Die Nabatäer-Baukunst ist Fassadenarchitektur, doch scheinen

Werbung
© Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.download www.zobodat.at
Die Felsmonumente von Petra:
ein kunstgeschichtliches Phänomen
Von C läre G oldschmidt
Die Nabatäer-Baukunst ist Fassadenarchitektur,
doch scheinen diese Fassaden weniger das Werk
von Baumeistern als von Bildhauern und Stein­
metzen zu sein. Mit künstlerischer Kühnheit und
beachtlichem Flandwerkskönnen wurden architek­
tonische Formen von enormen Dimensionen und
barbarischer Großartigkeit aus den Felswänden
gemeißelt und nur in wenigen Fällen durch auf­
gesetzte oder gemauerte Teile ergänzt.
Den naturgegebenen und künstlich erweiterten
Höhlen der peträischen Landschaft wurden damit
Fassaden im Haus-, Tempel- und Palast-Stil
vorgeblendet und die Steilwände des Talkessels
erhielten das Aussehen eines grandiosen helleni­
stisch-römischen Stadtbildes.
Zusätzlich bewiesen die nabatäischen BildhauerArchitekten Farbempfinden und Sinn für’s Male­
rische: mit Geschick berücksichtigten sie die na­
türlichen Farbtönungen des Gesteins, von fahlem
Gelb über kräftiges Rotbraun bis zum satten
Blauviolett, und erzielten damit erstaunliche Ef­
fekte, die dem Gesamtbild speziellen Reiz ver­
leihen.
Wenn man nach dem »Baustil« der peträischen
Monumente fragt, oder versucht, sie in das üb­
liche kunstgeschichtliche Schema einzugliedern,
zeigen sich sofort Schwierigkeiten: sie passen nir­
gends völlig hinein.
Auf dem ersten Blick scheinen sie der hellenisti­
schen Epoche und der römischen Imperialkunst
verwandt, oder — je nach der Zeit ihrer Ent­
stehung — ägyptisch oder assyrisch beeinflußt.
Bei eingehender Betrachtung erweist sich aber,
daß sie jeglichen Rahmen sprengen.
Trotz der Verwertung zeitbedingter Motive ha­
ben die Nabatäer — durch eigenständige Ver­
wandlungen und häufige Funktionsveränderun­
gen — in Petra eine einmalige Leistung, ein
kunstgeschichtliches Phänomen hinterlassen.
Durch die Stärke ihrer künstlerischen Aussage­
kraft und die fantasievolle Behandlung der archi­
tektonischen Komposition — verbunden mit
konsequenter Nutzung der gegebenen Landschaft
— können die Monumente von Petra als große
Kunst des vorislamischen Arabiens bezeichnet
werden. Dem Vergleich mit anderen früharabi­
schen Königsbauten, etwa der Reiche von Saba
und Hadramaut, werden sie mit Sicherheit stand­
halten, wenn diese bisher nur teilweise aufge­
fundenen Objekte einmal weniger schwer zu­
gänglich und besser bekannt sein werden.
Die Idee des Felsengrabes war kein eigener Ge­
danke der Nabatäer. Die Bewohner der orienta­
lisch-mediterranen Welt waren damit schon ver­
traut, lange bevor das nabatäische Karawanen­
führervolk zwischen Rotem und Totem Meer
seßhaft wurde und den Felsenkessel von Petra
zur Hauptstadt auszubauen begann.
Aus Ägypten sind die Felsengräber von Beni
Hasan bekannt, die ebenfalls vorgeblendete Säu­
lenhallen besitzen und am Ende des Alten Rei­
ches, zu Zeiten der 7. bis 10. Dynastie, also um
2300 bis 2100 v. Chr. entstanden sind. Den
Nabatäern räumlich und zeitlich viel näher — im
37
© Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.download www.zobodat.at
alten Kanaan — gibt es im Kidrontal unterhalb
von Jerusalem drei Felsengräber die nach brüchi­
ger Tradition als die Ruhestätten von Absalom,
Jakobus d. J. und Zacharias gelten und aus der
herodianischen Epoche stammen. Ein ebenfalls
aus dem Felsen gehauenes Grab stellte Josef von
Arimathia zur Verfügung, um Jesus nach dem
Kreuzestod darin zu bergen. (Matth. 27, 60); im
angeblichen »Grab der Könige von Juda« da­
gegen war Helena, die 48 n. Chr. zum Juden­
tum übergetretene Königin von Adiabena beige­
setzt.
