SWR2 OPER

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SWR2 OPER
Moderationsmanuskript von Bernd Künzig
Alexander Zemlinsky:
„Es war einmal“
Sonntag, 10.01.2016, 20.03 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.
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Wir senden heute in einem Alexander Zemlinsky und der Märchenoper gewidmeten SWR2
Abend die Oper „Es war einmal“ aus dem Jahr 1900 in einer Studioproduktion unter der
Leitung von Hans Graf.
Das Motto von Alexander Zemlinskys zweiter Oper „Es war einmal“ kann durchaus
programmatisch verstanden werden. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatten
Opern nach Märchenstoffen Konjunktur. Begründet wurde die Welle der
Märchenvertonungen nicht zuletzt durch den Erfolg von Engelbert Humperdincks „Hänsel
und Gretel“. Nahezu alle bedeutenden Opernkomponisten des deutschsprachigen Raums
stellten sich diesem neuen Medium des Operntheaters, von Hans Pfitzner über Franz
Schreker bis hin zu den Neutönern Ernst Krenek in den 1920ger Jahren. Die dann
anhebende Neue Sachlichkeit setzte diesem Trend ein gewisses vorzeitiges Ende. Aber
auch im Musiktheater der Nachkriegszeit bis in unsere Gegenwart von Komponisten der
jüngeren und jüngsten Generation wie Gordon Kampe oder Sven Daigger erfreut sich das
Medium der Märchenoper einer gewissen Beliebtheit – aus durchaus unterschiedlichen
Beweggründen. Die Märchenoper war um 1900 eine wohltuende Alternative, um der oft
lastenden mythologisch-metaphysischen Sphäre des Wagnerschen Musikdramas zu
entkommen. Auf der einen Seite bot sich die Möglichkeit, den mythischen Verwicklungen,
Verzweigungen und philosophischen Vertiefungen der sich damals endgültig
durchsetzenden Ästhetik des Musikdramas auszuweichen, auf der anderen Seite konnte die
Magie der zeitenthobenen Welt eines musikalischen Theaters durch den Märchenstoff
beibehalten werden. Selbst ein Komponist wie Gustav Mahler, der nie ein Werk für die
Bühne komponieren sollte, war mit seinem ersten bedeutenden Werk, der bereits 1878
begonnenen Kantate „Das klagende Lied“ nach einem Märchenstoff Ludwig Bechsteins,
dieser neuen Form musikalischen Erzählens verfallen. Insofern verwundert es kaum, dass er
als Direktor der Hofoper Wien am 22. Januar 1900 Zemlinskys Oper „Es war einmal“ an
derselben aus der Taufe hob. Der stilistische Einfluss Gustav Mahlers ist denn auch in dieser
Oper kaum zu überhören. Alexander Zemlinsky, der nicht nur Komponist sondern auch ein
bedeutender Dirigent war, sollte sich später als Direktor des Neuen Deutschen Theaters und
herausragender Interpret in Prag von 1911 bis 1927 immer wieder für das gesamte Oeuvre
des Komponisten Mahler einsetzen. Die erste Novität, die Zemlinsky dann in der Spielzeit
1912/13 am Neuen Deutschen Theater in Prag vorstellte, war seine eigene Märchenoper „Es
war einmal“.
