Kinder psychisch kranker Eltern

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Kinder psychisch kranker
Eltern
Fritz Mattejat
Philipps-Universität
Marburg
Stand: November 2005
1
Anzahl der Veröffentlichungen über Kinder psychisch kranker
Eltern in der Literaturdatenbank „PSYCHINFO“ („PSYCHLIT“)
aufgeschlüsselt nach 5-Jahres-Zeiträumen
1
0,9
0,83
Promille
0,8
0,7
0,74
0,73
85-89
90-94
95-99
00-04
0,68
0,63
0,6
0,5
0,4
0,44
0,3
0,34
0,33
0,3
0,2
0,1
0
60-64
65-69
70-74
75-79
80-84
Jahresbereich
Anteil an
Gesamtveröffentlichungen
[Promille]
Absolute Anzahl
Zeitraum
0,30
0,34
0,33
0,44
0,63
0,74
0,73
0,83
0,68
13
30
41
64
116
192
215
255
281
19601964
19651969
19701974
19751979
19801984
19851989
19901994
19951999
20002004
2
Kinder psychisch kranker Eltern
• Übersicht zu psychischen Erkrankungen
• Empirische Forschung
– Risiken für Kinder von psychisch Kranken
– Bedeutung von genetischen Faktoren und von psychosozialen
Faktoren
– Orientierung in der Komplexität
• Erfahrungsberichte der Betroffenen
– Häufige Probleme der Patienten und ihrer Partner
– Häufige Probleme der Kinder
– Schlussfolgerungen: Orientierung in der Komplexität
• Schlussfolgerungen / Hilfen
– Notwendige Hilfen
– Elternberatung und das Gespräch mit Kindern
– Materialien, Projekte, Initiativen
3
Fragen
PSYCHISCH KRANKE ELTERN UND IHRE KINDER
Wie häufig kommen die wichtigsten psychischen Erkrankungen vor?
Wie viele Kinder in Deutschland haben einen Elternteil mit einer
psychischen Störung?
Wie hoch ist das Risiko, dass Kinder von psychisch kranken Eltern,
selbst psychisch krank werden?
Welche Rolle spielt dabei der genetische Faktor? Wie wirken Genetik
und Umwelt bei der Entstehung von psychischen Erkrankungen
zusammen (Erklären Sie dies am Beispiel der Depression)?
Was sind die wichtigsten allgemeinen psychosozialen
Belastungsfaktoren im Hinblick auf psychische Störungen?
Was sind die speziellen psychosozialen Belastungen bei Kindern
psychisch kranker Eltern? Wie ist das „Muster“ der Belastungen bei
diesen Kindern (Erklären Sie dies am Beispiel der Depression)?
4
Fragen
KLINISCHE ERFAHRUNGEN UND DIE SICHTWEISE VON
KINDERN MIT PSYCHISCH KRANKEN ELTERN:
Was sind die wichtigsten Probleme in der Zusammenarbeit mit
den erkrankten Eltern und ihren Partnern?
Was sind die wichtigsten Probleme der Kinder (unmittelbare
Probleme und Folgeprobleme)?
5
Fragen
SCHLUSSFOLGERUNGEN ZUM HILFEBEDARF / INTERVENTIONSBEDARF
Was brauchen die Kinder und ihre Familien? Welche Antworten auf diese
Fragen geben uns die Forschung, welche Antworten geben uns die Eltern und
wie beantworten die Kinder diese Frage?
Was sind die wichtigsten schützenden Faktoren?
Welche Ziele für die präventive Arbeit lassen sich aus den Kenntnissen über
schützende Faktoren ableiten?
Was sind die wichtigsten Hilfen in Bezug auf die erkrankten Eltern und ihrer
Partner?
Was sind die wichtigsten Hilfen in Bezug auf die Kinder?
Wo liegen dabei die Schwerpunkte (Themen) der Elternberatung, was sind die
Schwerpunkte der Beratung von Jugendlichen; wie ist bei der Planung der
Hilfen für Kinder (individuell) vorzugehen?
6
Übersicht zu
Ausgewählten
psychiatrischen Erkrankungen
Schizophrenie,
Affektive Störungen,
Zwangssyndrome
MAS 1.Achse: Psychiatrisches Syndrom
F0
F1
F2
F3
F4
Organische einschließlich symptomatischer psychischer Störungen
Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Subst.
Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
Affektive Störungen
Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
F 40
F 41
F 42
F 43
F 44
F5
Verhaltensauffälligkeit mit körperlicher Symptomatik
F 50
F6
F8
F9
Phobische Störungen
Andere Angststörungen
Zwangsstörungen
Anpassungsstörungen
Dissoziative Störungen
Essstörungen
Persönlichkeitsstörungen
Entwicklungsstörungen
Verhaltensstörungen mit Beginn in Kindheit und Jugend
F 90
F 91
F 93
Klassifikation
Hyperkinetische Störungen
Sozialverhaltensstörungen
Emotionalstörung des Kindesalters
MAS 1.Achse: Psychiatrisches Syndrom
F0
F1
F2
F3
F4
Organische einschließlich symptomatischer psychischer Störungen
Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
Affektive Störungen
Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
F 40
F 41
F 42
F 43
F 44
F5
Verhaltensauffälligkeit mit körperlicher Symptomatik
F 50
F6
F8
F9
Phobische Störungen
Andere Angststörungen
Zwangsstörungen
Anpassungsstörungen
Dissoziative Störungen
Essstörungen
Persönlichkeitsstörungen
Entwicklungsstörungen
Verhaltensstörungen mit Beginn in Kindheit und Jugend
F 90
F 91
F 93
Klassifikation
Hyperkinetische Störungen
Sozialverhaltensstörungen
Emotionalstörung des Kindesalters
Schizophrenie
Diagnostische Kriterien nach ICD-10
•
•
•
•
•
Grundlegende und charakteristische Störung von Denken
und Wahrnehmung sowie inadäquate oder verflachte
Affekte
Keine Beeinträchtigung von Bewusstseinsklarheit und
intellektuellen Fähigkeiten (allerdings im Laufe der Zeit
Entwicklung gewisser kognitiver Defizite möglich)
Wichtigste psychopathologische Phänomene:
Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung,
Gedankenentzug, Gedankenausbreitung,
Wahnwahrnehmung, Kontrollwahn, Beeinflussungswahn
oder Gefühl des Gemachten, kommentierende und
dialogische Stimmen, Denkstörungen und “negative”
Symptome
Symptome fast ständig vorhanden für mindestens einen
Monat
Verlauf kontinuierlich oder episodisch mit zunehmenden
oder stabilen Defiziten oder kompletter Remission
Schizophrenie
Klassische Einteilung der Schizophrenie
Paranoide
(wahnbildende)
Schizophrenie
-häufigste Form
-Häufigkeitsgipfel
im Erwachsenenalter
-Vorherrschend
Wahnideen und
akustische Halluzinationen
-Daneben
Störungen des
Denkens und
der Affektivität
-meist keine
Persönlichkeitsveränderung,
Intelligenz erhalten
Schizophrenie
Hebephrenie
-Beginn meist
nach der
Pubertät
-Antriebsverarmung,
Denkzerfahrenheit,
affektive
Verflachung,
heitere, läppische
Grundstimmung
-mündet meist in
Defekt
-häufig Langzeitpatienten
in PKHs
Katatone
Schizophrenie
-motorische
Erscheinungen,
akute Erregungszustände und
Sperrungen
(Stupor) sowie
Mutismus im
Vordergrund
-Alternierend
Befehlsautomatismus und
Negativismus
-selten
Schizophrenia
simplex
-Beginn meist im
jugendlichen
Alter
-antriebsarm, abgestumpft, ohne
initiative und
Energie,
depressiv, versagen in Schule/
Beruf
-langsam und
schleichend,
ohne besonders
auffällige
Symptome zum
Defektzustand
Einige wichtige Merkmale zur Kennzeichnung von
Typ-I- und Typ-II- Schizophrenie
Klinische
Symptomatik
Typ-I-Schizophrenie
Typ-II-Schizophrenie
( Positive Symptome,
produktive Symptome, akute
Schizophrenie )
( Negative Symptome,
Rückzugssymptomatik )
Halluzinationen, Wahn,
positive Denkstörungen,
gesteigerter Antrieb,
Aggressivität, Erregung,
bizarres Verhalten,
Rededrang, Wortneubildungen
Affektive Verflachung,
Antriebsarmut, sozialer und
emotionaler Rückzug, Apathie,
Spracharmut, verringerter
Sprechantrieb, Anhedonie,
negative Denkstörungen
( Denkhemmung,
Gedankenabreißen,Gedankensperre )
Schizophrenie
Prognose schizophrener Psychosen
Erwachsene
Jugendliche
Vollremission
Teilremission
25%
23%
50%
25%
chronischer
Verlauf
25%
52%
Die in der Präpubertät und Adolezenz
beginnenden Psychosen haben einen
schlechteren Verlauf als jene, die im
Erwachsenenalter beginnen.
Schizophrenie
Affektive Störungen/
Depression
Affektive Störungen Übersicht
• Depression
• Dysthymie (leichte
Depression, lang andauernd)
• Manie
• Bipolare affektive Störung
(sowohl depressive als auch manische
Episoden; zeitlich nacheinander)
• Zyklothymie (leichte bipolare Störung, lang
andauernd)
16
Depression – Symptomatik
• Auf der Verhaltensebene:
Antriebsstörung / Verminderte Aktivität
Psychomotorische Hemmung (bis hin zum
Stupor) oder Agitiertheit
Sozialer Rückzug
• Auf der emotionalen Ebene:
Affektstörung
Gefühl der Gefühllosigkeit
Schuldgefühle / Selbstvorwürfe
Reduziertes Selbstwertgefühl
17
Depression – Symptomatik
• Auf der kognitiven Ebene:
Konzentrationsstörungen
Formale Denkstörungen (Denkhemmung,
Verlangsamung)
Grübeln, Todes- und Suizidgedanken
Bei Vorliegen inhaltlicher Denkstörungen =
Depressive Episode mit psychotischen
Symptomen (–> nur bei schwerer Episode)
z.B. Schuld-, hypochondrischer Wahn
selten Halluzinationen (z.B. anklagende
Stimmen)
18
Depression – Symptomatik
• Auf der körperlichen Ebene:
Schlafstörungen (Ein-, Durchschlafstörungen, frühmorgendliches Erwachen)
Appetitverlust (oder –steigerung) mit
entsprechender Gewichtsveränderung
Libidoverlust
Vegetative Beschwerden (Kopf-,
Bauchschmerzen, Verdauungsstörungen)
= Somatisches Syndrom
19
Bipolare Störungen
• Definition: Bipolare affektive Störung
= Wechsel von depressiven und manischen Phasen
= auch: ausschließlich manische Phasen
= Zwischenzeitlich symptomfreie Intervalle möglich
• Hinsichtlich Epidemiologie, Verlauf,
Entstehung und Behandlung große
Unterschiede zu Depression (= auch:
unipolare affektive Störung)
20
Manie – Symptomatik
• Affekt: gehobene (oder gereizt)
• Antrieb: gesteigert
z.B. Rededrang
z.B. vermindertes Schlafbedürfnis
z.B. Ideenflucht (formale Denkstörung)
z.B. riskantes Verhalten / Hemmungslosigkeit
z.B. überhöhte Selbsteinschätzung /
Größenideen
• Mit / ohne psychotische Symptome
21
Manie – Symptomatik
Psychotische Symptome der Manie:
• Größenwahn
• Liebeswahn
• Beziehungs- und Verfolgungswahn
(Wahn = inhaltliche Denkstörungen)
• Selten akustische Halluzinationen
DD: Schizophrenie Wahngedanken
nicht so bizarr
22
Zwangsstörungen
Klassifikation der Zwangsstörungen nach ICD-10
F 42
Zwangsstörung
F 42.0
Vorwiegend Zwangsgedanken oder
Grübelzwang
F 42.1
Vorwiegend Zwangshandlungen
(Zwangsrituale)
F 42.2
Zwangsgedanken und -handlungen,
gemischt (in 80% aller Fälle)
F 42.8
Sonstige Zwangsstörungen
F 42.9
Nicht näher bezeichnete Zwangsstörung
Zwangsstörungen
Diagnosekriterien Zwangsstörungen
nach ICD-10 (I)
• Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen (oder beides) an
den meisten Tagen über einen Zeitraum von mindestens zwei
Wochen
• Merkmale der Zwangsgedanken und Zwangshandlungen :
1.
als eigene Gedanken anerkannt; (nicht von anderen
Personen oder Einflüssen eingegeben)
2.
wiederholen sich dauernd und werden als unangenehm
empfunden;
mindestens ein Zwangsgedanke oder eine
Zwangshandlung werden als sinnlos anerkannt.
