Tiergesundheit Wie werden Biokühe fitter? Biokühe sind nicht gesünder als konventionell gehaltene Tiere. Eine Studie mit 106 Biobetrieben zeigt Strategien zur Verbesserung der Tiergesundheit. W er in der EU Biomilch liefern möchte, muss seinen Kühen viel Platz, Weidegang oder Auslauf und eine grobfutterbetonte Fütterung bestehend aus 100 % Biofutter bieten. Antibiotika, z. B. Trockensteller, dürfen nur zur Therapie aber nicht prophylaktisch eingesetzt werden. Doch obwohl die Gesunderhaltung der Tiere im Ökolandbau einen hohen Stellenwert hat, erkranken Biokühe genauso häufig wie konventionell gehaltene Tiere an Euter- und Stoffwechselstörungen. Wo liegen die Risiken und sollten Biobetriebe bei der Krankheitsvorbeuge andere Schwerpunkte setzen als konventionell wirtschaftende? Welche Maßnahmen können die Gesundheitssituation in den Betrieben effektiv verbessern? Das waren die Fragestellungen einer interdisziplinär angelegten dreijährigen Studie, die im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN) mit 106 Biobetrieben durchgeführt wurde. Im Schnitt hielten sie 57 Kühe mit einer Leistung von durchschnittlich 6 053 kg. Nach einer intensiven Analyse des Herdenmanagements bekam jeder Betrieb einen individuellen Gesundheitsplan mit konkreten Empfehlungen der Wissenschaftler. Die Ergebnisse: Generell liegen die klassischen Erkrankungen wie Mastitis oder Stoffwechselstörungen in Biobetrieben auf ähnlichem Niveau wie im konventionellen Bereich. • Milchfieber: Milchfieber trat relativ häufig auf. Zu Beginn waren ø 6,3 % aller Tiere betroffen. Ziel sollte ein Anteil unter 3 % sein. Durch eine kalzium- und kaliumarme Fütterung in der Trockenstehphase und evtl. die Gabe eines Kalzium-Bolus sank ihre Häufigkeit auf 4,8 % (Übersicht). • Stoffwechselgesundheit: Azidosen und Labmagenverdrehungen traten kaum auf. Dagegen waren Ketosen in der frühen Laktationsphase verbreitet. Der Anteil der Kühe mit Verdacht auf eine Ketose (Fett-Eiweiß-Quotient ≥ 1,5) lag in der Frühlaktation (bis 100 Laktationstage) im ersten Untersuchungsjahr bei R 22 top agrar 5/2012 Die Fütterung in der Transitphase ist auch für Biobetriebe die größte Herausforderung. In dieser Phase treten die häufigsten Probleme auf. Häufigkeit von Milchfieber und Ketosen im Verlauf der Studie Ø Häufigkeit der Behandlungen in % (Spanne) Beobachtungsjahr 2007 2008 2009 Milchfieber 6,3 (0 – 47) 5,7 (0 – 31) 4,8 (0 – 2) Ketose 1,7 (0 – 30) 1,2 (0 – 30) 0,8 (0 – 12) über 15 %. Ziel sollten weniger als 5 % sein. Gründe für den Energiemangel waren eine zu geringe Energiedichte im Futter, eine zu niedrige Futteraufnahme und eine zu energiereiche Fütterung in der Trockenstehphase. • Mastitis: Zu Beginn trat im Schnitt aller Herden bei 16,9 % der Tiere eine klinische Mastitis auf, die behandelt wurde. Dabei gab es zwischen den Betrieben große Unterschiede. Während in einigen kaum Antibiotika zur Behandlung benötigt wurden, war dies in anderen bei fast jedem Tier erforderlich. Hier machten sich die unterschiedlichen Hygienestandards bemerkbar. Der Anteil der behandelten Fälle konnte durch gezielte Maßnahmen auf 13,5 % gesenkt werden. Antibiotische Trockensteller dienten als kurzfristige Maßnahme. Mittelfristig sorgte eine bessere Stall- und Euterhygiene für sinkende Mastitisraten. Die Zahl der behandelten Fälle sollte generell unter 20 % liegen. Im Laufe der Studie mussten bereits weniger Tiere aufgrund von Milchfieber und Ketosen behandelt werden. • Mastitis-Neuinfektionsrate: Im Durch- schnitt kam es bei knapp 28 % aller Tiere zu Neuinfektionen (vor der Kalbung < 100 000 Zellen, danach > 100 000 Zellen). Ziel sollten weniger als 15 % sein. Die großen Unterschiede zwischen den Betrieben waren v.a. durch das jeweilige Niveau der Stallhygiene erklärbar. • Zellzahlen: Die Herdenmittelwerte in der MLP bewegten sich anfangs zwischen 92 000 und 761 000 Zellen/ml. Im Durchschnitt aller 106 Herden lag die Zahl bei 272 000 Zellen/ml, was dem Niveau in der konventionellen Milchproduktion entspricht. Generell sollten weniger als 25 % der Kühe über 100 000 Zellen haben. Durch gezielte Melkhygiene konnte der Durchschnitt auf 250 000 Zellen pro ml gesenkt werden. Jürgen Beckhoff Im Folgenden lesen Sie, wie zwei ProjektBetriebe erste Maßnahmen ihres Herdengesundheitsplans umgesetzt haben. Durch getrennte Fütterung Ketose-Rate halbiert D er Bioland-Betrieb von Ute und Martin Reichert aus Körle in Nordhessen kann sich mit einer Herdenleistung von über 8 100 kg Milch pro Kuh und Jahr (4,13 % Fett, 3,18 % Eiweiß) durchaus sehen lassen. Der Schnitt liegt in der Biomilchviehhaltung bei etwa 6 200 kg. Bei Haltung und Fütterung ihrer 66 Holstein-Kühe haben die Betriebsleiter alles im Griff: Der Tierkomfort und die hygienischen Bedingungen wurden im alten Boxenlaufstall ständig verbessert. Auf den Laufflächen wurden Gummimatten verlegt, die Hochboxen auf Tiefboxen umgerüstet und ein Laufhof gebaut. Und auch die Futterqualitäten waren in Ordnung: In der Kleegrassilage lag der Energiegehalt bei 6,1 MJ/kg, in der Mais- silage bei 6,8 MJ/kg. Die Standardration für die Herde setzte sich zusammen aus 85 % Kleegrassilage, 10 % Silomais sowie bis zu 9 kg Kraftfutter pro Tier und Tag an der Station. Zu viel Milchfieber und Ketosen: Und doch gab es in der Herde einige Probleme, die durch die wissenschaftlichen Daten deutlich zutage traten. So mussten im Schnitt 14 % der Kühe wegen Milchfieber vom Tierarzt behandelt werden. Auch subklinische Ketosen zu Beginn der Laktation und Fruchtbarkeitsstörungen wie Nachgeburtsverhaltungen und Zyklusstörungen traten überdurchschnittlich häufig auf. „Der Schlüssel zur Lösung fast aller Probleme Gesundheitsplan Betrieb Ute und Martin Reichert Problem: Milchfieber bei 13 % der Tiere Empfehlung: Getrennte Fütterung der Trockensteher mit energiearmer Ration; Verzicht auf kalziumreiches Kleegras, prophylaktische Gabe eines Kalzium-Bolus Problem: Subklinischen Ketosen nach der Kalbung bei 24 % aller Tiere Empfehlung: Durch die getrennte Fütterung von Altmelker und Trockensteher Verfettung vermeiden Problem: Fruchtbarkeitsstörungen u. a. Zysten, Zyklusstörungen, Nachgeburtsverhaltungen Empfehlung: Energiearme Fütterung der Trockensteher top agrar 5/2012 R 23 Fotos: Heil Ute