Das Werk beruht auf dem Drama des dänischen Schriftstellers Holger Drachmann, einem
Autor, der heute zumindest im deutschsprachigen Raum, in Vergessenheit geraten ist. Er
gehörte zum Umfeld des dänischen Schriftstellers Jens Peter Jacobsen, dessen
Novellensammlung „Ein Kaktus blüht auf“ Zemlinskys späterer Schwager Arnold Schönberg
zur Zeit der Entstehung von Zemlinskys Oper die Gedichte zu seinem märchenhaften
Monumentaloratorium „Gurrelieder“ entlehnte. Das Titelmotto seines Dramas entnahm
Drachmann dem Beginn eines Märchens des dänischen Nationalheiligen Hans Christian
Andersen. Auf „Die Prinzessin und der Schweinehirt“ geht denn auch ein Großteil der
Handlung zurück. Doch Drachmanns Drama wollte mehr sein als ein einfaches
Märchenstück. Es war ein groß angelegtes nationales Drama in fünf Akten mit patriotischen
Gesängen inmitten einer Handlung, die Andersens Märchen mit Motiven aus William
Shakespears „Der Widerspenstigen Zähmung“ und Carlo Gozzis Märchenstück um die
heiratsunwillige Prinzessin „Turandot“ verzahnte. Drachmanns Drama wurde 1887 in
Kopenhagen uraufgeführt und erlebte 1894 seine deutschsprachige Aufführung am Wiener
Raimundtheater, wo es Zemlinsky auch gesehen haben muss. Der Komponist beauftragte
Maximilian Singer, aus Drachmanns umfangreichem Drama ein Libretto zu erstellen.
Kürzungen waren dabei unvermeidlich. Auf die patriotischen Passagen konnte ohne große
Verluste verzichtet werden, schwerwiegender hingegen war das Eindampfen der oft
scharfsinnigen Wortgefechte, die ganz vom Atem der Shakespeareschen „Widerspenstigen“Ironien durchdrungen waren. Auch gewisse epische Entfaltungen des Dramas, darunter
auch die Wandlung der Prinzessin im Exil zur Mutter, fielen den Kürzungen zum Opfer.
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Wie William Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“ beginnt auch „Es war einmal“ im
märchenhaften Land Illyrien. Maximilian Singer hat seinem Libretto zunächst ein
psychologisches Kurzporträt der widerspenstigen Prinzessin vorangestellt: „Es war einmal
eine Prinzessin. Die war so schön, dass alle, die sie sahen, von ihr bezaubert waren. Von
Nah und Fern kamen Königssöhne und Bürgersleute, die um sie freiten; doch alle mussten,
mit Spott und Hohn beladen, wieder abziehen. Deshalb galt sie im ganzen Lande als eitel
und hochmütig, ihre höhnischen, spitzen Antworten waren gefürchtet und vor ihrem Zorne
zitterten alle. Im Grunde ihrer Seele aber war sie doch anders. Sie litt darunter, dass keiner
der Männer, die um sie freiten, ihre Liebe gewann, und weinte im Stillen über ihre
Einsamkeit, Da war’s einmal…“.
Und so geht also die Oper los. Ein glückloser Bewerber muss wieder mit Scham abziehen.
Der Prinz von Nordland mit seinem Diener Kaspar versucht als nächster, um die stolze
Prinzessin zu werben. Er ist leidenschaftlich, glutvoll, die Prinzessin wieder unterkühlt, spitz
und bösartig. Aber er hat seinen Stolz und weigert sich, vor ihr niederzuknien. Empört
verlässt die Prinzessin mit ihrem Hofstaat den Saal. Der Prinz entschließt sich, sie mit List zu
demütigen und ihre Liebe zu gewinnen. Soweit das Vorspiel.
Im ersten Akt verkleiden sich der Prinz und Kaspar als Zigeuner. Der Diener gar als die
Mutter, nicht recht überzeugend, trinkt er doch aus einer Schnapsflasche. Nahe dem
Schlossgarten versuchen sie die Aufmerksamkeit der Prinzessin durch eine melancholische
Ballade auf sich zu ziehen. Das gelingt schließlich auch, und die Prinzessin lässt von ihrem
Reifenspiel ab. Für eine Rose aus ihrem Haar bietet ihr der verkleidete Prinz einen goldenen
Ball und einen Zauberkessel. Das magische Objekt gewinnt die Aufmerksamkeit der spröden
Schönen, vor allem als ihr mitgeteilt wird, dass aus dem Zauberkessel die Zukunft gelesen
werden kann. Für einen Kuss will er ihr den Kessel überlassen. Und sie lässt sich darauf ein.
In diesem Moment betritt der König die Szene, listigerweise von Kaspar hereingeführt. Er
erwischt seine Tochter in flagranti, wie sie mit einer nicht standesgemäßen Person intim wird
und bestraft sie mit Verbannung. Jetzt ist sie zur Zigeunerbraut geworden.
