in der Nutzungs­
phase der Immobilie auswirken.
Quellen
]]AGG Bern, Richtlinien Systemtrennung,
2009: Richtlinie Systemtrennung, Amt für
Grundstücke und Gebäude des Kantons
Bern, Reiterstrasse 11, 3011 Bern, 2009
]]AGG Bern, Broschüre Systemtrennung,
2006: Broschüre Systemtrennung, Amt für
Grundstücke und Gebäude des Kantons
Bern, Reiterstrasse 11, 3011 Bern, 2006
]]ARE, 2011: Bundesamt für Raument­
wicklung, Wohnflächenbedarf, Stand vom
13. April 2011, www.are.admin.ch/doku­
mentation/01378/04315/index.html
]]BfS, 2011: Bundesamt für Statistik, Zu­
künftige Bevölkerungsentwicklung, Stand
vom 13. April 2011, www.bfs.admin.ch/
bfs/portal/de/index/themen/01/03.html
]]KBOB/ IPB, 2009: Empfehlung, Ökobi­
lanzdaten im Baubereich, 2009/1, KBOB/
IPB, Stand Januar 2011, www.bbl.admin.
ch/kbob/00493/00495/index.html
]]SIA 112/1, 2005: Nachhaltiges Bauen –
Hochbau, Ergänzungen zum Leistungsmo­
dell 112, SIA Zürich, 2005
]]Merkblatt SIA 2040: Effizienzpfad Ener­
gie, Zürich, 2011
Kapitel 2
Architektonische Wertschätzung
Dieter Schnell
Historische Bauten bereichern unser Le­
bensumfeld. Vor dem Reichtum gewach­
sener Siedlungen mit ihrer Vielfalt an
Strukturen, Formen, Materialien und Far­
ben, mit ihren Brüchen und Zäsuren muss
jede Neubausiedlung zurückstehen. Versu­
chen Architekten ihre Neubauten ähnlich
abwechslungsreich zu gestalten, wirken
die Resultate stets unecht, der Reichtum
aufgesetzt und erzwungen. Das Geheim­
nis liegt darin, dass der Reichtum histori­
scher Strukturen von den Erbauern nicht
beabsichtigt worden ist. Vielmehr ist er
«durch die Hintertür» in das Ensemble ge­
kommen. Zum einen ist er eine Folge des
Alters, der Patina und der leicht verwitter­
ten Farben und Materialien, zum zweiten
beruht er auf dem zufälligen Nebeneinan­
der unterschiedlichster Objekte und drit­
tens erkennen wir in den Formen etwas
Aussergewöhnliches, weil längst Vergan­
genes und nicht mehr unmittelbar Ver­
ständliches.
Denkmalpflege und Heimatschutz
Die von der französischen Revolution aus­
gelösten politisch-gesellschaftlichen Um­
wälzungen in Europa brachten es mit sich,
dass der Schutz und die Pflege historisch
bedeutender Bauten zunehmend als
Staatsaufgabe betrachtet wurden. Die Re­
gierungen erklärten die Erhaltung von
Denkmälern zu einem öffentlichen Inter­
esse; erste Schutzgesetze entstanden. Aus
einer engagiert geführten Diskussion um
Werthaltungen und Vorgehensweisen in
der Restaurierung und Konservierung von
Gebäuden entwickelte sich in den vergan­
genen 200 Jahren die heute für gültig er­
achtete Denkmaltheorie. Auf internatio­
naler Ebene ist diese Theorie in den Char­
ten der ICOMOS, allen voran der Charta
von Venedig (1964), niedergelegt.
Mittlerweile verfügen viele kantonale
Denkmalämter über flächendeckende In­
ventare. Darin verzeichnet sind die «schüt­
zenswerten» Objekte. Ihre Zahl steigt sel­
Abbildung 12:
Die Mensa der Kan­
tonsschule Wettin­
gen.
22
Architektonische Wertschätzung
ten über 5 Prozent des gesamten Gebäu­
debestandes. In der Regel schreibt das
kantonale Denkmalpflegegesetz vor, dass
die im Inventar aufgeführten Gebäude bei
Um- und Anbauvorhaben zwingend durch
eine Fachperson der Denkmalpflege be­
gleitet werden müssen. Gemäss den Char­
ten der ICOMOS und den Leitsätzen der
Eidgenössischen Kommission für Denk­
malpflege, EKD, wird diese Fachperson die
Authentizität des Objekts zu erhalten su­
chen, indem sie erstens die materielle
Substanz und zweitens die ästhetische
Wirkung des Objekts nach Möglichkeit
schont und vor grösseren Veränderungen
oder Verlusten bewahrt. Bei aufwendigen
Konservierungsarbeiten können die Mehr­
aufwände mit Subventionen teilweise ab­
gegolten werden.
Der Volksmund verwechselt oft «Denk­
malpflege» und «Heimatschutz». Wäh­
rend das Denkmalpflegeamt eine kanto­
nale Behörde ist, die das Denkmalpflege­
gesetz umsetzt, ist der 1905 gegründete
«Schweizer Heimatschutz» ein Verein, be­
stehend aus Interessierten, mit zahlreichen
Sektionen, neudeutsch gesprochen eine
Non-Governmental Organization. Der
«Heimatschutz» wirkt insofern auf das
Bauwesen ein, als seine Bauberater bei
umstrittenen Projekten das Gespräch mit
den Verantwortlichen suchen. In den aller­
meisten Fällen wird dabei eine gütliche Ei­
nigung erzielt. Dank dem Verbandsbe­
schwerderecht kann der «Heimatschutz»
aber auch Gesetzesverstösse, die von den
Baubehörden nicht geahndet worden
sind, vor ein Gericht zwingen. Dabei be­
ruft er sich oft auf das «Bundesgesetz über
den Natur- und Heimatschutz» von 1966
oder auf das «Bundesgesetz über die
Raumplanung» von 1979.
Weiterbauen am Gebäudebestand
Die Denkmalpflege kann sich nur um ei­
nen sehr geringen Teil der historischen
Bauten kümmern. Die allermeisten Altbau­
ten sind durch das Denkmalpflegegesetz
also nicht tangiert. Trotzdem sollten sie
nicht das Opfer unsorgfältiger und grob­
schlächtiger Erneuerungspraktiken wer­
den. Selbst wenn ein Altbau laut Inventar
kein schützenswertes Denkmal ist, sind
Um- und Anbauwillige aufgefordert,
wohlüberlegt und erst nach gründlichen
Analysen zu handeln. Da Bauen immer
sehr teuer war, kann davon ausgegangen
werden, dass zumindest die Bauherrschaft
und wohl auch die Architekturschaffen­
den jedes Gebäudes zur Erbauungszeit
fest davon überzeugt waren, das Opti­
mum aus dem investierten Kapital zu ho­
len. Ausgangspunkt jedes noch so unbe­
deutend erscheinenden Bauwerks war
und ist eine rationale Absicht, ein Zweck
und ein Ziel. Bei anspruchsvolleren Gebäu­
den kommen ein architektonisches und
ein gestalterisches Konzept sowie zahlrei­
che andere Planungsabsichten hinzu, die
das gedanklich-intellektuelle Fundament
des Bauwerks sind. Professionelles «Wei­
terbauen» oder «Umnutzen» erfordert
vom Planenden eine genaue Kenntnis die­
ses ursprünglichen gedanklich-intellektu­
ellen Fundaments. Dabei geht es nicht da­
rum, diese ehemaligen Absichten und
Zwecke auch in der Gegenwart weiter zu
verfolgen, sondern darum, das ursprüngli­
che Gebäude als Ganzes zu verstehen, um
adäquat darauf reagieren zu können.
Vielen Objekten sind drei Gefahren ge­
meinsam, die es zu überwinden gilt.
1. Die Gefahr der räumlichen Überforderung
Aus Gründen der Baukostenoptimierung,
der Verdichtung und Nutzungserweite­
rung wird oft versucht, dem Altbau mehr
Nutzraum abzutrotzen. Dies geschieht
meist im Dachraum, gelegentlich auch
durch Anbauten. Im Dachraum ist stets die
Belichtung ein Problem. Der übliche Weg,
dieses Problem zu lösen, sind Dachflä­
chenfenster oder Lukarnen. In allzu grosser
Zahl ausgeführt, überfordern jedoch beide
den Altbau und lassen ihn wie gestopft
aussehen. Der Altbau verliert mit der ehe­
mals ruhigen Dachfläche auch seine Na­
türlichkeit und wirkt wie ein zu kurz ge­
schnittenes Kleid: kleinlich und beengend.
Bei Anbauten ist die Abhängigkeit von Altund Neubau genau zu definieren: Sowohl
eine Unter- als auch eine Nebenordnung
des Neubaus ist je nach Situation vertret­
Abbildung 13:
Das Objekt aus der
Beundenfeldstrasse
in Bern von Corne­
lius Morscher Archi­
tekten Bern. (Foto:
Dominique Uldry)
23
Gebäudeerneuerung
24
Architektonische Wertschätzung
bar, sollte aber entsprechend gestalterisch
ausformuliert werden. In den meisten Fäl­
len dürfte eine Überordnung des Neubaus
missraten, da der Altbau ursprünglich
nicht auf eine Unterordnung hin konzi­
piert worden ist und also von der neuen
Situation erdrückt oder wie niedliches Bei­
werk wirken wird. Ein weiteres Thema
räumlicher Überforderung ist das Ausbre­
chen von Trennwänden, um grosszügige
Wohnzimmer oder die heute beliebte Ver­
bindung von Küche und Wohnraum zu
ermöglichen. Oftmals wird damit die
Raumstimmung in einem Altbau zerstört,
ohne sie durch etwas Gleichwertiges zu
ersetzen.
2. Die Gefahr der technischen Überforderung
Die Gebäudetechnik hat sich in den letz­
ten Jahren vervielfacht. Da Gebäude in
früherer Zeit noch weit einfacher betrie­
ben worden sind, entsteht heute stets der
Wunsch nach Auf- und Nachrüstungen.
Diese sind jedoch sowohl finanziell als
auch technisch stets viel aufwendiger als
der Einbau von Haustechnik in einen Neu­
bau. Aber selbst wenn sie technisch und
ästhetisch einwandfrei gelöst sind, bedeu­
ten sie eine gewisse unschöne Verein­
nahme von alten Materialien und Struktu­
ren. Anzustreben sind Lösungen, bei de­
nen nicht alle Räume auf denselben tech­
nischen Stand angehoben und die tech­
nisch anspruchsvollsten Räume in einen
Neubau verlegt werden. Solche individua­
lisierten Lösungen bedingen allerdings,
dass nicht primär vorgegebene Werte als
vielmehr das sinnvollerweise Machbare
angestrebt werden.
3. Die Gefahr der Unangemessenheit
Der gestalterische Aufwand und ornamen­
tale Schmuck, aber auch die Wahl der Ma­
terialien und ihre Bearbeitung waren bei
einem historischen Gebäude stets abge­
stimmt auf die soziale Stellung der Bewoh­
nerschaft oder der zu beherbergenden In­
stitution. Was sich für den Adel gebührte
– z. B. gehauener Bauschmuck oder ver­
goldete Schmiedeeisen – galt an einem
Pfarrhaus als unpassend und an einem Ar­
beiterhaus erst recht. Diese soziale Rang­
ordnung gilt es beim «Weiterbauen» zu
erkennen und angemessen darauf zu re­
agieren. Die Wahl der Formen, Materialien
und Bearbeitungstechniken unterliegt so­
mit nicht nur dem persönlichen Ge­
schmack der Bauherrschaft oder Architek­
ten, sondern muss mit dem Bestehenden
korrespondieren und zusammen mit die­
sem ein überzeugendes Ganzes ergeben.
Form, Material- und Farbkonzepte der Er­
weiterung oder des Eingriffs haben vom
Bestehenden auszugehen. Die Ästhetik
des Altbaus korrigieren und verbessern zu
wollen, dürfte in den meisten Fällen zum
Gegenteil führen, vielmehr müssen seine
bereits vorhandenen Qualitäten gestärkt
aus dem Umbau hervorgehen.
Das Weiterbauen am Gebäudebestand birgt Gefahren.
Die wichtigsten:
1. Die Gefahr der räumlichen Über­
forderung
2. Die Gefahr der technischen Über­
forderung
3. Die Gefahr der Unangemessenheit
Kapitel 3
Analyse
Dieter Schnell
Peter Schürch
Verstehen der Architektur (1)
Die ersten Analysen münden in eine um­
fassende Interpretation der Architektur.
Hier geht es erstens darum, die ursprüng­
lichen Absichten und Ziele zu erkennen,
um den rationalen Kern des Gebäudes zu
erfassen. Da jedes Gebäude zur Bauzeit
von den Auftraggebern und Planenden als
die mit den vorhandenen Mitteln best­
mögliche Lösung einer anstehenden Bau­
aufgabe betrachtet worden ist, haben wir,
die wir in diese sorgfältig geplante Struk­
tur eingreifen wollen, zuerst deren Logik
zu verstehen. Zweitens geht es hier um
Wertungen: Die städtebaulichen, histori­
schen, ästhetischen, räumlichen und ma­
teriellen Qualitäten des Objekts, sind zu
benennen, zu beschreiben und zu charak­
terisieren. Dabei geht es jedoch nicht allein
um «harte» Fakten, sondern genauso um
Raumstimmungen, Atmosphären und
emotionale Wertungen, kurz um architek­
tonische Qualitäten. Für die spätere Pro­
jektentwicklung zentral sind nicht nur die
Kenntnis der Qualitäten, sondern auch de­
ren konstituierenden Faktoren. Warum ist
der Vorgarten von besonderer Qualität?
Was muss zwingend erhalten bleiben oder
gar gestärkt werden, damit diese Qualität
auch nach der Umgestaltung noch vor­
handen ist? Welche relevanten Qualitäten
haben Raumfolgen, Raumgrössen und
Raumeinteilung. Welche Elemente sind für
die Atmosphäre bestimmend? Welchen
Einfluss auf die Raumstimmung haben die
Farben oder der Lichteinfall? Einmal er­
kannte und genau beschriebene Qualitä­
ten haben eine viel grössere Chance, ge­
stärkt aus einem Umbau hervorzugehen.
Die Logik des Ursprünglichen (1.1)
Am Anfang der Analysearbeit steht die
historische Aufarbeitung des bestehenden
Gebäudes. Dabei geht es zunächst darum,
herauszufinden, wann, von wem und zu
welchem Zweck das Gebäude errichtet
worden ist. Weiter ist von Interesse, den
historischen Gebäudetypus in seinen cha­
rakteristischen Eigenschaften zu erkennen
und das Objekt architekturhistorisch ein­
zuordnen: Handelt es sich um einen rei­
nen, um einen häufigen oder vielmehr um
einen seltenen, gar einmaligen Typ? Ist das
Objekt architekturhistorisch bedeutsam
und wenn ja, weshalb?
Sodann ist die städtebauliche Einbettung,
der Bezug des Gebäudes zu seinen ehe­
maligen Nachbarbauten intensiv zu studie­
ren und auf die unterschiedlichen Abstu­
fungen von Unter-, Neben- oder Überord­
nung zu befragen. Dabei geht es auch um
die Stellung des Baukörpers zur Strasse,
um Fragen der Erschliessung, um die Be­
deutung des Vorgartens, des Gartens oder
des Hofes. Unerlässlich für eine angemes­
sene Interpretation des Vorhandenen sind
Aussagen über die gesellschaftlich-soziale
Stellung des Gebäudes: Welchen Rang
hatte es, welchem Anspruch hatte es zu
genügen? Woran lässt sich dieser An­
spruch erkennen? Wie ist das Gebäude
orientiert (Sonneneinstrahlung)? Wie ist
die Fassadengestaltung?
Die Logik der späteren Veränderungen (1.2)
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Ver­
änderungen, die ein Gebäude im Lauf der
Zeit erfahren hat. Dabei sind spätere Hin­
zufügungen nicht zwingend als den ur­
sprünglichen Elementen unterlegen zu be­
werten. Vielmehr ist davon auszugehen,
dass jede einzelne Massnahme zu ihrer
Zeit als sinnvoll und als der Problemstel­
lung adäquat betrachtet worden ist. Von
Bedeutung sind jedoch nicht allein die Ver­
änderungen am Gebäude, sondern auch
diejenigen in seiner unmittelbaren Umge­
bung. Wie hat sich der städtebauliche
Kontext gewandelt, hat das Gebäude sel­
ber einen Bedeutungswandel erfahren,
sind ehemals wichtige Bezüge, beispiels­
weise zum Nachbargebäude, zum Garten,
zum Ökonomiegebäude, zum Hof, usw.
verloren gegangen? In diesem Punkt ist es
wichtig, jede einzelne Veränderung wohl­
26
Analyse
überlegt zu werten. Spätere Eingriffe kön­
nen als eine Bereicherung oder aber als
eine Verunklärung verstanden werden, ein
kontinuierliches Weiterbauen oder einen
Schlusspunkt bedeuten. Sie können später
in der Konzeptphase Hinweise auf eine
mögliche Entwicklungsstrategie, den Weg
in eine bereits vorgegebene Richtung auf­
zeigen, oder aber auch den Wunsch nach
einer Rückführung eines ehemals beson­
ders qualitätsvollen Elements wach rufen.
Das intensive Studium aller bis zur Gegen­
wart gemachten Veränderungen hat einen
weiteren Vorteil: Man versteht sein eige­
nes Eingreifen als ein Glied in einer Kette,
die mit dem aktuellen Eingriff nur an ein
vorläufiges Ende kommt. Eine langfristige
Betrachtung und Reflexion des Projektes
über die nächsten 40 Jahre ist zentral.
Räumliche und ästhetische Qualitäten (1.3)
Die räumlichen und ästhetischen Qualitä­
ten eines Gebäudes sind schwer in Worte
zu fassen. Gerade deshalb sind sie durch
gezielte Fragen einzukreisen. Die Grund­
frage richtet sich dabei stets nach der Er­
kennbarkeit eines Gestaltungswillens.
Wenn ja, woran ist er zu erkennen? Wie
deutlich ist das Konzept (noch) lesbar?
Wie überzeugend ist es? Diese Grundfrage
ist sodann durch gezielte, auf die jeweili­
gen Räume abgestimmte Zusatzfragen zu
erweitern.
Zunächst zum Aussenraum: Wie verhält es
sich mit den Wertigkeiten des Aussenrau­
mes? Gibt es halböffentliche oder private
Aussenräume? Wie sind diese von der
Strasse oder von Nachbarbauten abge­
setzt? Wie sind Grenzen formuliert? Wie
ist die Erschliessung gelöst?
Auf die Innenräume bezogen ergeben sich
etwa die folgenden Fragen: Wie ist der
Eingang gestaltet? Wie ist die innere Er­
schliessung organisiert? Welchen Gesetz­
mässigkeiten folgt die Anordnung der In­
nenräume? Was sind die Raumfolgen und
Raumtypologien? Welche hierarchischen
Beziehungen unter den Räumen sind er­
kennbar? Welche Orientierung haben die
einzelnen Räume? Was lässt sich über den
Bezug zum Aussenraum sagen? Wie sind
Küchen, Bäder und Nebenräume konzi­
piert? Sind die Räume unterschiedlich auf­
wendig ausgestaltet? Sind dekorative Ele­
mente wie Tapeten, Täfer, Stuckdecken,
Parkette, usw. vorhanden? Ist ein umfas­
sendes Material- oder Farbkonzept er­
kennbar? Wie erfolgt die natürliche Be­
leuchtung im Innern?
Strukturelle und materielle Qualitäten (1.4)
Zu einer eingehenden Analyse der Archi­
tektur eines Gebäudes gehört auch das
feinfühlige Befragen der Strukturen und
der Materialien. Gebäudestrukturen und
die Fassade charakterisieren ein Gebäude
durch ihren Rhythmus, durch die Fenstera­
nordnung und damit die natürliche Be­
leuchtung sowie durch die Anordnung der
Erschiessungskerne. Materialien und vor
allem deren sichtbare Oberflächen sind
ganz zentrale Faktoren für die Gebäudeund Raumstimmung. Hinter einem Materi­
aleinsatz stehen nicht nur technisch-stati­
sche Überlegungen, sondern auch ökono­
mische, ästhetische oder semantische Ab­
sichten, diese sind zu erkennen und in ei­
ner umfassenden Interpretation zu be­
rücksichtigen. In diesem Zusammenhang
wichtig ist auch das Erkennen von regio­
nalen Bautraditionen bezüglich Material­
einsatz, Verarbeitungs- und Fügungstech­
nik. Welche Innenraumqualitäten beein­
drucken (Intimität, Materialisierung, etc)?
Wie wirkt die Befensterung (Ausrichtung,
Grössen, Lage, Unterteilung)? Interessant
ist zudem die mögliche Speichermasse der
Gebäudestrukturen.
Dem Gebäude als funktionierendem Sys­
tem gilt es gerecht zu werden und die Ei­
genheiten zu erkennen.
Auslegeordnung (2)
Die gesammelten Fakten sind als Aus­
gangspunkt eines sorgfältigen Konzepts
zu betrachten. Ertüchtigungen wie bei­
spielsweise die Erhöhung der Tragfähigkeit
sind durchaus machbar, müssen aber
möglichst früh als Aufgabe erkannt wer­
den. Hier geht es um eine umfassende
Auslegeordnung des Vorhandenen. So­
wohl der gesetzliche als auch der räumli­
27
Gebäudeerneuerung
1
1.1
1.2
1.3
1.4
2
2.1
2.2
2.3
2.4
3
Thema
Zu beachten
Verstehen der Architektur
Die Logik des Ursprüngli­ ]]Historische Aufarbeitung: Architekt, Bauherr, Funktion des Gebäudes
chen
]]Gebäudetypus, charakteristische Eigenschaften, Konzept, tragende
Idee, immaterielle Qualitäten
]]Städtebauliche Situation: Nachbarbauten zur Bauzeit, Stellung zur
Strasse, Kontext, Orientierung
]]Erschliessung des Hauses, Vorgartesn, Garten, Hof
]]Anspruch des Gebäudes, sozialer Rang
]]Fassade
Logik der späteren Ver­
]]Chronologie der Veränderungen, Wertigkeiten
änderungen
]]Veränderungen der Umgebung, verschwundene wichtige Bezüge
Räumliche und ästheti­
]]Rekonstruktion des Gestaltungskonzepts
sche Qualitäten
]]Wertigkeiten des Aussenraumes, Bezug zwischen innen und aussen
]]Raumaufteilung: Erschliessung, Raumbezüge, Raumhierarchien, Raum­
folgen
]]Ausstattungen: Materialien, Farben, Tapeten, Täfer, Stuck, Boden­
beläge, usw.
]]Raumstimmungen, Belichtung, Lichtführung
Strukturelle, materielle
]]Gebäudestruktur: Raster, Symmetrien, Rhythmen
und konstruktive Quali­
]]Materialien, Konstruktion: ökonomische, ästhetische, semantische
täten
Absichten
Auslegeordnung
Baugesetzliche Vorgaben ]]Baugesetz, Bauordnung, Bauzone, übergreifende Planungsabsichten
]]Diverse Inventare: Denkmalpflege, ISOS, historische Verkehrswege,
BNL (Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von
nationaler Bedeutung)
]]Brandschutz, Energiegesetze
Das Raumangebot
]]Zusammenstellen aller Nutzflächen unter Angabe der idealen
]]Nutzung: beheizte Räume, Spezialräume (Bad, Küche), unbeheizte
Räume wie Keller, Estrich, Lagerräume, temperierte Zwischenzonen
]]Genaue Angabe und Charakterisierung der Erschliessungs- und Steig­
zonen
]]Liste der Aussenräume nach ihrer Wertigkeit
Der materielle Bestand
]]Konstruktion: Struktur, Auseinanderhalten der Tragsysteme, Beurtei­
lung ihrer Tragfähigkeit, regionale Eigenheiten
]]Gebäudehülle
]]Materialien und ihre Fügungen, Detaillierung, Zustandsbeschreibun­
gen unter Angabe noch vorhandener Leistungsfähigkeit (defekt bis
neuwertig)
]]Erste Sondierung von Ertüchtigungsmöglichkeiten
]]Schadensbilder, Defekte und deren Interpretation
]]Verstehen des Gebäudes als System
Die energetische Qualität ]]Energieträger (Öl, Gas, Holz, etc.)
Energieverbrauch
]]Gebäudehülle; neuralgische Punkte: Fenster, Dach und Dachansatz,
Keller
]]Gebäudehülle; neuralgische Punkte: Fenster, Dach und Dachansatz,
Keller
]]Leistungsfähigkeit der Haustechnikapparate
Einkreisen des Potenzials
]]Auflisten des Potenzials und der Problempunkte
]]Betrachtung des Altbaus als eines Systems – Erhaltungszustand,
notwendige Ertüchtigungsmassnahmen
Tabelle 2: Checkliste
28
Analyse
che, materielle und technische Rahmen
müssen benannt, die vorhandenen Quali­
täten und Schwächen wahrgenommen
werden. Dabei geht es bei den Materialien
und den technischen Einrichtungen auch
um die noch zu erwartende Rest-Lebens­
dauer oder um die Möglichkeiten zu deren
Instandstellung. Bei einem Weiterbauen
sollten immer auch die Schaffung mögli­
cher Mehrwerte in die Auslegeordnung
einbezogen werden.
Baugesetzliche Vorgaben (2.1)
Zu den ersten Abklärungen gehört selbst­
verständlich das Erfassen des vom Bauge­
setz und von der Bauverordnung vorgege­
benen Rahmens. Nebst den quantifizierba­
ren Vorschriften wie maximale Geschoss­
zahl, höchstmögliche Ausnutzungsziffer,
maximale Dimensionen oder minimale Ab­
stände, hat man sich ebenso intensiv mit
den «weichen» Faktoren wie Gestaltungs­
vorschriften, Erhaltungsabsichten (z. B.
Kernzonen), in übergreifenden Studien
niedergelegte Planungsabsichten oder den
vorhandenen Interpretationen von Inven­
taren zu befassen (z. B. Inventar der Kanto­
nalen Denkmalpflege, ISOS – Inventar der
Schützenswerten Ortsbilder der Schweiz,
Bundesinventar der Historischen Verkehrs­
wege der Schweiz, BNL – Bundesinventar
der Landschaften und Naturdenkmäler
von nationaler Bedeutung). Dazu kommen
einschränkende Vorgaben des Brand­
schutzes, der Energiegesetze und weitere
projektspezifische Auflagen.
Das Raumangebot (2.2.)
Jedes Gebäude bietet nutzbaren Raum an.
Die Lage der Erschliessungen und Steigzo­
nen sowie die vorhandene Raumauftei­
lung beinhalten ein Nutzungspotenzial,
erschweren aber gleichzeitig eine völlig
andere Raumorganisation. Je genauer zu
einem späteren Zeitpunkt der Planung das
zukünftige Raumprogramm mit dem vor­
handenen Raumangebot in Übereinstim­
mung gebracht werden kann, desto weni­
ger tiefgreifende Massnahmen werden
notwendig sein, um das Gebäude den
neuen Erfordernissen anzupassen. Es ist
wichtig, dass das vorhandene Raumange­
bot, zunächst ohne auf eine spätere Nut­
zung zu schielen, aufgelistet wird, damit
das spätere Hinterfragen der neuen Nut­
zungszuweisungen nicht vorbelastet ist.
Dabei sind nicht nur die beheizten
Haupträume sowie Bad und Küche, tem­
perierte Vor- oder Zwischenzonen, son­
dern auch die unbeheizten Keller-, Estrichoder Lagerräume in ihren Dimensionen
und Qualitäten aufzunehmen. Gleiches
gilt auch für die Aussenräume: Balkone,
Terrassen, Lauben, private Gartenräume,
Vorgartenräume für Erschliessung, Parkie­
rung, usw.
Der materielle Bestand (2.3)
Je besser die Konstruktionen und die Ma­
terialien eines Altbaus bekannt sind und
auf ihre Trag- und sonstige Leistungsfähig­
keit sowie die noch zu erwartende Lebens­
dauer untersucht sind, desto genauer las­
sen sich das Potenzial, die Möglichkeiten,
Gefahren und Risiken eines Eingriffs ab­
schätzen und desto präziser kann das Pro­
jekt von Beginn weg auf das Objekt zuge­
schnitten werden. Aus einer gründlichen
Materialienanalyse muss das Verständnis
des statischen Konzepts der tragenden
und nichttragenden Elemente, der Schal­
leigenschaften und entsprechenden Er­
tüchtigungsmöglichkeiten der Balkenla­
gen, der Eigenschaften des Dachstuhls in
Bezug auf energetische Massnahmen usw.
hervorgehen. Die Materialien sind nicht
nur für sich allein, sondern auch in ihren
gegenseitigen Verbindungen und Fügun­
gen zu betrachten. Zudem sind Zustands­
beschreibungen vorzunehmen, die von
defekt bis neuwertig reichen, die zukünf­
tige Verwendungsmöglichkeit eines Bau­
teils abschätzen und zu werten. Besondere
Aufmerksamkeit gilt den Schadensbildern,
geben diese doch Aufschluss über Prob­
lemzonen und allfällige Material- oder
Konstruktionsmängel.
Der energetische Zustand (2.4)
Der Energieverbrauch ist der einzige Be­
reich, in dem ein Altbau nach der Restau­
rierung und dem Umbau zwingend mehr
leisten muss als vorher. Da aus ästheti­
schen, konstruktiven oder finanziellen
Abbildung 14:
Mehrfamilienhaus
an der Segantini­
strasse in Zürich von
Kämpfen für Archi­
tektur, Zürich
29
Gebäudeerneuerung
30
Analyse
Gründen Neubaulösungen nicht ohne in­
dividuelle Anpassungen auf Altbauten
übertragbar sind, ist die genaue Kenntnis
aller Konstruktionsarten der verwendeten
Materialien ebenso von zentraler Bedeu­
tung wie deren Erhaltungszustand. Mass­
geschneiderte Lösungen können nur da
gelingen, wo präzise Kenntnisse des Vor­
handenen erarbeitet worden sind. Neural­
gische Punkte wie Estrich und Dach, der
Übergang von der Wand zum Dach, die
Wärmegrenze zwischen beheiztem Erdge­
schoss und unbeheiztem Keller sind genau
zu studieren und zu untersuchen. Oft wer­
den Fenster als neuralgische Punkte be­
trachtet und schon von Beginn weg deren
Ersatz für unabdingbar erklärt. Da Fenster
gleichzeitig die ästhetische Wirkung eines
Altbaus wesentlich mitbestimmen, ist im
Interesse eines authentischen Erschei­
nungsbildes der Ersatz oft problematisch.
Allfällige
Restaurierungsmöglichkeiten
sind einzig durch präzise Funktionsstudien
aller vorhandenen Fenster zu erarbeiten.
Der Erhaltungszustand der Fenster kann je
nach ihrem Standort sehr unterschiedlich
sein. Während an exponierten Lagen das
Schadensbild recht ernüchternd ausfallen
kann, sind an geschützten Lagen oft noch
sehr gut erhaltene Fenster vorhanden.
Eine seriöse Gebäudeanalyse untersucht
deshalb einzelne Bauteile und jedes ein­
zelne Fenster. Die Bauelemente sind detail­
liert zu untersuchen und hinsichtlich ihrer
Exponiertheit (Nordfassade, Wetterseite
usw.) zu dokumentieren. Nicht allein die
Möglichkeiten der Wärmedämmung, auch
die Sparmöglichkeiten bei der Wärmeer­
zeugung sind genau zu untersuchen. Vor­
handene Installationen sind auf ihre zu­
künftige Leistungsfähigkeit zu prüfen und
gleichzeitig die am Ort vorhandenen Res­
sourcen abzuklären.
Einkreisen des Potenzials (3)
Zuerst ist festzuhalten, dass die einge­
hende Betrachtung eines Gebäudes als ein
System aufeinander bezogener und abge­
stimmter Teile und Elemente selbstver­
ständlich auch auf Altbauten anzuwenden
ist. Im Gegensatz zum Neubau hat das sys­
temische Zusammenwirken aller Teile und
Elemente eines Altbaus seine Funktions­
tüchtigkeit bereits viele Jahrzehnte unter
Beweis gestellt. Für die spätere Zielformu­
lierung ist es wichtig, den Systemcharakter
eines Altbaus möglichst umfassend zu er­
kennen. Stärken wie auch Schwächen sind
aufzulisten und zu benennen. Ein Altbau
hat aber auch seine Problempunkte, die
technischer, materieller, räumlicher oder
auch ästhetischer Natur sein können.
Diese Problempunkte, ob immer schon
vorhanden oder erst mit der Zeit entstan­
den, gilt es aufzuzeigen. Die Grenzen der
Belastbarkeit, des Leistungsvermögens
und der Nutzung sind abzustecken. Mög­
lichst genaue Aussagen über notwendige
Verbesserungen, Verstärkungen oder Er­
gänzungen sind hier zu treffen. Altlasten
und die daraus resultierenden Sanierungs­
pflichten sind zu benennen. Aufgrund der
zahlreichen, untereinander in direkter oder
indirekter Beziehung stehenden Faktoren
erfolgt die Formulierung des Potenzials –
langsam vorantastend und immer wieder
auf die verschiedenen Aspekte zurückgrei­
fend. Hier geht es noch nicht um die For­
mulierung eines Ziels, um das Festlegen
des einzuschlagenden Wegs, sondern ein­
zig und allein um ein Aufzeigen der Mög­
lichkeiten, Grenzen, Rahmenbedingungen
und Spielräumen. Dabei ist nicht schwarzweiss zu argumentieren, sondern mit
wohlabgewogenen Wertungen auch alle
Zwischenstufen aufzuzeigen. Dieses Vor­
gehen schafft verlässliche Grundlagen,
welche den Planenden in der kreativen
Phase der Entwicklung von Lösungsstrate­
gien, von Konzepten oder der Projektstu­
dien unterstützen.
Kapitel 4
Planungsprozesse, Strategie und
Kommunikation
Philippe
Lustenberger
Bezüglich des «Weiterbauens» stellen die
zu entwickelnde Liegenschaft, die Ansprü­
che des Immobilienbesitzers sowie die ex­
ternen Ansprüche hohe Anforderungen
an die Planungs- und Erstellungsprozesse.
Insbesondere die Klärung der Immobilien­
strategie und Gestaltung der Teampro­
zesse und damit auch der Kommunikation
innerhalb der Prozesse stellen wichtige
Elemente im «Weiterbauen» dar.
Demnach muss in erster Linie geklärt wer­
den, was der Immobilienbesitzer für
grundsätzliche Strategien verfolgt, bei­
spielsweise:
]]Bildet die Immobilie im Falle eines Kleinst­
portfolios einen Teil seiner persönlichen
Altersvorsorgung?
]]Hat der Immobilienbesitzer einer grösse­
ren Wohnüberbauung das Ziel, günstigen
Wohnraum zur Verfügung zu stellen?
]]Sind hohe Renditeaussichten durch die
Kapitalanlage Immobilie die Grundlage der
Investition?
]]Sind kurzfristige oder eher langfristige,
nachhaltige Zielsetzungen wichtig?
Denn im Falle eines unprofessionellen In­
vestors, was insbesondere bei Kleinstport­
foliobesitzern und Einzelimmobilienbesit­
zern häufig vorkommt, ist er auf die Kom­
petenz und die Fähigkeiten von Beratern
und Planern angewiesen, die Investitions­
absichten und deren Konsequenzen rich­
tig einschätzen können. Die konkrete Ver­
bindung der Ausgangslage mit den Poten­
zialen der Immobilie, des Standortes und
des Immobilienmarktes bildet dabei die
Grundlage zur Strategiedefinition. Dabei
bilden die Kommunikationsfähigkeiten
beider Seiten eine vertrauensbildende
Grundlage, um das Investitionsvorhaben
erfolgreich umsetzen zu können.
Die Planungs- und Erstellungsprozesse
sind in den Normen des SIA (insbesondere
in der SIA 112, Leistungsmodell) ausrei­
chend beschrieben und finden landesweit
Diese Ausgangslage zu benennen, bedarf
einer Sensibilisierung des Immobilienbesit­
zers. Welche Gefahren und Chancen mit
der Strategie verbunden sind, z. B. dass die
zu erwartenden Mieterträge die Investition
nicht abdecken und damit die Wertent­
wicklung der Immobilie negativ beeinflus­
sen. Dies muss vor der eigentlichen Bau­
planung und der Realisierung geklärt wer­
den. Das bedeutet auch, dass der als «In­
vestor» auftretende Immobilienbesitzer
seine Verantwortung bezüglich der Strate­
gie-, Planungs- und Erstellungsprozesse
erkennen und wahrnehmen muss!
Strategische
Vorleistung
Strategieprozess
Strategische
Planung
Vorstudie
Planungsprozesse
Unternehmensstrategie
Immobilienportfoliostrategie
Objektstrategie
Planung und Erstellung
nach SIA 112
Projektierung
Ausschreibung
Abbildung 16:
Gesamtschau über
den Strategiepro­
zess, den Planungs­
prozess, den Erstel­
lungsprozess und
die Nutzung. Die
drei letztgenannten
entsprechen dem
Phasenmodell nach
SIA 112, wobei die
Phase «Strategische
Planung» lediglich
die «Bedürfnisfor­
mulierung» auf der
Stufe der konkreten
Umsetzung sowie
die «Lösungsstrate­
gie» abdeckt, über­
geordnete Aus­
gangslagen werden
nicht eingebunden.
(Quelle: nach SIA
112)
Realisierung
Erstellungsprozesse
Phasenmodell nach SIA 112
Abbildung 15:
Darstellung des hie­
rarchischen Aufbaus
von «Unterneh­
mensstrategie»,
«Immobilienportfo­
liostrategie», «Ob­
jektstrategie», «Pla­
nung und Umset­
zung» nach SIA 112
und deren logi­
schen Verknüpfung.
(Quelle: SIA 112;
IPB/KBOB)
Betrieb
Nutzung
32
Planungsprozesse, Strategie und Kommunikation
hohe Akzeptanz bei Planern, Bauunter­
nehmungen und bei Bauherrschaften. Da­
her wird an dieser Stelle auf eine ausführ­
liche Auseinandersetzung mit den Pla­
nungs- und Erstellungsprozessen verzich­
tet. Jedoch werden die der SIA vorgelager­
ten Strategieprozesse etwas tiefer analy­
siert und daraus Auswirkungen in die Zu­
sammenarbeitsformen der Folgeprozesse
erläutert.
Zusammenarbeitsformen
Im Strategieprozess wird die Immobilie,
insbesondere deren Standort und der Im­
mobilienmarkt, analysiert und bewertet
sowie der gesellschaftlichen Entwicklung
gegenübergestellt. Aus diesen Erkenntnis­
sen können Szenarien im Sinne der Zu­
kunftsplanung entwickelt und die zu defi­
nierende Strategie damit überprüft wer­
den.
Strategische Vorleistungen
Zur Erreichung der Strategiedefinition
müssen Berater und Planer auf die Bedürf­
nisse des Investors gezielt eingehen und
die Möglichkeiten und Potenziale seitens
der Immobilie gegenüberstellen. Dabei
spielt der Immobilienmarkt ebenso eine
bedeutende Rolle wie der Standort der Im­
mobilie. Dies folgt aus der marktwirt­
schaftlichen Betrachtung der Immobilie:
Sie bindet das eingesetzte Kapital über
eine lange Zeit (Nutzungszeiten von 50 bis
80 Jahren sind bei tragenden Bauteilen
üblich) und ist dabei fest mit dem Bau­
grund verbunden, also immobil.
An der Strategieerstellung sind abhängig
der Konstellation des Investors und der
Aufgabenstellung unterschiedliche Rollen
denkbar, wobei es möglich ist, dass meh­
rere Rollen auf eine Person anfallen:
]]Die Bauherrschaft löst das Investitions­
vorhaben aus und hat Ansprüche an das
erwartete Resultat.
]]Der Moderator führt den Strategiepro­
zess und kontrolliert die Zielerreichung des
Resultates.
]]Der Investor übernimmt die Immobilie
nach deren Erstellung. Zu unterscheiden
sind die institutionellen Investoren (Immo­
bilienfonds, Versicherungen, Pensionskas­
Auftrag
Bauherr, Investor
Entschädigungsforderung
(Honorar)
Kapital
Kapitalgeber
Moderator
Moderator
Zusammenarbeit
Berater
Zusammenarbeit
Investitionsvorhaben
Abbildung 17:
Beziehungsnetz im
Investitionsvorha­
ben und rechtliche
Beziehung der Be­
teiligten. Der
Strang links zeigt
die Zusammenar­
beit im Vertragsmo­
dell «Auftrag» ge­
mäss Art. 394 OR,
rechts sind Kredit­
vergabe, Mietver­
trag (Art. 253 OR)
und einseitige An­
sprüche z. B. der öf­
fentlichen Hand
durch die «Inaus­
sichtstellung» der
Baubewilligung
dargestellt.
Zinsansprüche
Mietvertrag
Nutzer
Leistungsanspruch
an Immobilie
Planer
Einseitige Ansprüche
(ohne Rechtsverhältnis)
Beratung und
Empfehlung
Immobilie
Übernimmt
die Immobilie
Weitere Beteiligte
(z.B. öffentliche
Hand)
Bauherr, Investor
33
Gebäudeerneuerung
sen, etc.) und die privaten Investoren. Der
Investor kann gleichzeitig auch Bauherr­
schaft sein.
]]Der Kapitalgeber unterstützt den Inves­
tor in der Bereitstellung des Investitionska­
pitals und erwartet dafür eine entspre­
chende Entschädigung. Sein Vertrauen in
das Investitionsvorhaben wird in der Höhe
der Kapitalverzinsung (Risikoeinschätzung)
ausgedrückt, das er von der Bauherrschaft
respektive vom Investor erwartet.
]]Der Berater interpretiert die anfallenden
Entscheidungsgrundlagen, bewertet diese
und gibt dem Investor eine Empfehlung ab.
Dabei untersucht er die Auswirkungen, die
ein Entscheid zur Folge hat.
]]Der Planer bewertet den Zustand und
zeigt Entwicklungspotenziale auf.
]]Die Nutzerschaft bringt ihre Ansprüche
an das Objekt ein und erklärt ihre Bereit­
schaft zur Nutzung der Immobilie.
]]Die Grundstückeigentümer überlassen
das entsprechende Grundstück zum Kauf
oder zur Pacht für eine bestimmte Laufzeit
(Vergabe im Baurecht).
]]Weitere Beteiligte sind denkbar. Darun­
ter fallen beispielsweise die öffentliche
Hand mit Einschätzungen zur möglichen
Baubewilligung und einspracheberechtigte
Anstösser.
Rechtliche Betrachtung
Die Beteiligten eines Strategieprozesses
haben eine unterschiedliche rechtliche Po­
sition. Moderator, Berater und Planer sind
als Auftragnehmer nach Art. 394 OR zu
verstehen. Die Bauherrschaft und die Nut­
zerschaft vereinbaren ein Mietverhältnis
nach Art. 253 OR, wobei der Vertragsbe­
ginn des Mietverhältnisses nicht mit dem
Strategieprozess verknüpft ist, sondern
erst nach der Erstellung beginnen kann.
Weitere Beteiligte können einseitig ihre
Ansprüche an das Vorhaben einbringen,
dies ohne ein Rechtsverhältnis mit der
Bauherrschaft respektive dem Investor ein­
zugehen. Einseitig deshalb, weil die Bau­
herrschaft oder der Investor den Anforde­
rungen in der Regel keine Gegenforderun­
gen stellen kann. Als Beispiel sind hier die
formellen Anforderungen an die Baube­
willigung erwähnt. Im Gegensatz zum
Strategieprozess werden im Planungspro­
zess neben dem Auftrag auch Werkver­
träge nach Art. 363 OR vergeben, im Er­
stellungsprozess sind es fast ausschliesslich
Werkverträge. In der Betriebsphase sind es
typischerweise Mietverträge.
