Skript Finanzpolitik WS 2011-12

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Prof. Dr. Hans Schumacher
WS 2011-12
Staatliche Finanzpolitik
Gliederung:
1
Grundlagen staatlicher Finanzpolitik ......................................................... 1
1.1
Bedeutung der Finanzpolitik ........................................................................................... 1
1.2
Finanzpolitik im geschichtlichen Wandel ....................................................................... 1
1.3
Konzeptionelle Grundlagen zur Finanzpolitik................................................................ 3
1.4
Träger staatlicher Finanzpolitik ...................................................................................... 4
1.5
Aufgaben und Ziele der Finanzpolitik ............................................................................ 5
1.5.1
1.5.2
1.5.3
Die Oberziele der Finanzpolitik ................................................................................................. 5
Zielbeziehungen und Zielkonflikte ............................................................................................ 7
Wandel der finanzpolitischen Ziele............................................................................................ 8
1.6
Zusammenfassung: Ziele, Gesetze und Restriktionen.................................................... 9
2
Marktversagen und Staatliche Finanzpolitik ............................................ 12
2.2
Volkswirtschaftliche Güterklassifikation ...................................................................... 12
2.2
Öffentliche oder meritorische Güter.............................................................................. 14
3.
Finanzverfassung: Gesetzliche Grundlagen ............................................. 15
4.
Grundsätze und Haushaltskreislauf .................................................................... 17
4.1
Grundsätze der öffentlichen Haushaltsführung ........................................................... 17
4.2
Der Haushaltskreislauf (4-Phasen)............................................................................... 17
4.3
Inhaltlicher und struktureller Überblick zum Staatshaushalt ..................................... 18
4.3.1
4.3.2
4.3.3
Die Einnahmenarten................................................................................................................. 18
Kreditfinanzierung des Haushalts ............................................................................................ 19
Die Ausgabenarten ................................................................................................................... 20
5
Der öffentliche Haushalt im Einzelnen..................................................... 23
5.1
Der Haushaltsplan des Bundes 2007............................................................................. 23
5.2
Der Bundeshaushalt im Entwurf für 2008.................................................................... 25
5.2.1
5.2.2
5.3
Die Einnahmen im Bundeshaushalt 2008................................................................................. 26
Die Ausgaben im Bundeshaushalt 2008................................................................................... 27
Die Entwicklung der Bundesschulden und Zinslasten................................................. 28
II
5.4
5.4.1
5.4.2
5.4.3
Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes.............................................................. 29
Der Finanzplan des Bundes 2007 – 2011................................................................................. 29
Nettokreditaufnahme des Bundes bis 2011 .............................................................................. 30
Die Zinslasten im Bundeshaushalt ........................................................................................... 31
5.5
Entwicklung ausgewählter Einzelpläne ........................................................................ 32
5.6
Der föderale Finanzausgleich in Deutschland ............................................................. 34
6
Zur öffentlichen Verschuldungslage ......................................................... 38
6.1
Schulden und Schuldenstandsquoten............................................................................ 38
6.2
Entwicklung der Finanzierungssalden.......................................................................... 39
6.3
Entwicklung der Steuer-, Abgaben- und Staatsquoten................................................. 40
6.3.1 Steuer- und Abgabenquoten ............................................................................................ 40
6.3.2 Die Staatsquote......................................................................................................................... 45
6.3.3 Das Wagner´sche Gesetz.......................................................................................................... 48
7.
Steuerliche Grundüberlegungen................................................................ 50
7.1
Steuerinzidenz................................................................................................................. 50
7.2
Steuereffizienz ................................................................................................................ 51
7.3
Steuergerechtigkeit ......................................................................................................... 52
7.3.1
7.3.2
Äquivalenzprinzip .................................................................................................................... 52
Leistungsfähigkeitsprinzip ....................................................................................................... 54
8
Zur Problematik der Ökosteuer ................................................................. 56
8.1
Volkswirtschaftliche Vorüberlegungen zur Ökosteuer................................................. 56
8.2
Ökologische Steuerreform in Deutschland ................................................................... 57
8.3
Kritik an der Ökosteuer in Deutschland........................................................................ 58
8.4
Ökosteuer als Entropiesteuer ......................................................................................... 60
Literaturhinweise................................................................................................ 61
Anhang .................................................................................................................................. 62
1
Staatliche Finanzpolitik
1 Grundlagen staatlicher Finanzpolitik
1.1 Bedeutung der Finanzpolitik
Die Finanzpolitik umspannt einen weiten Bereich politischer Aktivitäten. Neben der Geldund
Konjunkturpolitik
hat
sie
die
Funktion
eines
volkswirtschaftlichen
Steuerungsinstrumentes inne. Die Grundelemente der Finanzpolitik im Rahmen der
Gestaltung des Staatshaushalts sind die Einnahmen des Staates, sowie seine Ausgaben. Hinter
diesen beiden Begriffen verbergen sie komplexe modelltheoretische Ansätze, auf die im
folgendem noch vertieft eingegangen wird. Vorwegzunehmen ist die Tatsache, dass es in der
Finanzpolitik keine exakte Vorgehensstrategie gibt. Sowohl wirtschaftliche Randbedingungen
als auch formulierte Zielvorstellungen unterliegen dynamischen Prozessen.
Derzeit trägt das Medieninteresse und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu einem
stetigen Bedeutungszuwachs finanzpolitischer Entscheidungen bei. Dies erklärt sich durch
ihre direkten Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Lage, dass beispielsweise
Produktionsstandorte aufgrund der Steuergesetzgebung in das Ausland abwandern und somit
indirekt die Arbeitslosigkeit erhöhen. Aber noch unmittelbarere Folgen hat der Einfluss der
Finanzpolitik auf das Einkommen bzw. auf das Steueraufkommen eines jeden Konsumenten.
Dies stellt die Finanzpolitik in den Mittelpunkt des Interesses und macht sie zum Maßstab für
die Beurteilung der wirtschaftspolitischen Kompetenz einer Regierung.
1.2 Finanzpolitik im geschichtlichen Wandel
Wirtschaftspolitische Sichtweisen und Ansätze unterlagen in den letzten Jahrhunderten einem
kontinuierlichen Prozess der Weiterentwicklung. Es empfiehlt sich eine Einteilung in drei
bedeutende Zeitintervalle.
In der ersten Phase von der Reformation bis in das 17. und 18. Jahrhundert war der
Merkantilismus vorherrschend in der Wirtschaftslehre. Er wurde bestimmt durch das
persönliche Führungsverhalten des herrschenden Souveräns. Eine Trennung zwischen den
öffentlichen Haushalten und dem Haushalt des Souveräns gab es zu ihrer Zeit noch nicht. Ziel
ihrer wirtschaftspolitischen Maßnahmen war die Hebung der produktiven Kräfte im Handel,
Gewerbe und der landwirtschaftlichen Produktion. Die Entfaltung der Produktivkräfte
förderte zum einen die Wirtschaft und stärkte zum anderen das Ansehen und die Macht des
Staates. Oftmals führte es aber zu einem Anstieg des Staatsschatzes, wie das z.B. in Preußen
der Fall war. Führende Köpfe der Finanzwissenschaft jener Tage erkannten bald, daß dieses
staatliche Schätzesammeln“ durch eine nützliche Verwendung der Geldmittel zu ersetzen sei,
um einen erhöhten Nutzen für das Volkseinkommen zu erzielen. Es herrschte die Auffassung
vor, dass ein Staat ohne Staatsschuld entweder zu wenig für seine Zukunft unternehme. Hier
entwickelt sich langsam das Gedankengut, daß eine gezielte Ausgabenpolitik, bis hin zur
Staatsverschuldung, einen Entwicklungsimpuls für die Gesamtwirtschaft bedeuten kann.
Die zweite Phase ist gekennzeichnet durch das Aufkommen neuer wirtschaftspolitischer
Theorien für das industrielle Zeitalter, deren Anhänger später von Keynes als Klassiker
2
bezeichnet werden. Allen voran stehen hier wegweisende Gedanken der Herren Adam Smith,
Jean-Baptiste Say und David Ricardo im Vordergrund.
Die Grundintention Adam Smiths ist die Betrachtung der ökonomischen Folgen der
Ausgabenpolitik eines Staates. Dazu trifft er die Unterteilung in produktive und unproduktive
Arbeit, wobei dem Staat vorgeworfen wird, seine Ausgaben in unproduktive Arbeit zu
investieren und somit der Volkswirtschaft kein direkter Nutzen entsteht. Vorteilhafter wäre
die Investition in produktive Arbeit, was sofort mit einem Anstieg des Volkseinkommens
gleichzusetzen wäre. Dies widerspricht der Meinung, die bereits in der Endphase des
Merkantilismus vertreten wurde. Hier wurde geäußert, daß die Ausgabenverwendung für
öffentliche Güter, wie z.B. für Polizei und Militär, „zu einer Umverteilung der
gesamtwirtschaftlichen Nachfrage“ beitrage. Heute spricht man von einer Beeinflussung der
Einkommensverteilung und somit des Konsumverhaltens.
Jean Baptiste Say war ein Verfechter der Gedanken von Adam Smith. Er stellte alle
Funktionen des Staates hinter die für ihn am wichtigsten erscheinende Funktion der
Steuererhebung. Das Bemühen des Staates sollte es dann sein, steuerliche Regelungen zum
Wohle einer volkswirtschaftlichen Entwicklung zu erlassen.
Während Adam Smith die Betonung auf die Ausgabenseite der staatlichen Finanzpolitik legt,
übt David Ricardo Kritik an der damit verbundenen Schuldenpolitik. Er sieht in der
öffentlichen Kreditfinanzierung die größte Gefahr für den Staat. Nicht die
Schwerpunktsetzung auf die Ausgabenpolitik liegt in seinem Interesse, sondern vielmehr die
Übernahme einer reinen Finanzierungsfunktion durch den Staat. Seine Aktivitäten sollen sich
verstärkt auf die Einnahmeseite, d.h. Steuerung fiskalpolitischer Maßnahmen sowie Kontrolle
öffentlicher Kreditaufnahme, konzentrieren.
Man erkennt deutlich den Unterschied der beiden letztgenannten Ansätze zu Adam Smiths,
welche genau entgegengesetzt gerichtet sind. Hier sieht man schon, daß es sehr schwierig ist,
die verschiedenen Theorien zu beurteilen, da unterschiedliche gesellschaftsphilosophische
Denkweisen mit einfließen. Alle Modelle sind abhängig von der Definition der Rolle, die der
Staat in einer Volkswirtschaft übernehmen soll.
Die dritte Phase wurde durch die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre dieses Jahrhunderts
eingeleitet. Hier halfen die klassischen Ansätze der Parallelpolitik, die dem Staat eine passive
Rolle zuwiesen, nicht weiter. John Mayard Keynes war der erste, der erkannte, daß der Staat
die Möglichkeit hat, mit Hilfe gezielter und zeitweise forcierter Ausgaben- und
Einnahmepolitik, eine Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Lage zu erreichen. Nach
dem Inkrafttreten des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes von 1967 wurde der Finanzpolitik
vorrangig eine Stabilisierungsfunktion zugewiesen. Den Konjunkturschwankungen der
Wirtschaft wurde aktiv entgegen gesteuert, indem in Boomphasen durch Steuereinnahmen die
Wirtschaftsentwicklung gedämpft bzw. in der Rezession durch erhöhte Ausgaben und
Investitionen die Wirtschaft wieder angekurbelt wurde.
3
1.3 Konzeptionelle Grundlagen zur Finanzpolitik
Es gibt zwei unterschiedliche Auffassungen von Wirkmechanismen in der Volkswirtschaft:
Das Klassische Modell und das Keynesianische Modell. Diese Modelle beschreiben den
Zusammenhang zwischen Preisen und Löhnen auf der einen Seite und Angebot und
Nachfrage dieser Größen auf der anderen Seite.
Innerhalb des Klassischen Modells, das die mikroökonomische Betrachtungsweise in den
Vordergrund stellt, sind alle Preise und Löhne vollkommen flexibel, daher reagieren die
Preise und Löhne sehr schnell auf Nachfrage- und Angebotsüberhang beseitigen diesen und
bilden daher immer wieder ein Gleichgewicht. Soweit die Löhne sofort angepasst werden,
und jeder Arbeitnehmer bereit ist zum aktuellen Lohn zu arbeiten, kann es nach diesem
Modell zu keiner Zeit eine unfreiwillige Arbeitslosigkeit geben.
Diese Sicht der Volkswirtschaft hat zur Folge, dass wirtschaftspolitische Maßnahmen im
allgemeinen und finanzpolitische Maßnahmen im besonderen keine Auswirkung auf das
Produktionsniveau und die Arbeitslosigkeit haben.
Die Klassische Wirtschaftstheorie vermochte keine befriedigenden Antworten auf die
Ursachen und Auswege aus der großen Depression der Weltwirtschaftskrise geben. Vor
diesem Hintergrund entwickelte der Engländer John M. KEYNES einen bis dahin völlig
neuen makroökonomischen Modellansatz, der einen besseren Zugang zur Erklärung der
großen weltwirtschaftlichen Depression öffnete.
Es geht im Gegensatz zum Klassischen Modell ging Keynes von nicht völlig flexiblen Preisen
und Löhnen aus. In einer Unterbeschäftigung mit hoher Arbeitslosigkeit und nicht
ausgelasteten Kapazitäten führt eine Veränderung der Gesamtnachfrage nicht unmittelbar zu
Preissteigerungen, sondern unmittelbar zu einer Veränderung der Produktion.
Das bedeutet, dass Angebot und Nachfrage nicht immer ausgeglichen sind, und dass es ein
Überangebot von Gütern und Arbeit geben kann. Daher ist es mit diesem Modell möglich im
Gegensatz zum klassischen Modell auch das Phänomen der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit zu
erklären.
Eine Weiterentwicklung dieses Gedankenganges führt unmittelbar zu dem keynesianischen
Multiplikatormodell, das die Wirkungszusammenhänge zwischen der Veränderung der
gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und der Beschäftigungssituation beschreibt. Im
keynesianischen Multiplikatormodell wird eine für die Wirkung der finanzpolitischen
Instrumente
wichtige
Tatsache
aufgedeckt:
Die
Investitionen
haben
eine
Multiplikatorwirkung auf die gesamtwirtschaftliche Einkommenslage und daraus abgeleitet
auf das Produktions- und Beschäftigungsniveau. Wenn das Gesamteinkommen der
Beschäftigten zum Beispiel ausgelöst durch ein staatliches Investitionsprogramm steigt, wird
hierdurch eine Reihe von sekundären Konsumausgaben ausgelöst. Werden zum Beispiel von
einem zusätzlich verdienten Euro 0,90 Cent für den Konsum ausgegeben, beträgt also die
Konsumquote 90 %, so ergibt sich im Prinzip eine Multiplikatorwirkung von 10, wenn von
den zusätzlichen Effekten, die durch die Einbeziehung staatlicher Einflussnahmen (wie
Steuerund
Transferzahlung)
zunächst
einmal
absieht.
Die
tatsächliche
Einkommenssteigerung, die durch autonome Investitionen induziert werden, ist das 10fache
höher als der ursprüngliche Primäreffekt.
Erst durch diese Sichtweise wird die Wirkung des Einsatzes von finanzpolitischen
Instrumenten zur Erreichung von finanzpolitischen Zielen deutlich. Nachfolgend wird
genauer auf die Funktionen eingegangen.
4
1.4 Träger staatlicher Finanzpolitik
Im weitesten Sinne kann man auch die Sozialversicherungen zu den Trägern staatlicher
Finanzpolitik zählen, da deren Finanzhaushalte Einfluss nehmen auf die staatlichen Haushalte
im engeren Sinne. Zum Beispiel werden aus den Haushaltsmitteln des Bundes in nicht
unerheblichem Maße Finanzierungsmittel bereitgestellt für die gesetzlichen
Rentenversicherungen. Ebenso werden die Haushalts-Defizite und die Schuldenhöhe der
Sozialversicherungsträger einbezogen in die gesamtstaatlichen Defizit- und Schuldenquoten
nach dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt.
Um die Ziele einer gewünschten Finanzpolitik zu erreichen, bedarf es nicht nur eines
Kataloges verschiedenster Instrumentarien, sondern auch eines institutionellen Rahmens.
Schließlich sollen alle wirtschaftspolitischen Steuerungsmaßnahmen „in die Praxis“
umgesetzt werden, d.h. in die Durchführungsphase gelangen.
Die Hauptträger der staatlichen Finanzpolitik sind bei uns mit dem föderalen Staatsaufbau:
•
•
•
der Bund
die Länder
die Kommunen (Gemeinden).
