SWR2 OPER Moderationsmanuskript von Bernd Künzig Alexander Zemlinsky: „Es war einmal“ Sonntag, 10.01.2016, 20.03 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. 1 Wir senden heute in einem Alexander Zemlinsky und der Märchenoper gewidmeten SWR2 Abend die Oper „Es war einmal“ aus dem Jahr 1900 in einer Studioproduktion unter der Leitung von Hans Graf. Das Motto von Alexander Zemlinskys zweiter Oper „Es war einmal“ kann durchaus programmatisch verstanden werden. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatten Opern nach Märchenstoffen Konjunktur. Begründet wurde die Welle der Märchenvertonungen nicht zuletzt durch den Erfolg von Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“. Nahezu alle bedeutenden Opernkomponisten des deutschsprachigen Raums stellten sich diesem neuen Medium des Operntheaters, von Hans Pfitzner über Franz Schreker bis hin zu den Neutönern Ernst Krenek in den 1920ger Jahren. Die dann anhebende Neue Sachlichkeit setzte diesem Trend ein gewisses vorzeitiges Ende. Aber auch im Musiktheater der Nachkriegszeit bis in unsere Gegenwart von Komponisten der jüngeren und jüngsten Generation wie Gordon Kampe oder Sven Daigger erfreut sich das Medium der Märchenoper einer gewissen Beliebtheit – aus durchaus unterschiedlichen Beweggründen. Die Märchenoper war um 1900 eine wohltuende Alternative, um der oft lastenden mythologisch-metaphysischen Sphäre des Wagnerschen Musikdramas zu entkommen. Auf der einen Seite bot sich die Möglichkeit, den mythischen Verwicklungen, Verzweigungen und philosophischen Vertiefungen der sich damals endgültig durchsetzenden Ästhetik des Musikdramas auszuweichen, auf der anderen Seite konnte die Magie der zeitenthobenen Welt eines musikalischen Theaters durch den Märchenstoff beibehalten werden. Selbst ein Komponist wie Gustav Mahler, der nie ein Werk für die Bühne komponieren sollte, war mit seinem ersten bedeutenden Werk, der bereits 1878 begonnenen Kantate „Das klagende Lied“ nach einem Märchenstoff Ludwig Bechsteins, dieser neuen Form musikalischen Erzählens verfallen. Insofern verwundert es kaum, dass er als Direktor der Hofoper Wien am 22. Januar 1900 Zemlinskys Oper „Es war einmal“ an derselben aus der Taufe hob. Der stilistische Einfluss Gustav Mahlers ist denn auch in dieser Oper kaum zu überhören. Alexander Zemlinsky, der nicht nur Komponist sondern auch ein bedeutender Dirigent war, sollte sich später als Direktor des Neuen Deutschen Theaters und herausragender Interpret in Prag von 1911 bis 1927 immer wieder für das gesamte Oeuvre des Komponisten Mahler einsetzen. Die erste Novität, die Zemlinsky dann in der Spielzeit 1912/13 am Neuen Deutschen Theater in Prag vorstellte, war seine eigene Märchenoper „Es war einmal“. Das Werk beruht auf dem Drama des dänischen Schriftstellers Holger Drachmann, einem Autor, der heute zumindest im deutschsprachigen Raum, in Vergessenheit geraten ist. Er gehörte zum Umfeld des dänischen Schriftstellers Jens Peter Jacobsen, dessen Novellensammlung „Ein Kaktus blüht auf“ Zemlinskys späterer Schwager Arnold Schönberg zur Zeit der Entstehung von Zemlinskys Oper die Gedichte zu seinem märchenhaften Monumentaloratorium „Gurrelieder“ entlehnte. Das Titelmotto seines Dramas entnahm Drachmann dem Beginn eines Märchens des dänischen Nationalheiligen Hans Christian Andersen. Auf „Die Prinzessin und der Schweinehirt“ geht denn auch ein Großteil der Handlung zurück. Doch Drachmanns Drama wollte mehr sein als