Prof. Dr. Hans Schumacher WS 2011-12 Staatliche Finanzpolitik Gliederung: 1 Grundlagen staatlicher Finanzpolitik ......................................................... 1 1.1 Bedeutung der Finanzpolitik ........................................................................................... 1 1.2 Finanzpolitik im geschichtlichen Wandel ....................................................................... 1 1.3 Konzeptionelle Grundlagen zur Finanzpolitik................................................................ 3 1.4 Träger staatlicher Finanzpolitik ...................................................................................... 4 1.5 Aufgaben und Ziele der Finanzpolitik ............................................................................ 5 1.5.1 1.5.2 1.5.3 Die Oberziele der Finanzpolitik ................................................................................................. 5 Zielbeziehungen und Zielkonflikte ............................................................................................ 7 Wandel der finanzpolitischen Ziele............................................................................................ 8 1.6 Zusammenfassung: Ziele, Gesetze und Restriktionen.................................................... 9 2 Marktversagen und Staatliche Finanzpolitik ............................................ 12 2.2 Volkswirtschaftliche Güterklassifikation ...................................................................... 12 2.2 Öffentliche oder meritorische Güter.............................................................................. 14 3. Finanzverfassung: Gesetzliche Grundlagen ............................................. 15 4. Grundsätze und Haushaltskreislauf .................................................................... 17 4.1 Grundsätze der öffentlichen Haushaltsführung ........................................................... 17 4.2 Der Haushaltskreislauf (4-Phasen)............................................................................... 17 4.3 Inhaltlicher und struktureller Überblick zum Staatshaushalt ..................................... 18 4.3.1 4.3.2 4.3.3 Die Einnahmenarten................................................................................................................. 18 Kreditfinanzierung des Haushalts ............................................................................................ 19 Die Ausgabenarten ................................................................................................................... 20 5 Der öffentliche Haushalt im Einzelnen..................................................... 23 5.1 Der Haushaltsplan des Bundes 2007............................................................................. 23 5.2 Der Bundeshaushalt im Entwurf für 2008.................................................................... 25 5.2.1 5.2.2 5.3 Die Einnahmen im Bundeshaushalt 2008................................................................................. 26 Die Ausgaben im Bundeshaushalt 2008................................................................................... 27 Die Entwicklung der Bundesschulden und Zinslasten................................................. 28 II 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes.............................................................. 29 Der Finanzplan des Bundes 2007 – 2011................................................................................. 29 Nettokreditaufnahme des Bundes bis 2011 .............................................................................. 30 Die Zinslasten im Bundeshaushalt ........................................................................................... 31 5.5 Entwicklung ausgewählter Einzelpläne ........................................................................ 32 5.6 Der föderale Finanzausgleich in Deutschland ............................................................. 34 6 Zur öffentlichen Verschuldungslage ......................................................... 38 6.1 Schulden und Schuldenstandsquoten............................................................................ 38 6.2 Entwicklung der Finanzierungssalden.......................................................................... 39 6.3 Entwicklung der Steuer-, Abgaben- und Staatsquoten................................................. 40 6.3.1 Steuer- und Abgabenquoten ............................................................................................ 40 6.3.2 Die Staatsquote......................................................................................................................... 45 6.3.3 Das Wagner´sche Gesetz.......................................................................................................... 48 7. Steuerliche Grundüberlegungen................................................................ 50 7.1 Steuerinzidenz................................................................................................................. 50 7.2 Steuereffizienz ................................................................................................................ 51 7.3 Steuergerechtigkeit ......................................................................................................... 52 7.3.1 7.3.2 Äquivalenzprinzip .................................................................................................................... 52 Leistungsfähigkeitsprinzip ....................................................................................................... 54 8 Zur Problematik der Ökosteuer ................................................................. 56 8.1 Volkswirtschaftliche Vorüberlegungen zur Ökosteuer................................................. 56 8.2 Ökologische Steuerreform in Deutschland ................................................................... 57 8.3 Kritik an der Ökosteuer in Deutschland........................................................................ 58 8.4 Ökosteuer als Entropiesteuer ......................................................................................... 60 Literaturhinweise................................................................................................ 61 Anhang .................................................................................................................................. 62 1 Staatliche Finanzpolitik 1 Grundlagen staatlicher Finanzpolitik 1.1 Bedeutung der Finanzpolitik Die Finanzpolitik umspannt einen weiten Bereich politischer Aktivitäten. Neben der Geldund Konjunkturpolitik hat sie die Funktion eines volkswirtschaftlichen Steuerungsinstrumentes inne. Die Grundelemente der Finanzpolitik im Rahmen der Gestaltung des Staatshaushalts sind die Einnahmen des Staates, sowie seine Ausgaben. Hinter diesen beiden Begriffen verbergen sie komplexe modelltheoretische Ansätze, auf die im folgendem noch vertieft eingegangen wird. Vorwegzunehmen ist die Tatsache, dass es in der Finanzpolitik keine exakte Vorgehensstrategie gibt. Sowohl wirtschaftliche Randbedingungen als auch formulierte Zielvorstellungen unterliegen dynamischen Prozessen. Derzeit trägt das Medieninteresse und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu einem stetigen Bedeutungszuwachs finanzpolitischer Entscheidungen bei. Dies erklärt sich durch ihre direkten Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Lage, dass beispielsweise Produktionsstandorte aufgrund der Steuergesetzgebung in das Ausland abwandern und somit indirekt die Arbeitslosigkeit erhöhen. Aber noch unmittelbarere Folgen hat der Einfluss der Finanzpolitik auf das Einkommen bzw. auf das Steueraufkommen eines jeden Konsumenten. Dies stellt die Finanzpolitik in den Mittelpunkt des Interesses und macht sie zum Maßstab für die Beurteilung der wirtschaftspolitischen Kompetenz einer Regierung. 1.2 Finanzpolitik im geschichtlichen Wandel Wirtschaftspolitische Sichtweisen und Ansätze unterlagen in den letzten Jahrhunderten einem kontinuierlichen Prozess der Weiterentwicklung. Es empfiehlt sich eine Einteilung in drei bedeutende Zeitintervalle. In der ersten Phase von der Reformation bis in das 17. und 18. Jahrhundert war der Merkantilismus vorherrschend in der Wirtschaftslehre. Er wurde bestimmt durch das persönliche Führungsverhalten des herrschenden Souveräns. Eine Trennung zwischen den öffentlichen Haushalten und dem Haushalt des Souveräns gab es zu ihrer Zeit noch nicht. Ziel ihrer wirtschaftspolitischen Maßnahmen war die Hebung der produktiven Kräfte im Handel, Gewerbe und der landwirtschaftlichen Produktion. Die Entfaltung der Produktivkräfte förderte zum einen die Wirtschaft und stärkte zum anderen das Ansehen und die Macht des Staates. Oftmals führte es aber zu einem Anstieg des Staatsschatzes, wie das z.B. in Preußen der Fall war. Führende Köpfe der Finanzwissenschaft jener Tage erkannten bald, daß dieses staatliche Schätzesammeln“ durch eine nützliche Verwendung der Geldmittel zu ersetzen sei, um einen erhöhten Nutzen für das Volkseinkommen zu erzielen. Es herrschte die Auffassung vor, dass ein Staat ohne Staatsschuld entweder zu wenig für seine Zukunft unternehme. Hier entwickelt sich langsam das Gedankengut, daß eine gezielte Ausgabenpolitik, bis hin zur Staatsverschuldung, einen Entwicklungsimpuls für die Gesamtwirtschaft bedeuten kann. Die zweite Phase ist gekennzeichnet durch das Aufkommen neuer wirtschaftspolitischer Theorien für das industrielle Zeitalter, deren Anhänger später von Keynes als Klassiker 2 bezeichnet werden. Allen voran stehen hier wegweisende Gedanken der Herren Adam Smith, Jean-Baptiste Say und David Ricardo im Vordergrund. Die Grundintention Adam Smiths ist die Betrachtung der ökonomischen Folgen der Ausgabenpolitik eines Staates. Dazu trifft er die Unterteilung in produktive und unproduktive Arbeit, wobei dem Staat vorgeworfen wird, seine Ausgaben in unproduktive Arbeit zu investieren und somit der Volkswirtschaft kein direkter Nutzen entsteht. Vorteilhafter wäre die Investition in produktive Arbeit, was sofort mit einem Anstieg des Volkseinkommens gleichzusetzen wäre. Dies widerspricht der Meinung, die bereits in der Endphase des Merkantilismus vertreten wurde. Hier wurde geäußert, daß die Ausgabenverwendung für öffentliche Güter, wie z.B. für Polizei und Militär, „zu einer Umverteilung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage“ beitrage. Heute spricht man von einer Beeinflussung der Einkommensverteilung und somit des Konsumverhaltens. Jean Baptiste Say war ein Verfechter der Gedanken von Adam Smith. Er stellte alle Funktionen des Staates hinter die für ihn am wichtigsten erscheinende Funktion der Steuererhebung. Das Bemühen des Staates sollte es dann sein, steuerliche Regelungen zum Wohle einer volkswirtschaftlichen Entwicklung zu erlassen. Während Adam Smith die Betonung auf die Ausgabenseite der staatlichen Finanzpolitik legt, übt David Ricardo Kritik an der damit verbundenen Schuldenpolitik. Er sieht in der öffentlichen Kreditfinanzierung die größte Gefahr für den Staat. Nicht die Schwerpunktsetzung auf die Ausgabenpolitik liegt in seinem Interesse, sondern vielmehr die Übernahme einer reinen Finanzierungsfunktion durch den Staat. Seine Aktivitäten sollen sich verstärkt auf die Einnahmeseite, d.h. Steuerung fiskalpolitischer Maßnahmen sowie Kontrolle öffentlicher Kreditaufnahme, konzentrieren. Man erkennt deutlich den Unterschied der beiden letztgenannten Ansätze zu Adam Smiths, welche genau entgegengesetzt gerichtet sind. Hier sieht man schon, daß es sehr schwierig ist, die verschiedenen Theorien zu beurteilen, da unterschiedliche gesellschaftsphilosophische Denkweisen mit einfließen. Alle Modelle sind abhängig von der Definition der Rolle, die der Staat in einer Volkswirtschaft übernehmen soll. Die dritte Phase wurde durch die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre dieses Jahrhunderts eingeleitet. Hier halfen die klassischen Ansätze der Parallelpolitik, die dem Staat eine passive Rolle zuwiesen, nicht weiter. John Mayard Keynes war der erste, der erkannte, daß der Staat die Möglichkeit hat, mit Hilfe gezielter und zeitweise forcierter Ausgaben- und Einnahmepolitik, eine Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Lage zu erreichen. Nach dem Inkrafttreten des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes von 1967 wurde der Finanzpolitik vorrangig eine Stabilisierungsfunktion zugewiesen. Den Konjunkturschwankungen der Wirtschaft wurde aktiv entgegen gesteuert, indem in Boomphasen durch Steuereinnahmen die Wirtschaftsentwicklung gedämpft bzw. in der Rezession durch erhöhte Ausgaben und Investitionen die Wirtschaft wieder angekurbelt wurde. 