Tischlein deck dich – (k)ein Märchen

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Melanie Kauer
Tischlein deck dich – (k)ein Märchen
Was mögen wohl die Idealmasse für Rüebli sein? Die hier auf dem grossen Tisch
ausgebreiteten Kaliber, jedes sicher fast 300 Gramm schwer und fünf Zentimeter dick,
entsprechen dem Schönheitsideal kaum. Darum sind sie hier und warten auf ihre
weitere Bestimmung. Vierzehn Hände machen sich an ihnen zu schaffen, schneiden
unschöne Stellen weg und legen das orange Gemüse in Kisten. In den nächsten Tagen
werden die Rüebli auf dem Teller von Menschen landen, denen Grösse und Aussehen
ihres Essens egal ist. Hauptsache, es gibt überhaupt etwas zu essen.
„In der Schweiz wandern jährlich zwei Millionen Tonnen einwandfreie Lebensmittel in
den Abfall. Andererseits leben in unserem Land fast eine Million Menschen an oder
unter der Armutsgrenze. Die Lebensmittelhilfe Tischlein deck dich rettet Lebensmittel
vor der Vernichtung und verteilt sie an bedürftige Menschen in der Schweiz und im
Fürstentum Liechtenstein.“ ¹ Tischlein deck dich
Zurück zu den Rüebli, genauer nach Grenchen, wo der Verein Tischlein deck dich
seine Plattform Mittelland betreibt. In einer grossen Halle in der Nähe des Flughafens
werden auf fast 1‘000 m² Fläche Lebensmittel zwischengelagert. Um den Arbeitstisch
mit den Rüebli sitzen sieben Männer und Frauen. Sie sind arbeitslos und stammen
aus einem Beschäftigungsprogramm. Sie erhalten keinen Lohn, sind aber froh um
diese Tätigkeit, die ihren Alltag sinnvoll bereichert und mithelfen kann, den Weg
zurück in den Arbeitsmarkt zu finden. „Hier in Grenchen setzen wir rund
20 Leute ein, vor allem Sozialhilfeempfänger, aber auch zwei Zivildienstleistende“,
erzählt Roger Bochinski, der seit gut einem Jahr als stellvertretender Lagerleiter hier
arbeitet. Er ist einer der 24 Festangestellten, die der Verein Tischlein deck dich in der
ganzen Schweiz beschäftigt. „Manchmal gibt es schwierige Situationen mit und unter
den Mitarbeitern aus dem Beschäftigungsprogramm, da kommt mir meine Ausbildung
in Sozialer Arbeit zugute.“
Fasnachtschüechli, die keiner mehr will
Auf dem Rundgang durch die Lagerhalle sticht die übersichtliche Ordnung ins Auge.
Rollcontainer, Harassen und Kisten füllen den Raum, alle mit Produktblättern
versehen, die über Inhalt und Haltbarkeit informieren. Zuerst geht es in den
sogenannten TS-Bereich, TS für Trockensortiment. Hier werden Artikel gelagert, die
wir zum Beispiel zu Hause
im Schrank aufbewahren.
Das
Sortiment
ändert
ständig, je nachdem, was
angeliefert wird. Heute
stapeln sich Getränke,
Chips, Biskuits, Tortillas
und … Fasnachtschüechli.
Ja klar, Fasnacht war vor
drei Wochen. Nun lassen
sich die süssen Begleiter
kaum mehr verkaufen,
obwohl das aufgedruckte
Ablaufdatum erst in über
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einer Woche erreicht sein wird. „Wir erhalten Produkte, deren Mindesthaltbarkeitsdatum oder zu-verbrauchen-bis-Datum kurz bevor steht. Oft stammen diese
auch aus Überproduktionen oder Fehldispositionen“, gibt Roger Bochinski Auskunft.
Nach Ostern und Weihnachten schnellt zum Beispiel der Anteil an Schokolade in die
Höhe, kein Problem, Schokolade ist lange haltbar. Gegenwärtig sorgen schuhschachtelgrosse Pakete für Farbtupfer in der Lagerhalle; die beiden Grossverteiler Coop und
Migros haben kürzlich solche Pakete als Treuegeschenke an ihre Kunden abgegeben
und sind offenbar nicht alle losgeworden. Coop und Migros? „Ja, diese beiden sind
zusammen mit der Prodega/Growa unsere grössten Produktspender.“ Tischlein deck
dich holt die Waren mit den eigenen Kühlfahrzeugen ab und bringt sie in eine der sechs
Logistikplattformen. Eine davon ist eben hier in Grenchen.