Auch die nicht-semitische Welt der Antike kannte
die Beisetzung im Felsengrab. Die vermutlich
hamitischen Sikuler, die frühesten Bewohner
Siziliens, brachten sie am Ende des 3. vorchrist­
lichen Jahrtausends aus ihrer nordafrikanischen
Urheimat mit auf die Insel. In ihren Fels­
nekropolen in der Gegend des heutigen Syrakus
wurden schon um 1700 v. Chr. für einzelne
Gräber Steinpfeilervorhallen aus den Bergwän­
den gemeißelt. Diese Anlagen waren sämtlich
sehr einfach, verglichen mit dem Pomp von Petra
geradezu ärmlich. Dies trifft auch für die persi­
schen Felsengräber im alten indogermanischen
Iran zu, die Hausfassaden und Vordächer be­
Die frühen Gräber sind
stockwerkweise übereinan­
der angelegt. Sie zeigen in
der Giebelform der Portale
hellenistischen Einfluß. Die
Dekorationsidee der ge­
treppten Zinnen hat ihren
Ursprung in Mesopotamien.
38
saßen. Nicht einmal die Palastfassade, die in
Persepolis dem Felsengrab des Achämenidenherrschers Artaxerxes II. (f 358 v. Chr.) vorge­
blendet wurde, ist dem Aufwand gleichzusetzen,
mit dem die Könige von Petra ihre Grabmäler
gestalten ließen. Nur die lykischen Felsengräber
aus dem 6. bis 4. Jahrhundert v. Chr. an der
Südwestküste Anatoliens lassen, was Originalität
und Einfallsreichtum angeht, einen Vergleich
zu.
Üppigkeit der Dekoration und Übersteigerung
der Dimensionen sind das Typische der Nabatäerkunst, zugleich aber auch die Ursache dafür,
daß sie als unklassisch bezeichnet werden muß.
Die Vermengung hellenistischer Einflüsse mit den
Elementen des Orients ist auch andernorts fest­
stellbar, etwa an den Tempeln von Baalbek.
Dort aber ging sie unter römischer Regie vor sich,
wobei es den römischen Baumeistern möglich
war, den architektonischen Spieltrieb ihrer orien­
talischen Mitarbeiter zu dämpfen und soweit in
Grenzen zu halten, daß es nur zu einer Art von
»Römischem Barock« kam.
In Petra dagegen waren die Söhne der Wüste
mit unbehinderter Fantasie gestaltend am Werk
© Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.download www.zobodat.at
Kapitelle, Arcbitrav
und Tympanon des
»Khazne« zeigen mit
ihrer eleganten Dekora­
tion aus Rankenwerk,
Blüten, stilisierten Tieren
und Vasen den Stil der
ptolemäischen
Diadochenstadt
Alexanderia, den man
als das »Rokoko« des
Hellenismus bezeichnet.
und sprengten mit der uralten arabischen Nei­
gung zur Verschwendung hellenisches Maß und
römische Strenge.
Die verschiedenen künstlerischen Inspirationen,
denen man in Petra gegenübersteht, kommen bei
den frühen Monumenten aus ägyptischen und
assyrischen Quellen, haben in der Hauptbauperi­
ode hellenistische Prägung und lassen in der
Endphase der Nabatäer-Geschichte römische Stil­
merkmale erkennen. Nur im Fall des römischen
Einflusses ist dabei die Annahme einer gewissen
politischen Abhängigkeit berechtigt. Dieser »Ein­
fluß« fand schließlich in der Annexion des Nabatäerreiches durch das Imperium Romanum sei­
nen Höhepunkt.
Die anderen Bau-Ideen und Architekturmotive
haben die Nabatäer wie Handelsware von ihren
Karawanenzügen mitgebracht. Was sie von Süd­
arabien bis Anatolien und von Ägypten bis zum
Zweistromland besonders begeistert hatte, ko­
pierten sie zu Hause in Petra und fügten es in
bizarrer Stilmischung zusammen, nicht ohne Ge­
schmack, aber in kühner Nichtachtung klassischer
Neben dem korinthischen
Akanthuskapitell, das
die Römer besonders
liebten, zeigen die
stilistischen Details der
beiden anderen Archi­
tektur-Fragmente das
Einsickern fremder Kulte
in spätnabatäischer Zeit.