Auswirkungen auf die Folgeprozesse
Was im Strategieprozess durchaus Kreati­
vität in der Prozessgestaltung bedarf,
schränkt die Gestaltung der Planungs- und
Erstellungsprozesse wesentlich ein. Aus
der Wahl der Abwicklungsform, der Ent­
scheidung zwischen Einzelleistungsträger,
Generalplaner, Generalunternehmer oder
Totalunternehmer, entwickelt sich die
Kommunikationsform in der Umsetzung
des Investitionsvorhabens. Daher ist es
wichtig, antizipieren zu können, welche
Kommunikationsform im jeweiligen Teil­
prozess die richtige ist. Grundlagen dazu
sind die konkrete Ziel- und Leistungsver­
einbarung, die auf unterschiedlicher Ebene
durchgeführt werden muss.
Quellen
]]IPB/KBOB: Nachhaltiges Immobilienma­
nagement. Die Risiken von morgen sind die
Chancen von heute. Eine Anleitung zum
Handeln, Bern 2010. Zu finden unter:
www.bbl.admin.ch/kbob/00509/00511/
02471/index.html
]]Schulte, K.-W.: Handbuch ImmobilienPro­jektentwicklung, 2. Auflage, Rudolf
Mül­ler Verlag, Köln 2002
]]Ordnung SIA 112, 2001, Leistungsmo­
dell, SIA, Zürich 2001
Kapitel 5
Ökonomische Nachhaltigkeit
Klaus Eichen­
berger
Heinz Mutzner
Einflüsse
Markt
Grundsätzlich wird in den Strategien der
Unternehmung respektive der Eigentü­
merschaft und in der Objektstrategie fest­
gelegt, welche Nachhaltigkeitsziele die
Immobilie zu erreichen hat. Eine Immobilie
ist dann nachhaltig, wenn sie über die
ganze Lebensdauer betrachtet einen Nut­
zen sowie Mittel für Unterhalt und Erneu­
erung generiert und einen Beitrag zur
Qualität des Umfeldes leistet. Die Mess­
grösse für den Nutzen ist je nach Betrach­
tungsweise unterschiedlich. Der Nutzen
kann zum Beispiel auf den sozialen Aus­
tausch, das Quartier, den öffentlichen
Raum, den Umgang mit Ressourcen, kul­
turelle und gesellschaftliche Werte, den
Mietertrag etc. bezogen werden. Alle
diese Einflussgrössen (Themen nach der
Richtlinie SIA 112/1) tragen zum Nutzen
oder der Attraktivität einer Immobilie bei
und daraus resultiert die Bereitschaft, für
die Nutzung der Immobilie – beeinflusst
durch Angebot und Nachfrage im Markt
– zu bezahlen. Dadurch können Erträge
erwirtschaftet werden, die zusammen mit
den Anlage-, Betriebs- und Unterhaltskos­
ten die Wirtschaftlichkeit einer Immobilie
ergeben. Die monetär messbaren Erträge
hängen fast ausschliesslich von Einflüssen
ab, die sich nicht unmittelbar in Zahlen
ausdrücken lassen.
Die ökonomische Nachhaltigkeit von
Wohn- und Betriebsimmobilien ist aus der
Sicht eines Eigentümers einer Betriebsoder Mietimmobilie über Mieterträge und
Kosten quantifizierbar. Die Benutzer der
Immobilie, auch die Eigentümer als Selbst­
nutzer, können dagegen den Nutzen nur
indirekt monetär ausdrücken. Ihr Nutzen
besteht neben ökonomischen aus gesell­
schaftlichen und kulturellen Komponen­
ten, die nicht direkt mit Geldbeträgen
quantifizierbar sind, aber über die Attrak­
tivität der Immobilie und die Zahlungsbe­
reitschaft der Nutzer im Rahmen des
Marktes die erzielbaren Preise und Mieter­
träge von Immobilien beeinflussen.
Im Immobilienmarkt spielen das Angebot
und die Nachfrage nach Grundstücken
und Gebäuden und deren Nutzung (Eigen­
nutzung, Drittnutzung und Fremdvermie­
tung) zusammen.
Der Eigentümer der Immobilie will über
deren Lebenszyklus eine angemessene
Rendite oder einen möglichst hohen Bei­
trag an die Unternehmensziele erreichen.
Der Nachfrager seinerseits ist bereit, das
Angebot zu kaufen respektive zu mieten,
wenn dieses seinen erwarteten Nutzen be­
friedigt. Den Nutzen wird der Mieter u. a.
mit seinem Gesamtaufwand für die Miete,
d. h. der warmen Miete einerseits, der Ma­
kro- und Mikrolage und den zugehörigen
zusätzlichen Kosten z. B. für Mobilität an­
dererseits vergleichen. Auch die externen
Effekte aus öffentlichen Gütern (Zugang
zu Parks und Freiflächen, Infrastruktur,
Nachbarschaft, Aussicht etc.) spielen eine
zentrale Rolle. Studien [1] zu Anlageimmo­
bilien belegen zudem, dass zunehmend
Gruppen von Mietern und Käufern entste­
hen, die aus gesellschaftlicher Verantwor­
tung nachhaltige und besonders umwelt­
freundliche oder auf gesundes Wohnen
ausgerichtete Immobilien bewohnen oder
besitzen wollen. Der Nachfrager wird das
Angebot nach verschiedenen Kriterien be­
werten und wenn diese Bewertung positiv
ausfällt, die Immobilie in eine Auswahl ein­
beziehen. Der Nachfrager setzt also eine
Art privates Ratingsystem ein.
Für den Immobilienbesitzer von Anlageim­
mobilien bedeutet nachhaltiges Handeln,
über einen grossen Zeitraum des Lebens­
zyklus der Immobilie Prognosen über die
künftige Nachfrage und die erforderlichen
Investitionen (Instandhaltung, Erneue­
rung) zu erstellen, um der künftigen Nach­
frage gerecht zu werden. Dabei muss er
auch das Umfeld, die Konkurrenz, die Ent­
wicklung des Quartiers beachten. Es kann
nachhaltig sein, auf eine Investition zu ver­
zichten, wenn die Umgebung Wertsteige­
rungen nicht zulässt. Die Investitionen
36
Ökonomische Nachhaltigkeit
müssen über einen geeigneten Zeitraum
systematisch geplant werden, damit die
Immobilie zum richtigen Zeitpunkt markt­
gerecht ist und langfristig den erwarteten
Nutzen bringt.
Auch die Entwicklung von Baustandards
muss beachtet werden. Wer im Jahr 2011
ein Gebäude entlang der aktuellen Vorga­
ben für den Energieverbrauch plant, wird
voraussichtlich über den grössten Teil von
dessen Lebenszyklus eine veraltete Immo­
bilie haben, wenn ab 2020 das Fast-Null­
energiehaus [2] der relevante Standard
wird.
Varianten und Szenarien
Bei jedem Projekt, insbesondere beim
meist sehr anspruchsvollen Weiterbauen,
lohnt es sich, mehrere konkret vorstellbare
Varianten zu entwickeln, um alle sinnvoll
erscheinenden Lösungsmöglichkeiten be­
urteilen zu können. Für eine bestehende
Nutzung,
Erschliessung
Gestaltung
Gemeinschaft
Wohlbefinden,
Gesundheit
Gebäudesubstanz
Immobilienmarkt
Attraktivität
Erträge
Baustoffe
Anlagekosten
Betriebsenergie
Betriebsund Unterhaltskosten
Boden,
Landschaft
Infrastruktur
Abbildung 18:
Einflussgrössen auf
monetäre Faktoren
Wirtschaftlichkeit
37
Gebäudeerneuerung
Wohnimmobilie beispielsweise die Varian­
ten «sanieren» und «laufender Unter­
halt». Bereits diese an sich einfachen Vari­
anten sind nicht leicht gegeneinander ab­
zuwägen, weil zur Beurteilung der ökono­
mischen Nachhaltigkeit einer Immobilie
lange Zeiträume betrachtet werden müs­
sen und darum viele Annahmen über zu­
künftige Marktverhältnisse in die Betrach­
tungen einfliessen, die mit Unsicherheiten
behaftet sind. Deshalb empfiehlt es sich,
mit Szenarien zu arbeiten, die einen geeig­
net langen Zeitraum umfassen. In den Sze­
narien müssen Einflussgrössen wie Verän­
derungen von gesellschaftlichen Ansprü­
chen, steigende Energiepreise, klimatische
Veränderungen, Kaufkraft der Marktteil­
nehmenden, etc. abgeschätzt werden [3].
Dieses Vorgehen wird im Folgenden an ei­
nem einfachen Beispiel veranschaulicht.
Für eine im Jahr 1972 erstellte Wohnung
sollen die erzielbaren Mieterträge für die
Varianten «saniert» und «unsaniert» ab­
geschätzt werden. Die beiden Varianten
sind in Tabelle 3 charakterisiert. Es wird an­
genommen, die unsanierte Wohnung
könne bei den gegebenen Marktverhält­
nissen für 2200 Fr. pro Monat vermietet
werden, die sanierte für 2500 Fr. Demnach
muss der Vermieter bei steigenden Ener­
giekosten die kalte Miete senken, damit
die Summe aus kalter Miete und Energie­
kosten nicht steigt. Da die Entwicklung der
Energiepreise unbekannt ist, sollte mit vier
verschiedenen Szenarien für deren jährli­
che Zunahme: 4 %, 5 %, 6 % und 7 % ge­
rechnet werden. Daraus ergibt sich die
folgende Entwicklung der marktgerechten
Kaltmieten (Abbildung 19).
Die erzielbaren Kaltmieten der nicht sa­
nierten Wohnung sind tiefer (was mögli­
cherweise durch die nicht eingesetzten
Sanierungskosten wettgemacht wird) und
vor allem ist ihre Streuung, also die Prog­
noseunsicherheit, wesentlich grösser als
bei der sanierten Wohnung. Der Entscheid
gegen eine Sanierung führt also zu einem
wesentlich höheren Risiko (Unsicherheit).
In der Praxis müssen selbstverständlich
umfassendere Szenarien mit allen relevan­
ten Einflussgrössen, insbesondere das
Mietrecht, untersucht werden.
Lebenszyklus
Immobilien bestehen normalerweise lange
Zeit, fünfzig und mehr Jahre. Dabei altern
sie technisch und auch in Bezug auf Nut­
zeranforderungen (funktionale und soziale
Alterung), was bedeutet, dass sich die
Marktpositionierung der Immobilie ver­
schlechtert. Die technische Alterung ver­
läuft, bezogen auf die gesamte Immobilie
und die einzelnen Bauteile, in unterschied­
lichen Zeiträumen. Dabei spielt die Struk­
tur des Gebäudes eine grosse Rolle. Sind
die Strukturen klar in primäre, sekundäre
und tertiäre Systeme getrennt oder lässt
sich bei einer Erneuerung diese Trennung
herbeiführen, so sind die Kosten für Unter­
halt [4] und Veränderung günstiger.
Beschreibung
unsaniert saniert
Einheit
Energiekennzahl
110
50
kWh/m2 a
Energiepreis im Jahr 2011
0,1
0,1
Fr./kWh
Energiekosten im Jahr 2011 = Energiekennzahl
mal Energiepreis
11,0
5,0
Fr./m2 a
Kaltmiete im Jahr 2011
200
230
Fr./m2 a
warme Miete im Jahr 2011 = Kaltmiete und
Energiekosten
211
235
Fr./m2 a
Wohnfläche
120
120
m2
Kaltmiete im Jahr 2011 = Wohnfläche mal Kalt­ 2000
miete pro m2 und Jahr, geteilt durch 12
2300
Fr./Monat
Warme Miete im Jahr 2011 = Wohnfläche mal
Warme Miete pro m2 und Jahr, geteilt durch 12
2110
2350
Fr./Monat
Zahlungsbereitschaft für die Bruttomiete
2200
2500
Fr./Monat
Tabelle 3:
Darstellung Mieter­
träge «saniert» und
«unsaniert».
38
Ökonomische Nachhaltigkeit
Schwie­riger ist, die funktionale und soziale
Alterung zu beschreiben, weil dafür die zu
erwartenden ökonomischen, gesellschaft­
lichen und ökologischen Veränderungen
berücksichtigt werden müssen. Dazu be­
stehen mindestens für Wohnungen Instru­
mente [5, 6], die jedoch mit der künftigen
Nachfrage (den Szenarien) abgestimmt
werden müssen. Auf jeden Fall hat eine
Immobilie, die verschiedene Nutzungen
ermöglicht, ein höheres Potenzial, nach­
haltig Nutzen zu erzeugen als eine, die auf
nur eine Nutzung zugeschnitten ist. Dabei
ist jedoch zu beachten, dass dadurch die
Erstvermietung erschwert werden kann,
weil kein zielgruppenspezifisches Produkt
angeboten wird.
Durch regelmässige Instandhaltung res­
pektive Erneuerung wird der Wert der Im­
mobilie über den Lebenszyklus erhalten
oder sogar gesteigert. Die Massnahmen
haben in geeigneten Abständen systema­
tisch geplant zu erfolgen, bis schliesslich
das Bauwerk das Ende seines Lebenszyklus
erreicht und rückgebaut wird. Der Lebens­
zyklus der Immobilie umfasst die Prozesse
von der ersten Investitionsabsicht, über die
Planung, die Erstellung, die Instandhal­
tung, die Erneuerung und den Betrieb bis
schliesslich zum Rückbau des Bauwerkes.
Zwischen dem Lebenszyklus der Immobi­
lie, den Investitionsmassnahmen und ihrer
nachhaltigen Markttauglichkeit besteht
also ein zwingender Zusammenhang.
Discounted-Cash-FlowMethode
Die Discounted Cash Flow Methode dient
zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von
Investitionen. Ausgehend von der Unter­
nehmensbewertung, bei der die DCF-Me­
thode seit Jahrzehnten angewandt wird,
wurde sie zunehmend auch für die Immo­
bilienbewertung eingesetzt und ist seit ei­
nigen Jahren der Standard [7]. Die Me­
thode wird in SIA 480 «Wirtschaftlich­
keitsrechnung für Investitionen im Hoch­
bau», Norm und Leitfaden, ausführlich
erläutert.
Discounted Cash Flow heisst auf deutsch
«abgezinster Einnahmenüberschuss». In
der DCF-Methode werden auf einen ge­
wählten Betrachtungszeitpunkt hin alle
zukünftigen, diskontierten jährlichen Net­
toerträge in einer Kennzahl, dem Kapital­
wert, aufsummiert. Eine Investition oder
ein Projekt ist dann wirtschaftlich, wenn
der Kapitalwert mindestens null ist. Wich­
tig und für Investoren gelegentlich bitter
Erzielbare Kaltmiete (Fr. pro Monat)
2500
saniert
4%
5%
6%
7%
unsaniert
4%
5%
6%
7%
2000
1500
1000
500
Abbildung 19:
Darstellung Kalt­
miete bei steigen­
den Energiepreisen
–
2010
2015
2020
2025
Jahr
2030
2035
39
Gebäudeerneuerung
– «wir haben doch so viel investiert» – ist,
dass die Methode ausschliesslich zukünf­
tige Ertragsüberschüsse berücksichtigt. In­
vestitionen in der Vergangenheit werden
in der Berechnung nicht berücksichtigt,
deren Folgekosten und Folgeerträge dage­
gen schon; es wird einzig auf den zukünf­
tigen Nutzen abgestellt. Eine Investition,
die voraussichtlich keinen Nutzen generie­
ren wird, ist demnach wertlos.
Teuerung
Die Wirtschaftlichkeitsberechnung dient
meistens dem Variantenvergleich. Dieser
wird leichter interpretierbar, wenn mit
heutigen Preisen gerechnet wird. Davon
ausgenommen sind nach SIA 480 Kosten­
elemente, deren Teuerung von der gene­
rellen Teuerung signifikant abweicht, bei­
spielsweise die Energiekosten.
Betrachtungszeitraum
Für alle Überlegungen zur ökonomischen
Nachhaltigkeit einer Immobilie spielt der
Betrachtungszeitraum eine wesentliche
Rolle. Für eine umfassende Lebenszyklus­
betrachtung sollte die erste grosszyklische
Erneuerung abgeschlossen sein, d. h. der
Betrachtungszeitraum sollte mindestens
50 Jahre betragen. Voraussetzung dafür
ist die Planung der Instandhaltungs- und
Erneuerungszyklen, was wiederum dazu
führt, dass man sich mit der Lebensdauer
der Bestandteile einer Immobilie, d. h. mit
der technischen Nachhaltigkeit eines Ob­
jekts, befassen muss.
Ausgehend von der Definition der Nach­
haltigkeit der UNO hat der Betrachtungs­
zeitraum ausreichend lang zu sein, um die
Interessen der nächsten Generation mit
einzubeziehen. Ein wichtiger Aspekt der
Nachhaltigkeitsdefinition ist die Gestal­
tungsfreiheit der zukünftigen Generatio­
nen. Übertragen auf Immobilien bedeutet
das, dass wir flexibel nutzbare, leicht rück­
baubare Bauten erstellen sollten.
Quellen
]][1] Fondsmedia: Marktstudie Green Buil­
ding: Immobilienökonomie der Zukunft
oder kurzlebiger Ökotrend? April 2010
]][2] EU-Richtlinie (2010/C 123 E/04) zur
Ge­samt­energiebilanz von Gebäuden, Mai
2010
]][3] Steigende respektive erhöhte Ener­
giekosten dürfen im Rahmen des Miet­
rechts auf die Mieter überwälzt werden.
]][4] Begrifflichkeit gemäss Norm SIA 469
Erhaltung von Bauwerken, 1997
]][5] www.bwo.admin.ch/wbs
]][6] Berner Fachhochschule: Forschungs­
projekt «Wohnqualität und Siedlungs­
struktur»
]][7] RICS, Swiss Valuation Standards,
2007
Kapitel 6
Gebäudehülle
Niklaus Hodel
Tabelle 4:
Anforderungen an
den Heizwärmebe­
darf
Abbildung 20:
Thermografieauf­
nahme: Beispiel ei­
ner guten und einer
schlechten (keiner)
Dämmung
Die Gebäudehülle und deren wichtigsten
Bauteile – die Aussenwand, die Fenster,
das Dach, die Decken und Böden – müssen
neben Architektur und Statik hohe bau­
physikalische Anforderungen bezüglich
Wärme, Kälte, Feuchte, Schall und Brand
erfüllen. Die Gebäudehülle ist im Zusam­
menspiel mit der Haustechnik der absolut
entscheidende Faktor bezüglich des Wär­
mehaushaltes eines Gebäudesystems. Aus
diesem Grund ist Qh (Heizwärmebedarf)
respektive der gesetzliche Grenzwert Qh,li
in MJ/m2 a die zentrale Grösse. Es gelten
folgende Primäranforderungen (Tabelle 4).
Vor allem bei Altbauten ist der Energiever­
lust über die Bauteile (Transmissionswär­
meverlust) von entscheidender Bedeu­
tung. Mit einer optimal gedämmten Ge­
bäudehülle kann mehr als 50 % der Be­
triebsenergie eingespart werden. Zusätz­
lich spielt auch die thermische Trägheit
(Masse) eine bis heute noch etwas unter­
schätzte Rolle bezüglich des Energiehaus­
haltes. Die Transmissionswärmeverluste
und die sich ergebenden Oberflächentem­
peraturen lassen sich mit Infrarotaufnah­
men visualisieren. Die Aufnahmen ermög­
lichen Vergleiche, Wärmeverluste werden
dadurch nicht quantifiziert.
In diesem Kontext spielen Wärmedämm­
stoffe eine ganz zentrale Rolle. Es existiert
auf dem Markt eine Vielzahl von bereits
älteren, bewährten und zum Teil ganz neu
entwickelten organischen und anorgani­
schen Dämmstoffen. Die wichtigste Kenn­
grösse für einen Dämmstoff ist die Wär­
meleitfähigkeit λ in W/m K. Ergänzend
dazu werden aber auch andere Aspekte
wichtig wie die graue Energie, die Eignung
für den Rückbau und das Recycling sowie
weitere ökologische Kriterien (www.ecobau.ch). Gebäudehüllen sind aber nicht
nur Energieverlustfaktoren, sondern je
nach Ausrichtung und Umgebung lässt
sich Energie gewinnen, einerseits passiv
durch die Fenster in den Innenraum, ande­
rerseits durch aktive solare Systeme auf
Dächern oder an Wänden.
Anforderungen an den
Neubau
Umbau
Heizwärmebedarf
1,25 Qh,li
Gesetzliche Anforderungen 1,0 Qh,li
Minergie
0,9 Qh,li
keine
0,8 Qh,li
Minergie-P
0,6 Qh,li
Anmerkung: Neubauten und Erweiterungen von bestehenden
Bauten (Aufstockungen, Anbauten, etc.) müssen so gebaut
und ausgerüstet werden, dass höchstens 80 % des zulässigen
Wärmebedarfs für Heizung und Warmwasser mit nicht erneu­
erbaren Energien gedeckt werden. Davon sind Erweiterungen
von bestehenden Bauten befreit, wenn die neu geschaffene
Energiebezugsfläche weniger als 50 m2 beträgt oder maximal
20 % der Energiebezugsfläche des bestehenden Gebäudeteiles
und nicht mehr als 1000 m2 beträgt.
Quelle: Mustervorschriften der Kantone 2008; sie gelten in
den meisten Kantonen.
Exkurs: Der Heizwärmebedarf, definiert durch die Norm SIA
380/1 «Thermische Energie im Hochbau», quantifiziert den
Wärmebedarf für ein Gebäude bei definierten Standardbedin­
gungen auf der Stufe Nutzenergie. Die Effizienz der Wärmeer­
zeugung ist damit nicht beschrieben, weil der Heizwärmebe­
darf an der Schnittstelle zwischen Gebäude und Wärmeerzeu­
gung erhoben wird.
42
Gebäudehülle
Energievorschriften
Um 1960: In einzelnen kantonalen Bauge­
setzen wird ein ausreichender Wärme­
schutz von U=1,0 W/m2 K für Aussen­
wandkonstruktionen gefordert.
Um 1975: In Folge der Erdölkrise (1973),
Minimalvorschriften für mittlere U-Werte,
gepaart mit Mindestvorschriften für Ein­
zelbauteile gemäss Empfehlung SIA 180/1
«Winterlicher Wärmeschutz». In dieser
Zeit beginnt die industrielle Grossproduk­
tion von Wärmedämmstoffen (Glaswolle,
Steinwolle, Polystyrole).
Um 1990: Festlegen von Grenz- und Ziel­
werten für den Jahresverbrauch pro m2
Energiebezugsfläche (EBF) bei Standard­
nutzungen für ein Gebäude gemäss Emp­
fehlung SIA 380/1.
Ab 2009: Mustervorschriften der Kantone
(MuKEn) und damit viele kantonale Ener­
giegesetze und Energieverordnungen be­
ziehen sich hinsichtlich der Grenz- und
Zielwerte und der Art der Verfahren auf
die SIA Norm 380/1 «Thermische Energie
im Hochbau».
Ab 2020: Im EU-Raum ist der Standard
Fast-Nullenergiehaus Pflicht.
Bei bestehenden Bauten wird zwischen
zwei Arten von Vorgaben unterschieden:
Für Anbauten, Aufstockungen und neu­
Energiekennzahl Wärme in kWh/m2a
220
Wirkung der
Erneuerungen
1990 bis 2005
200
180
Stand 1990
160
140
Reduktionspotenzial bei bestehenden Wohnbauten für
Minergie-P
120
nach 95
91 bis 95
1986 bis 1990
1981 bis 1985
1976 bis 1980
1971 bis 1975
1961 bis 1970
40
1946 bis 1960
60
vor 1920
80
1920 bis 1945
Stand 2005
100
20
Minergie-PStandard
0
Abbildung 22:
SIA Effizienzpfad
Energie
6000 Watt/Person
Heute
2000 Watt/Person
Ziel
SIA Effizienzpfad
Wohnen
Baumaterial
Mobilität
Büro
Schulen
z.B. Industrie, Landwirtschaft, Freizeit
Raumklima
Warmwasser
Licht und Apparate
3 Zielgruppen
Abbildung 21:
Energiebedarf des
Gebäudebestandes
und das entspre­
chende Optimie­
rungspotenzial bei­
spielhaft für den
Kanton Zürich.
Quelle: AWEL
5 Themenbereiche 3 Nutzungen
Energiebezugsfläche 78 Mio. m2
Massnahmen für
Politiker+
Behörden
Investoren
Planende
43
Gebäudeerneuerung
Wärmeleitfähigkeit von Wärmedämmstoffen
λ [W/mK]
Wärmedämmendes Einsteinmauerwerk ohne Füllung (0,08 bis 0,12)
0,100
0,095
Wärmedämmendes Einsteinmauerwerk mit Füllung (0,06 bis 0,09)
0,090
0,065
0,060
0,055
0,050
Schaumglas
(Platten)
Zellulose
(Platten)
Zellulose
(lose)
0,045
Kork Steinwolle
(Platten, Glaswolle
Matten,
(Platten,
Rollen)
Matten,
Rollen)
λD Wärmedämmputz
Polystyrol
Polystyrol
expandiert EPS extrudiert XPS
(15 bis 40 kg/m2) (Zellinhalt Luft)
0,040
Polyurethan PUR
0,035 (Zellinhalt Pentan,
diffusionsoffen)
0,030
0,025
Polyurethan PUR
(Zellinhalt Pentan,
diffusionsdicht)
λD EPS grau
λD Phenolharz
Vakuum-Isolations-Paneel (VIP)
bei «Ausfall» (ohne Vakuum)
0,020
0,015
λD Aspen Aerogel
0,010
λD VIP (dWD bis 25 mm)
λD VIP (dWD ab 30 mm)
0,005
0
HLWD
SIA 279: Bemessungswert λ für nicht überwachte Produkte
SIA 279: Nennwert λD für überwachte Produkte (schlechtester Wert)
SIA 279: Nennwert λD für überwachte Produkte (bester Wert)
Bauteil gegen Bau­
teil
Opake Bauteile
(Dach, Decke)
(Wand, Boden)
Opake Bauteile mit
Flächenheizungen
Fenster, Fenstertüren
Fenster mit direkt
vorgelagerten Heiz­
körpern
Türen
Tore (Türen grösser
als 6 m2)
Storenkasten
Abbildung 23:
Für Wärmedämm­
stoffe sind die
Kennwerte aus
Norm SIA 279 bzw.
aus Merkblatt SIA
2001 zu berücksich­
tigen. Produkte mit
einem λ-Wert von
unter 0,030 gehö­
ren zu den Hoch­
leistungswärme­
dämmstoffen
(HLWD). In der
Norm SIA 279
(2010) werden neu
auch Mauerwerks­
produkte dekla­
riert.
Tabelle 5:
Grenz- und Ziel­
werte für flächen­
bezogene Wärme­
durchgangskoeffizi­
enten bei 20 °C
Raumtemperatur
für vom Umbau
oder von der Um­
nutzung betroffene
Bauteile.
Grenzwerte Uli in W/m2 K
Aussenklima oder
Unbeheizte Räume
weniger als 2 m im oder mehr als 2 m
Erdreich
im Erdreich
Zielwerte Uta in W/m2 K
Aussenklima oder
Unbeheizte Räume
weniger als 2 m im oder mehr als 2 m
Erdreich
im Erdreich
0,25
0,25
0,25
0,28
0,30
0,28
0,15
0,15
0,15
0,20
0,20
0,20
1,3
1,6
0,90
1,1
1,0
1,3
0,80
1,0
1,3
1,7
1,6
2,0
1,1
1,2
1,3
1,4
0,50
0,50
0,30
0,30
44
Gebäudehülle
bauartige Umbauten gelten die Neubau­
anforderungen. Für Umbauten und Um­
nutzungen gelten die Anforderungen für
den Umbau. Diesbezüglich gibt die SIA
380/1 Grenzwerte der System-Anforde­
rung (entsprechend 125 % der Anforde­
rungen für Neubauten) wie auch Einzel­
bauteil- Anforderungen vor. Ein Zwang für
wärmetechnische Sanierungen besteht in
der Schweiz nicht. Sofern aber Massnah­
men an der Bauhülle getroffen werden,
sind diese gesetzeskonform zu realisieren.
Entscheidend ist die Eingriffstiefe der
Massnahmen. Anwendbar sind bei erheb­
lichen Eingriffen die Umbauvorschriften.
Veränderungsstrategien
Abbildung 24:
Durchschnittliche
Wärmeverluste ei­
nes Mehrfamilien­
hauses aus den
60er-Jahren mit ei­
nem Verbrauch von
20 l Öl pro m2.
Für jedes Gebäude sowie dessen Bauteile
sind ganz unterschiedliche Verbesserungs­
strategien möglich.
Renovation: Massnahmen zur Bewah­
rung des Soll-Zustandes oder Verbesse­
rung des Ist-Zustandes
Sanierung: Massnahmen zur Verbesse­
rung des Bauzustandes bzw. zur Errei­
chung des Soll-Zustandes (z. B. Wärmeund Schallschutz). Je nach Vorgabe des
Soll-Zustandes verändert sich die Eingriffs­
tiefe (z. B. Sanierung nach Vorschrift oder
nach Minergie, Minergie-P, Passivhaus etc.)
Erneuerung: Bauteile können als Gesam­
tes erneuert werden, so dass diese den
Warmwasser
10%
Heizung
Außenwand
13%
20%
17%
8%
Dach
Fenster
5%
Keller
27%
Lüftung
aktuellen technischen und bauphysikali­
schen Anforderungen entsprechen.
Transformation: Ein Bauteil übernimmt
neue Aufgaben infolge Umnutzung, Er­
weiterung oder Transformation (z. B. Da­
chausbau, Anbau, Umbau, etc.).
Ersatz: Bauteile oder das Gebäude selbst
werden vollständig rückgebaut und durch
andere, neue Bauteile ersetzt.
Es gibt grundsätzlich drei wesentliche
Schritte zur energetischen Ertüchtigung
eines Gebäudes. Die Reihenfolge ent­
spricht den Prioritäten.
Minimierung der Verluste: gute Dämm­
werte für Aussenbauteile von U unter 0,20
W/m2 K anstreben, Wärmebrücken redu­
zieren respektive vermeiden, luftdichte
Gebäudehüllen anstreben, Komfortlüf­
tung mit Wärmerückgewinnung einbauen.
Maximierung der Gewinne: Fenster res­
pektive Gläser mit hohem g-Wert und tie­
fem U-Wert vorsehen; Fensterflächen ge­
gen Süd, Südost und Südwest möglichst
maximieren und nicht verschatten; interne
Speichermasse erhöht den Solargewinn.
Energie möglichst erneuerbar und effi­
zient gewinnen und nutzen: Den Rest­
bedarf an Wärme für Heizen und Warm­
wasser möglichst mit erneuerbaren Ener­
gien decken. Die dafür notwendigen
Haustechniksysteme sollten dem Bedarf
und dem Gebäude angepasst sein und
eine effiziente Energieproduktion ermögli­
chen (Energieträger, Wärmeerzeugung,
Verteilsystem, Lüftungsanlage).
Fassaden
Vor 1920: Die Bautechnik war vor 1920
häufig gekennzeichnet durch eine histori­
sierende Formensprache, es wurden zahl­
reiche Verzierungen aus verschiedenen
vorhergehenden Architekturepochen ver­
wendet. Handwerkliche Qualität und ho­
her personeller Aufwand waren notwen­
dig. Die Grundmauern der Gebäude wur­
den mit einem einschaligen Mauerwerk
erstellt. Diese Häuser sind heute oft ge­
schützt, so dass energietechnische Mass­
nahmen sehr schwierig zu realisieren sind.
Bis ca. 1960: Homogene und aus wenigen
Schichten aufgebaute Mauerwerke mit UWert um 1,2 W/m2 K.
45
Gebäudeerneuerung
Um 1970/80: Mehrschichtige (mit mini­
maler Wärmedämmung) und homogene
Mauerwerke aus verschiedensten Materia­
lien mit U-Werten von 0,4 bis 0,8 W/m2 K.
Ab 1990: Entwicklung von hochdämmen­
den Aussenwandsystemen mit U unter
0,20 W/m2 K.
Massnahmen: Bei Häusern aus den Grün­
derjahren und auch bei etwas jüngeren
Bauten sind z. B. die Gewände der Fenster
und Türen aus Naturstein und nicht selten
schön verziert. Eine aussen liegende Däm­
mung scheint aus architektonischen und
denkmalpflegerischen Gründen kaum
möglich. Vielfach ist auch eine innen lie­
gende Wärmedämmung nicht möglich, so
dass bei solchen Häusern an der Aussen­
wand nur dünne Dämmputzschichten ein­
gesetzt werden können – und auch dies
nur unter Umständen.
Die bauphysikalisch und energetisch sinn­
vollste Sanierung ist eine möglichst vollflä­
chige Aussenwärmedämmung. Die ther­
misch aktive und erwünschte Masse bleibt
im Haus (innerhalb des Dämmperimeters),
U-Werte mit λ = 0,038 W/mK
d = 15 cm; U = 0,20 – 0,23 W/m2 K
d = 20 cm, U = 0,17 – 0,20 W/m2 K
d = 25 cm; U = 0,13 – 0,15 W/m2 K
6
54
3
2 1
Konstruktionsaufbau
1 Innenputz (bestehend)
Konstruktionshinweise
]] Das innere, tragende Mauerwerk kann aus
Backstein-, Bruchsteinmauerwerk oder Be­
tonschale bestehen.
]] Materialien: Mineralwollplatten (Steinwolle
und Glaswolle)
2 Mauerwerk bestehend (variabel)
3 Wärmedämmschicht (variabel)
4 Fassadenunterkonstruktion/
Hinterlüftung
5 Fassadenverkleidung/Wetterschutz/Solaranlage
Abbildung 25:
Aussendämmung
hinterlüftet
6 wärmegedämmte Konsole oder Holzunter­
konstruktion
U-Werte mit λ = 0,06 W/mK
d = 3 cm; U = 1,1 – 1,4 W/m2 K
d = 5 cm; U = 1,0 – 1,2 W/m2 K
d = 10 cm; U = 0,6 – 0,8 W/m2 K
5 43 2 1
Konstruktionsaufbau
1 Innenputz (bestehend)
2 Mauerwerk bestehend (variabel)
3 Haftbrücke
4 Wärmedämmputz (verschiedene Produkte)
5 Deckputzbeschichtungssystem
Konstruktionshinweise
]] Das innere, tragende Mauerwerk kann aus
Backstein-, Bruchsteinmauerwerk oder Be­
tonschale bestehen.
]] Der Dämmputz wird üblicherweise in Stär­
ken von 2 cm bis 8 cm aufgetragen, für die
Anwendung sind die entsprechenden Pro­
dukteangaben massgebend.
]] Dämmputze können in variablen Stärken
appliziert (Fenstergewände, Fensterleibun­
gen, Fassade) und sie können auch innen
oder als Kombination zu einer Innen- oder
Aussendämmung appliziert werden.
Abbildung 26:
Dämmputz aussen/
innen
46
Gebäudehülle
das Kondensationsrisiko in der Konstruk­
tion wird minimiert und die Wärmebrü­
cken werden eliminiert oder mindestens
reduziert. Zusätzlich besteht die Möglich­
keit, bei genügend dicker Dämmung ge­
wisse Haustechniksysteme wie z. B. Lüf­
tung, Sanitär und Elektro in dieser Däm­
mung zu führen. Natürlich darf es sich nur
um Teile handeln wie Rohre, Leitungen,
Kabel, etc., bewegte Komponenten wie
Klappen, Ventile, Regler irgendwelcher
Art, etc., müssen zugänglich bleiben.
Varianten von Fassadenerneuerungen
Möglich sind Kompaktfassaden, besser je­
doch sind hinterlüftete Systeme mit Mine­
ralwolle und entsprechendem Witterungs­
schutz. Dieser Witterungsschutz kann mit
dünnen Fotovoltaik-Elementen gewähr­
leistet wer­den.
]]Wo nur wenig Aufbaustärke möglich ist
und ein muraler Charakter erhalten wer­
den soll, kann sich ein Wärmedämmputz
sehr gut eignen. Er kann je nach Produkt
bis zu einer Schichtdicke von ca. 8 cm auf­
getragen werden.
U-Werte mit λ = 0,008 W/m K
d = 2 cm; U = 0,20 – 0,40 W/m2 K
d = 4 cm; U = 0,15 – 0,20 W/m2 K
d = 6 cm; U = 0,10 – 0,15 W/m2 K
6 543 2 1
Konstruktionsaufbau
1 Innenputz (bestehend)
2 Mauerwerk bestehend (variabel)
3 Dampfbremse (je nach Aufbau)
4 VIP-Panel 10 mm bis 30 mm*
5 zusätzliche Wärmedämmung
6 Aussenputzsystem
Abbildung 27:
VIP-Dämmung au­
ssen
* nur wenn kein anderes Material möglich
Konstruktionshinweise
]] Eine sorgfältige Planung und auch Verar­
beitung ist unabdingbar.
]] Platten können nicht zugeschnitten wer­
den, Restflächen mit herkömmlicher Wärme­
dämmung verlegen.
]] VIP-Dämmung in Kombination mit her­
kömmlichen Systemen oder Mineralwolle
kombinieren
]] Hauptanwendungsbereich im Bau sind die
Terrassendämmungen bei Attikawohnungen
(Neubau).
]] Hersteller-Anwendungen speziell beach­
ten, weil für Fassaden erst Spezialfälle und
Prototypen vorhanden.
U-Werte mit λ = 0,04 W/m K
d = 5 cm; U = 0,60 – 0,80 W/m2 K
d = 10 cm; U = 0,30 – 0,40 W/m2 K
d = 15 cm; U = 0,20 – 0,25 W/m2 K
5
4
3 21
Konstruktionsaufbau
1 Innenputz, Verkleidung
2 Dampfbremse (abgestimmt auf Dämmung)
3 Wärmedämmung
4 Mauerwerk (bestehend)
Abbildung 28:
Innendämmung
5 Aussenputz (bestehend)
Konstruktionshinweise
]] Durch die Innendämmung entstehen Wär­
mebrücken an Decken, Wänden und Sockel.
]] Bei einer Innendämmung muss die Dampf­
diffusion zwingend überprüft werden, mit
Dampfbremse oder dampfbremsenden Ma­
terialien (Schaumglas) arbeiten.
]] Anschlüsse, Fugen und Übergänge müssen
dicht ausgebildet werden.
]] Es kann auch mit Dämmputzen gearbeitet
werden, evtl. in Kombination mit reduzierter
Aussendämmung.
47
Gebäudeerneuerung
θi = +20°C
U = 0,095 W/m2K
θi = +20 °C
U = 0,098 W/m2K
Ψ = 0,059 W/mK
Ψ = 0,004 W/mK
Ug = 0,50 W/m2K
θe = –10°C
θi = +20 °C
θe = –10 °C
15 17
θi = +20 °C
19
19
12
Ψ = 0,383 W/mK
19
12
12
Ψ = 0,127 W/mK
θk = +12 °C
θk = +12 °C
11
–9
9
–9
–9
–9
–8
10
–8
9
–7
–7
–6
–6
–5
–5
9
–4
–4
10
11
–3
–3
–2
–2
–1
–1
10
11
0
0
1
1
2
3
4
5
Transmissionswärmeverluste
Aussenwand (Brüstung/Sturz)
Fenster
Wärmebrücken:
Fenstereinbau
Deckenauflager/Sturz
Sockel
Total
6
7
8
[W/m]
7,9
34,6
9
[%]
12,2
53,4
9,0
13,9
1,8
2,8
11,5
17,7
64,8 100,0
2
3
4
5
6
Transmissionswärmeverluste
Aussenwand
Wärmebrücken:
Deckenauflager
Sockel
Total
7
8
9
[W/m]
14,0
[%]
78,2
0,1
3,8
17,9
0,6
21,2
100,0
Abbildung 29:
Für Sanierungen im
Minergie-P-Stan­
dard ist die Aussen­
wärmedämmung
(verputzt oder mit
hinterlüfteter Be­
kleidung) wohl die
effektivste Möglich­
keit. Gegenüber
dem Ist-Zustand
kann der Wärme­
verlust um 76,7 %
auf 64,8 W/m redu­
ziert werden (Fassa­
denschnitt mit Fens­
ter) bzw. um 89,6 %
auf 17,9 W/m (Fas­
sadenschnitt ohne
Fenster). Der Wär­
mebrückeneinfluss
ist mit 21,8 % bis
34,4 % gross, wobei
primär der Sockel
und der Fensterein­
bau relevant sind.
(Quelle: Marco Ra­
gonesi/Faktor Ver­
lag)
48
Gebäudehülle
Abbildung 30:
Zugegeben, im
Kontext Minergie-P
wird wohl niemand
ernsthaft in Erwä­
gung ziehen, ein
Gebäude mittels In­
nenwärmedäm­
mung (z. B. mit VIPPanels wie in die­
sem Beispiel) zu sa­
nieren. Durch den
Wärmebrückenein­
fluss (Sockel, De­
ckenauflager, Sturz)
von 62,3 % bis
73,4 % hält sich der
Erfolg in Grenzen.
Beim Fassaden­
schnitt mit Fenster
kann der Wärme­
verlust um 60 % auf
111,2 W/m redu­
ziert werden und
beim Schnitt ohne
Fenster um 69,3 %
auf 52,7 W/m. Trotz
analoger Bauteil­
kennwerte ist der
Wärmeverlust ge­
genüber der aussen
wärmegedämmten
Gebäudehülle um
71,6 % bis 194,4 %
grösser. (Quelle:
Marco Ragonesi/
Faktor Verlag)
θi = +20 °C
U = 0,096 W/m2K
1315 17
θi = +20 °C
U = 0,098 W/m2K
15 17
19
Ψ = 1,283 W/mK
19
Ψ = 0,648 W/mK
Ug = 0,50 W/m2K
θe = –10 °C
θi = +20 °C
θe = –10 °C
11 15 17 18
θi = +20 °C
19
1315 17 18
19
12
12
2
Ψ = 0,727 W/mK
Ψ = 0,645 W/mK
θk = +12 °C
5
3
–7
–9
–8 –7
–9
4
–8 –7
–9
5
–9
5
–8
6
–8
6
–7
–7
7
–6
7
–6
–5
θk = +12 °C
–5
8
–4
–3
8
–4
9
10
11
9
–3
–2
–2
–1
–1
0
0
1
2
3
4
5
6
Transmissionswärmeverluste
Aussenwand (Brüstung/Sturz)
Fenster
Wärmebrücken:
Fenstereinbau
Deckenauflager/Sturz
Sockel
Total
7
8
[W/m]
7,3
34,6
9,0
38,5
21,8
111,2
9
1
2
3
4
5
6
[%] Transmissionswärmeverluste
6,6 Aussenwand
31,1 Wärmebrücken:
Deckenauflager
8,1
Sockel
34,6 Total
19,6
100,0
10
7
11
8
9
[W/m]
14,0
[%]
26,6
19,4
19,3
52,7
36,8
36,6
100,0
49
Gebäudeerneuerung
]]Für die nachträgliche Aussendämmung
noch wenig erprobt sind Anwendungen
von
Hochleistungswärmedämmstoffen
(VIP) aus teilevakuiertem Dämmmaterial
oder aus Aerogel.