20 Tonnen Lebensmittel, einfach so geschenkt
Es wird spürbar kühler, 4 bis 6 Grad beträgt die Temperatur im Fripro-Bereich, dem
Frischproduktebereich. Übrigens auch im Kühlschrank zuhause die ideale Temperatur.
Was hier zwischenlagert, würde man auch tatsächlich in manchem privaten
Kühlschrank antreffen: Milchprodukte wie UHT-Milch, Joghurts oder vakuumverpackter Käse. Im Bereich für Früchte und Gemüse türmen sich Äpfel, Bananen,
Fenchel, Salate - alles einwandfreie Produkte. Daneben stehen grosse Holzharassen
mit Kartoffeln und Rüebli, die (welche Ironie!) so winzig klein sind, dass sie unmöglich
geschält werden können, waschen genügt. Pizzateig wartet auf Verwendung, das
Verkaufsdatum läuft erst in sechs Tagen ab. Auffällig auch der Berg mit Maiskölbchen
im Glas, zu verbrauchen bis 10.11.2016. Solche Artikel werden doch in den Läden
noch lange verkauft? Roger Bochinski nimmt den fragenden Blick auf: „Nicht alle
Lebensmittel hier stehen kurz vor dem Ablaufdatum. Es ist erstaunlich, wie viele Artikel
wir einfach so geschenkt bekommen. Das macht unser Angebot natürlich noch
attraktiver.“ In Grenchen werden wöchentlich ca. 20 Tonnen Lebensmittel angeliefert,
Tendenz steigend.
Achtung, jetzt wird’s richtig kalt: Minus 22 Grad herrschen im Tiefkühlbereich (TK),
einer gigantischen, begehbaren Tiefkühltruhe. Nicht gerade Roger Bochinskis
Lieblingsabteilung, wenn er ab und zu im Lager aushelfen muss: „Da hält man
es wirklich nicht lange aus, man erkältet sich rasch.“ Die hier lagernden
Lebensmittel lassen sich aber von dieser frostigen Temperatur nicht stören: Fleisch,
Pommes-Frites, Brot und Züpfen, das Sortiment lässt auf manch leckeres Essen
hoffen. Und zum Dessert köstliche Mövenpick-Glace. „Es ist doch schön, wenn
Bedürftige auch mal etwas Feines haben“, freut sich Roger Bochinski, wissend, dass
die Empfänger der Luxus-Glace sich diese kaum selber kaufen könnten.
Zurück aus der Kälte an die Wärme. Hier lagern Unmengen von Lebensmitteln. Wie
sieht es eigentlich mit der Hygiene und der Sicherheit aus? Sofort antwortet der
stellvertretende Lagerleiter: „Das ist äusserst wichtig, wir unterstehen dem Lebensmittelgesetz und werden regelmässig kontrolliert. Vor allem im Frischproduktebereich
müssen die Waren rasch umgesetzt werden, wir wollen ja nichts wegwerfen.“ Roger
Bochinski hat eine Zusatzausbildung in Logistik absolvieren müssen, was ihn für eine
optimale Lagerbewirtschaftung befähigt. Schliesslich lautet sein Motto: „Ich gebe
heraus, was ich auch selber essen würde.“
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2‘500 freiwillige Helfer
Der Verein Tischlein deck dich wurde 1999 von der ehemaligen „Bon appétit Group“
gegründet. Die Geschäftsstelle ist in Winterthur. Nebst Grenchen gibt es, wie erwähnt,
fünf weitere Regionallager, sogenannte Logistikplattformen. Für den ganzen Verein
sind 24 Festangestellte (20 Vollzeitstellen) tätig. Die Finanzierung erfolgt ausschliesslich über die Hauptpartner (Coop, Prodega/Growa/Transgourmet, Ernst-GöhnerStiftung, Winterhilfe), Stiftungen, Unternehmen, Kirchen, Vereine und Privatpersonen.
Inzwischen gibt es in der ganzen Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein 113
Abgabestellen, an denen 2‘500 freiwillige Helferinnen und Helfer mitwirken. Über 800
Firmen aus Landwirtschaft, Produktion und Handel spenden ihre Lebensmittel. Es
werden keine Produkte hinzugekauft, um das Sortiment zu vervollständigen. Es kann
nicht vorausgesagt werden, wie viele und welche Produkte bei der wöchentlichen
Abgabe verteilt werden, einmal wird mehr, ein anderes Mal weniger verteilt. Die
Statistik über die Lebensmittel, die seit der Gründung abgegeben wurden, lässt sich
sehen und spricht für sich selbst: 1999 wurden 18 Tonnen Lebensmittel verteilt, 2015
waren es eindrückliche 3‘259 Tonnen. Damit konnten rechnerisch über 16 Millionen
Teller gefüllt werden. Tischlein deck dich unterstützt jede Woche 15‘800 Menschen mit
einwandfreien Produkten. Die Lebensmittel, die verteilt werden, sind sicher und
geniessbar, heisst es ganz klar in den Dokumentationen des Vereins.