ein einfaches Märchenstück. Es war ein groß angelegtes nationales Drama in fünf Akten mit patriotischen Gesängen inmitten einer Handlung, die Andersens Märchen mit Motiven aus William Shakespears „Der Widerspenstigen Zähmung“ und Carlo Gozzis Märchenstück um die heiratsunwillige Prinzessin „Turandot“ verzahnte. Drachmanns Drama wurde 1887 in Kopenhagen uraufgeführt und erlebte 1894 seine deutschsprachige Aufführung am Wiener Raimundtheater, wo es Zemlinsky auch gesehen haben muss. Der Komponist beauftragte Maximilian Singer, aus Drachmanns umfangreichem Drama ein Libretto zu erstellen. Kürzungen waren dabei unvermeidlich. Auf die patriotischen Passagen konnte ohne große Verluste verzichtet werden, schwerwiegender hingegen war das Eindampfen der oft scharfsinnigen Wortgefechte, die ganz vom Atem der Shakespeareschen „Widerspenstigen“Ironien durchdrungen waren. Auch gewisse epische Entfaltungen des Dramas, darunter auch die Wandlung der Prinzessin im Exil zur Mutter, fielen den Kürzungen zum Opfer. 2 Wie William Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“ beginnt auch „Es war einmal“ im märchenhaften Land Illyrien. Maximilian Singer hat seinem Libretto zunächst ein psychologisches Kurzporträt der widerspenstigen Prinzessin vorangestellt: „Es war einmal eine Prinzessin. Die war so schön, dass alle, die sie sahen, von ihr bezaubert waren. Von Nah und Fern kamen Königssöhne und Bürgersleute, die um sie freiten; doch alle mussten, mit Spott und Hohn beladen, wieder abziehen. Deshalb galt sie im ganzen Lande als eitel und hochmütig, ihre höhnischen, spitzen Antworten waren gefürchtet und vor ihrem Zorne zitterten alle. Im Grunde ihrer Seele aber war sie doch anders. Sie litt darunter, dass keiner der Männer, die um sie freiten, ihre Liebe gewann, und weinte im Stillen über ihre Einsamkeit, Da war’s einmal…“. Und so geht also die Oper los. Ein glückloser Bewerber muss wieder mit Scham abziehen. Der Prinz von Nordland mit seinem Diener Kaspar versucht als nächster, um die stolze Prinzessin zu werben. Er ist leidenschaftlich, glutvoll, die Prinzessin wieder unterkühlt, spitz und bösartig. Aber er hat seinen Stolz und weigert sich, vor ihr niederzuknien. Empört verlässt die Prinzessin mit ihrem Hofstaat den Saal. Der Prinz entschließt sich, sie mit List zu demütigen und ihre Liebe zu gewinnen. Soweit das Vorspiel. Im ersten Akt verkleiden sich der Prinz und Kaspar als Zigeuner. Der Diener gar als die Mutter, nicht recht überzeugend, trinkt er doch aus einer Schnapsflasche. Nahe dem Schlossgarten versuchen sie die Aufmerksamkeit der Prinzessin durch eine melancholische Ballade auf sich zu ziehen. Das gelingt schließlich auch, und die Prinzessin lässt von ihrem Reifenspiel ab. Für eine Rose aus ihrem Haar bietet ihr der verkleidete Prinz einen goldenen Ball und einen Zauberkessel. Das magische Objekt gewinnt die Aufmerksamkeit der spröden Schönen, vor allem als ihr mitgeteilt wird, dass aus dem Zauberkessel die Zukunft gelesen werden kann. Für einen Kuss will er ihr den Kessel überlassen. Und sie lässt sich darauf ein. In diesem Moment betritt der König die Szene, listigerweise von Kaspar hereingeführt. Er erwischt seine Tochter in flagranti, wie sie mit einer nicht standesgemäßen Person intim wird und bestraft sie mit Verbannung. Jetzt ist sie zur Zigeunerbraut geworden. Es folgen Vorspiel und erster Akt aus Alexander Zemlinskys „Es war einmal“. Die Solisten sind: Eva Johannson – Prinzessin, Kurt