A Fachbereich Mathematik Dr. Mathias Kegelmann Peter Lietz Tobias Löw Florence Micol TECHNISCHE UNIVERSITÄT DARMSTADT Sommersemester 2003 15. Mai 2003 Einführung in die Logik für Informatiker Miniprojekt Die intuitionistische Logik unterscheidet sich von der klassischen Logik durch den Verzicht auf die Regel (¬¬). Das heißt, das Argument, dass eine Aussage gelten muss, weil ihre Negation nicht gilt, ist in der intuitionistischen Logik nicht zulässig. Wir werden in diesem Miniprojekt eine wichtige und charakteristische Eigenschaft der intuitionistischen Logik nachweisen: die Disjunktionseigenschaft. Als unmittelbare Folgerung werden wir in der Lage sein zu zeigen, dass bestimmte, klassisch herleitbare Sätze nicht intuitionistisch herleitbar sind. Die hier vorgestellte Methode lässt sich auch direkt erweitern auf die Prädikatenlogik, wo die Unterscheidung der intuitionistischen und klassischen Logik eigentlich erst richtig interessant wird. Aus der klassischen Herleitbarkeit einer Sequenz der Form ` A ∨ B folgt noch nicht notwendigerweise, daß bereits eine der Sequenzen ` A oder ` B herleitbar ist. Beispielsweise ist die Sequenz ` p0 ∨ ¬p0 als Instanz von tertium non datur klassisch herleitbar, aber weder die Sequenz ` p0 noch die Sequenz ` ¬p0 ist für sich herleitbar. Betrachten wir nun den intuitionistischen Kalkül des natürlichen Schließens. Falls wir Sequenzen mit nichtleeren Voraussetzungsmengen betrachten, so ist die Aussage ebenfalls falsch. Wir können die Sequenz p0 ∨ p1 ` po ∨ p1 intuitionistisch herleiten, aber weder p0 ∨ p1 ` po noch p0 ∨ p1 ` p1 . Beschränken wir uns allerdings auf Sequenzen mit leerer Voraussetzungsmenge, so gilt der folgende Satz. Satz. Für den intuitionistischen Kalkül des natürlichen Schließens gilt: ` A ∨ B ist herleitbar ⇐⇒ ` A ist herleitbar oder ` B ist herleitbar Es gibt viele Methoden, diesen Satz zu beweisen. Die wahrscheinlich bekannteste Methode ist der Schnitteliminationssatz. Wir werden in diesem Miniprojekt den Aczel-Slash verwenden, benannt nach dem englischen Mathematiker Peter Aczel, welcher wiederum eine Variante des von Stephen C. Kleene erfundenen Kleene-Slash ist. Der Aczel-Slash ist eine Relation zwischen den Mengen PROP∗ und PROP (PROP∗ ist die Menge der endlichen Listen von Elementen aus PROP). Stehen ∆ ∈ PROP∗ und A ∈ PROP in Relation, so schreiben wir ∆ | A. Die Relation | ist per Induktion über den Aufbau von A definiert: (i) (ii) (iii) (iv) (v) ∆ | pn ∆|⊥ ∆|A∧B ∆|A∨B ∆|A→B := := := := := ∆ ` pn ist herleitbar ∆ ` ⊥ ist herleitbar ∆ | A und ∆ | B ∆ | A oder ∆ | B (1) ∆ | A impliziert ∆ | B und (2) ∆ ` A → B ist herleitbar Dabei ist mit herleitbar“ gemeint intuitionistisch herleitbar“. ” ” Wir können nun leicht per Induktion über den Aufbau von A das folgende Lemma zeigen: Lemma. Wenn ∆ | A gilt, dann ist ∆ ` A intuitionistisch herleitbar. Beweis. Übung Die Umkehrung des obigen Lemmas ist falsch. Wir sind vorerst auch nur daran interessiert zu zeigen, daß | A gilt, falls ` A intuitionistisch herleitbar ist. Ein solcher Beweis wird fast zwangsläufig per Induktion über herleitbare Sequenzen geführt werden müssen. Zu diesem Zweck müssen wir den zu beweisenden Satz auf korrekte Weise auf Sequenzen ausweiten. Satz. Sei ∆ ∈ PROP∗ . Für alle intuitionistisch herleitbaren Sequenzen Γ ` A gilt: Falls ∆ | C für alle C ∈ Γ, dann gilt ∆ | A. Beweis. Wir können einen Satz wie diesen, der eine Aussage über alle herleitbaren