III. Korrektheit und Vollst¨andigkeit

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Logik für Informatik
Sommersemester 2003
Mathias Kegelmann
Technische Universität Darmstadt
Fachbereich Mathematik
6. Mai 2003
III. Korrektheit und Vollständigkeit
A
Wir haben in den letzten beiden letzten Vorlesung verschiedene “Wahrheitsbegriffe” kennengelernt.
Betrachten wir das nochmal anhand des Beispiels A → (B → A). Zunächst können wir uns informell
davon überzeugen, dass diese Aussage für beliebige A und B “gilt”: Wenn A gilt, dann impliziert B allemal
A, da A ja unabhängig von B bereits als gültig vorausgesetzt wurde.
Um das zu formalisieren haben wir zunächst mit Hilfe von Wahrheitstafeln einen semantischen Gültigkeitsbegriff
A y→ (B → A) formuliert, der sagt, dass unter jeder Variablenbelegung ρ die Auswertung
q
A → (B → A) ρ den Wert w annimmt. Das dem so ist, kann man der folgenden Wahrheitstafel entnehmen:
A B B → A A → (B → A)
f f
w
w
f w
f
w
w f
w
w
w w
w
w
Wir sagen deshalb, dass A → (B → A) eine Tautologie ist.
Letzte Woche haben wir einen syntaktischen Beweisbegriff ` A → (B → A) eingeführt. Dieser besagt,
dass A → (B → A) im Kalkül des Natürlichen Schließens einen formalen (annahmenfreien) Beweis hat;
zum Beispiel den folgenden:
(Ax)
A, B ` A
(→I)
A`B→A
(→I)
` A → (B → A)
In der Vorlesung heute werden wir untersuchen, wie die beiden formalen Begriffe Γ A und Γ ` A
zusammenhängen.
1
Korrektheit
Als erstes wollen wir zeigen, dass alles, was man mit Natürlichem Schließen beweisen kann, auch tatsächlich
semantisch gilt. Auf den ersten Blick ist dabei vielleicht gar nicht klar, was das überhaupt bedeutet. Formal
gesehen ist aber ein Beweis im Kalkül des Natürlichen Schließens ein rein syntaktisches Gebilde, das nach
gewissen “Spielregeln” zusammengesetzt ist. Dass die Existenz einer solchen syntaktischen Ableitung die
besagte semantische Konsequenz hat, liegt letztlich daran, dass alle Regeln in dem Sinn “vernünftig” sind,
dass man nichts falsches damit ableiten kann.
Bevor wir zum eigentlichen Satz kommen, noch eine Bemerkung vorab: Die Grundidee ist es, per Induktion über den Beweisaufbau zu zeigen, dass man nach jedem Beweisschritt nur etwas gültiges herleiten
kann. Betrachten wir dazu eine der einfachsten Regeln (im Moment ohne Kontexte):
`A
`B
`A∧B
(∧I)
Im Beweis würden wir dann per Induktionshypothese annehmen können, dass A und B gilt, und daraus
müssten wir dann A ∧ B zeigen. Dazu nimmt man sich eine beliebige Belegung ρ und erhält aus A und
B sofort JAKρ = JBKρ = w und somit JA ∧ BKρ = JAKρ ∧ JBKρ = w ∧ w = w.
Auch wenn wir eigentlich nur zeigen wollten, dass ` C immer C impliziert, müssen wir doch auch
Sequenzen Γ ` C mit nicht-leerem Kontexten Γ betrachten. Das liegt daran, dass sich in einem formalen
Beweis die Prämissen bei den Regeln (→I) und (∨E) ändern. Also brauchen wir auch auf der semantischen
Seite den in Definition 1.6 eingeführten Begriff der semantischen Konsequenz Γ C, der bedeutet, dass für
alle Belegungen ρ, die alle Propositionen aus Γ wahr macht, immer JCKρ = w gilt.
Satz 3.1 (Korrektheitssatz). Sei Γ eine Liste von Propositionen und A ∈ PROP. Ist dann Γ ` A im Kalkül
des Natürlichen Schließens herleitbar, dann gilt auch Γ A.
Beweis. Wir beweisen dies per Induktion über den Beweisaufbau. Die Verankerung ist die Regel
Γ, A, ∆ ` A
(Ax)
und man sieht sofort, dass auch Γ, A, ∆ A gilt.
Für die strukturellen Regeln (X) und (C) ist nichts zu zeigen. Also müssen wir nur noch die drei
Introduktions-, die vier Eliminationsregeln sowie (¬¬) betrachten. Der Beweis für die Korrektheit von
Γ`A
∆`B
Γ, ∆ ` A ∧ B
(∧I)
— jetzt mit Kontexten — ist fast identisch zu unseren Vorüberlegungen. Auch die anderen Fälle gehen
immer sehr ähnlich, weshalb wir exemplarisch nur die beiden interessantesten Fälle, (→I) und (∨E), betrachten.