Westi – Prinz, Per Arne Wahlgren – Kaspar, Aage Haugland – König, Ole Hedegaard – ein Freier, Guido Paevatalu – ein Schweizer, Susse Lillesoe – eine Hofdame. Es spielen und singen der Chor und das Orchester des Dänischen Nationalen Rundfunks. Der Dirigent ist Hans Graf. „Es war einmal“, Vorspiel und 1. Akt = 51‘48“ Das war das Vorspiel und der erste Akt aus Alexander Zemlinskys Oper „Es war einmal“. Wir senden eine Studioproduktion des Dänischen Rundfunks aus dem Jahr 1987. Alexander Zemlinsky war schon zur Zeit seiner zweiten Oper ein rascher Arbeiter, fleißiger Handwerker und effizienter Komponist. Als Gustav Mahler 1897 neuer Direktor der Wiener Hofoper wurde, wollte er zunächst Zemlinskys Opernerstling „Sarema“ aufführen. Doch der Komponist schlug ihm mit „Es war einmal“ ein neues Sujet vor. Im August 1897 begann er mit der Komposition, am 10. Juni 1898 war das Particell beendet. Mahler war zunächst skeptisch, da er die Musik als „voll von Ähnlichkeiten und Plagiaten“ fand. Als Zemlinsky ihm die Oper vorspielte, war er allerdings rasch überzeugt und nahm das Werk zur Aufführung an. Er verbesserte im Laufe des Probenprozesses einige Stellen, nahm Kürzungen vor und dünnte manch zu dick orchestrierte Passage aus. Die Uraufführung am 22. Januar 1900 war durchaus ein großer Erfolg. Die Oper blieb für zwölf Aufführungen auf dem Spielplan – was für die damalige Zeit und ein neues Werk nicht unbeträchtlich ist. Dennoch versank das Stück anschließend in der Hofbibliothek. 1912 folgte 3 eine weitere Aufführung in Mannheim, und Zemlinsky selbst setzte sie wie bereits erwähnt in seiner ersten Saison am Neuen Deutschen Theater in Prag ein. Dem Werk wiederfuhr das gleiche Schicksal wie seinem Komponisten. Der Sohn eines Rabbiners stand nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten auf der Liste der entarteten Komponisten. Seine Werke wurden nicht mehr gespielt, er selbst musste nach Amerika emigrieren, wo er verarmt und unbekannt 1942 verstarb. Eine gewisse Renaissance seines Werkes fand nach der Wiederentdeckung der Werke Gustav Mahlers ab den1970ger Jahren statt. Damals entdeckte man auch die Komponisten der Zwischengenration wieder, Moderne, die allerdings nicht so radikal waren, wie der avancierte Arnold Schönberg und seine Schüler Alban Berg oder Anton Webern. Zu ihnen zählten neben Zemlinsky, Franz Schreker und Erich Wolfgang Korngold. Allerdings stand und steht Zemlinsky bis heute im Schatten der beiden anderen Wiederentdeckten. Das mag unter anderem daran liegen, dass beim ersten oberflächlichen Hören, vieles und manches bei Zemlinsky scheinbar bekannt vorkommt. Das gilt auch für „Es war einmal“. Neben der überraschend klaren Artikulation des Textes fällt der Wagnersche Tonfall ins Gewicht, dessen Kontrapunktik in vielem an die „Meistersinger von Nürnberg“ erinnert. Die Klangwelt des Prinzen ist diatonisch, satt und doch delikat instrumentiert. Demgegenüber steht die gequälte Klangwelt der Prinzessin mit ihrer sich schlängelnden und reibenden Chromatik. Die Volksliedpassagen atmen den Geist von Mahlers Vertonungen aus der Liedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“. Doch man sollte diese Anklänge nicht mit Nachahmung, reinem Einfluss, Eklektik und Imitation verwechseln. Denn schon in „Es war einmal“ betreibt Zemlinsky eine für ihn charakteristische Technik. Die Vorbilder sind klar, aber es geht nicht um ein Imitat, um das Anknüpfen an den Erfolg der Anderen, sondern