3 1.3 Konzeptionelle Grundlagen zur Finanzpolitik Es gibt zwei unterschiedliche Auffassungen von Wirkmechanismen in der Volkswirtschaft: Das Klassische Modell und das Keynesianische Modell. Diese Modelle beschreiben den Zusammenhang zwischen Preisen und Löhnen auf der einen Seite und Angebot und Nachfrage dieser Größen auf der anderen Seite. Innerhalb des Klassischen Modells, das die mikroökonomische Betrachtungsweise in den Vordergrund stellt, sind alle Preise und Löhne vollkommen flexibel, daher reagieren die Preise und Löhne sehr schnell auf Nachfrage- und Angebotsüberhang beseitigen diesen und bilden daher immer wieder ein Gleichgewicht. Soweit die Löhne sofort angepasst werden, und jeder Arbeitnehmer bereit ist zum aktuellen Lohn zu arbeiten, kann es nach diesem Modell zu keiner Zeit eine unfreiwillige Arbeitslosigkeit geben. Diese Sicht der Volkswirtschaft hat zur Folge, dass wirtschaftspolitische Maßnahmen im allgemeinen und finanzpolitische Maßnahmen im besonderen keine Auswirkung auf das Produktionsniveau und die Arbeitslosigkeit haben. Die Klassische Wirtschaftstheorie vermochte keine befriedigenden Antworten auf die Ursachen und Auswege aus der großen Depression der Weltwirtschaftskrise geben. Vor diesem Hintergrund entwickelte der Engländer John M. KEYNES einen bis dahin völlig neuen makroökonomischen Modellansatz, der einen besseren Zugang zur Erklärung der großen weltwirtschaftlichen Depression öffnete. Es geht im Gegensatz zum Klassischen Modell ging Keynes von nicht völlig flexiblen Preisen und Löhnen aus. In einer Unterbeschäftigung mit hoher Arbeitslosigkeit und nicht ausgelasteten Kapazitäten führt eine Veränderung der Gesamtnachfrage nicht unmittelbar zu Preissteigerungen, sondern unmittelbar zu einer Veränderung der Produktion. Das bedeutet, dass Angebot und Nachfrage nicht immer ausgeglichen sind, und dass es ein Überangebot von Gütern und Arbeit geben kann. Daher ist es mit diesem Modell möglich im Gegensatz zum klassischen Modell auch das Phänomen der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit zu erklären. Eine Weiterentwicklung dieses Gedankenganges führt unmittelbar zu dem keynesianischen Multiplikatormodell, das die Wirkungszusammenhänge zwischen der Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und der Beschäftigungssituation beschreibt. Im keynesianischen Multiplikatormodell wird eine für die Wirkung der finanzpolitischen Instrumente wichtige Tatsache aufgedeckt: Die Investitionen haben eine Multiplikatorwirkung auf die gesamtwirtschaftliche Einkommenslage und daraus abgeleitet auf das Produktions- und Beschäftigungsniveau. Wenn das Gesamteinkommen der Beschäftigten zum Beispiel ausgelöst durch ein staatliches Investitionsprogramm steigt, wird hierdurch eine Reihe von sekundären Konsumausgaben ausgelöst. Werden zum Beispiel von einem zusätzlich verdienten Euro 0,90 Cent für den Konsum ausgegeben, beträgt also die Konsumquote 90 %, so ergibt sich im Prinzip eine Multiplikatorwirkung von 10, wenn von den zusätzlichen Effekten, die durch die Einbeziehung staatlicher Einflussnahmen (wie Steuerund Transferzahlung) zunächst einmal absieht. Die tatsächliche Einkommenssteigerung, die durch autonome Investitionen induziert werden, ist das 10fache höher als der ursprüngliche Primäreffekt. Erst durch diese Sichtweise wird die Wirkung des Einsatzes von finanzpolitischen Instrumenten zur Erreichung von finanzpolitischen Zielen deutlich. Nachfolgend wird genauer auf die Funktionen eingegangen. 4 1.4 Träger staatlicher Finanzpolitik Im weitesten Sinne kann man auch die Sozialversicherungen zu den Trägern staatlicher Finanzpolitik zählen, da deren Finanzhaushalte Einfluss nehmen auf die staatlichen Haushalte im engeren Sinne. Zum Beispiel werden aus den Haushaltsmitteln des Bundes in nicht unerheblichem Maße Finanzierungsmittel bereitgestellt für die gesetzlichen Rentenversicherungen. Ebenso werden die Haushalts-Defizite und die Schuldenhöhe der Sozialversicherungsträger einbezogen in die gesamtstaatlichen Defizit- und Schuldenquoten nach dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Um die Ziele einer gewünschten Finanzpolitik zu erreichen, bedarf es nicht nur eines Kataloges verschiedenster Instrumentarien, sondern auch eines institutionellen Rahmens. Schließlich sollen alle wirtschaftspolitischen Steuerungsmaßnahmen „in die Praxis“ umgesetzt werden, d.h. in die Durchführungsphase gelangen. Die Hauptträger der staatlichen Finanzpolitik sind bei uns mit dem föderalen Staatsaufbau: • • • der Bund die Länder die Kommunen (Gemeinden). Zusätzlich existieren noch weitere Trägereinrichtungen, die sich unter dem Sammelbegriff der Parafisci zusammenfassen lassen. Hierunter wird die intermediäre Finanzgewalt, also der Bereich zwischen „Staat und Bürger“, verstanden. Diese Institutionen zeichnen sich dadurch aus, weder erwerbswirtschaftlich noch bedarfsdeckungsorientiert zu arbeiten. In ihrem Kompetenzbereich liegen Aufgaben des öffentlichen Interesses, sowie teilweise Entscheidungsautonomie durch öffentlich rechtliche Kooperationsrechte, zur Lösung dieser Aufgaben. Man unterscheidet diese klassischen Parafisci in vier größere Gruppen: Sozialversicherungsträger Unfall-, Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung Fondswirtschaft d.h. von organisatorisch in gewissem Maß selbständigen Sondervermögen öffentlicher Haushalte, die für bestimmte, abgegrenzte Aufgabenstellungen errichtet wurden (z.B. Lastenausgleichfonds für den Ausgleich von Kriegs- und Nachkriegsschäden oder der Erblasttilgungsfond für die Sonderschulden im Zuge der deutschen Wiedervereinigung seit 1990). Ständefisci oder Selbstverwaltungsinstitutionen der Wirtschaft Kammern für die Bereiche Industrie und Handel, Landwirtschaft, Arbeiter und Angestellte Kirchenfisci oder Religionsgemeinschaften Ein bedeutender Vorteil dieser auch Hilfs- oder Nebenfiskus bezeichneten Trägereinrichtungen liegt in dem hohen Maß an Beweglichkeit durch ihre überschaubare Größe und Struktur. Weiterhin werden durch eine effiziente Spezialisierung und Arbeitsteilung langwierige Entscheidungsprozesse vermieden. Ihr hoher Bekanntheitsgrad 5 und ihre Bürgernähe tragen dazu bei, dass den Parafisci eine hohe Bedeutung in der politischen Willensbildung zukommt. Als letzte Komponente des öffentlichen Sektors sind noch die Öffentlichen Unternehmen zu nennen. Diese umfassen alle Unternehmen im öffentlichen Eigentum, die neben erwerbswirtschaftlichen Zielsetzungen auch oder überwiegend wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zielsetzungen zu erfüllen haben, z.B. Bahn, Bundesbank, kommunale Verkehrs- und Versorgungsunternehmen. Allerdings haben sie unter finanzpolitischen Gesichtspunkten nur einen indirekten Bezug auf die staatliche Ausgabenpolitik. Größere Bedeutung kommt den Öffentlichen Unternehmen als Instrumente der Konjunkturpolitik, der Sozialpolitik und der Strukturpolitik zu. 1.5 Aufgaben und Ziele der Finanzpolitik Im Vordergrund der Finanzpolitik stehen gesellschaftspolitische Ziele. Diese lassen sich in einzelne größere Teilbereiche aufschlüsseln. Früher war es die Konzentration auf die Finanzierung der Staatsausgaben mittels einer Steuerpolitik. Durch einen Wandel der Betrachtungsweise der gesamten Finanzpolitik trat dieses „fiskalische Ziel“ immer weiter in den Hintergrund. Heute beziehen sich Zielsetzungsprozesse sowohl auf die Einnahme-, als auch auf die Ausgabenseite des Staates. 1.5.1 Die Oberziele der Finanzpolitik Entsprechend der multiplen Theorie des öffentlichen Haushalts von Musgrave1 hat die staatliche Finanzpolitik simultan mehrere Aufgaben und Ziele zu verfolgen: a) Budgetierte Haushaltsführung des Staates unter Beachtung bestimmter Grundsätze. Aufgabe der staatlichen Organe ist es, jährlich einen Haushalt aufzustellen, der den gesetzlichen Grundlagen entspricht. b) Allokationsaufgabe: effiziente Gütererstellung und Warenverteilung Die Allokation bezeichnet den Prozess, nach denen die Güter und Dienstleistungen mittels dezentraler Entscheidungsprozesse nach ihre Quantität und Qualität sowie nach den Präferenzen der der Wirtschaftssubjekte. Da die volkswirtschaftlichen Ressourcen im Prinzip knapp sind, muss sich dieser Allokationsvorgang effizient (mit den gegebenen Mitteln einen größtmöglichen Erfolg im Hinblick auf die Bereitstellung von Gütern/Dienstleistung unter Beachtung der gesellschaftlichen Präferenzen (meritorischen Bedürfnisse nach Musgrave). Die Aufgabe der Finanzpolitik besteht darin, mit Hilfe steuerlicher Instrumente die Rahmenbedingungen für die Tauschvorgänge am Markt zu verbessern. Die Allokationsfunktion dient der Beeinflussung von Einsatz und Verwendung von volkswirtschaftlichen Ressourcen, so dass es zu einem anderen Ergebnis kommt als es die privaten Aktivitäten in marktwirtschaftlichen Abstimmungsprozess hervorgebracht hätten. Die Allokationsfunktion muss in Situationen, in denen es zu Marktmängeln kommt, optimiert werden. Dies kann bei öffentlichen Gütern durch die Internalisierung der externen Effekte durch Steuern oder Subventionen erreicht werden. Das bedeutet, dass die externen Kosten, die 1 Musgrave, R.A., Die multiple Theorie des öffentlichen Haushalts, in: Finanztheorie, hrsg. von Recktenwald, H.C., Köln/Berlin 1969, S. 87-106 6 durch das Angebot von öffentlichen Gütern durch den Staat entstehen auf den einzelnen durch einnahme- und ausgabenpolitische Instrumente ausgeglichen werden. Bei meritorischen Gütern wird dies durch staatliche Angebote und Förderung angestrebt. Meritorische Güter unterscheiden sich von öffentlichen Gütern dadurch, dass diese durchaus auch privat angeboten werden könnten. Zu diesen Gütern gehören beispielsweise Schutzimpfungen, kostenlose Schulbücher und Sozialwohnungen. Dies ist aber, da bei privaten Gütern die Ausschließbarkeit, durch den Preis, gegeben ist nicht von der Gesellschaft erwünscht. Maßstab für die die Beurteilung einer finanzpolitischen Maßnahme ist das so genannte Pareto-Optimum: Die Allokation ist dann optimal, wenn kein Marktteilnehmer mehr besser gestellt werden kann, ohne dass ein anderer schlecht gestellt würde. c) Verteilungsaufgabe: „gerechte“ Einkommens- und Vermögensverteilung Die aus den Marktprozessen resultierende „primäre“ Einkommensverteilung wird oft als sozial ungerecht angesehen. Diese funktionelle Verteilung korrespondiert im Ergebnis mit dem Leistungsbeitrag der Produktionsfaktoren im Produktionsprozess. Die Distributionsfunktion (auch Verteilungsfunktion genannt) soll eine Veränderung der Voraussetzungen und Ergebnisse der sich marktmäßig ergebenen Verteilung, insbesondere von Einkommen und Vermögen, aber auch anderer Zielgrößen der Verteilungspolitik, wie z.B. Chancen, Konsum und Nutzen erreichen. Das heißt die Distributionsfunktion soll die Verteilung von Einkommen und Löhnen des Einzelnen anders als sich diese im Marktprozess einstellen würde „richtig“ verteilen. Dies kann zum einen „indirekt durch Beeinflussung der Einkommenserzielung [oder zum anderen ] „durch direkte Umverteilung durch Steuern oder Transfers“ geschehen. Aber weiterhin bleibt zu klären, was die „richtige“ Verteilung ist. Als Antwort auf die Frage kann Musgrave zitiert werden: „Wir werden diese Schwierigkeit insbesondere bei der Auslegung der weithin akzeptierten Behauptung behandeln, dass die Steuerpflichtigen in Übereinstimmung mit ihrer „Leistungsfähigkeit“ besteuert werden sollten“. Zentrale Aufgabe der staatlichen Finanzpolitik ist es, durch eine zielgerichtete steuerliche Umverteilung (progressiver Steuertarif) und der Zahlung von Transfereinkommen an bedürftige Bevölkerungskreise eine sozial gerechtere Verteilung der Einkommen und auch der Vermögensverteilung zu erreichen. d)) Stabilisierungsaufgabe: antizyklische Steuerung der Konjunktur Dem Staat obliegt nach den Vorstellungen einer keynesianischen Wirtschaftspolitik die Aufgabe, mit seiner Budgetgestaltung (Ausgaben und Einnahmen) korrigiert und antizyklisch steuernd Einfluss zu nehmen auf den Konjunkturverlauf. Die Konjunktursteuerung nimmt dabei Bezug auf das magische Viereck der zu verfolgenden gesamtwirtschaftlichen Ziele (Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967): • • • • Sicherung eines stabilen Geldwertes Realisierung eines hohen Beschäftigungsstand Verwirklungen eines stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstums Verfolgung eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts. Die Stabilisierungsfunktion ist erforderlich, da sich insbesondere die drei stabilitätspolitischen Ziele (Geldwert – Beschäftigung – Außenwirtschaft) nicht automatisch einstellen. Die Volkswirtschaft unterliegt in der Regel konjunkturellen Schwankungen von zyklisch verlaufenden Boom- und Rezessionsphasen. Daher ist es erforderlich, dass die finanzpolitischen Instrumente die konjunkturellen Schwankungen durch geeignete Maßnahmen ausgleichen. 7 Die Notwendigkeit einer Stabilisierungspolitik wird durch den keynesianischen Ansatz deutlich, der besagt, dass ein Automatismus in der Selbstregulierung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – wie ihn die Klassik unterstellt - nicht existiert, sondern durchaus dauerhafte Ungleichgewichte mit hoher Arbeitslosigkeit auftreten können. Bei der angestrebten Zielerreichung gilt allerdings zu beachten, dass dies grundsätzliche Vorstellungen sind, die auch über den Weg anderer wirtschaftspolitischer Instrumente, wie z.B. der Geldpolitik, umzusetzen sind. Sind es in der Geldpolitik die Zins- und Geldmengensteuerung, so steht auch der Finanzpolitik ein bestimmtes Instrumentarium an Handlungsmechanismen zur Verfügung. e) Umwelt- und energiepolitische Ziele Weitere Aufgaben einer staatlichen Finanzwirtschaft sind in den letzten Jahren hinzugekommen wie zum Beispiel die Verfolgung von umweltpolitischen Zielen, weil in diesem Bereich durch das Vorliegen von externen Effekten (Kosten) offensichtlich die Marktmechanismen versagen. Weitere Bereiche kommen in jüngster Zeit hinzu: Sicherung einer effizienten und nachhaltigen Energiepolitik mit Hilfe staatlicher Eingriffe (z.B. durch Zahlung von Subventionen im erheblichen Umfang, regenerative Energiequellen (Windkraftwerke, Solarenergie) zu erschließen. 1.5.2 Zielbeziehungen und Zielkonflikte Die oben angeführten Ziele sind nicht isoliert zu betrachten, sondern sind Teil eines Regelsystems, dessen Komponenten sich gegenseitig beeinflussen und somit in Beziehungen zueinander stehen. Es lassen sich fünf Zielbeziehungen finden: • • • • • Identität: Ziele sind deckungsgleich; so ist z.B. die Preisstabilität mit der Vermeidung von Schwankungen des Preisniveaus identisch. Indifferenz: Ziele sind völlig unabhängig voneinander Komplementarität: Ziele, die bei ihrer Erreichung zur Erfüllung anderer Ziele beitragen oder positive Effekte haben; z.B. Vollbeschäftigung und wirtschaftliches Wachstum absolute Widersprüchlichkeit: Die Realisierung eines Zieles ist nur bei voller Preisgabe anderer Ziele möglich; so können die Konsum- und die Investitionsquote nicht gleichzeitig zu- oder abnehmen. Konkurrenz: Die Verwirklichung eines Zieles (z.B. Vollbeschäftigung) beeinträchtigt mit oder ohne zeitliche Verzögerung die Realisierung eines anderen Zieles. Um das wirtschaftspolitische Instrumentarium der Finanzpolitik richtig anzuwenden, ist es entscheidend, dass Vorhandensein dieser Zielbeziehungen zu erkennen und richtig zu deuten. Herausbilden sollte sich ein objektives Rangordnungssystem, in dem die sachgerechteste Reihenfolge bzw. Zielstaffelung enthalten ist. Dies ist auch notwendig, wenn man bedenkt, dass sich die Stabilisierungspolitik zeitabhängig vollzieht und somit Maßnahmen, durch unberücksichtigte Zielbeeinflussungen, nicht zu den gewünschten Erfolgen führen könnten. 