Der Rundgang endet bei den zahlreichen Rollcontainern, die für die morgige
Auslieferung bereitstehen. Mannshoche Behälter, befüllt mit einzelnen Harassen.
Wohin die Fahrt gehen soll, steht vorne auf einem Blatt Papier: Fribourg, Payerne,
Bulle… Von Grenchen aus werden 29 Abgabestellen im Mittelland beliefert.
Ortswechsel
Jeden Dienstag um etwa 9 Uhr ereignet sich
das gleiche Schauspiel. Vor dem Kirchgemeindehaus der evangelisch-reformierten
Kirche in Herzogenbuchsee steht ein
Kühllastwagen, auf dem das Logo des
Vereins Tischlein deck dich prangt. Der
Anfangsbuchstabe „T“ stellt einen Tisch dar.
Es lärmt. Drei voll befüllte Rollcontainer und
eine blaue Box werden ausgeladen und ins
Gebäude geschoben, Leergut von letzter Woche wird eingeladen. Im grossen Saal des
Kirchgemeindehauses ist die Abgabestelle Herzogenbuchsee zuhause. Leere Tische
sind u-förmig aufgebaut, direkt bei der Saaltüre stehen zwei separate Tische.
Draussen in der Eingangshalle warten etwa 20 Stühle in Reih und Glied auf ihre
Benutzer. Heute sind acht freiwillige Helfer im Einsatz, sechs Frauen und zwei Männer,
einer davon ist Günther Weber, der Leiter der Abgabestelle. „Die Männer sind stark
untervertreten“, bedauert er. „Insgesamt besteht das Helferteam hier in Herzogenbuchsee aus 18 engagierten und motivierten Leuten. Normalerweise werden sie
zweimal pro Monat aufgeboten, einige sind jede Woche dabei.“ Die freiwilligen Helfer
tragen alle das bordeauxrote T-Shirt des Vereins. Die Abgabestelle Herzogenbuchsee
ist eine der jüngsten in der Geschichte von Tischlein deck dich; sie wurde am
18. August 2015 eröffnet und ist von Anfang an auf grosses Interesse gestossen.
Besucht werden kann sie immer am Dienstag von 10.30 bis 11.30 Uhr.
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„Die angelieferte Ware wird nun gesichtet und ausgepackt“, erklärt Günther Weber. Ob
es zu einer Begegnung mit den vor sechs Tagen in Grenchen gerüsteten RiesenRüebli kommen wird? Gemäss Lieferschein geht es heute um ca. 260 kg Ware, und
zwar aus jedem Bereich, also Trockensortiment, Frischprodukte und dem Tiefkühlsortiment. Der Chauffeur verabschiedet sich, man kennt sich und ist per du, auch die
Helfer untereinander. Nebst der Ware aus der Plattform Grenchen dürfen heute auch
Artikel von Spendern aus Herzogenbuchsee verteilt werden. Ein Bauernbetrieb hat
210 Eier geliefert, die für den Verkauf ungeeignet sind, da zu klein. Die ortsansässige
Käserei bringt soeben Joghurts vorbei, deren Verkaufsdatum am heutigen Tag abläuft.
Auch ein paar Tommes und Dessertprodukte sind dabei. Die Eier werden in kleine
Schachteln zu 4, 6 oder 10 Stück umverteilt, die Milchprodukte wandern in eine
Styroporbox, versehen mit einem Temperaturmesser. Auch hier ist es sehr wichtig,
dass das Lebensmittelgesetz eingehalten wird, wie Günther Weber betont. Der
Lebensmittelinspektor könnte jederzeit auftauchen und dies überprüfen.
Grosseinkauf für einen Franken
Während die Helfer mit dem Ausräumen und Präsentieren der Waren beschäftigt sind,
erläutert ihr Chef das System der Abgabe. Sozialhilfeempfänger sind berechtigt, beim
Sozialamt eine Bezugskarte abzuholen. Auf dieser Karte wird der Name und die
Adresse festgehalten und für wie viele Personen sie gilt. Eine Familie - Vater,
Mutter, zwei Kinder - darf also zum Beispiel für vier Personen Lebensmittel beziehen,
ein Single nur für sich selbst. Für den gesamten Bezug muss ein Franken bezahlt
werden, das ist natürlich eher ein symbolischer Betrag. Der Besucher wird für ein
Mehrfaches Lebensmittel nach Hause tragen. Die Karte darf auch weitergegeben
werden, da es ja vorkommen kann, dass der Kartenbesitzer selbst verhindert ist. Der
Ausweis ist ein Jahr lang gültig, jeder Besuch wird mit dem entsprechenden Datum
dokumentiert. Die Karte berechtigt zu einem wöchentlichen Lebensmittelbezug in der
aufgeführten Abgabestelle.