Ende also eine Herleitung mit der Regel:
Γ, A ` B
Γ`A→B
(→I)
Nach Induktionsannahme gilt somit Γ, A B. Um nun Γ A → B zu beweisen, betrachten wir eine
beliebige Belegung ρ : ATOM → {w, f}, die für alle C ∈ Γ die Bedingung JCKρ = w erfüllt. Jetzt
müssen wir JA → BKρ anhand der Wertetabelle für → nachrechnen. Ist JAKρ = f, so gilt in jedem Fall
JA → BKρ = w, und für JAKρ = w erhalten wir JBKρ = w aus Γ, A B und somit ebenfalls JA → BKρ =
w.
Für die Regel
Γ ` A ∨ B Γ, A ` C Γ, B ` C
(∨E)
Γ`C
liefert uns die Induktionsannahme Γ A ∨ B sowie Γ, A C und Γ, B C. Sei nun ρ eine Belegung
unter der alle Propositionen aus Γ gelten. Wegen Γ A ∨ B gilt somit JA ∨ BKρ = w und aufgrund der
Wertetabelle für ∨ können wir daraus schließen, dass entweder JAKρ = w oder JBKρ = w gelten muss. Im
ersten Fall erhalten wir JCKρ = w aus Γ, A C und im zweiten aus Γ, B C. Also gilt in jedem Fall
JCKρ, was Γ C zeigt.
Die anderen Fälle sind allesamt einfacher und dem Leser als Übung überlassen.
Der Satz garantiert uns, dass alle Herleitungen sinnvoll sind. Deshalb können wir ihn auch als Kriterium
dafür einsetzen, dass gewisse Sequenzen nicht syntaktisch herleitbar sind.
Korollar 3.2. Es gibt keine Herleitung für ` ⊥.
2
Vollständigkeit
Jetzt wollen wir die umgekehrte Implikation zeigen, nämlich dass alles, was semantisch gilt, auch im Kalkül
des Natürlichen Schließens herleitbar ist. Dies ist etwas schwerer zu zeigen als Korrektheit, und wir beginnen mit einigen Vorüberlegungen.
Eigentlich wollen wir Γ A impliziert Γ ` A. Stattdessen beweisen wir die Kontraposition: Γ 0 A
impliziert Γ 2 A. Wir beginnen damit, diese Bedingungen umzuformulieren; das folgende Diagramm gibt
einen Überblick, wie wir den Beweis angehen werden:
Γ~
0A
Γ~
2A
w
w


V
Γ, ¬A 0 ⊥ ⇐⇒
Γ ∧ ¬A 0 ⊥ =⇒ Γ, ¬A erfüllbar
V
Γ für eine Liste von Propositionen Γ = C1 , C2 , . . . Cn einfach C1 ∧ C2 ∧ · · · ∧ Cn .
V
Lemma 3.3. Für einen Kontext Γ und A ∈ PROP ist genau dann Γ ` A herleitbar, wenn Γ ∧ ¬A ` ⊥
herleitbar ist.
Hierbei bedeute
Beweis. Für die Äquivalenz von Γ ` A und Γ, ¬A ` ⊥ kann man direkt Beweisbäume angeben:
Γ`A
¬A ` ¬A
Γ, ¬A ` ⊥
(Ax)
Γ, ¬A ` ⊥
(¬E)
Γ ` ¬¬A
Γ`A
(¬I)
(¬¬)
Für beliebige Propositionen C1 , . . . , Cn , B ∈ PROP ist immer genau dann C1 , . . . , Cn ` B herleitbar wenn
C1 ∧ · · · ∧ Cn ` B herleitbar ist. Wir zeigen nur die Richtung, die wir tatsächlich für den Beweis später
brauchen. Dazu betrachten wir die Herleitung
Γ, C ∧ C 0 ` B
Γ ` (C ∧ C 0 ) → B
(→I)
C`C
Γ, C, C 0 ` B
(Ax)
C0 ` C0
C, C 0 ` C ∧ C 0
(Ax)
(∧I)
(→E)
und sehen per Induktion, dass die Herleitbarkeit von C1 ∧ · · · ∧ Cn ` B die von C1 , . . . , Cn ` B zur Folge
hat.
Lemma 3.4. Sei Γ ⊆ PROP und A ∈ PROP. Dann ist Γ ∪ {¬A} genau dann erfüllbar, wenn Γ A nicht
gilt.
Beweis. Die Menge Γ ∪ {¬A} ist nach Definition genau dann erfüllbar, wenn es eine Belegung ρ gibt,
sodass für alle C ∈ Γ die Beziehung JCKρ = w sowie J¬AKρ = ¬JAKρ = w gilt. Das bedeutet aber gerade
JAKρ = f und ist somit äquivalent dazu, dass A keine semantische Konsequenz von Γ ist.
V
Das Hauptproblem des Beweises ist es, aus Γ ∧ ¬A 0 ⊥ die Erfüllbarkeit von Γ, ¬A zu zeigen, also
eine Belegung ρ anzugeben, die sowohl alle Γ als auch ¬A wahr macht.