]]Vielfach bieten Innendämmungen eine
Alternative. Diese bergen aber gewisse Ri­
siken. Durch eine Innendämmung wird die
innere Masse abgekoppelt und die Hüllen­
konstruktion wird in den Kaltbereich ver­
schoben. Es entsteht eine Vielzahl von
Wärmebrücken, z. B. bei Wand- und De­
ckenanschlüssen, bei Fensterleibungen, bei
durchgehenden Balkonplatten. Das Scha­
densrisiko steigt infolge der tieferen Ober­
flächentemperaturen (erhöhte Feuchtig­
keit, Oberflächenkondensat) und bei un­
dichten Anschlüssen kann es innerhalb des
Bauteils zu Feuchteschäden kommen. Oft
kann eine Kombination aus Innen- und
Aussendämmung zu einem bauphysika­
lisch und energetisch guten Resultat füh­
ren.
2-fach-Verglasung
Hoher Durchlass von Tageslicht
(80%)
Solare Energiegewinne
Wärmedämmbeschichtung
Wärmereflexion
Die technischen Daten
Element- Ug-Wert nach g-Wert nach Lichttrans- Lichtreflexion
dicke EN 673 (W/m2K) EN 410 (%) mission (%)
(%)
24
1,0
Abbildung 31:
Glastypen (Glas
Troesch)
Abbildung 32:
Vakuum-Glas
80
13
3-fach-Verglasung
Hoher Durchlass von Tageslicht
(74%)
Solare Energiegewinne
Wärmedämmbeschichtungen
Fenster
Bestand: Der Gebäudebestand verfügt
grösstenteils über Isolationsverglasungen
(IV) unterschiedlicher Qualität und sicher­
lich haben diverse alte Häuser noch eine
Doppelverglasung. Die Einfachverglasung
dürfte bis auf ganz wenige Ausnahmen
verschwunden sein. Einzelne Bürohäuser
sind noch mit Spezialgläsern ausgerüstet
(Einfärbungen, bronzierte und beschich­
tete Gläser, etc.). Zudem wird es noch eine
ganze Menge von Gebäuden geben (Schu­
len, Bürobauten, Museen, etc.), die zwar
Isolier-Verglasungen einer frühen Genera­
tion haben, aber noch thermisch unge­
trennte (Alu-) Fensterprofile, die sehr gosse
Wärmebrücken darstellen.
Massnahmen: Verglasungen haben in
den letzten 20 Jahren technologisch sehr
grosse Fortschritte gemacht. Spezielle
Gasfüllungen wie Argon oder Krypton und
vor allem die Infrarot-Beschichtungen (IR)
und die 3-fach-IV-Gläser mit zwei IR-Be­
schichtungen haben die Verglasung revo­
lutioniert. Die ersten IV-Gläser mit Alumi­
nium Glasrandverbund und Luftfüllung
weisen U-Werte von über 2,5 W/m2 K auf.
Die neuen Gasfüllungen und vor allen die
60
Gasfüllgrad: 90% Argon
Wärmereflexion
Die technischen Daten
Element- Ug-Wert nach g-Wert nach Lichttrans- Lichtreflexion
(%)
dicke EN 673 (W/m2K) EN 410 (%) mission (%)
40
1,0
64
74
20
36
0,8
60
73
19
40
0,7
60
73
19
Gasfüllgrad: 90% Argon
U-Wert:
0,5 W/m2 K
Wärmestrom
Stütze
evakuierter SZR
ca. 0,7 mm
gasdichter
Randverbund
Funktionsschicht
Glas: Standard
4 mm
50
Gebäudehülle
Abbildung 33:
Denkmalschutzsa­
nierung eines ein­
fachverglasten
Fensters durch Auf­
doppelung von au­
ssen mit einem zu­
sätzlichen Rahmen/
Glas (wärmeschutz­
beschichtet).
Abbildung 34:
Sanierung eines
doppeltverglasten
Fensters durch Um­
bau auf Wärme­
schutzverglasung.
Bei den Abstandhal­
tern ist darauf zu
achten, dass sie aus
schlecht wärmelei­
tendem Material
bestehen (z. B.
Kunststoff).
Abbildung 35:
Kastenfenster mit
Winterfenster (au­
ssen) und Sommer­
fenster (innen).
IR-Beschichtungen führen zu Werten von
1,1 bis 1,4 W/m2 K. Neue 3-fach-IV-Vergla­
sungen mit 2 IR-Beschichtungen weisen
Werte von 0,5 W W/m2 K auf. Die neuste
Vakuum-Technologie wird Verglasungen
hervorbringen, die bei weniger Glasschich­
ten noch einmal wesentliche Verbesserun­
gen ermöglichen.
Die Fensterrahmen haben ebenfalls eine
wesentliche Entwicklung hinter sich, aber
nicht ganz in dem Masse wie die Vergla­
sungen. Gute Rahmen weisen heute UWerte von unter 1,4 W/m2 auf. Mit Spezi­
alrahmen können heute Fensterkonstruk­
tionen (Windows) von Uw unter 1,0 W/
m2 K mit Ug = 0,6 W/m2 K (Glas) hergestellt
werden.
Die nicht immer einfachste, aber wir­
kungsvollste Massnahme ist der vollstän­
dige Fensterersatz. Bei Fenstern wird mit
einer wirtschaftlichen Lebensdauer von 25
Jahren gerechnet. In Häusern mit Jahr­
gang 1980 und älter dürfen mit gutem
Gewissen die Fenster gewechselt und mit
neuen, technisch wesentlich verbesserten
Konstruktionen ersetzt werden. Ein Fens­
terersatz kann zu Energieeinsparungen
von bis zu 30 % führen. Es sei jedoch dar­
auf hingewiesen, dass der Einsatz von
hochdämmenden und vor allem dichten
Fenstern ein verändertes Nutzerverhalten
bedingt. Der Luftaustausch und die Ent­
sorgung von übermässiger Luftfeuchte
sind in einem undichten Gebäude gesi­
chert. Im sanierten Haus müssen die Nut­
zer für diesen Luftaustausch sorgen, so­
fern keine Lüftungsanlage installiert ist.
Bei geschützten Gebäuden kann ein Ersatz
der Verglasung die Energieverluste min­
dern und die Behaglichkeit verbessern. Bei
geschützten und noch intakten DoppelVerglasungen kann eine Sanierung und
Dichtung, eine Aufdoppelung in Form ei­
nes Kastenfensters oder die Reaktivierung
des Vorfensters zum Ziel führen. Dabei ist
klar festzulegen, wo die Dämm- und vor
allem die Dichtungsebene durchlaufen sol­
len, um Kondensat zu vermeiden. Thermi­
sche Schwachpunkte bei der Erneuerung
von Fenstern sind häufig die Storenkästen.
Verbesserungsmassnahmen sind technisch
schwierig und entsprechend aufwendig.
vor Sanierung
nach Sanierung
vor Sanierung
nach Sanierung
51
Gebäudeerneuerung
Fenster restaurieren
Fenster sind die Augen eines Hauses,
kommentiert der Heimatschutz Basel sei­
nen Vorschlag, alte Fenster – statt gänz­
lich zu ersetzen – behutsam nachzurüs­
ten. Tatsächlich wirken stämmige Rah­
men von neuen Fenstern in fein geglie­
derten Fassaden älterer Bauten häufig
wie eine Faust aufs Auge. Besonders
deutlich wird ein derartiger gestalteri­
scher Missgriff bei Jugendstil- und Grün­
derjahrhäusern. Auf der anderen Seite
sind sowohl das Komfortmanko als auch
der Energieverbrauch dieser Altbaufens­
ter enorm. In der Regel sind sie als Kas­
tenfenster konzipiert mit einem Vorfens­
ter, auch als Winterfenster bezeichnet,
und einem inneren Sommerfenster. Der
Wärmedurchgang ist vier- bis fünfmal
grösser als bei einem heute üblichen,
dreifach verglasten Neubaufenster. Na­
heliegend erscheint die Lösung, das in­
nere Fenster durch ein neues Produkt mit
Isolierverglasung zu ersetzen. Der Eingriff
lässt sich durch das Vorfenster kaschie­
ren. Weil diese vorgehängten Fenster als
Ergänzung zum Hauptfenster weder
Wärmeschutz noch Schallschutz bieten,
besteht die Gefahr, dass sie mit der Zeit
offen bleiben oder gar im Keller ver­
schwinden.
Die Kampagne des Heimatschutzes zielt
auf eine Nachrüstung der bestehenden
Fenster in geschützten oder aus architek­
tonischen Gründen geeigneten Häusern.
Im Vordergrund stehen zwei Massnah­
men, nämlich der Einbau eines beschich­
teten Glases und einer Falzdichtung in
den alten Fensterrahmen. Wie Berech­
nungen eines Bauphysikers zeigen,
würde der Wärmeverlust der Fenster auf­
grund der Nachrüstung auf die Hälfte
sinken. Auf ein Einfamilienhaus bezogen,
resultierte eine Sparquote von etwa 350
Liter Heizöl pro Jahr, was rund zehn Pro­
zent der gesamten Heizwärmeverluste
ausmache. (Auf die Fenster entfällt unge­
fähr ein Fünftel dieser Verluste.) Häufig
kommt der Einbau von Isolierverglasun­
gen aufgrund ihres Gewichtes nicht in
Frage. Die Rahmen würden das noch
aushalten, meint Paul Dilitz vom Heimat­
schutz Basel, aber nicht die Scharniere.
Dieses Problem stelle sich mit der Mon­
tage eines Einfachglases kaum. Durch die
Beschichtung der äusseren Glasfläche
verbessert sich der Wärmeschutz im Ver­
gleich zu einem unbeschichteten Glas
um 30 Prozent. Mit einem zweiten
gleichwertigen Glas im Vorfenster stei­
gert sich der Effekt noch deutlich. Eine
derartige Duplizierung der Massnahme
ist beim Einbau von Dichtungen sozusa­
gen verboten. Denn die Dichtung im äu­
sseren Vorfenster würde einen geschlos­
senen Luftraum zwischen den Fenstern
erzwingen, der sich abkühle und dadurch
Kondenswasser ausscheide. Beschlagene
Fensterscheiben während der Heizperi­
ode wären die Folge. Die Gummidich­
tung im inneren Sommerfenster redu­
ziert gemäss den bauphysikalischen Be­
rechnungen den Luftaustausch um rund
80 Prozent. Mit fachgerecht eingebauten
Falzdichtungen würden die Anforderun­
gen an neue Fenster erreicht, begründen
die Bauphysiker diese Massnahme. Die
grosse Luftmenge, die durch unsanierte
Fenster abströmt, hängt auch mit den
durch die Kleinteiligkeit der Flügel und
Oberlichter bedingten grossen Fugenlän­
gen zusammen. Für ein zwei Quadratme­
ter grosses Fenster braucht es typischer­
weise zwölf Meter Gummidichtung. Dies
ist mit ein Grund, weshalb die Ertüchti­
gung von historischen Fenstern keines­
wegs eine Billiglösung ist. In den meisten
Fällen dürfte der komplette Ersatz des
Altfensters durch ein neues Normfenster
sogar kostengünstiger sein. Neue Wär­
meschutzfenster bringen auch einen hö­
heren Komfort und einen tieferen Ener­
gieverbrauch. Mitunter sind diese Argu­
mente allerdings nachrangig. Vor allem
bei Baudenkmälern und architektonisch
respektive historisch wertvollen Gebäu­
den ist der sorgfältige Umgang mit der
Bausubstanz von grosser kultureller Be­
deutung.
52
Gebäudehülle
U-Werte Gläser
Rahmenkonstruktionen
2-fach IV, Ug = 1,1–1,4 W/m2 K (je nach Fül­
Holz-Rahmen Uf = 1,2–1,6 W/m K
2
Holz-Metall-Rahmen Uf = 1,3 –1,6 W/m K
2
Kunststoff-Rahmen Uf = 1,3 –1,6 W/m2 K
Metallrahmen Uf = 1,5 –1,9 W/m2 K
lung)
3-fach IV, Ug = 0,4 – 0,7 W/m2 K (je nach Fül­
lung)
4-fach IV, Ug < 0,40 W/m2 K (je nach Füllung)
Vakuum-Glas 2-fach Ug < 0,5 W/m2 K
Konstruktionshinweise
]] Der Glasrandverbund von Aluminium (ψ =
0,07 W/m K ), Edelstahl (ψ = 0,05 W/m K)
oder Kunststoff (ψ = 0,03 W/m K) muss in
Berechnung einbezogen werden.
]] Eine Zentrale Grösse neben dem U-Wert
spielt der g-Wert (Energiedurchlassgrad) für
die passiven Solargewinne in der Heizperi­
ode.
]] Je nach Glas, Rahmenwerten und Rah­
menanteilen kann dies Fenster U-Werte erge­
ben von 0,8 –1,3 W/m2 K (müssen speziell
berechnet werden).
]] Wärmebrücken, verursacht durch die Fens­
terleibungen müssen speziell berechnet und
mit einbezogen werden.
Abbildung 36:
Fenster, Gläser
8
6
U-Werte mit λ = 0,034 W/m K
7
5
43
21
Konstruktionsaufbau
1 Innenverkleidung
2 Installationshohlraum
3 Dampfbremse
4 Überdämmung 4 cm bis 6 cm
5 Sparrenvolldämmung
6 Unterdach bestehend (diffusionsoffen)
7 Konterlattung, Unterlüftung bestehend
8 Lattung, Eindeckung bestehend,
evtl. Solaranlage
Abbildung 37:
Steildach
d = 15 cm; U = 0,20 – 0,23 W/m2 K
d = 20 cm; U = 0,15 – 0,18 W/m2 K
d = 25 cm; U = 0,10 – 0,13 W/m2 K
4 Überdämmung 4 – 6 cm
Konstruktionshinweise
]] Bei vorhandenem Unterdach und intakter
Dacheindeckung kann der Aufbau von innen
erfolgen, Überprüfung der Dampfdiffusion
erforderlich.
]] Wenn kein Unterdach vorhanden ist und
der Eingriff nur von innen passieren kann,
entstehen entsprechende Risiken bezüglich
Funktionstüchtigkeit der Wärmedämmung
und des von innen angebrachten Unterda­
ches (dieses Vorgehen ist nicht zu empfeh­
len).
]] Die Überdämmung innen verbessert den
Dämmwert und reduziert die Wärmebrücken.
]] Für die innere Verkleidung möglichst
schwere Materialien wählen (z. B. Gips), som­
merlicher Wärmeschutz.
]] Wenn das Dach neu ganz gemacht wird,
können die Aufbauten gemäss Neubau er­
stellt werden.
53
Gebäudeerneuerung
Bei vielen Projekten steht eine zweite Glas­
fassade als Teil einer Doppelfassade zur
Diskussion. Voraussetzung für eine kom­
fortable Nutzung im Sommer – und Ener­
giegewinn im Winter – sind Öffnungen in
der äusseren Hülle. Eine solche flexible,
mechanisch gesteuerte Zweitehaut-Fas­
sade ist sehr aufwendig und wird im Sanie­
rungsbereich wenig angewendet.
Steildach
Bestand: In alten städtischen Häusern mit
Mansardendach befinden sich sehr oft ein­
zelne schlecht gedämmte, qualitativ min­
derwertige Kleinwohnungen im Dachge­
schoss. In anderen Bauten sind die Dach­
räume als Kalträume konzipiert, da sie
vorwiegend als Lager- und Stauraum ver­
wendet werden. Diese Dächer verfügen
sehr oft über keine Unterdachkonstruktio­
nen. Zum Teil werden diese Dachräume
ausgebaut und die Dächer als Kaltdach
ausgebildet und minimal gedämmt U =
0,5 bis 1,0 W/m2 K. Trotz dieser Dämmung
besteht sowohl im Winter als auch im
Sommer ein Behaglichkeitsdefizit, so dass
diese Räume nur teilzeitlich benutzt wer­
den können.
Massnahmen
Die sicherste und einfachste Erneuerungs­
variante ist der Neuaufbau des Daches. Es
kann eine Kalt- oder Warmdachkonstruk­
tion gewählt werden, mit Dämmung zwi­
schen oder auf den Sparren. Schwieriger
wird es, wenn entweder nur von innen
oder nur von aussen gearbeitet werden
kann.
Nur von aussen möglich: Die eventuell
notwendige Luftdichtigkeitsschicht verle­
gen, die Wärmedämmung von aussen zwi­
schen oder auf die Sparren einbringen und
darauf die Unterdachkonstruktion auf­
bauen (bei Warmdach Bauphysik überprü­
fen), Konterlattung, Dachlattung und
Dacheindeckung bilden den Abschluss. Bei
einer solchen Konstruktion können Holzfa­
ser-Dämmstoffe zur Anwendung kommen.
Nur von innen möglich: Wenn bereits
ein Unterdach vorhanden ist, muss ledig­
lich noch die Bauphysik bezüglich Dampf­
diffusion, d. h. die Dichtigkeit des Unterda­
ches überprüft werden. Dabei geht es um
eine raumseitig wirksame Luftdichtigkeits­
schicht (Folie). Ansonsten kann die Spar­
renlage ausgedämmt werden mit eventu­
eller Zusatzdämmung raumseitig über die
ganze Fläche (Wärmebrücken) des Da­
ches.
Wesentlich aufwendiger wird es, wenn ein
Raum mit ungedämmtem Estrichdach
(ohne Unterdach) zu einem Wohn- oder
Arbeitsraum umgenutzt werden soll. Ein
Unterdach von innen zwischen die Sparren
anzubringen, ist sehr aufwendig und mit
entsprechenden Rest-Risiken verbunden,
da die Anschlüsse und die Ableitung des
möglicherweise anfallenden Wassers meis­
tens nicht absolut zuverlässig gelöst wer­
den können. Es wird empfohlen, mindes­
tens eine feuchteadaptive Dampfbremse
respektive Luftdichtigkeitsschicht einzufü­
gen, um bei eindringendem Wasser eine
Austrocknung der Dämmung und der
Holzkonstruktion zu ermöglichen.
Grundsätzlich ist bei Dachausbauten auf
Grund des sommerlichen und des winterli­
chen Wärmeschutzes eine möglichst
schwere Dämmung (z. B. Steinwolle, Holz­
faser-Dämmung) zu wählen. Zusätzlich
sind möglichst massige Innenverkleidun­
gen wie Gipsplatten für den Innenausbau
vorzusehen, um eine Phasenverschiebung
und Amplitudendämpfung im Bauteilver­
halten zu erwirken. Wenn Dächer neu auf­
gebaut werden, ist der Einsatz von integ­
rierten Solaranlagen besonders nahelie­
gend, beispielsweise thermische Sonnen­
kollektoren oder Photovoltaik-Elemente.
Flachdach
Bei den Flachdachkonstruktionen sind vier
Typen zu unterscheiden.
Konventionelles Flachdach: Die einzel­
nen Schichten sind lose übereinander ver­
legt. Für ein solches Warmdach eignen
sich die meisten Dämmstoffe und Wasser­
abdichtungsbahnen.
Verbunddach oder Kompaktdach: Alle
Schichten (ausser Schutz- respektive Nutz­
schicht) sind vollflächig miteinander und
mit der Unterlage verbunden. Solche Dä­
cher bestehen fast ausschliesslich aus
Schaumglasdämmung.
54
Gebäudehülle
Umkehrdach: Die Wassersperrschicht
liegt unterhalb der Wärmedämmung ge­
schützt vor Hitze, Kälte und UV-Strahlun­
gen. Als Wärmedämmung kommen nur
feuchteunempfindliche Materialien zur
Anwendung. Dieser Dachtyp muss zwin­
gend ein Gefälle von mindestens 1,5 %
aufweisen und bei der Wärmedämm­
schicht muss mit einem Zuschlag von 10 %
bis 20 % gerechnet werden (Energiever­
lust durch Meteorwasserabfluss).
Hinterlüftetes Kaltdach: Das Dachsys­
tem besteht aus einer raumabschliessen­
den und luftdichten Innenschale, einer
Aussenschale mit Abdichtung und einem
dazwischenliegenden belüfteten Raum. Im
Abdichtungen
Um 1960: Durchbruch der Flachdachkon­
struktionen in Europa. Parallel dazu verlief
die Entwicklung von Dachabdichtungs­
bahnen. Anfang der 1950er Jahre kam zu
dem bis dahin üblichen Bitumen als dich­
tendes Medium zwischen Trägerlagen die
PIB (Polyisobutylen-) Dachbahn auf den
Markt. In der Folge verbreitete sich das An­
gebot an Abdichtungsmaterialien. (Elasto­
mer, Kunststoffe). Ende der 1970er Jahre
6
5
U-Werte mit λ = 0,034 W/m K
4
d = 25 cm; U = 0,12 – 0,14 W/m2 K
3
d = 30 cm; U = 0,10 – 0,12 W/m2 K
2
1
Konstruktionsaufbau
1 Innenputz
2 Stahlbeton, Tragkonstruktion
3 Dampfbremse
4 Wärmedämmschicht variabel
5 Wasserabdichtung
6 Schutz und Nutzschichten variabel
Abbildung 38:
Flachdach
konventionell
4
3
2
1
Konstruktionsaufbau
1 bestehendes Flachdach
2 zusätzliche Wärmedämmung variabel
3 Wasserabdichtung
4 Schutz und Nutzschichten variabel
Abbildung 39:
Doppeldach
Flachdachbereich sind somit grundsätzlich
alle herkömmlichen Wärmedämmstoffe
im Einsatz, also Mineralfaserdämmstoffe
und Schaumglas.
d = 20 cm; U = 0,15 – 0,18 W/m2 K
Konstruktionshinweise
]] Das Warmdach ist die am weitesten ver­
breitete Konstruktionsart für Neubauten wie
auch für Erneuerungen. Als weitere Flachda­
chaufbauten für Sanierungen und Neubau­
ten sind das Kompaktdach und das Umkehr­
dach verbreitet.
]] Betreffend die konstruktiven Randbedin­
gungen ist die SIA Norm 271 massgebend.
]] Für die meisten Nutzungen ist ein Gefälle
erforderlich. Das notwendige Gefälle ist in
der Unterkonstruktion oder in der Wärme­
dämmschicht zu gewährleisten.
U-Werte mit λ = 0,036 W/m K
dtot = 20 cm; U = 0,17 – 0,20 W/m2 K
dtot = 25 cm; U = 0,14 – 0,16 W/m2 K
dtot = 30 cm; U = 0,12 – 0,14 W/m2 K
Konstruktionshinweise
]] Das Doppeldach eignet sich vor allem zur
Erneuerung der Abdichtung mit gleichzeiti­
ger Verbesserung der Wärmedämmung.
]] Die alte Abdichtung kann entfernt oder
belassen werden (bauphysikalische Beurtei­
lung erforderlich).
]] Für ein Doppeldach sind grundsätzlich alle
Materialien, die für Flachdächer eingesetzt
werden geeignet. Die Verträglichkeiten von
alt zu neu müssen abgeklärt werden.
55
Gebäudeerneuerung
wurden die ersten Dachflächen mit Flüs­
sigkunststoffen abgedichtet. Sie kommen
überwiegend bei Flachdächern zum Ein­
satz, bei denen Bahnen nur sehr aufwen­
dig zu verlegen sind (viele Durchbrüche,
komplizierte Dachformen, etc.).
Massnahmen: Die bestehenden älteren
Flachdächer lassen sich drei Zustandskate­
gorien zuordnen. Entsprechend fallen die
zu treffenden Massnahmen aus.
Altes Flachdach: Das Dach ist über 25
Jahre alt, die Wassersperrschicht noch
dicht, die Wärmedämmung erfüllt ent­
sprechend dem Alter keine Minimalanfor­
derungen mehr. Ein Flachdach, das schad­
los über 25 Jahre dicht und dämmend war,
hat seine technische Lebensdauer erreicht.
Das Flachdach kann rückgebaut und mit
einem neuen System wieder aufgebaut
werden. Es lässt sich jedoch als Doppel­
dach erneuern oder ergänzen. Dabei wird
auf das bestehende Dach eine neue Wär­
medämmung mit neuer Wassersperr­
schicht verlegt. Die alte bestehende Ab­
dichtung kann in diesem Fall entweder
entfernt oder belassen werden (Dampfdif­
fusion überprüfen).
Undichte Wassersperrschicht: Die Was­
sertrennschicht ist leck, die Wärmedäm­
mung ist feucht oder durchnässt, sie ver­
liert den Wärmedämmeffekt und es ent­
stehen Schäden infolge der Feuchtigkeit
und des Wassers. In diesem Fall ist die
Sachlage klar. Die Undichtigkeiten müssen
eruiert, das nasse Dämmmaterial ersetzt
und die Dachhaut geflickt werden. Je nach
Schadensbild müssen grössere Flächen
6
5
4
3
2
1
oder sogar das ganze Flachdach ersetzt
werden.
Ungenügende Wärmedämmung: Das
Dach hat die technische Lebensdauer von
25 bis 30 Jahren noch nicht erreicht, aber
eine energetische Gesamtsanierung steht
an. Diese wärmetechnische Verbesserung
könnte auch als Doppeldach mit Zusatz­
dämmung ausgeführt werden. Diese
mehrschichtigen Aufbauten müssen bau­
physikalisch bezüglich der Dampfdiffusion
überprüft werden. Grundsätzlich muss
gelten: Der Wärmedurchlasswiderstand
der Gesamtkonstruktion soll von der war­
men zur kalten Seite hin zunehmen und
der Wasserdampfdiffusionswiderstand soll
von der warmen zur kalten Seite hin ab­
nehmen.
Estrichboden
In vielen älteren Häusern werden die Dach­
räume ausgebaut und somit muss das
Dach gedämmt werden. Es gibt aber auch
zahlreiche Gebäude, bei denen die Dach­
räume weiterhin als Lagerraum und Estrich
dienen. Diese Estrichboden-Konstruktio­
nen bestehen oft aus einer Holzbalkende­
cke mit Schiebboden und von unten auf­
gebrachte Gipsplatten. In neueren Häu­
sern (ab 1970/80) sind in der Regel Beton­
decken eingebaut.
Massnahmen: Grundsätzlich könnte die
Dachkonstruktion gedämmt werden und
es entsteht ein unbeheizter Raum inner­
halb des Dämmperimeters. Diese Mass­
nahme ist sicher aufwendiger als die Däm­
mung des Estrichbodens, lässt sich aber
U-Werte mit λ = 0,040 W/m K
dtot = 16 cm; U = 0,25 – 0,30 W/m2 K
dtot = 20 cm; U = 0,20 – 0,25 W/m2 K
dtot = 25 cm; U = 0,15 – 0,20 W/m2 K
Konstruktionshinweise
Konstruktionsaufbau
]] Die Wärmedämmung in der Balkenlage
1 Gipsdecke bestehend
kann eingeblasen werden (Zelluloseflocken),
2 Schiebboden bestehend
ohne den Bretterboden zu entfernen.
3 Balkenlage mit Dämmung (neu)
]] Ein Aufbau auf dem Bretterboden mit
4 Bretterboden bestehend
Wärmedämmung und Gehbelag kann den
5 evtl. Luftdichtung, Dampfbremse
Wärme- und Schallschutz zusätzlich verbes­
6 zusätzlicher Wärme- und Schallschutz (neu)
sern helfen.
Abbildung 40:
Estrichboden
56
Gebäudehülle
mit einer gleichzeitig erforderlichen Dach­
sanierung kombinieren. Die einfachere
und im Normalfall auch günstigere Lösung
ist die Dämmung des Estrichbodens. Auf
die Betondecke wird eine Wärmedäm­
mung mit Gehbelag verlegt. Mit dieser Va­
riante geht etwas Raumhöhe verloren und
die Konstruktion ist baupysikalisch unpro­
blematisch (Dämmung auf Kaltseite, dich­
ter Beton). Bei der Holzbalken-Konstruk­
tion kann ebenfalls eine Dämmung auf der
bestehenden Konstruktion verlegt wer­
den. Es ist jedoch je nach Gehbelag zu prü­
fen, ob zuerst eine Luftdichtigkeitsschicht
respektive Dampfbremse auf den beste­
henden Boden verlegt werden muss. Eine
elegante Lösung besteht im Ausblasen der
Balkenzwischenräume mit Zelluloseflo­
cken. Es entsteht kein Raumverlust und
auch kein bauphysikalisches Problem.
Kellerdecke
Kellerdecken bestehen aus Hourdis-De­
cken, Betondecken oder aus Holzbalken­
decken.
Massnahmen: Bei allen Konstruktionen
ist eine Dämmung von unten an die Decke
energetisch wirksam und bauphysikalisch
unproblematisch. Diese Massnahme redu­
ziert nicht nur den Energieverlust, sondern
es wird zusätzlich die Oberflächentempe­
ratur des Fussbodens erhöht, was sich po­
sitiv auf die Behaglichkeit auswirkt. Diese
Massnahme wäre eigentlich sehr ökono­
misch, aber nicht immer einfach realisier­
bar. Unterhalb dieser Decken sind vielfach
verschiedene Medien geführt (Heizungs­
rohre, Wasserleitungen, Stark- und
Schwachstromleitungen,
Verteildosen,
Lampen, etc), was das Verlegen von Plat­
ten wesentlich erschwert. Auch hier gilt,
dass keine wartungsbedürftigen Haus­
technikkomponenten dauerhaft abge­
deckt werden dürfen.
Wände, Böden gegen Erdreich
Ursprünglich als Lager- oder Technikräume
genutzte Kellergeschosse müssen bei einer
Umnutzung in Büros, Wohnräume oder
beheizte Bastelräume mit einer Wärme­
dämmung nachgerüstet werden. Dabei
sind im Bestand zwei verschiedene Situati­
onen anzutreffen: Ist das Kellergeschoss
mit Sickerleitung und feuchtesperrenden
Schichten am Boden und an der Wand ver­
sehen oder sind die Bodenplatte und das
Bruchsteinmauerwerk direkt mit dem
feuchten Erdreich in Berührung, so dass
Feuchtigkeit kapillar durch die Boden- res­
pektive Wandkonstruktion ins Innere
transportiert werden kann? Sehr komplex
sind Lösungen für Gebäude im Grundwas­
ser; diese Fälle werden in diesem Buch
nicht behandelt.
Eine bessere Dämmung des Daches
und der Kellerdecken eignet sich in den
allermeisten Fällen gut für die Umset­
zung einer Kompensationsstrategie.
Das bedeutet, dass in vertikalen Flä­
chen, speziell in der Fassade, nur ge­
ringe Dämmstärken notwendig sind.
U-Werte mit λ = 0,038 W/m K
dtot = 10 cm; U = 0,30 – 0,35 W/m2 K
dtot = 15 cm; U = 0,20 – 0,25 W/m2 K
1
2
3
4
dtot = 20 cm; U = 0,15 – 0,20 W/m2 K
Konstruktionshinweise
Abbildung 41:
Kellerdecke, Decke
über UG
Konstruktionsaufbau
]] Die Platten sind mechanisch zu befestigen.
1 Bodenkonstruktion bestehend
]] Trotz Aussparungen wegen bestehenden
2 Wärmedämmung (neu)
Leitungen ist die Massnahme energetisch wie
3 Deckschicht (neu)
bauphysikalisch interressant (Fussbodentem­
4 Haustechnikinstallationen (bestehend)
peratur).
]] Gewisse Leitungen müssen umgelegt, an­
dere abgedeckt werden.
57
Gebäudeerneuerung
Massnahmen an einem Haus mit Si­
ckerleitung und Feuchteschutz an
Wänden: Bodenaufbau mit Feuchte­
schutz gegen kapillares Wasser versehen,
im Bereich der Fundationen je nach Scha­
densbild und Situation mit Horizontalsper­
ren (chemisch, Injektionen) oder eventuell
mechanisch (Bleche) vorsehen. Es gibt
auch entsprechende elektrophysikalische
Verfahren zu Bekämpfung der Mauer­
feuchtigkeit. Bei trockengelegter Mauerund Bodenkonstruktion kann dann die er­
forderliche Dämmung aufgebracht wer­
den.
Boden und Mauerwerk im feuchten
Erdreich: In einer solchen Situation muss
von Fall zu Fall entschieden werden. Die
beste Lösung wäre eine nachträgliche Ab­
grabung des Hauses und ein Verlegen der
notwendigen Sickerleitungen in Kombina­
tion mit dem Aufbringen der notwendigen
feuchtesperrenden Schichten. Dabei bie­
ten sich mehrere Varianten an:
]]Keine Massnahmen, Istzustand belassen
]]Sanierputz anbringen
]]Neue Wand ausserhalb der bestehenden
Konstruktion mit Wärmedämmung und
Feuchteschutz
]]Ausgraben des Hauses mit entsprechen­
den Schutzmassnahmen
]]Alle Lösungen sind nicht nur kostspielig,
sondern teilweise mit bauphysikalischen
Risiken verbunden.
U-Werte mit λ = 0,038 W/m K
d = 10 cm; U = 0,30 – 0,35 W/m2 K
d = 15 cm, U = 0,20 – 0,25 W/m2 K
d = 20 cm; U = 0,15 – 0,20 W/m2 K
6 54 3
2 1
Konstruktionsaufbau
1 mechanische Schutzschicht
2 Innendämmung (variabel) evtl. Dampf­
bremse
3 Mauerwerk bestehend
4 Feuchtigkeitssperre
5 Sickerpackung
6 Erdreich
Abbildung 42:
Wand gegen Erd­
reich
Konstruktionshinweise
]] Wenn aussen eine Feuchtigkeitssperr­
schicht mit Sickerpackung und Sickerleitung
vorhanden ist, ist die wärmetechnische Ver­
besserung mit einer Innendämmung möglich.
]] Die Dampfdiffusion ist vor allem dort zu
prüfen, wo das Untergeschoss aus dem Erd­
reich gegen Aussenklima reicht.
]] An Decken- und Wandanschlüssen entste­
hen Wärmebrücken, die beurteilt werden
müssen.
]] Im Bereich Fundament ist je nach Situation
eine Horizontalsperre (mechanisch oder che­
misch) vorzusehen.
]] Bei Aussenwänden und Böden, die über
keine Sickerleitung verfügen und direkt im
feuchten Erdreich liegen oder stehen, kön­
nen keine generell gültigen Aufbauten defi­
niert werden. Diese komplexe Situation ist
von Fall zu Fall zu beurteilen und entspre­
chende Massnahmen zu treffen wie Sanier­
putz, Ausgrabung mit Sickerpackung, Innen­
dämmung, zusätzliche Wandkonstruktion
auf Innenseite, etc.
Kapitel 7
Schallschutz
Niklaus Hodel
Abbildung 43:
Übersicht verschie­
dener Schallpegel
Schallpegel
Ausgangslage
Ein grosser Teil der schweizerischen Bevöl­
kerung ist heute übermässigen Lärmim­
missionen von Strasse, Eisenbahn, Flugver­
kehr, Industrie etc. ausgesetzt. Gemäss
Untersuchungen des Bundesamtes für
Umwelt (Bafu, Lärmbelastung in der
Schweiz) sind es heute über 1 Mio. Ein­
wohner, die zu hohen Lärmpegeln ausge­
setzt sind. Zusätzlich hat eine repräsenta­
tive Umfrage des Bundesamtes für Woh­
nungswesen unter professionellen und
privaten Bauträgern ergeben, dass ein gu­
Schallquelle
Schalldruck
170 dB
Sturmgewehr
160 dB
Pistole 9 mm
150 dB
1 000 000 000 μPa
(1 kPa)
Bolzensetzgerät
140 dB
Jetprüfstand
130 dB
100 000 000 μPa
(100 Pa)
Schmerzschwelle
120 dB
Bohrjumbo
110 dB
10 000 000 μPa
(10 Pa)
Presslufthammer
100 dB
Diskothek
90 dB
1 000 000 μPa
(1 Pa)
Montageband
80 dB
Strassenverkehr
70 dB
100 000 μPa
(100 mPa)
Unterhaltung
60 dB
Büro
50 dB
10 000 μPa
(10 mPa)
Wohnzimmer
40 dB
Leseraum
30 dB
1000 μPa
(1 mPa)
Schlafzimmer
20 dB
Radiostudio
100 μPa
10 dB
Hörschwelle
0 dB
20 μPa
ter Schallschutz zwischen den Wohnungs­
einheiten einer der wichtigsten Kriterien
im Wohnungsbau ist. Entsprechend soll
dem Themenbereich der Bauakustik mit
dem Schutz vor Aussen- und Innenlärm
auch beim Sanieren, Erneuern und Weiter­
bauen Rechnung getragen werden. Die
gesetzlichen Rahmenbedingungen wer­
den im Wesentlichen durch die Eidgenös­
sische Lärmschutz-Verordnung (LSV) und
durch die SIA Norm 181 «Schallschutz im
Hochbau» gegeben.
Rechtslage und Vorschriften
Die erste schweizerische Richtlinie zum
baulichen Schallschutz erschien im Jahre
1970 als Empfehlung SIA 181. Ab 1976
ersetzte die Norm SIA 181 «Schallschutz
im Wohnungsbau» die vorherige Empfeh­
lung. Im Jahr 1988 traten neben der
Eidgenössischen Lärmschutz-Verordnung
auch die neue Norm SIA 181 «Schallschutz
im Hochbau» in Kraft. Diese Norm hat Ge­
setzescharakter, da sie Bestandteil der LSV
und diese wiederum auf der Umwelt­
schutzgesetzgebung (USG) basiert. Die
LSV regelt vor allem:
]]die Ausscheidung und Erschliessung von
Bauzonen in lärmbelasteten Gebieten.
]]die Erteilung von Baubewilligungen für
Gebäude mit lärmempfindlichen Räumen
in lärmbelasteten Gebieten.
]]den Schallschutz gegen Aussen- und In­
nenlärm an neuen und bestehenden Ge­
bäuden mit lärmempfindlichen Räumen.
]]die Ermittlung von Aussenlärmimmissio­
nen und ihre Beurteilung anhand von Be­
lastungsgrenzwerten.
Die heute gültige SIA Norm 181, Ausgabe
2006, wurde erweitert und aktuellen ENund ISO-Normen angepasst, sie regelt:
]]den baulichen Schutz gegenüber exter­
nen und internen Lärmquellen, bezogen
auf Nutzungseinheiten in Neu- und Um­
bauten.
]]die schalltechnischen Eigenschaften von
Bauten, Bauteilen und Anlagen der Haus­
technik.
60
Schallschutz
]]den Schallschutz innerhalb Nutzungsein­
heiten als Empfehlungen.
]]die Raumakustik von Unterrichtsräumen
und Sporthallen.
Aussenlärm
Im Wesentlichen geht es um zwei Vor­
schriften, die in der LSV geregelt sind.
Art. 31. Baubewilligungen in lärmbe­
lasteten Gebieten: Vorgegebene Immis­
sionsgrenzwerte müssen in der Mitte des
offenen Fensters (Lüftungszustand) einge­
halten werden. Eine Komfortlüftungsan­
lage gilt im Regelfall nicht als Lärmschutz­
massnahme gemäss LSV Art. 31.
Art. 32. Anforderungen an Schutz ge­
gen Schall von aussen: Die geschlossene
Hülle muss die Mindestanforderungen der
SIA Norm 181 einhalten. Die Anforderun­
gen gelten auch für Aussen- und Trenn­
bauteile, die umgebaut, ersetzt oder neu
eingebaut werden. Sie sind abhängig vom
Aussenpegel und der Lärmempfindlich­
keit. Das schwächste Bauteil der Gebäude­
hülle ist massgebend. Dies ist meistens das
Fenster oder die Schrägdachkonstruktion.
Bei erheblichen Lärmbelastungen kom­
men Schallschutzfenster zum Einsatz mit
Gläsern mit einem Bauschalldämmmass Rw
über 35 dB. Die üblichen 3-fach-Isolierver­
glasungen bieten in lärmigen Gebieten
trotz der drei Gläser oft keinen genügen­
den Schutz.
Luftschall
Luftschallübertragung:
Übertragung
von Luftschall von einem Raum zum ande­
ren durch Trennbauteile (Wand, Decke,
Fenster usw.), durch Öffnungen, Spalten
oder über Nebenwege. Die Anforderungs­
werte Di sind abhängig von der Lärmbelas­
tung und von der Lärmempfindlichkeit.
Diese Werte (Mindestanforderungen) gel­
ten vor allem für Neubauten, sie gelten
aber genauso für Umnutzungen, Erweite­
rungen und Umbauten mit grossen Ein­
griffstiefen. Für die erhöhten Anforderun­
gen gelten die um 3 dB erhöhten Werte
gegenüber den Angaben der Tabelle 6.
Bei bestehenden Häusern bieten vor allem
dünne, einschalige Backstein- oder Beton­
wände bezüglich Luftschallübertragungen
Probleme, die durch entsprechende Vor­
satzschalen behoben werden können.
Das wesentlich grössere Problempotenzial
diesbezüglich weisen jedoch die Holzbal­
Belastungsgrenzwerte nach Lärmschutzverordnung (LSV)
Planungswert
Empfindlichkeitsstufe
ES I (Erholungszonen)
ES II (Wohnzonen)
ES III (Mischzonen)
ES IV (Industriezonen)
Schallquellen
Aussenlärm (z. B.
Verkehr)
Luftschall
Tag
50 dB
55 dB
60 dB
65 dB
Nacht
40 dB
45 dB
50 dB
55 dB
Nachbarliche
Wohngeräusche
Luftschall
Bauteile und Anlagen
]]Wohnungstrenn­
]]Fenster
wände
]]Aussenwände
]]Wohnungsdecken
]]Dach
]]Wohnungstüren
]]Haustüren
]]Storenkästen
Schallschutzmassnahmen
Luftschalldämmung Luftschalldämmung
Immissionsgrenzwert
Tag
Nacht
55 dB
45 dB
60 dB
50 dB
65 dB
55 dB
70 dB
60 dB
Nachbarliche
Wohngeräusche
Trittschall
Alarmwert
Tag
65 dB
70 dB
70 dB
75 dB
Nacht
60 dB
65 dB
65 dB
70 dB
Anlagegeräusche
(Haustechnik)
Körperschall und
Luftschall
Tabelle 6:
Belastungsgrenz­
werte gemäss LSV
Tabelle 7:
Lärmprobleme und
Schallschutzaufga­
ben
Eigengeräusche
(raumintern)
Luftschall
]]Wohnungstrenn­ ]]Sanitär- und Heiz­
decken
anlagen
]]Balkone
]]Leitungen
]]Begehbare Dächer ]]Apparate, Maschi­
nen
]]Treppenhaus
]]Hallen, Gänge
]]Bäder
]]Spezialräume
Trittschalldämmung
Reduktion der
Halligkeit
Luft- und Körper­
schalldämmung
61
Gebäudeerneuerung
kendecken mit Schiebboden und Gipsde­
cke auf. Die Schüttung oder die Verfüllung
der Hohlräume mit Mineralwolle oder Zel­
luloseflocken bringt wegen der fehlenden
Masse nicht die geforderte Wirkung. Eine
zusätzliche Gipsdecke an Schwinghängern
oder ein schwimmender Unterlagsboden
oder allenfalls beide Massnahmen sind
notwendig, um den Schallschutz zu bie­
ten. Vielfach mangelt es aber an der dafür
notwendigen Raumhöhe oder es stehen
architektonische und denkmalpflegerische
Aspekte im Wege. Mitunter sind auch die
Kosten zu hoch.