um die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist und dem darin Entstandenen. Insofern ist „Es war einmal“ schon seinem Titel gemäß eine Auseinandersetzung mit dem Trend der Märchenoper, um zum Eigenen zu gelangen. Das wird sich auch bei den späteren Bühnenwerken Zemlinsky erweisen. Die 1916 komponierte „Florentinische Tragödie“ nach dem Theaterstück Oscar Wildes wird Zemlinskys Auseinandersetzung und Antwort auf die schwüle Erotik in Richard Strauss Wilde-Vertonung der „Salome“ sein. Die Märchenoper „Der Zwerg“ aus dem Jahr 1921 – ebenfalls nach einem Stoff Wildes – ist eine direkte Reaktion auf Franz Schrekers „Die Gezeichneten“ von 1918, deren Libretto der Dichter-Komponist ursprünglich seinem Freund Zemlinsky versprochen hatte, bevor er sich selbst zu dessen Vertonung entschloss. Und auch im sinfonischen Bereich bleibt diese Strategie gültig. Die „Lyrische Symphonie“ aus dem Jahr 1922 ist Zemlinskys Beschäftigung mit dem von ihm zutiefst verehrten Gustav Mahler und dessen posthum uraufgeführtem „Lied von der Erde“. Und immer wieder gibt es die Auseinandersetzung mit den Neuerungen seines Schwagers Arnold Schönberg, der 1901 seine Schwester Mathilde geheiratet hatte, etwa in den Streichquartetten. Und Schönberg wiederum bekannte großherzig, dass er, der Autodidakt, viel für das kompositorische Handwerk von Zemlinsky gelernt habe. 1949, nach dem Tod Zemlinskys, sagte Schönberg, dass er ihm fast sein gesamtes „Wissen um die Technik und Probleme des Komponierens verdanke.“ Sicherlich ist die Oper „Es war einmal“ etwas aus der Mode gekommen und auch das am wenigsten wieder aufgeführte Werk Zemlinskys geblieben. Dennoch steht sie am Beginn einer Technik des kompositorischen Überdenkens eines Umfeldes. Das macht diesen Komponisten im Kontext einer sich zu seiner damalige Zeit gerade abzeichnenden Neuen Musik zu einem eigentlich recht interessanten, bis heute unterschätzten Präzedenzfall. Nicht immer muss das erzwungen Neuartige auch immer das wirklich Originelle sein. Die kreative Reflexion über einen kompositorischen Gegenstand offenbart manchmal mehr Neues als alles vorgeblich Avancierte, was schnell den rasch vorwärts schreitenden Zeitläuften anheim fällt. So könnte für heute Zemlinsky zumindest ein geistiges Vorbild sein, das es immer noch zu entdecken gilt. Kehren wir also zum Vergangenen zurück, zum „Es war einmal“ Alexander Zemlinskys. Im zweiten Akt sitzt die Prinzessin in einer Waldhütte am Fjord im Exil und Elend. Der immer 4 noch als Zigeuner verkleidete Prinz, rät ihr, sich mit ihrer neuen Rolle als Gattin abzufinden. Er versucht sie mit einem Volkslied zu trösten. Dann geht er im königlichen Wald – der sein eigener ist – auf die Jagd. Die allein gelassene Prinzessin erkennt ihre Einsamkeit und entdeckt nach und nach ihre Zuneigung zum Zigeuner. Plötzlich kommt dieser zurück, scheinbar als Wilderer verfolgt von seinen Mannen und dem als Wirt verkleideten Kaspar. Die Prinzessin versteckt ihn und lockt die Verfolger auf eine falsche Fährte. Als er wieder auf die Jagd will, gesteht sie ihm ihre Angst und bekennt ihre Liebe: „Fürs ganze Leben bin ich dein! Ich liebe dich!