Zusätzlich existieren noch weitere Trägereinrichtungen, die sich unter dem Sammelbegriff der
Parafisci zusammenfassen lassen. Hierunter wird die intermediäre Finanzgewalt, also der
Bereich zwischen „Staat und Bürger“, verstanden. Diese Institutionen zeichnen sich dadurch
aus, weder erwerbswirtschaftlich noch bedarfsdeckungsorientiert zu arbeiten. In ihrem
Kompetenzbereich liegen Aufgaben des öffentlichen Interesses, sowie teilweise
Entscheidungsautonomie durch öffentlich rechtliche Kooperationsrechte, zur Lösung dieser
Aufgaben. Man unterscheidet diese klassischen Parafisci in vier größere Gruppen:
Sozialversicherungsträger
Unfall-, Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung
Fondswirtschaft
d.h. von organisatorisch in gewissem Maß selbständigen
Sondervermögen öffentlicher Haushalte, die für bestimmte, abgegrenzte
Aufgabenstellungen errichtet wurden (z.B. Lastenausgleichfonds für
den Ausgleich von Kriegs- und Nachkriegsschäden oder der
Erblasttilgungsfond für die Sonderschulden im Zuge der deutschen
Wiedervereinigung seit 1990).
Ständefisci oder Selbstverwaltungsinstitutionen der Wirtschaft
Kammern für die Bereiche Industrie und Handel, Landwirtschaft,
Arbeiter und Angestellte
Kirchenfisci oder Religionsgemeinschaften
Ein bedeutender Vorteil dieser auch Hilfs- oder Nebenfiskus bezeichneten
Trägereinrichtungen liegt in dem hohen Maß an Beweglichkeit durch ihre überschaubare
Größe und Struktur. Weiterhin werden durch eine effiziente Spezialisierung und
Arbeitsteilung langwierige Entscheidungsprozesse vermieden. Ihr hoher Bekanntheitsgrad
5
und ihre Bürgernähe tragen dazu bei, dass den Parafisci eine hohe Bedeutung in der
politischen Willensbildung zukommt.
Als letzte Komponente des öffentlichen Sektors sind noch die Öffentlichen Unternehmen zu
nennen. Diese umfassen alle Unternehmen im öffentlichen Eigentum, die neben
erwerbswirtschaftlichen Zielsetzungen auch oder überwiegend wirtschafts- und
gesellschaftspolitische Zielsetzungen zu erfüllen haben, z.B. Bahn, Bundesbank, kommunale
Verkehrs- und Versorgungsunternehmen. Allerdings haben sie unter finanzpolitischen
Gesichtspunkten nur einen indirekten Bezug auf die staatliche Ausgabenpolitik. Größere
Bedeutung kommt den Öffentlichen Unternehmen als Instrumente der Konjunkturpolitik, der
Sozialpolitik und der Strukturpolitik zu.
1.5 Aufgaben und Ziele der Finanzpolitik
Im Vordergrund der Finanzpolitik stehen gesellschaftspolitische Ziele. Diese lassen sich in
einzelne größere Teilbereiche aufschlüsseln. Früher war es die Konzentration auf die
Finanzierung der Staatsausgaben mittels einer Steuerpolitik. Durch einen Wandel der
Betrachtungsweise der gesamten Finanzpolitik trat dieses „fiskalische Ziel“ immer weiter in
den Hintergrund. Heute beziehen sich Zielsetzungsprozesse sowohl auf die Einnahme-, als
auch auf die Ausgabenseite des Staates.
1.5.1 Die Oberziele der Finanzpolitik
Entsprechend der multiplen Theorie des öffentlichen Haushalts von Musgrave1 hat die
staatliche Finanzpolitik simultan mehrere Aufgaben und Ziele zu verfolgen:
a) Budgetierte Haushaltsführung des Staates unter Beachtung bestimmter Grundsätze.
Aufgabe der staatlichen Organe ist es, jährlich einen Haushalt aufzustellen, der den
gesetzlichen Grundlagen entspricht.
b) Allokationsaufgabe: effiziente Gütererstellung und Warenverteilung
Die Allokation bezeichnet den Prozess, nach denen die Güter und Dienstleistungen mittels
dezentraler Entscheidungsprozesse nach ihre Quantität und Qualität sowie nach den
Präferenzen der der Wirtschaftssubjekte. Da die volkswirtschaftlichen Ressourcen im Prinzip
knapp sind, muss sich dieser Allokationsvorgang effizient (mit den gegebenen Mitteln einen
größtmöglichen Erfolg im Hinblick auf die Bereitstellung von Gütern/Dienstleistung unter
Beachtung der gesellschaftlichen Präferenzen (meritorischen Bedürfnisse nach Musgrave).
Die Aufgabe der Finanzpolitik besteht darin, mit Hilfe steuerlicher Instrumente die
Rahmenbedingungen für die Tauschvorgänge am Markt zu verbessern.
Die
Allokationsfunktion dient der Beeinflussung von Einsatz und Verwendung von
volkswirtschaftlichen Ressourcen, so dass es zu einem anderen Ergebnis kommt als es die
privaten Aktivitäten in marktwirtschaftlichen Abstimmungsprozess hervorgebracht hätten.
Die Allokationsfunktion muss in Situationen, in denen es zu Marktmängeln kommt, optimiert
werden. Dies kann bei öffentlichen Gütern durch die Internalisierung der externen Effekte
durch Steuern oder Subventionen erreicht werden. Das bedeutet, dass die externen Kosten, die
1
Musgrave, R.A., Die multiple Theorie des öffentlichen Haushalts, in: Finanztheorie, hrsg. von
Recktenwald, H.C., Köln/Berlin 1969, S. 87-106
6
durch das Angebot von öffentlichen Gütern durch den Staat entstehen auf den einzelnen durch
einnahme- und ausgabenpolitische Instrumente ausgeglichen werden.
Bei meritorischen Gütern wird dies durch staatliche Angebote und Förderung angestrebt.
Meritorische Güter unterscheiden sich von öffentlichen Gütern dadurch, dass diese durchaus
auch privat angeboten werden könnten. Zu diesen Gütern gehören beispielsweise
Schutzimpfungen, kostenlose Schulbücher und Sozialwohnungen. Dies ist aber, da bei
privaten Gütern die Ausschließbarkeit, durch den Preis, gegeben ist nicht von der Gesellschaft
erwünscht.
Maßstab für die die Beurteilung einer finanzpolitischen Maßnahme ist das so genannte
Pareto-Optimum: Die Allokation ist dann optimal, wenn kein Marktteilnehmer mehr besser
gestellt werden kann, ohne dass ein anderer schlecht gestellt würde.
c) Verteilungsaufgabe: „gerechte“ Einkommens- und Vermögensverteilung
Die aus den Marktprozessen resultierende „primäre“ Einkommensverteilung wird oft als
sozial ungerecht angesehen. Diese funktionelle Verteilung korrespondiert im Ergebnis mit
dem
Leistungsbeitrag
der
Produktionsfaktoren
im
Produktionsprozess.
Die
Distributionsfunktion (auch Verteilungsfunktion genannt) soll eine Veränderung der
Voraussetzungen und Ergebnisse der sich marktmäßig ergebenen Verteilung, insbesondere
von Einkommen und Vermögen, aber auch anderer Zielgrößen der Verteilungspolitik, wie
z.B. Chancen, Konsum und Nutzen erreichen.
Das heißt die Distributionsfunktion soll die Verteilung von Einkommen und Löhnen des
Einzelnen anders als sich diese im Marktprozess einstellen würde „richtig“ verteilen. Dies
kann zum einen „indirekt durch Beeinflussung der Einkommenserzielung [oder zum anderen ]
„durch direkte Umverteilung durch Steuern oder Transfers“ geschehen. Aber weiterhin bleibt
zu klären, was die „richtige“ Verteilung ist. Als Antwort auf die Frage kann Musgrave zitiert
werden: „Wir werden diese Schwierigkeit insbesondere bei der Auslegung der weithin
akzeptierten Behauptung behandeln, dass die Steuerpflichtigen in Übereinstimmung mit ihrer
„Leistungsfähigkeit“ besteuert werden sollten“.
Zentrale Aufgabe der staatlichen Finanzpolitik ist es, durch eine zielgerichtete steuerliche
Umverteilung (progressiver Steuertarif) und der Zahlung von Transfereinkommen an
bedürftige Bevölkerungskreise eine sozial gerechtere Verteilung der Einkommen und auch
der Vermögensverteilung zu erreichen.
d)) Stabilisierungsaufgabe: antizyklische Steuerung der Konjunktur
Dem Staat obliegt nach den Vorstellungen einer keynesianischen Wirtschaftspolitik die
Aufgabe, mit seiner Budgetgestaltung (Ausgaben und Einnahmen) korrigiert und antizyklisch
steuernd Einfluss zu nehmen auf den Konjunkturverlauf. Die Konjunktursteuerung nimmt
dabei Bezug auf das magische Viereck der zu verfolgenden gesamtwirtschaftlichen Ziele
(Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967):
•
•
•
•
Sicherung eines stabilen Geldwertes
Realisierung eines hohen Beschäftigungsstand
Verwirklungen eines stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstums
Verfolgung eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts.
Die Stabilisierungsfunktion ist erforderlich, da sich insbesondere die drei stabilitätspolitischen
Ziele (Geldwert – Beschäftigung – Außenwirtschaft) nicht automatisch einstellen. Die
Volkswirtschaft unterliegt in der Regel konjunkturellen Schwankungen von zyklisch
verlaufenden Boom- und Rezessionsphasen. Daher ist es erforderlich, dass die
finanzpolitischen Instrumente die konjunkturellen Schwankungen durch geeignete
Maßnahmen ausgleichen.
7
Die Notwendigkeit einer Stabilisierungspolitik wird durch den keynesianischen Ansatz
deutlich, der besagt, dass ein Automatismus in der Selbstregulierung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – wie ihn die Klassik unterstellt - nicht existiert, sondern
durchaus dauerhafte Ungleichgewichte mit hoher Arbeitslosigkeit auftreten können.
Bei der angestrebten Zielerreichung gilt allerdings zu beachten, dass dies grundsätzliche
Vorstellungen sind, die auch über den Weg anderer wirtschaftspolitischer Instrumente, wie
z.B. der Geldpolitik, umzusetzen sind. Sind es in der Geldpolitik die Zins- und Geldmengensteuerung, so steht auch der Finanzpolitik ein bestimmtes Instrumentarium an Handlungsmechanismen zur Verfügung.
e) Umwelt- und energiepolitische Ziele
Weitere Aufgaben einer staatlichen Finanzwirtschaft sind in den letzten Jahren
hinzugekommen wie zum Beispiel die Verfolgung von umweltpolitischen Zielen, weil in
diesem Bereich durch das Vorliegen von externen Effekten (Kosten) offensichtlich die
Marktmechanismen versagen.
Weitere Bereiche kommen in jüngster Zeit hinzu: Sicherung einer effizienten und
nachhaltigen Energiepolitik mit Hilfe staatlicher Eingriffe (z.B. durch Zahlung von
Subventionen im erheblichen Umfang, regenerative Energiequellen (Windkraftwerke,
Solarenergie) zu erschließen.
1.5.2 Zielbeziehungen und Zielkonflikte
Die oben angeführten Ziele sind nicht isoliert zu betrachten, sondern sind Teil eines
Regelsystems, dessen Komponenten sich gegenseitig beeinflussen und somit in Beziehungen
zueinander stehen. Es lassen sich fünf Zielbeziehungen finden:
•
•
•
•
•
Identität: Ziele sind deckungsgleich; so ist z.B. die Preisstabilität mit der Vermeidung
von Schwankungen des Preisniveaus identisch.
Indifferenz: Ziele sind völlig unabhängig voneinander
Komplementarität: Ziele, die bei ihrer Erreichung zur Erfüllung anderer Ziele
beitragen oder positive Effekte haben; z.B. Vollbeschäftigung und wirtschaftliches
Wachstum
absolute Widersprüchlichkeit: Die Realisierung eines Zieles ist nur bei voller
Preisgabe anderer Ziele möglich; so können die Konsum- und die Investitionsquote
nicht gleichzeitig zu- oder abnehmen.
Konkurrenz: Die Verwirklichung eines Zieles (z.B. Vollbeschäftigung) beeinträchtigt
mit oder ohne zeitliche Verzögerung die Realisierung eines anderen Zieles.
Um das wirtschaftspolitische Instrumentarium der Finanzpolitik richtig anzuwenden, ist es
entscheidend, dass Vorhandensein dieser Zielbeziehungen zu erkennen und richtig zu deuten.
Herausbilden sollte sich ein objektives Rangordnungssystem, in dem die sachgerechteste
Reihenfolge bzw. Zielstaffelung enthalten ist. Dies ist auch notwendig, wenn man bedenkt,
dass sich die Stabilisierungspolitik zeitabhängig vollzieht und somit Maßnahmen, durch
unberücksichtigte Zielbeeinflussungen, nicht zu den gewünschten Erfolgen führen könnten.
8
Die oben aufgeführten finanzpolitischen Funktionen oder Aufgabenkomplexen können sich
jeweils paarweise in einem Zielkonflikt befinden.
Im Folgenden sind drei Zielkonflikte exemplarisch dargestellt:
a) Allokativ distributiver Zielkonflikt
Ein allokativ distributiver Zielkonflikt ist beispielsweise vorhanden, wenn öffentliche
Sozialleistungen durch hohe direkte (progressive) Steuern finanziert werden. Diese
Konstellation würde bei den Beziehern von hohen Einkünften ihre Leistungs- und
Risikobereitschaft aufgrund der hohen Steuern sehr stark abmindern.
b) Allokativ stabilisierungspolitischer Zielkonflikt
Zielkonflikte zwischen der allokativen und der stabilisierungspolitischen Funktion entstehen
z.B. dort, wo der Staat eine beschäftigungsorientierte Stabilisierungspolitik betreibt,
gleichzeitig aber die Allokationsfunktion aus den Augen verliert.
So würden beispielsweise Beschäftigungsprogramme im Bergbau oder der Stahlindustrie zu
einer Verlangsamung eines gesamtwirtschaftlichen Strukturwandels führen, was gerade im
Gegensatz zu der allokativen Zielsetzung in Form der Förderung von Zukunftstechnologien
(regenerative Energiequellen, Biochemie etc.) steht.
c) Stabilisierungspolitisch distributiver Zielkonflikt
Werden im Rahmen einer expansiven Stabilisierungspolitik steuerliche
Investitionsvergünstigungen oder Subventionen gewährt, so können diese zu ungleichen
Einkommens- und Vermögensverteilung führen. Diese ungleiche Verteilung widerspricht der
Distributionszielen, die gemeinhin an eine staatliche Finanzpolitik geknüpft werden.
1.5.3 Wandel der finanzpolitischen Ziele
Die konkreten Aufgaben der staatlichen Finanzpolitik leiten sich aus der jeweiligen
Wirtschaftsordnung ab. Diese hat im historischen Zeitablauf verschiedene Entwicklungsstufen
durchlaufen:
∇ In einer ‘klassischen’ Marktwirtschaft historischer Prägung übernimmt der Staat
nur allgemeine Regelungsfunktionen (Gesetzgebung, Rechtsprechung) war, ohne
den Wirtschaftsprozess darüber hinaus durch aktive Handlungen zu beeinflussen.
Der Staatshaushalt wird hier nur fiskalpolitisch zur Bedarfsdeckung, d.h. zur
Finanzierung der staatlichen Primäraufgaben (Verwaltung, Justiz, Innere und
äußere Sicherheit etc) eingesetzt und gestaltet.
∇ Mit der Entwicklung zur sozialen Marktwirtschaft (im engeren Sinne) nach dem
zweiten Weltkrieg übernahm der Staat bei uns aus seiner sozialen Verantwortung
heraus zusätzliche absichernde und umverteilende Funktionen (z.B.
Sozialversicherungen,
Sozialhilfe,
progressive
Einkommensteuertarife,
Subventionen).
∇ Aufgrund der immer wiederkehrenden Instabilitäten des Wirtschaftsverlaufs
(Konjunkturschwankungen, Beschäftigungsprobleme, Inflation) wurde im Rahmen
der gesamtwirtschaftlichen Steuerung (etwa ab Mitte der 1960er Jahre) versucht,
durch allgemein wirkende Maßnahmen - z.B. der Steuerpolitik oder der Zinspolitik
9
- den Wirtschaftsverlauf gezielt zu beeinflussen und die Konjunkturentwicklung zu
stabilisieren.
∇ Darüber hinaus wurde und wird versucht, durch gezielte Maßnahmen in
bestimmten Sektoren oder Regionen die Wirtschaftsstrukturen und das
Marktgeschehen zu beeinflussen, z.B. in der Agrarpolitik mit ihren
‘Marktordnungen’ oder durch Subventionszahlungen an einzelne Branchen (z.B.