8 Die oben aufgeführten finanzpolitischen Funktionen oder Aufgabenkomplexen können sich jeweils paarweise in einem Zielkonflikt befinden. Im Folgenden sind drei Zielkonflikte exemplarisch dargestellt: a) Allokativ distributiver Zielkonflikt Ein allokativ distributiver Zielkonflikt ist beispielsweise vorhanden, wenn öffentliche Sozialleistungen durch hohe direkte (progressive) Steuern finanziert werden. Diese Konstellation würde bei den Beziehern von hohen Einkünften ihre Leistungs- und Risikobereitschaft aufgrund der hohen Steuern sehr stark abmindern. b) Allokativ stabilisierungspolitischer Zielkonflikt Zielkonflikte zwischen der allokativen und der stabilisierungspolitischen Funktion entstehen z.B. dort, wo der Staat eine beschäftigungsorientierte Stabilisierungspolitik betreibt, gleichzeitig aber die Allokationsfunktion aus den Augen verliert. So würden beispielsweise Beschäftigungsprogramme im Bergbau oder der Stahlindustrie zu einer Verlangsamung eines gesamtwirtschaftlichen Strukturwandels führen, was gerade im Gegensatz zu der allokativen Zielsetzung in Form der Förderung von Zukunftstechnologien (regenerative Energiequellen, Biochemie etc.) steht. c) Stabilisierungspolitisch distributiver Zielkonflikt Werden im Rahmen einer expansiven Stabilisierungspolitik steuerliche Investitionsvergünstigungen oder Subventionen gewährt, so können diese zu ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung führen. Diese ungleiche Verteilung widerspricht der Distributionszielen, die gemeinhin an eine staatliche Finanzpolitik geknüpft werden. 1.5.3 Wandel der finanzpolitischen Ziele Die konkreten Aufgaben der staatlichen Finanzpolitik leiten sich aus der jeweiligen Wirtschaftsordnung ab. Diese hat im historischen Zeitablauf verschiedene Entwicklungsstufen durchlaufen: ∇ In einer ‘klassischen’ Marktwirtschaft historischer Prägung übernimmt der Staat nur allgemeine Regelungsfunktionen (Gesetzgebung, Rechtsprechung) war, ohne den Wirtschaftsprozess darüber hinaus durch aktive Handlungen zu beeinflussen. Der Staatshaushalt wird hier nur fiskalpolitisch zur Bedarfsdeckung, d.h. zur Finanzierung der staatlichen Primäraufgaben (Verwaltung, Justiz, Innere und äußere Sicherheit etc) eingesetzt und gestaltet. ∇ Mit der Entwicklung zur sozialen Marktwirtschaft (im engeren Sinne) nach dem zweiten Weltkrieg übernahm der Staat bei uns aus seiner sozialen Verantwortung heraus zusätzliche absichernde und umverteilende Funktionen (z.B. Sozialversicherungen, Sozialhilfe, progressive Einkommensteuertarife, Subventionen). ∇ Aufgrund der immer wiederkehrenden Instabilitäten des Wirtschaftsverlaufs (Konjunkturschwankungen, Beschäftigungsprobleme, Inflation) wurde im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Steuerung (etwa ab Mitte der 1960er Jahre) versucht, durch allgemein wirkende Maßnahmen - z.B. der Steuerpolitik oder der Zinspolitik 9 - den Wirtschaftsverlauf gezielt zu beeinflussen und die Konjunkturentwicklung zu stabilisieren. ∇ Darüber hinaus wurde und wird versucht, durch gezielte Maßnahmen in bestimmten Sektoren oder Regionen die Wirtschaftsstrukturen und das Marktgeschehen zu beeinflussen, z.B. in der Agrarpolitik mit ihren ‘Marktordnungen’ oder durch Subventionszahlungen an einzelne Branchen (z.B. Bergbau, Schiffbau). Hier kann man von einer interventionistischen Marktwirtschaft sprechen, die mit den Instrumenten der Fiskalpolitik punktuell verwirklicht wird. Diese Elemente der sozialen Marktwirtschaft spiegeln sich in der staatlichen Finanzpolitik und damit in den öffentlichen Haushalten wider. 1.6 Zusammenfassung: Ziele, Gesetze und Restriktionen Zusammenfassend lassen sich die Ziele und die gesetzlichen Grundlagen der staatlichen Finanzpolitik wie folgt schematisch darstellen: STAATLICHE F I N A N Z P O L I T I K Ziele/Aufgaben ♦ ♦ ♦ ♦ Haushaltsführung/Budgetpolitik Konjunkturstabilisierung Redistribution/Sozialpolitik Effiziente Allokation Gesetzliche Grundlagen ♦ ♦ ♦ ♦ Grundgesetz (inkl. Schuldenbremse ab 2011) Jährliches Haushaltsgesetz Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (1967) EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt (19982004) 10 Die Aufgabenbereiche und Instrumente der Finanzpolitik setzen jeweils auf der Einnahmen und Ausgabenseite des öffentlichen Haushalts an. Die Unterteilung in Einzelpläne insbesondere auf der Ausgabenseite spiegeln die Aufgabenvielfalt der staatlichen Finanzpolitik heute wider: Haushaltsplanung EINNAHMEN • • • • Steuern Gebühren Beiträge Sondereinnahmen • Netto-Kreditaufnahme AUSGABEN • • • • • • • Verwaltung Verteidigung Soziales Verkehr Subventionen Internation. Institutionen Zinszahlungen (1) Höhe begrenzt durch die Schuldenbremse (Art. 215 GG) (2) max. 3 % des BIP (EWWU-Konvergenzkriterium) ZinsLast Neu-Schulden Alt-Schuldenstand Staatliche Schuldenstandsquote insgesamt: max. 60 % des BIP Die Differenz zwischen der Einnahmen- und Ausgabenseite wird jeweils ausgeglichen durch die Nettokreditaufnahme bei einer Unterdeckung und durch den Hauhaltsüberschuss – was in der Realität weniger häufig vorkommt - bei einer Überdeckung. Die Nettokreditaufnahme wird finanziert durch die Ausgabe neuer Bundeswertpapiere (je nach Laufzeit und Konditionen unterscheidet man zwischen Schatzbriefen, Finanzierungsschätzen, Obligationen oder Anleihen)2. In jedem Fall muss der Staat wie jeder Schuldner seine Finanzierungsmittel sich über den allgemeinen Geld- und Kapitalmarkt besorgen und marktübliche Zinsen dafür zahlen. Eine direkte Kreditaufnahme des Staates bei der Zentralbank (quasi auf dem kleinen Dienstwege) ist gesetzlich ausgeschlossen. 2 Eine systematische Auflistung der Bundeswertpapiere befindet sich in der Anlage. 11 Die Höhe der erlaubten Nettokreditaufnahme zur Deckung der Haushaltslücke (bei Bund, Ländern, Kommunen) ist durch zwei Bedingungen begrenzt: (1) Begrenzte Höhe der staatlichen Schulden gemäß den Vorschriften zur neuen öffentlichen Schuldbremse ab 2011 (Art. 115 GG) Zusätzlich ist durch den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt (Vertrag von Amsterdam) gefordert, dass die (2) max. 3 % des BIP (EU-Defizitquote) (3) Schuldenstandsquote insgesamt nicht die Grenze von 60% überschreiten sollte. Exkurs: Gesetzliche Grundlagen der Schuldenbremse bildet der neue Art. 115 GG in Verbindung mit Art. 109 GG (gemeinsame Verpflichtung von Bund und Ländern) a) Nettokreditaufnahme: Mit der Nettokreditaufnahme ist das Aufnehmen neuer Schulden zur Finanzierung von Defiziten des Haushalts gemeint. Sie beschreibt die Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand, also nicht nur des Bundes, sondern auch die der Länder und Gemeinden und der SV-Träger. Andererseits kann mit der Nettokreditaufnahme aus der Sicht des Schuldenmanagements des Staates auch den Saldo aus Schuldenaufnahme abzüglich Schuldentilgung am Kreditmarkt verstehen. b) Artikel 115 GG (alte Fassung): Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Abgrenzungs-Problem: Was sind öffentliche Investitionen? Artikel 115 GG (neue Fassung): (1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz. (2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen. 12 c) Der neue Art. 115 GG bildet die Grundlage für eine antizyklische Gestaltung der Haushaltslage in Abhängigkeit von Konjunkturphase. Er bildet gleichzeitig die Grundlage der neu vereinbarten und grundgesetzlich verankerten „Schuldenbremse“ für Bund und Länder nach Art. 109 GG), die schrittweise ab 2011 greifen soll und bis 2016 für den Bund einen ausgeglichenen Haushalt vorsieht. Für die Länder ist bis 2020 ein ausgeglichener Haushalt zwingend vorgeschrieben. Die möglichen Ausnahmen des Kreditaufnahmeverbots sind explizit in Art. 109 GG beschrieben: (1) Antizyklische Kreditaufnahme und –tilgung mit Kontrollkonto, (2) Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen (z.B. Finanzkrisen. 2 Marktversagen und Staatliche Finanzpolitik 2.2 Volkswirtschaftliche Güterklassifikation Das volkswirtschaftliche Güterangebot lässt sich nach dem Charakter der Bereitstellung durch private oder öffentliche Anbieter wie folgt einteilen: • • Private Güter für den individuellen Verbrauch Öffentliche Güter für die Gesellschaft als Ganzes Charakteristische Merkmale für diese Differenzierung nach privaten und öffentlichen Gütern sind: • Ausschließbarkeit über den Preis • Rivalität im Konsumverhalten. Bei den privaten Gütern erwarten die Anbieter ein entsprechendes Leistungsentgelt über den Preis. Wer diesen Preis nicht zahlen will, kann vom Konsum ausgeschlossen werden. Anders sieht das bei den öffentlichen Gütern. Hier wird aus gesellschaftlichen Gründen bewusst auf das individuelle Entgelt für die Nutzung dieser Güter verzichtet. Zudem existiert keine ausgesprochene Konsumrivalität. Neben diesen beiden Kategorien gibt es noch Mischformen, die sich dadurch auszeichnen, dass einerseits bei gegebener Ausschließbarkeit über den Preis keine Konsumrivalität herrscht (so genannte Kollektivgüter) und andererseits bei vorhandener Rivalität in der Nutzung kein Ausschluss über den Preis sinnvoll oder möglich ist. 13 Kombinatorisch in Abhängigkeit von den Kriterien „Ausschließbarkeit“ (über den Preis) und „Rivalität“ (im Konsum/in der Nutzung) folgende vier Unterfälle unterschieden werden: Güter-Klassifizierungen: Rivalität in der Nutzung/ im Konsum Ausschließbarkeit Nicht-Ausschließbarkeit über den Preis über den Preis Private Güter • Nahrungsmittel • Schuhe • Fahrräder etc. Nicht-Rivalität Kollektivgüter in der Nutzung/ im Konsum (Maut- oder Club-Güter) • Feuerschutz • Radio/Fernsehen • Öffentl.Verkehrsmittel • Bildung/Hochschule Allmendegüter (common pool Good) • • • • Fische im Meer Almwiesen mit Kuhrechten Umweltgüter natürliche Ressourcen Öffentliche Güter (meritorische Güter) • Straßenbeleuchtung • Landesverteidigung • Hochwasserschutz • Öffentliche Sicherheit (innere und äußere Sicherheit) Zur Problematik des Angebots von Öffentlichen Gütern: • Trittbrettfahrerverhalten (free rider behaviour) • Kosten-Nutzen-Analyse für die Bereitstellung der öffentlichen Güter • Positive Externalitäten ( sozialer Nutzen) Zur Problematik der Common Goods und der gesellschaftlichen Ressourcen: • Allmendeproblematik (Kollektiveigentum – Genossenschaftswesen etc.) • Negative Externalitäten ( soziale Kosten) • Bedeutung der Verfügungsrechte (property rights) 14 2.2 Öffentliche oder meritorische Güter Bei öffentlichen Gütern kann (z.B. äußere Sicherheit) oder soll (Teile des Bildungswesens) das Marktausschlussprinzip nicht angewandt werden, und es existiert keine Rivalität im Konsum. Für das Angebot derartiger Güter, deren privatwirtschaftliche Produktion aufgrund fehlender Rentabilität nicht erfolgt (z.B. innere Sicherheit) oder bei denen ein privatwirtschaftliches Güterangebot gesellschaftspolitisch als zu gering eingeschätzt wird (z.B. Bildung), ist der Staat zuständig. Öffentliche Güter sind Güter, die ein öffentliches Bedürfnis decken (z.B. Straßenbau, Infrastruktur, Verteidigung). Sie können von Privatpersonen selbst nicht erstellt werden, sondern sie werden vom Staat bereitgestellt (auch bei eventuell fehlendem Privatbedürfnis, weil es im öffentlichen Interesse liegt: so genannte meritorische Güter (z.B. Schulwesen). Weiterhin besteht Nichtausschließbarkeit, d.h. dass jeder das Gut in Anspruch nehmen könnte, ohne dafür zu bezahlen. Deshalb werden öffentliche Güter fast ausschließlich vom Staat erstellt und über Abgaben finanziert. Die Ursachen dafür, dass in dem Gemeinwesen die individuelle Nachfrage nach meritorischen Güter (den Begriff hat R.A. Musgrave3 in die Literatur eingeführt – meritorisch = verdienstvoll) zu gering ist und nicht den gesellschaftlich wünschenswerten Präferenzen entspricht, können vielfältig sein: • • • • Unvollständige Informationen der Konsumenten Irrationale Entscheidungen wegen der komplexen Wirkungszusammenhänge Falsche Zeitpräferenzen der Individuen Vorliegen von externen Effekten, weil der individuelle Nutzen vom volkswirtschaftlichen Nutzen abweicht. Aus den vorgenannten Gründen bleibt die individuelle Nachfrage nach diesen „verdienstvollen“ Gütern (Renten- und Haftpflichtversicherung, Sport, Bildung, Kultur etc.) hinter dem gesellschaftlich wünschenswerten Niveau zurück. In solchen Fällen muss der Staat im Hinblick auf die von ihm verfolgte gesellschaftliche Wohlfahrt die notwendigen Prioritäten und Entscheidungen treffen, damit diese meritorischen Güter im notwendigen Umfang angeboten und auch „konsumiert“ werden. Mit den Mitteln des Staatshaushalts sind ihm die Instrumente an die Hand gegeben, hier korrigierend einzugreifen. 3 Musgrave, R. A.: A Multiple Theory of Budget Determination, in: Finanzarchiv 17(3), S. 333–343. 