Regeln. Dies ist die ursprüngliche und eigene
Leistung der Nabatäer, die Petra zu einem Ein­
zelfall der Kunstgeschichte macht. Die verschie­
denen Motive der klassischen Architektur beka­
men bei diesem willkürlichen »Zusammensetz­
spiel« oftmals eine ihnen bis dahin fremde
Funktion. Im gesamten Kulturgebiet der klassi­
schen Antike gab es keinen fünffach-gebrochenen
Giebel, wie beim tempelartigen NabatäermonuAm Kapitell rechts unten: Gewundene AsklepiosSchlange. Darüber: Helios-Kopf an der Schulter­
agraffe der Frauengestalt.
© Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.download www.zobodat.at
Fassade von ed-Der. Die Rotunde über dem Eingang und der Scheibenfries beweisen römisches Vorbild und
römischen Einfluß. Die architektonische Fendern des Baues ist »unklassisch«. Der fünffach gebrochene Giebel
widerspricht der antiken Auffassung von Maß und Form.
ment von ed-Der und nirgendwo zwischen Lu­
sitanien und dem Pontus wurde je eine Tempel­
fassade erbaut, die ein zweiter Tempel, eine
Rotunde — bekrönte. Eines der schönsten Monu­
mente Petras, das Khazne (»Schatzhaus«) kann
sich dieser Besonderheit rühmen, ebenso ed-Der
und bei einer der schlechtesten peträischen Fas­
saden, am »Korinthischen Grab«, wurde die
gleiche Idee nochmals aufgegriffen.
Die Bauidee des zierlichen, säulenumgebenen
Rundtempels — griechisch Tholos genannt —
hat ihren Ursprung in Hellas. Aus Epidauros
und Delphi sind solche Bauten bekannt, doch
konnte man sich bisher nicht über ihre Bedeu­
40
tung einigen. Unmißverständlich hingegen sind
Sinn und Zweck des Rundbaus, den König Phi­
lipp von Makedonien in der Altis von Olympia
errichten ließ, nachdem er 338 v. Chr. bei Chaironeia den entscheidenden Sieg über die Griechen
errungen hatte. Diese erste »hellenistische« Ro­
tunde — unter dem Namen Philippeion be­
kannt — war eindeutig ein Siegesmal.
Die Römer übernahmen diesen Gedanken und
bauten — ebenfalls um die Unterwerfung frem­
der Völker zu feiern — ähnlich gestaltete Ro­
tunden. Das erste Gedenkmonument dieser Art
entstand um 25. v. Chr. zu Ehren des Kaisers
Augustus aus Anlaß seines Sieges über die Py-
© Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.download www.zobodat.at
renäenvölker und wurde in Lugdunum Convenarum errichtet, dem heutigen St. Bertrand-deComminges an der Garonne. Zwanzig Jahre
später wurde Augustus durch Senat und Volk
von Rom nochmals mit einem derartigen Sieges­
monument bedacht. Der Grund dafür war die
Niederwerfung aller Alpenvölker zwischen Ad­
ria und Tyrrhenischem Meer. Der Rundtempel —
Alpinum Tropaea genannt — wurde auf der
Grenze zwischen dem römischen Italien und dem
keltischen Gallien erbaut. Diese Grenze hat sich
in den letzten 2000 Jahren nur um 10 km ver­
schoben: auf der Paßhöhe »La Turbie«, unmittel­
bar über dem heutigen Monte Carlo, thronen
auf steiler Bergwand — 500 m über dem Spiegel
des Mittelmeeres — die weithin sichtbaren, ein­
drucksvollen Reste des Monuments. Bis zum
Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts
bewahrte man im kaiserlichen Rom noch den
gleichen Stil des Siegesmonuments: wieder errich­
teten Senat und Volk von Rom — SPQR —
einem Herrscher einen säulengeschmückten Rund­
tempel, diesmal weit im Osten des Reiches, bei
Adamklisse in der rumänischen Dobrudscha. Er
galt der Erinnerung an Kaiser Trajans Sieg
über die Daker.
Aber auch in durchaus profaner Umgebung —
im Mittelpunkt der großen Markthallen erober­
ter Städte — wurden derartige Rotunden als
Symbole römischer »Machtübernahme« errichtet.