Bergbau, Schiffbau). Hier kann man von einer interventionistischen
Marktwirtschaft sprechen, die mit den Instrumenten der Fiskalpolitik punktuell
verwirklicht wird.
Diese Elemente der sozialen Marktwirtschaft spiegeln sich in der staatlichen Finanzpolitik
und damit in den öffentlichen Haushalten wider.
1.6 Zusammenfassung: Ziele, Gesetze und Restriktionen
Zusammenfassend lassen sich die Ziele und die gesetzlichen Grundlagen der staatlichen
Finanzpolitik wie folgt schematisch darstellen:
STAATLICHE F I N A N Z P O L I T I K
Ziele/Aufgaben
♦
♦
♦
♦
Haushaltsführung/Budgetpolitik
Konjunkturstabilisierung
Redistribution/Sozialpolitik
Effiziente Allokation
Gesetzliche Grundlagen
♦
♦
♦
♦
Grundgesetz (inkl. Schuldenbremse ab 2011)
Jährliches Haushaltsgesetz
Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (1967)
EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt (19982004)
10
Die Aufgabenbereiche und Instrumente der Finanzpolitik setzen jeweils auf der Einnahmen
und Ausgabenseite des öffentlichen Haushalts an. Die Unterteilung in Einzelpläne
insbesondere auf der Ausgabenseite spiegeln die Aufgabenvielfalt der staatlichen
Finanzpolitik heute wider:
Haushaltsplanung
EINNAHMEN
•
•
•
•
Steuern
Gebühren
Beiträge
Sondereinnahmen
• Netto-Kreditaufnahme
AUSGABEN
•
•
•
•
•
•
•
Verwaltung
Verteidigung
Soziales
Verkehr
Subventionen
Internation. Institutionen
Zinszahlungen
(1) Höhe begrenzt durch die Schuldenbremse (Art. 215 GG)
(2) max. 3 % des BIP (EWWU-Konvergenzkriterium)
ZinsLast
Neu-Schulden
Alt-Schuldenstand
Staatliche Schuldenstandsquote
insgesamt: max. 60 % des BIP
Die Differenz zwischen der Einnahmen- und Ausgabenseite wird jeweils ausgeglichen durch
die Nettokreditaufnahme bei einer Unterdeckung und durch den Hauhaltsüberschuss – was in
der Realität weniger häufig vorkommt - bei einer Überdeckung. Die Nettokreditaufnahme
wird finanziert durch die Ausgabe neuer Bundeswertpapiere (je nach Laufzeit und
Konditionen unterscheidet man zwischen Schatzbriefen, Finanzierungsschätzen, Obligationen
oder Anleihen)2. In jedem Fall muss der Staat wie jeder Schuldner seine Finanzierungsmittel
sich über den allgemeinen Geld- und Kapitalmarkt besorgen und marktübliche Zinsen dafür
zahlen. Eine direkte Kreditaufnahme des Staates bei der Zentralbank (quasi auf dem kleinen
Dienstwege) ist gesetzlich ausgeschlossen.
2
Eine systematische Auflistung der Bundeswertpapiere befindet sich in der Anlage.
11
Die Höhe der erlaubten Nettokreditaufnahme zur Deckung der Haushaltslücke (bei Bund,
Ländern, Kommunen) ist durch zwei Bedingungen begrenzt:
(1) Begrenzte Höhe der staatlichen Schulden gemäß den Vorschriften zur neuen öffentlichen
Schuldbremse ab 2011 (Art. 115 GG)
Zusätzlich ist durch den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt (Vertrag von
Amsterdam) gefordert, dass die
(2) max. 3 % des BIP (EU-Defizitquote)
(3) Schuldenstandsquote insgesamt nicht die Grenze von 60% überschreiten sollte.
Exkurs: Gesetzliche Grundlagen der Schuldenbremse bildet der neue Art. 115 GG in
Verbindung mit Art. 109 GG (gemeinsame Verpflichtung von Bund und Ländern)
a) Nettokreditaufnahme: Mit der Nettokreditaufnahme ist das Aufnehmen neuer
Schulden zur Finanzierung von Defiziten des Haushalts gemeint. Sie beschreibt die
Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand, also nicht nur des Bundes, sondern auch die
der Länder und Gemeinden und der SV-Träger. Andererseits kann mit der
Nettokreditaufnahme aus der Sicht des Schuldenmanagements des Staates auch den
Saldo aus Schuldenaufnahme abzüglich Schuldentilgung am Kreditmarkt verstehen.
b) Artikel 115 GG (alte Fassung): Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im
Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten;
Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts.
Abgrenzungs-Problem: Was sind öffentliche Investitionen?
Artikel 115 GG (neue Fassung): (1) Die Aufnahme von Krediten sowie die
Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu
Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach
bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.
(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten
auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten
0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht
überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden
konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und
Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen
Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden
auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom
Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind
konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der
Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur
Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter
Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines
Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von
Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein
Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen
Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche
Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund
eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden.
Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach
Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu
erfolgen.
12
c) Der neue Art. 115 GG bildet die Grundlage für eine antizyklische Gestaltung der
Haushaltslage in Abhängigkeit von Konjunkturphase. Er bildet gleichzeitig die
Grundlage der neu vereinbarten und grundgesetzlich verankerten „Schuldenbremse“
für Bund und Länder nach Art. 109 GG), die schrittweise ab 2011 greifen soll und bis
2016 für den Bund einen ausgeglichenen Haushalt vorsieht. Für die Länder ist bis
2020 ein ausgeglichener Haushalt zwingend vorgeschrieben. Die möglichen
Ausnahmen des Kreditaufnahmeverbots sind explizit in Art. 109 GG beschrieben: (1)
Antizyklische Kreditaufnahme und –tilgung mit Kontrollkonto, (2) Naturkatastrophen
und außergewöhnliche Notsituationen (z.B. Finanzkrisen.
2
Marktversagen und Staatliche Finanzpolitik
2.2 Volkswirtschaftliche Güterklassifikation
Das volkswirtschaftliche Güterangebot lässt sich nach dem Charakter der Bereitstellung durch
private oder öffentliche Anbieter wie folgt einteilen:
•
•
Private Güter für den individuellen Verbrauch
Öffentliche Güter für die Gesellschaft als Ganzes
Charakteristische Merkmale für diese Differenzierung nach privaten und öffentlichen Gütern
sind:
• Ausschließbarkeit über den Preis
• Rivalität im Konsumverhalten.
Bei den privaten Gütern erwarten die Anbieter ein entsprechendes Leistungsentgelt über den
Preis. Wer diesen Preis nicht zahlen will, kann vom Konsum ausgeschlossen werden. Anders
sieht das bei den öffentlichen Gütern. Hier wird aus gesellschaftlichen Gründen bewusst auf
das individuelle Entgelt für die Nutzung dieser Güter verzichtet. Zudem existiert keine
ausgesprochene Konsumrivalität.
Neben diesen beiden Kategorien gibt es noch Mischformen, die sich dadurch auszeichnen,
dass einerseits bei gegebener Ausschließbarkeit über den Preis keine Konsumrivalität herrscht
(so genannte Kollektivgüter) und andererseits bei vorhandener Rivalität in der Nutzung kein
Ausschluss über den Preis sinnvoll oder möglich ist.
13
Kombinatorisch in Abhängigkeit von den Kriterien „Ausschließbarkeit“ (über den Preis) und
„Rivalität“ (im Konsum/in der Nutzung) folgende vier Unterfälle unterschieden werden:
Güter-Klassifizierungen:
Rivalität
in der Nutzung/
im Konsum
Ausschließbarkeit
Nicht-Ausschließbarkeit
über den Preis
über den Preis
Private Güter
• Nahrungsmittel
• Schuhe
• Fahrräder etc.
Nicht-Rivalität Kollektivgüter
in der Nutzung/
im Konsum
(Maut- oder Club-Güter)
• Feuerschutz
• Radio/Fernsehen
• Öffentl.Verkehrsmittel
• Bildung/Hochschule
Allmendegüter (common pool Good)
•
•
•
•
Fische im Meer
Almwiesen mit Kuhrechten
Umweltgüter
natürliche Ressourcen
Öffentliche Güter
(meritorische Güter)
• Straßenbeleuchtung
• Landesverteidigung
• Hochwasserschutz
• Öffentliche Sicherheit
(innere und äußere Sicherheit)
Zur Problematik des Angebots von Öffentlichen Gütern:
• Trittbrettfahrerverhalten (free rider behaviour)
• Kosten-Nutzen-Analyse für die Bereitstellung der öffentlichen Güter
• Positive Externalitäten ( sozialer Nutzen)
Zur Problematik der Common Goods und der gesellschaftlichen Ressourcen:
• Allmendeproblematik (Kollektiveigentum – Genossenschaftswesen etc.)
• Negative Externalitäten ( soziale Kosten)
• Bedeutung der Verfügungsrechte (property rights)
14
2.2
Öffentliche oder meritorische Güter
Bei öffentlichen Gütern kann (z.B. äußere Sicherheit) oder soll (Teile des Bildungswesens)
das Marktausschlussprinzip nicht angewandt werden, und es existiert keine Rivalität im
Konsum. Für das Angebot derartiger Güter, deren privatwirtschaftliche Produktion aufgrund
fehlender Rentabilität nicht erfolgt (z.B. innere Sicherheit) oder bei denen ein
privatwirtschaftliches Güterangebot gesellschaftspolitisch als zu gering eingeschätzt wird
(z.B. Bildung), ist der Staat zuständig.
Öffentliche Güter sind Güter, die ein öffentliches Bedürfnis decken (z.B. Straßenbau,
Infrastruktur, Verteidigung). Sie können von Privatpersonen selbst nicht erstellt werden,
sondern sie werden vom Staat bereitgestellt (auch bei eventuell fehlendem Privatbedürfnis,
weil es im öffentlichen Interesse liegt: so genannte meritorische Güter (z.B. Schulwesen).
Weiterhin besteht Nichtausschließbarkeit, d.h. dass jeder das Gut in Anspruch nehmen
könnte, ohne dafür zu bezahlen. Deshalb werden öffentliche Güter fast ausschließlich vom
Staat erstellt und über Abgaben finanziert.
Die Ursachen dafür, dass in dem Gemeinwesen die individuelle Nachfrage nach meritorischen
Güter (den Begriff hat R.A. Musgrave3 in die Literatur eingeführt – meritorisch =
verdienstvoll) zu gering ist und nicht den gesellschaftlich wünschenswerten Präferenzen
entspricht, können vielfältig sein:
•
•
•
•
Unvollständige Informationen der Konsumenten
Irrationale Entscheidungen wegen der komplexen Wirkungszusammenhänge
Falsche Zeitpräferenzen der Individuen
Vorliegen von externen Effekten, weil der individuelle Nutzen vom
volkswirtschaftlichen Nutzen abweicht.
Aus den vorgenannten Gründen bleibt die individuelle Nachfrage nach diesen
„verdienstvollen“ Gütern (Renten- und Haftpflichtversicherung, Sport, Bildung, Kultur etc.)
hinter dem gesellschaftlich wünschenswerten Niveau zurück. In solchen Fällen muss der Staat
im Hinblick auf die von ihm verfolgte gesellschaftliche Wohlfahrt die notwendigen
Prioritäten und Entscheidungen treffen, damit diese meritorischen Güter im notwendigen
Umfang angeboten und auch „konsumiert“ werden. Mit den Mitteln des Staatshaushalts sind
ihm die Instrumente an die Hand gegeben, hier korrigierend einzugreifen.
3
Musgrave, R. A.: A Multiple Theory of Budget Determination, in: Finanzarchiv 17(3), S. 333–343.
15
3. Finanzverfassung: Gesetzliche Grundlagen
Die gesetzlichen Grundlagen der öffentlichen Finanzwirtschaft sind breit angelegt und reichen
von Bestimmungen des Grundgesetzes mit Verfassungsrang bis zu einfachen Gesetzen und
Verordnungen, die es zu beachten gilt:
•
Art. 115 GG:
(1) Kreditaufnahme, Bürgschaften, Garantien oder sonstige Gewährleistungen
bedürfen der Ermächtigung durch ein Bundesgesetz;
Nettokreditaufnahme ist durch die Neufassung des Art. 115 GG im Zuge der
Einführung einer „Schuldenbremse“ für öffentliche Haushalte neu geregelt worden.
Danach ist der Staat (Bund und Länder) verpflichtet bis 2016 (Bund) resp. 2020
(Länder) für einen ausgeglichen Staatshaushalt zu sorgen. In der Übergangszeit ist die
jährliche Neuverschuldung sukzessive zu zurückzufahren.
•
Art. 104 und 109 GG Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaften von Bund und
Länder; gesonderte Ausgabengestaltung für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben. In der
Neufassung des Art. 109 GG werden die Länderhaushalte verpflichtet die Regeln zur
Schuldenbremse zu übernehmen und ihre Defizite bis 2020 zurückzufahren.
•
§ 13,2 BHO (Bundeshaltsordnung) und § 10,3 HGrG (Bundeshaltsgrundsätzegesetz)
Festlegung, was Ausgaben für Investitionen im haushaltsrechtlichen Sinne sind:
- Baumassnahmen (ohne militärische Anlagen)
- Erwerb von Sachanlagen und unbeweglichen Sachen
- Erwerb von Beteiligungen
- Gewährung von Darlehn
- Inanspruchnahme von Gewährleistungen
•
Bestimmungen des StWG (Stabilitäts- und Wachstumsgesetz) von 1967;
Ermächtigung zur antizyklischen Haushaltsgestaltung und Verpflichtung zur
mittelfristigen Finanzplanung (5-jähriger Finanzplan)
•
Art. 104 EGV (EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt)
- Defizitkriterium für Neuverschuldung (3 % des BIP)
- Schuldenstandskriterium (60 % des BIP)
- Sanktionsmechanismus bei „übermäßiger“ Neuverschuldung
Die gesetzlichen Grundlagen der deutschen Finanzverfassung sind in der folgenden
Übersicht4 dargestellt:
4
Vgl. Bajohr, St., Grundriss staatliche Finanzpolitik, 2. Auflage, Wiesbaden 2007
16
Finanzverfassung
im engeren Sinne
Art. 91a, 91b,
125c, 143c
GG:
Gemeinschafts
-aufgaben
Art. 104a-115
GG:
Das Finanzwesen
im weiteren Sinne
Haushaltsgrundsätzegesetz
(HGrG)
Stabilitätsund
Wachstumsgesetz
(StWG)
Bundeshaltsordnung (BHO)
Buchführungs- und Rechnungslegungsverordnung für das
Vermögen und die Schulden des
Bundes (VBRO)
Vertrag über die EU (EUV)
Vertrag zur Gründung der EG
(EGV)
Bundesbankgesetz (BBankG)
Abgabenordnung (AO)
17
4. Grundsätze und Haushaltskreislauf
4.1 Grundsätze der öffentlichen Haushaltsführung
Der Haushaltsplan ist eine systematisch gegliederte Zusammenstellung der für ein
Haushaltsjahr veranschlagten Ausgaben und der für ihre Deckung vorgesehenen Einnahmen
Die Einzelpläne der Ministerien sowie der obersten Behörden ergeben in Summe den BundesHaushaltsplan. Einige Grundsätze sind dabei zu beachten:
•
•
•
•
•
•
•
•
4.2
Grundsatz der Einheit und Vollständigkeit (Art. 110, Abs.1.1)
Grundsatz des Haushaltsausgleichs (Art. 110, Abs.1.2)
Jährlichkeitsgrundsatz (Art. 110, Abs.2)
Grundsatz der Vorherigkeit (Art. 110, Abs.2.1)
Bepackungsverbot (Art. 110, Abs.4.1)
Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit
Gebot der Gesamtdeckung
Fälligkeitsprinzip
Der Haushaltskreislauf (4-Phasen)
Die Aufstellung des jährlichen Haushalts unterliegt einer gewissen Systematik, die von den
beteiligten Akteuren (Bundesregierung (BFMI, BK), Parlament, Bundesrat) einzuhalten sind:
Phase
Aktivität
Institution
1
Vorbereitung, Aufstellung des Entwurfs
Beschlussfassung
Bewilligung
Weiterleitung Entwurf + Finanzbericht an BT
BMFI
Fi-Kabinett
Regierung
BKanzler
2
Parlamentarische Beratung des Entwurfs
Verabschiedung des HH-Gesetzes
Beratung im Bundesrat mit Änderungsvorschlag
3 Lesungen im Bundestag Haushalts-Gesetz
BT
BT
BR
BT
3
Vollzug des Haushalts-Gesetzes
Verwaltung
4
Kontrolle der Haushaltsführung
BRHof
18
4.3 Inhaltlicher und struktureller Überblick zum Staatshaushalt
4.3.1 Die Einnahmenarten
Die Finanzierung wirtschaftspolitischer Maßnahmen ist eine Grundvoraussetzung für das
Funktionieren eines ordnungspolitischen Systems. In der Fachliteratur findet man für diese
Finanzierungsfunktion zwei Ausprägungsformen, zum einen die Einnahmemöglichkeit durch
Steuererhebung, und zum anderen durch staatliche Kreditaufnahme. Hierbei handelt es sich
allerdings um eine Vereinfachung, welche noch feingliedriger aufgeschlüsselt werden kann.