15 3. Finanzverfassung: Gesetzliche Grundlagen Die gesetzlichen Grundlagen der öffentlichen Finanzwirtschaft sind breit angelegt und reichen von Bestimmungen des Grundgesetzes mit Verfassungsrang bis zu einfachen Gesetzen und Verordnungen, die es zu beachten gilt: • Art. 115 GG: (1) Kreditaufnahme, Bürgschaften, Garantien oder sonstige Gewährleistungen bedürfen der Ermächtigung durch ein Bundesgesetz; Nettokreditaufnahme ist durch die Neufassung des Art. 115 GG im Zuge der Einführung einer „Schuldenbremse“ für öffentliche Haushalte neu geregelt worden. Danach ist der Staat (Bund und Länder) verpflichtet bis 2016 (Bund) resp. 2020 (Länder) für einen ausgeglichen Staatshaushalt zu sorgen. In der Übergangszeit ist die jährliche Neuverschuldung sukzessive zu zurückzufahren. • Art. 104 und 109 GG Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaften von Bund und Länder; gesonderte Ausgabengestaltung für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben. In der Neufassung des Art. 109 GG werden die Länderhaushalte verpflichtet die Regeln zur Schuldenbremse zu übernehmen und ihre Defizite bis 2020 zurückzufahren. • § 13,2 BHO (Bundeshaltsordnung) und § 10,3 HGrG (Bundeshaltsgrundsätzegesetz) Festlegung, was Ausgaben für Investitionen im haushaltsrechtlichen Sinne sind: - Baumassnahmen (ohne militärische Anlagen) - Erwerb von Sachanlagen und unbeweglichen Sachen - Erwerb von Beteiligungen - Gewährung von Darlehn - Inanspruchnahme von Gewährleistungen • Bestimmungen des StWG (Stabilitäts- und Wachstumsgesetz) von 1967; Ermächtigung zur antizyklischen Haushaltsgestaltung und Verpflichtung zur mittelfristigen Finanzplanung (5-jähriger Finanzplan) • Art. 104 EGV (EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt) - Defizitkriterium für Neuverschuldung (3 % des BIP) - Schuldenstandskriterium (60 % des BIP) - Sanktionsmechanismus bei „übermäßiger“ Neuverschuldung Die gesetzlichen Grundlagen der deutschen Finanzverfassung sind in der folgenden Übersicht4 dargestellt: 4 Vgl. Bajohr, St., Grundriss staatliche Finanzpolitik, 2. Auflage, Wiesbaden 2007 16 Finanzverfassung im engeren Sinne Art. 91a, 91b, 125c, 143c GG: Gemeinschafts -aufgaben Art. 104a-115 GG: Das Finanzwesen im weiteren Sinne Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) Stabilitätsund Wachstumsgesetz (StWG) Bundeshaltsordnung (BHO) Buchführungs- und Rechnungslegungsverordnung für das Vermögen und die Schulden des Bundes (VBRO) Vertrag über die EU (EUV) Vertrag zur Gründung der EG (EGV) Bundesbankgesetz (BBankG) Abgabenordnung (AO) 17 4. Grundsätze und Haushaltskreislauf 4.1 Grundsätze der öffentlichen Haushaltsführung Der Haushaltsplan ist eine systematisch gegliederte Zusammenstellung der für ein Haushaltsjahr veranschlagten Ausgaben und der für ihre Deckung vorgesehenen Einnahmen Die Einzelpläne der Ministerien sowie der obersten Behörden ergeben in Summe den BundesHaushaltsplan. Einige Grundsätze sind dabei zu beachten: • • • • • • • • 4.2 Grundsatz der Einheit und Vollständigkeit (Art. 110, Abs.1.1) Grundsatz des Haushaltsausgleichs (Art. 110, Abs.1.2) Jährlichkeitsgrundsatz (Art. 110, Abs.2) Grundsatz der Vorherigkeit (Art. 110, Abs.2.1) Bepackungsverbot (Art. 110, Abs.4.1) Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Gebot der Gesamtdeckung Fälligkeitsprinzip Der Haushaltskreislauf (4-Phasen) Die Aufstellung des jährlichen Haushalts unterliegt einer gewissen Systematik, die von den beteiligten Akteuren (Bundesregierung (BFMI, BK), Parlament, Bundesrat) einzuhalten sind: Phase Aktivität Institution 1 Vorbereitung, Aufstellung des Entwurfs Beschlussfassung Bewilligung Weiterleitung Entwurf + Finanzbericht an BT BMFI Fi-Kabinett Regierung BKanzler 2 Parlamentarische Beratung des Entwurfs Verabschiedung des HH-Gesetzes Beratung im Bundesrat mit Änderungsvorschlag 3 Lesungen im Bundestag Haushalts-Gesetz BT BT BR BT 3 Vollzug des Haushalts-Gesetzes Verwaltung 4 Kontrolle der Haushaltsführung BRHof 18 4.3 Inhaltlicher und struktureller Überblick zum Staatshaushalt 4.3.1 Die Einnahmenarten Die Finanzierung wirtschaftspolitischer Maßnahmen ist eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren eines ordnungspolitischen Systems. In der Fachliteratur findet man für diese Finanzierungsfunktion zwei Ausprägungsformen, zum einen die Einnahmemöglichkeit durch Steuererhebung, und zum anderen durch staatliche Kreditaufnahme. Hierbei handelt es sich allerdings um eine Vereinfachung, welche noch feingliedriger aufgeschlüsselt werden kann. Direkte und indirekte Einnahmen des Staates Direkt Indirekt • Verkauf von öffentlichen Leistungen • Beiträge öffentlicher Unternehmen / Anstalten • Gebühren • Vermietung oder Verpachtung von • Steuern / Zölle Objekten des öffentlichen Vermögens • Zwangsanleihen • Strukturveränderung des öffentlichen • Währungspolitische Maßnahmen Vermögens durch Kreditaufnahme • Bußen, Strafgelder, oder Verkauf öffentlicher entschädigungslose Enteignung Vermögensobjekte Eine weitere Unterteilungsstufe, neben der Beteiligung an der Marktwirtschaft, ist das öffentliche Wirtschaften. Hierunter werden Zahlungsströme zwischen den Gebietskörperschaften (Finanzausgleichszahlungen), sowie Zinszahlungen aus Auslandskrediten zusammengefasst. Das gesamte Steueraufkommen lässt sich nach folgendem Gliederungsschema einteilen: Besitzsteuern - vom Einkommen: Einkommensteuer Körperschaftsteuer Gewerbesteuer Kirchensteuer - vom Vermögen: Vermögensteuer Erbschaftsteuer Grundsteuer Gewerbesteuer Kirchensteuer Verkehrsteuern Umsatzsteuer Grunderwerbsteuer Kraftfahrzeugsteuer Rennwett- und Lotteriest. Spielbankabgabe Kapitalverkehrsteuer Versicherungssteuer Wechselsteuer Feuerschutzsteuer Verbrauchsteuern - auf Genußmittel, z.B.: Tabaksteuer Kaffeesteuer Teesteuer Schaumweinsteuer Biersteuer Getränkesteuer - auf Verbrauchsgüter, z.B.: Mineralölsteuer Die Variation in der Erhebung der Steuern berücksichtigt nicht nur die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems, sondern unterliegt einem stetigen Korrekturprozess. Hierbei wird die Steuer neuen volkswirtschaftlichen Randbedingungen angepasst. Ein Beispiel hierfür ist die „kalte Progression“. Mit Zunahme der Einkünfte der Arbeitnehmer durch Lohnerhöhungen und einer Inflation in gleicher Höhe stagniert das Realeinkommen. Der steuerpolitische Effekt ist eine höhere Progressionsstufe des einzelnen, die Steuerquote steigt und die reale Konsumnachfrage wird geringer. 19 4.3.2 Kreditfinanzierung des Haushalts Der Staat nutzt die Möglichkeit, durch Einnahmen nicht gedeckte Ausgaben, also das Haushaltsdefizit, mittels Kreditaufnahme zu decken. Zweimal jährlich gibt der „Arbeitskreis Steuerschätzung“ seine Einnahmeprognosen ab. Die Entscheidung, in welchem Ausmaß Kredite zur Finanzierung der Ausgaben aufgenommen werden sollen, steckt insgesamt den Rahmen der Ausgabenplanung ab. Insbesondere zwischen der Ausgaben- und der Kreditplanung ergeben sich einige Wechselwirkungen. Genau wie bei den Steuern existieren auch in der Kreditfinanzierung vielfältige Möglichkeiten, an zusätzliche Einnahmen zu kommen. Man spricht auch von der Systematik der öffentlichen Schuld. Hierbei treten die Gebietskörperschaften als Kreditnehmer auf. Als Kreditgeber fungieren die Zentral- und Notenbank, die Geschäftsbanken, die Kapitalsammelstellen, die privaten Haushalte und Unternehmen, sowie die Gebietskörperschaften untereinander. Der Staat bietet zwei zu unterscheidende Schuldformen an, die Briefschulden und die Buchschulden. Briefschulden sind schuldrechtliche Wertpapiere, die auf den Inhaber lauten, z.B. Schuldscheindarlehen, Schatzwechsel, Schatzanweisungen und Schuldverschreibungen Buchschulden entstehen durch den Eintrag in ein Schuldenbuch, z.B. Bundesschatzbrief, Bundesobligationen, Bundesanleihen, Ausgleichsforderungen, Altverbindlichkeiten, Buchkredit bei der Notenbank Wie alle Finanzanlagen unterscheiden sich diese nur in Zins- und Laufzeitvariationen. Dies ist notwendig, da abhängig von den Investitionsvorhaben auch ein staatlicher Bedarf an kurzfristigen bis langfristigen Mitteln besteht. Damit nun nicht alle gewünschten öffentlichen Investitionen spontan kreditfinanziert werden, gelten folgende Grundsätze für Haushaltskredite: gerechtere Lastenverteilung: Nach dem „pay-as-you-use-Prinzip“ sind Ausgaben für langfristig nutzbare öffentliche Anlagen entsprechend ihrer Nutzungsdauer zu verteilen. Es soll dadurch gewährleistet werden, daß die nachfolgenden Generationen den gleichen Nutzen aus öffentlichen Anlagen ziehen können. privatwirtschaftlich rentable Investitionen: die Verschuldung für Investitionen ist zulässig, wenn diese einen ausreichenden Nettoertrag zur Armortisation der Schulden erbringen. volkswirtschaftlich rentable Investitionen: hierbei geht es um Investitionen in die Infrastruktur, welche wachstumsfördernd und gesamtwirtschaftlich produktiv sind. Durch das damit erhöhte Volkseinkommen können diese Investitionen aus Steuereinnahmen gedeckt werden (Umwegrentabilität). Konjunkturlage: die Schuldenpolitik kann zur Unterstützung der antizyklischen Konjunkturpolitik genutzt werden, d.h. in der Rezession sollte sie expansiv betrieben werden, um den erhöhten Ausgabenbedarf zu decken, und in Hochkonjunkturphasen kontraktiv, da durch hohe Steuereinnahmen die Mittel zur Schuldentilgung gestellt werden. Diese Schuldenpolitik dämpft die Konjunkturschwankungen. 20 Die Zulässigkeit der Kreditaufnahme wird durch obere Grundsätze begründet, welche allerdings nichts zum Ausmaß der Kreditaufnahme aussagen. Hierüber wurden verschiedene Kriterien entwickelt: Institutionelle Regelungen: zur Verhinderung der Expansion der Geldmenge über kreditfinanzierte Staatsausgaben existieren Deckungs- und Einlösevorschriften für die Notenbank Schuldenstand und Vermögen: angelehnt an den privatwirtschaftlichen Begriff des Gläubigerschutzes müssten die Staatsschulden durch das öffentliche Vermögen gedeckt sein gesamtwirtschaftliche Grenzen: hier steht die Relation von Volkseinkommen und Schuldenhöhe im Vordergrund, da das Volkseinkommen indirekt durch die Steuern beeinflusst wird, welche zur Tilgung und Zinszahlungen verwendet werden stabilitätspolitische Grenzen: wie bereits erwähnt können mittels einer gezielten Schuldenpolitik Konjunkturschwankungen gedämpft werden. Ist die Vollbeschäftigung bereits erreicht, sorgt eine zu hoch angesetzte Verschuldung für eine Gefährdung der Preisniveaustabilität. Dann sind kreditfinanzierte Ausgaben in der Höhe festzulegen, dass das Geldmengenziel der Notenbank nicht überschritten wird und auch keine erwünschten privaten Investitionen verdrängt werden. 4.3.3 Die Ausgabenarten Einen Überblick über die Vielfältigkeit der staatlichen Aufgabenstruktur lässt sich an der folgenden Aufstellung verdeutlichen, ohne dass im Weiteren näher darauf eingegangen wird. Abb.: Ökonomische Gliederung der öffentlichen Ausgaben Ausgabenarten I. Ausgaben für Güter und Dienste 1-2. Sachkapital- und immaterielle Kapitalinvestitionen - investive Infrastruktur - konsumtive Infrastruktur 3. Institutionelle Infrastruktur 4. Militärausgaben 5. Staatsverbrauch II. Ausgaben für Transfers 1. Sozialtranfers 2. Subventionen 3. Zinszahlungen auf die Staatsschuld 4. Finanzinvestitionen Funktionen Ministerien Verkehr; Energie; Gesundheit; Erziehung; Wissenschaft und Forschung; Umweltschutz Verkehrsm.; Energie-/ Wirtschaftsm.; Gesundheitsm.; Kultur-/ Erziehungsm.; Wissenschafts-/ Forschungsm.; Innen-/ Umweltministerium Öffentliche Verwaltung; alle Ministerien; Justizm.; Rechtswesen; innere Sicherheit Innenministerium äußere Sicherheit Verteidigungsminist. Keine potentiell alle Ministerien soziale Sicherung Wirtschaftsförderung; Einkommensausgleich Finanzierung von öffentlichen Ausgaben Wirtschafts- und Sozialförderung Sozialm. / Sozialvers. z.B. Landwirtschafts-, Verkehrs- u. Wirtschaftsm. Finanzministerium z.B. Wohnungsbau-, Landwirtschafts- oder Wirtschaftsministerium In den folgenden beiden Übersichten sind die wichtigsten Elemente der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben noch mal aufgeführt. 21 Öffentliche Einnahmen UnternehmensEinkünfte Abgaben Steuern & Zölle Öffentliche Unternehmen - eigene Unternehmen - Sondervermögen - öffentl.-rechtliche Unternehmen Gebühren Kredite Beiträge DeckungsKredite Veräußerungserlöse Bundesbankgewinne Kassenverstärkungskredite Steuern = Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen; werden im öffentlich rechtlichen Gemeinwesen allen entsprechend der gesetzlichen Leistungspflicht auferlegt. Gebühren = Entgelt für die Inanspruchnahme einer bestimmten öffentlichen Leistung. Gebühren sind keine Marktpreise, sondern werden vom Staat einseitig festgesetzt und durch Gebührenordnung bekanntgegeben. Man unterscheidet Benutzungsgebühren und Verwaltungsgebühren. Beiträge = Entgelt für die Begünstigung eines Personenkreises durch eine öffentliche Maßnahme (z.B. Bau eines Gehweges oder Siedlungsstraße). Dabei ist unerheblich, ob alle Personen, die zur Beitragszahlung herangezogen werden, die öffentlichen Leistungen auch tatsächlich in Anspruch nehmen. 22 Öffentliche Ausgaben Realausgaben PersonalAusgaben Zölle Transferzahlungen SachAusgaben Konsumtive Ausgaben Transfers an private Haushalte Schuldendienst (Zins- und Tilgungszahlungen) Transfers an Unternehmen (=Subventionen) Investive Ausgaben Transfers an private Haushalte = Zahlungen ohne Haushalte ohne geldwerte Gegenleistung; sie dienen der einkommenspolitischen Umverteilung Korrektur der primären Einkommensverteilung durch öffentliche Zahlung z.B. von Elterngeld, Kindergeld, Wohngeld, Sozialhilfe etc. Kontrolle durch Sozialberichte der Regierung. Transfers an Unternehmen = Zahlungen an Unternehmen ohne geldwerte Gegenleistung; sie dienen der Korrektur der marktwirtschaftlichen Allokation oder Distribution. Subventionen können unter Auflagen gezahlt werden. Kontrolle durch Subventionsberichte der Regierung. 23 5 Der öffentliche Haushalt im Einzelnen 5.1 Der Haushaltsplan des Bundes 2008 Der Haushaltsplan des Bundes für das Jahr 2008 geht im Soll von einer Ausgabensumme von 283 Mrd. Euro aus. Die Haupt-Einzelposten liegen in den Ausgaben für die Sicherung der Sozialsysteme in Höhe von 124 Mrd. Euro, was einen Anteil von 46 % an den Gesamtausgaben macht. Der zweitwichtigste Posten machen die jährlichen Zinszahlungen in Höhe von 43 Mrd. Euro für den Schulden des Bundes, die mittlerweile bei 940 Mrd. € liegen. Hinzu kommen noch die Schulden der Länder (484 Mrd. €) und der Gemeinden (116 Mrd. €), so dass sich die staatlichen Gesamtschulden auf fast 1540 Mrd. € aufsummieren. Bundeshaushalt 2008 - Soll in Mrd. € EINNAHMEN Gemeinschaftsst.*) - Umsatzsteuern**) - Lohn- u Eink.St. - Körpersch. St. Bundessteuern - Energiesteuern - Tabaksteuern - Solizuschlag - Versichergs.St. - Sonst. Steuern 283,2 179,1 97,6 72,6 8,9 92,2 40,4 14,1 12,8 10,5 14,4 Netto-Kredite 11,9 AUSGABEN Arbeit u Soziales Verteidigung Verkehr, Bau Bildung, Forschung Familie, Jugend Wirtschaft Verbraucher, Agrar Entwicklungshilfe Innen, Sicherheit Finanzen Sonstige Ausgaben. Zinszahlungen 283,2 124,0 29,5 24,4 9,4 6,2 6,2 5,3 5,1 5,1 4,6 20,5 42,9 (1) maximal in Höhe der staatlichen Investitionen (GG) (2) max. 3 % des BIP (EU-Stabilitätsprogramm) Neu-Schulden Bund: 11,9 € SCHULDENSTAND (Ende 2007: Bundes-Schulden: 940 Mrd. € Länder-Schulden: 484 Mrd. € Komm.-Schulden: 116 Mrd. € STAATS-SCHULDEN: 1540 Mrd. € ======== Schulden je Einwohner: 18.700 € Zinslast des Bundes 2008: 42,9 Mrd. Euro (= 15 % des Haushalts) Schuldenstandsquote 2006: 67,8 % (Bund, Länder und Kommunen) -------------------*) Die Gemeinschaftssteuern werden im Rahmen des föderalen Finanzausgleichs zwischen den drei Körperschaften (Bund, Länder und Gemeinden) aufgeteilt. Der komplizierte Verteilungsschlüssel wird im Finanzausgleichsgesetz (FAG) festgelegt. **) Vom Umsatzsteueranteil des Bundes (54,7 %) steht der EU als MWSt-Eigenmittel ein variabler Anteil von ca. 13 % zu. 24 Während der Bundeshaushalt 2008 im Entwurf noch von einem Minus von -12 Mrd. € (2007: -20 Mrd.) ausging, haben sich im Laufe des Jahres aufgrund der günstigen konjunkturellen Entwicklung sowohl in 2007 und 2008 die Steuereinnahmen besser entwickelt als erwartet. Nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ergibt sich für den Bund, die Länder und Gemeinden im Jahre 2007 erstmals seit 1969 ein kleines Plus von 0,1 Mrd. €. Im Jahre 2003 betrug das Defizit noch -87 Mrd. €, was einem Anteil von 4 % des BIP entsprach. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung des Finanzierungssaldo des Staates seit 2001. Quelle: Globus Ta-1892 vom 4.2.2008 Ein wesentliches Begrenzungskriterium für die Höhe der Nettokreditaufnahme des Bundes zur Deckung der Finanzierungslücke sind nach dem GG die staatlichen Investitionen. Das GG verlangt, dass die Nettokreditaufnahme die Ausgaben für staatliche Investitionen nicht überschreiten darf. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der staatlichen Investitionen und der Nettokreditaufnahme seit 1990. Verstöße gegen diese GG-Norm lagen demnach in den Jahren 1996-97 sowie im Zeitraum von 2002-06 vor. Allerdings gibt es im GG für diese temporären Verstöße auch eine Ausnahmebestimmung, nämlich bei „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“. 25 Quelle: Globus-Grafik Ta-1821 vom 7.01.2008 5.2 Der Bundeshaushalt im Entwurf für 2008 Der Bundeshalthalt für das laufende Jahr 2008 geht im Entwurf von folgenden Eckdaten aus: Gesamteinnahmen Gesamtausgaben Neuverschuldung Investitionen 271,3 Mrd. € 283,2 Mrd. € 11,9 Mrd. € 24,7 Mrd. € Die folgenden Schaubilder verdeutlichen die Struktur der Einnahmen und Ausgaben des Bundeshaushalts für das Jahr 2008 im Plan. Sie wurden entnommen aus dem laufenden 5Jahresplan des Bundes für die Jahre 2007 – 2011, der vom BMFi im August 2007 veröffentlicht wurde. Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes für die Jahre 2007-2001, Berlin 08/2007. 26 5.2.1 Die Einnahmen im Bundeshaushalt 2008 Die Gesamteinnahmen im Haushaltsplan liegen bei 283,2 Mrd. € einschließlich der Nettokreditaufnahmen in Höhe von 11,9 Mrd. €. Die fiskalischen Haupteinnahmen-Quellen des Bundes liegen bei der Umsatzsteuer (32,6 %) und der Lohn- & Einkommenssteuer (21,9 %). Diese beiden Steuerarten machen etwa 55 % der Staatseinnahmen aus. In der Ergiebigkeit an dritter Stelle folgen die Energiesteuer (11,8 %) . Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007 27 5.2.2 Die Ausgaben im Bundeshaushalt 2008 Auf der Ausgabenseite dominieren die folgenden Ressorts: Arbeit und Soziales Verteidigung Verkehr Bildung/Forschung Familie Wirtschaft Technologie Agrar/Verbraucher = 45,7 % = 8,7 % = 8,7 % = 3,2 % = 2,0 % = 2,2 % = 1,9 % Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007 28 5.3 Die Entwicklung der Bundesschulden und Zinslasten Der Schuldenstand des Bundes ist seit Beginn der 1990er Jahre signifikant angestiegen. Lagen die Schulden des Bundes in 1985 noch bei 200 Mrd. €, so hatte der Schuldstand in 1997 bereits ein Niveau von 700 Mrd. € erreicht. Im Jahr 2007 lagen dann die Bundesschulden bei 930 Mrd. €. Das folgende Schaubild zeigt die Entwicklung der Schulden des Bundes von 1982 bis 2008. Der erwartete Schuldstand für das Jahr 2008 liegt bei 943 Mrd. €. Ein wesentlicher Ausgabenposten im Haushaltsplan für das Jahr 2008 sind demzufolge wie in den Vorjahren die laufenden Zinszahlungen auf diese Schuldenstände des Bundes in Höhe von 42,9 Mrd. €. Dies entspricht einem Anteil an den Gesamtausgaben in Höhe von 15,1 %. 29 5.4 Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes 5.4.1 Der Finanzplan des Bundes 2007 – 2011 Nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 ist der Bund über den jährlichen Haushaltsplan hinaus eine mittelfristige Finanzplanung (über den Zeitraum von 5 Jahren) verpflichtet. Die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben des Bundes für die Jahre von 2007 bis 2011 5 entsprechend der mittelfristigen Finanzplanung ist in folgender Tabelle festgehalten : Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007 Es ist erkennbar, dass die Ausgaben für die nächsten Jahre nur moderat steigen werden. Die Einnahmeseite wird nach den strukturellen Reformen auf der Steuerseite – insbesondere durch die Anhebung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte auf jetzt 19 % - wesentlich verbessern, so dass in den nächsten Jahren die Nettokreditaufnahme des Staates im Plan bis 2011 auf Null zurückgefahren wird. 5 Zu den folgenden Tabellen und Graphiken siehe den vom Bundesministerium für Finanzen (BMFi) herausgegebenen Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 8/2007. 30 5.4.2 Nettokreditaufnahme des Bundes bis 2011 Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes geht davon aus, dass die Nettokreditaufnahme bis zum Ende der aktuellen mittelfristigen Finanzplanung in 2011 auf Null zurückgeführt wird. Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007 31 5.4.3 Die Zinslasten im Bundeshaushalt Die Entwicklung der Zinslasten für den Bundeshaushalt ergibt sich aus folgender Grafik. Sie zeigt, dass trotz rückläufiger Neuverschuldung die Zinsbelastungen weiter ansteigen werden bis au ein Niveau von 45,5 Mrd. € in 2011. Dieser Verlauf wird im Wesentlichen bestimmt durch die wieder steigenden Zinsen am Kapitalmarkt. In der Phase niedriger Zinsen (2001-2005) sind auch die Zinslasten des Bundes spürbar zurückgegangen. Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007 32 5.5 Entwicklung ausgewählter Einzelpläne Im Folgenden wird die Entwicklung ausgewählter Einzelpläne im mittelfristigen Finanzplan grafisch dargestellt. Die Finanzplanung ist von der Zielsetzung getragen, mittelfristig zu einer nachhaltigen Haushaltskonsolidierung zu führen und die Nettokreditaufnahme auf Null zu senken. Ein wesentlicher Strategiebaustein wird dabei die Begrenzung der Personalausgaben sein. Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007 Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007 33 Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und des Standorts Deutschland wird angestrebt, die Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung signifikant zu steigern und gleichzeitig die Ausgaben für Subventionen zurückzufahren. Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007 Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007 34 5.6 Der föderale Finanzausgleich in Deutschland Das Grundgesetz gibt für die Ausgestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern zwei unterschiedliche Vorgaben: • Nach Artikel 30 GG wird der Wettbewerb der Regionen gefordert. • Nach Artikel 72 GG wird die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland eingefordert. Die Finanzverfassung gibt dem Ziel der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ eindeutig Vorrang vor dem „Wettbewerb der Regionen“. Zu diesem Zweck wurde ein Mechanismus des Länderfinanzausgleichs etabliert, das einen Niveauausgleich zwischen den originären Steuereinnahmen und den derivativen Einnahmen nach dem Länderfinanzausgleich. Die folgende Graphik stellt die Problematik und das Ausmaß des föderalen Finanzausgleichs in Deutschland zwischen dem Bund, den Ländern und Kommunen anschaulich dar. Es wird hier unterschieden zwischen den ∇ Gemeinschaftssteuern Einkommens- und Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer und Zinsabschlagssteuern ∇ Bundessteuern Mineral- und Tabaksteuer, Solidaritätszuschlag und sonstige Einnahmen ∇ Ländersteuern Kfz-Steuer, Grunderwerbssteuer und Erbschaftsteuer ∇ Gemeindesteuern Gewerbesteuer und Grundssteuer Der föderale Finanzausgleich vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen: a) Aufteilung der Gemeinschaftssteuern nach einem vertraglich festgelegten Schlüssel. b) Vertikaler Finanzausgleich durch Zuweisungen des Bundes an finanzschwache Länder und Gemeinden (z.B. Saarland, Bremen oder die ostdeutschen Bundesländer) c) Horizontaler Finanzausgleich zwischen den Ländern d) Finanzausgleich Länder Kommunen durch Zuweisungen und Zuschüsse der Länder an die Gemeinden e) Kommunaler Finanzausgleich zwischen den reichen und finanzschwachen Kommunen Das folgende Schaubild zeigt exemplarisch für das Jahr 2003 den komplizierten Finanzausgleich zwischen dem Bund, den Ländern und Gemeinden. 35 Abb. Der föderale Finanzausgleich in Deutschland (2003) (Quelle: Spiegel 26/2004) 36 Das folgende Schaubild zeigt die Anteile von Bund, Länder und Gemeinden sowie den Anteil der Beiträge für den EU-Haushalt am gesamten Steueraufkommen in Deutschland. Aktuell für das Jahr 2008 betragen die jeweiligen Anteile: Bund Länder Gemeinden EU-Haushalt 42,3 % 39,5 % 13,1 % 4,5 %. Quelle: BMFi, Finanzplan des Bundes 2007-2011, Berlin 2007 37 Ein wesentlicher Diskussionspunkt neben dem vertikalen Finanzausgleich (Bund-LänderGemeinden) ist der horizontale Finanzausgleich zwischen den Länderhaushalten. Dieser spezielle Ausgleich zwischen den einzelnen Bundesländern führte 2007 im Ergebnis dazu, dass fast 8 Mrd. € umverteilt wurden. Die wesentlichen Geberländer waren Hessen 2,9 Mrd. € Baden-Württemberg 2,3 Mrd. € Bayern 2,8 Mrd. €. Hinzu kommen noch im kleineren Ausmaß die Länder Hamburg (230 Mio €) und NordrheinWestfalen (20 Mio €). Die Reihe der Nehmerländer ist lang und wird angeführt durch Berlin mit fast 3 Mrd. € wie folgende Grafik zeigt. Quelle: Globus-Grafik Ta-1871 vom 28.01.2008. 38 6 Zur öffentlichen Verschuldungslage 6.1 Schulden und Schuldenstandsquoten Die Schulden der öffentlichen Haushalte in Deutschland belaufen sich aktuell auf 1,5 Bio Euro. Im Jahre 2007 sind erstmals wieder kleine Überschüsse in den Haushalten der öffentlichen Hand erzielt worden, so dass sich die Verschuldenslage nicht weiter verschlechtert hat. Die Struktur der öffentlichen Schulden in den Jahren 2001 und 2006 ist in folgender Tabelle (Quelle: BMF –IA4, 08/2007)zusammengefasst worden. Bund* Länder Gemeinden** Gesamthaushalt Mrd. € 756,3 357,7 89,8 1203,8 2001 Anteile in % 62,8 29,7 7,5 100 Mrd. € 916,6 479,5 84,5 1480,6 2006 Anteile in % 61,9 32,4 5,7 100 *) einschließlich der Sonderrechnung Bund, wo heute noch die Mittel des ERP-Fonds (14,3 Mrd. €) erfasst sind. In den Jahren 1990 bis 2004 waren hier noch der Fonds „Deutsche Einheit“ mit fast 40 Mrd. € beteiligt. Seit dem werden diesen Sonderschulden nicht mehr gesondert ausgewiesen. **) In den Schulden der Gemeinden sind auch die Schulden der Zweckverbände ausgewiesen: 7,2 Mrd. € (2001) und 2,6 Mrd. (2006). Auffallend ist, dass sich die Verschuldungslage der Länder insgesamt verschlechtert hat, während der Bund und die Gemeinden den relativen Anteil an den Gesamtschulden in dem 5Jahreszeitraum verbessern konnten. Entwicklung der Schuldenstandsquoten Die Schuldenstandsquoten spielen in der Beurteilung der gesamtstaatlichen Verschuldung seit den Maastrichter Verträgen eine besondere Rolle. Die Referenzmarke für die KonvergenzKriterien wurde dort auf 60 % festgelegt. Die Schuldenstandsquoten geben Auskunft über die Anteile der öffentlichen Schulden am BIP eines Landes. In der folgenden Tabelle wurden diese Anteile für vier Jahre der jüngsten Vergangenheit ausgewiesen. Schuldenstand 2001 2003 2005 2006 Bund Länder Gemeinden Gesamthaushalt 35,8 16,9 3,9 57 37,8 19,2 3,9 61,3 39,6 20,9 3,7 64,5 39,4 20,6 3,5 63,8 Schuldenstand in der Abgrenzung des Maastricht-Vertrages 58,8 63,8 67,8 67,5 Quelle: BMF –IA4, 08/2007 39 6.2 Entwicklung der Finanzierungssalden Neben den Schuldenstandsquoten spielen seit den Maastrichter-Verträgen auch die Defizitquoten für die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Verschuldungslage eine besondere Bedeutung. Die Defizitquote setzt die Nettokreditaufnahme der öffentlichen Haushalte in Beziehung zum BIP. Der Netto-Kreditbedarf ergibt sich aus den jeweiligen Finanzierungssalden (=Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben) der Haushalte. Hierin enthalten sind die Haushalte von Bund, Länder und Gemeinden einerseits und der Sozialversicherungsträger einschließlich der Krankenhäuser. Nach den Konvergenz-Kriterien soll diese Quote einen Referenzwert von 3 % nicht übersteigen. Finanzierungssalden (in Mrd. €) Bund Länder + Gemeinden Sozialversicherungen Gesamt 1995 - 59,1 -51,4 -7,7 -118,2 2001 -59,6 -55,8 -3,8 -119,2 2003 -87,3 -79,5 -7,7 -174,5 2006 -37,3 -40,8 3,5 -74,6 Quelle: BMF –IA4, 08/2007 Die Entwicklung der Finanzierungssalden zeigt die dramatische Verschlechterung der staatlichen Verschuldungslage des Staates. Die eingeleiteten Strukturreformen (Agenda 2010) zeigen bereits im Jahre 2006 eine signifikante Verbesserung der Lage, die mittelfristig die Nettokreditbedarfe der öffentlichen Haushalte insgesamt auf Null zurückfahren möchte, um einen Anstieg der Gesamtschulden zu verhindern. Defizitquoten der öffentlichen Haushalte (in %) Bund Länder + Gemeinden Sozialversicherungen Nachrichtlich: Defizitquote in der Abgrenzung der Finanzstatistik* 1995 -3,2 -2,8 -0,4 2001 -2,8 -2,6 -0,2 2003 -4,0 -3,7 -0,4 2006 -1,6 -1,8 0,2 -3,0 -2,2 -3,1 -1,7 *) In der Abgrenzung der Finanzstatistik werden die Sozialversicherungen und die Krankenhäuser nicht mit eingerechnet. Quelle: BMF –IA4, 08/2007 40 6.3 Entwicklung der Steuer-, Abgaben- und Staatsquoten 6.3.1 Steuer- und Abgabenquote (1) Steuerquoten Volkswirtschaftlich versteht man unter Steuerquote den Anteil der erhobenen Steuern im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt eines Landes. Sie wird beeinflusst vom Steuersatz einerseits, vom Vorhandensein von Steuerbefreiungen, Steuerschlupflöchern und Schwarzarbeit andererseits. Eine hohe Steuerquote wird in der Regel gleichgesetzt mit umfangreicher staatlicher Umverteilung, fehlenden ökonomischen Anreizeffekten und geringer Attraktivität des Standorts aufgrund hoher Produktionsnebenkosten. Deutschland hatte im Jahr 2006 eine Steuerquote in der Abgrenzung der Finanzstatistik in Höhe von 21 % und in der Abgrenzung der VGR in Höhe von 22,8 %. Diese Steuerquote ist im internationalen Vergleich relativ niedrig. Da andererseits die staatlichen Ausgaben im relativen Anteil fast doppelt so hoch sind, existieren bei uns noch weitere Abgaben (Gebühren, Beiträge etc.) im erheblichen Umfang, die diese Deckungslücke schließen müssen. Optimale Steuerquote: Die Laffer-Kurve Der amerikanische Ökonom Arthur Laffer sieht eine funktionelle Abhängigkeit zwischen dem Steuersatz und dem Steueraufkommen einer Volkswirtschaft in Form einer nach unten geöffneten Parabel. Laffer-Kurve SteuerEinnahmen t* Optimaler Steuersatz Steuersatz t Danach gibt es einen optimalen Steuersatz, bei dem das gesamtwirtschaftliche Steueraufkommen maximal ist. Übersteigt der Steuersatz diese Grenze, so sinkt schließlich das volkswirtschaftliche Steueraufkommen. Eine wachsende Besteuerung schwächt zunehmend die Leistungsanreize der Steuerzahler. 