Zwangsstörungen
Diagnosekriterien Zwangsstörungen
nach ICD-10 (I)
3.
Versuch, Widerstand zu leisten
4.
Ausführung eines Zwangsgedankens oder einer
Zwangshandlung ist nicht an sich angenehm,
jedoch meist von einer vorübergehenden Reduktion
von Spannung und Angst begleitet
• Der Betroffene leidet unter den Symptomen und wird vor
allem durch den besonderen Zeitaufwand in seinem
sozialen Leben und der Bewältigung des Alltags behindert.
• Häufigstes Ausschlusskriterium sind das Vorliegen einer
Schizophrenie oder einer affektiven Störung.
Zwangsstörungen
Inhalte und Häufigkeit von
Zwangsgedanken und –handlungen (I)
• Zwangshandlungen
- Reinigungs- und
Waschzwänge (62%)
- Wiederholungszwänge
(49%)
- Ordnungszwänge (46%)
- Kontrollzwänge (36%)
- Zählzwänge (16%)
- Sammel- /
Aufbewahrungszwänge
(15%)
27
Zwangsstörungen
Inhalte und Häufigkeit von
Zwangsgedanken und –handlungen (II)
• Zwangsgedanken
- Verschmutzungsängste
(47%)
- religiöse Inhalte (29%)
- aggressive Impulse (27%)
- auf den eigenen Körper
bezogene Ängste (26%)
- ein schlechtes Gewissen
erzeugende Ängste (22%)
- Symmetriewünsche (15%)
- sexuelle Inhalte (7%)
- Sammelimpulse (6%)
28
Zwangsstörungen
Häufigkeit von
psychischen Störungen
12-Monats-Prävalenzraten psychischer Störungen in %
∼ 15 – 30 % Gesamtmorbidität
Studie
Austra-
Deutsch- Niederland2
lande3
USA4
Diagnose:
lien1
Alkohol-/Drogen-Störungen
7.9
7.2
8.9
11.3
Schizophrenie / mögl. Psychos.
0.4
2.6
0.2
.05
Affektive Störungen
6.6
11.9
7.6
11.3
Angststörungen
5.6
14.5
12.4
17.2
Somatoforme Störungen
-
11.0
-
-
Essstörungen
-
0.3
0.4
-
15.5
31.1
23.2
29.5
Psychiatrische
Gesamtmorbidität
1: Andrews & Henderson 2001: Australian National Health Survey
2: Jacobi et al, 2004: German Health Interview and Examination Survey (GHS)
3: Bijl, Ravelli & van Zessen, 1998: Netherlands Mental Health Survery and Incicence Study (MEMESIS)
3: Kellser et al, 1994 national Comorbidity Survey.
30
Aus: Baumeister & Härter (2005): Epidemiologie . In: Handbuch der Klin. Psychol. und Psychother.
Lebenszeitprävalenzen psychischer Erkrankungen in
epidemiologischen Studien I: 80iger Jahre
Studie
ECA
MFS
USA 80-84
1981
>18
BRD 25-65
Alkohol-Missbr. /Abhängigkeit
13,7
13,0
Drogen-Missbr. /Abhängigkeit
0,6
1,8
Affektive Störungen
9,9
12,9
Angststörungen
15,1
13,9
Somatoforme Störungen
0,1
0,8
Schizophrene Störungen
1,6
0,7
Psychiatrische Gesamtmorbidität
31,4
32,1
Diagnose:
ECA:
MFS:
Epidemiological Catchment Area Programme
Münchner Follow-up Studie.
(Meyer et al., 2000, Nervenarzt 71:535-542: Lebenszeitprävalenz in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung)
31
Lebenszeitprävalenzen psychischer Erkrankungen in
epidemiologischen Studien II: 90iger Jahre
Studie
NCS
USA 90-92
15-54J
NEMESIS
Niederl.96
18-64
Alkohol- und Drogenmißbrauch
26,6
18,7
Affektive Störungen
19,3
19,0
Angststörungen
24,9
19,3
Eßstörungen Störungen
-
0,7
Schizophrene Störungen
0,7
0,4
Psychiatrische Gesamtmorbidität
48,0
41,2
Diagnose:
NCS:
NEMESIS:
National Comorbitity Study.
Netherlands Mental Health Survey and Incidence Study.
(Meyer et al., 2000, Nervenarzt 71:535-542: Lebenszeitprävalenz in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung)
32
Wie viele Kinder
haben einen
psychisch kranken Elternteil?
Familien und Kinder in Deutschland
Stat. Bundesamt (2005): Mikrozensus 2004
Anzahl der Einwohner
82.500.000
Anzahl der Familien insgesamt
22.415.000
Anzahl der Familien mit Kindern im
Haushalt (ca. 26% alleinerziehende;
84% Ehepaare)
12.568.000
Anzahl der Kinder insgesamt
20.741.000
Durchschnittliche Kinderzahl pro Familie
1,65
34
Kinder psychisch kranker Eltern
Quantitative Abschätzung der Problematik (Hochrechnung*)
Diagnose:
12-Monats- Anzahl d. Fam. mit
Prävalenz
einem psychisch
kranken Elternteil in
in
Deutschland bei
Deutschl.
halbierter Prävalenz
Anzahl der
Kinder bei
durchschn.