So fanden sich die deutlichen Reste eines solchen
Rundbaus inmitten des Maceilums der griechischsamnitischen Hafenstadt Puteoli (heute: Pozzuoli), die 194 v. Chr. von den Römern erobert
wurde. Im 18. Jahrhundert hielt man die qua­
dratisch angelegten Säulengalerien der Markt­
halle für ein Kultgebäude und nannte es kurzer­
hand »Serapis-Tempel«. Allerdings konnten sich
die damaligen Entdecker des Bauwerks den
Zweck der Rotunde nicht erklären; immerhin
erschien sie ihnen inmitten eines »antiken Tem­
pels« einigermaßen befremdlich.
Etwas mehr Licht kam in die Sache, als in den
sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts — nach
dem Sturz der napolitanischen Bourbonen­
könige — die Ausgrabung von Pompeji weniger
»auf Verdacht« als nach einem einigermaßen
überlegten Plan weiterging und man einen ele­
ganten Wohnsitz aus samnitischer Zeit (vor 290
v. Chr.) aufdeckte, der mit hellenistischer Archi­
tekturmalerei dekoriert war.
Wegen der etwas verwirrenden Anlage seiner
Vereinfachte Darstellung ei­
nes pompejanischen Wand­
bildes (aus der »Casa di
Labirinto«), das die Rotunde
als römisches Machtsymbol
innerhalb des Maceilums
von Pompeji zeigt.
41
© Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.download www.zobodat.at
Zugänge, die wohl durch mehrfachen Umbau und
das Zusammenziehen ehemals einzeln stehender
Gebäude bedingt war, bekam das Haus den
Namen »Casa di Labirinto«. Es steht an der
heute so bezeichneten Via di Mercurio, nahe beim
berühmten »Haus des Fauns«. In diesem La­
byrinth-Haus fand sich an der großen Wand des
Hauptraums ein Fresko, das — wegen seiner
technischen Merkmale — zum sog. »2. Stil« der
pompejanischen Malerei gehört (100—20 v.
Chr.). In eben diesen Zeitabschnitt fiel die end­
gültige Unterwerfung Pompejis durch Rom und
sein architektonischer Ausbau zur römischen Ko­
lonialstadt. Im Zuge dieses Ausbaus wurde
am Forum, zu seiten des Jupitertempels, die
quadratische Markthalle neu errichtet. Sie war
— ähnlich der von Puteoli — von rechtwinklig
zueinanderstehenden Säulenreihen umgeben. In
ihrer Mitte errichteten die römischen Bauherren
die bewährte Rotunde, als Zeichen des Sieges
und als Gewähr für die »Pax Romana«.
Maceilum und Siegesmal fielen beim Untergang
Pompejis (79 n. Chr.) in Trümmer und wurden
erst in unserem Jahrhundert bruchstückhaft wie­
der ausgegraben. Doch das Fresko in der »Casa
di Labirinto« zeigt ihr getreues Abbild. Mit be­
achtlicher perspektivischer Genauigkeit sind
Markthalle und Rotunde dargestellt. Zwischen
den korinthischen Säulen des Siegesmales hän­
gen — als Opfer an den Schlachtenlenker Mars
oder die Siegesgöttin Victoria — die erzenen
Rundschilde, die Sullas Legionäre nach dem Sieg
in Samnium (88 v. Chr.) den Verteidigern Pom­
pejis abgenommen hatten. Ohne Zweifel han­
delt es sich um samnitische Schilde, denn zur
Zeit der Kämpfe um Pompeji waren Roms Le­
gionen längst viel moderner mit lederüberzoge­
nen Rechteckschilden ausgerüstet. Inmitten der
Rotunde hängt an einer Kette das Symbol der
besiegten Stadt: die Mauerkrone. Darüber
schwebt — ob schützend oder drohend sei dahin­
gestellt — der Adler Roms mit erhobenen Flü­
geln. Damals war er — seit etwa dreißig Jah­
ren — das von Gaius Marius verliehene, nahezu
religiös verehrte Feldzeichen der Legionen.
Der Auftraggeber des Bildes dürfte vermutlich
ein siegbegeisterter Römer gewesen sein, der das
42
einst samnitische Wohnhaus übernommen hatte.