Direkte und indirekte Einnahmen des Staates
Direkt
Indirekt
• Verkauf von öffentlichen Leistungen • Beiträge
öffentlicher Unternehmen / Anstalten • Gebühren
• Vermietung oder Verpachtung von
• Steuern / Zölle
Objekten des öffentlichen Vermögens • Zwangsanleihen
• Strukturveränderung des öffentlichen • Währungspolitische Maßnahmen
Vermögens durch Kreditaufnahme
• Bußen, Strafgelder,
oder Verkauf öffentlicher
entschädigungslose Enteignung
Vermögensobjekte
Eine weitere Unterteilungsstufe, neben der Beteiligung an der Marktwirtschaft, ist das
öffentliche Wirtschaften. Hierunter werden Zahlungsströme zwischen den
Gebietskörperschaften (Finanzausgleichszahlungen), sowie Zinszahlungen aus
Auslandskrediten zusammengefasst.
Das gesamte Steueraufkommen lässt sich nach folgendem Gliederungsschema einteilen:
Besitzsteuern
- vom Einkommen:
Einkommensteuer
Körperschaftsteuer
Gewerbesteuer
Kirchensteuer
- vom Vermögen:
Vermögensteuer
Erbschaftsteuer
Grundsteuer
Gewerbesteuer
Kirchensteuer
Verkehrsteuern
Umsatzsteuer
Grunderwerbsteuer
Kraftfahrzeugsteuer
Rennwett- und Lotteriest.
Spielbankabgabe
Kapitalverkehrsteuer
Versicherungssteuer
Wechselsteuer
Feuerschutzsteuer
Verbrauchsteuern
- auf Genußmittel, z.B.:
Tabaksteuer
Kaffeesteuer
Teesteuer
Schaumweinsteuer
Biersteuer
Getränkesteuer
- auf Verbrauchsgüter,
z.B.: Mineralölsteuer
Die Variation in der Erhebung der Steuern berücksichtigt nicht nur die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems, sondern unterliegt einem stetigen Korrekturprozess.
Hierbei wird die Steuer neuen volkswirtschaftlichen Randbedingungen angepasst. Ein
Beispiel hierfür ist die „kalte Progression“. Mit Zunahme der Einkünfte der Arbeitnehmer
durch Lohnerhöhungen und einer Inflation in gleicher Höhe stagniert das Realeinkommen.
Der steuerpolitische Effekt ist eine höhere Progressionsstufe des einzelnen, die Steuerquote
steigt und die reale Konsumnachfrage wird geringer.
19
4.3.2 Kreditfinanzierung des Haushalts
Der Staat nutzt die Möglichkeit, durch Einnahmen nicht gedeckte Ausgaben, also das
Haushaltsdefizit, mittels Kreditaufnahme zu decken.
Zweimal jährlich gibt der „Arbeitskreis Steuerschätzung“ seine Einnahmeprognosen ab.
Die Entscheidung, in welchem Ausmaß Kredite zur Finanzierung der Ausgaben
aufgenommen werden sollen, steckt insgesamt den Rahmen der Ausgabenplanung ab.
Insbesondere zwischen der Ausgaben- und der Kreditplanung ergeben sich einige
Wechselwirkungen.
Genau wie bei den Steuern existieren auch in der Kreditfinanzierung vielfältige
Möglichkeiten, an zusätzliche Einnahmen zu kommen. Man spricht auch von der Systematik
der öffentlichen Schuld. Hierbei treten die Gebietskörperschaften als Kreditnehmer auf. Als
Kreditgeber fungieren die Zentral- und Notenbank, die Geschäftsbanken, die
Kapitalsammelstellen, die privaten Haushalte und Unternehmen, sowie die
Gebietskörperschaften untereinander. Der Staat bietet zwei zu unterscheidende Schuldformen
an, die Briefschulden und die Buchschulden.
Briefschulden sind schuldrechtliche Wertpapiere, die auf den Inhaber lauten, z.B.
Schuldscheindarlehen,
Schatzwechsel,
Schatzanweisungen
und
Schuldverschreibungen
Buchschulden
entstehen
durch
den
Eintrag
in
ein
Schuldenbuch,
z.B. Bundesschatzbrief, Bundesobligationen, Bundesanleihen, Ausgleichsforderungen, Altverbindlichkeiten, Buchkredit bei der Notenbank
Wie alle Finanzanlagen unterscheiden sich diese nur in Zins- und Laufzeitvariationen. Dies ist
notwendig, da abhängig von den Investitionsvorhaben auch ein staatlicher Bedarf an
kurzfristigen bis langfristigen Mitteln besteht. Damit nun nicht alle gewünschten öffentlichen
Investitionen spontan kreditfinanziert werden, gelten folgende Grundsätze für
Haushaltskredite:
gerechtere Lastenverteilung: Nach dem „pay-as-you-use-Prinzip“ sind Ausgaben für
langfristig nutzbare öffentliche Anlagen entsprechend ihrer Nutzungsdauer zu
verteilen. Es soll dadurch gewährleistet werden, daß die nachfolgenden
Generationen den gleichen Nutzen aus öffentlichen Anlagen ziehen können.
privatwirtschaftlich rentable Investitionen: die Verschuldung für Investitionen ist
zulässig, wenn diese einen ausreichenden Nettoertrag zur Armortisation der
Schulden erbringen.
volkswirtschaftlich rentable Investitionen: hierbei geht es um Investitionen in die
Infrastruktur, welche wachstumsfördernd und gesamtwirtschaftlich produktiv
sind. Durch das damit erhöhte Volkseinkommen können diese Investitionen aus
Steuereinnahmen gedeckt werden (Umwegrentabilität).
Konjunkturlage: die Schuldenpolitik kann zur Unterstützung der antizyklischen
Konjunkturpolitik genutzt werden, d.h. in der Rezession sollte sie expansiv
betrieben werden, um den erhöhten Ausgabenbedarf zu decken, und in
Hochkonjunkturphasen kontraktiv, da durch hohe Steuereinnahmen die Mittel
zur Schuldentilgung gestellt werden. Diese Schuldenpolitik dämpft die
Konjunkturschwankungen.
20
Die Zulässigkeit der Kreditaufnahme wird durch obere Grundsätze begründet, welche
allerdings nichts zum Ausmaß der Kreditaufnahme aussagen. Hierüber wurden verschiedene
Kriterien entwickelt:
Institutionelle Regelungen: zur Verhinderung der Expansion der Geldmenge über
kreditfinanzierte Staatsausgaben existieren Deckungs- und Einlösevorschriften
für die Notenbank
Schuldenstand und Vermögen: angelehnt an den privatwirtschaftlichen Begriff des
Gläubigerschutzes müssten die Staatsschulden durch das öffentliche Vermögen
gedeckt sein
gesamtwirtschaftliche Grenzen: hier steht die Relation von Volkseinkommen und
Schuldenhöhe im Vordergrund, da das Volkseinkommen indirekt durch die
Steuern beeinflusst wird, welche zur Tilgung und Zinszahlungen verwendet
werden
stabilitätspolitische Grenzen: wie bereits erwähnt können mittels einer gezielten
Schuldenpolitik Konjunkturschwankungen gedämpft werden. Ist die
Vollbeschäftigung bereits erreicht, sorgt eine zu hoch angesetzte Verschuldung
für eine Gefährdung der Preisniveaustabilität. Dann sind kreditfinanzierte
Ausgaben in der Höhe festzulegen, dass das Geldmengenziel der Notenbank
nicht überschritten wird und auch keine erwünschten privaten Investitionen
verdrängt werden.
4.3.3 Die Ausgabenarten
Einen Überblick über die Vielfältigkeit der staatlichen Aufgabenstruktur lässt sich an der
folgenden Aufstellung verdeutlichen, ohne dass im Weiteren näher darauf eingegangen wird.
Abb.: Ökonomische Gliederung der öffentlichen Ausgaben
Ausgabenarten
I. Ausgaben für Güter und Dienste
1-2. Sachkapital- und immaterielle
Kapitalinvestitionen
- investive Infrastruktur
- konsumtive Infrastruktur
3. Institutionelle Infrastruktur
4. Militärausgaben
5. Staatsverbrauch
II. Ausgaben für Transfers
1. Sozialtranfers
2. Subventionen
3. Zinszahlungen auf die
Staatsschuld
4. Finanzinvestitionen
Funktionen
Ministerien
Verkehr; Energie; Gesundheit;
Erziehung; Wissenschaft und
Forschung; Umweltschutz
Verkehrsm.; Energie-/
Wirtschaftsm.; Gesundheitsm.;
Kultur-/ Erziehungsm.;
Wissenschafts-/ Forschungsm.;
Innen-/ Umweltministerium
Öffentliche Verwaltung;
alle Ministerien; Justizm.;
Rechtswesen; innere Sicherheit Innenministerium
äußere Sicherheit
Verteidigungsminist.
Keine
potentiell alle Ministerien
soziale Sicherung
Wirtschaftsförderung;
Einkommensausgleich
Finanzierung von öffentlichen
Ausgaben
Wirtschafts- und
Sozialförderung
Sozialm. / Sozialvers.
z.B. Landwirtschafts-,
Verkehrs- u. Wirtschaftsm.
Finanzministerium
z.B. Wohnungsbau-,
Landwirtschafts- oder
Wirtschaftsministerium
In den folgenden beiden Übersichten sind die wichtigsten Elemente der öffentlichen
Einnahmen und Ausgaben noch mal aufgeführt.
21
Öffentliche Einnahmen
UnternehmensEinkünfte
Abgaben
Steuern
& Zölle
Öffentliche
Unternehmen
- eigene Unternehmen
- Sondervermögen
- öffentl.-rechtliche
Unternehmen
Gebühren
Kredite
Beiträge
DeckungsKredite
Veräußerungserlöse
Bundesbankgewinne
Kassenverstärkungskredite
Steuern = Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen; werden im
öffentlich rechtlichen Gemeinwesen allen entsprechend der gesetzlichen Leistungspflicht auferlegt.
Gebühren = Entgelt für die Inanspruchnahme einer bestimmten öffentlichen Leistung. Gebühren sind keine
Marktpreise, sondern werden vom Staat einseitig festgesetzt und durch Gebührenordnung bekanntgegeben. Man unterscheidet Benutzungsgebühren und Verwaltungsgebühren.
Beiträge = Entgelt für die Begünstigung eines Personenkreises durch eine öffentliche Maßnahme (z.B. Bau
eines Gehweges oder Siedlungsstraße). Dabei ist unerheblich, ob alle Personen, die zur
Beitragszahlung herangezogen werden, die öffentlichen Leistungen auch tatsächlich in Anspruch
nehmen.
22
Öffentliche Ausgaben
Realausgaben
PersonalAusgaben
Zölle
Transferzahlungen
SachAusgaben
Konsumtive
Ausgaben
Transfers
an private
Haushalte
Schuldendienst
(Zins- und Tilgungszahlungen)
Transfers an
Unternehmen
(=Subventionen)
Investive
Ausgaben
Transfers an private Haushalte
= Zahlungen ohne Haushalte ohne geldwerte Gegenleistung; sie
dienen der einkommenspolitischen Umverteilung Korrektur der
primären Einkommensverteilung durch öffentliche Zahlung z.B. von
Elterngeld, Kindergeld, Wohngeld, Sozialhilfe etc.
Kontrolle durch Sozialberichte der Regierung.
Transfers an Unternehmen
= Zahlungen an Unternehmen ohne geldwerte Gegenleistung; sie
dienen der Korrektur der marktwirtschaftlichen Allokation oder
Distribution. Subventionen können unter Auflagen gezahlt werden.
Kontrolle durch Subventionsberichte der Regierung.
23
5 Der öffentliche Haushalt im Einzelnen
5.1 Der Haushaltsplan des Bundes 2008
Der Haushaltsplan des Bundes für das Jahr 2008 geht im Soll von einer Ausgabensumme von
283 Mrd. Euro aus. Die Haupt-Einzelposten liegen in den Ausgaben für die Sicherung der
Sozialsysteme in Höhe von 124 Mrd. Euro, was einen Anteil von 46 % an den
Gesamtausgaben macht. Der zweitwichtigste Posten machen die jährlichen Zinszahlungen in
Höhe von 43 Mrd. Euro für den Schulden des Bundes, die mittlerweile bei 940 Mrd. € liegen.
Hinzu kommen noch die Schulden der Länder (484 Mrd. €) und der Gemeinden (116 Mrd. €),
so dass sich die staatlichen Gesamtschulden auf fast 1540 Mrd. € aufsummieren.
Bundeshaushalt 2008 - Soll in Mrd. €
EINNAHMEN
Gemeinschaftsst.*)
- Umsatzsteuern**)
- Lohn- u Eink.St.
- Körpersch. St.
Bundessteuern
- Energiesteuern
- Tabaksteuern
- Solizuschlag
- Versichergs.St.
- Sonst. Steuern
283,2
179,1
97,6
72,6
8,9
92,2
40,4
14,1
12,8
10,5
14,4
Netto-Kredite
11,9
AUSGABEN
Arbeit u Soziales
Verteidigung
Verkehr, Bau
Bildung, Forschung
Familie, Jugend
Wirtschaft
Verbraucher, Agrar
Entwicklungshilfe
Innen, Sicherheit
Finanzen
Sonstige Ausgaben.
Zinszahlungen
283,2
124,0
29,5
24,4
9,4
6,2
6,2
5,3
5,1
5,1
4,6
20,5
42,9
(1) maximal in Höhe der staatlichen Investitionen (GG)
(2) max. 3 % des BIP (EU-Stabilitätsprogramm)
Neu-Schulden Bund:
11,9 €
SCHULDENSTAND (Ende 2007:
Bundes-Schulden: 940 Mrd. €
Länder-Schulden: 484 Mrd. €
Komm.-Schulden: 116 Mrd. €
STAATS-SCHULDEN: 1540 Mrd. €
========
Schulden je Einwohner: 18.700 €
Zinslast des Bundes 2008:
42,9 Mrd. Euro (= 15 % des Haushalts)
Schuldenstandsquote 2006: 67,8 %
(Bund, Länder und Kommunen)
-------------------*) Die Gemeinschaftssteuern werden im Rahmen des föderalen Finanzausgleichs zwischen den
drei Körperschaften (Bund, Länder und Gemeinden) aufgeteilt. Der komplizierte Verteilungsschlüssel wird im Finanzausgleichsgesetz (FAG) festgelegt.
**) Vom Umsatzsteueranteil des Bundes (54,7 %) steht der EU als MWSt-Eigenmittel ein
variabler Anteil von ca. 13 % zu.
24
Während der Bundeshaushalt 2008 im Entwurf noch von einem Minus von -12 Mrd. € (2007:
-20 Mrd.) ausging, haben sich im Laufe des Jahres aufgrund der günstigen konjunkturellen
Entwicklung sowohl in 2007 und 2008 die Steuereinnahmen besser entwickelt als erwartet.
Nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ergibt sich für den Bund, die Länder
und Gemeinden im Jahre 2007 erstmals seit 1969 ein kleines Plus von 0,1 Mrd. €. Im Jahre
2003 betrug das Defizit noch -87 Mrd. €, was einem Anteil von 4 % des BIP entsprach.
Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung des Finanzierungssaldo des Staates seit 2001.
Quelle: Globus Ta-1892 vom 4.2.2008
Ein wesentliches Begrenzungskriterium für die Höhe der Nettokreditaufnahme des Bundes
zur Deckung der Finanzierungslücke sind nach dem GG die staatlichen Investitionen.
Das GG verlangt, dass die Nettokreditaufnahme die Ausgaben für staatliche Investitionen
nicht überschreiten darf.
Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der staatlichen Investitionen und der
Nettokreditaufnahme seit 1990. Verstöße gegen diese GG-Norm lagen demnach in den Jahren
1996-97 sowie im Zeitraum von 2002-06 vor. Allerdings gibt es im GG für diese temporären
Verstöße auch eine Ausnahmebestimmung, nämlich bei „Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts“.