Kinderzahl
von 1,65
Alkohol-/Drogen-Störungen
7.2
450.000
740.000
Schizophrenie / mögl.
Psychos.
2.6
160.000
270.000
Affektive Störungen
11.9
745.000
1.230.00
Angststörungen
14.5
940.000
1.555.000
Somatoforme Störungen
11.0
690.000
1.140.000
Essstörungen
0.3
18.000
30.000
Psychiatrische
Gesamtmorbidität
31.1
ca. 2 Millionen
Familien
mind. 3
Millionen
Kinder
. *Gerundete Zahlen
12-Monats-PrävalenZ: Jacobi et al, 2004: German Health Interview and Examination Survey (GHS); Zahlen aus: 35
Baumeister & Härter (2005): Epidemiologie . In: Handbuch der Klin. Psychol. und Psychother
Welches Risiko haben
Kinder von psychisch kranken Eltern,
selbst eine psychische Störung
zu entwickeln?
Lebenslanges Erkrankungsrisiko für
Schizophrenie
(nach Propping, 1989, S. 146 f.)
Risikogruppen
Gesamtbevölkerung:
Erkrankungsrisiko
1%
W enn ein Elternteil an einer
Schizophrenie erkrankt ist:
12 %
W enn beide Eltern an einer
Schizophrenie erkrankt sind:
40 %
37
Lebenslanges Erkrankungsrisiko für affektive
Psychosen (schwere depressive Erkrankungen)
(Nach Propping, 1989, S. 181 f.)
Risikogruppen
Gesamtbevölkerung:
Wenn ein Elternteil an einer
bipolaren affektiven Psychose
erkrankt ist:
Wenn ein Elternteil an einer
unipolaren affektiven Psychose
erkrankt ist:
Wenn beide Eltern an einer
affektiven Psychose erkrankt sind:
Erkrankungsrisiko
5 - 10 %
9 - 21 %
8 - 15 %
56 %
38
Heritabilität: Varianzanteil, der durch
den genetischen Faktor erklärt wird
(McGuffin & Murray, 1991, S. 34)
Eigenschaft
Intelligenz-Quotient
Persönlichkeitseigenschaft
Extraversion
M anisch-depressive Erkrankung
Schwere (m ajor) Depression
Schizophrenie
Tuberkulose
Anorexie*
Bulim ie
Alzheim er (früher Beginn <65)**
Alzheim er (später Beginn <65)*
Heritabilität
48%
66%
86%
52%
63%
6%
76%
3%
46-63%
32%
*S. 205
**S.262
McGuffin & Murray: The new genetics of mental illness, 1991.
39
National Coalition for Health Professional Education in
Genetics
Heritabilitätsangaben für psychiatrische Erkrankungen
(http://www.nchpeg.org/cdrom/empiric.html; Zugr. Okt. 2005)
Erkrankung
Schizophrenie
Depression (Major Depr. Disord.)
Bipolare Störungen
ADHD
Autistische Spektrumstörungen
Angststörungen
Heritabilität
∼ 80 %
∼31 - 42* %
∼ 60 %
∼ 70 - 80 %
∼ 90 %
∼ 40 %
*Angaben in Metaanalysen
40
Angesichts
der sehr hohen Bedeutung
des genetischen Faktors
stellt sich die Frage:
Haben die Umwelteinflüsse
überhaupt noch einen
nennenswerten Einfluss?
Beispiel Depression:
Interaktion zwischen genetischen und Umweltfaktoren
(Caspi et al., Science, 2003 Influence of life stress on depression:
Moderation by a polymorphism in the 5-HTT gene)
•
Der „Botenstoff“ Serotonin spielt eine Schlüsselrolle bei der
Modulation zentralnervöser Prozesse und beim entstehen von
depressiven Symptomen
•
Deshalb spielen Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI=
Selective Serotonin Reuptake Inhibitors) bei der
Depressionstherapie eine bedeutsame Rolle.
•
SSRI hemmen die Wiederaufnahme von Serotonin in die
präsynaptische Endung; deshalb steht durch SSRI mehr
Serotonin im synaptischen Spalt zur Verfügung und die
serotoninvermittelte (serotonerge) Neurotransmission wird
gefördert.
42
Depression: Interaktion zwischen
genetischen und Umweltfaktoren
•
Auf dem Chromosom 17q11.2 ist das SerotonninTransporter-Gen (= 5-HT-Transporter-Gen oder kurz 5-HTTGen) .
•
Ein bestimmter Bereich (5-HTTLPR = „Promoterregion“) dieses
Gens hat ein kurzes (short) und ein langes Allel (long). D.h. die
Genausprägungen (= Allele) in diesem Bereich haben entweder
längere oder kürzere DNA-Ketten. Menschen haben deshalb
(s/s), (s/l), oder (l/l).
•
Im Gegensatz zu (l/l) haben Träger von (s/l) und (s/s) ein leicht
erhöhtes Risiko für Angststörungen und Depressionen
(Lesch et al. 1996).
43
Depression: Interaktion zwischen
genetischen und Umweltfaktoren
•
Die Arbeitsgruppe um Moffitt und Caspi untersuchte die Frage,
wie genetische Ausstattung und Umweltbelastungen
zusammenwirken.
•
Genetische Ausstattung: Über 800 Probanden wurden nach
dem 5-HTT-Gen eingeteilt in drei Gruppen (s/s), (s/l), (l/l).
•
Umweltbelastungen: Bei jedem Probanden wurde untersucht,
wie viele mit starkem Stress verbundene Lebensereignisse er
erfahren hatte.
•
Auswirkungen: Dann wurde untersucht, wie sich die
genetische Ausstattung und die Lebensereignisse auf spätere
depressive Symptome / Erkrankungen auswirken.