Reichert aus Körle verabreicht jetzt jeder Kuh ab der dritten Laktation einen Kalzium-Bolus. Tiergesundheit lag im Fütterungsmanagement“, sagt Ute Reichert heute im Rückblick. Schon bei der ersten Bestandsaufnahme der Herde wiesen die Wissenschaftler darauf hin, dass die Trockensteher überkonditioniert waren. Deshalb war der entscheidende Schritt eine getrennte Fütterung der trocken gestellten Kühe. Konsequente Hygiene bringt Erfolg Getrennte Fütterung: Die Trockenste- her wurden von der Herde getrennt und erhielten eine deutlich energieärmere Ration, bestehend aus Maissilage und extensivem Heu mit viel Rohfaser. Durch diese Maßnahme sank der Anteil der Kühe mit subklinischen Ketosen in drei Jahren von 24 % auf 13,1 %. Auch die Fruchtbarkeit der Herde verbesserte sich spürbar. Musste vorher knapp jede dritte Kuh wegen entsprechender Störungen behandelt werden, halbierte sich die Behandlungsrate auf unter 14 %. Für Anke und Michael Spies haben sich die umfangreichen Maßnahmen bereits ausgezahlt. Vor allem die Eutergesundheit hat sich entscheidend verbessert. F Die Trockensteher können jetzt von Martin Reichert gezielter versorgt werden. Besonders erfreulich entwickelte sich die Milchfieberproblematik. „Hier war der entscheidende Schritt bei den Trockenstehern auf die extrem kalziumreiche Kleegrassilage zu verzichten“, erklärt Martin Reichert. Zusätzlich erhalten jetzt alle Kühe ab der dritten Laktation prophylaktisch einen Kalzium-Bolus nach dem Kalben. Die Kombination beider Maßnahmen ließ die Zahl der Milchfieberfälle auf unter zwei Prozent sinken. Trotz der deutlichen Verbesserungen durch das geänderte Fütterungsregime, ist den Reicherts bewusst, dass es auf ein optimales Zusammenspiel von Fütterung, Haltung und Hygiene ankommt. „Beharrlichkeit ist wichtig, bei allen Änderungen, die man anpackt“, sagt Ute Reichert. Das Hauptziel der beiden Betriebsleiter ist, die Gesundheit der Tiere weiter zu verbessern. Dass die Leistung der Herde im laufenden Jahr auf über 8 500 kg/Tier gestiegen ist, zeigt, dass sie auf dem richtigen Weg sind. R 24 top agrar 5/2012 ür Anke und Michael Spies aus Sommersdorf in Mecklenburg-Vorpommern hat die Gesundheit ihrer 66 Kühe schon immer Priorität. „Die Milchleistung ist für uns zweitrangig. Mit durchschnittlich 6 150 kg/Kuh können wir gut leben“, sagt Michael Spies dazu. Deshalb haben sie sich auch ganz bewusst für eine robuste Rasse (DSN) entschieden, die weniger leistungsbetont ist, aber eine hohe Grundfutteraufnahme bei flacher Leistungskurve hat. „Unser Ziel ist es, möglichst viel Milch aus dem Grundfutter zu erzielen und den Kraftfuttereinsatz zu minimieren“, ergänzt Anke Spies. Bei der Stoffwechselgesundheit der Herde zahlt sich dieses Konzept voll aus. Ketosen oder Milchfieber treten so gut wie gar nicht auf. Im Sommer wird der Bestand auf Vollweide umgestellt. Zusätzlich gibt es im Stall Heu und etwas Kraftfutter, das je nach Leistung per Hand zugeteilt wird. Im Winter wird eine kräuterreiche Kleegrassilage, etwas Heu und Kraftfutter verfüttert. Die Kraftfuttermenge pro Tier und Jahr liegt nur bei knapp 10 dt. Viele subklinische