Beruflich stand er zum Macellum in enger Ver­
bindung. Vielleicht war er sogar der beamtete
Marktaufseher, zumindest aber Weinhändler und
Bankier. Der Doppelhenkelkrug, die klassische
Weinamphora, wie auch die maskenhafte Dar­
stellung des gehörnten Bacchus lassen auf die
eine Tätigkeit schließen, der Geldwechslertisch
auf die andere. Unser Römer ließ — wenn auch
etwas verschlüsselt — darüberhinaus auch dar­
stellen, daß er ein »Selfmademan« war, d. h.,
daß er seinen Reichtum nicht ererbt, sondern er­
worben hatte: der Wechseltisch vor dem mit
einem Vorhang verschlossenen Markttor zeigt an,
daß er — auch »nach Ladenschluß« zu Dienst
und Verdienst stets bereit gewesen ist.
Dieses pompejanische Fresko hat innerhalb der
Petra-Literatur zu einem originellen Trugschluß
geführt.
Der aus Köln gebürtige Pariser Architekt H it­
torf, der sich dort durch die endgültige Aus­
gestaltung der »Place de la Concorde« einen
Namen gemacht und die Gunst Napoleons III.
erworben hatte, unternahm um 1862 in kaiser­
lichem Auftrag eine Orient-Reise, die ihn auch
nach Petra führte. Vorher machte er in Neapel
Station und besuchte dort seinen Pariser Freund
Alexandre Dumas, den berühmten Romancier.
Dumas war auf merkwürdige Weise in Neapel
Museumsdirektor und damit Ausgrabungsleiter
für Pompeji geworden: Garibaldi, der ihm für
manche politische Hilfestellung Dank schuldete,
hatte ihn dazu ernannt.
Damals wurde gerade die »Casa di Labirinto«
entdeckt und Hittdorf sah das Fresko mit der
Rotunde. Als er später in Petra ähnliche Rund­
bauten an einigen Felsfassaden gewahrte, stellte
er in seinem 1866 in Paris erschienenen Reise­
bericht »Memoire sur Pompei e Petra« eine eigen­
willige Theorie auf. Nach seiner Meinung hätten
nabatäische Händler das pompejanische Bild ge­
sehen und daraufhin im heimischen Petra die
Steinmetzen veranlaßt, ebenfalls das Motiv der
Rotunde zu verwenden.
Wohl sind durch Münzfunde Handelsbeziehun­
gen zwischen Petra und den Hafenstädten am
Golf von Neapel belegt; vielleicht kam tatsäch-
© Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.download www.zobodat.at
lieh auch einmal ein nabatäischer Kaufmann nach
Pompeji in die »Casa di Labirinto« — das läßt
sich weder behaupten, noch verneinen. Aber
— die Nabatäer hatten die Inspiration aus Pom­
peji gar nicht nötig: die Römer brachten ihnen
ihre Siegeszeichen ganz von selbst nach Petra.
Denn, nach der eingehend bewiesenen römischen
Gepflogenheit im eroberten Gebiet Rotunden als
Siegesmonumente zu errichten, dürften auch die
Rundtempel an den peträischen Fassaden mit
ähnlicher Absicht dort plaziert worden sein.
Hinzu kommt, daß gerade Kaiser Trajan, der
das Nabatäer-Reich dem Imperium Romanum
einverleibte, diese Art von Bauten besonders
schätzte und, daß das »Motiv« der Rotunde ganz
plötzlich im Architekturbild jener Felsfassaden
auftaucht, die — wohl von einheimischen Künst­
lern — aber sichtlich unter römischem Einfluß
gemeißelt worden sind.
Nachdem man sich an soviel Tüchtigkeit des Ko­
pierern und Wiederverwendens fremder Bau­
gedanken gewöhnt hat, entdeckt man mit Stau­
nen und zunächst ungläubig, daß es an den
Monumenten von Petra auch eine völlig eigene
und sonst nirgends auffindbare Schöpfung der
Nabatäer-Kunst gibt: ein Kapitell. In der Form
eines »Komposit-Kapitells« findet es sich als
Bekrönung von Säulen und Halbsäulen und
ebenso von quadratischen Pfeilern. Es besteht
aus einem Ring von vier Gesimsen verschiedener
Breite, dem bei Halbsäulen eine doppelte, bei Detail von ed-Der: römische Scbeibenmetope und
freistehenden Säulen eine vierfache Antenbekrö­ nabatäisches Hörnerkapitell.
nung mit halbaufgebogenen Hörnern aufsitzt.