41 Die von Laffer postulierte Gesetzmäßigkeit wurde Mitte der 1980er Jahre vom damaligen amerikanischen Präsidenten Reagan in sein Wirtschaftsprogramm aufgenommen und umgesetzt. Nach seiner Meinung würden niedrigere Steuern den Menschen neue Anreize zur Arbeit und Leistungsbereitschaft vermitteln. Obwohl der Staatshaushalt in den USA zur damaligen Zeit im hohen Maße defizitär war, wurde das Programm umgesetzt. Der Verlauf der Staatseinnahmen vollzog sich im mittelfristigen Zeitprofil nach dem so genannten JKurveneffekt, wie folgende Graphik es zum Ausdruck bringt. T t Kurzfristig führten die reduzierten Steuersätze zunächst zu Steuerausfällen, die jedoch mittelbis langfristig durch ein höheres Steueraufkommen T mehr als kompensiert wurden. Ende der 1990er Jahre erzielen die öffentlichen Haushalte in den USA unter dem Präsidenten Clinton nach einem lang andauernden Konjunkturaufschwung von fast 10 Jahre bereits einen signifikanten Haushaltsüberschuss von über 200 Mrd. $. Insgesamt bleibt jedoch in Bezug auf die finanzwirtschaftlichen Problematik hier in Deutschland festzustellen, dass nicht so sehr die Steuerquote so entscheiden ist – hier stehen wir im internationalen Vergleich sehr günstig dar – sondern die Abgabenquote insgesamt, die auch die Beiträge zu den Sozialversicherungen mit erfasst. 42 (2) Abgabequoten Die Abgabenquote erfasst neben der Steuerleistung auch noch die Beitragseinnahmen der Sozialversicherungsträger (Renten, Krankenkassen, Arbeitslosen- und Pflegekassen). Die Abgabenquote lag in den 1960er Jahren noch bei etwa 33 % des BIP. Heute hat die Abgabenquote ein Niveau von etwa 40 % erreicht. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Entwicklung der Steuer- und Abgabenquoten Deutschlands von 1960 bis 2006 wieder. Sie zeigt, dass die Steuerquote in diesem Zeitraum sich kaum verändert hat. Sie schwankt um das Niveau von etwa 22 bis 23 % ohne eine erkennbare Trendlinie nach oben oder unten. Dagegen ist die Abgabenquote in diesem Zeitraum von einem Niveau von 33 % um 7 %Punkte auf eine Höhe von 40 % gestiegen ist. Hierin spiegelt sich wider, dass die Träger der Sozialversicherungen in den letzten Jahrzehnten ihren Anteil immer weiter ausbauen können. Die politischen Versuche, hier durch strukturelle Reformen eine Trendumkehr und eine spürbare Entlastung zu bekommen, sind allesamt fehlgeschlagen. Die folgen Tabelle zeigt die Entwicklung der Steuer- und Abgabenquote Deutschlands seit 1960 sowohl in der Abgrenzung der VGR als auch in der der Finanzstatistik. 43 Entwicklung der Steuer- und Abgabenquoten (Steuer- und Sozialbeitragseinnahmen des Staates) Quelle: BMF-IA4 – 01/2008 44 Die Entwicklung der Abgabenquote im internationalen Vergleich zeigt folgende Tabelle. Abgabenquote im internationalen Vergleich Land Steuern und Sozialabgaben in v. H. des BIP 1990 1995 2000 2002 1975 1985 2003 Australien 26,5 29,1 29,3 29,8 32,1 31,4 31,6 Belgien 40,6 45,6 43,2 44,8 45,7 46,2 45,4 Dänemark 40,0 47,4 47,7 49,5 50,1 48,7 48,3 Deutschland 35,3 37,2 35,7 37,2 37,2 35,4 35,5 Finnland 36,8 40,2 44,3 46,0 48,0 45,8 44,8 Frankreich 35,5 42,4 42,2 42,9 44,4 43,4 43,4 Griechenland 21,8 28,6 29,3 32,4 38,2 37,1 35,7 Großbritannien 35,3 37,7 36,5 35,1 37,5 35,6 35,6 Irland 29,1 35,0 33,5 32,8 32,2 28,7 29,7 Italien 26,1 34,4 38,9 41,2 43,2 42,5 43,1 Japan 20,9 27,4 29,1 26,7 26,5 25,8 25,3 Kanada 31,9 32,5 35,9 35,6 35,6 34,0 33,8 Luxemburg 37,5 45,1 40,8 42,3 40,6 41,3 41,3 Niederlande 41,3 42,8 42,9 41,9 41,2 39,2 38,8 Norwegen 39,3 43,0 41,5 41,1 43,2 43,8 43,4 Österreich 36,7 40,9 39,6 41,1 42,6 43,6 43,1 Portugal 20,8 26,6 29,2 33,6 36,4 36,5 37,1 Schweden 42,0 48,2 53,2 48,5 53,9 50,1 50,6 Schweiz 27,4 26,1 26,0 27,8 30,5 30,1 29,5 Spanien 18,2 26,9 32,1 31,8 34,8 34,8 34,9 USA 25,6 25,6 27,3 27,9 29,9 26,3 25,6 EU 15 33,1 38,6 39,3 40,1 41,7 40,6 40,5 Total OECD 30,3 33,5 34,8 35,7 37,1 36,4 36,3 Quelle: OECD, Revenue Statistics 1965-2004, Paris 2005 Die Abgabenquote in Deutschland liegt mit 35,5 % unterhalb des Niveaus Frankreichs, Italiens und der Nordeuropäischen Staaten und ist in etwa so hoch wie in Großbritannien oder Spaniens. Die Länder USA und Japan liegt mit einer Abgabenquote von etwa 25 % weit unterhalb der Deutschlands. 45 6.3.2 Staatsquote Die Staatsquote gibt an, wie hoch der relative Anteil der Ausgaben des Staates am BruttoInlandsprodukt ist. Die Ausgaben des Staates werden im weiten Sinne als die Ausgaben des Bundes, der Länder und Kommunen einerseits und den Sozialversicherung (Renten, Gesundheit, Pflege und Arbeit) andererseits. Die Quote lag in Deutschland in den 1960er Jahren noch bei ca. 35 % und ist anschließend bis in die 1990er Jahre in der Spitze auf ein Niveau von 49,3 % (1996) angestiegen. Bis zum Jahr 2006 ist sie aufgrund der Wirkung der Strukturreformen wieder auf ein Niveau von gut 45 % zurückgeführt worden. Entwicklung der Staatsquote – Deutschland Quelle: BMF-IA4 – 01/2008 46 Die Staatsquoten im internationalen Vergleich zeigen ein differenziertes Bild. Bezogen auf das Jahr 2005 lagen die Frankreich mit 54,4 % und die Skandinavischen Länder wie Schweden (56,4%), Dänemark (53 %) und Finnland (50,8 %) deutlich über unserem Niveau. Länder mit einer niedrigen Staatsquote sind die Länder USA (36,6 %), Japan (36,9 %) sowie Kanada (39,5%) und Irland (34,6 %). Die Staatsquote in Deutschland liegt zurzeit bei 45,4 % (2006). In Deutschland wird derzeit von vielen wirtschaftsliberalen Wirtschaftswissenschaftlern gefordert, die Staatsquote zu senken, damit sich mehr ökonomische Dynamik entfalten könne. Die Staatsquote ist in den vergangenen zwei Jahren um 1,5 % gesunken, hat jedoch im Vergleich mit Japan und den USA noch immer ein höheres Niveau. Gewerkschaftsnahe Ökonomen fordern eine Orientierung an den skandinavischen Ländern, die zeitgleich mit einer hohen Staatsquote ein dynamischeres Wachstum aufwiesen. Zu beachten ist, dass die verschiedenen Quoten immer in einem Gesamtzusammenhang zu sehen sind: In Deutschland ist beispielsweise die Steuerquote relativ niedrig, da die Sozialsysteme hier zum Großteil über Beiträge finanziert werden und in den skandinavischen Ländern eher über das Steuersystem. Andererseits fehlen in der Staatsquote der USA die Aufwendungen für die soziale Vorsorge, da diese von den Bürgern zum größten Teil privat finanziert wird. In einem geschichtlichen Rückblick fällt auf, dass die öffentlichen Ausgaben bestimmten Entwicklungstendenzen unterliegen. Allgemein lassen sich aus Beobachtungen der letzten 100-150 Jahre drei „Entwicklungsgesetze“ ableiten: Wagnersches Gesetz, besagt das die Staatsausgaben nicht nur absolut mit dem Wachstum der Bevölkerung zugenommen haben, sondern auch relativ, d.h. anteilsmäßig am Volkseinkommen zur Erhöhung der Staatsquote beigetragen haben. Popitzschen Gesetz, spricht von der Anziehungskraft des übergeordneten Haushalts, d.h. dass die Ausgabenstruktur sich von den Gemeinden, über die Länder, hin zum Bund verlagert. Brechtschen Gesetz, beschreibt das Phänomen, dass öffentliche Ausgaben ab einer bestimmten Gemeindegröße progressiv zunehmen. Deshalb sind sie in Städten und Agglomerationen wesentlich höher als in ländlichen Gemeinden. Die wichtigste Aussage der drei Beobachtungen ist das stetige Ansteigen der Staatsquote. Die Begründung hierfür liegt in einer kontinuierlichen Ausweitung der Aufgabenverteilung. Zunehmende Volksdichte erfordert immer weitergehende Arbeitsteilung aller Institutionen. Hinzu kommt die Entwicklung zu einem Wirtschaftssystem hoher sozialer Sicherheit, welches wesentlich zu einer Ausdehnung der Staatstätigkeit führt. Ein Beispiel ist die Einrichtung des Umweltministeriums als direkte Folge sich ausweitender gesellschaftlicher Ziele. 47 Staatsquoten im internationalen Vergleich Land 1990 Gesamtausgaben des Staates in v. H. des BIP 1995 1999 2000 2003 2004 2005 Veränd. 90-04 Australien Belgien Dänemark Deutschland Finnland Frankreich Großbritannie Irland n Italien Japan Kanada Niederlande Norwegen Österreich Schweden Schweiz Spanien USA 35,2 52,2 55,9 44,5 48,3 49,3 42,2 43,1 53,5 31,8 48,8 53,1 54,0 51,5 61,3 30,0 42,6 37,1 38,2 51,9 59,5 48,3 59,0 54,4 45,0 41,4 52,5 36,5 48,5 49,7 51,1 56,0 67,1 34,5 44,2 37,0 35,0 50,0 55,8 48,2 51,8 52,6 39,7 34,1 48,2 38,8 42,7 45,4 48,1 53,2 59,8 34,6 39,3 34,3 34,8 49,1 53,9 45,1 48,8 51,6 37,5 31,6 46,1 39,2 41,1 43,7 42,7 51,4 56,8 33,9 39,0 34,2 35,8 51,1 54,9 48,3 50,9 53,6 43,3 33,4 48,2 38,5 40,9 47,1 48,5 51,0 58,2 36,7 38,3 36,7 35,1 49,6 54,8 47,0 51,2 53,7 44,0 33,7 47,8 37,3 39,9 46,6 45,9 50,1 56,7 36,6 38,8 36,4 34,9 50,1 53,0 46,8 50,8 54,4 45,1 34,6 48,2 36,9 39,3 45,7 42,9 49,6 56,4 36,4 38,2 36,6 -0,1 -2,6 -1,1 2,5 2,9 4,4 1,8 -9,4 -5,7 5,5 -8,9 -6,5 -8,1 -1,4 -4,6 6,6 -3,8 -0,7 EU 15 Total OECD 48,1 40,2 50,4 42,1 48,2 40,0 46,3 39,2 48,2 41,3 47,7 40,7 47,7 40,7 -0,4 0,5 Quelle: OECD, Economic Outlook 79, 2006. 48 6.3.3 Das Wagnersche Gesetz Eng im Zusammenhang mit der Entwicklung der Staatsquote ist das so genannte Wagner´sche Gesetz von der zwangsläufig(?) zunehmenden Staatstätigkeit zu sehen. Seine zentrale These formulierte er wie folgt: „Beobachtungsmäßig, historisch und statistisch nachweisbar zeigt sich im Staate eine deutliche Tendenz zur Ausdehnung der öffentlichen bzw. Staatstätigkeiten mit dem Fortschritt der Volkswirtschaft und der Kultur auf den Gebieten der beiden organischen Staatszwecke“ 6. Adolph Wagners Gesetz der absoluten und relativen zunehmenden Staatsausgaben kann folgende Ursachen haben: • • • • Zunahme der öffentlichen Bedürfnisse Änderungen in der Produktions- und Verkehrstechnik Ausweitung des staatlich organisierten und finanzierten Bildungssektor Veränderte Anforderungen an die öffentliche Finanzpolitik - Konjunkturstabilisierung - Umverteilung der Einkommen und Vermögen (Redistributionsfunktion) - Allokationseffizienz steigern (wegen Marktversagen) - Umweltschutzaktivitäten (wegen zu hoher externer Kosten) Folgen: • Hohe steuerliche Belastung für die Privatwirtschaft und Haushalte • Privatwirtschaften ist im hohen Maße auf die Vermittlung des Staates angewiesen • Zunahme der infrastrukturellen Vorleistungen des Staatssektors (Standortfrage) Empirische Relevanz: • In allen Industriestaaten sind die Staatsausgaben in Kriegsphasen sprunghaft angestiegen. • In der Nachkriegszeit fallen diese erhöhten Staatsanteile – wenn auch mit zeitlichen Verzögerungen - wieder auf das Niveau der Vorkriegszeit zurück (displacement effect). • Dies gilt ebenso für besondere Situationen und Ereignisse (wie z.B. bei marktwirtschaftlichen Transformationsprozessen, wo der Staat durch den Aufbau von verkehrstechnischen Infrastrukturen gewissermaßen in Vorleistung treten muss, bevor die Privatwirtschaft mit ihren Aktivitäten das Bruttoinlandsprodukt steigert und die temporär angestiegenen Staatsquoten wieder auf das „Normalmaß“ senken kann. • Die Liberalisierungsstrategie für ehemals staatlich kontrollierte Monopolunternehmen (sogen. natürliche Monopole) in den westlichen Industrieländern, die seit Mitte der 1990er Jahre verstärkt umgesetzt wird, hat zum Ziel, den Einfluss und den Anteil des Staates zurückzudrängen. • Die weltweite Banken- und Finanzkrise von 2007-09 hat jedoch wieder die Rolle des Staates als ordnender Faktor des Wirtschaftsgeschehens ins Rampenlicht gerückt. Die 6 A. Wagner: Staat in nationalökonomischer Hinsicht, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Jena 1911, S. 727 – 739. 49 finanziellen Belastungen des Staates werden hierdurch wieder den Staatsanteil am BIP steigen lassen. Gründe für die Gültigkeit des Wagnerschen Gesetzes (im Überblick)7: (1) Superiore Güter: Staatliche Leistungen reflektieren die Nachfragebedürfnisse der Bürger und werden demzufolge in diesem Umfang gewünscht. (2) Fiskalische Illusion: Bürger durchschauen nicht die finanziellen Konsequenzen der staatlichen Ausgabenprogramme (der hohen Staatsquote). Die tatsächlichen finanziellen Lasten werden bewusst verschleiert. (3) Intergenerationelle Lastenverschiebung: Ausgabenprogramme werden durch Kredite finanziert und die Lasten daraus an die zukünftigen Generationen überwälzt. (4) Urbanisierung: In Städten sind die Ausgaben für staatliche Leistungen höher als auf dem flachen Lande (Brechtsches Gesetz, 1927) (5) Baumol-Effekt: Staatliche Ausgabenprogramme basieren zunehmend auf Dienstleistungen, die wegen der geringeren technischen Fortschrittsrate tendenziell und relativ teuerer werden. (6) Demokratisierung: Durch die Senkung des Wahlrechts-Alter haben sich mit dem veränderten Wählerinteressen auch die staatlichen Ausgaben verändert. (7) Demografischer Wandel: Die Alterung der Bevölkerung zu höheren staatlichen Ausgaben für Renten, Gesundheitsleistungen und zur Linderung der Altersarmut. 7 Vgl. Wigger, B. U., Grundzüge der Finanzwirtschaft, 2. Auflage, Berlin 2006, S. 8 ff. 50 7. Steuerliche Grundüberlegungen Die Einnahme und Ausgabe von Steuern auf den verschiedenen staatlichen Finanzebenen sollte sich nach gewissen ordnungspolitischen Überlegungen orientieren. Die Notwendigkeit staatlichen Handelns ergibt sich aus den finanzpolitischen Aufgaben und Zielen des staatlichen Gemeinwesens. Die Möglichkeiten und Wege, diese finanzpolitischen Aufgaben zu erfüllen, sind jedoch vielfältig und bedürfen der Überprüfung, ob sie die Kriterien der steuerpolitischen „Inzidenz“,„Effizienz“ und „Gerechtigkeit“ erfüllen. 