25
Quelle: Globus-Grafik Ta-1821 vom 7.01.2008
5.2 Der Bundeshaushalt im Entwurf für 2008
Der Bundeshalthalt für das laufende Jahr 2008 geht im Entwurf von folgenden Eckdaten aus:
Gesamteinnahmen
Gesamtausgaben
Neuverschuldung
Investitionen
271,3 Mrd. €
283,2 Mrd. €
11,9 Mrd. €
24,7 Mrd. €
Die folgenden Schaubilder verdeutlichen die Struktur der Einnahmen und Ausgaben des
Bundeshaushalts für das Jahr 2008 im Plan. Sie wurden entnommen aus dem laufenden 5Jahresplan des Bundes für die Jahre 2007 – 2011, der vom BMFi im August 2007
veröffentlicht wurde.
Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes für die Jahre 2007-2001, Berlin 08/2007.
26
5.2.1 Die Einnahmen im Bundeshaushalt 2008
Die Gesamteinnahmen im Haushaltsplan liegen bei 283,2 Mrd. € einschließlich der
Nettokreditaufnahmen in Höhe von 11,9 Mrd. €.
Die fiskalischen Haupteinnahmen-Quellen des Bundes liegen bei der Umsatzsteuer (32,6 %)
und der Lohn- & Einkommenssteuer (21,9 %). Diese beiden Steuerarten machen etwa 55 %
der Staatseinnahmen aus. In der Ergiebigkeit an dritter Stelle folgen die Energiesteuer (11,8
%) .
Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007
27
5.2.2 Die Ausgaben im Bundeshaushalt 2008
Auf der Ausgabenseite dominieren die folgenden Ressorts:
Arbeit und Soziales
Verteidigung
Verkehr
Bildung/Forschung
Familie
Wirtschaft Technologie
Agrar/Verbraucher
= 45,7 %
= 8,7 %
= 8,7 %
= 3,2 %
= 2,0 %
= 2,2 %
= 1,9 %
Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007
28
5.3 Die Entwicklung der Bundesschulden und Zinslasten
Der Schuldenstand des Bundes ist seit Beginn der 1990er Jahre signifikant angestiegen.
Lagen die Schulden des Bundes in 1985 noch bei 200 Mrd. €, so hatte der Schuldstand in
1997 bereits ein Niveau von 700 Mrd. € erreicht. Im Jahr 2007 lagen dann die
Bundesschulden bei 930 Mrd. €.
Das folgende Schaubild zeigt die Entwicklung der Schulden des Bundes von 1982 bis 2008.
Der erwartete Schuldstand für das Jahr 2008 liegt bei 943 Mrd. €.
Ein wesentlicher Ausgabenposten im Haushaltsplan für das Jahr 2008 sind demzufolge wie in
den Vorjahren die laufenden Zinszahlungen auf diese Schuldenstände des Bundes in Höhe
von 42,9 Mrd. €. Dies entspricht einem Anteil an den Gesamtausgaben in Höhe von 15,1 %.
29
5.4
Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes
5.4.1
Der Finanzplan des Bundes 2007 – 2011
Nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 ist der Bund über den jährlichen
Haushaltsplan hinaus eine mittelfristige Finanzplanung (über den Zeitraum von 5 Jahren)
verpflichtet.
Die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben des Bundes für die Jahre von 2007 bis 2011
5
entsprechend der mittelfristigen Finanzplanung ist in folgender Tabelle festgehalten :
Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007
Es ist erkennbar, dass die Ausgaben für die nächsten Jahre nur moderat steigen werden. Die
Einnahmeseite wird nach den strukturellen Reformen auf der Steuerseite – insbesondere durch
die Anhebung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte auf jetzt 19 % - wesentlich verbessern,
so dass in den nächsten Jahren die Nettokreditaufnahme des Staates im Plan bis 2011 auf Null
zurückgefahren wird.
5
Zu den folgenden Tabellen und Graphiken siehe den vom Bundesministerium für Finanzen (BMFi)
herausgegebenen Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 8/2007.
30
5.4.2 Nettokreditaufnahme des Bundes bis 2011
Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes geht davon aus, dass die Nettokreditaufnahme
bis zum Ende der aktuellen mittelfristigen Finanzplanung in 2011 auf Null zurückgeführt
wird.
Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007
31
5.4.3 Die Zinslasten im Bundeshaushalt
Die Entwicklung der Zinslasten für den Bundeshaushalt ergibt sich aus folgender Grafik.
Sie zeigt, dass trotz rückläufiger Neuverschuldung die Zinsbelastungen weiter ansteigen
werden bis au ein Niveau von 45,5 Mrd. € in 2011. Dieser Verlauf wird im Wesentlichen
bestimmt durch die wieder steigenden Zinsen am Kapitalmarkt.
In der Phase niedriger Zinsen (2001-2005) sind auch die Zinslasten des Bundes spürbar
zurückgegangen.
Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007
32
5.5 Entwicklung ausgewählter Einzelpläne
Im Folgenden wird die Entwicklung ausgewählter Einzelpläne im mittelfristigen Finanzplan
grafisch dargestellt. Die Finanzplanung ist von der Zielsetzung getragen, mittelfristig zu einer
nachhaltigen Haushaltskonsolidierung zu führen und die Nettokreditaufnahme auf Null zu
senken. Ein wesentlicher Strategiebaustein wird dabei die Begrenzung der Personalausgaben
sein.
Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007
Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007
33
Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und des Standorts Deutschland wird angestrebt, die
Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung signifikant zu steigern und gleichzeitig
die Ausgaben für Subventionen zurückzufahren.
Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007
Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007
34
5.6 Der föderale Finanzausgleich in Deutschland
Das Grundgesetz gibt für die Ausgestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und
Ländern zwei unterschiedliche Vorgaben:
• Nach Artikel 30 GG wird der Wettbewerb der Regionen gefordert.
• Nach Artikel 72 GG wird die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland
eingefordert.
Die Finanzverfassung gibt dem Ziel der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ eindeutig
Vorrang vor dem „Wettbewerb der Regionen“. Zu diesem Zweck wurde ein Mechanismus des
Länderfinanzausgleichs etabliert, das einen Niveauausgleich zwischen den originären
Steuereinnahmen und den derivativen Einnahmen nach dem Länderfinanzausgleich.
Die folgende Graphik stellt die Problematik und das Ausmaß des föderalen Finanzausgleichs
in Deutschland zwischen dem Bund, den Ländern und Kommunen anschaulich dar.
Es wird hier unterschieden zwischen den
∇ Gemeinschaftssteuern
Einkommens- und Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer und Zinsabschlagssteuern
∇ Bundessteuern
Mineral- und Tabaksteuer, Solidaritätszuschlag und sonstige Einnahmen
∇ Ländersteuern
Kfz-Steuer, Grunderwerbssteuer und Erbschaftsteuer
∇ Gemeindesteuern
Gewerbesteuer und Grundssteuer
Der föderale Finanzausgleich vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen:
a) Aufteilung der Gemeinschaftssteuern nach einem vertraglich festgelegten Schlüssel.
b) Vertikaler Finanzausgleich durch Zuweisungen des Bundes an finanzschwache Länder
und Gemeinden (z.B. Saarland, Bremen oder die ostdeutschen Bundesländer)
c) Horizontaler Finanzausgleich zwischen den Ländern
d) Finanzausgleich Länder Kommunen durch Zuweisungen und Zuschüsse der Länder
an die Gemeinden
e) Kommunaler Finanzausgleich zwischen den reichen und finanzschwachen Kommunen
Das folgende Schaubild zeigt exemplarisch für das Jahr 2003 den komplizierten
Finanzausgleich zwischen dem Bund, den Ländern und Gemeinden.
35
Abb. Der föderale Finanzausgleich in Deutschland (2003) (Quelle: Spiegel 26/2004)
36
Das folgende Schaubild zeigt die Anteile von Bund, Länder und Gemeinden sowie den Anteil
der Beiträge für den EU-Haushalt am gesamten Steueraufkommen in Deutschland.
Aktuell für das Jahr 2008 betragen die jeweiligen Anteile:
Bund
Länder
Gemeinden
EU-Haushalt
42,3 %
39,5 %
13,1 %
4,5 %.
Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007
37
Ein wesentlicher Diskussionspunkt neben dem vertikalen Finanzausgleich (Bund-LänderGemeinden) ist der horizontale Finanzausgleich zwischen den Länderhaushalten.
Dieser spezielle Ausgleich zwischen den einzelnen Bundesländern führte 2007 im Ergebnis
dazu, dass fast 8 Mrd. € umverteilt wurden.
Die wesentlichen Geberländer waren
Hessen
2,9 Mrd. €
Baden-Württemberg
2,3 Mrd. €
Bayern
2,8 Mrd. €.
Hinzu kommen noch im kleineren Ausmaß die Länder Hamburg (230 Mio €) und NordrheinWestfalen (20 Mio €).
Die Reihe der Nehmerländer ist lang und wird angeführt durch Berlin mit fast 3 Mrd. € wie
folgende Grafik zeigt.
Quelle: Globus-Grafik Ta-1871 vom 28.01.2008.
38
6 Zur öffentlichen Verschuldungslage
6.1
Schulden und Schuldenstandsquoten
Die Schulden der öffentlichen Haushalte in Deutschland belaufen sich aktuell auf 1,5 Bio
Euro. Im Jahre 2007 sind erstmals wieder kleine Überschüsse in den Haushalten der
öffentlichen Hand erzielt worden, so dass sich die Verschuldenslage nicht weiter
verschlechtert hat.
Die Struktur der öffentlichen Schulden in den Jahren 2001 und 2006 ist in folgender
Tabelle (Quelle: BMF –IA4, 08/2007)zusammengefasst worden.
Bund*
Länder
Gemeinden**
Gesamthaushalt
Mrd. €
756,3
357,7
89,8
1203,8
2001
Anteile in %
62,8
29,7
7,5
100
Mrd. €
916,6
479,5
84,5
1480,6
2006
Anteile in %
61,9
32,4
5,7
100
*) einschließlich der Sonderrechnung Bund, wo heute noch die Mittel des ERP-Fonds (14,3 Mrd. €) erfasst sind.
In den Jahren 1990 bis 2004 waren hier noch der Fonds „Deutsche Einheit“ mit fast 40 Mrd. € beteiligt. Seit dem
werden diesen Sonderschulden nicht mehr gesondert ausgewiesen.
**) In den Schulden der Gemeinden sind auch die Schulden der Zweckverbände ausgewiesen: 7,2 Mrd. € (2001)
und 2,6 Mrd. (2006).
Auffallend ist, dass sich die Verschuldungslage der Länder insgesamt verschlechtert hat,
während der Bund und die Gemeinden den relativen Anteil an den Gesamtschulden in dem 5Jahreszeitraum verbessern konnten.
Entwicklung der Schuldenstandsquoten
Die Schuldenstandsquoten spielen in der Beurteilung der gesamtstaatlichen Verschuldung seit
den Maastrichter Verträgen eine besondere Rolle. Die Referenzmarke für die KonvergenzKriterien wurde dort auf 60 % festgelegt.
Die Schuldenstandsquoten geben Auskunft über die Anteile der öffentlichen Schulden am BIP
eines Landes. In der folgenden Tabelle wurden diese Anteile für vier Jahre der jüngsten
Vergangenheit ausgewiesen.
Schuldenstand
2001
2003
2005
2006
Bund
Länder
Gemeinden
Gesamthaushalt
35,8
16,9
3,9
57
37,8
19,2
3,9
61,3
39,6
20,9
3,7
64,5
39,4
20,6
3,5
63,8
Schuldenstand in der
Abgrenzung des
Maastricht-Vertrages
58,8
63,8
67,8
67,5
Quelle: BMF –IA4, 08/2007
39
6.2
Entwicklung der Finanzierungssalden
Neben den Schuldenstandsquoten spielen seit den Maastrichter-Verträgen auch die
Defizitquoten für die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Verschuldungslage eine
besondere Bedeutung. Die Defizitquote setzt die Nettokreditaufnahme der öffentlichen
Haushalte in Beziehung zum BIP. Der Netto-Kreditbedarf ergibt sich aus den jeweiligen
Finanzierungssalden (=Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben) der Haushalte.
Hierin enthalten sind die Haushalte von Bund, Länder und Gemeinden einerseits und der
Sozialversicherungsträger einschließlich der Krankenhäuser.
Nach den Konvergenz-Kriterien soll diese Quote einen Referenzwert von 3 % nicht
übersteigen.
Finanzierungssalden (in Mrd. €)
Bund
Länder + Gemeinden
Sozialversicherungen
Gesamt
1995
- 59,1
-51,4
-7,7
-118,2
2001
-59,6
-55,8
-3,8
-119,2
2003
-87,3
-79,5
-7,7
-174,5
2006
-37,3
-40,8
3,5
-74,6
Quelle: BMF –IA4, 08/2007
Die Entwicklung der Finanzierungssalden zeigt die dramatische Verschlechterung der
staatlichen Verschuldungslage des Staates. Die eingeleiteten Strukturreformen (Agenda 2010)
zeigen bereits im Jahre 2006 eine signifikante Verbesserung der Lage, die mittelfristig die
Nettokreditbedarfe der öffentlichen Haushalte insgesamt auf Null zurückfahren möchte, um
einen Anstieg der Gesamtschulden zu verhindern.
Defizitquoten der öffentlichen Haushalte (in %)
Bund
Länder + Gemeinden
Sozialversicherungen
Nachrichtlich:
Defizitquote in der
Abgrenzung der
Finanzstatistik*
1995
-3,2
-2,8
-0,4
2001
-2,8
-2,6
-0,2
2003
-4,0
-3,7
-0,4
2006
-1,6
-1,8
0,2
-3,0
-2,2
-3,1
-1,7
*) In der Abgrenzung der Finanzstatistik werden die Sozialversicherungen und die Krankenhäuser
nicht mit eingerechnet.
Quelle: BMF –IA4, 08/2007
40
6.3
Entwicklung der Steuer-, Abgaben- und Staatsquoten
6.3.1 Steuer- und Abgabenquote
(1) Steuerquoten
Volkswirtschaftlich versteht man unter Steuerquote den Anteil der erhobenen Steuern im
Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt eines Landes.
Sie wird beeinflusst vom Steuersatz einerseits, vom Vorhandensein von Steuerbefreiungen,
Steuerschlupflöchern und Schwarzarbeit andererseits.
Eine hohe Steuerquote wird in der Regel gleichgesetzt mit umfangreicher staatlicher
Umverteilung, fehlenden ökonomischen Anreizeffekten und geringer Attraktivität des
Standorts aufgrund hoher Produktionsnebenkosten.
Deutschland hatte im Jahr 2006 eine Steuerquote in der Abgrenzung der Finanzstatistik in
Höhe von 21 % und in der Abgrenzung der VGR in Höhe von 22,8 %. Diese Steuerquote ist
im internationalen Vergleich relativ niedrig. Da andererseits die staatlichen Ausgaben im
relativen Anteil fast doppelt so hoch sind, existieren bei uns noch weitere Abgaben
(Gebühren, Beiträge etc.) im erheblichen Umfang, die diese Deckungslücke schließen
müssen.
Optimale Steuerquote: Die Laffer-Kurve
Der amerikanische Ökonom Arthur Laffer sieht eine funktionelle Abhängigkeit zwischen
dem Steuersatz und dem Steueraufkommen einer Volkswirtschaft in Form einer nach unten
geöffneten Parabel.
Laffer-Kurve
SteuerEinnahmen
t*
Optimaler Steuersatz
Steuersatz t
Danach gibt es einen optimalen Steuersatz, bei dem das gesamtwirtschaftliche
Steueraufkommen maximal ist. Übersteigt der Steuersatz diese Grenze, so sinkt schließlich
das volkswirtschaftliche Steueraufkommen. Eine wachsende Besteuerung schwächt
zunehmend die Leistungsanreize der Steuerzahler.
41
Die von Laffer postulierte Gesetzmäßigkeit wurde Mitte der 1980er Jahre vom damaligen
amerikanischen Präsidenten Reagan in sein Wirtschaftsprogramm aufgenommen und
umgesetzt. Nach seiner Meinung würden niedrigere Steuern den Menschen neue Anreize zur
Arbeit und Leistungsbereitschaft vermitteln. Obwohl der Staatshaushalt in den USA zur
damaligen Zeit im hohen Maße defizitär war, wurde das Programm umgesetzt. Der Verlauf
der Staatseinnahmen vollzog sich im mittelfristigen Zeitprofil nach dem so genannten JKurveneffekt, wie folgende Graphik es zum Ausdruck bringt.
T
t
Kurzfristig führten die reduzierten Steuersätze zunächst zu Steuerausfällen, die jedoch mittelbis langfristig durch ein höheres Steueraufkommen T mehr als kompensiert wurden.
Ende der 1990er Jahre erzielen die öffentlichen Haushalte in den USA unter dem Präsidenten
Clinton nach einem lang andauernden Konjunkturaufschwung von fast 10 Jahre bereits einen
signifikanten Haushaltsüberschuss von über 200 Mrd. $.