Abbildung 44:
Möglicher Aufbau
von Holzbalkende­
cken
Bodenbelag
schwimmender Unterlagsboden
mit Bodenheizregister
Trittschall- und Wärmedämmung
Lastverteilpatte, bestehende Unterkonstruktion
Dämmung, Schüttung, Leichtbeton
Schiebboden bestehend
Gipsdecke bestehend
Mineralwolle, Hohlraumdämpfung
abgehängte Gipsdecke neu an Federbügeln
Trittschall
Trittschallübertragung: Die Übertragung
von Trittschall von einer begehbaren Kon­
struktion als Körperschall in andere Räume
und mit Abstrahlung und Wahrnehmung
als Luftschall im belasteten Raum. Die An­
forderungswerte L‘ sind abhängig von der
Lärmbelastung und von der Lärmempfind­
lichkeit. Diese Werte (Mindestanforderun­
gen) gelten vor allem für Neubauten, bei
Umbauten gelten um 2 dB erhöhte (redu­
zierte) Limiten. Für die erhöhten Anforde­
rungen gelten die um 3 dB verringerten
(strengeren) Werte gegenüber den Werten
der Tabelle 9.
Die grössten Probleme bieten bei beste­
henden Bauten die Betondecken ohne
schwimmende Unterlagsböden oder aber
eben auch die Holzbalkendecken wie
schon beim Luftschall. Bei Häusern mit Be­
tondecken der 60-er und 70-er Jahre
wurde der ganzflächige Teppichbelag oft
als ein Bestandteil der Bodenkonstruktion
mit einbezogen. Bei einem Ersatz des Bo­
denbelages mit z. B. Parkettbelag können
grössere, unerwünschte Trittschallübertra­
Grad der Störung durch Aussenlärm
Lärmbelastung
Lage des Empfangsortes
Beurteilungsperiode
Beurteilungspegel
Lärmempfindlichkeit
gering
mittel
hoch
klein bis mässig
erheblich bis sehr stark
abseits von Verkehrsträgern, keine stören­ im Nahbereich von Verkehrsträgern oder
den Betriebe
störenden Betrieben
Tag
Nacht
Tag
Nacht
L r ≤ 52 dB
L r > 60 dB
L r > 52 dB
L r ≤ 60 dB
Anforderungswerte De in dB (Standard-Schallpegeldifferenz)
29 dB/22 dB
L r – 35 dB/ – 38 dB L r – 27 dB/ – 30 dB
34 dB/27 dB
L r – 30 dB/ – 33 dB L r – 22 dB/ – 25 dB
39 dB/32 dB
L r – 25 dB/ – 28 dB L r – 17 dB/ – 20 dB
Lärmbelastung
klein
mässig
stark
Lärmige Nutzung:
Nutzung normal:
Wohn-, Schlafraum, Hobby­raum, Ver­
sammlungsraum,
Küche, Bad, WC,
Schulzimmer, Hei­
Korridor, Aufzugs­
zung, Garage, Res­
schacht, Treppen­
taurant ohne Be­
haus, Büroraum,
Konferenzraum, La­ schallung, Verkaufs­
raum mit Beschal­
bor, Verkaufsraum
lung
ohne Beschallung
Lärmempfindlichkeit Schutz gegen Luft-Schall von innen: Anforderungswerte Di
gering
45 dB/42 dB
50 dB/47 dB
55 dB/52 dB
mittel
50 dB/47 dB
55 dB/52 dB
60 dB/57 dB
hoch
55 dB/52 dB
60 dB/57 dB
65 dB/62 dB
Beispiele für emissi­
onsseitige Raumart
und Nutzung (Sen­
deraum)
Geräuscharme Nut­
zung: Lese-, Warte­
raum, Patienten-,
Sanitäts­zimmer, Ar­
chiv
Tabelle 8:
Erhöhte und Min­
destanforderung
(fett) an den Schutz
gegen Luftschall
von aussen (SIA
181).
sehr stark
Lärmintensive Nut­
zung: Gewerbebe­
trieb, Werkstatt,
Musikübungsraum,
Turnhalle, Restau­
rant mit Beschal­
lung und dazuge­
hörende Er­schliessungsräume
60 dB/57 dB
65 dB/62 dB
70 dB/67 dB
Tabelle 9:
Erhöhte und Min­
destanforderung
(fett) an den Schutz
gegen Luftschall
von innen (SIA 181).
62
Schallschutz
gungen entstehen. Bei Holzbalkendecken
verbessern schwimmende Unterlagsböden
die Situation. Bei diesen Böden können bei
einer entsprechenden Gesamtsanierung
gleichzeitig Bodenheizregister eingebaut
werden. Dies empfiehlt sich, wenn eine
fossile Heizung durch eine Niedertempera­
turheizung (Wärmepumpe) ersetzt wird.
Massnahmen von unten, wie z. B. eine he­
runter gehängte Gipsdecke an Federbü­
geln, können eine spürbare, wenn auch
nicht so effiziente Verbesserung wie der
Unterlagsboden bringen.
Haustechnik
Tabelle 10:
Mindestanforderun­
gen an den Schutz
gegen Geräusche
haustechnischer An­
lagen (SIA 181)
Körperschallübetragung:
Geräusche,
welche innerhalb oder ausserhalb eines
Gebäudes durch Schwingungsvorgänge
entstehen, ausschliesslich als Körperschall
übertragen und im Inneren als Luftschall
gehört werden. Die Anforderungswerte
sind in Einzelgeräusche und Dauerge­
räusche differenziert. Für die erhöhten An­
forderungen gelten die um 3 dB verringer­
ten Werte.
Die Hauptlärmquellen sind in Küchen, Ba­
dezimmern und im Keller (Haustechnikins­
tallationen wie Lüftung, Ölbrenner, Wär­
mepumpen, etc.). Oft geben auch Auf­
Emissionsseitige
Geräuschart im
Senderaum
züge zu Klagen Anlass. Die effizientesten
Massnahmen sind Abfedern, Abkoppeln
und elastische Lagerungen; Maschinen
und Haustechnikanlagen mit Schwin­
gungsdämpfer versehen; Leitungen elas­
tisch befestigen; Sanitärinstallationen mit
entsprechenden Schallschutzsets montie­
ren; Badewannen, Duschtassen auf
schwimmenden Unterlagsboden stellen;
Küchenabdeckungen elastisch von der
Wand trennen; etc.
Raumakustik
Raumakustik: Teilgebiet der Akustik, das
sich mit der Hörsamkeit von Sprache oder
Musik in Räumen und mit dem akusti­
schen Design von Räumen beschäftigt.
Das massgebende Spektrum erstreckt sich
von 100 Hz bis 5000 Hz. Der ordentliche
Betrieb von Unterrichtsräumen und Sport­
hallen setzt ein Mindestmass an Sprach­
verständlichkeit bzw. an Hörsamkeit vor­
aus. Zur entsprechenden raumakustischen
Konditionierung müssen die Nachhallzei­
ten in diesen Räumen bestimmte Randbe­
dingungen erfüllen.
Diese Vorgaben gemäss SIA 181 sind für
Neubauten, Umbauten und Sanierungen
gleichermassen anzuwenden. Es bedeutet,
Einzelgeräusche
Funktions­
Benutzungs­
geräusche
geräusche
Dauergeräusche
Funktions- oder
Benutzungs­
geräusche
Tabelle 11:
Erhöhte und Min­
destanforderung
(fett) an den Schutz
gegen Trittschall
(SIA 181)
Lärm­empfindlichkeit
gering
38 dB(A)
mittel
33 dB(A)
hoch
28 dB(A)
Anforderungswerte LH
43 dB(A)
33 dB(A)
38 dB(A)
28 dB(A)
33 dB(A)
25 dB(A)
Lärmbelastung
klein
stark
Beispiele für
emissions­seitige
Raumart und
Nutzung (Sende­
raum)
Archiv, Warte-, Lese­ Wohn-, Schlafraum,
raum
Küche, Bad, WC,
Büro, Heiz- und Kli­
maraum, Korridor,
Treppe, Lauben­
gang, Passage, Ter­
rasse, Einstellgarage
Lärmempfindlichkeit
gering
60 dB/63 dB
mittel
55 dB/58 dB
hoch
50 dB/53 dB
mässig
sehr stark
Die in der Stufe
Restaurant, Saal,
«stark» festgehalte­
Schulzimmer, Kin­
nen Nutzungen,
derkrippe, Kinder­
wenn diese auch in
garten, Turnhalle,
der Nacht von 19.00
Werkstatt, Musik­
Uhr bis 07.00 Uhr
übungsraum und
zugehörige Erschlie­ vorkommen.
ssungsräume
Schutz gegen Trittschall: Anforderungswerte L’
55 dB/58 dB
50 dB/53 dB
45 dB/48 dB
50 dB/53 dB
45 dB/48 dB
40 dB/43 dB
45 dB/48 dB
40 dB/43 dB
35 dB/38 dB
63
Gebäudeerneuerung
dass Unterrichtsräume gezielt mit absor­
bierenden (schallschluckenden) Materia­
lien auf den dafür geeigneten Flächen aus­
gerüstet werden.
Nachhallzeit für Unterrichtsräume:
Tsoll = – 0,17 + 0,32 lg (V/V0)
ner und als mögliche Grundlage für ent­
sprechende vertragliche Vereinbarungen
werden aber auch Empfehlungen für den
Schallschutz zwischen den Räumen inner­
halb der gleichen Nutzungseinheit defi­
niert (SIA 181, Anhang G).
Schallschutz innerhalb
Nutzungseinheiten
Die Norm SIA 181 regelt ausschliesslich
den Schallschutz zwischen verschiedenen
Nutzungseinheiten. Als Hilfe für den Pla­
T/Tsoll
Abbildung 45:
Anzustrebender Be­
reich der Nachhall­
zeit für Unterrichts­
räume (SIA 181)
1,4
1,2
1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
100
1000
Frequenz (Hz)
Nutzung
Raum 1 *
Raum 2 **
10000
Tabelle 12:
Empfehlungen für
Trennbauteile in­
nerhalb einer Nut­
zugseinheit: Luft­
schalldämmung Di
bzw. bewerteter
Norm-Trittschallpe­
gel L‘ in dB (SIA
181, Anhang G)
Empfehlung Luftschall
Empfehlung Trittschall
Stufe 1
Stufe 2
Stufe 1
Stufe 2
Wohnen
Schlafen
Schlafen
40
45
55
50
Schlafen
Wohnen
40
45
55
50
Schlafen
Nasszelle
40
45
55
50
Büro
Büro
Büro
35
40
60
55
Büro
Sitzung
40
45
60
55
Büro
Direktion
45
50
60
55
Korridor
Büro
30
35
60
55
Korridor
Direktion
35
40
60
55
Sitzung
Sitzung
40
45
60
55
Schule
Klasse
Klasse
45
50
60
55
Korridor
Klasse
35
40
60
55
Musikzimmer Klasse
55
60
50
45
Musikzimmer Musikzimmer 55
60
50
45
Werken
Klasse
50
55
50
45
Hotel
Zimmer
Zimmer
50
55
55
50
Korridor
Zimmer
40
45
55
50
Altersheim,
Zimmer
Zimmer
50
55
55
50
Spital
Korridor
Zimmer
30
35
55
50
* Empfehlungen für Räume ohne Einfluss der Türen und offener Treppen (Messung mit Vorsatzschalen)
** Räume, zwischen denen keine Sprachverständlichkeit gegeben sein darf (z. B. Praxis, Sozialamt).
Kapitel 8
Tragwerk
Hansruedi Meyer
Abbildung 46:
Kantonales Zeug­
haus Zug, Baugrube
für die Anbauten.
Die Anbauten kön­
nen wegen der vor­
stehenden Aussen­
wand nicht unmit­
telbar an das beste­
hende Gebäude an­
geschlossen wer­
den.
Anbauen
Tragwerke von Anbauten unterscheiden
sich grundsätzlich nicht von Tragkonstruk­
tionen eines Neubaus. Die besonderen
Themen liegen im konstruktiven Bereich
und im Bauablauf.
Trennfuge zwischen bestehendem Ge­
bäude und Anbau: Nach den Konstrukti­
onsregeln ist ein Anbau vom bestehenden
Gebäude zu trennen. Trennfugen können
zwar Probleme lösen aber auch neue
schaffen. So ist insbesondere die Frage von
Setzungen gut abzuklären, damit nicht Ni­
veaudifferenzen zwischen alt und neu ent­
stehen. Gebäudetrennfugen beginnen in
der Regel oberhalb der Fundation und
werden konsequent durchgezogen, ein­
schliesslich Fassaden- und Dachanschlüsse.
Besondere Beachtung muss der Abdich­
tung der Fugen eingeräumt werden. Fu­
genverdornungen zum bestehenden Ge­
bäude können, um Setzungsdifferenzen
zu verhindern, zweckmässig sein. Erfor­
derlich werden sie, wenn keine vertikalen
Tragelemente beim Übergang zum Anbau
erwünscht sind und die Decken direkt am
bestehenden Gebäude aufgelagert wer­
den.
Anbauen von Untergeschossen an
nicht unterkellerte Gebäude: Wird ein
Untergeschoss direkt an ein bestehendes,
nicht unterkellertes Gebäude angeschlos­
sen, muss, falls nicht aus Plänen ersicht­
lich, die Fundation des bestehenden Ge­
bäudes sondiert werden. Die Fundation
ragt oft über die Gebäudeaussenwand hi­
naus. Hier gilt es abzuklären, wie weit die
bestehende Fundation angepasst und ob
ein allfälliger Fundamentvorsprung weg­
genommen werden kann. In jedem Fall ist
die Fundation des bestehenden Gebäudes
z. B. mittels Unterfangungen bis auf das
Niveau der Fundation des Anbaus zu füh­
ren.
Nicht unterkellerte Anbauten: Bei nicht
unterkellerten Anbauten ist die Fundation
bis auf das gewachsene Terrain zu führen
oder falls möglich mittels Konsolen an das
bestehende Gebäude zu verankern.
Abbildung 47:
Kantonales Zeug­
haus Zug, Betonar­
beiten für die An­
bauten.
66
Tragwerk
Abbildung 48 (oben): Bibliothek am Guisanplatz, Bern. Quer­
schnitt mit neuer Unterkellerung für die Gebäudetechnik und mit
neuem Anbau für ein Archiv.
Abbildung 49 (Mitte): Bibliothek am Guisanplatz, Bern. Unterfan­
gung bestehende Fassade für neues unterirdisches Archiv.
Abbildung 50 (unten links): Schloss Hofwil Münchenbuchsee, er­
baut 1784. Unterfangung Fassade.
Abbildung 51 (unten rechts): Schloss Hofwil Münchenbuchsee. An­
bau unterirdische Einstellhalle.
67
Gebäudeerneuerung
Aufstocken
Mit dem Aufstocken eines Gebäudes müs­
sen zusätzliche Lasten über die Tragstruk­
tur des bestehenden Gebäudes in den
Baugrund abgeleitet werden. Abzuklären
ist, ob die vorhandenen vertikalen Tragele­
mente, Wände und Stützen sowie die Fun­
dation in der Lage sind, diese Zusatzlasten
abzutragen und ob die Zusatzlasten sicher
in den Baugrund abgeleitet werden kön­
nen. Falls nicht, muss geprüft werden, ob
die Tragelemente verstärkt und die Funda­
tion entsprechend angepasst werden kön­
nen. Aufstockungen ohne Verstärkung der
bestehenden Tragstruktur sind nur bei re­
lativ geringen Zusatzlasten möglich, d. h.
eine Aufstockung ist vorzugsweise in einer
Leichtkonstruktion, Holz oder Stahl zu pla­
nen.
Für die Aufstockung sollte wenn immer
möglich die bestehende vertikale Tragstruktur übernommen werden. Die Dach­
decke ist meist nicht in der Lage, Stützenoder Wandlasten über Biegung abzutra­
gen. Falls die Tragstruktur nicht übernom­
men werden kann, können die Lasten der
Aufstockung mit einer Hilfskonstruktion,
z. B. mit Überzügen auf der Dachdecke,
auf die bestehenden vertikalen Tragele­
mente umgeleitet werden. Der damit ent­
stehende Zwischenraum kann dann auch
für die Leitungsführung der Gebäudetech­
nik genutzt werden.
Wände und Stützen können noch relativ
einfach verstärkt werden, nicht aber die
Fundation. Eine Vergrösserung von Einzelund Streifenfundamenten ist schwierig
wegen der Zugänglichkeit und meist mit
grossem Aufwand verbunden. Häufig wer­
den daher für die Einleitung der Lasten in
den Boden Mikropfähle eingesetzt. Diese
Kleinbohrpfähle können auch innerhalb
eines bestehenden Gebäudes ausgeführt
werden. Da bei einer Aufstockung die
Dachdecke mindestens bei den Lastabtra­
gungspunkten freigelegt werden muss,
wird in den meisten Fällen ein Notdach er­
forderlich.
Abbildung 52
(oben): Altersheim
Lyss-Busswil.
Fassade mit neuem
Dachgeschoss.
Abbildung 53
(links): Altersheim
Lyss-Busswil. Längs­
überzüge in Beton
auf der Dachdecke
zum Abtragen der
neuen Lasten auf
die darunter liegen­
den Stützen.
Abbildung 54
(rechts): Altersheim
Lyss-Busswil. Zwi­
schenraum für Lei­
tungsführungen
zwischen der frühe­
ren Dachdecke und
dem neuen Boden
der Aufstockung.
68
Tragwerk
Unterkellern
Abbildung 55:
Goldener Adler Ge­
rechtigkeitsgasse 7,
Bern. Querschnitt
mit neuer Unterkel­
lerung.
Abbildung 56:
Goldener Adler Ge­
rechtigkeitsgasse 7,
Bern. Unterfangung
mit auf die Stand­
festigkeit des Bo­
dens abgestimmten
Betonieretappen.
Die Spriesskränze
sind provisorisch.
Eine nachträgliche Unterkellerung eines
Gebäudes ist immer aufwendig. Aushub
und Rohbauarbeiten müssen ohne grö­
ssere Öffnung im Gebäude mit Kleingerä­
ten oder von Hand ausgeführt werden. Die
vertikalen Tragelemente müssen bis auf
das neue Fundationsniveau geführt wer­
den. Zwei Vorgehen stehen im Vorder­
grund: Verlängern der Tragelemente mit­
tels etappenweisem Unterfangen oder
Abfangen der Tragelemente mit Mikro­
pfählen. Beim Unterfangen muss die Etap­
pengrösse auf das bestehende Tragsystem
und die Standfestigkeit des Bodens beim
Ausheben abgestimmt werden. Mikro­
pfähle werden vom bestehenden Niveau
aus versetzt und der Boden um die Mikro­
pfähle herum nachträglich ausgehoben.
Das Risiko, dass Setzungen und damit
Risse im Bauwerk entstehen, ist beim Un­
terfangen wesentlich grösser als beim Ein­
satz von Mikropfählen.
Die bestehende Bodenplatte muss bei ei­
ner Unterkellerung rückgebaut und neu
als Decke ausgebildet werden. Wird die
bestehende Tragstruktur auf Mikropfählen
gesichert, müssen die Stützen und Wände
nicht zwingend von oben übernommen
werden. Sie können auch nachträglich auf
die neue Decke abgestellt werden. Die De­
cke wird dann zu einer sogenannten Ab­
fangdecke.
Unterkellerungen von denkmalgeschütz­
ten Gebäuden: Auch wenn es die techni­
schen Möglichkeiten und das Knowhow
der Baufachleute zulassen, auch bei histo­
rischen Bauten zusätzliche Unterkellerun­
gen ausführen zu können, haben die
Denkmalpflege-Fachstellen grundsätzliche
Bedenken dazu und lehnen Unterkellerun­
gen ab. Eine ausführliche Begründung gibt
das Grundsatzpapier der Eidgenössischen
Kommission für Denkmalpflege, EKD,
«Unterirdische Bauten im historischen Be­
reich», 30. Januar 2001.
3
2
1
69
Gebäudeerneuerung
Abbildung 57 (oben): Unterkellerung mit Mikropfählen. Biblio­
thek am Guisanplatz, Bern: Grundriss Untergeschoss mit neuer Un­
terkellerung bestehendes Gebäude für die Gebäudetechnik und
mit neuem Anbau für ein Archiv (Querschnitt dazu siehe Abbil­
dung 48).
Abbildung 58 (Mitte): Bibliothek am Guisanplatz, Bern. Tragstruk­
tur des ehemaligen Lagergebäudes vor dem Umbau.
Abbildung 59 (unten links): Bibliothek am Guisanplatz, Bern. Ab­
fangung der Stützen im Erdgeschoss mit je 4 Mikropfählen. Die
Verbände dienen zur Aussteifung der dünnen Mikropfähle.
Abbildung 60 (unten rechts): Bibliothek am Guisanplatz, Bern.
Ganze innere Tragstruktur während des Aushubs auf Mikropfäh­
len.
70
Tragwerk
Umbauen
Beim Umbauen sind Eingriffe in die
Tragstruktur massvoll zu halten. Sie sind
nur dort gerechtfertigt, wo Funktionsab­
läufe verbessert und wo mit den Eingriffen
möglichst flexible Strukturen erreicht wer­
den, die nicht ausschliesslich auf das heute
gültige Raumprogramm abgestimmt sind.
Gebäudebestimmende Elemente sollten
respektiert werden. Dies gilt auch für
Massnahmen, die infolge neuer Gebäude­
technik erforderlich werden. Anforderun­
gen und Ansprüche sollten immer im Kon­
text berücksichtigt und wirtschaftlich opti­
miert werden.
Häufige Eingriffe sind Wandausbrüche, die
je nach Tragsystem der Decken meist durch
Unterzüge ersetzt werden müssen. Bal­
ken- oder Stahlträgerdecken brauchen im­
mer ein Linienauflager. Bei Betondecken
kann bei nicht zu grossen Wandausbrü­
chen anstelle eines Unterzugs auch eine
Klebewehrung die Öffnung überbrücken.
Steht über der ausgebrochenen Wand im
Geschoss darüber eine weitere Wand, sind
die Auswirkungen der Verformungen zu
beachten. Ein Unterzug oder ein Wechsel
mittels Klebebewehrung ist immer wei­
cher als die frühere Wand. Bei Ausbrüchen
von Tragelementen sind die erforderlichen
Massnahmen während des Bauablaufs,
insbesondere die provisorischen Spriessun­
gen, sorgfältig zu planen.
Ebenso häufig gilt es, die Tragsicherheit
und die Gebrauchstauglichkeit der Decken
zu beurteilen. Wird an der Deckenkons­
truktion und dem Bodenaufbau nichts ver­
ändert und bleibt die Nutzung die gleiche,
ist eine Überprüfung grundsätzlich nur nö­
tig, wenn grosse Verformungen sichtbar
sind, die Decke bei kleiner Anregung
schwingt oder wenn der Zustand schlecht
ist. Werden bei Holzbalkendecken oder
dünnen Betondecken beispielsweise aus
akustischen Gründen schwerere Boden­
aufbauten eingebaut, müssen die Decken
statisch geprüft werden. Häufig sind Ver­
stärkungen notwendig, die dann auch Ein­
griffe in die bestehende Deckenkonstruk­
tion zur Folge haben.
Abbildung 61: Umbau Muesmattstrasse 37, Bern. Sicherung der
Wand im 1. Obergeschoss während des Wandausbruchs im Erdge­
schoss.
Abbildung 62: Umbau Muesmattstrasse 37, Bern. Wandausbruch
und Einbau Stahlunterzug.
71
Gebäudeerneuerung
Abbildung 63 (links oben): Parlamentsgebäude Bern, Querschnitt
mit Teilprojekten des Umbaus. Grün = Erneuerung Kuppelhalle.
Rosa = Umnutzung 3. Obergeschoss. Blau = Erneuerung National­
ratssaal. Rot = Instandsetzen Gebäudehülle. Gelb = Neuer Besu­
chereingang
Abbildung 64 (links unten): Parlamentsgebäude Bern. Rückbau
unter dem Nationalratssaal für den neuen Besuchereingang. Trä­
ger für die provisorische Sicherung des Nationalratssaal.
Abbildung 65 (rechts oben): Schloss Hofwil Münchenbuchsee. De­
ckenverstärkung mit Renoantik, Holz-Restaurationstechnik.
Abbildung 66 (rechts unten): Dermatologie Inselspital Bern. Ver­
stärkung der Holzbalkendecke mit Holz-Beton-Verbund.
72
Tragwerk
Bestehende Bauten – neue
Normen
Beurteilung der Tragsicherheit: Der Be­
standesschutz erlischt, wenn eine Nut­
zungsänderung geplant ist (z. B. durch
Umnutzung von Büros in Versammlungs­
räume), wenn Eingriffe ins vorhandene
Tragwerk erforderlich sind (z. B. Entfernen
von Tragelementen oder Durchbrüche für
neue Leitungsführungen), wenn zusätzli­
che Lasten abzutragen sind (z. B. infolge
einer Aufstockung oder Einbau eines Zwi­
schengeschosses), oder wenn offensichtli­
che Schäden Zweifel an der Tragsicherheit
eines Bauteils begründen (z. B. infolge un­
terlassener Instandsetzung). Bei der An­
wendung der überwiegend für Neubauten
konzipierten Normen stösst man bei vielen
typischen Aufgaben im Zusammenhang
mit dem «Bauen im Bestand» auf Schwie­
rigkeiten. Mit der 1994 in Kraft getretenen
SIA-Richtlinie 462 «Beurteilung der Tragsi­
cherheit bestehender Bauwerke» wurden
erstmals Grundsätze zu diesem Thema
festgehalten. Die Beurteilung der Ge­
brauchstauglichkeit von Bauwerken ist
nicht Gegenstand dieser Richtlinie. Diese
Fragen sind in der Regel in Absprache mit
dem Eigentümer bzw. Betreiber des Bau­
werks zu regeln. Somit steht fest, dass nur
die Tragsicherheit den jeweiligen Normen
entsprechen muss. Weiter sind in dieser
Richtlinie Begriffe wie Restnutzungsdauer,
akzeptierbare Risiken, Mängel, usw. defi­
niert, welche alle in diesem Zusammen­
hang eine wesentliche Rolle spielen.
Erdbebensicherheit: Bestehende Bauten
sollten bezüglich ihrer Erdbebensicherheit
überprüft und wenn nötig ertüchtigt wer­
den. Dies erfolgt am besten bei einer Sa­
nierung oder bei einem Umbau. Die Bau­
werke müssen für die an ihrem Standort
massgebende Gefährdung (Erdbeben­
zone, Baugrundklasse) und entsprechend
ihrer Bedeutung (Bauwerksklasse) geplant
bzw. überprüft werden. Häufige Mängel
bei bestehenden Bauten sind fehlende
aussteifende Elemente (Wände) sowie
Holzbalkendecken mit ungenügender
Scheibenwirkung und ungenügender Ver­
ankerung mit der Fassade. Vor 1970 war
in den SIA-Normen noch gar kein Erdbe­
benartikel vorhanden. Durch die Anwen­
dung der heute gültigen SIA-Norm 261
(Einwirkungen auf Tragwerke, Ausgabe
2003) ergeben sich für bestehende Bauten
aber zu grosse Horizontalkräfte. Mit dem
SIA-Merkblatt 2018 (Ausgabe 2004) kann
ein sogenannter Erfüllungsfaktor berech­
net werden. Dieser gibt an, in welchem
Mass ein bestehendes Tragwerk die rech­
nerischen Anforderungen von Neubauten
erfüllt. Unter Berücksichtigung der Bau­
werksklasse und der Restnutzungsdauer
ergibt sich dann der effektive Erfüllungs­
faktor. Erreicht dieser einen bestimmten
Wert, müssen keine Erdbebensicherungs­
massnahmen vorgesehen werden. Um die
Erdbebenertüchtigungsmassnahmen be­
züglich Kosten-Nutzen-Effizienz beurteilen
zu können, werden die geplanten Investi­
tionen auf ihre Verhältnismässigkeit und
ihre Zumutbarkeit untersucht. Der Bund
setzt für Ertüchtigungsmassnahmen bei
eigenen Objekten ca. 2 % der Umbaukos­
ten ein.
Abbildung 67:
Gebäude mit wei­
chem Erdgeschoss.
Abbildung 68:
Hörsaalgebäude
HPH der ETH Zürich.
Detail Stahlrohr­
fachwerk.
Kapitel 9
Altlasten, Bauschadstoffe, Materialkonzepte, Systemtrennung
Urs-Thomas
Gerber
Wie wir natürliche Ressourcen verwenden,
hat Einfluss auf unsere Gesundheit, unsere
Sicherheit, aber auch auf die Schönheit
unserer näheren Umgebung und der Welt.
Dazu gehört auch der Umgang mit ver­
bauten Materialien. Spricht man beim
Rückbau von Abfällen, so ist auch klar,
dass man diese entsorgen muss. Sieht man
die Baumaterialien von rückgebauten Ge­
bäuden jedoch nicht als Abfälle, sondern
als potenzielle Sekundärrohstoffe, so wird
der Fokus nicht mehr auf die Entsorgung
gelegt, sondern auf das Wiederverwenden
respektive das Recycling.
Bevor man aber beim Bestand an den Aus­
bau von verbauten Baumaterialien denkt
respektive an das Einbauen von neuen
Werkstoffen, gilt es zu analysieren, ob sich
auf dem Grundstück Altlasten befinden
oder im Gebäude Bauschadstoffe verbaut
wurden. Erst nach diesen Abklärungen
kann ein Rückbau- und Entsorgungskon­
zept erarbeitet werden und anschliessend
ein Materialkonzept für das Weiterbauen
am Bestand.
Altlasten
Nach der Altlasten-Verordnung (AltlV) sind
Altlasten mit Abfällen belastete Standorte,
für die nachgewiesen ist, dass sie zu schäd­
lichen oder lästigen Einwirkungen führen
oder bei denen die konkrete Gefahr be­
steht, dass solche Einwirkungen entste­
hen. Altlasten sind also sanierungsbedürf­
tige belastete Standorte (Art. 2 Abs. 2 und
3 AltlV). Daneben gibt es noch belastete
Standorte, die lediglich der Überwachung
bedürfen und solche, bei denen aufgrund
Wichtige Fragen beim Weiterbauen
]]Gibt es Altlasten auf dem Grund­
stück?
]]Gibt es Bauschadstoffe im bestehen­
den Gebäude?
]]Können verbaute Materialien wieder
eingesetzt werden?
]]Welche Forderungen sollen die
neuen Materialien erfüllen?
der geringen Belastung weder eine Über­
wachung noch eine Sanierung erforderlich
sind. Wichtig in diesem Zusammenhang ist
die Unterscheidung der Begriffe Altlasten
und Abfälle. Auch das Wort Abfall ist ein
definierter Begriff. Abfälle sind bewegliche
Sachen, deren sich der Inhaber entledigt
oder deren Entsorgung im öffentlichen In­
teresse geboten ist (Art. 7 Abs. 6 USG).
Eine belastete Bausubstanz (durch Gebäu­
deschadstoffe wie z. B. Asbest) oder ein
belasteter Aushub werden nach Abfall­
recht beurteilt und nicht nach Altlasten­
recht.
Vorgehen bei einer Altlastenuntersuchung
Der Umgang mit Altlasten ist in der Altlas­
tenverordnung geregelt. So gibt es zum
Beispiel verschiedene Altlastenarten:
]]Ablagerungsstandorte (z. B. Gemeinde­
deponie von Haushaltskehricht)
]]Betriebsstandorte (z. B. unbefestigter
Platz einer Autogarage)
]]Unfallstandorte
]]Schiessanlagen (nach AltlV Betriebs­
standorte)
Die Altlasten-Verordnung verpflichtet die
Kantone dazu, einen Kataster der belaste­
ten Standorte (KbS) zu erstellen und zu
führen. Vor der Aufnahme eines Standor­
tes in den KbS informiert der Kanton die
Eigentümerschaft. Diese erhält die Gele­
genheit, vorgängig der Aufnahme Stel­
lung zu nehmen oder weitere Abklärun­
gen zu treffen.
Der KbS ist ein dynamisches Arbeitsinstru­
ment. Ergibt eine Untersuchung das Resul­
tat, dass ein Standort nicht belastet ist,
oder wird ein belasteter Standort saniert,
wird er aus dem Kataster gestrichen. Um­
gekehrt können nicht im KbS aufgeführte
Grundstücke durch neue Untersuchungen
oder Erkenntnisse auch in den Kataster
aufgenommen werden.
Die Abbildung 69 zeigt einen Ausschnitt
von belasteten Standorten im Kanton
Bern. Je nach Altlast-Art, haben die Flä­
74
Altlasten, Bauschadstoffe, Materialkonzepte, Systemtrennung
chen eine andere Farbe. Auf vielen Websi­
tes können auch weitere wichtige Informa­
tionen für Bauprojekte abgefragt werden.
Die Kartensammlungen enthalten z. B. In­
formationen zu Radonkonzentrationen,
Erdwärmesonden, Standorten von Sende­
anlagen (Mobilfunk, Rundfunk), usw.
Links zu geeigneten Websites
www.giszh.zh.ch
www.be.ch/geoportal
www.geo-bs.ch/stadtplan.cfm
www.ag.ch/geoportal/de/pub
Schritte einer altlastenrechtlichen Beurteilung
Als erstes kann im jeweiligen Kataster (oft
direkt übers Internet) nachgeschaut wer­
den, ob das vorliegende Grundstück als
belasteter Standort eingetragen ist. Sollte
dies der Fall sein, kann eine auf Altlasten­
untersuchungen spezialisierte Firma mit
der Abklärung beauftragt werden. Es kann
auch sein, dass der Standort nach AltlV
Art. 5 Abs. 4 untersuchungsbedürftig ein­
Historische und technische Untersuchung
]]Mit der historischen Untersuchung wird die Geschichte
des Standortes, welcher aufgrund seiner Nutzung mit Abfäl­
len bzw. mit Schadstoffen belastet sein könnte, aufgearbeitet.
Sie bildet die Grundlage für den Entscheid über den Bedarf
von weiteren Untersuchungen sowie deren Art und Umfang.
In der Regel wird als Bestandteil der historischen Untersu­
chung ein Pflichtenheft für die technische Untersuchung aus­
gearbeitet. Dieses definiert Gegenstand, Umfang und die vor­
gesehenen Methoden der technischen Untersuchung und
muss der zuständigen Behörde zur Stellungnahme unterbrei­
tet werden. Damit wird einerseits ein zielgerichteter und effizi­
enter Einsatz der meist kostenintensiven technischen Untersu­
chungsmassnahmen, andererseits aber auch ein frühzeitiger
Dialog aller Beteiligten sichergestellt.
]]Mit der technischen Untersuchung werden die vom
Standort ausgehenden Einwirkungen auf die Schutzgüter
bzw. die konkrete Gefahr von solchen Einwirkungen abge­
klärt. Es müssen diejenigen Angaben ermittelt werden, die zur
Beurteilung einer allfälligen Überwachungs- bzw. Sanierungs­
bedürftigkeit eines Standortes notwendig sind.
Quelle: Historische und technische Untersuchung von belaste­
ten Standorten – Amt für Gewässerschutz und Abfallwirt­
schaft des Kantons Bern (GSA – neu AWA Amt für Wasser
und Abfall) 2007.
Abbildung 69:
Ausschnitt aus dem
Geoportal des Kan­
tons Bern im Regis­
ter «Belastete
Standorte».
Tabelle 13:
Vorgehen bei Alt­
lasten je nach Fra­
gestellung in Bezug
auf den Standort
und eine zukünf­
tige Nutzung.
Absicht Standortinhaber
A
B
C
Fall 1
Belastet, keine Untersu­
chung
Keine Untersuchung
Fall 2a
Fall 2b
Belastet, Untersuchung
Belastet, Untersuchung
nicht prioritär
prioritär
Bisherige Nutzung, kein Aufwand
Untersuchung bei
Untersuchung innerhalb
Zustandsänderung
3 Jahre
Zustandsänderung (Überbauung, Ver­ Programm für Einschätzung Mindestprogramm zur Klärung des Überwachungskauf, Vererbung, Bilanzwert)
Entsorgung, Minderwert
respektive des Sanierungsbedarfs
Löschung Standort aus KbS, Erstat­
Programm zur Klärung belastet respektive unbelastet
tung Untersuchungskosten
75
Gebäudeerneuerung
gestuft ist, und dass bereits eine soge­
nannte Voruntersuchung stattgefunden
hat. Da die AltlV für diese Pflicht jedoch
eine «angemessene Frist» einräumt, ist
dies noch nicht bei allen untersuchungsbe­
dürftigen Standorten erfolgt. Vereinfacht
kann festgehalten werden, dass je nach
Fragestellung in Bezug auf den Standort
und in Bezug auf eine zukünftige Nutzung
sich verschiedene Vorgehen ergeben (Ta­
belle 13). Je nach Absicht der Eigentümer­
schaft erfolgt ein spezifisches Untersu­
chungsprogramm – in der Regel in Zusam­
menarbeit mit einem Altlastenspezialisten.
Beispiel: Ein Industriestandort wird auf­
grund der behördlichen Abklärungen in
den KbS aufgenommen. Zudem wird der
Standort als untersuchungsbedürftig ein­
gestuft. Es muss nun somit innert ange­
messener Frist eine Voruntersuchung
durchgeführt werden. In der Regel besteht
diese aus einer historischen und einer
technischen Untersuchung. Falls die Vor­
untersuchungen ergeben, dass ein Stand­
ort unbelastet ist, wird er im Kataster ge­
löscht.
Wenn ein Standort sanierungsbedürftig,
also eine Altlast im eigentlichen Sinne ist,
sind mit einer Detailuntersuchung genaue
Kenntnisse über Art und Ausmass der Be­
lastung sowie über deren mögliche Aus­
wirkungen zu erbringen, damit die Dring­
lichkeit der Sanierung, sowie die allgemei­
nen Sanierungsziele festgelegt werden
können. Letztlich bilden diese Untersu­
chungen auch die detailliertere Grundlage
für die Abschätzung der Kosten, respek­
tive der Kostenträger.
Das vom Sanierungspflichtigen zu erar­
beitende Sanierungsprojekt definiert die
zu ergreifenden Sanierungsmassnahmen
(öko­logisch sinnvoll, technisch realisierbar
und finanziell tragbar). Die Sanierung er­
folgt dann unter Berücksichtigung der gel­
tenden Normen, Gesetze, Richtlinien und
Merkblätter, wie zum Beispiel der techni­
schen Verordnung über Abfälle (TVA), der
Richtlinie für die Verwertung, Behandlung
und Ablagerung von mineralischem Aus­
hub-, Abraum- und Ausbruchmaterial
(Aushubrichtlinie), der Norm SIA 430, etc.
Links
www.bafu.admin.ch/altlasten
Bauschadstoffe
Bisher wurde erläutert, wie das Vorgehen
ist, wenn ein möglicher belasteter Stand­
ort vorliegt. Es besteht jedoch auch die
Möglichkeit, dass sich in der bestehenden
Gebäudesubstanz, welche teilweise oder
ganz rückgebaut werden soll, sogenannte
Bauschadstoffe befinden. Dazu zählen As­
best, PAK, PCB, Schwermetalle, Holz­
schutzmittel, etc.
Bedürfnisabklärung
Bedürfnisse, welche Schadstoffe, weitere Ziele festlegen
Schadstoffabklärung
Schadstoffabklärungen (oder Screening)
Bericht (Untersuchungsresultate, Dringlichkeit etc.)
Entsorgungskonzept
Ensorgungskonzept erstellen
(Schnittstellen, Konzept, Ausmass, Kosten)
Ausschreibung
Ausführungsplanung
Ausschreibung, Vergabeantrag
(Allgemeine Bedingungen, Zuschlagskriterien,
Leistungsverzeichnis)
Ausführungsplanung
(Sanierungskonzept Unternehmer, Freigabe durch SUVA)
Ausführung
Sanierung
(Installationen, Zonen, Sanierung, evtl. Fachbauleitung)
Abschluss
Werkabnahme, Dokumentation
(Schlussprotokoll, Raumluftmessung, Dokumentation)
Abbildung 70:
Ablauf einer Schad­
stoffuntersuchung
und Schadstoffsa­
nierung.
76
Altlasten, Bauschadstoffe, Materialkonzepte, Systemtrennung
Relevante Schadstoffe
]]Asbest
]]PCB: Polychlorierte Biphenyle
]]PAK: Polyzyklische aromatische Kohlen­
wasserstoffe
]]Schwermetalle
]]PCP: Pentachlorphenol
]]Künstliche Mineralfasern
Seit dem 1. Januar 1991 ist es verboten,
asbesthaltige Produkte im Hochbau zu
verwenden (SR 814.81). Trotzdem finden
sich heute in fast jedem Umbau- oder
Rückbauobjekt Schadstoffe wie z. B. As­
best; insbesondere in Liegenschaften wel­
che vor 1991 erstellt wurden. Eine Abklä­
rung auf Schadstoffe in der Gebäudesubs­
tanz sollte somit rechtzeitig vor jedem
Umbau- oder Rückbauvorhaben erfolgen.
Es ist aus diesem Grund wichtig, für die
Schadstoff
Asbest
Tabelle 14:
Anwendungsge­
biete von Bauschad­
stoffen.
Schadstoffuntersuchung festzulegen, wel­
che Schadstoffe in der Gebäudeuntersu­
chung berücksichtigt werden sollen. Die
rechtliche Situation ist dabei je nach
Schadstoff sehr unterschiedlich geregelt.
So gibt es für Asbest und PCB klare Vorga­
ben und Richtlinien, bei andern Schadstof­
fen ist die rechtliche Situation hinsichtlich
einer Sanierung in der Schweiz jedoch
nicht klar geregelt. Als Beispiel seien hier
künstliche Mineralfasern genannt.
Um sicherzustellen, dass zu Beginn die
wichtigsten Zielgrössen fixiert werden und
der Ablauf rechtlich und fachlich korrekt
durchgeführt wird, lohnt es sich, einen
Spezialisten beizuziehen. Die Suva führt
auf ihrer Homepage eine Liste mit Firmen,
welche Schadstoffuntersuchungen, insbe­
sondere für Asbest, durchführen.
Verwendung, weitere Hinweise
In Hunderten von verschiedenen Produkten wie Z.B:
]]Asbestzementprodukte wie Wellplatten, Fassadenschiefer, Gartenpro­
dukten, Rohr- und Lüftungsleitungen, usw.
]]Boden- und Wandbeläge, Unterlagsböden, Mörtel
]]Mörtel bei Rohrisolationen und Plattenbelägen
]]Fensterkitt
]]Leichtbauplatten, Karton und Pappen
]]Flachdachfolien
]]Akustikdecken
]]usw.
PCB
]]Dichtungsfugen bei Betonkonstruktionen
]]Elektrische Bestandteile (Kondensatoren)
]]Farbanstriche
]]Weichmacher in Isoliermittel, Ölen und Kunststoffen
PAK
PAK kommen in Gebäuden hauptsächlich in teerhaltigen Baustoffen
und in pechbasierten Farben und Klebstoffen vor. Teer wurde im Ver­
bund mit Dachpappen, Kork von Leitungen oder Holzbalken verwendet.
Schwer­
Unter Schwermetallen versteht man hauptsächlich die Erscheinungsfor­
metalle
men von folgenden Metallen:
]]Blei (Pb), Cadmium (Cd), Quecksilber (Hg), Chrom (Cr), u. a.
Diese Metalle haben im Bau verschiedene Anwendungen erfahren:
]]in Farben
]]in Schutzstoffen (Lacke, Biozide, u. a.)