44
Depression: Interaktion zwischen
genetischen und Umweltfaktoren
( aus Caspi et al., 2003)
45
Depression: Interaktion zwischen
genetischen und Umweltfaktoren
( aus Caspi et al., 2003)
46
Depression: Interaktion zwischen
genetischen und Umweltfaktoren
(aus Caspi et al., 2003)
.50
.40
.30
.20
.10
47
Depression: Interaktion zwischen
genetischen und Umweltfaktoren
( nach Caspi et al., 2003)
Schlussfolgerungen von Caspi et al. aus dieser Untersuchung:
•
Die Annahme, dass es eine direkte Verbindung zwischen Genen
und psychischen Erkrankungen gibt, ist nicht sinnvoll und für die
Forschung nicht fruchtbar. Beispiel: In vielen Analysen zeigt sich
kein direkter Zusammenhang zwischen der genetischen
Ausstattung (hier: Serotonin-Transporter-Gen) und der
Psychopathologie.
•
Die Ergebnisse sprechen vielmehr dafür, dass die Gene über (die
Interaktion mit) Umweltfaktoren zu psychischen Erkrankungen
führen. Die genetische Ausstattung moderiert die
Umwelteffekte.
•
Die Entdeckung einer Gruppe von Menschen, die gegen Stress
geschützt ist, könnte langfristig das Tor zu einer wirksamen
präventiven Behandlung gegen Depressionen öffnen.
48
VORURTEILE
ZUR
GENETIK
• Genetische Einflüsse setzen sich immer durch.
Richtig ist vielmehr: Es gibt meistens keine
Zwangsläufigkeit, sondern hohe individuelle
Variation. Nur Wahrscheinlichkeitsaussagen
über die vermutliche Verletzlichkeit (nicht über
die Erkrankung selbst).
• Genetische Einflüsse sind höchstens biologisch (z.B.
Eingriffe in die Gene, Medikamente) beeinflussbar
oder überhaupt nicht beeinflussbar.
Das Gegenteil ist richtig: Gerade bei
Menschen, die eine hohe erblich bedingte
Verletzlichkeit haben, sind die Umwelteinflüsse
besonders wichtig sowohl im positiven wie auch
im negativen Sinne!
49
Was sind die
wichtigsten psychosozialen
Belastungsfaktoren
(Umweltbedingungen)
im Hinblick auf die Entwicklung
von psychischen Erkrankungen?
Die wichtigsten psychosozialen Risikofaktoren für die
Entwicklung von psychischen Störungen
bei Kindern und Jugendlichen:
Family Adversity Index (FAI)
n. Egle&Hofffmann, 1999; Schmidt & Göpel, 2003)
• Chronische Disharmonie in der Familie
• Niedriger sozioökonomischer Status
• große Familien und sehr wenig Wohnraum
• Kriminalität eines Elternteils,
• psychische Störung der Mutter.
51
Biographische Risikofaktoren für die Entstehung psychischer
und psychosomatischer Erkrankungen
(n. Egle & Hoffmann, 1999).
•
Niedriger sozioökonomischer
Status
•
Alleinerziehender Elternteil
•
Autoritäres väterliches
Verhalten
•
Arbeitslosigkeit
•
Große Familie mit geringem
Wohnraum
•
Verlust der Mutter
•
Scheidung, Trennung der Eltern
•
Unsicheres Bindungsverhalten
nach dem 12./18. Monat
•
Häufig wechselnde frühe
Beziehungen
•
Psychische Störungen der
Mutter / des Vaters
•
Sexuelle und/oder aggressive
Mißhandlung
•
Schwere körperliche
Erkrankungen der Mutter / des
Vaters
•
Längere Trennung von den
Eltern in den ersten 7
Lebensjahren
•
Chronisch krankes
Geschwisterkind
52
Wie ist die spezielle Konstellation
von psychosozialen
Risikofaktoren bei Kindern
von psychisch kranken Eltern?
Forschungsstand über psychosoziale
Belastungen:
Wie wirken sich psychische Erkrankungen der Eltern und
andere psychosoziale Belastungsfaktoren auf die
Entwicklung von Kindern aus?
a) Psychische Erkrankung zeitigt direkte
Auswirkungen
b) Indirekte Auswirkungen der psychischen
xxiErkrankung durch Erhöhung der
xxiWahrscheinlichkeit für zusätzliche
xxipsychosoziale Belastungsfaktoren
c) Verstärkung der ungünstigen Effekte bei
mehreren psychosozialen Belastungen
54
Direkte Auswirkungen psychischer Erkrankungen
auf die Kinder
Beispiel: Depressive Erkrankungen bei Müttern
Einschränkungen von depressiven Müttern im
Umgang mit ihren Kindern:
• Weniger Interesse, weniger emotionale Beteiligung im
Umgang mit dem Kind, weniger differenzierte Reaktionen
• Häufigere Äußerung von negativen Gefühlen und
Feindseligkeiten
• Passiveres Verhalten
• Eingeengtes Kommunikationsrepertoire
• Häufiger inkonsequentes Verhalten
• Fühlen sich leichter überfordert, erleben sich als weniger
kompetent
• Nehmen die Kinder häufig als auffällig und schwierig wahr
55
Indirekte Auswirkungen durch Erhöhung der
Wahrscheinlichkeit von zusätzlichen psychosozialen
Belastungen
Psychische Störungen bei einem Elternteil sind
überzufällig häufig mit weiteren psychosozialen
Belastungsfaktoren assoziiert:
• Häufigere Trennungserlebnisse der Kinder u.a. durch
Kliniksaufenthalte
• „Selective mating“: Psychisch Kranke haben häufiger
Partner mit psychischen Problemen
• Eheliche Disharmonie / Konflikte und erhöhte
Scheidungsraten
• Sozioökonomische Belastungen (z.B. Arbeitslosigkeit)
56
Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen bei den Eltern und
der Familiensituation des Kindes (Achse V MAS) 1: Belastungsverteilung,
wenn beide Eltern gesund sind
40
35
34
35
Prozent
30
25
20
20
15
11
10
5
0
0
Keine/normale
Belastungen
1
Umgrenzte
Belastungen
2
3-8
MehrfachExtrembelastungen belastungen
in der Familien- und Umfeldsituation des Kindes
57
Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen bei den Eltern und
der Familiensituation des Kindes (Achse V MAS) 1: Belastungsverteilung,
wenn ein Elternteil erkrankt ist
40
37
35
30
Prozent
30
25
24
20
15
9
10
5
0
0
Keine/normale
Belastungen
1
Umgrenzte
Belastungen
2
3-8
MehrfachExtrembelastungen belastungen
in der Familien- und Umfeldsituation des Kindes
58
Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen bei den Eltern und
der Familiensituation des Kindes (Achse V MAS) 1: Belastungsverteilung,
wenn beide Eltern erkrankt sind
40
38
34
35
Prozent
30
25
21
20
15
10
7
5
0
0
Keine/normale
Belastungen
1
Umgrenzte
Belastungen
2
3-8
MehrfachExtrembelastungen belastungen
in der Familien- und Umfeldsituation des Kindes
59
Zusammenfassung zum Forschungsstand:
Bei der Untersuchung von Kindern psychisch kranker Eltern ist eine
Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, die die Entwicklung dieser
Kinder beeinflussen und die in zwei Faktorenkomplexe gruppiert werden
können:
1) Die genetische (erbliche) Belastung: Kinder von psychisch
kranken Eltern haben häufig eine erhöhte Verletzlichkeit /
Anfälligkeit für psychische Erkrankungen.