Mastitisfälle: Nur Nach jeder Kuh werden die Melkzeuge aber auch die Hände desinfiziert. bei der Eutergesundheit sahen die Wissenschaftler Verbesserungsbedarf. Fast drei Viertel aller laktierenden Kühe hatten eine subklinische Mastitis mit Zellgehalten über 100 000. Der mittlere Gehalt lag bei 275 000. Ein weiteres Problem war der mit 45 % sehr hohe Anteil der Färsen mit einer subklinischen Mastitis. Der Bestandsaufnahme folgte ein umfassendes Hygieneprogramm. Jetzt wird der Liegebereich im Stall konsequent zwei Mal am Tag eingestreut, bei den Färsen je nach Bedarf auch dreimal und mehr. „Die Färsenhaltung im geburtsnahen Zeitraum hat bei uns einen viel hö- Gesundheitsplan Betrieb Anke und Martin Spies Problem: Subklinische Mastitis bei 72 % aller Tiere (ZZ > 100 000) Empfehlung: Trennung von Fressund Liegebereich, Einstreu zweimal pro Tag, bessere Melkhygiene mit Handschuhen, Vorreinigung mit Tüchern, Desinfektion von ­Handschuhen und Zitzenbechern nach jedem Melkgang, DippmittelEinsatz Problem: Mastitis bei 45 % der Färsen (ZZ > 100 000) Empfehlung: Regelmäßiges ­Einstreuen des Liegebereichs bis zu dreimal pro Tag. Im neuen Stall wurde für die Färsen ein Abteil geschaffen, bei dem Liege- und Fressbereich getrennt sind. Durch die damit erzielte bessere Hygiene sank die Mastitisrate. heren Stellenwert bekommen“, erklärt Anke Spies. Durch den Stallneubau 2010 war es möglich, Fress- und Liegebereich zu trennen. Das sehen die beiden Betriebsleiter als sehr wichtigen Schritt an. Das Ausmerzen unheilbarer Zellmillionärinnen gehörte ebenfalls zum Sanierungskonzept. Umfassendes Hygienekonzept: Beim Melken tragen Anke Spies und die angestellte Melkerin jetzt immer Handschuhe, obwohl sich die Betriebsleiterin anfangs nur schwer damit anfreunden konnte. Nach jeder Kuh werden Handschuhe und Vormelkbecher mit Peressig- säure desinfiziert. Auch das Dippen der Zitzen wurde neu eingeführt. Die Reinigung der Euter mit Einmaltüchern war dagegen schon vorher Standard. Dieses umfassende Hygienekonzept trug schnell Früchte. Der Anteil an Kühen mit subklinischer Mastitis sank innerhalb von zwei Jahren auf unter 30 %, bei den Färsen waren nur noch 8 % aller Tiere betroffen. Auch die Ausheilungsrate verbesserte sich deutlich. „Darauf sind wir besonders stolz. Denn obwohl wir seit elf Jahren keine Trockensteller oder andere Antibiotika benutzen, haben wir die gleiche Ausheilungsrate wie andere Betriebe“, sagt Michael Spies dazu. Statt Antibiotika werden homöopathische Mittel eingesetzt. „Das ist aber nur ein Baustein der Behandlung. Noch wichtiger ist es, einen Blick für jede Kuh zu entwickeln, um mögliche Erkrankungen schon vor dem Ausbruch zu erkennen und gegenzusteuern“, sagt Anke Spies. Das macht sich auch bei den Tierarztkosten bemerkbar, die bei nur 35 € pro Kuh und Jahr liegen. Für die Zukunft plant der DemeterBetrieb, die Herde auf etwa 80 Tiere zu vergrößern. Der neue Stall bietet den Raum dafür. Eine Leistungssteigerung ist für das Betriebsleiterpaar trotzdem kein Thema. „Wir wollen keine Extreme“, sagt Michael Spies dazu, „wir wollen gesunde Kühe.“ top agrar 5/2012 R 25