Insgesamt bleibt jedoch in Bezug auf die finanzwirtschaftlichen Problematik hier in
Deutschland festzustellen, dass nicht so sehr die Steuerquote so entscheiden ist – hier stehen
wir im internationalen Vergleich sehr günstig dar – sondern die Abgabenquote insgesamt, die
auch die Beiträge zu den Sozialversicherungen mit erfasst.
42
(2) Abgabequoten
Die Abgabenquote erfasst neben der Steuerleistung auch noch die Beitragseinnahmen der
Sozialversicherungsträger (Renten, Krankenkassen, Arbeitslosen- und Pflegekassen). Die
Abgabenquote lag in den 1960er Jahren noch bei etwa 33 % des BIP. Heute hat die
Abgabenquote ein Niveau von etwa 40 % erreicht.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Entwicklung der Steuer- und
Abgabenquoten Deutschlands von 1960 bis 2006 wieder. Sie zeigt, dass die Steuerquote in
diesem Zeitraum sich kaum verändert hat. Sie schwankt um das Niveau von etwa 22 bis 23
% ohne eine erkennbare Trendlinie nach oben oder unten.
Dagegen ist die Abgabenquote in diesem Zeitraum von einem Niveau von 33 % um 7 %Punkte auf eine Höhe von 40 % gestiegen ist. Hierin spiegelt sich wider, dass die Träger der
Sozialversicherungen in den letzten Jahrzehnten ihren Anteil immer weiter ausbauen
können. Die politischen Versuche, hier durch strukturelle Reformen eine Trendumkehr und
eine spürbare Entlastung zu bekommen, sind allesamt fehlgeschlagen.
Die folgen Tabelle zeigt die Entwicklung der Steuer- und Abgabenquote Deutschlands seit
1960 sowohl in der Abgrenzung der VGR als auch in der der Finanzstatistik.
43
Entwicklung der Steuer- und Abgabenquoten
(Steuer- und Sozialbeitragseinnahmen des Staates)
Quelle: BMF-IA4 – 01/2008
44
Die Entwicklung der Abgabenquote im internationalen Vergleich zeigt folgende Tabelle.
Abgabenquote im internationalen Vergleich
Land
Steuern und Sozialabgaben in v. H. des BIP
1990
1995
2000
2002
1975
1985
2003
Australien
26,5
29,1
29,3
29,8
32,1
31,4
31,6
Belgien
40,6
45,6
43,2
44,8
45,7
46,2
45,4
Dänemark
40,0
47,4
47,7
49,5
50,1
48,7
48,3
Deutschland
35,3
37,2
35,7
37,2
37,2
35,4
35,5
Finnland
36,8
40,2
44,3
46,0
48,0
45,8
44,8
Frankreich
35,5
42,4
42,2
42,9
44,4
43,4
43,4
Griechenland
21,8
28,6
29,3
32,4
38,2
37,1
35,7
Großbritannien
35,3
37,7
36,5
35,1
37,5
35,6
35,6
Irland
29,1
35,0
33,5
32,8
32,2
28,7
29,7
Italien
26,1
34,4
38,9
41,2
43,2
42,5
43,1
Japan
20,9
27,4
29,1
26,7
26,5
25,8
25,3
Kanada
31,9
32,5
35,9
35,6
35,6
34,0
33,8
Luxemburg
37,5
45,1
40,8
42,3
40,6
41,3
41,3
Niederlande
41,3
42,8
42,9
41,9
41,2
39,2
38,8
Norwegen
39,3
43,0
41,5
41,1
43,2
43,8
43,4
Österreich
36,7
40,9
39,6
41,1
42,6
43,6
43,1
Portugal
20,8
26,6
29,2
33,6
36,4
36,5
37,1
Schweden
42,0
48,2
53,2
48,5
53,9
50,1
50,6
Schweiz
27,4
26,1
26,0
27,8
30,5
30,1
29,5
Spanien
18,2
26,9
32,1
31,8
34,8
34,8
34,9
USA
25,6
25,6
27,3
27,9
29,9
26,3
25,6
EU 15
33,1
38,6
39,3
40,1
41,7
40,6
40,5
Total OECD
30,3
33,5
34,8
35,7
37,1
36,4
36,3
Quelle: OECD, Revenue Statistics 1965-2004, Paris 2005
Die Abgabenquote in Deutschland liegt mit 35,5 % unterhalb des Niveaus Frankreichs,
Italiens und der Nordeuropäischen Staaten und ist in etwa so hoch wie in Großbritannien oder
Spaniens. Die Länder USA und Japan liegt mit einer Abgabenquote von etwa 25 % weit
unterhalb der Deutschlands.
45
6.3.2
Staatsquote
Die Staatsquote gibt an, wie hoch der relative Anteil der Ausgaben des Staates am BruttoInlandsprodukt ist. Die Ausgaben des Staates werden im weiten Sinne als die Ausgaben des
Bundes, der Länder und Kommunen einerseits und den Sozialversicherung (Renten,
Gesundheit, Pflege und Arbeit) andererseits. Die Quote lag in Deutschland in den 1960er
Jahren noch bei ca. 35 % und ist anschließend bis in die 1990er Jahre in der Spitze auf ein
Niveau von 49,3 % (1996) angestiegen. Bis zum Jahr 2006 ist sie aufgrund der Wirkung der
Strukturreformen wieder auf ein Niveau von gut 45 % zurückgeführt worden.
Entwicklung der Staatsquote – Deutschland
Quelle: BMF-IA4 – 01/2008
46
Die Staatsquoten im internationalen Vergleich zeigen ein differenziertes Bild.
Bezogen auf das Jahr 2005 lagen die Frankreich mit 54,4 % und die Skandinavischen Länder
wie Schweden (56,4%), Dänemark (53 %) und Finnland (50,8 %) deutlich über unserem
Niveau. Länder mit einer niedrigen Staatsquote sind die Länder USA (36,6 %), Japan (36,9
%) sowie Kanada (39,5%) und Irland (34,6 %).
Die Staatsquote in Deutschland liegt zurzeit bei 45,4 % (2006). In Deutschland wird derzeit
von vielen wirtschaftsliberalen Wirtschaftswissenschaftlern gefordert, die Staatsquote zu
senken, damit sich mehr ökonomische Dynamik entfalten könne. Die Staatsquote ist in den
vergangenen zwei Jahren um 1,5 % gesunken, hat jedoch im Vergleich mit Japan und den
USA noch immer ein höheres Niveau.
Gewerkschaftsnahe Ökonomen fordern eine Orientierung an den skandinavischen Ländern,
die zeitgleich mit einer hohen Staatsquote ein dynamischeres Wachstum aufwiesen.
Zu beachten ist, dass die verschiedenen Quoten immer in einem Gesamtzusammenhang zu
sehen sind: In Deutschland ist beispielsweise die Steuerquote relativ niedrig, da die
Sozialsysteme hier zum Großteil über Beiträge finanziert werden und in den skandinavischen
Ländern eher über das Steuersystem. Andererseits fehlen in der Staatsquote der USA die
Aufwendungen für die soziale Vorsorge, da diese von den Bürgern zum größten Teil privat
finanziert wird.
In einem geschichtlichen Rückblick fällt auf, dass die öffentlichen Ausgaben bestimmten
Entwicklungstendenzen unterliegen. Allgemein lassen sich aus Beobachtungen der letzten
100-150 Jahre drei „Entwicklungsgesetze“ ableiten:
Wagnersches Gesetz, besagt das die Staatsausgaben nicht nur absolut mit dem Wachstum der
Bevölkerung zugenommen haben, sondern auch relativ, d.h. anteilsmäßig am
Volkseinkommen zur Erhöhung der Staatsquote beigetragen haben.
Popitzschen Gesetz, spricht von der Anziehungskraft des übergeordneten Haushalts, d.h. dass
die Ausgabenstruktur sich von den Gemeinden, über die Länder, hin zum Bund
verlagert.
Brechtschen Gesetz, beschreibt das Phänomen, dass öffentliche Ausgaben ab einer bestimmten
Gemeindegröße progressiv zunehmen. Deshalb sind sie in Städten und
Agglomerationen wesentlich höher als in ländlichen Gemeinden.
Die wichtigste Aussage der drei Beobachtungen ist das stetige Ansteigen der Staatsquote. Die
Begründung hierfür liegt in einer kontinuierlichen Ausweitung der Aufgabenverteilung.
Zunehmende Volksdichte erfordert immer weitergehende Arbeitsteilung aller Institutionen.
Hinzu kommt die Entwicklung zu einem Wirtschaftssystem hoher sozialer Sicherheit, welches
wesentlich zu einer Ausdehnung der Staatstätigkeit führt. Ein Beispiel ist die Einrichtung des
Umweltministeriums als direkte Folge sich ausweitender gesellschaftlicher Ziele.
47
Staatsquoten im internationalen Vergleich
Land
1990
Gesamtausgaben des Staates in v. H. des BIP
1995
1999
2000
2003
2004
2005
Veränd.
90-04
Australien
Belgien
Dänemark
Deutschland
Finnland
Frankreich
Großbritannie
Irland n
Italien
Japan
Kanada
Niederlande
Norwegen
Österreich
Schweden
Schweiz
Spanien
USA
35,2
52,2
55,9
44,5
48,3
49,3
42,2
43,1
53,5
31,8
48,8
53,1
54,0
51,5
61,3
30,0
42,6
37,1
38,2
51,9
59,5
48,3
59,0
54,4
45,0
41,4
52,5
36,5
48,5
49,7
51,1
56,0
67,1
34,5
44,2
37,0
35,0
50,0
55,8
48,2
51,8
52,6
39,7
34,1
48,2
38,8
42,7
45,4
48,1
53,2
59,8
34,6
39,3
34,3
34,8
49,1
53,9
45,1
48,8
51,6
37,5
31,6
46,1
39,2
41,1
43,7
42,7
51,4
56,8
33,9
39,0
34,2
35,8
51,1
54,9
48,3
50,9
53,6
43,3
33,4
48,2
38,5
40,9
47,1
48,5
51,0
58,2
36,7
38,3
36,7
35,1
49,6
54,8
47,0
51,2
53,7
44,0
33,7
47,8
37,3
39,9
46,6
45,9
50,1
56,7
36,6
38,8
36,4
34,9
50,1
53,0
46,8
50,8
54,4
45,1
34,6
48,2
36,9
39,3
45,7
42,9
49,6
56,4
36,4
38,2
36,6
-0,1
-2,6
-1,1
2,5
2,9
4,4
1,8
-9,4
-5,7
5,5
-8,9
-6,5
-8,1
-1,4
-4,6
6,6
-3,8
-0,7
EU 15
Total OECD
48,1
40,2
50,4
42,1
48,2
40,0
46,3
39,2
48,2
41,3
47,7
40,7
47,7
40,7
-0,4
0,5
Quelle: OECD, Economic Outlook 79, 2006.
48
6.3.3
Das Wagnersche Gesetz
Eng im Zusammenhang mit der Entwicklung der Staatsquote ist das so genannte Wagner´sche
Gesetz von der zwangsläufig(?) zunehmenden Staatstätigkeit zu sehen.
Seine zentrale These formulierte er wie folgt:
„Beobachtungsmäßig, historisch und statistisch nachweisbar zeigt sich im Staate eine
deutliche Tendenz zur Ausdehnung der öffentlichen bzw. Staatstätigkeiten mit dem Fortschritt
der Volkswirtschaft und der Kultur auf den Gebieten der beiden organischen Staatszwecke“ 6.
Adolph Wagners Gesetz der absoluten und relativen zunehmenden Staatsausgaben kann
folgende Ursachen haben:
•
•
•
•
Zunahme der öffentlichen Bedürfnisse
Änderungen in der Produktions- und Verkehrstechnik
Ausweitung des staatlich organisierten und finanzierten Bildungssektor
Veränderte Anforderungen an die öffentliche Finanzpolitik
- Konjunkturstabilisierung
- Umverteilung der Einkommen und Vermögen (Redistributionsfunktion)
- Allokationseffizienz steigern (wegen Marktversagen)
- Umweltschutzaktivitäten (wegen zu hoher externer Kosten)
Folgen:
• Hohe steuerliche Belastung für die Privatwirtschaft und Haushalte
• Privatwirtschaften ist im hohen Maße auf die Vermittlung des Staates angewiesen
• Zunahme der infrastrukturellen Vorleistungen des Staatssektors (Standortfrage)
Empirische Relevanz:
• In allen Industriestaaten sind die Staatsausgaben in Kriegsphasen sprunghaft
angestiegen.
• In der Nachkriegszeit fallen diese erhöhten Staatsanteile – wenn auch mit zeitlichen
Verzögerungen - wieder auf das Niveau der Vorkriegszeit zurück (displacement
effect).
• Dies gilt ebenso für besondere Situationen und Ereignisse (wie z.B. bei
marktwirtschaftlichen Transformationsprozessen, wo der Staat durch den Aufbau von
verkehrstechnischen Infrastrukturen gewissermaßen in Vorleistung treten muss, bevor
die Privatwirtschaft mit ihren Aktivitäten das Bruttoinlandsprodukt steigert und die
temporär angestiegenen Staatsquoten wieder auf das „Normalmaß“ senken kann.
• Die Liberalisierungsstrategie für ehemals staatlich kontrollierte Monopolunternehmen
(sogen. natürliche Monopole) in den westlichen Industrieländern, die seit Mitte der
1990er Jahre verstärkt umgesetzt wird, hat zum Ziel, den Einfluss und den Anteil des
Staates zurückzudrängen.
• Die weltweite Banken- und Finanzkrise von 2007-09 hat jedoch wieder die Rolle des
Staates als ordnender Faktor des Wirtschaftsgeschehens ins Rampenlicht gerückt. Die
6
A. Wagner: Staat in nationalökonomischer Hinsicht, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften,
Jena 1911, S. 727 – 739.
49
finanziellen Belastungen des Staates werden hierdurch wieder den Staatsanteil am BIP
steigen lassen.
Gründe für die Gültigkeit des Wagnerschen Gesetzes (im Überblick)7:
(1) Superiore Güter: Staatliche Leistungen reflektieren die Nachfragebedürfnisse der
Bürger und werden demzufolge in diesem Umfang gewünscht.
(2) Fiskalische Illusion: Bürger durchschauen nicht die finanziellen Konsequenzen
der staatlichen Ausgabenprogramme (der hohen Staatsquote). Die tatsächlichen
finanziellen Lasten werden bewusst verschleiert.
(3) Intergenerationelle Lastenverschiebung: Ausgabenprogramme werden durch
Kredite finanziert und die Lasten daraus an die zukünftigen Generationen
überwälzt.
(4) Urbanisierung: In Städten sind die Ausgaben für staatliche Leistungen höher als
auf dem flachen Lande (Brechtsches Gesetz, 1927)
(5) Baumol-Effekt: Staatliche Ausgabenprogramme basieren zunehmend auf
Dienstleistungen, die wegen der geringeren technischen Fortschrittsrate tendenziell
und relativ teuerer werden.
(6) Demokratisierung: Durch die Senkung des Wahlrechts-Alter haben sich mit dem
veränderten Wählerinteressen auch die staatlichen Ausgaben verändert.
(7) Demografischer Wandel: Die Alterung der Bevölkerung zu höheren staatlichen
Ausgaben für Renten, Gesundheitsleistungen und zur Linderung der Altersarmut.
7
Vgl. Wigger, B. U., Grundzüge der Finanzwirtschaft, 2. Auflage, Berlin 2006, S. 8 ff.
50
7.
Steuerliche Grundüberlegungen
Die Einnahme und Ausgabe von Steuern auf den verschiedenen staatlichen Finanzebenen
sollte sich nach gewissen ordnungspolitischen Überlegungen orientieren. Die Notwendigkeit
staatlichen Handelns ergibt sich aus den finanzpolitischen Aufgaben und Zielen des
staatlichen Gemeinwesens. Die Möglichkeiten und Wege, diese finanzpolitischen Aufgaben
zu erfüllen, sind jedoch vielfältig und bedürfen der Überprüfung, ob sie die Kriterien der
steuerpolitischen „Inzidenz“,„Effizienz“ und „Gerechtigkeit“ erfüllen.
7.1 Steuerinzidenz
Die Steuerinzidenz ist die materielle Steuerlast, die sich aus der formellen Steuerlast durch
Berücksichtigung von Überwälzungsvorgängen ergibt.
Untersucht wird dies in der Steuerwirkungslehre. Nur durch die Ermittlung der
Belastungswirkungen der Besteuerung kann eine Erörterung der Steuergerechtigkeit
stattfinden. Der Versuch, ein optimales Steuersystem zu schaffen, ist solange zwecklos, wie
die Belastungswirkungen verschiedener Steuerarten nicht bekannt sind.