Die Idee ist nun die folgende. Zunächst suchen wir eine verallgemeinerte
Belegung ρ0 : ATOM → B,
V
nicht in {w, f} sondern einer größeren Booleschen Algebra B, sodass Γ∧¬A
V nicht auf 0 abgebildet wird.
Dann machen wir daraus eine “richtige” Belegung ρ : ATOM → {w, f} mit J Γ ∧ ¬AKρ = w, was sofort
J¬AKρ = w und JCKρ = w für alle C ∈ Γ — also die Erfüllbarkeit von Γ, ¬A — zur Folge hat.
Diese Boolesche Algebra B konstruieren wir ähnlich wie das klassifizierende Modell in der Allgemeinen Algebra. Wir betrachten einfach PROP und faktorisieren nach beweisbarer Äquivalenz. Dazu definieren
wir für A, B ∈ PROP:
A∼
= B :⇔ A ` B und B ` A sind herleitbar
Lemma 3.5. Fassen wir PROP als Termalgebra TΣ (ATOM) bezüglich der Operationen ∧, ∨, → und ⊥
auf, so ist ∼
= eine Kongruenzrelation.
Satz 3.6. Der Quotient PROP /∼
= ist eine Boolesche Algebra, die so genannte Lindenbaum-Tarski-Algebra L.
Wir haben nun folgende Situation:
ATOM
∩
@
@ ρ0
@
@
@
R
?
-L
PROP
[·]∼
=
V
V
Für
Γ
0
A
haben
wir
Γ
∧
¬A
0
⊥
und
somit
Γ
∧
¬A
6 [⊥]∼
=
= ; also ist die Interpretation von
∼
=
V
Γ ∧ ¬A unter dieser “Belegung” in L nicht 0.
Für den Beweis des Vollständigkeitsatzes brauchen wir noch eine weitere Vorüberlegung:
Lemma 3.7. Jede Proposition ist beweisbar zu einer in disjunktiver Normalform äquivalent, d.h. für alle
A ∈ PROP gibt es eine Proposition A0 ∈ PROP in disjunktiver Normalform mit A ∼
= A0 .
Satz 3.8 (Vollständigkeitssatz). Für alle endlichen Teilmengen Γ ⊆ PROP und A ∈ PROP impliziert
Γ A die Herleitbarkeit von Γ ` A.
Beweis. Wir
V zeigen die Kontraposition. Sei deshalb Γ ` A nicht herleitbar. Wegen Lemma 3.3 bedeutet
das, dass Γ ∧ ¬A ` ⊥ nicht herleitbar ist.
Sei nun V die Menge aller atomaren Aussagen, die in Γ und A vorkommen. Wir betrachten die von
(den Kongruenzklassen von Elementen aus) V erzeugt Unteralgebra B der Lindenbaum-Algebra L. Die
Boolesche Algebra B besteht also aus Propositionen, die nur aus Variablen aus V aufgebaut sind, faktorisiert nach beweisbarer Äquivalenz.
Wie zuvor ist nun A 7→ [A]∼
= eine Interpretation in einer Booleschen
V
Algebra, diesmal B, die Γ ∧ ¬A nicht auf 0 abbildet.
Wegen Lemma 3.7 liegt in jeder Kongruenzklasse [A]∼
= ein Element in disjunktiver Normalform. Über
der endlichen Variablenmenge V gibt es aber nur endlich viele verschiedene disjunktive Normalformen.
Also ist B eine endliche Boolesche Algebra.
Nach Satz A.1.6 und Übung 12.(H45) ist B somit, bis
Q auf Isomorphie, ein endliches Produkt der
∼
zweielementigen
Booleschen Algebra {w,
i∈I {w, f}. Unter diesem Isomorphismus ist
Vf}, d.h. B =
V
Γ ∧ ¬A ∼
6= 0 nicht überall f sein kann; sagen wir, in der
Γ ∧ ¬A ∼
ein w-f-Tupel, das wegen
=
=
i-ten Komponente sei es w. Nun definieren wir ρ wie im Diagramm angegeben
ATOM
∩
?
PROP
HH
HH
HH
HρH
HH
HH
Y
H
j
-B∼
- {w, f}
{w, f}
=
[·]∼
=
i∈I
πi
und da sowohl die kanonische Quotientenabbildung [·]∼
= als auch die Projektion πi Homomorphismen sind,
ist auch die Hintereinanderausführung πi ◦ [·]∼
= einer und somit gleich der eindeutigen Fortsetzung von ρ,
d.h. πi ◦ [·]∼
= = J·Kρ. qV
y
Somit haben wir
Γ ∧ ¬A ρ = w und wegen der Wertetabelle von ∧ damit eine Belegung ρ mit
J¬AK = w und JCKρ = w für alle C ∈ Γ. Also ist Γ, ¬A erfüllbar und nach Lemma 3.4 haben wir damit
gezeigt, dass Γ A nicht gilt.
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