Die Mitte zwischen den Hörnern ist jeweils
durch eine erhaben gemeißelte schildförmige
Scheibe markiert, wo auf anderen Kapitellen
römischer Zeit eine Akanthusblüte am Abakus
sitzt. An den Kapitellen der nabatäischen Tempel
von Si’a (Hauran) wird daraus Kopf bzw. Torso
des Duschara.
Diese Kapitellform erscheint in ihren Anfängen
zaghaft und nicht voll ausgebildet, dann aber —
an einer ganzen Reihe peträischer Fassaden —
immer gleichbleibend wirkungsvoll ausgewogen
und keineswegs bestimmt, irgend ein Ornament
zu tragen. In letzter Überspitzung der Form be­
gegnet man diesem originalen Nabatäerkapitell
43
© Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.download www.zobodat.at
Die Kapitelle des Nabatäer-Tempels von Si’a tragen
statt der schildförmigen Scheibe einen Duschara-Kopf.
als Träger der 9 m hohen Urne des Tempels von
Ed-Der. Hier sind die Hörner zu steinernen
Flügeln geworden, die als nahezu rechtwinklige
Dreiecke aus dem auf die Kubusform reduzier­
ten Kern des Kapitells herausragen.
Gemeinsam mit diesem ausgesprochen nabatäischen Baudetail zeigt sich an den gleichen Fas-
An der bekrönenden Urne von Ed-Der sind die Hör­
ner des Kapitells zu steinernen Flügeln geworden.
44
saden ein Dekorationselement, das rein römisch
ist: Ein Schmuckfries aus Triglyphen und Scheihen-Metopen. Die Sonnenscheibe diente von altersher den Pharaonen Ägyptens als Symbol
ihrer Herrschergewalt. Nachdem Caesars Adop­
tivsohn Octavian in der Seeschlacht von Actium
(31 v. Chr.) Kleopatra, die letzte Königin von
Ägypten besiegen und das Nilland für Rom
gewinnen konnte, übernahm er auch — inzwi­
schen vom Feldherrn Octavian zum Kaiser Augustus geworden — das alte Machtzeichen der
Pharaonen. In Gestalt des Scheibenfrieses ließ
er es, zwar nie in Rom selbst, mehrfach an Bau­
werken von ihm eroberter Städte anbringen.
Erstmals wurde in seinem Auftrag — um das
Jahr 20 v. Chr. — das Haupttor der Etrusker­
stadt Perugia damit geziert, wo dieser Fries aus
Triglyphen und Scheibenmetopen bis heute erhal­
ten blieb.
Für die schwierige Datierung der Nabatäerbauten von Petra, die Archäologen und Historikern
schon häufig Anlaß zu Meinungsverschieden­
heiten gab, ist dieser römische Schmuckfries
insofern ein Anhaltspunkt, als Monumente, die
ihn tragen, nicht vor der Übernahme Ägyptens
durch Rom entstanden sein können. In Petra
sind dies in der Mehrzahl auch die technisch wie
künstlerisch besonders guten Fassaden, die mög­
licherweise in jener Zeit gemeißelt wurden, als
römische Baumeister in der nabatäischen Metro­
pole wirkten. Auch das »Komposit-Kapitell« ist
im Grunde eine römische Erfindung. Die römi­
schen Künstler allerdings kombinierten korinthi­
schen Akanthus mit jonischen Voluten, während
die Nabatäer Ringgesims und Antenhörner in
einer strengen und gleichzeitig kraftvollen Form
aufeinandersetzten. Dies bedeutet eine Abkehr
von ihrer vorhergegangenen allzu verspielten und
»kunstgewerblichen« Einstellung und läßt viel­
leicht den mäßigenden Einfluß römischer Sach­
lichkeit in Betracht ziehen. Trotzdem bleibt die­
ses Hörnerkapitell in Form und Ausführung der
spezielle nabatäische Beitrag zur antiken Bau­
kunst, vor allem in Petra, el-Hegr und Bostra.
Da erst in der Zeit römischen Einflusses dieses
Hörnerkapitell in Petra seine ausdrucksstarke
Form bekam, läßt sich vermuten, daß dort da-
© Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.download www.zobodat.at
Wie auch andere Monumente der nabatäischen Spät­
zeit zeigt die Fassade von ed-Der einen Fries, bei
dem dreistegige Zierstücke (Triglyphen) mit glatten
Scheiben (anstatt der antiken Bildmetopen) abwech­
seln. Diese Art der Dekoration ist eine ausgesprochen
römische Erfindung, stammt aus der Zeit Octavians
und schmückt auch Bauwerke im europäischen Bereich
des Imperium Romanum.