“ Wir hören im 2. Akt: Eva Johannson – Prinzessin, Kurt Westi – Prinz, Per Arne Wahlgren – Kaspar, Christian Christiansen – ein Kommandant. Der Chor und das Orchester des Dänischen Nationalen Rundfunks werden von Hans Graf geleitet. „Es war einmal“, 2. Akt = 25‘38“ Unser SWR2 Opernabend steht mit Alexander Zemlinskys „Es war einmal“ im Zeichen der Märchenoper. Das Genre, das um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Konjunktur hatte, ist mit Zemlinskys programmatischer zweiter Oper in ihre reflexive Phase getreten. So wie sich die Klangwelt der Oper mit den nachwagnerschen Erscheinungen, mit Leitmotivtechnik, Chromatik und Volkston auseinander setzt, so spielt das Libretto und auch die Vorlage des dänischen Dramatikers Holger Drachmann mit zahlreichen bekannten Motiven der Literatur und Märchengeschichte. So verzahnt er nicht nur Shakespeares „Zähmung der Widerspenstigen“ mit Gozzis „Turandot“, sondern greift auch auf Elemente aus Andersens Märchen von der Prinzessin und dem Schweinehirten, und dem Grimmschen König Drosselbart und Aschenputtel zurück. Diese Motivketten tauchten zur damaligen Zeit auch in diversen Opernproduktionen auf. Sie wurden etwa von Hermann Goetz in der 1874 komponierten Vertonung von Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ aufgegriffen, oder in Frederick Delius „Irmelin“ aus dem Jahr 1892. In diesem Zusammenhang war Alexander Zemlinsky durchaus ein Seismograf seiner Zeit. Dazu gehörten auch gewisse stilistische Eigenheiten. Die Zeit der Jahrhundertwende in Wien ist nicht zuletzt die des Jugendstils. Von deren floraler Ästhetik spiegelt sich etwas in der Parkszene des ersten Aktes von „Es war einmal“ wieder mit den Reifen spielenden und sich den Ball zuwerfenden Hofdamen. Musikalisch lässt sich das schwerer nachweisen, denn einen musikalischen Jugendstil im eigentlichen Sinn hat es nicht gegeben. Es sind eher diese Motivverwandtschaften, die Literatur, bildende Kunst und Musik dieser Zeit zusammen binden. Nichts desto weniger gehören diese Phänomene zur Moderne der Epoche. Und Alexander Zemlinsky war einer ihrer wichtigen Vertreter. Das Erbe der literarischen Romantik, aber auch das des damals ultramodernen Musikdramas à la Wagner sind darin weitergedacht. Und das frühe Bühnenwerk des Komponisten ist ein erster Schritt in der Entfaltung dieser Moderne, die durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten vorläufig beendet werden wird. Bruchlos war daran nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur und dem Ende des zweiten Weltkriegs nicht anzuknüpfen. Und dem bereits 1942 verstorbenen Zemlinsky war ein Comeback zu Lebzeiten auch nicht mehr vergönnt: in Amerika zu unpassend, zu altmodisch und in Europa vergessen. Sein Schwager Schönberg hat ihm einen seltsam ermutigenden Geburtstagsgruß im amerikanischen Exil geschickt: „Zemlinsky kann warten.“ Und damit meinte er nicht „muss“, sondern eben „kann“. Mit einer gewissen Tragik hat Zemlinsky dabei selbst erkannt: „Meine Zeit kommt nach meinem Tod.“ Und ein bisschen hat sich dies auch bewahrheitet, seitdem sein Werk seit Ende der 1970ger Jahre wieder entdeckt und wieder aufgeführt wurde. 5 Im Zuge dieser Wiederentdeckung entstand auch unsere Aufnahme von „Es war einmal“. Ihr liegt dabei eine Rekonstruktion der Opern-Partitur zugrunde, die auf die in Mannheim und Prag aufgeführten Fassungen zurückgeht und alle Striche, Änderungen und Retuschen berücksichtigt, die auf die Zusammenarbeit Zemlinskys mit Gustav Mahler zurück gehen. Im nun folgenden dritten und letzten Akt der Oper taucht die Prinzessin auf dem Jahrmarkt eines Marktfleckens auf, unter all den unterhaltenden Akrobaten und Musikanten. Sie handelt mit Haushaltswaren und erzählt dem als Wirt verkleideten Kaspar von