Es folgen Vorspiel und erster Akt aus Alexander Zemlinskys „Es war einmal“. Die Solisten
sind: Eva Johannson – Prinzessin, Kurt Westi – Prinz, Per Arne Wahlgren – Kaspar, Aage
Haugland – König, Ole Hedegaard – ein Freier, Guido Paevatalu – ein Schweizer, Susse
Lillesoe – eine Hofdame. Es spielen und singen der Chor und das Orchester des Dänischen
Nationalen Rundfunks. Der Dirigent ist Hans Graf.
„Es war einmal“, Vorspiel und 1. Akt = 51‘48“
Das war das Vorspiel und der erste Akt aus Alexander Zemlinskys Oper „Es war einmal“. Wir
senden eine Studioproduktion des Dänischen Rundfunks aus dem Jahr 1987.
Alexander Zemlinsky war schon zur Zeit seiner zweiten Oper ein rascher Arbeiter, fleißiger
Handwerker und effizienter Komponist. Als Gustav Mahler 1897 neuer Direktor der Wiener
Hofoper wurde, wollte er zunächst Zemlinskys Opernerstling „Sarema“ aufführen. Doch der
Komponist schlug ihm mit „Es war einmal“ ein neues Sujet vor. Im August 1897 begann er
mit der Komposition, am 10. Juni 1898 war das Particell beendet. Mahler war zunächst
skeptisch, da er die Musik als „voll von Ähnlichkeiten und Plagiaten“ fand. Als Zemlinsky ihm
die Oper vorspielte, war er allerdings rasch überzeugt und nahm das Werk zur Aufführung
an. Er verbesserte im Laufe des Probenprozesses einige Stellen, nahm Kürzungen vor und
dünnte manch zu dick orchestrierte Passage aus.
Die Uraufführung am 22. Januar 1900 war durchaus ein großer Erfolg. Die Oper blieb für
zwölf Aufführungen auf dem Spielplan – was für die damalige Zeit und ein neues Werk nicht
unbeträchtlich ist. Dennoch versank das Stück anschließend in der Hofbibliothek. 1912 folgte
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eine weitere Aufführung in Mannheim, und Zemlinsky selbst setzte sie wie bereits erwähnt in
seiner ersten Saison am Neuen Deutschen Theater in Prag ein. Dem Werk wiederfuhr das
gleiche Schicksal wie seinem Komponisten. Der Sohn eines Rabbiners stand nach der
Machtergreifung der Nationalsozialisten auf der Liste der entarteten Komponisten. Seine
Werke wurden nicht mehr gespielt, er selbst musste nach Amerika emigrieren, wo er verarmt
und unbekannt 1942 verstarb. Eine gewisse Renaissance seines Werkes fand nach der
Wiederentdeckung der Werke Gustav Mahlers ab den1970ger Jahren statt. Damals
entdeckte man auch die Komponisten der Zwischengenration wieder, Moderne, die
allerdings nicht so radikal waren, wie der avancierte Arnold Schönberg und seine Schüler
Alban Berg oder Anton Webern. Zu ihnen zählten neben Zemlinsky, Franz Schreker und
Erich Wolfgang Korngold. Allerdings stand und steht Zemlinsky bis heute im Schatten der
beiden anderen Wiederentdeckten. Das mag unter anderem daran liegen, dass beim ersten
oberflächlichen Hören, vieles und manches bei Zemlinsky scheinbar bekannt vorkommt. Das
gilt auch für „Es war einmal“. Neben der überraschend klaren Artikulation des Textes fällt der
Wagnersche Tonfall ins Gewicht, dessen Kontrapunktik in vielem an die „Meistersinger von
Nürnberg“ erinnert. Die Klangwelt des Prinzen ist diatonisch, satt und doch delikat
instrumentiert. Demgegenüber steht die gequälte Klangwelt der Prinzessin mit ihrer sich
schlängelnden und reibenden Chromatik. Die Volksliedpassagen atmen den Geist von
Mahlers Vertonungen aus der Liedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“.