]]in elektrischen Anlagen
PCP
]]Bis zirka 1989 angewendet (Verbot PCP)
]]Vorsicht bei Dachausbauten oder Holzpavillons (z. B. Kindergärten)
]]Typische Produkte waren u. a. «Xylamon», «Xyladecor» und «Aidol»
]]Nachfragen beim Besitzer, ob Holzschutzmittel eingesetzt wurden
]]Bei Unsicherheiten Analyse auf Pentachlorphenol und Lindan
Künstliche
Insbesondere die alten Mineralfasern seien hier erwähnt (geringere
Mineral­
Biolöslichkeit bis zirka 1994). Bei Arbeiten mit Mineralfaserdämmungen
fasern
sollte mindestens eine Schutzmaske FFP3 getragen werden.
Die Liste ist nicht vollständig.
77
Gebäudeerneuerung
Weiterführende Links
www.suvapro.ch  Branchen-/Fachthe­
men  Asbest
www.bag.admin.ch
www.bafu.admin.ch
www.forum-asbest.ch
Materialkonzepte
Die beste Ökobilanz weist Materialien auf,
die gar nicht zum Einsatz kommen. Das
heisst, ein Materialkonzept beginnt mit
der Überlegung, was braucht es über­
haupt – oder anders gefragt – wie muss
ich bauen, damit ich etwas nicht benötige
oder nur in geringen Mengen. Die zweite
Frage lautet, gibt es die Möglichkeit, Ma­
terialien einzusetzen, welche bereits als
Baumaterialien im Einsatz waren. In erster
Line wären dies im Gebäude bereits ver­
baute Materialien wie z. B. ein alter Par­
kettboden. Es könnten aber auch Materia­
lien sein, die anderswo im Einsatz standen
und dort nicht mehr gebraucht werden.
Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie
kann ich sicherstellen, dass die neuen Ma­
terialien möglichst nachhaltig sind.
Nur soviel wie nötig
Kompakte Baukörper besitzen weniger
Fläche gegen aussen als zergliederte – bei
gleichem Volumen. Somit kann bei einer
kompakten Bauweise auch Fassadenmate­
rial und Dämmung und dadurch Geld ge­
spart werden. Auch der Betrieb ist später
günstiger, was doppelt Kosten spart. Aber
auch bei Decken oder Innenwänden kön­
nen Bauteilschichten und somit graue
Energie gespart werden. Es sollte darum
gehen, die Wünsche der Nutzer und die
technischen Anforderungen wie z. B.
Ausgangslage
Kompakte Bauform
Brand- oder Schallschutz mit möglicht we­
nig Material zu erfüllen.
Material in einem Kreislauf führen
Insbesondere die nicht erneuerbaren Ma­
terialien sollten in einem Kreislauf geführt
werden, damit sie auch für künftige Gene­
rationen zur Verfügung stehen. Wird der
Rückbau geordnet vollzogen (SIA 430)
und die Materialien sortenrein getrennt,
so steht einem erneuten Einsatz nichts
mehr im Weg. Dabei sollte als erstes eine
Wiederverwendung geprüft werden. Das
bedeutet, dass Baumaterialien ohne Ver­
änderung ihrer stofflichen Zusammenset­
zung wieder eingebaut und dabei dem
gleichen Verwendungszweck zugeführt
werden. Das könnte zum Beispiel altes
holzschutzmittelfreies Konstruktionsholz
oder ein alter Parkettboden sein. Die
nächste Stufe ist die Weiterverwendung.
Auch hier gibt es keine stoffliche Verände­
rung der Zusammensetzung; der Verwen­
dungszweck ist aber ein anderer. Eine Wei­
terverwendung ist zum Beispiel bei Ziegel­
steinen möglich, die als Gehwegplatten
einsetzbar sind oder bei alten Holzboden­
belägen oder Wandvertäfelungen, die als
Unterdach oder Blindboden Verwendung
finden. Ist dieses Potenzial genutzt, so be­
steht eine weitere Möglichkeit in der Wie­
derverwertung. Dabei wird das Material
nach einer physikalischen oder chemi­
schen Aufbereitung wieder derselben Pro­
duktgruppe zugeführt. Alteisen oder RCBeton gehören zu dieser Art von Material­
recycling. Die letzte Möglichkeit ist die
Weiterverwertung. Dabei werden ge­
brauchte Baumaterialien nach einer physi­
kalischen oder chemischen Aufbereitung
Weiterbauen Variante A
Weiterbauen Variante B
A/V-Verhältnis verbessert
A/V-Verhältnis verschlechtert
Abbildung 71:
Kompaktes Weiter­
bauen.
78
Altlasten, Bauschadstoffe, Materialkonzepte, Systemtrennung
einer anderen Produktgruppe zugeführt.
Glaswolle ist ein derartiges Produkt, wel­
ches aus Altglas hergestellt wurde, aber
auch Gipsfaserplatten, welche unter ande­
rem aus Altpapier hergestellt werden.
Neue nachhaltige Materialien
Viele verwendete Materialien sind neu.
Hier ist die graue Energie respektive der
Primärenergiegehalt ein Kriterium. Wer­
den zwei Bodenbeläge miteinander vergli­
chen, ist es aber wichtig, die relevante Be­
zugsgrösse beizuziehen (z. B. kg/m2).
Es gibt aber weitere Kriterien, die auch zu
einer nachhaltigen Materialisierung gehö­
ren und die man nicht mit MJ oder kWh
ausdrücken kann. Zu qualitativen Kriterien
gehören Aspekte wie Verfügbarkeit der
Rohstoffe, Schadstoffemissionen inner­
halb des Lebenszyklusses, Langlebigkeit,
Reparierbarkeit und Unterhaltsfreundlich­
keit und Verwertbarkeit. Auch Aspekte
wie regionale Verankerung und Wert­
schöpfungsketten sind wichtige Kenngrö­
ssen.
Weiterführende Links
www.ecobau.ch
www.nachhaltigesbauen.de
Abbildung 72:
Verwertungsstufen
von Baustoffen
Systemtrennung
Die Idee, ein Gebäude flexibel zu bauen,
damit es auch zukünftigen Anforderungen
gerecht wird, ist als zentraler Punkt des
ökologischen Bauens zu sehen. Mit Flexibi­
lität ist gemeint, dass sich ein Gebäude an
neue Anforderungen wie grössere Räume
oder grössere Nutzungseinheiten anpas­
sen lässt, aber auch, dass die Möglichkeit
besteht, einem Gebäude eine komplett
neue Nutzung zuzuweisen. Heute werden
oft Gebäude nach 30 bis 40 Jahren abge­
rissen, weil es zu aufwendig wäre, die
neuen Nutzungsanforderungen durch
bauliche Massnahmen im bestehenden
Gebäude wieder herzustellen.
Diese Nutzungsflexibilität spielt bei Bauten
der öffentlichen Hand wohl noch eine grö­
ssere Rolle als bei Wohnbauten.
Aus diesem Grund hat das Amt für Grund­
stücke und Gebäude des Kantons Bern
(AGG) eine zukunftsgerichtete Planungs­
methode – die Systemtrennung – einge­
führt. Durch ihre konsequente Anwen­
dung bei allen Bauvorhaben soll durch
geringe Mehrinvestitionen bei der Planung
und der Erstellung von Gebäuden eine
langfristige Nutzung möglich sein. Einfa­
che Austauschbarkeit von Bauteilen und
möglichst grosse Nutzungsflexibilität sind
dabei die beiden Hauptziele dieser Me­
thode.
1. Wiederverwendung
• Keine stoffliche Veränderung, gleicher Verwendungszweck
• z.B. Alter Parkettboden wiederverwenden
2. Weiterverwendung
• Keine stoffliche Veränderung, anderer Verwendungszweck
• z.B. Gehweg im Garten aus alten Ziegelsteinen
3. Wiederverwertung
• Nach physikalischer oder chemischer Aufbereitung gleicher
Verwendungszweck
• z.B. Recycling Beton aus Betongranulat (RC Beton B)
4. Weiterverwertung
• Nach physikalischer oder chemischer Aufbereitung anderer
Verwendungszweck
• z.B. aus Altglas Glaswolldämmstoffmatten herstellen
79
Gebäudeerneuerung
Bauteiltrennung und Flexibilität
Mit der Bauteiltrennung soll sichergestellt
werden, dass Bauelemente mit unter­
schiedlicher Lebens- und Nutzungsdauer
nicht untrennbar miteinander verbunden
werden. Die drei Stufen Primär-, Sekundärund Tertiärsystem helfen dabei, die Nut­
zungsdauer von Bauteilen und Bauele­
menten übergeordnet zu betrachten.
Zur Systemtrennung sollten beispielsweise
Leitungen und Lüftungskanäle nicht ein­
gelegt werden (Abbildung 73), da ihre Le­
bens- respektive Nutzungsdauer wohl viel
kürzer sein wird als die der Decke. Mit Fle­
xibilität wird die Möglichkeit umschrieben,
ein Gebäude zukünftigen Nutzungsent­
wicklungen und Umnutzungen anzupas­
sen. Dabei werden Nutzlasten, Raster,
Spannweiten, Raumhöhen, Reserven, Auf­
stockungs- oder Anbaumöglichkeiten und
weitere Parameter definiert.
Da Gebäude oft nur für eine geplante Nut­
zung konzipiert werden, entstehen bei ei­
ner Umnutzung grosse Kosten, weil die
Gebäudestruktur zu stark auf die Erstnut­
zung ausgerichtet wurde.
ohne Systemtrennung
Bauteiltrennung
Prinzipien der Systemtrennung
Flexibilität
Abbildung 73:
Die beiden Prinzi­
pien «Bauteiltren­
nung» und «Flexibi­
lität».
Systemstufe
Bestandteile
Lebens- respektive
Nutzungsdauer
Primärsystem
(weitestgehend
unveränderbar)
]]Tragstruktur
]]Gebäudehülle
]]Erschliessung
50 bis 100 Jahre
(langfristige Investition)
Sekundärsystem
(anpassbar)
]]Innenwände,
Decken, Böden
]]Innenausbau
]]Installationen
15 bis 50 Jahre
(mittelfristige Investition)
Tertiärsystem
(veränderbar)
]]Mobiliar
]]Apparate
]]Technik
5 bis 15 Jahre
(kurzfristige Investition)
Abbildung 74:
Die drei Systemstu­
fen Primär-, Sekun­
där- und Tertiärsys­
tem der Systemtren­
nung.
80
Altlasten, Bauschadstoffe, Materialkonzepte, Systemtrennung
Dieser Problematik soll bei Neubauten und
Erneuerungen durch einen definierten
Spielraum für die Zukunft entgegenge­
wirkt werden. Dies soll unter anderem mit
folgenden Massnahmen erfolgen:
]]genügend grosse Gebäuderaster
]]entsprechende Gebäudetiefen
]]genügend grosse Geschosshöhen
]]Anpassungen der Nutzlasten
]]allenfalls Verstärkung der Fundation
]]Reserve bei der Erschliessung
Mit der Berücksichtigung dieser Punkte
auf mögliche zukünftige Nutzungen ent­
stehen mit geringfügigen Zusatzaufwen­
dungen entscheidende Mehrwerte. Es gilt
jeweils abzuschätzen, wie realistisch eine
mögliche Veränderung ist und wie auf­
wendig ein nachträgliches Nachrüsten
wäre. Es braucht somit ein sorgfältiges Ab­
wägen, welche Vorkehrungen bereits bei
der Erstellung sinnvoll sind.
Die Systemtrennung ist ein wichtiges Hilfs­
mittel, um die Lebenszykluskosten von Ge­
bäuden möglichst tief zu halten.
Weiterführende Links
www.bve.be.ch/bve/de/index/direktion/or­
ganisation/agg/mandate/systemtrennung.
html
Kapitel 10
Sicherheit und Brandschutz
Jürg Tschabold
Umnutzungen, Erneuerungen und Ände­
rungen an der Struktur erfordern eine
Überprüfung der gesamten Sicherheit in
einem Gebäude. Die zu erreichenden
Schutzziele der Eigentümer und Benutzer
erfordern ein umfassendes, der Bausubs­
tanz angepasstes Sicherheits- und Brand­
schutzkonzept. Aktuelle Vorschriften und
Normen sind zu berücksichtigen. Ein Ge­
bäude soll nach einem Umbau und mit
neuer Nutzung den Sicherheitsstandard
eines Neubaus erreichen. Die gesetzlichen
Vorgaben erlauben dabei eine Berücksich­
tigung der Verhältnismässigkeit. Behörden
dürfen nur Massnahmen fordern, die sich
aus den Vorschriften ergeben. Das Einhal­
ten der Vorschriften und Normen garan­
tiert jedoch nicht die Einhaltung betriebli­
cher Schutzziele oder weiterer Anforde­
rungen.
Sicherheits- und Brandschutzmassnahmen
können den Grundriss, die Gestaltung und
die Konstruktion beeinflussen. Beispiels­
weise können Fluchtwege die bisherige
oder geplante Raumorganisation modifi­
zieren. Sie müssen deshalb bereits von Be­
ginn weg eingeplant werden. Der frühzei­
tige Kontakt zu Fachspezialisten und Be­
hörden lohnt sich.
Sicherheits- und Schutzziele
Damit die Sicherheit den Erwartungen und
Anforderungen einer Bauherrschaft ge­
recht wird, sind mit dieser und mit den Ri­
sikoträgern (z. B. Versicherungen und Be­
hörden) zusammen die akzeptierbaren Ri­
siken und die im Ereignisfall zu erreichen­
den Schutzziele qualitativ und quantitativ
festzulegen z.B:
]]Personensicherheit (vom Gesetz gefor­
dert)
]]Akzeptierbare Gebäudeschäden
]]Verfügbarkeit von Gebäude und Anla­
gen (akzeptierbarer Betriebsunterbruch)
]]Zulässiges Ausmass von Sachschäden
Werden die Schutzziele der Bauherrschaft
eingehalten, sind erfahrungsgemäss die
Vorschriften weitgehend erfüllt. Bei
grossen Gefahren und Risiken fordern Ver­
sicherungen möglicherweise besondere
Massnahmen zu deren Minderung.
Vorschriften
Minimale Anforderungen ergeben sich aus
Gesetzen und Normen. Die Behörden kön­
nen Ausnahmen zustimmen. Zu beachten
sind:
]]Gesetze und Vorschriften zum Schutz
der Umwelt
]]Arbeitsgesetz mit den Verordnungen 3
+ 4 und Richtlinien von EKAS und Suva
]]Brandschutzvorschriften (Brandschutz­
norm und Richtlinien der VKF)
]]Auflagen, z. B. von Feuerwehr und Ret­
tungsdiensten
]]Eventuell Forderungen und Empfehlun­
gen von Versicherungen.
Abweichungen von der Brandschutznorm
und anderen Vorschriften sind möglich,
wenn mit einem Brandschutzkonzept eine
ausreichende Sicherheit nachgewiesen
werden kann.
Brandschutzkonzept
Ein Brandschutzkonzept besteht aus aufei­
nander abgestimmten Massnahmen aus
baulichem, technischem und organisatori­
schem Brandschutz. Das Brandschutzkon­
zept ist auf Plänen und mit einem Bericht
zu dokumentieren.
Baulicher Brandschutz
Tragwerk: Das Tragwerk muss einen ent­
sprechend der Brandlast genügenden Feu­
erwiderstand erreichen. Es darf im Brand­
fall während einer definierten Zeit nicht
kollabieren. Das Versagen eines Bauteils
darf nicht zum Einsturz eines ganzen Ge­
bäudes führen. Ein ungenügender Feuer­
widerstand kann in der Regel mit techni­
schem Brandschutz (Sprinkler) kompen­
siert werden.
Fluchtwege: Anzahl und Anordnung der
Fluchtwege haben grossen Einfluss auf die
Gestaltung von Bauten. Sie können nicht
durch Ersatzmassnahmen kompensiert
82
Sicherheit und Brandschutz
werden. Türen in Fluchtwegen müssen im­
mer in Fluchtrichtung öffnend und immer
ohne Hilfsmittel begehbar sein.
Brandunterteilung, Brandabschnitte:
Die Unterteilung eines Gebäudes in
Brandabschnitte bezweckt die Begren­
zung eines Brandereignisses. Die nötigen
Anforderungen ergeben sich aus Grösse
und Nutzung. Sie können mit dem techni­
schen Brandschutz beeinflusst werden. Zu
trennen sind üblicherweise:
]]Geschosse
]]Nutzungen mit unterschiedlicher Brand­
gefahr
]]Vertikalverbindungen wie Treppen, Lift­
schächte, Installationskanäle und Schächte
]]Technikräume
]]In Wohngebäuden Wohnungen
Brandabschnitte erfüllen ihre Funktion nur,
wenn deren Trennung baulich vollständig
umgesetzt ist, das heisst, wenn keine Lü­
cken vorhanden sind.
Abbildung 75:
Treppenhaus mit
Brandschutzvergla­
sung im Bundes­
haus Bern. (Vetro­
tech St. Gobain)
Abbildung 76:
Angrenzende
Räume, durch
Brandschutzvergla­
sungen getrennt.
(Vetrotech
St. Gobain)
Abbildung 77:
Korrekt in die De­
cke eingemauerte
Brandschutzklappe.
Wände und Decken: Brandabschnitts­
bildende Bauteile sind:
]]Brandmauern zur Trennung zusammen
gebauter Gebäude (REI 180)
]]Brandwände zur Unterteilung innerhalb
von Geschossen (EI 30 – EI 90)
]]z. B. Mauerwerk, Beton, Gipsplatten
über 5 cm
]]Betondecken, Eisenüberdeckung über
2 cm
]]Verglasungen mit zugelassenen Syste­
men
Brandabschlüsse: Öffnungen und Durch­
brüche in Brandwänden und Decken müs­
sen mit Abschlüssen ausgerüstet sein, die
den Brandbelastungen standhalten.
]]Durchgänge für Personen und Waren er­
fordern Brandschutztüren und Brand­
schutztore.
]]Durchbrüche, z. B. für Leitungen erfor­
dern Abschottungen.
]]Für Lüftungskanäle sind Brandschutz­
klappen einzubauen.
]]Für Transportanlagen sind meist spezielle
Abschlüsse erforderlich.
83
Gebäudeerneuerung
Technischer Brandschutz
Der technische Brandschutz umfasst Nor­
malmassnahmen (Löschgeräte) und Son­
dermassnahmen (Brandmelde- und Lösch­
anlagen, Brandfallsteuerungen, Entrau­
chungsanlagen). Mit Brandschutzanlagen,
insbesondere mit Sprinkleranlagen kön­
nen in einem Brandschutzkonzept teil­
weise Erleichterungen bei baulichen Mass­
nahmen erreicht oder Schwachstellen
kompensiert werden, z. B. reduzierte An­
forderungen an das Tragwerk oder gerin­
gere Anforderungen an Brandabschnitte
(E-Glas statt EI-Glas). Sie ermöglichen grö­
ssere Flexibilität und Brandabschnitte.
Blitzschutz: Dieser ist für bestimmte Ge­
bäude und Nutzungen vorgeschrieben.
Der äussere Blitzschutz besteht aus
Fangleiter (-netz), den Ableitungen und
der Erdung, die meist als Ringleitung oder
Fundamenterdung ausgeführt ist. Zudem
ist je nach Nutzung möglicherweise ein in­
nerer Blitzschutz mit Potenzialausgleich
und Überspannungsschutz erforderlich.
teme (z. B. Beschallungsanlagen) sind fall­
weise vorzusehen. Sprachdurchsagen sind
besser als der Alarmton einer Sirene.
Organisation: Die Personen- und Be­
triebssicherheit kann nur gewährleistet
werden, wenn eine zweckmässige Organi­
sation vorhanden ist:
]]Verantwortliche sind bezeichnet und
ausgebildet (Sicherheitsbeauftragte).
]]Das Personal ist instruiert, Übungen wer­
den durchgeführt.
]]Kontrollen und Unterhalt werden regel­
mässig durchgeführt.
Abbildung 78:
Darstellung Flucht­
weglängen nach
VKF-Verordnung 4
ArG.
35 m
Organisatorische Massnahmen
Ertüchtigung bestehender Konstruktio­
nen, Beispiel Balkendecke auf REI 30 ver­
stärkt. Aufbau nach Sanierung, von oben
nach unten:
]]Bodenbelag
]]Trennschicht
]]Unterlagsboden (z. B. Anhydrit oder
Zement)
]]Trennschicht oder Isolation
]]Balkenlage
]]Füllung oder Isolation
]]Schiebeboden
]]Deckenverkleidung EI 30
Die Voraussetzung für die Sanierung ist
eine statisch genügende Decke.
m
0m
5
50 m
50 m
(45m)
5m
Alarmierung: Keine spezifischen Vor­
schriften bestehen in Bezug auf die Alar­
mierung für eine Evakuation. Wesentlich
für die Personenrettung ist, dass eine nö­
tige Evakuation möglichst frühzeitig aus­
gelöst werden kann. Entsprechende Sys­
35
35 m
Quelle: Elascon
84
Sicherheit und Brandschutz
Einbruchschutz: Im Gegensatz zum
Brandschutz gibt es kaum behördliche
Vorschriften zum Schutz vor Einbrüchen
und Diebstahl. Für die Anforderungen an
den Einbruchschutz existieren unterschied­
liche Einbruchschutzklassen gemäss EN
1627. Bauteile der entsprechenden Anfor­
derungsklasse haben einen amtlichen Ein­
bruchversuch zu bestehen (Tabelle 15).
Wichtig ist eine einheitliche Schutzklasse
für den gesamten zu schützenden Perime­
ter.
Schutzklasse
Widerstandszeit
Tätertyp, Vorgehensweise
(Modus operandi)
WK 1
keine manuelle
Prüfung
Grundschutz gegen Aufbruch­
versuche mit körperlicher Ge­
walt
WK 2
3 Minuten
Gelegenheitstäter, einfache
Werkzeuge (Schraubendreher,
Zange)
WK 3
5 Minuten
Täter, zusätzlich mit zweitem
Schraubendreher und Kuhfuss
WK 4
10 Minuten
erfahrene Täter, zusätzlich Sä­
gewerkzeuge und Schlagwerk­
zeuge
WK 5
15 Minuten
zusätzlich Elektrowerkzeuge
WK 6
20 Minuten
erfahrene Täter, zusätzlich leis­
tungsfähige Elektrowerkzeuge
Tabelle 15:
Schutzklassen bei
Massnahmen gegen
Einbruch.
Kapitel 11
Energiekonzepte
Jean-Marc Chuard
Abbildung 79:
Bestimmende Para­
meter, die ein Ener­
giekonzept kenn­
zeichnen. In diesem
Beispiel liegt das
Schwergewicht bei
der Wirtschaftlich­
keit energetischer
Massnahmen, ohne
dass ökologische
Aspekte speziell ge­
wichtet werden.
Hülle und Technik – ein System
Unsere Gesetzgebung, Normen und Stan­
dards sind in den letzten Jahren bewusst
so aufgebaut worden, dass zwingend eine
vernetzte Projektentwicklung erfolgen
muss. Das Entwickeln fortschrittlicher Ge­
bäudekonzepte, in welchen ein sparsamer,
umweltschonender Umgang mit unseren
Ressourcen im Vordergrund steht, ist ohne
vernetzte Bearbeitung des Gebäudes – der
Gebäudehülle und der Gebäudetechnik –
nicht machbar. Bei jedem Gebäude beein­
flussen sich die Ausrichtung und das
Grundkonzept des Gebäudes gegenseitig
in sehr entscheidendem Masse. Die sinn­
volle Lösung dieses Problems ist in der Pra­
xis ein Iterationsprozess, der in einem frü­
Energie
Ökonomie
Ökologie
hen Projektstadium einsetzen muss. Alle
Disziplinen wie Architektur, Bauphysik und
Gebäudetechnik sind hier gefordert, sich
auf das gemeinsame Ziel hin gegenseitig
abzustimmen und ein optimales Konzept
gemeinsam zu entwickeln.
Wie gut ist ein Energiekonzept?
Die Güte eines Energiekonzepts lässt sich
mit folgenden Parametern kennzeichnen
(Abbildung 79):
]]Energie: Grundsätzlich ist zwischen der
für Nachweise relevante Nutzenergie (z. B.
Heizwärmebedarf nach SIA 380/1) und der
angelieferten Energiemenge (Endenergie)
zu unterscheiden. Einerseits bestimmen die
Bauqualität, das Gebäudekonzept und die
Benutzer den Grundbedarf des Gebäudes
erheblich. Andererseits kann mit geeigne­
ter Gebäudetechnik die Wärmeenergie auf
effiziente Weise bereitgestellt und ein Teil
der im Gebäude anfallenden Abwärme zu­
rückgewonnen und wieder verwendet
werden. Schliesslich ist auch die Eigenpro­
duktion von Strom respektive von Wärme
eine Möglichkeit zur positiven Beeinflus­
sung der Energiebilanz, z. B. durch den Ein­
satz entsprechender Kollektoren (Abbil­
EF,El
4
QiP
EF,El
Qg
Qi
QiEl
3
EF,hww
WRG
Qs
Qug
Qtot
Qh
1
QT
Qhww
Qww
Qr
1 2 3 4 QL
QV
2
Systemgrenze Heizwärmebedarf
Systemgrenze Wärmebedarf für Warmwasser
Systemgrenze Heiz- und Warmwassersystem
Systemgrenze Gebäude
Abbildung 80:
Darstellung der
Energiebilanz eines
nicht klimatisierten
Gebäudes.
Rot: Positiv beein­
flussbare Gesamtbi­
lanz durch das Ener­
giekonzept und
durch geeignet aus­
gelegter Gebäude­
technik und durch
Eigenproduktion.
Blau: Positiv beein­
flussbare Gesamtbi­
lanz durch das Ener­
giekonzept bzw.
durch den Baukör­
per sowie durch die
Einzelbauteile und
die Bauhülle.
(Quelle: SIA 380/1)
Elektrizitätsbedarf für Beleuchtung und Be­
triebseinrichtungen
EF,hww Endenergiebedarf für Heizung und Warm­
wasser (nach Energieträger)
Qg Wärmegewinne
Qh Heizwärmebedarf
Qhww Wärmebedarf für Heizung und Warmwasser
Qi interne Wärmegewinne
QiEl interne Wärmegewinne Elektrizität
QiP interne Wärmegewinne Personen
QL Wärmeverluste des Heiz- und Warmwasser­
systems (Erzeugungs-, Speicher- und Verteil­
verluste)
Qr durch das Heiz- und Warmwassersystem ge­
wonnene Umweltwärme
Qs solare Wärmegewinne
QT Transmissionswärmeverlust
Qtot Gesamtwärmeverlust
Qug genutzte Wärmegewinne
QV Lüftungswärmeverluste
Qww Gesamtwärmeverlust
WRG Wärmerückgewinnung
86
Energiekonzepte
Tabelle 16:
Ausschnitt aus der
KBOB-Empfehlung
für Bauherren, Pro­
jektleiter und Pla­
ner. Übersicht zur
Definition der Be­
griffe Gesamtbe­
wertung und Teil­
bewertung der Pri­
märenergie und der
Treibhausgasemissi­
onen mit der Me­
thode der ökologi­
schen Knappheit
(UBP). (Quelle:
KBOB, Ökobilanzen
im Baubereich,
März 2010)
dung 80). Zur Beurteilung wird der Ener­
giebedarf eines Gebäudes in der Regel auf
einen spezifischen Wert wie z. B. der Ener­
giekennzahl in MJ/m2 a umgerechnet. Da­
mit kann der Energiebedarf von Gebäuden
untereinander verglichen und beurteilt
werden.
]]Die Ökologie wird anhand von Ökobi­
lanzen qualitativ und quantitativ bewertet
(Tabelle 16).
]]Ökonomie: Ein gutes Energiekonzept
muss auch ökonomischen Grundsätzen
genügen. Einerseits gilt es, die Investitions­
kosten für das Bauprojekt zu ermitteln. An­
dererseits sind die anfallenden Betriebs-,
Unterhalts- und Erneuerungskosten über
eine lange Zeitdauer als wirtschaftliche In­
dikatoren von Interesse (z. B. Lebenszyklus­
kosten, d. h. ökonomische Betrachtung der
Gesamtkosten eines Gebäudes, einer An­
lage oder einer baulich-technischen Mass­
nahme über deren Lebensdauer). Mit dem
Ermitteln dieser Indikatoren können auch
Entscheidungsgrundlagen zu Systemvari­
anten in einem Energiekonzept geschaffen
werden.
Das Ermitteln dieser drei Parameter zur Be­
urteilung der Güte eines Energiekonzepts
kann aufwendig sein. Dabei wird schnell
klar, dass nicht jeder Parameter einzeln
maximiert werden kann, da sie sich gegen­
seitig stark beeinflussen. Ein gutes Ener­
giekonzept wird somit ein ausgewogenes,
auf die Bedürfnisse der Bauherrschaft aus­
gerichtetes Optimum zwischen den drei
Betrachtungsebenen anstreben.
Ökobilanzdaten im Baubereich, KBOB/eco-bau/IPB 2009/1, Stand März 2010
Gesamtbewertung
UBP
Teilbewertung
Primärenergie
nicht erneuerbar
(graue Energie)
Die nicht erneuerbare Primär­
Die UBP 2006 quantifizieren die Die gesamte Primärenergie
Umweltbelastungen durch die quantifiziert zusätzlich zur nicht energie quantifiziert den kumu­
lierten Energieaufwand der fos­
erneuerbaren Primärenergie
Nutzung von Energieressour­
silen und nuklearen Energieträ­
cen, von Land und Süsswasser, den kumulierten Energieauf­
wand an erneuerbaren Energie­ ger sowie Holz aus Kahlschlag
durch Emissionen in Luft, Ge­
von Primärwäldern.
trägern.
wässern und Boden sowie
durch die Beseitigung von Ab­ Die erneuerbaren Energieträger
umfassen Wasserkraft, Holz/
fällen.
Biomasse (ohne Kahlschlag von
Primärwäldern), Sonnen-,
Wind-, geothermische und Um­
gebungsenergie.
Die Umweltauswirkungen der
Mit dieser Kenngrösse wird die Mit dieser Kenngrösse wird die
Teilbewertungen sind in der
dem Gebäude zugeführte Ener­ Bezugsgrösse gemäss Merk­
Gesamtbewertung UBP enthal­ giemenge (Endenergie) gemäss blatt SIA 2032 «Graue Energie
von Gebäuden» bewertet.
ten.
Merkblatt SIA 2031 «Energie­
ausweis für Gebäude» bewer­
tet.
Treibhausgasemissionen
Gesamt
Die Beurteilung mit der Me­
thode der ökologischen Knapp­
heit (UBP) zeigt ein vollständi­
ges Bild der Umweltauswirkun­
gen auf und basiert auf der
Schweizerischen Umweltpolitik.
Die Treibhausgasemissionen
quantifizieren die kumulierten
Wirkungen verschiedener Treib­
hausgase, bezogen auf die Leit­
substanz CO2.
Mit dieser Kenngrösse werden
die dem Gebäude zugeführte
Energiemenge gemäss Merk­
blatt SIA 2031 «Energieausweis
für Gebäude» sowie die Be­
zugsgrösse gemäss Merkblatt
SIA 2032 «Graue Energie von
Gebäuden» bewertet.
Die Treibhausgasemissionen
Die graue Energie ist ein im
sind ein Kennwert für die Kli­
Baubereich etablierter Kenn­
wert. Die Instrumente des Ver­ maerwärmung. Nicht gleichzu­
setzen mit dem standortgebun­
eins eco-bau (eco-devis, BKPdenen CO2-Ausstoss, welcher
Merkblätter) stützen sich für
eine gesamtheitliche Beurtei­
Gegenstand von Zielvereinba­
lung neben zusätzlichen ökolo­ rungen mit dem Bund im Rah­
gischen Merkmalen auf diese
men des CO2-Gesetzes ist.
Teilbewertung ab.
87
Gebäudeerneuerung

NEIN
Gewichtete EnergieKennzahl in kWh/m2
Primäranforderung
Grenzwert SIA 380/1
Elektrizität 8%

Aussenwände
25%
Warmwasser 9%
Estrichboden,
Dach 17%
Fenster 13%
Undichtigkeiten,
Lüften 10%

Boden 9%
MODERNISIERUNG
ANFORDERUNG
60
Beispiel Umsetzung
Heizungsverluste 9%

MODERNISIERUNG
Energieeffizienz ist das Ziel
Der Minergie-Standard ist ein freiwilliger
Baustandard, der den rationellen Energie­
einsatz und die Nutzung erneuerbarer
Energien zum Ziel hat. Das Einhalten des
Standards kann die Bauherrschaft zertifi­
zieren lassen. Die folgenden Anforderun­
gen müssen eingehalten werden:
]]Primäranforderung an die Gebäudehülle
– entfällt bei Erneuerungen!
]]Ganzjährig kontrollierbarer Luftwechsel

Abbildung 82:
Unterschiede in den
Anforderungen
nach Minergie und
Minergie-P.
Wertungsfaktoren der Zukunft
Der CO2-Ausstoss bzw. die CO2-Bilanz ei­
ner Anlage, eines Gebäudes oder eines
ganzen Areals ist im Prinzip eine Teilbe­
wertung der ökologischen Güte eines
Konzepts, welche die Treibhausgasemissi­
onen als Massstab nimmt (Tabelle 16). Seit
der Umweltkonferenz in Kyoto ist die Re­
duktion des CO2-Ausstosses das internati­
onal vereinbarte Mass, auf das die Politik
die Umweltbelastung durch Treibhausgase
reduzieren will. In der Schweiz ist der CO2Ausstoss seit 2010 mit einer Abgabe von
36 Fr. pro Tonne CO2 belegt (Stand 1. Ja­
nuar 2010). Damit will die Landesregie­
rung den CO2-Ausstoss bis 2020 landes­
weit um 20 % reduzieren. Der Vorteil die­
ser Betrachtungsebene ist, dass die CO2Gesamtbilanz eines Gebäudes, einer An­
lage oder z. B. eines ganzen Areals immer
die Wirkungsfelder aller eingesetzten
Energieträger einschliesst und somit den
Handlungsspielraum des Planers nicht ein­
grenzt, ihn aber gleichzeitig dazu zwingt,
stets eine Gesamtbetrachtung der Situa­
tion vorzunehmen.

Abbildung 81:
Bei einem typischen
Einfamilienhaus ha­
ben die einzelnen
Nutzungen und
Bauteile den aufge­
führten Anteil am
Gesamtenergiever­
brauch. Multipli­
ziert man die abso­
luten Zahlen für
den Jahresver­
brauch dieser An­
teile mit den Fakto­
ren der Treibhaus­
gasemissionen der
entsprechenden
Energieträger ge­
mäss Tabelle 19, so
erhält man die CO2Gesamtbilanz des
Gebäudes.
30
80%
JA
Sommerl. Wärmeschutz
JA
NEIN
Nachweis Luftdichtheit
JA
JA
Kontrollierte Lüftung
JA
NEIN
Strombedarf Hilfsgeräte
JA
NEIN
Nachweis Beleuchtung
NEIN
NEIN
Haushaltgeräte A-Klasse
JA
NEIN
Nachweis Graue Energie
NEIN
20-25
Wärmedämmung in cm
20-35
2-IV
3-IV
Fenster-Verglasung
3-IV
JA
Erneuerbare Energien
JA
NEIN
Nieder-Temperatur
Wärmeverteilung
JA
Beispiel Umsetzung
GÄNGIGE PRAXIS
Vergleich gültig für Modernisierungen Gebäudekategorie II Wohnen Einfamilienhaus
Grafik: Minergie® 2011
88
Energiekonzepte
]]Minergie-Grenzwert (gewichtete Ener­
giekennzahl)
]]Nachweis über den thermischen Kom­
fort im Sommer
]]Zusatzanforderungen, je nach Gebäude­
kategorie, betreffend Beleuchtung, ge­
werbliche Kälte und Wärmeerzeugung
]]Mehrkosten gegenüber konventionellen
Vergleichsobjekten höchstens 10 %.
Im Minergie-Standard wird das Ziel als
Grenzwert im Endenergieverbrauch defi­
niert. Wichtig ist, dass auch hier das ganze
Gebäude als integrales System betrachtet
wird: die Gebäudehülle und die Gebäude­
technik. In Minergie-Gebäuden mit mini­
malem Heizenergieverbrauch spielt der
Energieträger für die Heizung eine unter­
geordnete Rolle. Der Aufwand für die
Wassererwärmung dagegen wird in der
Energiebilanz verhältnismässig wichtig.
Lösungen mit erneuerbaren Energien (z. B.
Sonnenkollektoren) bieten sich hier an.
Der Minergie-Standard gilt als allgemein
anerkannter Baustandard. Es ist aber zu
beachten, dass für Erneuerungen von Bau­
ten neben dem Basis-Standard der Miner­
gie-P-Standard, der Minergie-Eco-Stan­
dard und der Minergie-P-Eco-Standard
gelten. Gegenüber dem Minergie-Stan­
dard bedingt der Minergie-P-Standard we­
sentlich schärfere Grenzwerte und schreibt
zwingende Massnahmen in der Gebäude­
technik vor (Abbildung 82). Minergie-Eco
ist eine Ergänzung zum Basis- und zum PStandard. Während Merkmale wie Kom­
fort und Energieeffizienz Minergie-Gebäu­
den eigen sind, erfüllen zertifizierte Bau­
ten nach Minergie-Eco zudem Anforde­
rungen einer gesunden und ökologischen
Bauweise (Abbildung 83). Das breite Wis­
sen, die bewährten Planungswerkzeuge
und nicht zuletzt die Erfahrungen aus dem
Programm Eco-Bau bilden die Grundlage.
Differenzieren mit Gebäudekategorien
Die Vorgaben der entsprechenden SIANormen wie auch der Minergie-Standards
beziehen sich auf zwölf verschiedene Ge­
bäudekategorien (Tabelle 17). Diese Eintei­
lung, differenziert nach Neubau und Er­
neuerung, ermöglicht es, Grenzwerte fest­
zulegen, welche die Eigenheiten der jewei­
ligen Kategorien in realistischer Weise be­
rücksichtigen.
MINERGIE-ECO®
Abbildung 83:
Minergie-Eco ist
eine Erweiterung
des Basisstandards
Minergie um ge­
sundheitliche und
bauökologische Kri­
terien.
Geringe Umweltbelastung
Mehr Lebensqualität
MINERGIE®
Komfort
 Hohe thermische Behaglichkeit
 Sommerlicher Wärmeschutz
 Systematische Lufterneuerung
ECO
Gesundheit
 Optimale Tageslichtverhältnisse
 Geringe Lärmimmissionen
 Geringe Belastung mit Schadstoffen,
Keimen und Strahlung
Tageslicht
Schallschutz
Innenraumklima
Energieeffizienz
Gesamter Energieverbrauch liegt
ca. 20% und
Fossiler Energieverbrauch liegt ca.
50% unter dem durchschnittlichen
Stand der Technik
Bauökologie
 Hohe Nutzungsdauer, Nutzungsflexibilität, Rückbaufähigkeit
 Einsatz von Recyclingbaustoffen,
gelabelte Produkte, Bodenschutz
 Tiefe Graue Energie der Summe
aller verwendeten Baustoffe
Gebäudekonzept
Materialien
und Bauprozesse
Graue Energie
Baustoffe
89
Gebäudeerneuerung
Anforderungen für Bauten vor 2000
Kategorie
Gewichtete
Energiekennzahl
Primäranforderung
Lüftungsanlage
Zusatzanforderungen
I
Wohnen MFH
60 kWh/m2
RH, WW, El.Lüft.*
keine
vorausgesetzt
Keine Anforderungen
Empfehlung für Haus­
haltgeräte:
Energie-Etikette Klasse A
II
Wohnen EFH
60 kWh/m2
RH, WW, El.Lüft.*
keine
vorausgesetzt
Keine Anforderungen
Empfehlung für Haus­
haltgeräte:
Energie-Etikette Klasse A
III
Verwaltung
55 kWh/m2
RH, WW, (El. Lüft.)*
keine
empfohlen
Beleuchtung nach SIA
380/4
IV
Schulen
55 kWh/m2
RH, WW, El. Lüft.*
keine
vorausgesetzt
Beleuchtung nach SIA
380/4
V
Verkauf
55 kWh/m2
RH, WW, (El. Lüft.)*
keine
empfohlen
Beleuchtung nach SIA
380/4
Gewerbliche Kälte
VI
Restaurants
65 kWh/m2
RH, El. Lüft.*
keine
vorausgesetzt
Beleuchtung nach SIA
380/4
WW: 20 % des Bedarfs mit
erneuerbarer Energie
VII
Versammlungs­
lokale
60 kWh/m2
RH, WW, (El. Lüft.)*
keine
empfohlen
Beleuchtung nach SIA
380/4
VIII Spitäler
85 kWh/m2
RH, WW, El. Lüft.*
keine
vorausgesetzt
Beleuchtung nach SIA
380/4
Gewerbliche Kälte
IX
Industrie
40 kWh/m2
RH, WW, (El. Lüft.)*
keine
empfohlen
Beleuchtung nach SIA
380/4
X
Lager
35 kWh/m2
RH, WW, (El. Lüft.)*
keine
empfohlen
Beleuchtung nach SIA
380/4
XI
Sportbauten
40 kWh/m2
RH, (El. Lüft.)*
keine
empfohlen
Beleuchtung nach SIA
380/4
WW: 20 % des Bedarfs mit
erneuerbarer Energie
XII
Hallenbäder
Kein Minergie-Grenz­
wert
Qh ≤ 100 %
Qh,li
vorausgesetzt
Beleuchtung nach SIA
380/4
WW: 20% des Bedarfs mit
erneuerbarer Energie
Optimierter Badeprozess
Je nach Gebäudekategorie sind im Minergie-Grenzwert enthalten:
RH = Raumheizung
WW = Warmwasser
El. Lüft. = Elektrizität für mechanische Lüftung
(El. Lüft.) = Eine Lüftungsanlage ist für diese Gebäudekategorie nicht vorausgesetzt, sondern lediglich emp­
fohlen.
Der Minergie-Grenzwert bleibt gleicht, ob mit oder ohne Lüftungsanlage.
*Im Minergie-Grenzwert ist auch der Energieaufwand für eine allfällige Raumklimatisierung (Kühlung, Beund Entfeuchtung) enthalten.
Tabelle 17:
Einteilung der Ge­
bäudekategorie
nach SIA 380/1 so­
wie Anforderungen
nach Minergie-Stan­
dard für bestehen­de Bauten. Eine
analoge Tabelle ist
für Neubauten ver­
fügbar.
90
Energiekonzepte
Energiekonzept: Vorgehen und Grundsätze
1 Zielsetzung formulieren
2 Bedarf ermitteln
3 Passive Elemente nutzen
4 Basisvariante als Vergleichsvariante
5 Niedriger Technisierungsgrad, einfache Gebäudetechnik
6 Abwärmenutzung
7 Konzept zielorientiert entwickeln
Für das Entwickeln eines umfassenden
Energiekonzepts wird ein Zusammenwir­
ken aller Beteiligten in mindestens sieben
Schritten empfohlen:
1. Zielsetzung formulieren: Bevor mit
der Entwicklung des Energiekonzepts be­
gonnen wird, muss festgelegt werden,
welche Ziele mit dem Energiekonzept er­
reicht werden sollen. Bei der Erneuerung
eines Gebäudes kennt die Bauherrschaft in
der Regel die Eigenheiten ihres Gebäudes.