7.1 Steuerinzidenz Die Steuerinzidenz ist die materielle Steuerlast, die sich aus der formellen Steuerlast durch Berücksichtigung von Überwälzungsvorgängen ergibt. Untersucht wird dies in der Steuerwirkungslehre. Nur durch die Ermittlung der Belastungswirkungen der Besteuerung kann eine Erörterung der Steuergerechtigkeit stattfinden. Der Versuch, ein optimales Steuersystem zu schaffen, ist solange zwecklos, wie die Belastungswirkungen verschiedener Steuerarten nicht bekannt sind. Deshalb stellt die Lehre von der Inzidenz eines der ältesten und bedeutendsten Forschungsfelder der Steuerwissenschaft dar. Kern der Lehre ist die Unterscheidung zwischen formeller und materieller Steuerlast. Bei der formellen Steuerlast, auch Steueranstoß genannt, handelt es sich um jene Geldbeträge, die von dem Steuerpflichtigen an die Finanzbehörden abgeführt werden. Die materielle Steuerlast (Inzidenz) beschreibt jene Wohlstandseinbußen, die bei den Steuerpflichtigen oder anderen Personen nach Abschluss aller Überwälzungsvorgänge und Verzerrungen verbleiben. Unter Verzerrungen versteht man die Zusatzlast der Besteuerung, die dadurch ausgelöst wird, dass die Steuerpflichtigen versuchen, ihre Steuerlast durch Verhaltensänderungen zu verringern. Die Gesamtheit der Zahllasten und der durch die Steuer verursachten Zusatzlasten entspricht der materiellen Steuerlast oder Steuerinzidenz. Mit der Steuerinzidenz soll die personelle Verteilung jener Wohlstandseinbußen gemessen werden, die sich nach Abschluss aller Überwälzungsvorgänge einstellen und die sich von der formellen Steuerlast erheblich unterscheiden können. Formelle und materielle Steuerlast unterscheiden sich also, weil einerseits Überwälzungsvorgänge stattfinden und weil die Besteuerung andererseits Verzerrungen auslöst. Die Steuerinzidenz hängt nicht davon ab, ob die Steuer beim Käufer oder Verkäufer erhoben wird, sondern sie hängt von der Elastizität der Nachfrage und des Angebots ab. Die Steuerlast wird tendenziell von den Marktteilnehmern getragen, deren Elastizitäten gering sind und die deshalb weniger leicht durch Mengenänderungen reagieren können. In einem geschlossenen ökonomischen Modell verwendet der Staat die eingenommenen Steuerbeträge für den Kauf von Gütern oder für die Zahlung von Transferleistungen an Haushalte und Unternehmen. Die Steuereinnahmen stimmen mit den Staatsausgaben überein. Konsequenterweise sollten bei der Analyse nicht nur die Steuerzahlungen berücksichtigt werden sondern auch zugleich die mit den Staatsausgaben verbundenen Nutzengewinne der Privaten. Dieses wird Budgetinzidenz genannt. Falls eine Besteuerung gewünscht ist, sollte die Kopfsteuer ohne Umsatzsteuern den Verzerrungsverlust aufgrund von Minderkonsum eliminieren, da der Steuerzahler von seinem Einkommen erst einen gewissen festen Betrag abführt, ohne dann bei seinem Konsum erneut belastet zu werden. 51 Die Abfolge von Wirkung bei der Einführung einer neuen Steuer lässt sich im Rahmen eines Phasenmodells (Schmölders/Hansmeyer) darstellen8: Phasenschema der Steuerwirkungen I. Phase II. Phase III. Phase Wahrnehmungsphase Zahlungsphase Inzidenzphase Steueranstoß Signalwirkung Steuerzahlung Markt- und Preiswirkungen Steuerinzidenz Einkommenswirkungen Steuerausweichung: a) sachliche Substitution b) räumliche Substitution c) zeitliche Substitution Steuerüberwälzung: a) Vorwälzung b) Rückwälzung c) „schräge“ Wälzung d) Kapitalisierung Steuer-Folgeeffekte (Inzidenz): a) Ansporn- und Lähmungswirkungen zur Arbeitsleistung /Investition b) Entzugseffekte i.e.S. - Verbrauchseinschränkung - Spareinschränkung - Entsparen oder Kreditaufnahme 7.2 Steuereffizienz Was bedeutet in diesem Zusammenhang steuerpolitische Effizienz? Ein Steuersystem ist effizient, wenn die Beschaffung der Einnahmen mit möglichst geringen Kosten für die Steuerzahler verbunden ist. Die Kosten für die Steuerzahler ergeben sich aus drei unterschiedlichen Komponenten: • Kostenbestandteil der Steuerzahlung , • Zusatzlasten für den Steuerzahler, weil dadurch seine Entscheidungen berührt oder verzerrt werden, • Erhebungsaufwand für die Befolgung der Steuergesetze . Ein effizientes Steuersystem zeichnet sich dadurch aus, dass es mit geringen Zusatzlasten und einen geringen Erhebungsaufwand verbunden ist. Der Erhebungsaufwand für die Steuererhebung umfasst einerseits die Zeit für das Ausfüllen der Steuerformulare und andererseits den laufenden Aufwand, um die notwendigen Belege zu sammeln und die Aufzeichnungen zu führen. Dieser Aufwand könnte durch eine Vereinfachung der Steuergesetze verringert werden. Aufgaben: a) Die Erhebung von Steuern auf Güter und Dienstleistungen oder auf das Arbeitseinkommen beeinflusst die Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte in vielfältiger Weise. Diskutieren Sie mögliche Reaktionsmuster der Steuerzahler, wenn z.B. die Mineralölsteuer, die Mehrwertsteuer oder die Einkommensteuer erhöht wird. b)Sollte das Einkommen oder der Konsum besteuert werden? Wo sehen Sie jeweils die Vor- und Nachteile der beiden grundsätzlichen Wege, die Steuern zu erheben. 8 Vgl. Schmölders, G., Hansmeyer, K.-H., Allgemeine Steuerlehre, 5. Auflage, Berlin 1980, S. 147. 52 7.3 Steuergerechtigkeit Steuerliche Gerechtigkeit durch Gleichheit ist seit langem ein anerkanntes Ziel der Steuererhebung. A. Smith formulierte schon vier Grundregeln über die Steuern im Allgemeinen9: Prinzip der Gleichförmigkeit (equality of taxation): Die Steuerlast soll sich so genau als möglich nach dem Verhältnis der Einkünfte darstellen. Prinzip der Bestimmtheit: Die individuelle Steuerlast muss genau bestimmt und nicht willkürlich sein. Prinzip zeitnahen Besteuerung: Jede Steuer muss zu der Zeit und auf die Weise erhoben werden, zu der es dem Steuerpflichtigen am leichtesten fällt, sie zu bezahlen. Prinzip der Steuereffizienz: Jede Steuer muss so darstellen, dass die Erhebung einerseits mit einem vertretbaren Aufwand erfolgt und andererseits die Leistungskraft der Gewerbetreibenden nicht unbillig beeinträchtigt wird. Aber es herrscht jedoch heute weitgehende Uneinigkeit darüber, was Gerechtigkeit in diesem Zusammenhang konkret bedeutet und wie Steuergerechtigkeit beurteilt werden kann. Zwei Prinzipien zur Beurteilung der Steuergerechtigkeit sind hier zu unterscheiden: nämlich das klassische Prinzip der Äquivalenz von Steuerleistung der Bürger und staatlicher Gegenleistung zum Beispiel in Form eines adäquaten Angebots öffentlicher Güter. Das zweite Prinzip ist neueren Datums und verlangt die Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit. 7.3.1 Äquivalenzprinzip Jeder Bürger soll in dem Umfang Steuern zahlen wie er aus den beanspruchten staatlichen Leistungen (öffentliche Güter) Vorteilen zieht. Dieses Prinzip versucht, öffentliche Güter – finanziert über das staatliche Steueraufkommen – gleichzusetzen mit privaten Gütern, die über den Markt durch die Entrichtung eines Kaufpreises erworben werden. Das Äquivalenzprinzip umfasst zwei Aspekte: (1) Steuern sollen Privaten nur abverlangt werden, soweit diese an öffentlichen Leistungen partizipieren. (2) Das Steueraufkommen soll der Bereitstellung der Leistungen dienen, für deren Inanspruchnahme sie erhoben werden. Ziel ist es eine allgemeine Äquivalenzsteuer zu erheben, d.h., die Steuerzahlung entspricht dem Nutzen der Bürger aus öffentlichen Leistungen! Das Äquivalenzprinzip ist ein Prinzip zur Ausgestaltung des Finanzierungsbeitrags der Bürger für Leistungen ihres Staates. Es sagt aus, dass derjenige, der von einer Leistung einen Vorteil hat, nach Maßgabe dieses Vorteils über eine entsprechende Abgabe zur Finanzierung dieser Leistung herangezogen wird. Das Äquivalenzprinzip kann somit als Übertragung marktwirtschaftlicher Mechanismen auf staatliche Aktivitäten angesehen werden. Es macht vor allem Aussagen über die Steuergerechtigkeit. Es wird regelmäßig zur Rechtfertigung der Erhebung von Steuern herangezogen. Demnach werden Steuern als Äquivalent für staatliche Leistungen (benefit principle) bzw. als Kompensation staatlicher Kosten (cost principle) 9 Adam Smith, ”Reichtum der Nationen” in der Voltmedia-Ausgabe, im 5. Buch „Die Finanzen des Staates“, S. 852 ff. 53 aufgefasst. Mittlerweile gewinnt zur Begründung von Steuern und Abgaben aber auch die konkurrierende Theorie des Leistungsfähigkeitsprinzips an Bedeutung. Finanzwissenschaftlich hat das Äquivalenzprinzip aber nach wie vor Bedeutung bei der Argumentation bezüglich der Einführung von Gebühren, Beiträgen oder Erwerbseinnahmen des Staates. Das Äquivalenzprinzip kann und braucht nicht zur Rechtfertigung für die Erhebung einer Steuer herangezogen werden, da eine Steuererhebung gerade keine Gegenleistung voraussetzt. Daher ist aber die Rechtfertigung anderer Abgaben durch dieses Prinzip durchaus sinnvoll. Individual- und Gruppenäquivalenz: Individualäquivalenz: Für staatliche Leistungen, die direkt einzelnen Bürgern zugerechnet werden, werden meistens Gebühren erhoben, zum Beispiel für die Ausstellung eines neuen Personalausweises. Ist die staatliche Leistung für eine bestimmte Gruppe von Bürgern potenziell nutzbar, werden Beiträge erhoben, z.B. Kanalerschließungsbeiträge. Für die Besteuerung kommt dagegen nur eine weniger enge Gruppenäquivalenz in Frage. Daher kann mit dem Äquivalenzprinzip bei der Besteuerung hauptsächlich auch nur die Erhebung einer bestimmten Steuer bei bestimmten Gruppen, seltener jedoch die Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage begründet werden. Äquivalenzprinzip bei Gebühren und Steuern: Je nach Enge der möglichen Zurechnung, bieten sich Kombinationen von Steuern und Gebühren an. Beispielsweise entspricht es dem Äquivalenzprinzip, wenn die Mineralölsteuer für den Bau von Straßen verwendet werden, durch die Kombination aus verbrauchsabhängiger Mineralölsteuer und schadstoffabhängiger Kfz-Steuer wird auch eine Kostenäquivalenz berücksichtigt. Genauso können jedoch Straßen auch durch die Erhebung einer Maut-Gebühr finanziert werden. Dabei muss man aus Effizienzgesichtspunkten die höheren Kosten einer Gebührenerhebung (siehe: Toll Collect) bei gleichzeitig besserer Zurechnung von Kosten (bzw. Erfassung von Nutzen) mit den niedrigeren Kosten einer Steuererhebung bei gleichzeitig schlechterer Kosten-Nutzen-Zurechnung abwägen. Methodischer Ansatz zur Feststellung der Steuergerechtigkeit: Die Einkommens- und Preiselastizität der Nachfrage sind bei der Bemessung der Steuer zu berücksichtigen, damit der erhobene Steuerbeitrag dem Nutzen aus empfangenen öffentlichen Leistungen entspricht. Den Nutzen aus den öffentlichen Leistungen kann man entsprechend der Präferenzen der Wirtschaftssubjekte mit Hilfe der Einkommens- und direkten Preiselastizität ableiten. Produkte mit einer hohen Einkommenselastizität nennt man superiore Güter (hohes Wachstumspotential), mit einer niedrigen Einkommenselastizität implizieren inferiore Güter (wachstumsschwach). Die Preiselastizität bringt zum Ausdruck, wie die Nachfrager im Konsumverhalten mengenmäßig reagieren, wenn die Preise der Güter infolge eines Steueraufschlags sich erhöhen. Einkommens-Elastizität: ε y = ∆x x ; ∆y y Preiselastizität: ε p = ∆x x ∆p p 54 Aus dem Verhältnis von Einkommens- und Preiselastizität: ε y ∆p p lassen sich = ε p ∆y y Anhaltspunkte gewinnen, wie die Steuerwirkung ausfällt und demzufolge welcher Steuertarif (progressiv, regressiv) zu wählen ist, um Steuergerechtigkeit gemäß dem Äquivalenzprinzip herzustellen. = 1 → proportionale Steuer εy = > 1 → progressive Steuer εp < 1 → regressive Steuer 7.3.2 Leistungsfähigkeitsprinzip Die Leistungsfähigkeit als Prinzip der Besteuerung ist im Sinne der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu interpretieren. Die gerechte Belastung erfordert dabei die horizontale und vertikale Gleichbehandlung. Die horizontale Gleichbehandlung erfordert, dass gleiche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch die gleiche Steuerbelastung zur Folge haben muss. Die vertikale Gleichbehandlung erfordert, dass Bürger mit einer unterschiedlichen Leistungsfähigkeit auch eine unterschiedliche Steuerbelastung haben sollen im Sinne einer „gerechten“ Verteilung der Lasten. Alle sollen ein gleiches Opfer für die Allgemeinheit erbringen (Opfertheorien nach der Grenznutzlehre) Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist ein Fundamentalprinzip der Besteuerung und als solches Ausfluss des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) im Steuerrecht. Es besagt allgemein, dass jeder nach Maßgabe seiner individuellen ökonomischen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung staatlicher Leistungen beitragen soll. Das Leistungsfähigkeitsprinzip hat damit das ältere Äquivalenzprinzip abgelöst, das heute nur noch zur Rechtfertigung der Erhebung bestimmter Steuern wie zum Beispiel der Gewerbesteuer angeführt wird. Nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip richtet sich die Steuerhöhe nicht nach Äquivalenzgesichtspunkten, sondern nach der Frage, wie viel der Steuerpflichtige in der Lage ist, zur Staatsfinanzierung beizutragen (Leistungsfähigkeit als Fähigkeit, Steuern zahlen zu können). Problematisch ist, dass weder der Begriff der Steuergerechtigkeit, noch der Begriff der Leistungsfähigkeit exakt definiert ist. Will man durch das Leistungsfähigkeitsprinzip Steuergerechtigkeit erreichen, so muss man den Begriff konkretisieren. Horizontale und vertikale Steuergerechtigkeit Es wird zwischen horizontaler (zwischen Beziehern gleich hoher Einkommen) und vertikaler (zwischen Beziehern unterschiedlich hoher Einkommen) Steuergerechtigkeit unterschieden. Das Leistungsfähigkeitsprinzip befasst sich in erster Linie mit horizontaler Gerechtigkeit. Für den Vergleich von Beziehern unterschiedlich hoher Einkommen sagt das Leistungsfähigkeitsprinzip zunächst nur aus, dass gewährleistet sein muss, dass derjenige mit dem höheren Einkommen auch mehr Steuern zahlen muss. Über das Ausmaß der Progressionsstaffel sagt es jedoch nichts aus. Die vertikale Steuergerechtigkeit ist nur schwer definierbar – sie findet ihren Ausfluss z.B. als eine der Begründungen für den Progressionstarif des EStG. Die Begründung für den progressiven Tarif der Einkommensteuer 55 könnte zum einen aus dem Sozialstaatsprinzip heraus erfolgen und zum anderen direkt aus dem Gleichheitssatz abgeleitet werden, wie das z.B. vom Bundesverfassungsgericht gesehen wird (vgl. BVerfGE 8, S. 51). Subjekte steuerlicher Leistungsfähigkeit Grundsätzlich wendet sich der Gleichheitssatz primär an natürliche Personen, über Artikel 19 Absatz 3 GG aber auch an inländische juristische Personen (vor allem Kapitalgesellschaften). Über europarechtliche Diskriminierungsverbote gilt der Gleichheitssatz auch für ausländische juristische Personen. Da Unternehmen als Bezugsobjekte des Leistungsfähigkeitsprinzips aber immer letztlich von Menschen zur Erzielung von Einnahmen eingesetzt werden, ist auch das Zusammenwirken von Besteuerung auf Unternehmensebene und bei den dahinter stehenden Menschen zu beachten. Messung der Leistungsfähigkeit Die Beachtung des Leistungsfähigkeitsprinzips im deutschen differenzierten Steuersystem steht also vor der Frage, was der beste Indikator für steuerliche Leistungsfähigkeit ist. Grundsätzlich sind dazu drei Größen denkbar: Das Einkommen, das Vermögen oder der Konsum, wobei jede Steuererhebung auf alle drei Größen belastend wirkt (bei Besteuerung des Einkommens sinkt dieses, so dass weniger Vermögen aufgebaut wird und/oder weniger konsumiert werden kann). Das Einkommen ist grundsätzlich ein geeigneter Indikator für Leistungsfähigkeit. Offen bleibt dabei aber immer noch, ob das gesamte Einkommen oder das Konsumeinkommen (abzüglich Investition/Sparen) Messgröße sein soll, was alles zum Einkommen zählt und über welchen Zeitabschnitt die Messung des Einkommens erfolgen soll. Für natürliche Personen wird in der Regel zwischen dem objektiven Nettoprinzip und dem subjektiven Nettoprinzip unterschieden. Das objektive Nettoprinzip verlangt, dass nur das Erwerbseinkommen, also die Erwerbseinnahmen gekürzt um die Erwerbsausgaben, besteuert werden. Das subjektive Nettoprinzip verlangt darüber hinaus die Abzugsfähigkeit privater Ausgaben, die für die Lebensführung unentbehrlich sind. Bei der Umsatzsteuer ist der Endverbraucher nach dem Ziel der Steuer der Steuerträger, auch wenn die Steuer vom Unternehmer abgeführt wird. Umsatzsteuer und Einkommensteuer ergänzen sich, da die Umsatzsteuer somit den Konsum erfasst, während die Einkommensteuer das Einkommen erfasst hat. Dennoch müssen Vorkehrungen getroffen werden, um bestimmte Leistungen aus der Umsatzsteuer herauszunehmen bzw. zu entlasten (Grundnahrungsmittel, ärztliche Leistungen etc.). 