2) Psychosoziale Vermittlungsprozesse: Kinder von
psychisch kranken Eltern leben häufig unter besonderen
psychischen und sozialen Belastungsfaktoren.
3) Für fast alle psychischen Störungen sind beide
Faktorenbereiche gleichermaßen wichtig.
60
Entwicklungsmodell der Schizophrenie mit ätiologischen und
Verlaufsfaktoren [Modell mit über 60 verschiedenen Faktoren]
(Mäki et al., Brit. Med. Bull. , 2005. [Predictors of schizophrenia])
61
Was können wir aus den Daten lernen?
Orientierung in der Komplexität
• Wie kann die Fülle der ätiologischen und
verlaufsbestimmenden Faktoren geordnet
werden?
• Welche Faktoren sind aus für die Entwicklung
der Kinder von psychisch kranken Elternvon
besonderer Bedeutung?
• Was sind die entscheidenden Aspekte?
62
Für die Entwicklung der Kinder sind
von besonderer Bedeutung:
• die Art und Weise der
Krankheitsbewältigung
• und die Qualität der
zwischenmenschlichen Beziehungen.
63
Wesentlicher Faktor 1:
Art und Weise der
Krankheitsbewältigung
• Einstellung der Eltern (Patient und Partner)
auf die Erkrankung
• Lebenspraktische familiale Organisation
• Kooperation der Familie mit Fachinstanzen
64
Wesentlicher Faktor 2:
Qualität der zwischenmenschlichen
Beziehungen
• Paarbeziehung zwischen den Eltern
• Beziehung der Eltern zu anderen Personen
(soziale Integration/ Isolation / Unterstützung)
• Eltern-Kind-Beziehung
• Beziehung des Kindes zu anderen Personen
innerhalb und außerhalb der Familie
65
Die bisherigen Forschungsergebnisse begründen folgende
Aussagen:
Kinder von psychisch kranken Eltern haben dann gute
Entwicklungschancen,
• wenn Eltern, Angehörige und Fachleute lernen, in sinnvoller
und angemessener Weise mit der Erkrankung umzugehen
und
• wenn sich die Patienten und ihre Kinder auf tragfähige
Beziehungen stützen können.
66
Kinder psychisch kranker Eltern
• Empirische Forschung
• Erfahrungsberichte der Betroffenen
• Schlussfolgerungen / Hilfen
67
Häufige Probleme der Patienten
und ihrer Partner bei der Krankheitsbewältigung
Bereiche der Krankheitsbewältigung:
(1) Einstellung auf die Erkrankung und Copingstrategien
(2) Familienorganisation
(3) Kooperation mit Fachleuten
Häufige Probleme bei Patienten und Angehörigen sind:
(1) Tabuisierung
(2) Verleugnung, Verdrängung der Erkrankung oder
Überbetonung, Fixierung auf die Erkrankung
(3) Überforderung oder Unterforderung im beruflichen und
familiären Alltag.
68
Häufige Probleme der Patienten
und ihrer Partner bei der Beziehungsgestaltung I
Häufige Probleme der Patienten sind:
(1) “Anklammern”: Die Patienten suchen verstärkt Unterstützung
bei Angehörigen und Freunden. Sie “klammern sich an” ihre
Angehörigen oder Freunde und überfordern sie damit
(Unsicherheit, Ängstlichkeit, Unselbständigkeit, Abhängigkeit,
Unselbständigkeit).
(2) Soziale Isolation: Die Patienten ziehen sich auf sich selbst
zurück. Sie scheuen sich, ihre sozialen Kontakte aufrecht zu
erhalten.
69
Häufige Probleme der Patienten
und ihrer Partner bei der Beziehungsgestaltung II
Häufige Probleme der Partner/Angehörigen sind:
Die Partner/Angehörigen/Freunde/Kollegen sind irritiert und unsicher
und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Daraus ergeben sich
folgende Verhaltensweisen:
- Emotionale Überreaktionen (“expressed emotions”):
- Ärgerliche, überkritische und aggressive Reaktionen
(Zurückweisung, nicht eingehen, Abwehren, “ich will meine Ruhe”)
- Überfürsorgliche Reaktionen (Hilfen, Unterstützung, “tut mir leid”)
- Resignation: Depressive Reaktionen, Erschöpfung, Desinteresse,
Entmutigung, Distanzierung, Abwendung)
70
Die wichtigsten Probleme der Kinder
Unmittelbare Probleme:
Wie wird die psychische Erkrankung der Eltern erlebt?
• Desorientierung und Angst: Sie können die Erkrankung
nicht einordnen und nicht verstehen.
• Schuldgefühle: Sie glauben, dass sie schuld sind. „Mama
ist krank/durcheinander/traurig“ weil ich böse war.