Daher soll ihre Absicht und ihr Ziel bezüg­
lich Energie, Ökologie und Ökonomie defi­
niert werden. Daraus ist eine Zielsetzung
zu formulieren und zu vereinbaren. Die
Zielsetzung soll grundsätzlich lösungsneu­
tral sein und das zu erreichende Ziel ist
möglichst genau und überprüfbar zu um­
schreiben. Weiter soll die Zielsetzung dem
Planungsteam innerhalb der gesetzten
Grenzen grösstmöglichen Handlungsspiel­
raum lassen und den Einbezug unkonven­
tioneller, innovativer Lösungen ermögli­
chen.
2. Bedarf ermitteln: Nebst der Zielformu­
lierung muss für ein Energiekonzept im
Detail festgelegt werden, welchen Bedürf­
nissen das Gebäude bzw. einzelne Räume
im Betrieb genügen müssen. Es sind die
Raumtemperaturen im Winter und im
Sommer, die Temperaturvariabilität, allfäl­
lige Anforderungen an Feuchtigkeit und
Belüftung, der Umgang mit internen ther­
mischen Lasten, die Versorgung mit Spezi­
almedien, die erforderliche elektrische Ver­
sorgung, die Anforderungen an die Tages­
lichtnutzung und die künstliche Beleuch­
tung, etc., festzulegen.
Je nach Gebäudekategorie wird schnell
klar, dass nicht die Wärme im Winter das
zentrale Problem darstellt, sondern die er­
forderliche Kühlung der Räume im Som­
mer. Die Erkenntnisse aus der Bedarfser­
mittlung haben einen entscheidenden
Einfluss auf den ganzen Prozess der Ent­
wicklung des Energiekonzepts.
3. Passive Elemente nutzen: Der Einfluss
der passiven Elemente auf die späteren Be­
triebseigenschaften eines Gebäudes kann
in energetischer, ökologischer und ökono­
mischer Hinsicht erheblich sein. Die Nut­
zung aller passiven Möglichkeiten in und
an einem Gebäude steht daher am Anfang
aller Überlegungen. Sehr bald wird sich
dabei vermutlich zeigen, dass die Vernet­
zung der passiven Einzelmassnahmen ein
Zusammenwirken der verschiedenen Pla­
ner bedingt. Oft findet dabei für die Kon­
zept- und Projektentwicklung ein iterativer
Prozess zwischen Gestaltung und Ausrich­
tung des Baukörpers, der Eigenschaften
der Gebäudehülle, der Materialwahl und
der Systemwahl in der Gebäudetechnik
statt. Die energetisch, ökologisch und
ökonomisch optimierte oder maximierte
Nutzung der passiven Elemente ist in der
Regel wenig spektakulär, weil damit die
Gestaltung des Gebäudes und der Bau­
hülle gewissen Grundsätzen folgen muss
und der Technisierungsgrad im Gebäude
reduziert werden kann. Wichtig ist, dass
auch dieser Prozess und dieses Ziel mit der
Bauherrschaft vorab besprochen und prä­
zis geregelt wird.
4. Basisvariante als Vergleichsvariante:
Das Planungsteam wird sich bei der Ent­
wicklung eines Energiekonzepts recht bald
vor die Aufgabe gestellt sehen, Varianten­
entscheide zu empfehlen oder zu begrün­
den. Aufgabe ist dabei, den energetischen,
ökologischen und ökonomischen Zielerrei­
chungsgrad aufzuzeigen und mit einer Ba­
sisvariante zu vergleichen. Sehr oft wird
dabei gewünscht, diese Basisvariante im
Sinne einer konventionellen Standardvari­
ante zu definieren. Bei einer Erneuerung
91
Gebäudeerneuerung
wird z. B. oft ein 1:1-Ersatz oder eine her­
kömmliche Ölheizung als Basisvariante ge­
wählt. In jedem Fall ist es empfehlenswert,
gleich zu Beginn der Planung die Basisvari­
ante grob zu definieren und die Eckpara­
meter mit dem Projektfortschritt nachzu­
führen. Die damit stets verfügbare Ver­
gleichsmöglichkeit erleichtert den laufen­
den Entscheidungsprozess.
5. Niedriger Technisierungsgrad, einfa­
che Gebäudetechnik: Ein hoher Techni­
sierungsgrad in einem Gebäude ist nicht
zwingend ein Ausweis für ein gutes, opti­
miertes Energiekonzept. Gewiss gibt es
Gebäude, die aufgrund der Anforderun­
gen der Benutzer einen hohen Technisie­
rungsgrad sowie komplexe, stark ver­
netzte Gebäudetechnik-Systeme erfor­
dern. Leider trifft man immer wieder Lö­
sungen an, die unnötigerweise viel Technik
beinhalten. Beispielsweise durch eine we­
nig sinnvolle Kombination sich gegenseitig
konkurrenzierender Systeme oder durch
eine undurchsichtige Automatisierung
mehrerer Anlagenfunktionen, die damit
nicht mehr einzeln kontrollierbar sind. Ein
gutes Konzept zeichnet sich auch dadurch
aus, dass die definierten Ziele mit einem
möglichst einfachen, gut verständlichen
und damit auch bedienungsfreundlichen
Technikkonzept erreicht und in Betrieb ge­
halten werden können. In einer umfassen­
den Bewertung der Lebenszykluskosten
dürften einfache Konzepte mit wenig
Technik in der Regel sehr gut abschneiden.
6. Abwärmenutzung: In jedem Gebäude
entstehen
überschüssige
Abwärme,
Feuchtigkeit und Kälte. Deren Nutzung ist
eine einfache Möglichkeit, die Gesamtbi­
lanz des Gebäudes positiv zu beeinflussen.
Allerdings sind ihr physikalische Grenzen
gesetzt: Die anfallende Energiemenge und
das Temperaturniveau sollen möglichst
gleich oder grösser respektive höher sein,
als am Wiederverwendungspunkt von der
Anlage abgenommen werden kann. Ist
z. B. das Temperaturniveau der Abwärme­
energie zu tief, muss es mit einer Wärme­
pumpe auf das höhere Temperaturniveau
des Verbrauchers transformiert werden,
was die Effizienz der Abwärmenutzung
aus energetischer und ökonomischer Sicht
reduziert. Es gilt also, die Rückgewinnung
bzw. die Direktnutzung der anfallenden
Abwärme, Kälte und Feuchtigkeit bedarfs­
gerecht zu optimieren. Ein Maximieren
dieser Nutzung ist in der Regel wirtschaft­
lich nicht vertretbar.
7. Konzept zielorientiert entwickeln:
Sind die ersten Ideen zum Energiekonzept
im Planungsteam bzw. zwischen Archi­
tekt, Bauphysiker und Gebäudetechniker
abgesprochen und liegen erste Entwürfe
des architektonischen Konzepts vor, kön­
nen die ersten Parameter zur Auslegung
der erforderlichen Gebäudetechnik ermit­
telt werden. Daraus lassen sich die ersten
Überlegungen bezüglich der Erzeugung
und Aufbereitung sowie der Verteilung
und Abgabe der benötigten Medien im
Gebäude ableiten. Sinnvoll ist es, in dieser
Phase in Konzeptvarianten zu denken, wo­
bei die Basisvariante (siehe Schritt 4) nicht
vergessen werden soll.
Bereits in diesem frühen Planungsstadium
ist es notwendig, die sich aus den Kon­
zeptgedanken für die verschiedenen Vari­
anten ergebende Gesamtbilanz des Ge­
bäudes bezüglich Energie Ökologie und
Ökonomie soweit möglich zu ermitteln.
Diese Daten sind mit der Zielsetzung (siehe
Schritt 1) zu vergleichen. Varianten, wel­
che das vorgegebene Ziel nicht erfüllen,
sollen überarbeitet oder ausgeschieden
werden. Mit zunehmender Konkretisie­
rung des Projekts wird auch die Gesamtbi­
lanz des Gebäudes präziser. Massnahmen
zur Verbesserung des Zielerreichungsgra­
des können zunehmend genauer definiert
und evaluiert werden. Vergleichsparame­
ter, die sich zur Entscheidungsfindung eig­
nen:
]]Zielerreichungsgrad aus energetischer,
ökologischer und ökonomischer Sicht
]]Spezifische Kennzahlen zum Vergleich
mit der Basisvariante, mit anderen Objek­
ten sowie mit Standards respektive Erfah­
rungszahlen
92
Energiekonzepte
Trends und Tools
Kennzahlen
Kennzahlen sind im Prinzip verdichtete In­
formationen über quantifizierbare betrieb­
liche Zustände. Sie stellen eine einfache
Möglichkeit zur Vorgabe, Kontrolle oder
zum Vergleich von Ergebnissen dar. Die für
Energiekonzepte interessanten Kennzah­
len sind Verbrauchsdaten, Emissionswerte
oder Kosten, bezogen auf eine Basisgrösse
(also z. B. kWh/m2 a, CO2/MWh, Fr./to CO2,
etc.). Die wohl bekanntesten Kennzahlen
im Energiebereich sind die Grenz- und Ziel­
werte, die als Grundlage zur Beurteilung
eines Gebäudes oder von Bauteilen (nach
SIA 380/1 oder Minergie) im Rahmen des
Verfahrens zur Erlangung der Baubewilli­
gung oder zur Zertifizierung des MinergieLabels nachgewiesen werden müssen. Die
Energiekennzahl quantifiziert die energeti­
sche Qualität eines Gebäudes und lässt
Vergleiche mit anderen Gebäuden gleicher
Kategorie zu. Hier wird die gesamte, dem
Gebäude während einem Jahr zugeführte
Primärenergie, bezogen auf seine Energie­
bezugsfläche (nach SIA 416/1), ausgewie­
sen. In einem Variantenvergleich wird viel­
fach die Gesamtbilanz der zugeführten
Primär- oder Endenergie, der CO2-Emis­
sion und der Jahresbetriebskosten oder
der Lebenszykluskosten errechnet und ver­
glichen. Wird eine Basisvariante als Refe­
renz einbezogen, lässt sich der ökonomi­
sche Nutzen der Mehraufwendungen ei­
ner Variante in aussagekräftiger Art wie
z. B. in Fr./MWh oder Fr./to CO2-Einspa­
rung pro Jahr oder über eine Zeitdauer von
z. B. 25 Jahren darstellen.
Softwaretools, Berechnungshilfen
]]www.bfe.admin.ch/energie: Bundes­
amt für Energie, Energie Schweiz
]]www.minergie.ch: Verein Minergie
]]www.endk.ch  Fachleute  Hilfs­
mittel: Konferenz Kantonaler Energiedi­
rektoren
]]www.novatlantis.ch: Nachhaltiges
Bauen im ETH-Bereich
]]www.380-4.ch: SIA-Empfehlung SIA
380/4
Normen, Standards
Normen und Standards sind wichtige Ar­
beitsmittel zur Entwicklung eines bau- und
haustechnischen Konzepts. Es gibt heute
eine ganze Reihe von Normen und Stan­
dards, die allgemeine Gültigkeit haben
und teilweise Eingang in Gesetze und Ver­
ordnungen gefunden haben.
]]www.webnorm.ch: Plattform des SIA
für das ganze SIA-Normenwerk, die SIADokumentationen sowie europäische Nor­
men. Einfache Suchfunktionen über Stich­
worte dienen der Selektion.
]]www.minergie.ch: Verein Minergie mit
den Anforderungen zu den Standards, mit
Anwendungshilfen und Nachweisformula­
ren.
]]www.endk.ch: Konferenz Kantonaler
Energiedirektoren mit Unterlagen zum
Energienachweis, mit Vollzugshilfen, mit
Mustervorschriften der Kantone (MuKEn)
und weiteren Hilfsmitteln.
]]www.kbob.ch: Koordinationskonferenz
der Bau- und Liegenschaftsorgane der öf­
fentlichen Bauherren, KBOB, mit Empfeh­
lungen für die Gebäudetechnik im Allge­
meinen sowie speziell für nachhaltiges
Bauen.
Kapitel 12
Gebäudetechnik
Jean-Marc Chuard
Eigenschaften und Eignung
der Systeme
Energieträger
Von Interesse im Baubereich ist die Frage,
welche Energieträger am Standort verfüg­
bar sind und welche dieser Energieträger
zur Erreichung der energetischen, ökologi­
schen und ökonomischen Zielsetzung ein­
gesetzt werden können. Die Verfügbarkeit
vor Ort ist frühzeitig und im umfassenden
Sinne zu prüfen: Es ist nicht nur eine Frage,
ob ein bestimmter Energieträger am Stand­
ort vorhanden ist oder zugeführt werden
kann, sondern auch, ob dieser Energieträ­
ger aus bestimmten Gründen am Standort
nicht eingesetzt werden darf oder kann
(z. B. ist eine Grundwassernutzung zu Heizoder Kühlzwecken in Grundwasserschutz­
zonen nicht erlaubt). Die für übliche Bau­
ten verfügbaren Energieträger unterschei­
den sich durch ihren Primärenergieanteil,
ihre Belastung der Umwelt bei der Verbren­
nung (d. h. bei der chemischen Umwand­
lung) insbesondere mit Schadstoffen und
Treibhausgasen. Zudem weisen die Brenn­
stoffe die Eigenschaft auf, dass sie nicht,
wie die anderen Energieträger, leitungsge­
bunden sind, sondern Lagerraum vor Ort
benötigen (Ausnahme: Erdgas). Die Di­
mension dieses Lagers ergibt sich aus dem
spezifischen Energieinhalt und dem Ver­
Tabelle 18:
Häufige Heizsys­
teme von Wohn­
bauten
Bestehende Heizung
Einzelofen-Heizung
(Gas, Öl, Holz)
Ölheizkessel
Gasheizkessel
Elektroheizung
Auswahl, Dimensionierung, Installation + Betriebsoptimierung der neuen Wärmeerzeugung gemäss den
Dimensionierungsrichtlinien «Leistungsgarantie» des Bundesamts für Energie (www.leistungsgarantie.ch)
Modulierender + kondensierender
Heizkessel
Heizöl
Erdgas
]]Heizöl ist kein nachhaltiger Wärme­
träger.
]]Keine Reserven bei der Berechnung
der Leistung vorsehen.
]]Sonnenkollektoren zur Wassererwär­
mung einsetzen.
]]Um die Kondensationswärme des
Heizkessels voll zu nutzen, empfiehlt
es sich, die erzeugte Wärme in den
Rücklauf der Heizung einzuspeisen (so­
genannte «Rücklaufhochhaltung»).
]]In der Regel keine oder nur geringe
Anpassungen in der Heizverteilung
notwendig.
]]Grossflächige, gebäudeintegrierte
Photovoltaik-Anlage planen.
Wärmepumpe
Erdsonde
Pelletskessel
Aussenluft
]]Wegen der hohen Heiztemperatur
(Vorlauftemperatur) bei ungedämmten
oder gering gedämmten Bauten wei­
sen Wärmepumpen schlechte Nut­
zungsgrade aus.
]]Für erneuerte Bauten den Einsatz
von zweistufigen Wärmepumpen («Sa­
nierungspumpen») vorsehen.
]]Erdsonden eignen sich als Wärme­
quelle besser als Aussenluft.
]]Elektroheizregister sind für den regu­
lären Betrieb von neuen und sanierten
Wohnbauten nicht mehr zulässig.
]]Grossflächige, gebäudeintegrierte
Photovoltaik-Anlage planen.
]]Trockenes Brennstofflager (Silo) Be­
dingung
]]In der Regel keine oder nur geringe
Anpassungen in der Heizverteilung
notwendig.
]]Möglichkeit der Anlieferung von Pel­
lets prüfen.
]]Sofern eine Sonnenkollektoranlage
für die Wassererwärmung installiert
wird, lässt sich der Pelletskessel in den
Sommermonaten ausschalten.
]]Grossflächige, gebäudeintegrierte
Photovoltaik-Anlage planen.
Falls Wärmedämmmassnahmen realisiert werden, können die bestehenden Radiatoren
mit tieferer Heiztemperatur betrieben werden (z. B. statt 70 °C lediglich 50 °C).
94
Gebäudetechnik
Ökobilanzdaten im Baubereich, KBOB/eco-bau/IPB 2009/1, Stand Januar 2011
Energie
Bezug
UBP Primärenergie
TreibhausgasGrösse
Einheit
gesamt nicht erneuerbar emissionen
–
MJ
MJ
kg
Brennstoffe1
Heizöl EL
Endenergie
MJ
44,4 1,24
1,23
0,0827
Erdgas
Endenergie
MJ
31,5 1,12
1,11
0,0658
Stückholz
Endenergie
MJ
27,6 1,06
0,0523
0,00354
Holzschnitzel
Endenergie
MJ
27,1 1,14
0,0636
0,00308
Pellets
Endenergie
MJ
27,8 1,22
0,210
0,0102
Biogas
Endenergie
MJ
33,2 0,403
0,369
0,0455
Fernwärme
Heizzentrale Öl
Endenergie
MJ
66,0 1,69
1,68
0,112
Heizzentrale Gas
Endenergie
MJ
42,9 1,56
1,55
0,0869
Heizzentrale Holz
Endenergie
MJ
29,7 1,66
0,102
0,0132
Heizzentrale EWP Abwasser (JAZ 3,4)
Endenergie
MJ
46,2 1,91
0,885
0,0206
Heizzentrale EWP Grundwasser (JAZ 3,4)
Endenergie
MJ
40,7 1,04
0,897
0,0153
Heizzentrale EWP Erdsonde (JAZ 3,9)
Endenergie
MJ
51,9 2,01
1,00
0,0225
Kehrichtverbrennung
Endenergie
MJ
2,35 0,0582
0,0506
0,000957
Blockheizkraftwerk Biogas
Endenergie
MJ
19,0 0,252
0,228
0,0252
Fernwärme mit Nutzung Kehrichtwärme
Endenergie
MJ
24,2 0,814
0,804
0,0454
Nutzwärme
47,5 1,31
1,30
0,0886
Heizkessel Heizöl EL
Nutzwärme2 MJ
34,8 1,22
1,22
0,0719
Heizkessel Erdgas
Nutzwärme2 MJ
44,8 1,69
0,0928
0,00617
Heizkessel Stückholz
Nutzwärme2 MJ
2
MJ
38,1 1,56
0,0984
0,00565
Heizkessel Holzschnitzel
Nutzwärme
36,6 1,57
0,277
0,0140
Heizkessel Pellets
Nutzwärme2 MJ
37,5 0,452
0,414
0,0508
Heizkessel Biogas
Nutzwärme2 MJ
Nutzwärme am Standort erzeugt, inkl. erneuerbare Energien3
Elektrowärmepumpe Luft / Wasser (JAZ 2,8)
Nutzwärme2 MJ
49,9 1,74
0,950
0,0227
2
MJ
36,6 1,55
0,695
0,0164
Elektrowärmepumpe Erdsonden (JAZ 3,9)
Nutzwärme
41,3 1,62
0,795
0,0179
Elektrowärmepumpe Grundwasser (JAZ 3,4)
Nutzwärme2 MJ
28,7 1,62
0,295
0,0120
Flachkollektor Warmwasser EFH
Nutzwärme2 MJ
25,1 1,85
0,241
0,0112
Flachkollektor Raumheizung + Warmwasser EFH
Nutzwärme2 MJ
Elektrizität vom Netz
Atomkraftwerk
Endenergie
MJ
153
4,07
4,07
0,00451
Erdgaskombikraftwerk GuD
Endenergie
MJ
73,8 2,34
2,33
0,135
Kehrichtverbrennung
Endenergie
MJ
13,8 0,0230
0,0195
0,00211
Blockheizkraftwerk Gas
Endenergie
MJ
111
3,29
3,28
0,205
Blockheizkraftwerk Biogas
Endenergie
MJ
105
1,08
0,983
0,135
Photovoltaik
Endenergie
MJ
50,7 1,66
0,393
0,0257
Windkraft
Endenergie
MJ
24,4 1,32
0,101
0,00755
Wasserkraft
Endenergie
MJ
17,2 1,22
0,0348
0,00351
Pumpspeicherung
Endenergie
MJ
177
4,41
3,81
0,0611
CH-Produktionsmix
Endenergie
MJ
75,7 2,41
1,76
0,00830
CH-Verbrauchermix
Endenergie
MJ
125
3,05
2,63
0,0413
UCTE-Mix
Endenergie
MJ
177
3,54
3,32
0,165
Elektrizität am Standort erzeugt, inkl. erneuerbare Energien3
Photovoltaik
Endenergie
MJ
32,9 1,46
0,334
0,0211
Windkraft
Endenergie
MJ
9,43 1,16
0,0730
0,00485
Biogas
Endenergie
MJ
81,0 0,937
0,857
0,118
1
2
3
oberer Heizwert, inkl. Verteilverluste (Wärme am Ausgang Wärmeerzeuger), regionale Sicht 2000-Watt-Gesellschaft
95
Gebäudeerneuerung
brauchsprofil, welches das Gebäude nach
der Erneuerung aufweist.
KBOB veröffentlicht auf ihrer Plattform
Ökobilanzdaten im Baubereich. Die Detail­
liste (Excel) enthält die relevanten Eckda­
ten für jeden Energieträger (Tabelle 19).
Die aufgeführte Gesamtbewertung in Um­
welt-Belastungs-Punkten (UBP) quantifi­
ziert die Umweltbelastung durch die Nut­
zung von Energieressourcen. Mit den UBPFaktoren lassen sich aufgrund des effekti­
ven oder prognostizierten Energiever­
brauchs eines Gebäudes schnell und ein­
fach globale Vergleichszahlen zur Beurtei­
lung der ökologischen Gesamtbilanz, z. B.
von Wärmeerzeugervarianten, ermitteln.
Die aufgeführte Teilbewertung der Treibh­
ausgasemissionen quantifizieren die ku­
mulierten Wirkungen verschiedener Treib­
hausgase, bezogen auf die Leitsubstanz
CO2 (daher spricht man von der CO2-Ge­
samtbilanz eines Gebäudes oder eines
Areals). Die Treibhausgasemissionen sind
ein Kennwert für die Klimaerwärmung.
Tabelle 19:
UBP-Faktoren sowie
Faktoren für die
Treibhausgasemissi­
onen im Bereich
Energiesysteme.
Erzeugersysteme mit fossilen Energieträgern
Fossile Energieträger haben aus ökologi­
scher Sicht den Nachteil, dass sie die CO2Gesamtbilanz des Gebäudes stark belas­
ten. Bei Zielsetzungen zu einer grossen
Reduktion der CO2-Emissionen scheiden
daher die meisten Varianten mit fossilen
Energieträgern frühzeitig aus. Dafür ha­
ben diese Varianten den Vorteil, dass eine
bewährte, kostengünstige, gut etablierte
und leicht zu beherrschende Technik zur
Anwendung kommt. Zudem funktioniert
aus Sicht des Betreibers die Versorgung
mit fossilen Brennstoffen problemlos. Die
Erfahrung der letzten Jahre zeigt aller­
dings, dass die Versorgungskette dieser
Energieträger empfindlich gestört werden
kann. Zudem sind die Preise dieser Ener­
gieträger weltweit starken Schwankungen
unterworfen. Erzeugersysteme mit fossilen
Energieträgern eignen sich daher eher für
Konzepte, in welchen:
]]der ökonomische Aspekt im Vorder­
grund steht und den ökologischen Krite­
rien bewusst keine grosse Bedeutung zu­
geschrieben wird.
]]erneuerbare Energieträger am Standort
nicht oder in nicht ausreichender Menge
verfügbar sind. In letzterem Fall ist eine
Kombination fossiler Energieträger mit er­
neuerbarer Energie anzustreben.
]]Randbedingungen bestehen, die die
Nutzung vorhandener, erneuerbarer Ener­
gieträger verunmöglichen oder nur teil­
weise zulassen. In letzterem Fall ist eine
Kombination fossiler Energieträger mit er­
neuerbarer Energie anzustreben.
]]eine Basisvariante als Vergleichsvariante
zur Entscheidungsfindung in der Entwick­
lung eines Energiekonzepts benötigt wird.
Erprobte Erzeugersysteme
Erprobte Erzeugersysteme mit erneuerba­
ren Energieträgern können drei Gruppen
zugeordnet werden:
]]Brennstoffe, welche aus erneuerbaren
Energien hergestellt wurden bzw. einen
definierten Anteil an erneuerbaren Ener­
gien enthalten
]]Fernwärme
]]Nutzwärme, am Gebäudestandort aus
erneuerbaren Quellen erzeugt
]]Elektrizität vom Netz, welche aus erneu­
erbaren Energien hergestellt wurde bzw.
einen definierten Anteil an erneuerbaren
Energien enthalten
]]Elektrizität, am Gebäudestandort aus er­
neuerbaren Quellen erzeugt
Brennstoffe, welche aus erneuerbaren
Energien hergestellt wurden bzw. einen
definierten Anteil an erneuerbaren Ener­
gien enthalten, sind bekannt unter der Be­
zeichnung Bio-Diesel, Bio-Gas und Holz.
Bio-Diesel ist ein Brennstoff auf pflanzli­
cher Basis. Er wird mehrheitlich als Treib­
stoff für Fahrzeuge eingesetzt. In einigen
Grossanlagen wird Bio-Diesel zur Erzeu­
gung von Wärme eingesetzt. Eine Nut­
zung von Bio-Diesel in grossem Massstab
ist heute umstritten, da damit auch wert­
volle Anbauflächen belegt werden, was zu
einer unerwünschten Verteuerung bzw.
Verknappung von Agrarprodukten führt.
Konzepte mit Bio-Diesel dürften daher
eher eine seltene Ausnahme bilden.
Biogas: Hingegen ist die Nutzung von Bio­
gas eine Möglichkeit mit einigem Poten­
zial. Die Erzeugung von Biogas ist heute
96
Gebäudetechnik
Abbildung 84:
Linke Seite: Wärme­
leistung Q, elektri­
sche Leistungsauf­
nahme P und Leis­
tungszahl COP einer
Sole-Wasser-Wär­
mepumpe in Ab­
hängigkeit der Sole­
temperatur bei
35 °C bzw. 50 °C
Vorlauf.
Rechte Seite: Die­
selbe Darstellung
bei einer Soletem­
peratur von 0 °C
bzw. 10 °C. Die Jah­
resarbeitszahl JAZ
ist ähnlich definiert
wie die Leistungs­
zahl mit dem Unter­
schied, dass mit
Energien gerechnet
wird. Die JAZ ist das
Verhältnis der übers
Jahr abgegebenen
Wärmemenge zur
aufgenommenen
Energie für den Be­
trieb der Wärme­
pumpe und der zu­
gehörigen Hilfsan­
triebe.
möglich und erprobt, wird aber nicht in
grossen Mengen angeboten. Meist wer­
den Genossenschaften oder ähnliche Or­
ganisationen gegründet, welche ein regio­
nales Potenzial in einer zu erstellenden
Biogas-Anlage nutzen wollen. Solches Gas
wird dann teilweise direkt genutzt oder ins
Erdgasnetz eingespiesen.
Holz ist ein weit verbreiteter erneuerbarer
Brennstoff, der heute in der Regel in Form
von Grünschnitzeln oder Pellets genutzt
wird. Da er meist aus lokaler Produktion
stammt, fällt seine CO2-Gesamtbilanz sehr
positiv aus. Allerdings gelten heute für
Neuanlagen über 70 kW Leistung Fein­
staubgrenzwerte von 150 mg/Nm3 (Anla­
gen über 1MW: 20 mg/Nm3). Ab dem 1.
Januar 2012 sind diese Werte selektiv ver­
schärft: 70 kW bis 500 kW höchstens 50
mg/Nm3, 500 kW bis 1000 kW höchstens
20 mg/Nm3. Diese Vorgaben der Luftrein­
halteverordnung bedingen vielfach den
Einbau von entsprechenden Filtersystemen
in die Rauchgasableitung. Bestehende An­
lagen müssen innerhalb von 10 Jahren so
nachgerüstet werden, damit auch sie diese
Grenzwerte einhalten. Weiter gilt zu be­
achten, dass der Energieinhalt und die
Feuchtigkeit von Holzschnitzeln und Pel­
lets normiert und in verschiedenen Quali­
tätsklassen angeboten werden. Eine auto­
matische Holzfeuerung bedingt immer
den Einbau eines Silos, in welchem der
Brennstoff gelagert und dem Holzkessel
zugeführt wird. Die gewünschte Autono­
Wärmeleistung (Q), el. Leistungsaufnahme (P) und
COP in Abhängigkeit der Soletemperatur
20
Q W35
Q W50
18
mie bestimmt das erforderliche Speicher­
volumen, welches im Vergleich zu Heizöl
deutlich grösser ausfällt. Schliesslich gilt es
zu beachten, dass die Asche aus einer
Holzfeuerung fachgerecht entsorgt wer­
den muss. Bei grösseren Anlagen ist somit
dem Aschen-Handling ebenfalls Beach­
tung zu schenken.
Fernwärme ist in ihrer Qualität durch ihre
Quellen sowie durch die Temperatur be­
stimmt. In vielen Städten steht Fernwärme
aus Kehrichtverbrennungsanlagen zur Ver­
fügung. Andere Fernheizungsnetze wer­
den aus Holz, mit Abwärme, mit Wärme
aus Wärmepumpen oder aus fossilen Heiz­
kesseln alimentiert. Darunter hat es Fern­
wärmenetze, die Wärme aus Wärmekraft­
kopplungsanlagen verteilen. Häufig han­
delt es sich um einen Mix von Wärmeener­
gie. In jedem Fall sollte somit geklärt wer­
den, welche Qualität der Fernwärmeliefe­
rant in seinem Angebot sicherstellt. Kon­
zepte, in welchen Fernwärme eingesetzt
wird, weisen in der Regel einen niedrigen
Technisierungsgrad in der Heizzentrale am
Gebäudestandort auf. Da eine Vielzahl
von Gebäuden mit dem Fernwärmenetz
versorgt wird, ist in der Regel eine gute
Versorgungssicherheit sichergestellt. Fern­
wärme eignet sich daher als mögliche Va­
riante in einem Anlagenkonzept.
Mit Sonnenkollektoren oder Wärme­
pumpen – oder mit Kombination dieser
Systeme – lässt sich Nutzwärme aus erneu­
erbaren Quellen erzeugen. Wärmepum­
Wärmeleistung (Q), el. Leistungsaufnahme (P) und
COP in Abhängigkeit der Vorlauftemperatur
18
16
Q B0
16
14
14
12
12
10
10
8
8
P W35
6
P W50
COP W35
COP W50
4
2
0
-5
0
5
Sole in °C
10
15
Q B10
6
4
P B0
P B10
COP B0
COP B10
2
0
35
40
55
45
50
Vorlauftemperatur in °C
60
97
Gebäudeerneuerung
pen werden mit Strom und – seltener – mit
Gas angetrieben. Ihre Effizienz ist abhän­
gig von der Güte des Aggregates und von
der Eignung der Wärmequelle (Abwärme,
Solarwärme,
Erdwärme,
Aussenluft,
Grundwasser). Zur Beurteilung einer Wär­
mepumpe ist die Jahresarbeitszahl (JAZ)
besser geeignet als der Wirkungsgrad in
einem Betriebspunkt (im Fachjargon auch
als COP, Coefficient of performance, be­
zeichnet). Naturgemäss ergeben Wärme­
quellen mit hohen Temperaturen sehr viel
höhere Wärmeerträge respektive ist für
eine definierte Wärmeproduktion weniger
Elektrizität notwendig. Viele Wärmequel­
len sind grossen jahreszeitlichen Schwan­
kungen unterworfen, beispielsweise Au­
ssenluft. Die JAZ gibt das Verhältnis an von
elektrischer Energie für den Antrieb zur
Wärmeproduktion der Wärmepumpe. Ty­
pische Jahresarbeitszahlen von Wärme­
pumpen liegen zwischen 3,0 und 4,5. Die
von den Herstellern publizierten COPWerte werden unter Laborbedingungen
erhoben und sagen wenig aus über die ef­
fektive Effizienz im Betrieb. In der JAZ sind
auch der Elektrizitätsverbrauch der Hilfs­
aggregate enthalten, also der Pumpen
und Ventilatoren, soweit notwendig. Eine
Wärmepumpe mit einer Jahresarbeitszahl
(JAZ) von 3,0 erzeugt – bezogen auf die
Aufnahme elektrischer Energie – die drei­
fache Wärmeenergie. Bei der Stromerzeu­
gung und Stromübertragung beträgt der
Gesamtwirkungsgrad etwa 30 %. Das
23 h
21 h
22 h
20 h
17 h
18 h
19 h
16 h
15 h
14 h
13 h
12 h
11 h
10 h
09 h
08 h
05 h
06 h
07 h
04 h
03 h
02 h
00 h
85 °
Höhe
01 h
Höhe
liegt einerseits am Wirkungsgrad des
Kraftwerks und andererseits an den Lei­
tungsverlusten auf dem Weg zum Endver­
braucher. Bei einem Wirkungsgrad von
30 % benötigt man 3,3 Teile Primärenergie
um 1,0 Teil Strom zu erzeugen. Wärme­
pumpen mit JAZ kleiner 3,3 verbrauchen
in einer Gesamtbetrachtung mehr Energie
als eine direkte Beheizung über einen
Heizkessel. Die Rechnung präsentiert sich
anders, wenn Strom aus erneuerbaren
Quellen zum Einsatz kommt.
Für den Einsatz von Solarkollektoren soll
vorab die Eignung der verfügbaren Fläche
geprüft werden, auf welcher die Kollekto­
ren installiert werden, insbesondere hin­
sichtlich:
]]Ausrichtung der Kollektorfläche (ca.
Süd-Ost bis Süd-West)
]]Neigung der Kollektorfläche (ca. 25° bis
40°)
]]Beschattungsdiagramm (freier Horizont)
am Aufstellungsort (Tagesgang der Sonne
im Sommer, in der Überganszeit und im
Winter)
]]Eigenbeschattung im Kollektorfeld durch
die Kollektorflächen (Aufstellungsdichte
und Neigung) im Jahresgang
Eignen sich die Flächen, ist als nächstes die
Dimensionierung der Anlage abzuklären.
Wichtig ist auch hier, auf welchem Tempe­
raturniveau die Wärmeproduktion im Kol­
lektorfeld stattfinden soll. Dies wird durch
das Wärmeerzeugersystem bestimmt, in
welches die Kollektoranlage eingebunden
Abbildung 85:
Aufnahme des Son­
nenganges bzw. der
Beschattung am
Standort der Solar­
anlage mit Darstel­
lung des resultie­
renden Tagesgan­
ges im September
(links) sowie des
Jahresverlaufs des
Sonnenganges
(rechts).
jeweils am 21. Tag im Monat
85 °
75 °
75 °
65 °
65 °
55 °
55 °
45 °
45 °
35 °
35 °
25 °
25 °
15 °
15 °
Juni
Juli / Mai
August / April
September / März
Oktober / Februar
5°
-5 ° 0 °
November / Januar
Dezember
5°
45 °
90 °
E
135 °
180 °
S
Azimut
225 °
270 °
W
315 °
360 °
-5 ° 0 °
45 °
90 °
E
135 °
180 °
S
225 °
Azimut
270 °
W
315 °
360 °
98
Gebäudetechnik
Abbildung 86:
Übliche Lösungen
für die Produktion
und die Einspeisung
des solar erzeugten
Stromes.(Quelle:
Swissolar)
wird. Je höher die mittlere Betriebstempe­
ratur der Kollektoren ist (Mittelwert zwi­
schen Vor- und Rücklauftemperatur am
Kollektor), desto tiefer ist der Kollektorwir­
kungsgrad. Für Temperaturen über ca. 50°
bis 60°C werden in der Regel Vakuumröh­
ren Kollektoren eingesetzt, darunter sind
Flachkollektoren üblich. Kollektoren wer­
den in der Regel als Ergänzung einer kon­
ventionellen Wärmeproduktion bzw. aus­
schliesslich zur Erwärmung des Warmwas­
sers eingesetzt. Sonnenkollektoren produ­
zieren im Sommer die grösste Menge an
Wärmeenergie, während im tiefen Winter
naturgemäss nur wenig Wärmeenergie
anfällt. Es gilt somit aus ökonomischer
Sicht das Kollektorfeld so auszulegen, dass
im Sommer nicht zuviel Überschusswärme
produziert wird. Ein solarer Deckungsgrad
von ca. 40% bis 50% (Anteil am Jahres­
energiebedarf z. B. für die Wassererwär­
mung) hat sich in der Praxis als ausgewo­
gener Richtwert für die ersten Planungs­
schritte in einem Energiekonzept erwie­
sen.
Elektrizität aus erneuerbaren Quellen
wird von den meisten Elektrizitätswerken
angeboten. Beliebt sind auch Mischfor­
men, bei denen nur ein Teil erneuerbar ist.
Das Angebot ist sehr vielfältig und erlaubt,
differenziert Strom aus gewissen Produkti­
onstechniken aus- oder einzuschliessen. Es
sind heute Angebote für bestimmte zerti­
fizierte Öko-Stromarten auf dem Markt
(z. B. Nature Made Star). Heute kann somit
ein Gebäude ausschliesslich mit Strom aus
erneuerbaren Energien, wie Sonnen-,
Wind- und Wasserkraft betrieben werden.
Der Entscheid zum Einsatz solcher Strom­
arten sollte ausschliesslich dem Betreiber
eines Gebäudes überlassen werden. Zwar
beeinflusst er mit seinem Entscheid die
CO2-Gesamtbilanz des Gebäudes in er­
heblichem Masse, doch wird auch die öko­
nomische Seite des Betriebs massgebend
belastet. Wenn bei Projektbeginn mit der
Bauherrschaft eine Vereinbarung getrof­
fen wird, welche energetischen und öko­
logischen Ziele mit dem Erneuerungspro­
jekt erreicht werden sollen, so ist der Zu­
.
Solarstrom wird ausschliesslich ins. Netz eingespiesen
1 Wechselrichter DC/AC
2 Einspeisungs-Stromzähler
odule
Solarm
Solarmodule
3 Verbrauchszähler
Solarstrom für den Eigengebrauch,
sen.
gespie
Überschuss wird ins Netz eingespiesen
etz ein
N
s
in
rd
1 Wechselrichter DC/AC
2 Stromzähler
3 Überschuss
r
Solarmodule
odule
Solarm
1
1
3
1
3
630
630
2
2
2 18
2 18
3
3
1
4 122
4 12
2
99
Gebäudeerneuerung
kauf von Öko-Strom ausschliesslich ein
Beitrag der Bauherrschaft. Die Planenden
müssen das Gebäude und einzelne Sys­
teme optimieren, um die Zielvereinbarung
zu erfüllen. Mit anderen Worten: ÖkoStrom (wie auch Biogas) sind wichtige
ökologische Beiträge, welche die CO2-Ge­
samtbilanz eines Gebäudes stark beein­
flussen, es sind aber keine Massnahmen
zur Reduktion des Nutzenergiebedarfs
oder zur Erhöhung der Energieeffizienz
der Systeme.
Für Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen)
muss zuerst die Eignung der verfügbaren
Aufstellungsfläche geprüft werden, ana­
log der Solarkollektoren. Zu beachten ist,
dass, im Gegensatz zu den thermischen
Kollektoren, eine kleine Beschattung ein­
zelner PV-Zellen die ganze in Serie geschal­
tete Kette der einzelnen PV-Zellen unter­
bricht, was den solaren Ertrag der Anlage
entsprechend reduziert. Steht die Eignung
der Aufstellungsfläche fest, ist die Ausle­
gung der PV-Anlage primär eine Frage des
ökologischen Beitrags im Rahmen ökono­
Versorgung
mischer Grenzen. Hier ist zu beachten,
dass das Erstellen und Betreiben von PVAnlagen einerseits durch Förderbeiträge
und andererseits durch interessante Rück­
speisetarife durch Elektrizitätswerke geför­
dert wird. Da PV-Zellen nur eine kleine
Gleichspannung produzieren, muss die
gewonnene elektrische Energie in netz­
konforme Wechselspannung umgewan­
delt werden. Diese Umformer werden
meist in der Nähe der PV-Felder installiert.
Da das Umformen immer mit Verlusten
verbunden ist, muss immer der Gesamt­
wirkungsgrad einer PV-Anlage, d. h. im­
mer inklusive der zugehörigen Umformer,
als Mass für eine Bewertung gelten.
Blockheizkraftwerke (BHKW) bestehen
in der Regel aus einem (Bio-) Gas-Motor,
welcher einen Generator zur Erzeugung
elektrischer Energie antreibt. Die Abwärme
des Motors bzw. der Abgase wird zurück­
gewonnen und steht zur Nutzung in Wär­
meverteilsystemen zur Verfügung. Es hat
sich gezeigt, dass BHKW so auszulegen
sind, dass der produzierte Strom und die
Technik
Gebäude
Abbildung 87:
Beispiel einer global
und lösungsneutral
definierten Zielset­
zung als Vorgabe
für ein Planungsteam, welches die
Wärme- und Kälte­
versorgung eines
Areals erneuern
soll.
Benutzer
Primärenergie
Endenergie
Nutzenergie
Ziele
 70% CO2 bis 2030 (Basis 1990)
 Erneuerbare Energie für
Strom und Spitze Wärme
 Absenkpfad 2010 bis 2030
 Ersatz Heizzentrale und
Kältezentrale bis 2012
 Optimierung Betrieb und
Netze Arealversorgung
 Externe Energiebereitstellung möglich (PV,
Kompogas, Altholz, etc.)
 Abwärmenutzung
Prozessenergie
Rahmenbedingungen
Anregung
 Fortlaufende
bauliche Massnahmen
Beispiel einer lösungsneutralen Zielsetzung für die Erneuerung einer Areal-Energieversorgung
 Studie Potenzial
Stromsparen
 Energielenkungsmassnahmen
 Transparenz Verbrauch
100
Gebäudetechnik
Abbildung 88:
Prinzipielle Darstel­
lung der Wärmege­
winnungssysteme
mit Erdwärme. Die
Lösungen mit Syste­
men der tiefen
Aquifere und sehr
tiefer Geothermie
sind eher für Anla­
genleistungen über
10 MW Leistung ge­
eignet.
Abwärme möglichst vollständig während
mindestens 4000 Jahresbetriebsstunden
genutzt werden kann. BHKW werden da­
her in der Regel eher zur Deckung einer
Bandlast, d. h. nicht zur Deckung des Ge­
samtbedarfs eines grösseren Gebäudes,
eingesetzt. Mit diesen Randbedingungen
kann die Gesamtbilanz eines Gebäudes
mit einem BHKW positiv beeinflusst wer­
den.
Mit Brennstoffzellen wird Wasserstoff in
Strom, Wärme, Sauerstoff und Wasser
umgewandelt, ohne dass Stickoxyde ent­
stehen. Die Anwendung dieser Technolo­
gie im haustechnischen Umfeld ist bislang
noch nicht über Kleinserien hinausgekom­
men. Ziel ist, eine langlebige Brennstoff­
zelle herzustellen, in welcher Erd- oder
Biogas als Energieträger eingesetzt wer­
den können. Erste Projekte mit einem Seri­
enprodukt mit grösserer Leistung (250
kWel) sind in der Schweiz in Planung (z. B.
Klärgasverbrennung in der Kläranlage
Dübendorf mit MTU CFC Hotmodul).
Grundwasserwärmenutzung
Lockergestein über
Sedimentschichten
Kristallines
Grundgebirge
Erdwärmesonde
Wärme aus tiefem
Grundwasser
Wärme und Strom aus
sehr tiefer Geothermie
101
Gebäudeerneuerung
Systemwahl: Vorgehen
Zielorientierte Systemwahl und Systemgestaltung: Die Systematik zu einer
zielorientierten Systemwahl und System­
gestaltung geht von einer möglichst ge­
samtheitlichen Betrachtung der Zusam­
menhänge aus. Das Vorgehen in neun
Punkten.