56 8 Zur Problematik der Ökosteuer 8.1 Volkswirtschaftliche Vorüberlegungen zur Ökosteuer Die Ökosteuer ist dem Wesen nach eine (Mengen-)Steuer auf den Energieverbrauch bzw. auf umweltschädliches Verhalten. Sie soll primär die externen Effekte der volkswirtschaftlichen Kosten für die zunehmenden Umweltbelastungen kompensieren (Pigou-Steuer). Zusätzlich wird damit ein zweiter Zweck verfolgt: Das Steueraufkommen dient teilweise der Reduzierung der Beitragssätze für die Sozialversicherung (Lohnnebenkosten). Das Konzept wurde Anfang der 1980er Jahre vom Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger entwickelt10 und verbindet zwei Ansätze: Besteuerung des knappen Gutes Energie mit dem Ziel der Steigerung der Effizienz des Energieeinsatzes. Verbreiterung der Basis für die Finanzierung der sozialen Sicherung. Ökosteuern nutzen also das Steuerrecht, um Anliegen der Umweltpolitik mit steuerlichen Maßnahmen zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang wird auch von einer Ökologisierung des Steuerrechts gesprochen. Damit ist gemeint, dass neue Steuern beschlossen oder einzelne Vorschriften von bestehenden Steuergesetzen so umgestaltet werden, dass sie Lenkungswirkung im Sinne des Umweltschutzes entfalten. Die Ökosteuer entspringt der Überlegung, dass Märkte für Rohstoffe wie Erdöl sich nicht dauerhaft stabil verhalten, da die natürlichen Vorräte fossiler Energieträger begrenzt sind. Aus einer auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit orientierten Sicht wäre heutiges Mineralöl zu billig, zukünftiges Mineralöl zu teuer. Die Mineralölsteuer soll diesen Anstieg des Mineralölpreises vorwegnehmen, um ihn einerseits zu glätten und andererseits den Markt frühzeitig an eine solche Situation zu gewöhnen. So soll der Betrieb sparsamerer Kraftfahrzeuge im Verhältnis günstiger werden, was wiederum die Technologieentwicklung auf diesem Gebiet anregen soll. Manche meinen sogar, dadurch würde eine konkurrenzfähige Industrie geschaffen, deren energieeffizientere Produkte sich bei einem tatsächlichen PreisAnstieg auf dem Ölmarkt als Exportschlager erweisen sollen. 10 Binswanger, H.Chr., Geld und Natur – Das wirtschaftliche Wachstum im Spannungsfeld von Ökonomie und Ökologie, Stuttgart 1991. 57 8.2 Ökologische Steuerreform in Deutschland Der ökologischen Steuerreform lag die Kritik zugrunde, dass das bisherige Steuerrecht ökologische Kriterien des Wirtschaftens nicht oder nur unzureichend berücksichtige und unbeabsichtigt ökologisch schädliche Wirkungen hervorrufe. Ein Beispiel dafür war die Orientierung der Kraftfahrzeugsteuer allein an der Hubraumgröße. Inzwischen orientiert die Kraftfahrzeugsteuer sich überwiegend daran, wie gut das jeweilige Fahrzeug seine Abgase filtert. Wie andere ökonomische Instrumente auch hat die Nutzung des Steuerrechts für den Umweltschutz den Vorteil gegenüber ordnungspolitischen Maßnahmen (gesetzlichen Verpflichtungen), dass der Einzelne in seiner Entscheidung frei bleibt, ein geringerer Kontrollaufwand verursacht wird und das Problem der Kontrolldefizite entfällt. Im Vordergrund eines ökologischen Steuersystems steht die Idee der „doppelte Dividende“. Hierunter ist die Internalisierung der externen Effekte in Form von Umweltverschmutzung einerseits und die Generierung von Steuereinnahmen andererseits zu verstehen. Eine Besteuerung umweltschädlichen Verhaltens schaffe demnach keine Zusatzlasten. Ökosteuergesetze in Deutschland In Deutschland sind seit 1998 mehrfach Gesetze mit Zielrichtung "Ökologisierung des Steuerrechts" erlassen worden. • • • • • Mit dem Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform vom 24. März 1999 (BGBl. I S. 378) wurde als neue Verbrauchsteuer eine Stromsteuer eingeführt. Strom aus regenerativen Energieträgern ist davon befreit, sofern der Strom aus Netzen entnommen wird, die ausschließlich mit solchen Energieträgern gespeist werden. Für industrielle Großverbraucher wurde im Interesse ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit die Steuer ermäßigt. Die Mineralölsteuer wurde nach ökologischen Kriterien gestaffelt; dabei wurden bestimmte Verwendungszwecke begünstigt. Von 1999 bis 2003 wurde die Steuer mehrmals erhöht. Von der Erhöhung der Mineralölsteuer befreit sind Unternehmen des Produzierenden Gewerbes. Strom erhalten diese Betriebe zu einem zu 40 % ermäßigten Steuersatz. Das Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform vom 16. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2432) brachte eine befristete Mineralölsteuerbefreiung für Gas- und Dampfturbinenkraftwerke mit hohem Wirkungsgrad und einige Korrekturen des ersten Gesetzes, mit denen unerwünschte Auswirkungen vermieden werden sollten. Als dritte Stufe wurde das Gesetz zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4602) erlassen, das eine weitere - nach den Umweltauswirkungen gestaffelte - Erhöhung der Mineralölsteuer enthielt. Die deutsche Ökosteuer dient auch der Generierung von Staatseinnahmen, die den Rentenkassen zufließen sollen. So wäre, selbst wenn die Ökosteuer abgeschafft werden sollte, die Abgabenlast nicht verringert, sondern nur anders verteilt. Entweder als höhere Rentenversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer, als niedrigere Renten oder als zu jüngeren Generationen mit Zinseszins verschobene Steuerzahlung in Form von Staatsschulden. Aktuell steht eine Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes zur Debatte. 58 Entwicklung des Öko-Steueraufkommens (1999-2004) Jahr 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Einnahmen Ökosteuern (in Mio. Euro) 4300 8800 11.800 14.300 18.700 18.100 zur Förderung Davon: in die Rentenversicherung erneuerbarer Energien 4200 100 8400 100 11.200 200 13.700 200 16.100 100 16.000 100 Besonderheit der Ausgestaltung und unmittelbaren Folgen der Ökosteuer: • • • Obwohl Flugzeuge unter bestimmten Gesichtspunkten hohe spezifische Umweltbelastungen verursachen, ist der Luftverkehr von der Ökosteuer befreit. In grenznahen Gebieten wird von den Autofahrern die Ökosteuer unterwandert, indem Tanktourismus in Nachbarländer betrieben wird. Die Folge ist, dass Tankstellen in grenznahen Gebieten auf deutscher Seite schließen müssen. Aus diesem Grund wurde bereits diskutiert, in grenznahen Gebieten Sonderregelungen einzuführen, was aber scheiterte. Verfassungsgerichtliche Überprüfung: Am 20. April 2004 stellte der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die Rechtmäßigkeit einzelner Ausnahmetatbestände der Ökosteuer fest. Verfassungsbeschwerden von Speditionen und Kühlhausbetreiber hatten gegen Regelungen des Stromsteuergesetzes und des Mineralölsteuergesetzes geklagt. 8.3 Kritik an der Ökosteuer in Deutschland • Konkurrenzfähigkeit Die Wirksamkeit der bisherigen Reformschritte wird überwiegend zurückhaltend bis skeptisch beurteilt. Die vor allem von Wirtschaftsverbänden geäußerte Befürchtung, die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft werde beeinträchtigt, scheint sich nicht bewahrheitet zu haben. Innerhalb des Binnenmarktes tragen alle nicht harmonisierten Steuern das Problem in sich, dass sie zur Verlagerung von Investitionen in andere Länder führen können und infolgedessen zu einem Wettbewerb der Länder um möglichst niedrige Steuern. Dies trifft auch für die Steuern zu, die durch die ökologische Steuerreform verändert wurden. Dieses Problem ließe sich nur durch eine gemeinschaftsweite Regelung beheben, die jedoch nicht geplant ist. 59 • Lenkungswirkung Eine deutliche Lenkungswirkung in Richtung auf die erwünschten Investitionen in neue, umweltverträgliche Technologien lässt sich bisher jedoch allenfalls in eng umgrenzten Teilbereichen beobachten, so zum Beispiel in Gestalt einer erhöhten Nachfrage nach verbrauchsreduzierten Pkw. Die weit reichenden Ausnahmeregelungen für energieintensive Industriezweige bewahren diese zwar vor Kostensteigerungen, bieten jedoch keinen Anreiz für Modernisierungsinvestitionen oder technische Neuentwicklung. • Zweckbindung Eine weitere Problematik liegt darin, dass die Steuer politisch nicht allein mit ihrer ökologischen Lenkungswirkung begründet wurde, sondern ein Zusammenhang mit der gesetzlich verordneten Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen hergestellt wurde, deren erhoffte belebende Wirkung auf den Arbeitsmarkt ausgeblieben ist. Neben allgemeinen steuersystematischen Bedenken gegen derartige Zweckbindungen spricht gegen diese Verbindung der Umstand, dass das Steueraufkommen infolge der ökologischen Steuerreform tendenziell sinken muss, wenn die gewünschte Wirkung erzielt wird, während der Finanzbedarf der Sozialversicherungen tendenziell steigt und daher nicht dauerhaft aus diesem Teil des Steueraufkommens gedeckt werden kann. • Effizienz Effizienz im Sinne der Umweltökonomie ist dann gegeben, wenn bei allen Schadstoffquellen die zusätzlichen Kosten für die Vermeidung einer zusätzlichen Einheit des Schadstoffes (Grenzvermeidungskosten) genau gleich sind. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Steuersatz für alle Schadstoffquellen einheitlich gewählt wird. Dann bewirken Umschichtungen zwischen zwei Schadstoffquellen keine Wohlfahrtsgewinne mehr. Im Standardpreisansatz nach Baumol wird dies als gegeben angenommen. Ein soziales Optimum im Sinne der Internalisierung der Externen Effekte (Vgl. Pigou-Steuer, Externer Effekt) wird dabei nicht angestrebt. Vielmehr soll lediglich ein bestimmtes Umweltziel erreicht werden. In der Realität werden in bestimmten Fällen gleiche Stoffe in unterschiedlicher Verwendung unterschiedlich besteuert. So zum Beispiel genießt das produzierende Gewerbe und Land- und Forstwirte Steuerermäßigungen oder leichtes Heizöl und Diesel - faktisch das Gleiche - unterliegen unterschiedlichen Steuersätzen. Dies führt zur Ineffizienz der Ökosteuer. Betrachtet man die ökologische Treffsicherheit einer Abgabenlösung (wie die Ökosteuer), so kann es dazu kommen, dass ein falsch gewählter Steuersatz zu Abweichungen vom Umweltziel führt. Von daher ist eine Abgabenlösung weniger treffsicher als der Emissionsrechtehandel, also einer Zertifikatelösung, da bei dieser das Umweltziel direkt beeinflusst werden kann. • Soziale Gerechtigkeit Indirekte Steuern wirken degressiv, das heißt, sie treffen Personen mit kleinen Einkommen stärker als Personen mit hohen Einkommen. Ein ökologisches Steuersystem wird daher häufig als sozial ungerecht aufgefasst. Auch ist 60 energieintensiv zu betreibender Wohnraum meist von den unteren sozialen Schichten genutzt (z.B. energetisch unsanierte Altbauten oder auch gebrauchte PKW), was die Degressivität noch weiter verstärkt. Die degressive Steuerwirkung ließe sich durch eine Subvention der Grundgebühr für Energiebezugsleistungen (z.B. Grundgebühr für elektrischen Strom oder Erdgas) ausgleichen. Diese Subvention müsste der durchschnittlichen Zusatzbelastung durch die Energiesteuer entsprechen, sodass die Lenkungswirkung identisch bliebe und die soziale Umverteilung aufgehoben wäre. Sie würde allerdings auch einen weiter erhöhten bürokratischen Aufwand und damit zusätzliche Kosten bedeuten. • Inflationsabhängigkeit Anpassungen von Steuern an wechselnde Inflationsraten sind in der Realität häufig mit Problemen verbunden. Änderungen der Steuersätze sind häufig mit großem politischen Aufwand verbunden. Die Inflationsrate hingegen kann sich auch vergleichsweise schnell ändern. 8.4 Ökosteuer als Entropiesteuer Ökosteuer steht für Steuern auf jeder Form von Energieträgern, deren Verbrauch die Umwelt belastet. Wird – wie bei der Umsatzsteuer (so genannte Mehrwertsteuer) – durch die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug sichergestellt, dass nur der Endverbraucher von Energie die Steuerlast trägt, dann handelt es sich bei der Ökosteuer um eine Steuer auf den Energieverbrauch. Der Energieverbrauch entspricht einer Erhöhung der Entropie. Mit ihr belastet ein Energieverbraucher die mit der Gemeinschaft geteilte Umwelt. Bei der Ökosteuer handelt es sich also um eine „Entropiesteuer“, mit der nach dem Verursacherprinzip die Umweltbelastung besteuert wird. 61 Literaturhinweise Bajohr, St., Grundriss Staatliche Finanzpolitik, 2. Auflage, Wiesbaden 2007 Blankart, Ch. B., Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 6. Auflage, München 2006 Brümmerdorf, D., Finanzwissenschaften, 9. Auflage, München 2007 Giacomo, C., Öffentliche Finanzen: Ausgabenpolitik, 2. Auflage, Tübingen 2007 Graf, G., Grundlagen der Finanzwissenschaften, 2. Auflage, Heidelberg 2004 Keuschnigg, Ch., Öffentliche Finanzen: Einnahmepolitik, Tübingen 2005 Musgrave, R. A., Finanztheorie, 2. Auflage, Tübingen 1974 Musgrave, R. A.,Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, Band 1, 6. Auflage, Tübingen1994 Recktenwald, H.C.(Hrsg), Finanztheorie, Köln 1969 Rehkugler, H., Grundzüge der Finanzwissenschaft, München 2007 Wellisch, D., Finanzwissenschaften, München 2000 Band 1: Rechtfertigung der Staatstätigkeit Band 2: Theorie der Besteuerung Band 3: Staatsverschuldung Wigger, B. U., Grundzüge der Finanzwissenschaft, Berlin 2006 Zimmermann, H., Henke, K-D., Finanzwissenschaften, München 2005 62 Anhang