Das Haupttor von Perugia
ist etruskisch. Im Jahr 41 v.
Chr. unterwarf sich das da­
malige Aperusia nach langer
Belagerung den Legionen
Octavians. Zehn Jahre spä­
ter, nach seinem Sieg über
Ägypten, ließ Octavian mit
Kleopatras Geld die Mauern
und Tore Aperusias wieder
aufbauen. Aus dieser Zeit
stammt der Fries über dem
Torbogen, wobei das ägyp­
tische Symbol der Sonnen­
scheibe als Zeichen der
Herrschermacht erstmals in
römischem Gebiet verwen­
det wurde.
45
© Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.download www.zobodat.at
Das unvollendete Grab unter el-Habis zeigt die
Arbeitsweise der nabatäischen Steinmetzen, die von
oben her und von außen nach innen zugleich Höhlen­
raum und Fassade schufen. (Nach einer Zeichnung
von de Laborde).
mals neue geistig-religiöse Hintergründe seine
Gestaltung mitbestimmten.
Rom bezog seine Legionäre von allen Enden der
Alten Welt und tolerierte alle Religionen, die sie
mitbrachten. Eine davon war der in vielfältiger
Form im ganzen Imperium verbreitete Stierkult.
Möglicherweise hat man sich ihm auch in Petra
zugewandt und die Elörnerkapitelle sind seine
Symbole. Für Arabien wäre das an sich nichts
Neues gewesen, wie Stelen und Altarreliefs aus
Saba beweisen. Dort kannte man sogar einen
dem Stier geweihten Monat, an dessen 9. Tag
der jeweilige König spezielle Opfer darzubrin­
gen hatte. Auch im Kulturbereich der Nabatäer
blieben Felszeichnungen erhalten, die Altarsteine
mit Hörneraufsätzen zeigen, deren Ähnlichkeit
mit phönikischen Hörneraltären und den »Wei­
hehörnern« von Kreta und Mykene augenfällig
ist. Doch wurde zur gleichen Zeit und im glei­
chen Raum, nämlich Arabien, auch der von den
Sabäern und ihren Nachfolgern verehrte Licht­
gott Almaqah durch die Hörner der Mondsichel
symbolisiert. Altäre mit derartigen Darstellungen
existieren noch in den Museen von London, Paris
und Marseille. So wäre auch an eine solche
Kultbedeutung der Hörnerkapitelle von Petra
zu denken, zumal das am Handelsweg der Na­
batäer gelegene Mekka — bevor der Islam von
ihm Besitz ergriff — ein Zentrum des arabischen
Mondkultes war.
Es fällt uns heute schwer, unsere Überlegungen
dem Symboldenken der antiken Welt anzupas­
sen. Im Zusammenhang mit dem Bemühen, die
mancherlei Rätsel lösen zu helfen, die Petra und
das Königreich der Nabatäer noch immer um­
geben, ist die Frage nach dem Symbolgehalt die­
ser Kapitelle auch nur zweitrangig. Wesentlich
und interessant zugleich ist, daß die Nabatäer
in der Schlußphase ihrer Geschichte, die zugleich
das Ende ihrer monumentalen Kunst mit sich
brachte, mit den Hörnerkapitellen den grandio­
sen Fassaden ihrer Totenstadt erstmals ein ori­
ginales Detail anfügten, das — wie diese selbst —
den Glanz ihres Reiches um ]ahrtausende über­
dauert hat.
Der kunstgeschichtlich interessierte Reisende kann
die Hörnerkapitelle, außer in Petra, in Bosra,
Medain Salihy Avdat und im Kasr el-Hallabat —
an den Grenzen des einstigen Nabatäerreiches —
bewundern.
L i t e r a t u r : Akurgal, Ekrem: Die Kunst Anato­
liens von Homer bis Alexander, Berlin 1961. — Encyclopedia of World Art, Vol. I., London 1967. —
Kämmerer, A.: Petra et la Nabatene, Paris 1929. —
Pirenne, J.: Arabie preislamique, Paris 1961. — Pro­
pyläen Kunstgeschichte, Bd.2: Römisches Weltreich.—
Ruy, Carel J. du: Völker des alten Orients, BadenBaden 1969.
46
Herunterladen