Vorgehen
1 Randbedingungen
2 Spielraus aus Sicht Zielvorgaben
3 Wirkung der Systemvarianten am
Ziel
4 Kennzahlen als Entscheidungshilfe
5 Das System Gebäude – die Unbekannte
6 Der vergessene Aufwand – Einregulierung, Abstimmung, Optimierung
7 Anlagenverhalten aufzeichnen
8 Sommer und Winter – zwei getrennte Phasen
9 Regelmässiger Vergleich Soll-Ist
1. Randbedingungen
Es gibt für jedes Gebäude eine Vielzahl
von Randbedingungen und Sachzwängen,
die den Freiheitsgrad in der Systemwahl
einschränken wie z. B.:
]]Behördliche Auflagen, Baureglemente,
etc.
]]Nicht verfügbare Infrastruktur wie Fern­
heiz- oder Gasnetz
]]Kein Grundwasser vorhanden oder nicht
nutzbar (Schutzzonen)
]]Einspracherisiken im Umfeld
Es gilt somit möglichst realistisch einzu­
schätzen, was am Standort des Gebäudes
in der Systemwahl ausgeschlossen werden
muss. Weiter sollte überlegt werden, bei
welchen Systemvarianten Projektrisiken
entstehen könnten, in denen aufgrund
von Eventual-Randbedingungen eine Vari­
ante nicht oder nicht in der gewünschten
Form realisiert werden kann.
2. Spielraum aus Sicht Zielvorgaben
Ein präzis formuliertes Ziel wird in der Re­
gel dem Planungsteam auch in der Sys­
temwahl einen möglichst grossen Spiel­
raum offen lassen. Allerdings wird die der
Zielvorgabe zugrundeliegende Strategie
für die Systemwahl eine klare Richtung
weisen. Wird zum Beispiel ein CO2-Grenz­
wert vorgegeben, so muss in der System­
wahl geprüft werden, mit welchen Sys­
temvarianten dieser Grenzwert eingehal­
ten werden kann.
3. Wirkung der Systemvarianten am
Ziel
Sind die in Frage kommenden Systemvari­
anten definiert, so empfiehlt es sich, eine
Berechnungstabelle aufzustellen, mit wel­
cher die Gesamtbilanz des Gebäudes, d. h.
unter Einbezug aller Systeme, berechnet
werden kann. Die Parameter der Varianten
sollen dabei als Variable einzeln eingege­
ben werden können. Damit lässt sich be­
reits bei der Systemwahl abschätzen, wie
sich die Systemvarianten im Gesamtsystem
des Gebäudes auswirken und welche Ge­
samtbilanz daraus resultiert.
4. Kennzahlen als Entscheidungshilfe
Zur Auswahl einer Systemvariante sind
Kennzahlen eine besondere Hilfe. Sie be­
ziehen sich entweder auf eine Gesamtbi­
lanz oder auf einzelne Kriterien. Üblich
sind Kennzahlen wie Energiekennzahl (MJ/
m2 a), CO2-Gesamtbilanz (Tonne CO2/a),
Jahresbetriebskosten (Fr./m2 a EBF), Kosten
pro Tonne eingespartem CO2 über die Le­
bensdauer oder einer definierten Betrach­
tungsperiode z. B. gemäss Zielsetzung für
das Projekt (Fr./t CO2).
5. Das System Gebäude – die Unbekannte
Auch bei einer detailliert erstellten und
nachgeführten Gesamtbilanz eines Ge­
bäudes wird sich nach Betriebsaufnahme
zeigen, dass die ersten Erfahrungswerte
deutlich von den Planungswerten abwei­
chen können. Diesen Abweichungen ist im
Rahmen der Projektfertigstellung nachzu­
gehen, um deren Ursachen zu finden. Da­
her müssen in der Anfangsphase die Sys­
teme überwacht und den Beobachtungen
entsprechend optimiert werden. Bald wird
sich zeigen, dass das Gebäude spezifische
Eigenheiten aufweist, welche sich in seiner
Energiesignatur niederschlagen. Es wird
102
Gebäudetechnik
aber auch klar, dass der Benutzer des Ge­
bäudes einen wesentlichen Einfluss auf
den Betrieb der Anlagen und letztendlich
auf den Energieverbrauch hat. Wesentlich
ist, durch Feinregulierung und punktuelle
Korrekturen einen bedarfsgerechten und
optimierten Betrieb zu erreichen.
6. Der vergessene Aufwand – Einregulierung, Abstimmung, Optimierung
In haustechnischen Anlagen – speziell aber
bei grossen und komplexen Systemen –
wird die Bedeutung der Einregulierung,
Abstimmung und Optimierung oft unter­
schätzt. Häufig ist die Konsequenz daraus,
dass nur noch knappe Geldmittel für einen
grossen Aufwand zur Verfügung stehen.
Die Einregulierung, Abstimmung und Op­
timierung einer Anlage ist aber ebenso
wichtig wie die Entwicklung des geeigne­
ten Installationskonzepts. Es gilt somit,
von Anfang an für diese Abschlussphase
entsprechende Zeit und Geldmittel einzu­
planen. Es lohnt sich, der Bauherrschaft
die Bedeutung dieser Phase zu erklären
und mit ihr das Ziel und die Umsetzung im
Detail zu regeln.
7. Anlagenverhalten aufzeichnen
Grundlage für jede Beurteilung der Be­
triebspunkte, der Steuerung und des Re­
gelverhaltens sind Messungen und Auf­
zeichnungen. In grösseren Anlagen steht
dazu meist eine MSR-Anlage zur Verfü­
gung (MSR: Messen, Steuern, Regeln).
Wird die Phase der Einregulierung, Ab­
stimmung und Optimierung frühzeitig ein­
geplant, so kann bei der Auslegung der
Anlage diesem Aspekt von Anfang an
Rechnung getragen werden. Das Mess­
konzept wird sich somit zielgerichtet erge­
ben. Es gilt dann, die Umsetzung der Sys­
tematik der Aufzeichnung von Anfang an
aktiv zu überwachen und die Ergebnisse
den zuständigen Fachleuten zur Auswer­
tung und Umsetzung zur Verfügung zu
stellen.
8. Sommer und Winter – zwei getrennte Phasen
Sommer und Winter sind zwei getrennte
Phasen, die unterschiedliche Anforderun­
gen stellen und die Systeme unterschied­
lich beanspruchen. Sowohl die Einregulie­
rung als auch die Abstimmung und Opti­
mierung kann daher oft nur in zwei Pha­
sen vorgenommen werden. Knifflig sind
aber nicht der tiefe Winter und der Hoch­
sommer, sondern die jeweiligen Über­
gänge im Frühjahr und im Herbst. Gerade
aus Sicht der Gesamtbilanz des Gebäudes
spielen diese Aspekte eine sehr grosse
Rolle. Die Planung der Einregulierung, Ab­
stimmung und Optimierung sollte daher
immer alle vier Jahreszeiten einbeziehen.
9. Regelmässiger Vergleich Soll-Ist
Zur Beurteilung eines Energiekonzepts
bzw. einer Haustechnik wird der Planer
wie auch die Bauherrschaft durch einen
Vergleich der erhobenen Ist-Werte mit den
Soll-Werten gemäss der vorgegebenen
Zielsetzung vornehmen. Eine geeignete
Darstellung mit entsprechenden Kennzah­
len respektive Grafiken wird die Regel sein.
Die Frage ist somit, in welchem Intervall
dieser Vergleich erfolgen soll. Empfohlen
ist, nach der Inbetriebnahme monatlich bis
einmal pro Quartal eine Bilanz zu ziehen.
Mit der Zeit kann allenfalls eine Halbjah­
resbilanz genügen.
Kapitel 13
Aussenraum
Maurus Schifferli
Veränderte Wahrnehmung der Landschaft
Reine Naturlandschaft existiert heute in
Mitteleuropa so nicht mehr. Als geistiges
Konstrukt ist Landschaft heute als Kultur­
landschaft zu begreifen, da sämtliche Ge­
biete in irgendeiner Form im Laufe der
Geschichte durch den Menschen beein­
flusst wurden. Die landwirtschaftliche
Struktur ist dabei Ausdruck der unter­
schiedlichen menschlichen Aktivitäten im
Zusammenspiel mit den natürlichen Fakto­
ren. Stadt kann in diesem Sinne auch als
Kulturlandschaft interpretiert werden.
Hybridisierung
Der Kontrast zwischen Stadt und Land­
schaft löst sich zusehends auf. Landschaft
und Stadt werden eins und stellen gegen­
seitig Anforderungen. Es entsteht ein
wechselseitiges Verhältnis von Durchdrin­
gung und Abhängigkeit, in der eindeutige
Definitionen zu Gunsten von Mehrfachco­
dierungen und Hybridbildungen verloren
gehen. Nicht die Stadt dehnt sich in den
Landschaftsraum aus, sondern die Stadt
entsteht neu – durch Stadt. Landschaft
wird weder als Kontrast zur Architektur,
noch als überkommenes Vorbild verstan­
den, sondern als ein elementarer Bestand­
teil einer hybriden Grundstruktur, deren
endgültige Gestalt sich erst nach den Pha­
sen aktiver Nutzung und Aneignung her­
ausbilden wird. Die Stadt als Landschaft,
als Infrastruktur und als Architektur zu
entwerfen, deren Kriterium auf mentaler
Ebene die Zurückgewinnung der Langfris­
tigkeit in der Konstruktion von Stadt und
Landschaft ist, ist Thema der künftigen
Entwicklungen.
Boden und Wasser
Unser marktwirtschaftliches System be­
dingt ein Wachstum und somit eine Zu­
nahme des Bodenverbrauchs. Boden wird
auch künftig immer weiter überbaut. Man
kann keine Nachhaltigkeitsstrategie vor­
schlagen, die ein Nullwachstum des Bo­
denverbrauchs vorsieht. Künftig muss es
aber Ziel sein, den Bodenverbrauch zu re­
gulieren, respektive das Wachstum des
Verbrauchs zu reduzieren. Dies bedingt ein
massvolles Wachstum der inneren Verdich­
tung in den Städten. Die Grenzen entlang
der Stadtränder sind präzise zu definieren,
so dass ein Wachstum des Stadtkörpers
nach innen angeregt wird. Insbesondere
eignen sich Industrie- und Gewerbeareale
zur Umnutzung mit hoher Dichte. In erster
Linie sollte kein zusätzlicher Bodenver­
brauch unterstützt werden, wie es heute
mit der Subventionierung bestimmter er­
neuerbarer Energien gerade für individuel­
les Wohnen der Fall ist.
Tendenziell geraten mit der Zunahme des
Bodenverbrauchs die Gärten und Parkan­
lagen in den Städten unter Druck, die
nebst dem Wert als ökologische Nischen
auch einen hohen kulturellen und sozialen
Wert haben, der meist über Jahrzehnte ge­
wachsen ist. Ähnlich verhält es sich mit der
Bausubstanz, die insbesondere vor 1920
von hoher handwerklicher Fertigkeit und
grosser Stilvielfalt ist und deshalb heute
einen beinahe unbezahlbaren Wert dar­
stellt. Künftig wird immer weniger unbe­
bauter Boden zur Verfügung stehen. Ste­
tig steigen mit dem Einhergehen des Bo­
denverbrauchs auch die Ansprüche an die
Grünflächen. Diese zu erhalten, zu entwi­
ckeln und auf die unterschiedlichsten Be­
dürfnisse präzise abzustimmen, erfordert
ein hohes Mass an technischem Wissen,
damit gerade die Ressourcen Boden und
Wasser und somit unsere Grünflächen
langfristig gesichert werden können.
Zivilisation des Ortes
Mit der Ausdehnung der Stadt und dem
sukzessiven Verlust zusammenhängender
Naturlandschaften verliert die Zivilisation
des Ortes im herkömmlichen Sinn zuneh­
mend an Bedeutung. Die Schaffung iden­
titätsstiftender Räume in der heterogenen
Stadtlandschaft wird dadurch zentrales
gesellschaftliches Anliegen. Die zuneh­
104
Aussenraum
mende Gleichzeitigkeit von Raum und Zeit
führt zur Dekontextualisierung des Be­
griffs der Natur. Es besteht die Möglich­
keit, Natur zu manipulieren, zu transfor­
mieren und an jeglichem Ort zu reprodu­
zieren. Die Reproduktion ermöglicht es
unter anderem, dass Natur und Vegetation
an Autonomie gewinnen. In letzter Konse­
quenz führt diese Autonomie auch zur In­
fragestellung der Horizontalität von Vege­
tation und somit von Landschaft. Vegeta­
tion wird zu einem «Material», das dekon­
textualisiert und in verfremdeter Weise in
der (Landschafts-)Architektur eingesetzt
wird.
Wichtigste Aufgabengebiete
Das Erarbeiten von übergeordneten Stra­
tegien, Konzepten und Projekten zu terri­
torialen städtebaulichen und landschaftli­
chen Fragen wird für künftige Entwicklun­
gen von zentraler Bedeutung sein, damit
die wichtigsten Ressourcen wie Boden,
Wasser und Luft auch künftig in ausrei­
chendem Masse und in hoher Qualität zu
Verfügung stehen und genutzt werden
können. Hierbei eröffnen sich Themenfel­
der zur Ausarbeitung von nachhaltigen
Handlungsstrategien als Basis für einen
verantwortungsbewussten Umgang mit
der stetig fortschreitenden Zivilisierung
unserer Welt:
]]Wertvolle Böden, die zu erhalten sind
]]Sanierung kontaminierter Böden
]]Systemlösungen im Zusammenhang mit
der Rückführung, der Retention, der Zwi­
schenspeicherung und der Nutzung von
Regenwasser (Dach-, Platzwasser und Si­
ckerwasser)
]]Schutz und Entwicklung von wichtigen
vegetabilen Strukturen
]]Entwickeln von standortgerechten vege­
tabilen Strukturelementen
]]Sichern und Schaffen von qualitätvollen
Habitaten für Flora und Fauna im Sinn der
Förderung einer hohen Diversität
]]Das Schaffen und Entwickeln von identi­
tätsstiftenden Sozialräumen als Basis für
das gesellschaftliche Zusammenleben un­
ter Einbezug der Aspekte der Sicherheit
(Sichtbezüge, Beleuchtung) und der Behin­
dertentauglichkeit
105
Gebäudeerneuerung
Neubau Schulanlage Leutschenbach,
Zürich
Das ehemalige Industriequartier Saatlen in
Schwamendingen gehört zu den am
stärksten wachsenden Quartieren der
Stadt Zürich. Das Schulhaus bildet den Ab­
schluss der Überbauung Andreaspark. Das
innovative und radikale Schulhausprojekt
von Christian Kerez zieht sämtliche Nut­
zungen in einem gewaltigen Volumen zu­
sammen und packt die Sporthallen aufs
Dach. Raum für eine weitläufige Parkan­
lage entsteht. Dank der kompakten Bau­
weise des Schulhauses wird die überbaute
Fläche auf ein Minimum reduziert und
trotz der knappen Platzverhältnisse eine
grosszügige Parkanlage sowohl für die
Schülerinnen und Schüler als auch für die
Quartierbewohner geschaffen.
Bauherrschaft: Amt für Hochbauten der
Stadt Zürich
Architekt: Christian Kerez, Zürich
Landschaftsarchitekten: 4d AG, Bern
Wettbewerb: 2003
Planung und Realisierung: 2004 bis
2010
Abbildung 89:
Entwicklungsleitbild
Nutzungskonzept
(Jauch + Zumsteg,
Zürich)
Abbildung 90:
Schule im Park
(Milo Keller, Paris)
106
Aussenraum
Kanalpromenade, Interlaken (ehemaliges Schlachthausareal)
Das gesamte Areal ist mit einer Tiefgarage
komplett unterbaut. Aufgabe war es, das
anfallende Regenwasser vollumfänglich
auf der Parzelle zur Versickerung zu brin­
gen und nicht in die Kanalisation oder ei­
nen Vorfluter zu leiten. Das Dachwasser
wird in einer extensiv begrünten Dach­
schicht zwischengespeichert, bevor es dif­
fus über einen Dücker in ein Retentionsfil­
terbecken geleitet wird und zur erneuten
Zwischenspeicherung gelangt. Speziali­
sierte Pflanzen, unter anderem Binsen
(Juncus) und Pfeifengräser (Molinia), die
ebenfalls extreme Trockenheit ertragen,
verdunsten sukzessive das anfallende Re­
genwasser.
Abbildung 91:
Retentionfilterbe­
cken (Foto: Milo
Keller, Paris)
Abbildung 92:
Typenschnitt (Plan:
4d AG)
Bauherrschaft: Baugesellschaft Kanalpro­
menade, Interlaken
Architekten: L2A Lengacher Althaus AG
Landschaftsarchitekten: 4d AG, Bern
Wettbewerb: 2001
Planung und Realisierung: 2001 bis
2004
107
Gebäudeerneuerung
Bahnhofplatz, Büren an der Aare
Ausgangspunkt der Projektidee ist die Ent­
wicklung eines kosteneffizienten Projektes
sowohl in der Erstellung als auch im Be­
trieb. So wird alles Dach- und Platzwasser
trotz teilweise kontaminiertem Unter­
grund gefasst und linear zur Versickerung
gebracht. Retentionsmulden, bepflanzt
mit Pfeifengras (Molinia) und Stecklingen
aus Silberweiden (Salix), verdunsten einen
grossen Anteil des anfallenden Oberflä­
chenwassers. Die Restwassermengen wer­
den in diesen Streifen gereinigt und versi­
ckern örtlich diffus.
Die Silberweiden werden mit Hilfe des Vor­
ziehgerüstes zu grünen Lauben gezogen
und beschatten künftig auch im Sinn einer
Komfortsteigerung die parkierten Autos.
Bauherrschaften: SBB AG, Einwohnerge­
meinde Büren an der Aare
Architekten: L2A Lengacher Althaus AG
Landschaftsarchitekten: 4d AG, Bern
Wettbewerb: 2006
Planung und Realisierung: 2006 bis
2009
Abbildung 93:
Retentionstreifen
(Foto: Alexander
Gempeler, Bern)
Abbildung 94:
Typenschnitt
(Plan: 4d AG)
Kapitel 14
Beispiele
Aleksandar
Backovic’
Mehrfamilienhaus Basel
Moderne Standards
Chalet Troistorrents
Ein Vierteljahrtausend Geschichte
Internat Disentis
Neue Architektur, alte Tradition
Scheune in Villars-sous-Yens
Die Rückkehr eines alten Bekannten
Siedlung Stadtrain Winterthur
Ein Musterbeispiel des Neuen Bauens
Hochstudhaus Wabern
Aus tiefer Verbundenheit
Primarschule Monte Carasso
Eine Affäre, die nicht endet
Haus Matten in Ballenberg
Ein grosses Ausstellungsobjekt
110
Beispiele
Mehrfamilienhaus Basel
Moderne Standards
Architektur war immer schon mehr als Äs­
thetik. Heute stellen sich zudem neue An­
forderungen an den Architekten, insbe­
sondere bezüglich Umweltverträglichkeit
des Gebäudes. In dieser Hinsicht stellt der
Minergie-P-Standard eine hohe Messlatte.
Dieser Herausforderung wollte sich die
Bauherrschaft des Mehrfamilienhauses an
der Güterstrasse 83 in Basel stellen.
Eine Sanierung der anderen Art
Das in Bahnhofsnähe gelegene, an einer
viel befahrenen Strasse liegende Mehrfa­
milienhaus wurde 1954 von Marcus Die­
ner gebaut. Das Haus ist Teil einer typi­
schen Blockrandbebauung. Um die einfa­
che Grundstruktur des zentralen Erschlie­
ssungskerns mit Treppenhaus, Lift und
Reduit waren über die vier Obergeschosse
16 gleichwertige Zweizimmerwohnungen
verteilt (d. h. je vier Wohnungen pro Stock­
werk). Dazu befanden sich im Erdgeschoss
noch zwei Dreizimmerwohnungen sowie
fünf Mansardenzimmer im Dachgeschoss.
Um das Jahr 2000 befand sich das Ge­
bäude in einem desolaten Zustand, so­
wohl die Grundrisse als auch der Innen­
ausbau waren nicht mehr zeitgemäss.
Doch alles war nicht schlecht, denn seine
Lage zwischen zwei Nachbarsgebäuden
machte das Bauwerk ideal für eine Auf­
wertung auf den Minergie-P-Standard, so
zumindest die Ansicht des Baubüros «in­
situ», das nach einer Besichtigung auch
die Eigentümerschaft für dieses Ziel ge­
winnen konnte. 2006 begannen die Arbei­
ten. Neben technischen Hürden waren es
auch rechtliche Schwierigkeiten, die von
den Architekten kreative Lösungen abver­
langten. Die strassen- und hofseitigen Bal­
kone, die sowohl energietechnisch unzu­
länglich als auch dem Strassenlärm und
Staub ausgesetzt waren, wurden vollstän­
dig eingehaust. Dies führte zu einer Erhö­
hung der Bruttogeschossfläche und ver­
besserte das Gebäude auch bezüglich dem
gewünschten Standard. Auf der Strassen­
seite erhielt das Mehrfamilienhaus da­
durch ein kompaktes öffentliches Gesicht.
Um nicht gänzlich auf Balkone zu verzich­
ten, wurden auf der Hofseite neue und
grössere Balkone vorgehängt. Dazu
musste allerdings das Nachbarsgrundstück
hinzugekauft werden. Wände, Böden und
Kellerdecke wurden gedämmt, alte Fens­
ter durch neue, dreifach verglaste ersetzt.
Dies hat nebst der Energieeffizienz den zu­
sätzlichen Vorteil, dass die Wohnungen
besser gegen Strassenlärm geschützt sind.
Eine neue Komfortlüftung sorgt für einen
systematischen Luftwechsel. Das Miner­
gie-P-Label verlangt nach Haushaltsgerä­
ten, die der Energieeffizienzklasse A ent­
sprechen. Für den Tank der nicht mehr
gebrauchten Ölheizung fanden die Archi­
tekten eine intelligente Verwendung: Das
in ihm gespeicherte Regenwasser wird für
die WC-Spülung, das Wäschewaschen
oder die Gartenbewässerung genutzt.
Nebst all diesen technischen Verbesserun­
gen erfuhr das Mehrfamilienhaus aber vor
allem eine atmosphärische Erneuerung.
Die frühere monotone Aufteilung der
Wohnungen wurde aufgebrochen. Im Erd­
geschoss befindet sich nun ein Gemein­
schaftsbüro, das erste Obergeschoss
wurde zu einer Wohnung für Wohnge­
meinschaften umfunktioniert, was in An­
betracht der Bahnhofsnähe des Gebäudes
das Appartement für Studenten und Pend­
ler attraktiv macht. Im dritten und vierten
Obergeschoss sind Vierzimmerwohnun­
gen und im Dachgeschoss zwei Maisonet­
tewohnungen enthalten. Durch diese Er­
weiterung des Angebots ergibt sich eine
Durchmischung, die eine soziale Interak­
tion fördert. Das von den Architekten
«ThermoHaus» genannte Projekt stellt
eine andere Art der Sanierung dar. Diese
beginnt nicht mit der Ästhetik des Gebäu­
des, sondern mit seiner Funktionalität.
Dies bedeutet aber keineswegs, dass nicht
auch Form und Atmosphäre verbessert
werden, wie das Mehrfamilienhaus an der
Güterstrasse beweist.
111
Gebäudeerneuerung
Abbildung 95:
Das Mehrfamilien­
haus im GundeliQuartier in Basel –
jetzt im Standard
Minergie-P.
(Foto: insitu)
112
Beispiele
VIP-Dämmung
Innendämmung
VIP-Dämmung
Abbildung 96: Schnitt durchs Mehrfamili­
enhaus an der Güterstrasse, Basel.
Abbildung 97: Grundriss Normalgeschoss
mit dem Modus der Wärmedämmung.
(Pläne: insitu)
113
Gebäudeerneuerung
Chalet Troistorrents
Ein Vierteljahrtausend Geschichte
Auf einer kleinen Anhöhe gegenüber den
Dents du Midi steht seit 1739 an wunder­
bar sonniger Lage das beschauliche Cha­
let Nemeth. Mehr als 250 Jahre hat das
Bergbauernhaus Hitze, Wind, Regen und
Schnee getrotzt – eine Geschichte, die
sich an den dunkelbraunen, abgenutzten,
hölzernen Oberflächen des Gebäudes ab­
lesen lässt. Vor seinem Umbau vor weni­
gen Jahren wurde das Chalet über Gene­
rationen von den Bergbauern als Winter­
sitz genutzt. Wie zu seiner Erbauungszeit
üblich, besteht es aus den am Ort vorhan­
denen Baumaterialien. Das Alltagsleben
spielte sich vorwiegend im Erdgeschoss
ab. Auf der talgerichteten Seite befanden
sich in der Mitte die Küche, durch die das
Haus betreten wurde, und an ihren Seiten
die Stube und die Kammern. Im hinteren
Teil liegt der Stall. Der gemauerte, in die
Bergwand eingelassene Unterbau des Ge­
bäudes diente als Vorratskammer. Im
Obergeschoss schliesslich war der Heubo­
den.
Ein Spiel zweier Welten
Um die Jahrtausendwende erwarb die Fa­
milie Nemeth das Chalet. Zwei Jahre lang
bewohnte sie das alte Haus und hatte so­
mit Gelegenheit, die authentischen
Wohnverhältnisse früherer Zeiten haut­
nah zu erleben. Bald aber hatten sie den
Wunsch, das Bauwerk zu erneuern. Es
sollte heutigen Bedürfnissen entsprechen,
gleichzeitig aber auch in jedem Raum die
alte Konstruktion erfahrbar bleiben. Die
Eigenart des Hauses und die noch brauch­
baren Materialien sollten so weit als mög­
lich bewahrt werden. Mit dieser Forde­
rung wandten sie sich an die Architekten
Geneviève Bonnard und Denis Woeffray
aus Monthey. Die Lösung der Walliser Ar­
chitekten ist äusserst erfindungsreich und
– pfiffig. Die Hülle des alten Bauwerks lie­
ssen sie unangetastet und kreierten inner­
halb ihrer Grenzen ein neues Haus. Eine
innere Membran erkundet auf raffinierte
Weise die Dimensionen des Chalets, tastet
diese ab und durchbricht sie gelegentlich
– ein Spiel mit Distanzen, mit Raum und
Leerraum entfaltet sich. Der neue Körper,
ein Einfamilienhaus mit sieben Zimmern,
besteht wie das alte Chalet aus Holz, setzt
sich jedoch durch die hellere Farbe von
diesem ab. Die Nutzung des Tageslichts
wurde optimiert, ohne die alte Hülle auf­
schneiden zu müssen. Neu betritt man das
Haus nicht durch die Küche, sondern an
der Ostseite, durch die einstige Stalltüre.
Der Besucher befindet sich nach Eintritt in
einem Zwischenraum, einem Durchgang
zwischen alter Hülle und neuem Kern, in
dem man das Wechselspiel von Alt und
Neu erfasst. Die Linien des inneren Hauses
sind klar und gerade, die Oberflächen
flach – es ist ein neuzeitlicher Gebäude­
entwurf, der durch seine Disposition fast
schon futuristisch anmutet. Auch die Vor­
zone zu den Zimmern im Obergeschoss
zeigt dieses Spiel zwischen Alt und Neu:
Der Besucher soll bewusst von einer Welt
in eine andere übertreten, soll sich der
Grenzen bewusst werden. Im Kontrast
beider ineinander verwobener Bauten
kommt der Charakter jedes einzelnen
weit stärker zur Geltung. Die Räume im
Erdgeschoss haben die Architekten belas­
sen und saniert. Auf dem einstigen Heu­
boden haben sie drei neue Schlafzimmer
eingebaut. Die ausserhalb des ursprüngli­
chen Wohnbereiches situierten beiden Bä­
der wurden innen mit grünem Kautschuk
ausgekleidet. Das sich auf der Oberfläche
brechende Sonnenlicht erzeugt im Zusam­
menspiel mit dem warmen Charakter des
Holzes eine verträumte Stimmung. Aus
der Badezelle im Erdgeschoss bietet sich
durch ein raumhohes Fenster ein pracht­
voller Blick auf die umliegende Natur. Aus
Respekt vor der Geschichte des Gebäudes
und den Wünschen der Bauherren stellten
die Architekten die Erhaltung der Authen­
tizität des Chalets über alles. Abgesehen
von zwei Lichtschächten, die zusätzliches
Tageslicht ins Kernhaus bringen, wurde
am Bestehenden nichts verändert: Fenster
und Dachziegel wurden nicht ersetzt, die
Aus­senwände nicht ausgebessert. Sogar
Löcher und Spalten in der alten Fassade
hat man belassen. Die Spuren der Zeit sind
nicht verwischt, die Geschichte des Cha­
lets ist lesbar geblieben.
114
Beispiele
5m
5m
Abbildung 98: (oben links): Ansicht Südfassade
Abbildung 99: (oben rechts): Schnitt
Abbildung 100: (Mitte): Grundriss Untergeschoss
Abbildung 101: (unten): Grundriss Obergeschoss
5m
115
Gebäudeerneuerung
Abbildung 102:
Alte und neue Hülle
– von einer Welt in
eine andere über­
treten.
Abbildung 103:
Lichtspiel im Zwei­
schalenhaus.
Abbildung 104:
Situation
(alle Fotos und
Pläne: Geneviève
Bonnard und Denis
Woeffray)
10m
116
Beispiele
Internat Disentis
Neue Architektur, alte Tradition
Die Strassen im Zentrum von Disentis sind
eng. Die Durchgangsroute nach Chur war
immer schon von grosser Bedeutung und
so reihen sich die wichtigen und folglich
hohen Gebäude des Ortes entlang der
Strasse, so eng, dass es keinen Platz für
eine so neuzeitliche Einrichtung wie das
Trottoir gibt. Das Gefühl der Enge wird
noch verstärkt durch das über dem Dorf
thronende Benediktinerkloster, das älteste
der Schweiz – eine über tausendjährige In­
stitution. Doch an einer Stelle weitet sich
die Strasse und der Passant sieht sich mit
einem kleinen Vorplatz konfrontiert. Dies
ist der Vorplatz des Mädcheninternats
«Unterhaus». Als das ursprüngliche, 1860
gebaute «Unterhaus» in die Jahre kam
und abgerissen werden musste, da besan­
nen sich verschiedene Gruppierungen auf
die jahrhundertealte pädagogische Tradi­
tion der Klosterschule, welche heute so­
wohl Gymnasium der Region Surselva als
auch überregionale Internatsschule ist,
und veranstalteten auf der Suche nach ei­
nem Ersatzgebäude einen geladenen
Wettbewerb. Der siegreiche Entwurf
stammt vom bekannten Bündner Archi­
tekten und ETH-Professor Gion Caminada.
Ein Spiel der Paradoxien
Caminadas «Unterhaus» fügt sich über­
gangslos ins Dorfbild ein. Nie würde ein
Ortsfremder annehmen können, dass je
etwas anderes an dieser Stelle stand, denn
Materialität und Dimensionierung heben
sich nicht von den Nachbarsgebäuden ab.
Die älteren Ortsansässigen wissen aller­
dings, dass das frühere Bauwerk der Stra­
sse weniger Raum gab. Caminada hat den
Neubau bewusst einige Meter von der
Strasse zurück versetzt, in den steinernen
Hang integriert. Das «Unterhaus» erhielt
dadurch einen einladenden, aber auch in­
timen Vorplatz und steht nun etwas ver­
deckt. Doch gerade dadurch fällt es wie­
der auf. Das verdeckt-auffällige Objekt
besticht durch die kubusartige Form, die
bis auf das sehr flache Zeltdach von präzi­
sen waagrechten und senkrechten Linien
beherrscht wird. Zum grössten Teil aus Be­
ton gefertigt, strahlt es eine selbstbe­
wusste Ruhe und Beständigkeit aus und
gleicht sich so dem Charakter des Klosters
oberhalb des Gebäudes an. Auch mit der
Fensteranordnung seines Entwurfes zitiert
Caminada die Architektur des Klosters und
macht auf elegante Weise klar, dass diese
zwei Gebäude zueinander gehören. Der
Architekt verfolgte mit seinem Konzept
des Internats das Ziel, zweckmässige und
raumorientierte, aber auch behagliche
Räumlichkeiten für die 14- bis 18-jährigen
Mädchen und jungen Frauen zu schaffen,
welche die Klosterschule besuchen. Das
«Unterhaus» sollte den Schülerinnen nicht
nur Schlafplatz sein, sondern vielmehr Hei­
mat. Das Gebäude spricht aus diesem
Grund auch die Elemente Selbstständig­
keit und Gemeinschaft stark an. Abzule­
sen ist dies vor allem an den 31 Zimmern
des Bauwerkes, die zwar alle eine beinahe
quadratische Form aufweisen, sich aber in
der nach Vorgaben und Entwürfen von
Caminada arrangierten Möblierung unter­
scheiden. Dank seiner Lage im Hang ist
jedes der vier Obergeschosse über einen
individuellen Eingang zugänglich. Jedes
Stockwerk bekommt dadurch eine Auto­
nomie.
Kollegialität kommt in den Gemeinschafts­
räumen zum Ausdruck, die sich auf jedem
Geschoss befinden. Dieser Raum dient
nicht nur als Begegnungsort, in ihm wird
auch das zentrale Element von Caminadas
Entwurf am deutlichsten erfahrbar: der
Betonkern. Denn während aussen klare Li­
nien und reduzierte Formen dominieren,
so hat der Architekt im Inneren des Bau­
werkes einen komplexen Kern versteckt,
der aus «Disentiser Braunbeton» wie Ca­
minada ihn nennt, gegossen ist. Dieser
Kern ist mit Hohlräumen und schrägen Li­
nien durchzogen und verleiht dem Ge­
bäudeinneren Dynamik und Bewegung,
weist in verschiedene Richtungen, bietet
aber auch gleichzeitig höhlenartige, ge­
mütliche Rückzugsnischen. Mit seiner Ar­
chitektur schafft es Gion Caminada, viele
Gegensätze zusammenzubringen.
117
Gebäudeerneuerung
Abbildung 105: Das Mädcheninternat
«Unterhaus» in Disentis von Gion
Caminada. (Foto: Lucia Degonda)
Abbildung 106: Situation
(Plan: Gion Caminada)
118
Beispiele
Briefkasten
Abbildung 107:
Schnitt Mädchenin­
ternat Disentis.
Abbildung 108:
Grundriss
DW
(Pläne: Gion
Caminada)
119
Gebäudeerneuerung
Scheune in Villars-sous-Yens
Die Rückkehr eines alten Bekannten
Holz «arbeitet» heisst es im Volksmund.
Der etwas aufwendigere Unterhalt dieses
Materials führte seit längerer Zeit dazu,
dass Holz beim Bau von Gebäuden bei
Seite geschoben wurde und an seiner statt
angeblich problemlose Werkstoffe wie
Stahl oder Beton Verwendung fanden. Da­
bei hat aber neben dem Stein vor allem
das Holz die Schweizer Architektur über
ihre gesamte Geschichte hindurch ge­
prägt. Dabei ist Holz als erneuerbarer Roh­
stoff reichlich vorhanden. Die Verwendung
dieses Materials stellt im Bauwesen eine
produktive und überaus umweltfreundli­
che Lösung dar. Aus diesem Grund ist es
erfreulich zu sehen, dass eine neue Gene­
ration von Architekten diesen Rohstoff für
sich entdeckt hat und ihm eine Präsenz in
der zeitgenössischen Architektur bietet.
Ein Anschauungsbeispiel dazu stellt der
Umbau der Scheune in Villars-sous-Yens
dar.
Eine konstruktive Zweckentfremdung
Im Zentrum des kleinen Waadtländer Ört­
chens Villars-sous-Yens stand bis 2009
eine grosszügig dimensionierte alte
Scheune. Heute ist dies kaum noch zu er­
kennen. Unter der Federführung des Ar­
chitekten Ivo Frei machte das Bauwerk
eine tiefgreifende innere Transformation
durch und bietet nun auf drei Geschossen
jeweils eine Familienwohnung an. Dabei
zeigt sich in der Vorgabe an den Architek­
ten, die bestehende Grundstruktur des
Objektes zu erhalten, dass gerade Hinder­
nisse zu grossen kreativen Leistungen bei­
tragen können. Die drei komfortablen
Wohnungen schliessen einen zentralen Er­
schliessungskern ein. Gedämmte Aussen­
wände, Komfortlüftung, natürliche Lüf­
tung im Sommer sowie eine Anlage zur
Regenwassernutzung (WC-Spülung) sind
die Stichworte dazu. Die Erneuerung kam
auch in ökonomischer Hinsicht äusserst
günstig zu Stande, da dazu nicht ein kom­
pletter Gebäudeneubau, sondern bloss ein
Umbau notwendig war. Was die Wohnun­
gen in Villars-sous-Yens aber auszeichnet,
ist die Behaglichkeit, die sie vermitteln.
Diese ist zuallererst dem Material zu ver­
danken, welches das Gebäude dominiert.
Das ist natürlich ein Vermächtnis der eins­
tigen Scheune. Die hellbraunen Holzlatten
der Fassaden verleihen dem Objekt eine
wunderbare Wärme und Natürlichkeit und
binden es umstandslos in seine ländliche
Umgebung ein. Dabei wurden die Latten
sehr variabel angeordnet: Mal liegen sie
horizontal, mal vertikal, mal steht eine
quadratische Fläche vor. Dies verleiht den
Wänden eine ausgesprochen kurzweilige
Textur. Dieser Eindruck wird noch verstärkt
durch die Verglasung. Um genügend na­
türliche Beleuchtung – und in dieser Hin­
sicht auch eine Art Autonomie – für jedes
Geschoss zu ermöglichen, gestaltete der
Architekt grosszügige, teilweise geschoss­
hohe Glaswände und Fenster auf allen Sei­
ten und Stockwerken des Gebäudes. Viele
dieser Fenster werden von den gleichen
Holzlatten gedeckt, wie sie auf der Fas­
sade zu finden sind. Jene über der Vergla­
sung sind aber drehbar, wodurch sich nicht
nur der Lichteinfall regulieren lässt, son­
dern auch ein wunderbares Spiel zwischen
Glas und Holz entsteht. Und dies ist das
eigentliche Highlight des Gebäudes, das
vormals eine plumpe, alte Scheune war.
Das Zusammenspiel zwischen Holz und
Glas verleiht dem Bauwerk eine wunder­
bare Leichtigkeit und Transparenz, das
enorme Volumen erscheint leicht, scheint
zu schweben.
120
Beispiele
Abbildung 109:
Drei Familienwoh­
nungen in einer
ehemaligen
Scheune.
Abbildung 110:
Situation
121
Gebäudeerneuerung
+5.35
+2.55
Abbildung 111:
Schnitt, parallel
zum Giebel.
Abbildung 112:
Schnitt, parallel
zum Ort.
Abbildung 113:
Grundriss 1. Ober­
geschoss.
(Foto und Pläne:
Atelier niv-o, Ivo
Frei)
122
Beispiele
Siedlung Stadtrain Winterthur
Ein Musterbeispiel des Neuen Bauens
Die florierende Industrie Winterthurs zog
auch nach dem Ersten Weltkrieg zahlrei­
che Arbeiter in die Stadt. So beauftragte
die im Jahr 1923 gegründete Heimstätten­
genossenschaft Winterthur (HGW) den
Architekten Adolf Kellermüller, im Stadtrainquartier eine neue Siedlung mit preis­
günstigen Unterkünften zu erstellen. Kel­
lermüller, der nach seiner Architekturaus­
bildung mehrere Jahre in Ostpreussen ge­
arbeitet hatte, brachte von dort die Idee
des Vierfach- oder Kreuzreihenhauses mit.
Die Vorteile dieses Typs liegen klar auf der
Hand: Die effektive und unkomplizierte
Form erlaubt kompakte Gebäude, das Ma­
terial ist auf ein Minimum reduziert, was
sich positiv auf die Baukosten auswirkt.
Erst 1928 begann die Realisierung des Pro­
jektes; sie dauerte bis 1943. Sieben Zeilen
von Kreuzreihenhäusern, Wand an Wand
und Rücken an Rücken zusammengebaut,
bildeten den Kern des Entwurfs. Diese von
Ost nach West orientierten, mit vorgela­
gerten Gärten und kleinen Balkonen aus­
gestatteten Häuser stellten 124 Vierzim­
merwohnungen zur Verfügung. Die mit
dieser Bauart verbundenen Beleuchtungsund Belüftungsprobleme löste der Archi­
tekt mittels der in der Flachdachkonstruk­
tion eingebauten doppelten Oblichter. Die
restlichen der insgesamt 277 von der HGW
geforderten Wohneinheiten finden sich in
einer viergeschossigen nördlichen Randbe­
bauung, einem zweigeschossigen südli­
chen Gebäude sowie mehreren zusam­
mengebauten Mehrfamilienhäusern. Die
Strassen zwischen den Blöcken bekamen
die Namen Quitten-, Pfirsich-, Aprikosen-,
Birnen-, Apfel- und Kirschenweg, was der
Siedlung den Spottnamen «BirchermüesliQuartier» einbrachte. Mit seinem klaren
Konzept und der schnörkellosen For­
mensprache schuf Kellermüller ein frühes
Werk einer typisch schweizerischen Spiel­
art der Moderne. Er selber fühlte sich nicht
als Vorkämpfer des Neuen Bauens und be­
zeichnete seine Architekturauffassung
gerne als «Bauen der neuen Sachlichkeit».
Die Sanierung 2006 bis 2009
Die HGW entschied sich für eine Sanie­
rung und schrieb 2005 einen Wettbewerb
unter sechs ausgesuchten Architekturbü­
ros aus. Gefordert waren nicht nur konst­
ruktive und energetische Massnahmen
sondern ebenso eine Erneuerung der Sani­
tärbereiche sowie eine Erweiterung der
Wohnfläche. 2008 konnte die Sanierung
des Quartiers nach dem Konzept der Wett­
bewerbssieger Knapkiewicz & Fickert be­
gonnen werden. Der erste Eingriff betraf
den Abbruch der Mehrfamilienhäuser im
westlichen Teil der Siedlung. Ihr desolater
Zustand hat nur noch diese Möglichkeit
offen gelassen. Ein Ersatzneubau hat zu­
dem den Vorteil, dass die an dieser Stelle
realisierte Einstellhalle den Bedarf des ge­
samten Quartiers zu decken vermag. Das
Kernstück der Sanierung sind die 18
Kreuzreihenhäuser, bei denen nebst der
Verbesserung des Wohnkomforts vor al­
lem die Erweiterung der Wohnfläche im
Vordergrund stand. Auf einer Grundfläche
von 53 m2 waren im Erdgeschoss das
Wohnzimmer, die Küche und das Bad mit
Waschküche zusammengedrängt und im
Obergeschoss gab es drei Schlafzimmer
und ein WC. Zudem war der Keller nur
über die Küche zugänglich. Die Architek­
ten fügten jeder Einheit im vorgelagerten
Garten eine schmale, auf der Garten­
grenze stehende, eternitverkleidete Holz­
konstruktion an. Diese armartigen Seiten­
flügel, welche die Wohnblöcke aus der
Luft als zwei grosse Tausendfüssler er­
scheinen lassen, schaffen 25 m2 zusätzli­
che Wohnfläche. Daraus entsteht zudem
ein geschützter Hof. Die weichen und war­
men Materialien Holz und Glas des An­
baus verleihen dem massiven Bestand eine
gewisse Leichtigkeit, vermögen aber auch,
das in die Jahre gekommene Bauwerk mit
neuzeitlichen ästhetischen Vorstellungen
zu verbinden. Die kräftigen und klaren Li­
nien des Anbaus sorgen dafür, dass eine
Homogenität zwischen dem Ursprüngli­
chen und dem Neuen entsteht. Der An­
strich der Häuserwände in Fruchtfarben ist
schliesslich mehr als bloss moderne Farb­
gebung – es ist eine charmante Hommage
an den Spitznamen der Siedlung.