Deshalb stellt die Lehre von der Inzidenz eines der ältesten und bedeutendsten
Forschungsfelder der Steuerwissenschaft dar. Kern der Lehre ist die Unterscheidung zwischen
formeller und materieller Steuerlast. Bei der formellen Steuerlast, auch Steueranstoß genannt,
handelt es sich um jene Geldbeträge, die von dem Steuerpflichtigen an die Finanzbehörden
abgeführt werden. Die materielle Steuerlast (Inzidenz) beschreibt jene Wohlstandseinbußen,
die bei den Steuerpflichtigen oder anderen Personen nach Abschluss aller
Überwälzungsvorgänge und Verzerrungen verbleiben. Unter Verzerrungen versteht man die
Zusatzlast der Besteuerung, die dadurch ausgelöst wird, dass die Steuerpflichtigen versuchen,
ihre Steuerlast durch Verhaltensänderungen zu verringern.
Die Gesamtheit der Zahllasten und der durch die Steuer verursachten Zusatzlasten entspricht
der materiellen Steuerlast oder Steuerinzidenz. Mit der Steuerinzidenz soll die personelle
Verteilung jener Wohlstandseinbußen gemessen werden, die sich nach Abschluss aller
Überwälzungsvorgänge einstellen und die sich von der formellen Steuerlast erheblich
unterscheiden können.
Formelle und materielle Steuerlast unterscheiden sich also, weil einerseits
Überwälzungsvorgänge stattfinden und weil die Besteuerung andererseits Verzerrungen
auslöst. Die Steuerinzidenz hängt nicht davon ab, ob die Steuer beim Käufer oder Verkäufer
erhoben wird, sondern sie hängt von der Elastizität der Nachfrage und des Angebots ab. Die
Steuerlast wird tendenziell von den Marktteilnehmern getragen, deren Elastizitäten gering
sind und die deshalb weniger leicht durch Mengenänderungen reagieren können.
In einem geschlossenen ökonomischen Modell verwendet der Staat die eingenommenen
Steuerbeträge für den Kauf von Gütern oder für die Zahlung von Transferleistungen an
Haushalte und Unternehmen. Die Steuereinnahmen stimmen mit den Staatsausgaben überein.
Konsequenterweise sollten bei der Analyse nicht nur die Steuerzahlungen berücksichtigt
werden sondern auch zugleich die mit den Staatsausgaben verbundenen Nutzengewinne der
Privaten. Dieses wird Budgetinzidenz genannt. Falls eine Besteuerung gewünscht ist, sollte
die Kopfsteuer ohne Umsatzsteuern den Verzerrungsverlust aufgrund von Minderkonsum
eliminieren, da der Steuerzahler von seinem Einkommen erst einen gewissen festen Betrag
abführt, ohne dann bei seinem Konsum erneut belastet zu werden.
51
Die Abfolge von Wirkung bei der Einführung einer neuen Steuer lässt sich im Rahmen eines
Phasenmodells (Schmölders/Hansmeyer) darstellen8:
Phasenschema der Steuerwirkungen
I. Phase
II. Phase
III. Phase
Wahrnehmungsphase
Zahlungsphase
Inzidenzphase
Steueranstoß
Signalwirkung
Steuerzahlung
Markt- und Preiswirkungen
Steuerinzidenz
Einkommenswirkungen
Steuerausweichung:
a) sachliche Substitution
b) räumliche Substitution
c) zeitliche Substitution
Steuerüberwälzung:
a) Vorwälzung
b) Rückwälzung
c) „schräge“ Wälzung
d) Kapitalisierung
Steuer-Folgeeffekte (Inzidenz):
a) Ansporn- und Lähmungswirkungen
zur Arbeitsleistung /Investition
b) Entzugseffekte i.e.S.
- Verbrauchseinschränkung
- Spareinschränkung
- Entsparen oder Kreditaufnahme
7.2
Steuereffizienz
Was bedeutet in diesem Zusammenhang steuerpolitische Effizienz? Ein Steuersystem ist
effizient, wenn die Beschaffung der Einnahmen mit möglichst geringen Kosten für die
Steuerzahler verbunden ist. Die Kosten für die Steuerzahler ergeben sich aus drei
unterschiedlichen Komponenten:
• Kostenbestandteil der Steuerzahlung ,
• Zusatzlasten für den Steuerzahler, weil dadurch seine Entscheidungen berührt oder
verzerrt werden,
• Erhebungsaufwand für die Befolgung der Steuergesetze .
Ein effizientes Steuersystem zeichnet sich dadurch aus, dass es mit geringen Zusatzlasten und
einen geringen Erhebungsaufwand verbunden ist.
Der Erhebungsaufwand für die Steuererhebung umfasst einerseits die Zeit für das Ausfüllen
der Steuerformulare und andererseits den laufenden Aufwand, um die notwendigen Belege zu
sammeln und die Aufzeichnungen zu führen. Dieser Aufwand könnte durch eine
Vereinfachung der Steuergesetze verringert werden.
Aufgaben:
a) Die Erhebung von Steuern auf Güter und Dienstleistungen oder auf das Arbeitseinkommen
beeinflusst die Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte in vielfältiger Weise. Diskutieren Sie
mögliche Reaktionsmuster der Steuerzahler, wenn z.B. die Mineralölsteuer, die Mehrwertsteuer
oder die Einkommensteuer erhöht wird.
b)Sollte das Einkommen oder der Konsum besteuert werden? Wo sehen Sie jeweils die Vor- und
Nachteile der beiden grundsätzlichen Wege, die Steuern zu erheben.
8
Vgl. Schmölders, G., Hansmeyer, K.-H., Allgemeine Steuerlehre, 5. Auflage, Berlin 1980, S. 147.
52
7.3
Steuergerechtigkeit
Steuerliche Gerechtigkeit durch Gleichheit ist seit langem ein anerkanntes Ziel der
Steuererhebung. A. Smith formulierte schon vier Grundregeln über die Steuern im
Allgemeinen9:
Prinzip der Gleichförmigkeit (equality of taxation): Die Steuerlast soll sich so genau als
möglich nach dem Verhältnis der Einkünfte darstellen.
Prinzip der Bestimmtheit: Die individuelle Steuerlast muss genau bestimmt und nicht
willkürlich sein.
Prinzip zeitnahen Besteuerung: Jede Steuer muss zu der Zeit und auf die Weise erhoben
werden, zu der es dem Steuerpflichtigen am leichtesten fällt, sie zu bezahlen.
Prinzip der Steuereffizienz: Jede Steuer muss so darstellen, dass die Erhebung einerseits
mit einem vertretbaren Aufwand erfolgt und andererseits die Leistungskraft der
Gewerbetreibenden nicht unbillig beeinträchtigt wird.
Aber es herrscht jedoch heute weitgehende Uneinigkeit darüber, was Gerechtigkeit in diesem
Zusammenhang konkret bedeutet und wie Steuergerechtigkeit beurteilt werden kann.
Zwei Prinzipien zur Beurteilung der Steuergerechtigkeit sind hier zu unterscheiden:
nämlich das klassische Prinzip der Äquivalenz von Steuerleistung der Bürger und staatlicher
Gegenleistung zum Beispiel in Form eines adäquaten Angebots öffentlicher Güter.
Das zweite Prinzip ist neueren Datums und verlangt die Besteuerung nach der finanziellen
Leistungsfähigkeit.
7.3.1 Äquivalenzprinzip
Jeder Bürger soll in dem Umfang Steuern zahlen wie er aus den beanspruchten staatlichen
Leistungen (öffentliche Güter) Vorteilen zieht. Dieses Prinzip versucht, öffentliche Güter –
finanziert über das staatliche Steueraufkommen – gleichzusetzen mit privaten Gütern, die
über den Markt durch die Entrichtung eines Kaufpreises erworben werden.
Das Äquivalenzprinzip umfasst zwei Aspekte:
(1) Steuern sollen Privaten nur abverlangt werden, soweit diese an öffentlichen
Leistungen partizipieren.
(2) Das Steueraufkommen soll der Bereitstellung der Leistungen dienen, für deren
Inanspruchnahme sie erhoben werden.
Ziel ist es eine allgemeine Äquivalenzsteuer zu erheben, d.h., die Steuerzahlung entspricht
dem Nutzen der Bürger aus öffentlichen Leistungen!
Das Äquivalenzprinzip ist ein Prinzip zur Ausgestaltung des Finanzierungsbeitrags der
Bürger für Leistungen ihres Staates. Es sagt aus, dass derjenige, der von einer Leistung einen
Vorteil hat, nach Maßgabe dieses Vorteils über eine entsprechende Abgabe zur Finanzierung
dieser Leistung herangezogen wird. Das Äquivalenzprinzip kann somit als Übertragung
marktwirtschaftlicher Mechanismen auf staatliche Aktivitäten angesehen werden. Es macht
vor allem Aussagen über die Steuergerechtigkeit. Es wird regelmäßig zur Rechtfertigung der
Erhebung von Steuern herangezogen. Demnach werden Steuern als Äquivalent für staatliche
Leistungen (benefit principle) bzw. als Kompensation staatlicher Kosten (cost principle)
9
Adam Smith, ”Reichtum der Nationen” in der Voltmedia-Ausgabe, im 5. Buch „Die Finanzen des Staates“, S.
852 ff.
53
aufgefasst. Mittlerweile gewinnt zur Begründung von Steuern und Abgaben aber auch die
konkurrierende Theorie des Leistungsfähigkeitsprinzips an Bedeutung.
Finanzwissenschaftlich hat das Äquivalenzprinzip aber nach wie vor Bedeutung bei der
Argumentation bezüglich der Einführung von Gebühren, Beiträgen oder Erwerbseinnahmen
des Staates.
Das Äquivalenzprinzip kann und braucht nicht zur Rechtfertigung für die Erhebung einer
Steuer herangezogen werden, da eine Steuererhebung gerade keine Gegenleistung voraussetzt.
Daher ist aber die Rechtfertigung anderer Abgaben durch dieses Prinzip durchaus sinnvoll.
Individual- und Gruppenäquivalenz: Individualäquivalenz: Für staatliche Leistungen,
die direkt einzelnen Bürgern zugerechnet werden, werden meistens Gebühren erhoben, zum
Beispiel für die Ausstellung eines neuen Personalausweises. Ist die staatliche Leistung für
eine bestimmte Gruppe von Bürgern potenziell nutzbar, werden Beiträge erhoben, z.B.
Kanalerschließungsbeiträge.
Für die Besteuerung kommt dagegen nur eine weniger enge Gruppenäquivalenz in Frage.
Daher kann mit dem Äquivalenzprinzip bei der Besteuerung hauptsächlich auch nur die
Erhebung einer bestimmten Steuer bei bestimmten Gruppen, seltener jedoch die
Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage begründet werden.
Äquivalenzprinzip bei Gebühren und Steuern: Je nach Enge der möglichen
Zurechnung, bieten sich Kombinationen von Steuern und Gebühren an.
Beispielsweise entspricht es dem Äquivalenzprinzip, wenn die Mineralölsteuer für den Bau
von Straßen verwendet werden, durch die Kombination aus verbrauchsabhängiger
Mineralölsteuer und schadstoffabhängiger Kfz-Steuer wird auch eine Kostenäquivalenz
berücksichtigt. Genauso können jedoch Straßen auch durch die Erhebung einer Maut-Gebühr
finanziert werden. Dabei muss man aus Effizienzgesichtspunkten die höheren Kosten einer
Gebührenerhebung (siehe: Toll Collect) bei gleichzeitig besserer Zurechnung von Kosten
(bzw. Erfassung von Nutzen) mit den niedrigeren Kosten einer Steuererhebung bei
gleichzeitig schlechterer Kosten-Nutzen-Zurechnung abwägen.
Methodischer Ansatz zur Feststellung der Steuergerechtigkeit:
Die Einkommens- und Preiselastizität der Nachfrage sind bei der Bemessung der Steuer zu
berücksichtigen, damit der erhobene Steuerbeitrag dem Nutzen aus empfangenen öffentlichen
Leistungen entspricht. Den Nutzen aus den öffentlichen Leistungen kann man entsprechend
der Präferenzen der Wirtschaftssubjekte mit Hilfe der Einkommens- und direkten
Preiselastizität ableiten. Produkte mit einer hohen Einkommenselastizität nennt man superiore
Güter (hohes Wachstumspotential), mit einer niedrigen Einkommenselastizität implizieren
inferiore Güter (wachstumsschwach). Die Preiselastizität bringt zum Ausdruck, wie die
Nachfrager im Konsumverhalten mengenmäßig reagieren, wenn die Preise der Güter infolge
eines Steueraufschlags sich erhöhen.
Einkommens-Elastizität: ε y =
∆x x
;
∆y y
Preiselastizität: ε p =
∆x x
∆p p
54
Aus dem Verhältnis von Einkommens- und Preiselastizität:
ε y ∆p p
lassen sich
=
ε p ∆y y
Anhaltspunkte gewinnen, wie die Steuerwirkung ausfällt und demzufolge welcher Steuertarif
(progressiv, regressiv) zu wählen ist, um Steuergerechtigkeit gemäß dem Äquivalenzprinzip
herzustellen.
= 1 → proportionale Steuer
εy 
= > 1 → progressive Steuer
εp 
< 1 → regressive Steuer
7.3.2 Leistungsfähigkeitsprinzip
Die Leistungsfähigkeit als Prinzip der Besteuerung ist im Sinne der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit zu interpretieren. Die gerechte Belastung erfordert dabei die horizontale
und vertikale Gleichbehandlung. Die horizontale Gleichbehandlung erfordert, dass gleiche
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch die gleiche Steuerbelastung zur Folge haben muss.
Die vertikale Gleichbehandlung erfordert, dass Bürger mit einer unterschiedlichen
Leistungsfähigkeit auch eine unterschiedliche Steuerbelastung haben sollen im Sinne einer
„gerechten“ Verteilung der Lasten. Alle sollen ein gleiches Opfer für die Allgemeinheit
erbringen (Opfertheorien nach der Grenznutzlehre)
Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist ein Fundamentalprinzip der Besteuerung und als solches
Ausfluss des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) im Steuerrecht. Es besagt allgemein,
dass jeder nach Maßgabe seiner individuellen ökonomischen Leistungsfähigkeit zur
Finanzierung staatlicher Leistungen beitragen soll.
Das Leistungsfähigkeitsprinzip hat damit das ältere Äquivalenzprinzip abgelöst, das heute
nur noch zur Rechtfertigung der Erhebung bestimmter Steuern wie zum Beispiel der
Gewerbesteuer angeführt wird. Nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip richtet sich die
Steuerhöhe nicht nach Äquivalenzgesichtspunkten, sondern nach der Frage, wie viel der
Steuerpflichtige in der Lage ist, zur Staatsfinanzierung beizutragen (Leistungsfähigkeit als
Fähigkeit, Steuern zahlen zu können).
Problematisch ist, dass weder der Begriff der Steuergerechtigkeit, noch der Begriff der
Leistungsfähigkeit exakt definiert ist. Will man durch das Leistungsfähigkeitsprinzip
Steuergerechtigkeit erreichen, so muss man den Begriff konkretisieren.
Horizontale und vertikale Steuergerechtigkeit
Es wird zwischen horizontaler (zwischen Beziehern gleich hoher Einkommen) und vertikaler
(zwischen Beziehern unterschiedlich hoher Einkommen) Steuergerechtigkeit unterschieden.
Das Leistungsfähigkeitsprinzip befasst sich in erster Linie mit horizontaler Gerechtigkeit.
Für den Vergleich von Beziehern unterschiedlich hoher Einkommen sagt das
Leistungsfähigkeitsprinzip zunächst nur aus, dass gewährleistet sein muss, dass derjenige mit
dem höheren Einkommen auch mehr Steuern zahlen muss. Über das Ausmaß der
Progressionsstaffel sagt es jedoch nichts aus. Die vertikale Steuergerechtigkeit ist nur
schwer definierbar – sie findet ihren Ausfluss z.B. als eine der Begründungen für den
Progressionstarif des EStG. Die Begründung für den progressiven Tarif der Einkommensteuer
55
könnte zum einen aus dem Sozialstaatsprinzip heraus erfolgen und zum anderen direkt aus
dem Gleichheitssatz abgeleitet werden, wie das z.B. vom Bundesverfassungsgericht gesehen
wird (vgl. BVerfGE 8, S. 51).
Subjekte steuerlicher Leistungsfähigkeit
Grundsätzlich wendet sich der Gleichheitssatz primär an natürliche Personen, über Artikel
19 Absatz 3 GG aber auch an inländische juristische Personen (vor allem
Kapitalgesellschaften). Über europarechtliche Diskriminierungsverbote gilt der
Gleichheitssatz auch für ausländische juristische Personen. Da Unternehmen als
Bezugsobjekte des Leistungsfähigkeitsprinzips aber immer letztlich von Menschen zur
Erzielung von Einnahmen eingesetzt werden, ist auch das Zusammenwirken von Besteuerung
auf Unternehmensebene und bei den dahinter stehenden Menschen zu beachten.