• Tabuisierung: Sie haben das (begründete) Gefühl, dass
sie mit niemandem darüber sprechen dürfen.
• Isolierung: Sie wissen nicht, mit wem sie darüber
sprechen können. Sie fühlen sich alleine gelassen, sie
ziehen sich zurück.
71
Die wichtigsten Probleme der Kinder
Folgeprobleme:
•
Betreuungsdefizit: Sie erhalten zu wenig Aufmerksamkeit.
•
Zusatzbelastungen: Sie sind durch zusätzliche Aufgaben
belastet (Haushalt, Kinderbetreuung).
•
Verantwortungsverschiebung (Parentifizierung): Sie
übernehmen Verantwortung für die Eltern.
•
Abwertungserlebnisse: Eltern und sie selbst werden von
anderen abgewertet.
•
Loyalitätskonflikte innerhalb der Familie: Das Gefühl, sich
zwischen Vater oder Mutter entscheiden zu müssen.
•
Loyalitätskonflikt nach außen hin: Sie schämen sich für die
Eltern: Konflikt zwischen Loyalität und Distanzierung.
72
Häufige Reaktionen der Kinder:
• Sie entwickeln auffällige Verhaltensweisen, die als “Hilferufe”
gedeutet werden können
ODER
• sie sind besonders unproblematisch und besonders brav und
fürsorglich und übernehmen sehr viel Verantwortung für die
Familie.
•
Sie ziehen sich zurück, schließen sich ab und grübeln über
ihre Situation nach
ODER
• Sie machen durch aggressives Verhalten oder andere
Verhaltensstörungen auf sich aufmerksam.
• Sie binden sich verstärkt an die Eltern
ODER
• sie wenden sich enttäuscht ab. D.h. sie schwanken zwischen
Loyalität und Distanzierung, indem sie versuchen, die
Familien zusammenzuhalten oder aus der Familie zu fliehen.73
Klinische Manifestationen:
Die Kinder entwickeln
• emotionale Störungen,
• aggressiv-ausagierende Syndrome,
• kinderspezifische Symptome und Syndrome
(z.B. Enuresis).
• oder überhaupt keine klininschen
Auffälligkeiten.
74
email von Renate N. :
“Wir mußten meine Mutter retten.
Nur wie?“
Erstes Gebot:
Die Mutter nicht anstrengen.
Zweites Gebot:
Die Mutter nicht aufregen.
Drittes Gebot:
Die Dämonen früh erkennen und
erforderliche Schutzmaßnahmen treffen.
Viertes Gebot:
Keine Informationen nach außen geben.
Fünftes Gebot:
Zusammenhalten
Sechstes Gebot:
Unauffällig bleiben.
75
Kinder psychisch kranker Eltern
• Empirische Forschung
• Erfahrungsberichte der Betroffenen
• Schlussfolgerungen / Hilfen
76
Was brauchen die Kinder und ihre Familien?
Die Antwort der Forschung:
(Was ist prognostisch bedeutsam?)
• Ein tragfähiges Netz von vertrauensvollen persönlichen
Beziehungen
• Hinreichende und aufeinander abgestimmte Hilfsangebote,
die von der Familie genutzt werden können und auch
tatsächlich genutzt werden: Sozialpädagogische, psychoedukative und therapeutische Hilfestellungen
77
Was brauchen die Kinder und ihre Familien?
Die Antworten der betroffenen Kinder:
(Was hilft Dir oder was hätte Dir geholfen?)
• Gesprächsangebot und Gesprächsmöglichkeit
• mit der Möglichkeit, die eigenen Erfahrungen ohne Angst
und ohne Schuldgefühle offen anzusprechen
• Anerkennung der Realität
• Aufklärung über die Situation
• Kontakte zu anderen außerhalb der Familie
• und viele (unterschiedliche) konkrete Hilfen.
• Später eventuell: Therapiemöglichkeit
78
Was brauchen die Kinder und ihre Familien?
Die Antworten der betroffenen Patienten und ihrer
Partner:
(Was hilft Ihnen oder was hätte Ihnen geholfen?)
Die Antworten fallen extrem unterschiedlich aus, beginnend
mit der Äußerung “ich brauche keine Hilfe”.
Diejenigen, die ihre Erkrankung gut bewältigt haben oder
die mit der Erkrankung ihres Partners gut zurechtkommen,
geben ähnliche Antworten wie die Kinder.
79
Schützende/positive Faktoren und
die Ziele präventiver Arbeit – Teil I:
(vergl. Hierzu: „Facts for families“ zum Thema „Kinder psychisch kranker
Eltern“ http://www.kjp.uni-marburg.de)
• Wenn die Kinder wissen, daß ihre Eltern krank sind und
sie nicht an dieser Erkrankung schuld sind.
• Eine sichere und stabile häusliche Umgebung trotz der
Erkrankung des Elternteils.
• Das Gefühl, auchvon dem kranken Elternteil geliebt zu
werden.
• Eine gefestigte Beziehung zu einem gesunden
Erwachsenen.
80
Schützende/positive Faktoren und
die Ziele präventiver Arbeit Teil II:
(vergl. Hierzu: „Facts for families“ zum Thema „Kinder psychisch kranker
Eltern“ http://www.kjp.uni-marburg.de)
• Freunde.
• Interesse an der Schule und Erfolg in der Schule.
• Andere Interessensgebiete des Kindes außerhalb der
Familie.
• Individuelle Ressourcen: Bewältigungsstrategien,
positives Selbstwertgefühl.
• Hilfe von außerhalb der Familie, zum richtigen
Zeitpunkt und in der richtigen Dosierung, um Situation
zu verbessern.
81
Notwendige Hilfen I
Hilfen für die erkrankten Eltern und ihre Partner:
• Individuelle Therapie (z.B. medikamentös, Psychotherapie)
auf der Grundlage ausführlicher Information (Transparenz)
• Hilfe bei der Gestaltung des Familienlebens und anderer
persönlicher Beziehungen (z.B. Angehörigengruppen)
• Beratung und praktische Hilfen bei der beruflichen
Rehabilitation
82
Notwendige Hilfen II
Prävention und Frühförderung für die Kinder
• Kindbezogene Information und Beratung für die Eltern (z.B.
durch klinische Kooperationsprojekte Erwachsenen- und
Kinderpsychiatrie)
• Praktische Hilfen für die Familie (z.B. Aktivierung von
Verwandten; entlastende Kinderbetreuung; sozialpäd.