Sequenzen trifft, per Induktion über die Schlußregeln des Kalküls des natürlichen Schließens beweisen. Das heißt, wir müssen für jede einzelne Beweisregel nachweisen dass, wenn die Sequenzen über dem Strich die Aussage erfüllen, auch die Sequenz unter dem Strich die Aussage erfüllt. Diese Beweismethode kann als eine Verallgemeinerung der natürlichen Induktion gesehen werden. Wir führen den Beweis exemplarisch anhand einer einfachen und einer schwierigeren Regel. Für die Regel Γ, A, Γ0 ` A (ax) ist zu zeigen, daß folgendes gilt: Wenn für alle C ∈ Γ, A, Γ0 gilt ∆ | C, dann gilt ∆ | A. Das ist aber trivial, da A in Γ, A, Γ0 vorkommt. Betrachten wir nun eine kompliziertere Regel: Γ`A∨B Γ, A ` G Γ, B ` G Γ`G (∨E) Wir müssen folgenden Induktionsschritt zeigen: falls die drei oberen Sequenzen die Eigenschaft haben, dann hat auch die untere Sequenz die Eigenschaft. Nehmen wir also an, daß die drei oberen Sequenzen die Eigenschaft haben. Nehmen wir weiter an, daß gilt ∆ | C für alle C ∈ Γ. Zu zeigen ist nun, daß ∆ | G gilt. Wegen ∆ | C für alle C ∈ Γ gilt aufgrund der Induktionsvoraussetzung angewendet auf die erste Sequenz auch ∆ | A ∨ B. Das bedeutet nach der Definition von | , daß ∆ | A oder ∆ | B. Für den ersten Fall haben wir also ∆ | C für alle C ∈ Γ, A und, da die zweite Sequenz laut Induktionsvoraussetzung die Eigenschaft hat, auch ∆ | G. Der zweite Fall geht analog mithilfe der dritten Sequenz. Arbeite die restlichen Details des Beweises aus. Korollar. Wenn ` A intuitionistisch herleitbar ist, dann gilt | A. Beweis. Übung Mit diesem Wissen sind wir nun in der Lage, einen einzeiligen Beweis für den ursprünglichen Satz zu liefern (Übung). Nun, da wir schon einmal diese Methode zur Verfügung haben, können wir noch andere interessante Dinge zeigen. Im allgemeinen folgt aus ∆ ` C nicht ∆ | C. Falls aber die Formel C kein ∨ enthält, so gilt die Umkehrung. Lemma. Sei C eine Formel, die kein ∨ enthält. Es gelte ∆ ` C. Dann gilt auch ∆ | C. Beweis. Induktion über den Aufbau von C. Auch falls C eine negierte Formel ist, gilt die Umkehrung. Lemma. Sei C eine negierte Formel, d.h. C ≡ ¬D. Es gelte ∆ ` C. Dann gilt auch ∆ | C. Beweis. Entfalte die Definition von ∆ | ¬D. (Die korrekte, gemeinsame Verallgemeinerung der beiden oben bewiesenen Fälle ist die Klasse der Formeln, welche ∨ nicht als strikt positive Teilformel enthalten. Diese Definition würde jedoch den angemessenen Rahmen dieses Projekts sprengen.) Wir sind nun in der Lage, folgende Verallgemeinerung des ersten Satzes zu zeigen. Satz. Sei Γ eine Liste von ∨-freien oder negierten Formeln und sei Γ ` A ∨ B intuitionistisch beweisbar. Dann ist Γ ` A oder Γ ` B intuitionistisch beweisbar. Beweis. Verwende den Aczel-Slash mit ∆ ≡ Γ. Beachte, dass wir als unmittelbare Folgerung des obigen Satzes die in (H 15) mühsam gezeigte intuitionistische Nicht-Herleitbarkeit der Sequenz ¬(p0 ∧ p1 ) ` ¬p0 ∨ ¬p1 erhalten! Die Bearbeitung dieses Miniprojekts ist freiwillig. Der Stoff ist nicht klausurrelevant im engeren Sinne, trägt aber mit Sicherheit zum Verständnis der Logik bei. Falls Du Dich entscheidest, das Projekt teilweise oder vollständig zu bearbeiten, gib Deine Ausarbeitung bitte bei Peter Lietz, Zimmer 233 in Gebäude S2/15 ab (oder gib sie Deinem Übungsgruppenlieter oder gib sie in der Vorlesung ab). Falls Du an einer Stelle nicht weiterkommen solltest, kannst Du Dir auch gerne Tips bei mir abholen. Viel Spaß beim Bearbeiten!