123
Gebäudeerneuerung
Abbildung 114:
Altbestand und Er­
weiterung bilden
einen geschützten
Hof. (Foto: Heinz
Unger)
124
Beispiele
125
Gebäudeerneuerung
Abbildung 115: Der
Anbau schafft 25 m2
zusätzlichen Wohn­
raum. (Foto: Heinz
Unger)
126
Beispiele
Mieterinformation 03.09.2008
REIHENEINFAMILIENHÄUSER, ETAPPE B
Dachneigung 2°
SE
ETAPPE A
20214625
(452.621M.ü.M)
E INS TE LLHALLE
ZIMMER
14.3m2
ZIMMER
12.0m2
20214582
(452.912M.ü.M)
B AUL
WOHNEN/ESS
EN
29.9m2
0
Schrank neu
TALACKERSTRAS
ISS
NN
HA
JO
E
SS
A
TR
DU/WC
5.0m2
ENTREÉ
6.2m2
KÜCHE
8.9m2
INIE
ETAPPE B
2
S ITZPL
452.6
2.4
1
452.5
452.6
6
ATZ
ER
ZIMM 2
14.3m
C
DU/W
3.9m2
E
KÜCH
8.7m2
C
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
1
S ITZPL
% >
N
ESSE 2
18.8m
1
452.5
452.6
S ITZPL
EROB
GARD
6.4m2
BAD/W
5.5m2
% >
C
E 453.0
N r.
EN
WOHN 2
15.0m
E
KÜCH
8.7m2
N
ESSE 2
17.4m
0
C
BAD/W
5.5m2
3.5
% >
EN
WOHN 2
15.0m
ER
ZIMM 2
11.7m
C
E
KÜCH
8.7m2
452.5
ESSE 2
17.4m
N
ESSE 2
18.8m
452.6
S ITZPL
S ITZPL
EROB
GARD
6.4m2
P F IR
2
N r.
< 1.6
7
452.5
BAD/W
5.5m2
E 453.0
ER
ZIMM 2
14.3m
1
HW
EG
N r.
<
9
N
ESSE 2
18.8m
S ITZPL
452.6
452.6
<
SE
< 1.5
452.5
S ITZPL
452.6
C
DU/W
3.9m2
%
ESSE 2
18.8m
452.5
S ITZPL
452.6
ATZ
C
DU/W
3.9m2
452.6
S ITZPL
452.5
B AU
IE
LW
TA
SE
N
AS
SE
OG
S ITZPL
452.6
DIELE
m2
4.7
ATZ
C
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
1
%
2
3
5m
N
TREPPENHAU
2
r
Abbildung 118: Grundriss Obergeschoss
Normhaus
1
2
3
4
5m
N
B A
G a l i p - Ve r t e i l e
KÜCHE
8.9m2
Abbildung 116: Schnitt durch ein Norm­
haus der Siedlung Stadtrain in Winterthur.
Abbildung 117: Grundriss Erdgeschoss
Normhaus
OBERGESCHOSS NORMHAUS
Kirschenweg 3-17
5.5 Zi-Wohnung, 106.5m2
6.2m2
ENTREÉ
WOHNEN/ESS
EN
29.9m2
0
ZIMMER
12.0m2
IE
(Pläne: Knapkiewicz &
Fickert)
ZIMMER
14.3m2
ZIMMER
12.0m2
IE
Abbildung 119: Situation
ENTREÉ
6.2m2
KÜCHE
8.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
C
DU/W
3.9m2
20215321
(451.773M.ü.M)
4
DU/WC
5.0m2
r
1
UMGEBUNGSPLAN
1
WOHNEN/ESS
EN
29.9m2
0
452.5
ATZ
UG
LIN
ER
ZIMM 2
14.3m
20214630
(452.312M.ü.M)
6
EG
B AU
ERDGESCHOSS NORMHAUS
Kirschenweg 3-17
5.5 Zi-Wohnung, 106.5m2
LIN
C
DU/W
3.9m2
C
DU/W
3.9m2
% >
3
R
ST
DIELEm2
4.7
ER
ZIMM 2
14.3m
18
1.6
DIELEm2
4.7
6
LIFT
SB
E
KÜCH
8.7m2
N
ESSE 2
18.8m
N
ESSE 2
18.8m
E
KÜCH
8.7m2
19
6
ATZ
1
%
EN
WOHN 2
15.0m
ER
ZIMM 2
14.3m
3
1
ATZ
6
DIELEm2
4.7
452.6
S ITZPL
452.5
452.5
S ITZPL
452.6
ATZ
C
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
1
EN
WOHN 2
15.0m
< 1.5
E
KÜCH
8.7m2
N
ESSE 2
18.8m
6
N r.
DIELEm2
4.7
6
%
N r.
19
86
EN
WOHN 2
15.0m
ER
ZIMM 2
14.3m
C
DU/W
3.9m2
C
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
E
KÜCH
8.7m2
N r.
DIELEm2
4.7
452.6
S ITZPL
17
< 1.5
6
N r.
DIELEm2
4.7
6
EN
WOHN 2
15.0m
% >
1
< 4.0
N
ESSE 2
18.8m
N r.
452.5
1
ATZ
N
E
KÜCH
8.7m2
EN
WOHN 2
15.0m
452.6
ATZ
1
16
1.6
EN
WOHN 2
15.0m
E
KÜCH
8.7m2
20210164
(452.138M.ü.M)
452.5
S ITZPL
%
6
ER
ZIMM 2
14.3m
C
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
452.5
16
EN
WOHN 2
15.0m
E
KÜCH
8.7m2
N
ESSE 2
18.8m
N r.
DIELEm2
4.7
6
ATZ
1
17
%
DIELE
m2
4.7
452.6
S ITZPL
< 3.5
< 2.5
6
ER
ZIMM 2
14.3m
N
ESSE 2
18.8m
E
KÜCH
8.7m2
N r.
14
1
N r.
C
DU/W
3.9m2
EN
WOHN 2
15.0m
% >
1
%
ATZ
C
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
ATZ
DIELE
m2
4.7
452.6
S ITZPL
452.5
452.6
DIELEm2
4.7
6
ATZ
1
14
3.2
EN
WOHN 2
15.0m
E
KÜCH
8.7m2
N
ESSE 2
18.8m
EN
WOHN 2
15.0m
15
N r.
452.5
S ITZPL
%
6
ER
ZIMM 2
14.3m
N
ESSE 2
18.8m
E
KÜCH
8.7m2
TALACKERSTRAS
JO
C
DU/W
3.9m2
C
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
452.5
< 3.2
N r.
E
KÜCH
8.7m2
N
ESSE 2
18.8m
N r.
DIELEm2
4.7
6
ATZ
15
12
EN
WOHN 2
15.0m
ER
ZIMM 2
14.3m
N
ESSE 2
18.8m
ATZ
DIELEm2
4.7
452.6
S ITZPL
1
452.6
S ITZPL
N r.
B A
1
DIELEm2
4.7
EN
WOHN 2
15.0m
% >
1
< 2.0
S ITZPL
N
ESSE 2
18.8m
E
KÜCH
8.7m2
EN
WOHN 2
15.0m
452.5
452.6
C
DU/W
3.9m2
N
ESSE 2
18.8m
452.5
zum
ATZ
DIELEm2
4.7
E
KÜCH
8.7m2
12
1.6
EN
WOHN 2
15.0m
E
KÜCH
8.7m2
Gefälle
6
C
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
ATZ
N
ESSE 2
18.8m
1.5 %
452.5
S ITZPL
DIELEm2
4.7
6
ATZ
1
6
ER
ZIMM 2
14.3m
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
452.5
N r.
E
KÜCH
8.7m2
N
ESSE 2
18.8m
452.6
S ITZPL
11
N r.
im
%
EN
WOHN 2
15.0m
ER
ZIMM 2
14.3m
E
KÜCH
8.7m2
EN
WOHN 2
15.0m
% >
N r.
C
DU/W
3.9m2
1
11
2.4
1
DIELEm2
4.7
DIELE
m2
4.7
6
ATZ
1.5 %
N r.
C
DU/W
3.9m2
C
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
N
ESSE 2
18.8m
C
452.5
DIELE
m2
4.7
6
ATZ
1
% >
10
N r.
452.5
< 3.5
DIELEm2
4.7
452.6
S ITZPL
452.5
2
Unterlagsboden
1
ATZ
6
ESSE 2
18.8m
E
KÜCH
8.7m2
2.0
EN
WOHN 2
15.0m
N
ESSE 2
18.8m
452.6
S ITZPL
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S ITZPL
452.6
ATZ
E
KÜCH
8.7m2
E
KÜCH
8.7m2
EN
WOHN 2
15.0m
E
KÜCH
8.7m2
N
ESSE 2
18.8m
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N r.
EN
WOHN 2
15.0m
ER
ZIMM 2
14.3m
C
DU/W
3.9m2
EN
WOHN 2
15.0m
9
N r.
B A
%
ATZ
C
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
0
ER
ZIMM 2
11.7m
C
C
DU/W
3.9m2
%
S IC
REIHENEINFAMILIENHÄUSER, ETAPPE B
DIELEm2
4.7
6
ATZ
< 3.5
1
6
N
1
E
KÜCH
8.7m2
EN
WOHN 2
15.0m
DIELEm2
4.7
6
ATZ
1
N
%
S ITZPL
452.6
% >
G
BAD/W
5.5m2
8
N r.
E
ER
ZIMM 2
11.7m
452.5
452.5
DIELE
m2
4.7
452.6
S ITZPL
7
N r.
WE
< 1.5
E 453.0
EN
WOHN 2
15.0m
% >
1.5
S ITZPL
EROB
GARD
6.4m2
EROB
GARD
0 6.4m2
ATZ
1
N
ESSE 2
18.8m
E
KÜCH
8.7m2
6
1.5
1
HE N
453.0
S ITZPL
452.5
452.5
ATZ
SC
N
ESSE 2
17.4m
E
KÜCH
8.7m2
EN
WOHN 2
15.0m
5
N r.
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DU/W
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ZIMM 2
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1
E
KÜCH
8.7m2
% >
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C
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
Unterlagsboden
im Gefälle zum
8
N r.
EN
WOHN 2
15.0m
ER
ZIMM 2
14.3m
C
DU/W
3.9m2
N
ESSE 2
18.8m
ER
ZIMM 2
11.7m
DIELEm2
4.7
6
ATZ
1
452.5
DIELEm2
4.7
6
K IR
1.5
452.5
452.6
ATZ
ATZ
E
KÜCH
8.7m2
EN
WOHN 2
15.0m
3
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5
N r.
1
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ESSE 2
17.4m
%
6
DIELEm2
4.7
EN
WOHN 2
15.0m
S ITZPL
< 3.5
1
ATZ
G
N r.
4
EN
WOHN 2
15.0m
452.5
S ITZPL
452.6
E
KÜCH
8.7m2
6
6
N r.
E
KÜCH
8.7m2
N
ESSE 2
18.8m
TE NWE
IE
C
DU/W
3.9m2
C
DU/W
3.9m2
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ZIMM 2
14.3m
QUIT
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ATZ
1
N
ESSE 2
18.8m
N r.
DIELEm2
4.7
452.5
% >
ATZ
DIELEm2
4.7
S ITZPL
B AU
1.5
2
S ITZPL
3
N r.
EN
WOHN 2
15.0m
ER
ZIMM 2
14.3m
G a l i p - Ve r t e i l e
%
1
DIELEm2
4.7
6
TAL AC K E R S TR AS S E
N
ESSE 2
18.8m
452.5
DIELEm2
4.7
452.6
B A
< 2.4
KÜCH
8.7m2
EN
WOHN 2
15.0m
EN
EN 2
WOHN
WOHN
2
15.8m
2
15.0m
BF
FF 17.0m
E
KÜCH
8.7m2
ER
N
ESSE 2
18.8m
E
1
ATZ
6
SA
UG
SS
452.5
S ITZPL
452.6
TREPPENHAU
2
N r.
E
KÜCH
8.7m2
RA
E
KÜCH
8.7m2
N
ESSE 2
18.8m
LIFT
EG
EN
WOHN 2
15.0m
ST
EN
WOHN 2
15.0m
ER
ZIMM 2
14.3m
C
DU/W
3.9m2
C
DU/W
3.9m2
ER
ZIMM 2
14.3m
N
ESSE 2
18.8m
NHÄ
NG
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R
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UM- 4 1/2
x
18
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m2
4.7
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%
2
452.5
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3.4
4
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452.6
S ITZPL
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KÜCHE
8.9m2
EN
WOHN 2
15.0m
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6
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6.2m2
E
S ITZPL
452.6
DIELEm2
4.7
DU/WC
5.0m2
SS
B A
WOHNEN/ESS
EN
29.9m2
RA
zum
0
ST
Gefälle
ZIMMER
14.3m2
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18.8m
N
ESSE 2
18.8m
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im
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8.7m2
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Unterlagsboden
E
20215323
(453.079M.ü.M)
2
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2
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15.8m
15.0m 2
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FF 17.0m
B A
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Unterlagsboden
im Gefälle zum
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SS
E
127
Gebäudeerneuerung
Hochstudhaus Wabern
Aus tiefer Verbundenheit
An der Gurtenstrasse 137 im Gurtendörfli
bei Wabern liegt, in einem sanften Hügel
eingebettet und von Bäumen umgeben,
ein über 400-jähriges Hochstudhaus. Trotz
dieser langen Bestandsdauer wurde das
Bauwerk nur zweimal weiterverkauft –
lange Vererbungsketten sind Beweis dafür,
welchen Stellenwert das Gebäude für die
jeweiligen Besitzer hatte. Die derzeitige Ei­
gentümerin des Hochstudhauses, die Fa­
milie Suter-Dörig, zeigt dieselbe Verbun­
denheit mit dem Bauwerk und engagier­
ten den Architekten Philippe Urech, um
das Haus feinfühlig zu sanieren, zu restau­
rieren und auszubauen.
Respekt vor dem Alter
Der Bautypus des im Jahre 1598 fertigge­
stellten Gebäudes war zu seiner Zeit ein in
der Gegend weit verbreitetes Bauwerk. Al­
lerdings waren zwei oder vier der namens­
gebenden Hochstüde, die das Walmdach
tragen, die Norm. Das Haus an der Gur­
tenstrasse 137 hingegen verfügt über
sechs Hochstüde. Im Laufe seiner langen
Geschichte erfuhr das Haus mehrere Um­
bauten, davon drei grössere. Diese hatten
nicht nur erheblichen Einfluss auf die Sta­
tik des Objekts (das Tragwerk wurde mit
zusätzlichen Trägern ergänzt, zwei Gewöl­
bekeller errichtet, dann zwei Hochstüde
entfernt), sondern veränderten auch das
Cachet des Hauses, indem diese teilweise
groben Eingriffe mit wenig Rücksicht auf
die originalen Elemente des Gebäudes re­
alisiert wurden. Gerade die Wertschätzung
der Geschichte war es, was die Familie
Suter-Dörig motivierte, einen Umbau des
Hauses unter strengen Auflagen zu erwä­
gen. Die Statik war dem Gebäude ange­
messen; andere Elemente waren aber in
einem leidvollen Zustand. Wegen einer
fehlenden, grundlegenden Sanierung litt
die Massivholzkonstruktion an Durchzug
und Feuchtigkeit. Und die Einbettung in
den Hang, einst zum Schutz vor Witterung
gedacht, sorgte nun dafür, dass sich Re­
genwasser auf der Rückseite des Gebäu­
des ins Sandsteinmauerwerk ergoss und
diesem zusetzte.
Minimale Eingriffe, maximale
Wirkung
Von aussen betrachtet sind Spuren von
Philippe Urechs Eingriff nicht zu erkennen.
Selbst im Gebäudeinneren wird man kaum
etwas mitbekommen. Denn der Umbau
des Architekten betrifft nur den bereits
ausgebauten Wohnteil im Erd- und Ober­
geschoss. Ökonomieteil und Dachraum
(flächenmässig also etwa dreiviertel des
Gebäudes) blieben dagegen beinahe un­
angetastet. Dabei wurden Fenster ersetzt,
Böden im Erdgeschoss ausgewechselt, der
Energieverbrauch des Hochstudhauses so
weit heutigen Ansprüchen angenähert,
wie die alte Bausubstanz es erlaubte. Dazu
wurde die Statik an mehreren Stellen ver­
bessert und der Einfall des Tageslichts
durch Glasziegel im Dach und Oblichter
optimiert. Neue Entwässerungsrinnen an
der Rückseite des Gebäudes sorgen nun
dafür, dass das Feuchtigkeitsproblem auf
ein Minimum reduziert ist. Der ästhetische
Aspekt des Umbaus hält sich strikt an die
Anforderungen der Bauherrschaft, das
Gebäude nicht bloss so zu belassen, wie es
sich darstellt, sondern dieses auch mög­
lichst original wiederherzustellen. Den
grössten Eingriff und das Herzstück des
Projektes stellt jedoch die Gestaltung des
Wohnteils im Erd- und Obergeschoss dar.
Hier wurden die Trennwände neu ange­
ordnet und die Decke des Obergeschosses
mit Hilfe einer Erneuerung der Statik ange­
hoben. Besonders hervorzuheben ist die
vollständig neue, nun zweistöckige hallen­
artige Küche mit ihrer beinahe wand­
grossen Verglasung. Der Architekt entwi­
ckelte ein interessantes Spiel aus Alt und
Neu. Ersatzelemente wurden nur dort an­
gebracht, wo es unbedingt notwendig
war und so stehen vielerorts Bruchstücke
von Neu und Alt nebeneinander: Von der
Zeit gezeichnete, knorrige, dunkle Balken
und Möbel durchbrechen moderne, glatt
polierte Holzwände. Für sich betrachtet
einzelne Fragmente, zusammengenom­
men ein Haus – ein Hochstudhaus.
128
Beispiele
Abbildung 120:
Die zweistöckige,
hallenartige Küche
mit ihrer grossfor­
matigen Vergla­
sung. (Foto: Alexan­
der Gempeler)
129
Gebäudeerneuerung
+ ca . 4 .85 tennbühne
+ 4 .58
+ 2 .28 OG
heubühne / tenn
± 0 .00 gang
alle masse sind am bau durch den unternehmer zu kontrollieren, unstimmigkeiten sind vor baubeginn mit dem architekten/bauleitung abzusprechen
alle masse sind rohmasse
sämtliche masse müssen auf bestehende fluchten (angaben gemäss bauleitung) überprüft werden
sämtliche werkstattpläne müssen vor ausführungsbeginn durch den architekten genehmigt werden
tür- bzw. fensterhöhen beziehen sich ab OK fertigem boden bzw. schwelle resp. OK fensterbank bis UK rohem sturz
spitz- bzw. schlitzarbeiten dürfen nur mit genehmigung der bauleitung ausgeführt werden
ingenieur statik
ingenieur hlkk
ingenieur sanitär
ingenieur bauphysik
landschaftsarchitekt
:
:
:
:
:
backstein
stahl mst. 1:1
feuerfeste steine
kalksandsteine
typ ..............
abbruch
zementsteine
mörtel gips verputz
metall
dichtungsmasse
beton
armiert / unarmiert
holz massiv
stahl (geschnitten)
glas
betonwerkstein
kunststein
vollholz
brettschichtholz
daemmstoffe
kunststoffe
sichtbeton
holzwerkstoffe
sperrschichten
naturstein allgemein
bestehend
neu
planjournal
gezeichnet
planänderung
visum
Abbildung 121: Querschnitt durch das 400
Jahre alte Hochstudhaus
grundeigentümer
:
ruth dörig, beat suter, freudenreichstrasse 16, 3047 bremgarten b. bern
bauherrschaft
:
ruth dörig, beat suter, freudenreichstrasse 16, 3047 bremgarten b. bern
:
philippe urech dipl. architekt eth/sia waldeggstrasse 47, 3097 liebefeld
grundeigentümer
Abbildung 122: Längsschnitt
architekt
architekt
korridor
N
Abbildung 123: Grundriss Erdgeschoss
E
03-05
umbau bauernhaus suter/dörig, gurtendörfli
plannr.
plangrösse 84/60
datum
rev. 24.04.2007/pu
revisionsplan
(Pläne: Philippe Urech)
längsschnitt c - c und querschnitt
philippe urech dipl. architekt eth/sia waldeggstrasse 47 3097 liebefeld
1 : 50
tel 031 972 00 68 fax 031 972 00 69 mail [email protected]
.
bzw
ingenieur statik
ingenieur hlkk
ingenieur sanitär
ingenieur bauphysik
landschaftsarchitekt
:
:
:
:
:
backstein
stahl mst. 1:1
feuerfeste steine
kalksandsteine
typ ..............
abbruch
zementsteine
mörtel gips verputz
metall
dichtungsmasse
beton
armiert / unarmiert
holz massiv
stahl (geschnitten)
glas
betonwerkstein
kunststein
vollholz
brettschichtholz
daemmstoffe
kunststoffe
sichtbeton
holzwerkstoffe
sperrschichten
naturstein allgemein
bestehend
neu
planjournal
gezeichnet
planänderung
visum
+
ca. 4. .85
4 .85
tennbühne
+ ca
tennbühne
grundeigentümer
:
ruth dörig, beat suter, freudenreichstrasse 16, 3047 bremgarten b. bern
bauherrschaft
:
ruth dörig, beat suter, freudenreichstrasse 16, 3047 bremgarten b. bern
:
philippe urech dipl. architekt eth/sia waldeggstrasse 47, 3097 liebefeld
grundeigentümer
korridor
architekt
+
.28zimmer
zimmer
2
+ 22.28
2
architekt
03-05
umbau bauernhaus suter/dörig, gurtendörfli
+
.02stube
stube
+ 00.02
querschnitt
revisionsplan
längs- und querschnitt
philippe urech dipl. architekt eth/sia waldeggstrasse 47 3097 liebefeld
N
E
±
.00küche
küche
± 00.00
plannr.
plangrösse 84/60
datum
rev. 24.04.2007/pu
1 : 50
tel 031 972 00 68 fax 031 972 00 69 mail [email protected]
alle masse sind am bau durch den unternehmer zu kontrollieren, unstimmigkeiten sind vor baubeginn mit dem architekten/b
alle masse sind rohmasse
sämtliche masse müssen auf bestehende fluchten (angaben gemäss bauleitung) überprüft werden
sämtliche werkstattpläne müssen vor ausführungsbeginn durch den architekten genehmigt werden
tür- bzw. fensterhöhen beziehen sich ab OK fertigem boden bzw. schwelle resp. OK fensterbank bis UK rohem sturz
spitz- bzw. schlitzarbeiten dürfen nur mit genehmigung der bauleitung ausgeführt werden
ingenieur statik
ingenieur hlkk
ingenieur sanitär
ingenieur bauphysik
landschaftsarchitekt
:
:
:
:
:
backstein
stahl mst. 1:1
feuerfeste steine
kalksandsteine
typ ..............
abbruch
zementsteine
mörtel gips verputz
metall
beton
armiert / unarmiert
holz massiv
stahl (geschnitten)
betonwerkstein
kunststein
vollholz
brettschichtholz
daemmstoffe
sichtbeton
holzwerkstoffe
sperrschichten
bestehend
neu
planjournal
gezeichnet
planänderung
grundeigentümer
:
ruth dörig, beat suter, freudenreichstrasse 16, 3047 bremgarten b. bern
bauherrschaft
:
ruth dörig, beat suter, freudenreichstrasse 16, 3047 bremgarten b. bern
:
philippe urech dipl. architekt eth/sia waldeggstrasse 47, 3097 liebefeld
grundeigentümer
architekt
architekt
E
03-05
umbau bauernhaus suter/dörig, gurtendörfli
revisionsplan
N
grundriss erdgeschoss
philippe urech dipl. architekt eth/sia waldeggstrasse 47 3097 liebefeld
plannr.
plangrösse 90/60
datum
rev. 24.04.
1 : 50
tel 031 972 00 68 fax 031 972 00 69 mail p.urech
130
Beispiele
Primarschule, Monte Carasso
Eine Affäre, die nicht endet
Luigi Snozzi, einer der bekanntesten zeit­
genössischen Schweizer Architekten, be­
gann seine Arbeiten für das kleine Tessiner
Dorf Monte Carasso vor knapp vier Jahr­
zehnten mit dem Wohnhausprojekt «Ver­
demonte». Im Zuge einer grundlegenden
und mutigen Neuordnung der Infrastruk­
tur der Siedlung wandte sich die Gemeinde
an Snozzi. Das Augustinerinnenkloster im
Zentrum des Ortes sollte neuer Sitz der
Grundschule werden. Ebenso benötigte
Monte Carasso einen Gemeindeplatz. Dies
waren allerdings nur zwei der vielen Mass­
nahmen des Grossprojektes, durch die das
Dorf eine neue Identität erlangte.
Die Umgestaltung des Klosters zeigt viele
Parallelen zur Reorganisation des Dorfes
selbst. So war der L-förmige Baukomplex
in seiner Architektur zersplittert und un­
einheitlich. Snozzi nivellierte wo nötig, er­
setzte wo erforderlich, restaurierte wo er­
wünscht und reduzierte aufs Wesentliche.
Er hob das Dach des Klosters auf eine ein­
heitliche Linie. Dabei setzte er auf den
westlichen Flügel, in Anlehnung an sein
früheres Aussehen, ein Walmdach, wäh­
rend im nördlichen Flügel fünf zweistö­
ckige Schulzimmer unter einem halben
Tonnendach ihren Platz finden. Dazu ver­
einheitlichte Snozzi die Fassaden mittels
Fensteranordnung, Farbe und durch Freile­
gung der zuvor stellenweise zugemauer­
ten Rundbögen, wodurch das Kloster auf
seiner Hofseite einen eleganten durchge­
henden Säulengang erhielt. Schliesslich
putzte der Architekt das Gelände um das
Kloster heraus, definierte innerhalb seiner
Flügel eine rechteckige Fläche, sodass die
heutige Primarschule eine klare, leicht er­
kennbare Form hat und nun den Dorfplatz
abgrenzt. Dieser wird überdies an der süd­
östlichen Seite durch die Kirche geschlos­
sen, welche in nächster Nähe zum Kloster
steht.
2009 wurde Snozzi von der Gemeinde
Monte Carasso gebeten, das Schulhaus zu
erweitern. Da an der ausgesuchten Stelle
keine historische Bausubstanz bestand,
konnte Snozzi neu bauen. Für den Anbau
der zwei neuen Schulzimmer wurde Sicht­
beton verwendet. Der Architekt führte die
von ihm einst definierten horizontalen Li­
nien konsequent weiter, wodurch die
neuen Seitenflügel mit einfachen Mitteln
in das Vorhandene integriert werden. Eine
pfiffige Lösung stellt die Formgebung des
Anbaudaches dar. Diese weist den glei­
chen Schnitt auf wie die Dächer der fünf
Klassenzimmer des Ostflügels, allerdings
um ein Geschoss nach unten versetzt. Da­
durch «reimt» sich die neue Konstruktion
auf die vorherige. In der Architektur ist der
Umgang mit Bestehendem immer eine
Gratwanderung zwischen dem Respekt
vor der Geschichte und der Notwendigkeit
zur Veränderung. Mit seiner Arbeit am
Kloster von Monte Carasso zeigt Luigi
Snozzi, wie dieser Balanceakt möglich ist.
Abbildung 124:
Das Dach des neus­
ten Anbaus aus
Sichtbeton weist
den gleichen
Schnitt auf wie die
Dächer der fünf
Klassenzimmer des
Ostflügels, aller­
dings um ein Ge­
schoss nach unten
versetzt.
Abbildung 125:
Innenansicht der
beiden neuen
Schulzimmer.
131
Gebäudeerneuerung
132
Beispiele
Abbildung 126:
Der Anbau aus
Sichtbeton bildet
mit dem Bestand
eine Einheit.
133
Gebäudeerneuerung
134
Beispiele
+9.20
+9.20
+7.84
+5.15
+5.05
+2.57
+1.07
0.49
+0.03
0.56
0.41
0.29
0.15
±0.00
0.12
-0.06
-0.13
0.17
-0.49
4.18
+9.20
9.20
7.84
5.15
5.15
7.84
6.28
4.43
7.84
+9.20
9.20
1.36
+9.20
0.35
9.20
5.15
4.99
9.20
4.77
2.57
4.77
2.57
2.02
2.02
0.55
cappella
0.56
0.56
+0.34
2.51
1.20
+0.00
+0.00
-0.12
0.41
0.17
+0.00
5
-0.49
3.59
-0.49
-3.40
RD
NO
A
Abbildung 127:
Längsschnitt und
drei Querschnitte
durch den Anbau
von 2009.
Abbildung 128:
Grundriss der An­
lage.
B
B
C
C
D
D
E
E
A
Fotos und Pläne:
Luigi Snozzi
135
Gebäudeerneuerung
Haus Matten in Ballenberg
Ein grosses Ausstellungsobjekt
Das Freilichtmuseum Ballenberg stellt sich
die Aufgabe, schweizerische Bau-, Archi­
tektur- und Kulturgeschichte zu würdigen.
Unter den über hundert traditionellen
Bauten der verschiedensten Epochen be­
findet sich eines, welches sich nicht an die
Vergangenheit, sondern an die Zukunft
richtet – das Haus Matten. Dieser Ende des
16. Jahrhunderts erbaute klassische Ber­
ner Oberländer Blockbau auf gemauertem
Kellersockel gelangte 1977 in den Besitz
des Museums, wo es seither steht. Um
2000 erhielt das Gebäude eine neue Funk­
tion. Im Rahmen des von der Schweizer
Kulturstiftung «Pro Helvetia» getragenen
Projektes «Tradition und Innovation» sollte
am Beispiel des Hauses Matten aufgezeigt
werden, dass in die Jahre gekommene Ar­
chitektur nicht modernen Bauten weichen
muss, um Menschen zeitgemässe Wohn­
qualität zu bieten. Durch einen wohlüber­
legten Umbau können auch alte Gebäude
heutige Anforderungen erfüllen.
Das Konzept sollte gemäss Vorgaben der
Bauherrschaft die originale Bausubstanz
des Strickbaus so weit als möglich unange­
tastet belassen und gleichzeitig heutige
Anforderungen an den Wohnkomfort er­
füllen. Zudem sollten die technischen Ein­
griffe und das Endergebnis aus ökologi­
scher Sicht vorbildhaft sein. Das Budget
orientierte sich an einer Musterfamilie mit
Durchschnittseinkommen. Der Architekt
Patrick Thurston begann seine Arbeit mit
einer eingehenden Analyse der vorhande­
nen Situation. Daraus ergab sich nicht nur
ein tieferes Verständnis für die Kunstfertig­
keit des Objektes, das eine kraftvolle Form,
harmonisch proportionierte Räume und
eine beeindruckende, zweistöckige Rauch­
küche aufwies. 2007 wurde der Umbau
vollzogen. Der Blockbau wurde innenseitig
beinahe vollständig mit 10 cm dicken Tan­
nenbalken ausgekleidet. Dieser im Strick­
muster des Hauses gehaltene Überzug
verleiht den Innenräumen elegante, ge­
rade Linien und helle Oberflächen. An
manchen Stellen ist diese Verkleidung auf­
gelöst und lenkt den Blick auf die originale
Bausubstanz darunter. Das ursprüngliche
Haus wirkt wie ein Gemälde an der Wand
der neuen Hülle.
Obwohl durch diesen Eingriff Wohnfläche
und etwas von der ursprünglichen Atmo­
sphäre verloren gegangen ist, so hat er
doch den Vorteil, dass das Haus nun her­
vorragend gedämmt ist. Dadurch wurde
eine raffinierte Lösung für die Heizung
möglich: Unter der eisernen Hülle des his­
torischen Trittofens wurde ein Absorber
eingebaut. Dadurch dient der Ofen als
Ganzhausheizung. Ein neuer Anbau an
der Giebelseite des Hauses erweitert das
Raumangebot. Neu sind auch die Nasszel­
len. Die Decken des Obergeschosses, die
zuvor zu niedrig (182 cm) waren, stossen
nun als schwach geneigte Giebel in den
Dachraum vor. Das Haus Matten steht als
zeitgemässe Wohnung im Freilichtmu­
seum Ballenberg für alle Interessierte zur
Besichtigung offen. Der Umbauprozess ist
dargestellt und zeigt auf, dass ein histo­
risch wertvolles Gebäude mit vertretbarem
Aufwand zu erneuern ist und ein sowohl
architektonisch als auch kulturhistorisch
lohnendes Resultat erreichbar ist.
136
Beispiele
Abbildung 129:
Das Ausstellungsob­
jekt mit dem giebel­
seitigen, neuen An­
bau.
Abbildung 130:
Situation
1031
Z
(Foto und Plan:
Patrick Thurston)
137
Gebäudeerneuerung
Schemagrundriss Untergeschoss 1:100
Schemagrundriss Erdgeschoss 1:100
Abbildung 131: Grundriss Untergeschoss
Abbildung 132: Grundriss Erdgeschoss
Abbildung 133: Grundriss Obergeschoss
(Pläne: Patrick Thurston)
Schemagrundriss Obergeschoss 1:100
139
Gebäudeerneuerung
Kapitel 15
Anhang
Quellen
]]Minergie-P. Von Marco Ragonesi, UrsPeter Menti, Adrian Tschui, Benno Zurfluh.
Das Haus der 2000-Watt-Gesellschaft.
3. Auflage. Zürich, Faktor Verlag 2010
]]Aus Bauschäden lernen. Von Jürgen
Blaich. Zürich, HEV 2008
]]Im Detail: Gebäudehüllen. Von Christian
Schittich (Hrsg.). 2. erweiterte Auflage.
München, Detail 2006
]]Clima Skin. Von Gerhard Hausladen, Mi­
chael de Saldanha, Petra Liedl. München,
Callwey Verlag 2006
]]Clima Design. Von Gerhard Hausladen,
Michael de Saldanha, Petra Liedl, Christina
Sager. München, Callwey Verlag 2004
Weiterführende Information
Allgemeine Literatur
]]Atlas Sanierung. Von Georg Giebeler,
Harald Krause, Rainer Fisch. Instandhal­
tung, Umbau, Ergänzung. München, De­
tail 2008
]]Energie Atlas – Nachhaltige Architektur.
Von Manfred Hegger, Matthias Fuchs, Tho­
mas Stark, Martin Zeumer. München, De­
tail 2007
]]Im Detail: Bauen im Bestand. Von Chris­
tian Schittich (Hrsg.). Innovative Konzepte
für neue Nutzungen. München, Detail
2003
]]Element 29. Wärmeschutz im Hochbau.
Von Thomas Frank, Jutta Glanzmann,
Bruno Keller, Andreas Queis­ser, Marco Ra­
gonesi. Zürich, Faktor Verlag 2010
]]Element 30. Schallschutz im Hochbau.
Von Jutta Glanzmann, Walter Lips, Rolf
Meier, Werner Stalder. Zürich, Faktor Ver­
lag 2011
]]Energetische Sanierung von Altbauten.
Von Josef Maier. Stuttgart, Fraunhofer IRB
Verlag 2009
Normen und Regelwerke
]]Norm SIA 180, Ausgabe 1999. Wärmeund Feuchteschutz im Hochbau
]]Norm SIA 232, Ausgabe 2000. Geneigte
Dächer
]]Norm SIA 233, Ausgabe 2000. Beklei­
dete Aussenwände
]]Norm SIA 235, Ausgabe 1997. Dachde­
ckerarbeiten: Geneigte Dächer und beklei­
dete Aussenwände
]]Norm SIA 243, Ausgabe 2008. Verputzte
Aussenwärmedämmung
]]Norm SIA 271, Ausgabe 2007. Abdich­
tungen von Hochbauten
]]Norm SIA 279, Ausgabe 2004. Wärme­
dämmstoffe
]]Norm SIA 331, Ausgabe 2008. Fenster
und Fenstertüren
]]Norm SIA 380/1, Ausgabe 2009. Thermi­
sche Energie im Hochbau
]]Norm SIA 381.10, Ausgabe 2000. Bau­
stoffe und -produkte – Wärme- und feuch­
teschutztechnische Eigenschaften
]]Norm SIA 382/1, Ausgabe 2007. Lüf­
tungs- und Klimaanlagen – Allgemeine
Grundlagen und Anforderungen
]]Norm SIA 382/2, Ausgabe 2011. Klimati­
sierte Gebäude – Leistungs- und Energie­
bedarf
]]Merkblatt SIA 2001, Ausgabe 2009.
Wärmedämmstoffe – Deklarierte Werte
der Wärmeleitfähigkeit und weitere Anga­
ben für bauphysikalische Berechnungen
]]Merkblatt SIA 2021, Ausgabe 2002. Ge­
bäude mit hohem Glasanteil – Behaglich­
keit und Energieeffizienz
]]Merkblatt SIA 2028, Ausgabe 2010. Kli­
madaten für Bauphysik, Energie- und Ge­
bäudetechnik
]]Merkblatt SIA 2032, Ausgabe 2010.
Graue Energie von Gebäuden
]]Merkblatt SIA 2040: Effizienzpfad Ener­
gie, 2011
]]Dokumentation zu SIA 2040, 2011
Internet
www.baufachinformation.de
www.detail.de
www.endk.ch
www.faktor.ch
www.sia.ch
www.vdf.ethz.ch
140
Anhang
Schlagwortverzeichnis
Symbole
2-fach-Verglasung 49
3-fach-Verglasung 49
A
Abdichtungen 54
Abwärmenutzung 100
Alarmwert 60
Altlasten 73
Altlastenuntersuchung 73
Analyse 25
Anlagekosten 14
Arbeitsgesetz 81
Argon 49
Asbest 76
Ästhetische Qualität 10, 26
Aufstocken 67
Aussendämmung hinterlüftet 45
Aussenlärm 60
Aussenraum 103
B
Baubewilligung 32
Baugesetzliche Vorgaben 28
Bauherrschaft 32
Bauökologische Kriterien 88
Baurechtliches Potenzial 6
Baustoffe 14
Bauteiltrennung 79
Begegnungsort 116
Behindertentauglichkeit 104
Bergbauernhaus 113
Betriebsenergie 16
Betriebskosten 14
Beurteilung Bausubstanz 6
Bio-Diesel 95
Biogas 94
Blei 76
Blockheizkraftwerk 99
Blockheizkraftwerk Biogas 94
Blockheizkraftwerk Gas 94
BNL 28
Boden 16, 103
Brandabschlüsse 82
Brandschutz 81
Brandschutzkonzept 81
Brandschutznorm 81
Brandschutzvorschriften 81
C
Cadmium 76
Chalet 113
Chrom 76
Coefficient of performance (COP) 97
D
Dacheindeckung 53
Dachlattung 53
Dämmperimeter 55
Dämmputz aussen 45
Dampfbremse 57
Dampfdiffusion 57
Denkmalpflege 21
Discounted Cash Flow 38
Doppelte Nachhaltigkeitsrosette 16
Doppelverglasung 49
E
Einbruchschutz 84
Einfachverglasung 49
Einregulierung 102
Einzelofen-Heizung 93
Elastomer 54
Elektroheizung 93
Elektrowärmepumpe 94
Energiekonzepte 85
Energieträger 93
Erdgas 93, 94
Ersatzneubau 7
Erschliessung 12
Erweiterungen 41
Estrichboden 55
F
Fassaden 44
Fenster 49
Fernwärme 95
Feuchteschutz 57
Feuchtigkeitssperre 57
Flachdach 53
Flachkollektor 94
Flexibilität 79
Fossile Energieträger 95
Fundament 57
G
Gasheizkessel 93
141
Gebäudeerneuerung
Gebäudesubstanz 14
Gemeinschaft 12
Gesamtbewertung 86
Gesamtmodernisierung 6
Gestaltung 12
Gesundheit 14
Graue Energie 86
H
Haustechnik 62
Heimatschutz 21
Heizöl 93, 94
Hinterlüftetes Kaltdach 54
Hochstudhaus 127
Holz 96
Holzkonstruktion 53
Holzschnitzel 94
I
ICOMOS 21
Immissionsgrenzwert 60
Immobilienmarkt 14
Immobilienportfoliostrategie 31
Infrarot-Beschichtungen 49
Infrastruktur 16
Innendämmung 57
Investor 32
ISOS 28
J
Jahresarbeitszahl (JAZ) 97
K
Kaltmiete 37
Kapitalwert 38
Kastenfenster 50
Kaufkraft 37
Kehrichtverbrennung 94
Kellerdecke 56
Kollektorfläche 97
Kommunikation 8, 31
Kompaktdach 53
Kondensierender Heizkessel 93
Konterlattung 53
Krypton 49
Kulturelle Leistung 10
Kunststoffe 54
L
Landschaft 16
Landschaftsarchitektur 104
Lärmschutz-Verordnung 59
Lebensdauer 18
Lebenszyklus 37
Lebenszykluskosten 12
Luftdichtigkeitsschicht 53
Luftschall 60
M
Mängelbehebung 6
Mansardendach 53
Mietvertrag 32
Mineralfasern 76
Minergie 41
Minergie-Eco 88
Minergie-P 41, 111
Modulierender Heizkessel 93
Mustervorschriften der Kantone 41
N
Nachhallzeit 63
Nachhaltigkeitsrosette 15
Neubauten 41
Norm SIA 112/1 17
Nutzung 12
O
Ökobilanz 19
Ökobilanzdaten 94
Ökologie 86
Ökonomie 10, 86
Ölheizkessel 93
Optimierung 102
P
Pellets 94
Pelletskessel 93
Photovoltaik 94
Photovoltaikanlage 99
Pinselrenovation 6
Planungsprozess 31
Planungswert 60
Polychlorierte Biphenyle 76
Potenzial 30
Primärenergie 86
Primärenergiefaktoren 94
142
Anhang
Primärsystem 18, 19
Unterrichtsräume 63
Q
Quecksilber 76
V
Vegetation 104
Verbunddach 53
Verglasungen 49
VKF-Verordnung 83
R
Raumakustik 62
Raumangebot 28
Räumliche Überforderung 22
Regenwasser 104
Retentionfilterbecken 106
S
Schadstoffe 73
Schallschutz 59
Scheune 119
Schwermetalle 76
Sekundärsystem 18, 19
SIA Effizienzpfad Energie 42
Sicherheit 81
Sichtbezüge 104
Sickerleitung 57
Sickerpackung 57
Sickerwasser 104
Solarer Deckungsgrad 98
Solarstrom 98
Sonnenkollektoren 96
Steildach 53
Strategie 31
Stückholz 94
Systemtrennung 73, 78
T
Technischer Brandschutz 83
Technische Überforderung 24
Technisierungsgrad 90
Tertiärsystem 18, 19
Tragwerk 65
Transformation 44
Treibhausgasemissionen 86, 95
Trennfuge 65
U
UBP 86
UBP-Faktoren 95
Umbauen 70
Umkehrdach 54
Umweltschutzgesetzgebung 59
Unangemessenheit 24
Unterfangung 66
Unterhaltskosten 14
Unterkellerung 66
W
Warmdach 53
Wärmepumpe 93
Wärmepumpen 96
Wasser 103
Wassersperrschicht 55
Wertschöpfung 14
Windkraft 94
Wohlbefinden 14
Z
Zulässiger Wärmebedarf 41
ISBN: 978-3-905711-13-4
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