Nach und nach setzt sich der Slogan „Tischlein deck dich“ wortwörtlich um, die Tische
werden mit allerlei Waren belegt: Süssmost, Eistee, Mandelmilch, Teigwaren, Rösti,
Suppen, Senf, Schokolade, Biskuits, Maiskölbchen, Salatsaucen, Dörrfrüchte, Duschgels, Zahnbürsten, Brot, Bananen, Zuckerhut, Randen, tiefgekühlte Lasagne und eben
Joghurts und Eier. Keine Riesen-Rüebli? Leider nein, aber immerhin mit den
Fasnachtschüechli gibt es ein frohes Wiedersehen.
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Es wird auf einen logischen Ablauf geachtet, damit die Leute, die in Kürze hier
vorbeimarschieren werden, ihre Taschen sinnvoll füllen können. Schwere Sachen
stehen also am Anfang, Zerbrechliches und Tiefkühlkost am Schluss.
Es ist so weit, die gesamte Ware liegt verlockend auf den Tischen. Die Tischverantwortliche erklärt den anderen Helferinnen und Helfern die heutigen Regeln, das heisst
wie viel von welchen Artikeln genommen werden darf. „Wir stützen uns auf
Erfahrungszahlen und wissen in etwa, wie viele Karten für wie viele Leute vorgelegt
werden“, erklärt Günther Weber diese Beschränkungen. „Wir rechnen jeweils mit etwa
30 Karten für 90 Personen. Entsprechend wird in Grenchen die Ware für uns
zusammengestellt und wir überprüfen dann beim Auspacken und Hinlegen, ob das
ungefähr aufgehen wird.“ Die effektiven Besucherzahlen werden jeden Dienstag für
die Statistik erfasst. Beim ersten Tischlein deck dich in Herzogenbuchsee im August
2015 wurden 23 Karten für 67 Personen vorgewiesen. Gesamthaft seien für dieses
Jahr 70 Karten abgegeben worden. Wieso macht denn nur knapp die Hälfte der
Berechtigten von diesem Angebot Gebrauch? Was sind mögliche Gründe für das
Fernbleiben? Wahrscheinlich ist der Gang zu Tischlein deck dich für viele Bedürftige
mit Scham verbunden. Aber genau das ist ein wichtiges Anliegen des Vereins, nämlich
den Menschen auf Augenhöhe und mit Respekt zu begegnen. So spricht man auch
bewusst von „Kunden“ und nicht von Sozialhilfeempfängern oder ähnlich. Ohnehin
sind die Besucher keinesfalls nur Arbeitslose. Zu den Kunden zählen Menschen, die
am oder unter dem Existenzminimum leben wie beispielsweise „Working Poors“,
grosse Familien, Alleinerziehende und Migranten.
Die Wäscheklammer entscheidet
Spannung liegt in der Luft. Ein Blick auf die Uhr, es ist halb elf, Zeit für die Kunden!
Wer nun erwartet, gleich werde ein Riesengedränge im Kampf um den besten
Startplatz losgehen, täuscht sich. Ein einfaches, aber cleveres System sorgt für einen
geregelten Ablauf. „Es herrscht immer eine wunderbare Ruhe und Freundlichkeit“,
betont Günther Weber. Die Reihenfolge für die Kunden wird mit Wäscheklammern
bestimmt, auf denen Nummern stehen. So müssen auch nicht alle gleichzeitig
erscheinen und die Wartezeit kann begrenzt werden. Jetzt wird die Türe geöffnet, es
geht los. Die Kunden schreiten zu den separaten Tischen beim Saaleingang. Hier
sitzen zwei Helferinnen, die sich um das Administrative kümmern. Unter den zuerst
Anwesenden werden die Nummern 1 bis 10 ausgelost, in der nächsten Etappe dann
die Nummern 11 bis 20 usw. Wer eine Wäscheklammer gezogen hat, lässt auf seiner
Bezugskarte das heutige Datum eintragen, zahlt den Franken, nimmt wieder auf einem
der Stühle im Vorraum Platz und wartet, bis seine oder ihre Nummer aufgerufen wird.