Familienhilfe; Mutter-Kind-Einheiten, in die Mütter und
Kinder gleichzeitig aufgenommen werden können.)
• Entwicklungsförderung für die Kinder (z.B. Frühdiagnostik
und Frühförderung der Kinder; Kinderprojekte;
psychotherapeutische Hilfen)
83
Beratung der Eltern
Elternberatung
Ziele
Merksätze
1. Auf eigenen
psychischen
Gesundheitszustand
achten
2. Hilfe in Anspruch
nehmen
Sie können Ihrem Kind am
besten helfen, wenn Sie
auch auf sich selbst
achten.
Jeder soll von sich das
verlangen, was er leisten
kann.
3. Probleme der Kinder
realistisch einordnen
Die meisten Probleme
ihres Kindes haben nichts
mit ihrer Erkrankung zu
tun.
85
Elternberatung
Ziele
Merksätze
4. Sicherheit im Gespräch Jeder braucht
Vertrauenspersonen, mit
gewinnen
denen der persönliche
Fragen besprechen kann.
5. Kontakte der Kinder
Auch Ihr Kind braucht noch
zulassen
andere Menschen.
6. Das Verständnis der
Kinder fördern
Je besser Ihr Kind die
Situation versteht, umso
besser kann es damit
zurechtkommen.
86
Elternberatung:
Themen, die mit den Eltern besprochen werden sollten
• Wie gut können Sie ihren Gesundheitszustand
einschätzen?
• Welche alltäglichen Pflichten können sie schaffen und wo
benötigen Sie Hilfe?
• Wo hat ihr Kind Schwierigkeiten? Haben diese Probleme
etwas mit ihrer Erkrankung zu tun?
• Mit wem können Sie über persönliche sprechen, wenn sie
sich unsicher fühlen?
• Wie können Sie die Kontakte ihres Kindes zu anderen
Menschen fördern?
• Wie können Sie mit ihrem Kind über ihre Erkrankung
sprechen?
87
Beratung für Kinder und
Jugendliche
Qualitative Befragung von Kindern und Jugendlichen zwischen 7
und 18 Jahren (vgl. Lenz, 2005)
Informationswünsche
Kinder und Jugendliche wünschen sich Informationen:
• Wie sie sich dem erkrankten Elternteil gegenüber
verhalten sollen.
• Wie sie Mutter oder Vater unterstützen können
• Über „Wesen“ und Ursachen der psychischen Erkrankung
• Über die Gefahr einer Verschlimmerung
• Über Heilungsmöglichkeiten
• Über Medikamente
• Über Erbeinflüsse (insbes. Jugendliche)
89
Qualitative Befragung von Kindern und Jugendlichen zwischen 7
und 18 Jahren (vgl. Lenz, 2005)
Erwünschte Unterstützungsangebote:
• Information und Aufklärung
• Austausch und Kommunikationsmöglichkeit
• Einbeziehung in die Behandlung (insbes.
Jugendliche)
• Aufklärung der Öffentlichkeit über psychische
Erkrankungen
90
Beispiele für präventive Initiativen
• Stationär-psychiatrische Behandlung von Müttern mit
ihren Kindern (Dr. Hartmann, Heppenheim; Dr. Hornstein,
Wiesloch bei Heidelberg)
• Präventive Arbeit mit Müttern und ihren Babys im
Tagesklinischen Setting (Dr.Deneke, Lüders, Hamburg)
• Präventionsgruppen für Kinder psychisch kranker im
Schulalter (Auryn Freiburg, Frankfurt)
• Ambulante Präventionsprojekte (KIPKEL Staets, Dr. Hipp;
Haan, Hilden)
• Ambulante Beratungssprojekte (Balance, Heidelberg)
• Informationshefte und Informationsbroschüren (Aktion
psychisch Kranke) und Kinderbücher
91
Informationsmaterialien
92
93
94
95
Die Broschüren sind erhältlich bei:
Gemeinsame Geschäftsstelle des BApK und des Dachverbandes
Gemeindepsychiatrie e.V.
Am Michaelshof 4b
53 177 Bonn
Fax: 0228 / 65 80 63
Verbände:
Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V.
Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V.
Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V.
http://www.psychiatrie.de
96
Sonnige Traurigtage
Illustriertes Kinderfachbuch für Kinder
psychisch kranker Eltern und deren
Bezugspersonen
von S. Homeier
97
Projekte / Initiativen
98
99
100
101
102
Prävention / Frühe Intervention
103
104
105
106
107
108
Stunde 7...
109
Selbsthilfe - Initiativen
110
111
112
Weiterführende Literatur
• Remschmidt, H. & Mattejat, F.: Kinder psychotischer Eltern.
Hogrefe, Göttingen, 1994.
• Mattejat, F. & B. Lisofksy (Hrsg.): ... nicht von schlechten
Eltern. Kinder psychisch Kranker. Psychiatrie-Verlag, Bonn, 2.
ergänzte Auflage, 2000. 4. Auflage, 2004.
• Themenheft „Kinder psychisch kranker Eltern“ der Zeitschrift
Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, Band 50
(Heft 7), 2001.
• Schone, R. & Wagenblass, S.: Wenn Eltern psychisch krank
sind.... Kindliche Lebenswelten und institutionelle
Handlungsmuster. Votum, Münster, 2002.
• Lenz, A.: Kinder psychisch kranker Eltern. Hogrefe. Göttingen,
113
2005.
Mattejat, F., Lisofsky,
B. (Hrsg.): Nicht von
schlechten Eltern.
Kinder psychisch
Kranker. PsychiatrieVerlag, Bonn, 5. Aufl.
2005.(1. Aufl. 2001)
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Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit
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