ihrer Liebe zum Zigeuner. Der Prinz taucht nun in neuer Verkleidung als Soldat auf und macht ihr frivole Avancen. Bei einer Prügelei geht ihre Töpferware zu Bruch. Ein Herold verkündet, dass der Prinz von Nordland heiraten möchte und zwar diejenige, die in das bereits angefertigte Brautkleid passt. Mehrere Damen werden ausprobiert, doch keiner will das Kleid passen. Und wie könnte es auch anders sein: es ist maßgeschneidert nur für die Prinzessin. Doch sie weigert sich den Zigeuner zu verlassen, den sie liebt. Da gibt sich der Prinz zu erkennen. Ein kurzer Jubelchor beendet die Oper. Dieser Schluss ist ein Happy End auf wackligen Beinen. Ein merkwürdiges, von Nietzscheanischem Zynismus durchzogenes Frauenbild steckt dahinter. Die Demütigung der Frau: vielleicht scheint dabei sogar schon etwas von jenem komplizierten Verhältnis Zemlinskys zu Alma Schindler auf, die er nur einen Monat nach der Uraufführung von „Es war einmal“ im Februar 1900 kennen lernte. Zunächst entschließt sich Alma bei ihm Kompositionsunterricht zu nehmen. Begeistert ist Zemlinsky dabei anfänglich nicht gerade von den kompositorischen Fähigkeiten seiner Schülerin. Sie lässt wiederum ihren nicht gerade attraktiven Lehrer, der unsterblich in sie verliebt ist, ziemlich zappeln und lacht ihn aus, als er ihr einen Heiratsantrag macht. Da scheint der Ausgangspunkt der Märchenoper „Es war einmal“ zu einer tragikomischen Realität geworden zu sein und die darin stattfindende Umerziehung der Stolzen zu einer vorgezogenen Rache an jener vergeblich begehrten „Alma crudel“, der grausamen Alma. Die Quälerei setzte sich bis 1902 fort. Dann entschließt sich Alma Zemlinskys Förderer Gustav Mahler zu heiraten. Auf das unglückliche Liebesverhältnis der beiden wird Zemlinsky teils versteckt, teils recht offen in seinen späteren Opern „Eine florentinische Tragödie“ und „Der Zwerg“ reagieren. Es folgt der dritte und letzte Akt mit Eva Johannson – Prinzessin, Kurt Westi – Prinz, Per Arne Wahlgren – Kaspar, Christian Christiansen – ein Herold. Es singt der Chor des Dänischen Rundfunks. Wir hören noch einmal das Nationale Radiosinfonieorchester des Dänischen Rundfunks unter der Leitung von Hans Graf. „Es war einmal“, 3. Akt = 26‘37“ Das war der letzte Akt der Oper „Es war einmal“ von Alexander Zemlinsky. Die Sänger waren Eva Johannson – Prinzessin, Kurt Westi – Prinz, Per Arne Wahlgren – Kaspar, Christian Christiansen – ein Herold. Chor und Sinfonieorchester des Nationalen Dänischen Rundfunks spielten unter der Leitung von Hans Graf. Wir sendeten eine Studioproduktion aus dem Jahr 1987. Wir bleiben in unserem Opernabend in der Märchenwelt, wechseln aber das Genre – nicht jedoch den Komponisten. Zemlinsky hat in nahezu allen Gattungen ein umfangreiches Werk hinterlassen und komponierte bedeutende Streichquartette, Lieder, Chorwerke und sinfonische Musik. Zu letzterer zählt auch die 1905 uraufgeführt sinfonische Dichtung „Die Seejungfrau“. Zemlinsky griff dafür auf Andersens Märchen von der „Kleinen Meerjungfrau“ zurück. Das Werk ist eng mit seinem Schwager Arnold Schönberg verbunden. Die beiden Komponisten hatten sich in Wien kennen gelernt und angefreundet. Der erfahrenere Zemlinsky hat den Autodidakten Schönberg in vielerlei Hinsicht unterstützt und beraten. Der Austausch war letztlich ein wechselseitiger, wenngleich Zemlinsky den späteren avancierten 6 Zuspitzungen Schönbergs nicht folgen wollte. Um 1903 begannen beide Komponisten sich für das