Jeder Kunde wird auf seinem Gang den Tischen entlang von einem Helfer begleitet,
gleichzeitig sind immer nur zwei oder drei Kunden unterwegs. Die Artikel werden
vorgestellt, es wird erklärt, wie viel man wovon nehmen darf, zum Beispiel bei den
Getränken entweder eine Flasche Süssmost oder eine Flasche Eistee, nur ein Brot,
nur ein Paket Fasnachtschüechli, beim Gemüse entweder Randen oder Zuckerhut.
Bananen gibt es eine pro Person, die Eier sind bereits in verschieden grossen
Schachteln. So wird sichergestellt, dass es für alle reicht, also auch für den letzten
Kunden noch von allem etwas verfügbar sein wird. Das Angebot kann sicher keinen
Wocheneinkauf ersetzen, aber zweifellos ein knappes Haushaltsbudget entlasten. Die
Kunden sind gut gelaunt, die freiwilligen Helfer scherzen mit ihnen. Rasch füllen sich
die mitgebrachten Taschen. Wer fertig ist, nimmt seine Bezugskarte wieder mit,
bedankt und verabschiedet sich und geht nach Hause. Wer noch Zeit und Lust hat,
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spekuliert auf den „Ausverkauf“. Wenn um halb zwölf restliche Ware da ist, dürfen die
Anwesenden ein weiteres Mal auf die Runde gehen. „So geht eigentlich immer alles
weg“, schmunzelt Günther Weber. Aber noch ist es nicht so weit, noch schreiten die
Kunden interessiert an den Tischen entlang, begutachten das Angebot, überlegen und
entscheiden. Teils sind es Einzelpersonen, teils Frauen mit Kindern. „Hier in Herzogenbuchsee kommen vor allem Alleinerziehende“, bestätigt eine der Helferinnen diesen
Eindruck. Eine solche alleinerziehende Mutter fügt lachend hinzu: „Meine Kinder
trichtern mir immer ein, ich solle ganz viele Süssigkeiten heimbringen, weil ich die ja
sonst nicht kaufe.“ Sie sei beim ersten Mal mit null Erwartungen hergekommen, aber
dann sehr positiv überrascht worden. Dass das Tischlein deck dich sogar eine Art
sozialer Treffpunkt ist, zeigt ein Blick zu den Wartenden im Vorraum. Da wird geredet,
gelacht, gespielt, ja sogar gestrickt… Die meisten Kunden kommen jede Woche
vorbei, so lernt man sich kennen. An den Abgabestellen trifft man auf Menschen, die
in ähnlichen Lebenssituationen stecken und man merkt auf einmal, dass man mit
seinen Problemen nicht alleine ist.
„Das Leben war gut zu mir…“
Wie kommt es, dass die Helferinnen und Helfer hier ehrenamtlich mitmachen?
Freiwillig arbeiten und Lohn gibt es keinen? „Für mich ist es selbstverständlich, sich
für bedürftige Menschen einzusetzen und ihnen zu helfen. Das Leben war gut zu mir,
nun möchte ich etwas zurückgeben und mich für Menschen einsetzen, denen es nicht
so gut geht“, legt Günther Weber seine Beweggründe dar. Ähnlich tönt es von einer
anderen Helferin: „Ich bin pensioniert und habe Zeit, hier mitzumachen. Es ist eine
sinnvolle Sache und die Leute sind sehr dankbar.“
Langsam, aber sicher leeren sich die Tische, nur wenige Sachen bleiben übrig.
Draussen warten noch ein paar dankbare Abnehmer. 32 Karten wurden heute in
Herzogenbuchsee vorgelegt und damit für 102 Personen Lebensmittel bezogen. Ein
gutes Gefühl: Lebensmittel vor der Vernichtung retten und an Menschen verteilen, die
sie dringend brauchen. Eine Win-win-Situation für alle. Im Märchen der Gebrüder
Grimm genügt der Spruch „Tischlein, deck dich!“, und schon wird die Tafel mit
herrlichen Speisen gefüllt. Ganz so einfach funktioniert es im wirklichen Leben nicht.
Aber zweifellos ist die Lebensmittelhilfe Tischlein deck dich für viele Menschen in der
Schweiz jede Woche wie ein wahr werdendes Märchen.
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Quellenangaben
Zitat:
¹ Tischlein deck dich, Flyer
Grundlage:
http://www.tischlein.ch/ueber-uns/zahlen-und-fakten.html
http://www.tischlein.ch/fileadmin/seiteninhalt/pdfs_allgemein/Fachinformation/Verteilte_DE_
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http://www.herzogenbuchsee.ch/m/mandanten/147/download/PRAE_BuZ_09_05.PDF
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