Messung der Leistungsfähigkeit
Die Beachtung des Leistungsfähigkeitsprinzips im deutschen differenzierten Steuersystem
steht also vor der Frage, was der beste Indikator für steuerliche Leistungsfähigkeit ist.
Grundsätzlich sind dazu drei Größen denkbar: Das Einkommen, das Vermögen oder der
Konsum, wobei jede Steuererhebung auf alle drei Größen belastend wirkt (bei Besteuerung
des Einkommens sinkt dieses, so dass weniger Vermögen aufgebaut wird und/oder weniger
konsumiert werden kann).
Das Einkommen ist grundsätzlich ein geeigneter Indikator für Leistungsfähigkeit. Offen bleibt
dabei aber immer noch, ob das gesamte Einkommen oder das Konsumeinkommen
(abzüglich Investition/Sparen) Messgröße sein soll, was alles zum Einkommen zählt und über
welchen Zeitabschnitt die Messung des Einkommens erfolgen soll. Für natürliche Personen
wird in der Regel zwischen dem objektiven Nettoprinzip und dem subjektiven Nettoprinzip
unterschieden. Das objektive Nettoprinzip verlangt, dass nur das Erwerbseinkommen, also
die Erwerbseinnahmen gekürzt um die Erwerbsausgaben, besteuert werden. Das subjektive
Nettoprinzip verlangt darüber hinaus die Abzugsfähigkeit privater Ausgaben, die für die
Lebensführung unentbehrlich sind.
Bei der Umsatzsteuer ist der Endverbraucher nach dem Ziel der Steuer der Steuerträger, auch
wenn die Steuer vom Unternehmer abgeführt wird. Umsatzsteuer und Einkommensteuer
ergänzen sich, da die Umsatzsteuer somit den Konsum erfasst, während die Einkommensteuer
das Einkommen erfasst hat. Dennoch müssen Vorkehrungen getroffen werden, um bestimmte
Leistungen aus der Umsatzsteuer herauszunehmen bzw. zu entlasten (Grundnahrungsmittel,
ärztliche Leistungen etc.).
56
8 Zur Problematik der Ökosteuer
8.1 Volkswirtschaftliche Vorüberlegungen zur Ökosteuer
Die Ökosteuer ist dem Wesen nach eine (Mengen-)Steuer auf den Energieverbrauch bzw. auf
umweltschädliches Verhalten. Sie soll primär die externen Effekte der volkswirtschaftlichen
Kosten für die zunehmenden Umweltbelastungen kompensieren (Pigou-Steuer).
Zusätzlich wird damit ein zweiter Zweck verfolgt: Das Steueraufkommen dient teilweise der
Reduzierung der Beitragssätze für die Sozialversicherung (Lohnnebenkosten). Das Konzept
wurde Anfang der 1980er Jahre vom Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger
entwickelt10 und verbindet zwei Ansätze:
Besteuerung des knappen Gutes Energie mit dem Ziel der Steigerung der Effizienz des
Energieeinsatzes.
Verbreiterung der Basis für die Finanzierung der sozialen Sicherung.
Ökosteuern nutzen also das Steuerrecht, um Anliegen der Umweltpolitik mit steuerlichen
Maßnahmen zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang wird auch von einer Ökologisierung
des Steuerrechts gesprochen. Damit ist gemeint, dass neue Steuern beschlossen oder einzelne
Vorschriften von bestehenden Steuergesetzen so umgestaltet werden, dass sie
Lenkungswirkung im Sinne des Umweltschutzes entfalten.
Die Ökosteuer entspringt der Überlegung, dass Märkte für Rohstoffe wie Erdöl sich nicht
dauerhaft stabil verhalten, da die natürlichen Vorräte fossiler Energieträger begrenzt sind. Aus
einer auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit orientierten Sicht wäre heutiges Mineralöl zu
billig, zukünftiges Mineralöl zu teuer. Die Mineralölsteuer soll diesen Anstieg des
Mineralölpreises vorwegnehmen, um ihn einerseits zu glätten und andererseits den Markt
frühzeitig an eine solche Situation zu gewöhnen. So soll der Betrieb sparsamerer
Kraftfahrzeuge im Verhältnis günstiger werden, was wiederum die Technologieentwicklung
auf diesem Gebiet anregen soll. Manche meinen sogar, dadurch würde eine konkurrenzfähige
Industrie geschaffen, deren energieeffizientere Produkte sich bei einem tatsächlichen PreisAnstieg auf dem Ölmarkt als Exportschlager erweisen sollen.
10
Binswanger, H.Chr., Geld und Natur – Das wirtschaftliche Wachstum im Spannungsfeld von Ökonomie und
Ökologie, Stuttgart 1991.
57
8.2
Ökologische Steuerreform in Deutschland
Der ökologischen Steuerreform lag die Kritik zugrunde, dass das bisherige Steuerrecht
ökologische Kriterien des Wirtschaftens nicht oder nur unzureichend berücksichtige und
unbeabsichtigt ökologisch schädliche Wirkungen hervorrufe. Ein Beispiel dafür war die
Orientierung der Kraftfahrzeugsteuer allein an der Hubraumgröße. Inzwischen orientiert die
Kraftfahrzeugsteuer sich überwiegend daran, wie gut das jeweilige Fahrzeug seine Abgase
filtert. Wie andere ökonomische Instrumente auch hat die Nutzung des Steuerrechts für den
Umweltschutz den Vorteil gegenüber ordnungspolitischen Maßnahmen (gesetzlichen
Verpflichtungen), dass der Einzelne in seiner Entscheidung frei bleibt, ein geringerer
Kontrollaufwand verursacht wird und das Problem der Kontrolldefizite entfällt. Im
Vordergrund eines ökologischen Steuersystems steht die Idee der „doppelte Dividende“.
Hierunter ist die Internalisierung der externen Effekte in Form von Umweltverschmutzung
einerseits und die Generierung von Steuereinnahmen andererseits zu verstehen. Eine
Besteuerung umweltschädlichen Verhaltens schaffe demnach keine Zusatzlasten.
Ökosteuergesetze in Deutschland
In Deutschland sind seit 1998 mehrfach Gesetze mit Zielrichtung "Ökologisierung des
Steuerrechts" erlassen worden.
•
•
•
•
•
Mit dem Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform vom 24. März 1999
(BGBl. I S. 378) wurde als neue Verbrauchsteuer eine Stromsteuer eingeführt. Strom
aus regenerativen Energieträgern ist davon befreit, sofern der Strom aus Netzen
entnommen wird, die ausschließlich mit solchen Energieträgern gespeist werden. Für
industrielle Großverbraucher wurde im Interesse ihrer internationalen
Wettbewerbsfähigkeit die Steuer ermäßigt. Die Mineralölsteuer wurde nach
ökologischen Kriterien gestaffelt; dabei wurden bestimmte Verwendungszwecke
begünstigt. Von 1999 bis 2003 wurde die Steuer mehrmals erhöht. Von der Erhöhung
der Mineralölsteuer befreit sind Unternehmen des Produzierenden Gewerbes. Strom
erhalten diese Betriebe zu einem zu 40 % ermäßigten Steuersatz.
Das Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform vom 16. Dezember 1999
(BGBl. I S. 2432) brachte eine befristete Mineralölsteuerbefreiung für Gas- und
Dampfturbinenkraftwerke mit hohem Wirkungsgrad und einige Korrekturen des ersten
Gesetzes, mit denen unerwünschte Auswirkungen vermieden werden sollten.
Als dritte Stufe wurde das Gesetz zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform
vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4602) erlassen, das eine weitere - nach den
Umweltauswirkungen gestaffelte - Erhöhung der Mineralölsteuer enthielt.
Die deutsche Ökosteuer dient auch der Generierung von Staatseinnahmen, die den
Rentenkassen zufließen sollen. So wäre, selbst wenn die Ökosteuer abgeschafft
werden sollte, die Abgabenlast nicht verringert, sondern nur anders verteilt. Entweder
als höhere Rentenversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer, als niedrigere Renten oder
als zu jüngeren Generationen mit Zinseszins verschobene Steuerzahlung in Form von
Staatsschulden.
Aktuell steht eine Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes zur Debatte.
58
Entwicklung des Öko-Steueraufkommens (1999-2004)
Jahr
1999
2000
2001
2002
2003
2004
Einnahmen Ökosteuern
(in Mio. Euro)
4300
8800
11.800
14.300
18.700
18.100
zur Förderung
Davon:
in die Rentenversicherung erneuerbarer Energien
4200
100
8400
100
11.200
200
13.700
200
16.100
100
16.000
100
Besonderheit der Ausgestaltung und unmittelbaren Folgen der Ökosteuer:
•
•
•
Obwohl Flugzeuge unter bestimmten Gesichtspunkten hohe spezifische
Umweltbelastungen verursachen, ist der Luftverkehr von der Ökosteuer befreit.
In grenznahen Gebieten wird von den Autofahrern die Ökosteuer unterwandert, indem
Tanktourismus in Nachbarländer betrieben wird. Die Folge ist, dass Tankstellen in
grenznahen Gebieten auf deutscher Seite schließen müssen. Aus diesem Grund wurde
bereits diskutiert, in grenznahen Gebieten Sonderregelungen einzuführen, was aber
scheiterte.
Verfassungsgerichtliche Überprüfung: Am 20. April 2004 stellte der erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts die Rechtmäßigkeit einzelner Ausnahmetatbestände der
Ökosteuer fest. Verfassungsbeschwerden von Speditionen und Kühlhausbetreiber
hatten gegen Regelungen des Stromsteuergesetzes und des Mineralölsteuergesetzes
geklagt.
8.3 Kritik an der Ökosteuer in Deutschland
•
Konkurrenzfähigkeit
Die Wirksamkeit der bisherigen Reformschritte wird überwiegend zurückhaltend bis
skeptisch beurteilt. Die vor allem von Wirtschaftsverbänden geäußerte Befürchtung,
die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft werde beeinträchtigt, scheint sich
nicht bewahrheitet zu haben. Innerhalb des Binnenmarktes tragen alle nicht
harmonisierten Steuern das Problem in sich, dass sie zur Verlagerung von
Investitionen in andere Länder führen können und infolgedessen zu einem
Wettbewerb der Länder um möglichst niedrige Steuern. Dies trifft auch für die Steuern
zu, die durch die ökologische Steuerreform verändert wurden. Dieses Problem ließe
sich nur durch eine gemeinschaftsweite Regelung beheben, die jedoch nicht geplant
ist.
59
•
Lenkungswirkung
Eine deutliche Lenkungswirkung in Richtung auf die erwünschten Investitionen in
neue, umweltverträgliche Technologien lässt sich bisher jedoch allenfalls in eng
umgrenzten Teilbereichen beobachten, so zum Beispiel in Gestalt einer erhöhten
Nachfrage nach verbrauchsreduzierten Pkw. Die weit reichenden
Ausnahmeregelungen für energieintensive Industriezweige bewahren diese zwar vor
Kostensteigerungen, bieten jedoch keinen Anreiz für Modernisierungsinvestitionen
oder technische Neuentwicklung.
•
Zweckbindung
Eine weitere Problematik liegt darin, dass die Steuer politisch nicht allein mit ihrer
ökologischen Lenkungswirkung begründet wurde, sondern ein Zusammenhang mit der
gesetzlich verordneten Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen hergestellt wurde,
deren erhoffte belebende Wirkung auf den Arbeitsmarkt ausgeblieben ist. Neben
allgemeinen steuersystematischen Bedenken gegen derartige Zweckbindungen spricht
gegen diese Verbindung der Umstand, dass das Steueraufkommen infolge der
ökologischen Steuerreform tendenziell sinken muss, wenn die gewünschte Wirkung
erzielt wird, während der Finanzbedarf der Sozialversicherungen tendenziell steigt und
daher nicht dauerhaft aus diesem Teil des Steueraufkommens gedeckt werden kann.
•
Effizienz
Effizienz im Sinne der Umweltökonomie ist dann gegeben, wenn bei allen
Schadstoffquellen die zusätzlichen Kosten für die Vermeidung einer zusätzlichen
Einheit des Schadstoffes (Grenzvermeidungskosten) genau gleich sind. Dies ist nur
dann der Fall, wenn der Steuersatz für alle Schadstoffquellen einheitlich gewählt wird.
Dann bewirken Umschichtungen zwischen zwei Schadstoffquellen keine
Wohlfahrtsgewinne mehr. Im Standardpreisansatz nach Baumol wird dies als gegeben
angenommen. Ein soziales Optimum im Sinne der Internalisierung der Externen
Effekte (Vgl. Pigou-Steuer, Externer Effekt) wird dabei nicht angestrebt. Vielmehr
soll lediglich ein bestimmtes Umweltziel erreicht werden.
In der Realität werden in bestimmten Fällen gleiche Stoffe in unterschiedlicher
Verwendung unterschiedlich besteuert. So zum Beispiel genießt das produzierende
Gewerbe und Land- und Forstwirte Steuerermäßigungen oder leichtes Heizöl und
Diesel - faktisch das Gleiche - unterliegen unterschiedlichen Steuersätzen. Dies führt
zur Ineffizienz der Ökosteuer.
Betrachtet man die ökologische Treffsicherheit einer Abgabenlösung (wie die
Ökosteuer), so kann es dazu kommen, dass ein falsch gewählter Steuersatz zu
Abweichungen vom Umweltziel führt. Von daher ist eine Abgabenlösung weniger
treffsicher als der Emissionsrechtehandel, also einer Zertifikatelösung, da bei dieser
das Umweltziel direkt beeinflusst werden kann.
•
Soziale Gerechtigkeit
Indirekte Steuern wirken degressiv, das heißt, sie treffen Personen mit kleinen
Einkommen stärker als Personen mit hohen Einkommen. Ein ökologisches
Steuersystem wird daher häufig als sozial ungerecht aufgefasst. Auch ist
60
energieintensiv zu betreibender Wohnraum meist von den unteren sozialen Schichten
genutzt (z.B. energetisch unsanierte Altbauten oder auch gebrauchte PKW), was die
Degressivität noch weiter verstärkt. Die degressive Steuerwirkung ließe sich durch
eine Subvention der Grundgebühr für Energiebezugsleistungen (z.B. Grundgebühr für
elektrischen Strom oder Erdgas) ausgleichen. Diese Subvention müsste der
durchschnittlichen Zusatzbelastung durch die Energiesteuer entsprechen, sodass die
Lenkungswirkung identisch bliebe und die soziale Umverteilung aufgehoben wäre. Sie
würde allerdings auch einen weiter erhöhten bürokratischen Aufwand und damit
zusätzliche Kosten bedeuten.
•
Inflationsabhängigkeit
Anpassungen von Steuern an wechselnde Inflationsraten sind in der Realität häufig
mit Problemen verbunden. Änderungen der Steuersätze sind häufig mit großem
politischen Aufwand verbunden. Die Inflationsrate hingegen kann sich auch
vergleichsweise schnell ändern.
8.4 Ökosteuer als Entropiesteuer
Ökosteuer steht für Steuern auf jeder Form von Energieträgern, deren Verbrauch die Umwelt
belastet. Wird – wie bei der Umsatzsteuer (so genannte Mehrwertsteuer) – durch die
Möglichkeit zum Vorsteuerabzug sichergestellt, dass nur der Endverbraucher von Energie die
Steuerlast trägt, dann handelt es sich bei der Ökosteuer um eine Steuer auf den
Energieverbrauch. Der Energieverbrauch entspricht einer Erhöhung der Entropie. Mit ihr
belastet ein Energieverbraucher die mit der Gemeinschaft geteilte Umwelt.
Bei der Ökosteuer handelt es sich also um eine „Entropiesteuer“, mit der nach dem
Verursacherprinzip die Umweltbelastung besteuert wird.
61
Literaturhinweise
Bajohr, St., Grundriss Staatliche Finanzpolitik, 2. Auflage, Wiesbaden 2007
Blankart, Ch. B., Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 6. Auflage, München 2006
Brümmerdorf, D., Finanzwissenschaften, 9. Auflage, München 2007
Giacomo, C., Öffentliche Finanzen: Ausgabenpolitik, 2. Auflage, Tübingen 2007
Graf, G., Grundlagen der Finanzwissenschaften, 2. Auflage, Heidelberg 2004
Keuschnigg, Ch., Öffentliche Finanzen: Einnahmepolitik, Tübingen 2005
Musgrave, R. A., Finanztheorie, 2. Auflage, Tübingen 1974
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62
Anhang
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