Genre der sinfonischen Dichtung zu interessieren. Zemlinsky unter dem starken Eindruck von Richard Strauss Tondichtung „Ein Heldenleben“. Schönberg wählte Maurice Maeterlincks Drama „Pelleas et Melisande“ als Stoff, Zemlinsky das Märchen Andersens. Beide Kompositionen wurden am 25. Januar 1905 im gleichen Konzert uraufgeführt. Der Komponist Richard Strauss, der eigentliche Meister der Tondichtungen der Jahrhundertwende, begeisterte sich für beide Werke und ihre Schöpfer und vermittelte Schönberg eine Professur in Berlin. Die beiden Tonschöpfer verfolgten dabei fast identische Ziele. Sie wollten die Trennung zwischen absoluter und sogenannter Programmmusik aufheben und nutzten dabei alle technischen Errungenschaften der modernen Orchestermusik und ihrer instrumentatorischen Raffinesse. Schönberg fasste dabei die Mehrsätzigkeit einer Sinfonie in einem einsätzigen, großen sinfonischen Gebilde zusammen, bei dem die Geschichte der Handlung zwar erkennbar ist, aber nicht mehr primär im Vordergrund steht. Zemlinsky hingegen entschied sich für ein dreisätziges Werk, das damit noch stärker der Tradition einer absoluten Sinfonie verpflichtet ist. Dennoch sind inhaltliche Motive aus dem Märchen erkennbar. So wird schon zu Beginn die düster lastende Atmosphäre des Meeresgrunds geschildert. Ein Furioso erzählt vom Schiffbruch im Sturm. Man kann versuchen die weiteren Motive in den beiden anderen Sätzen zu erkennen – die Menschwerdung der Seejungfrau, ihre Liebe zum Prinzen, ihr Stummsein und Leiden, Trennung und Rückkehr in die Meerestiefe. Allerdings überwindet Zemlinsky hier das rein Erzählende durch die formale Brillanz, mit der er sowohl das Prinzip der absoluten Sinfonie beherrscht, als auch durch das Raffinement von Klangbildern einer hohen Instrumentationskunst. Obwohl Zemlinskys „Seejungfrau“ kompositorisch weit über dem Rang einer Oper wie „Es war einmal“ steht, zog der überaus selbstkritische Komponist das Werk nach der Uraufführung zurück. Als er 1938 nach Amerika emigrierte, nahm er nur den 2. und 3. Satz der Partitur mit. Der erste Satz blieb im Wiener Privatbesitz. Zemlinskys Frau Louise hielt die beiden Sätze für Teile einer Sinfonie. Erst zu Beginn der 1980ger Jahre wurde das Stück identifiziert und erlebte schließlich 1984 eine Neuaufführung. Ein typisches Werkschicksal für den noch immer unterschätzten Komponisten Zemlinsky. An dieser Stelle sei noch einmal an Arnold Schönbergs bereits zuvor zitiertes Bekenntnis aus dem Jahr 1949 erinnert. Er sagte weiter darin über seinen Schwager: „Ich habe immer geglaubt, dass er ein großer Komponist war, und ich glaube noch immer fest daran. Möglicherweise wird seine Zeit früher kommen, als man denkt.“ Es folgt zum Schluss die sinfonische Dichtung „Die Seejungfrau“ von Alexander Zemlinsky. Es spielt das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter der Leitung von Zoltán Peskó. Musik: Alexander Zemlinsky „Die Seejungfrau“ (44‘35“) Der SWR2 Opernabend über Alexander Zemlinsky und die Märchenoper ging zu Ende mit der sinfonischen Dichtung „Die Seejungfrau“. Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg spielte unter der Leitung von Zoltán Peskó. Durch den Abend führte sie.... Text: Bernd Künzig. Es bleibt noch etwas Zeit bis zu den Nachrichten. Wir verabschieden uns mit „Bei Dir ist es traut“ von Alma Mahler. Der Tenor Jörg Hannes Kuhn wird von Helmut Ochenfels am Klavier begleitet. Musik: Alma Mahler „Bei Dir ist es traut“ (1‘40“) 7