Doch man sollte diese Anklänge nicht mit Nachahmung, reinem Einfluss, Eklektik und
Imitation verwechseln. Denn schon in „Es war einmal“ betreibt Zemlinsky eine für ihn
charakteristische Technik. Die Vorbilder sind klar, aber es geht nicht um ein Imitat, um das
Anknüpfen an den Erfolg der Anderen, sondern um die vertiefte Auseinandersetzung mit
dem Zeitgeist und dem darin Entstandenen. Insofern ist „Es war einmal“ schon seinem Titel
gemäß eine Auseinandersetzung mit dem Trend der Märchenoper, um zum Eigenen zu
gelangen. Das wird sich auch bei den späteren Bühnenwerken Zemlinsky erweisen. Die
1916 komponierte „Florentinische Tragödie“ nach dem Theaterstück Oscar Wildes wird
Zemlinskys Auseinandersetzung und Antwort auf die schwüle Erotik in Richard Strauss
Wilde-Vertonung der „Salome“ sein. Die Märchenoper „Der Zwerg“ aus dem Jahr 1921 –
ebenfalls nach einem Stoff Wildes – ist eine direkte Reaktion auf Franz Schrekers „Die
Gezeichneten“ von 1918, deren Libretto der Dichter-Komponist ursprünglich seinem Freund
Zemlinsky versprochen hatte, bevor er sich selbst zu dessen Vertonung entschloss. Und
auch im sinfonischen Bereich bleibt diese Strategie gültig. Die „Lyrische Symphonie“ aus
dem Jahr 1922 ist Zemlinskys Beschäftigung mit dem von ihm zutiefst verehrten Gustav
Mahler und dessen posthum uraufgeführtem „Lied von der Erde“. Und immer wieder gibt es
die Auseinandersetzung mit den Neuerungen seines Schwagers Arnold Schönberg, der
1901 seine Schwester Mathilde geheiratet hatte, etwa in den Streichquartetten. Und
Schönberg wiederum bekannte großherzig, dass er, der Autodidakt, viel für das
kompositorische Handwerk von Zemlinsky gelernt habe. 1949, nach dem Tod Zemlinskys,
sagte Schönberg, dass er ihm fast sein gesamtes „Wissen um die Technik und Probleme
des Komponierens verdanke.“
Sicherlich ist die Oper „Es war einmal“ etwas aus der Mode gekommen und auch das am
wenigsten wieder aufgeführte Werk Zemlinskys geblieben. Dennoch steht sie am Beginn
einer Technik des kompositorischen Überdenkens eines Umfeldes. Das macht diesen
Komponisten im Kontext einer sich zu seiner damalige Zeit gerade abzeichnenden Neuen
Musik zu einem eigentlich recht interessanten, bis heute unterschätzten Präzedenzfall. Nicht
immer muss das erzwungen Neuartige auch immer das wirklich Originelle sein. Die kreative
Reflexion über einen kompositorischen Gegenstand offenbart manchmal mehr Neues als
alles vorgeblich Avancierte, was schnell den rasch vorwärts schreitenden Zeitläuften anheim
fällt. So könnte für heute Zemlinsky zumindest ein geistiges Vorbild sein, das es immer noch
zu entdecken gilt.
Kehren wir also zum Vergangenen zurück, zum „Es war einmal“ Alexander Zemlinskys. Im
zweiten Akt sitzt die Prinzessin in einer Waldhütte am Fjord im Exil und Elend. Der immer
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noch als Zigeuner verkleidete Prinz, rät ihr, sich mit ihrer neuen Rolle als Gattin abzufinden.
Er versucht sie mit einem Volkslied zu trösten. Dann geht er im königlichen Wald – der sein
eigener ist – auf die Jagd. Die allein gelassene Prinzessin erkennt ihre Einsamkeit und
entdeckt nach und nach ihre Zuneigung zum Zigeuner. Plötzlich kommt dieser zurück,
scheinbar als Wilderer verfolgt von seinen Mannen und dem als Wirt verkleideten Kaspar.
Die Prinzessin versteckt ihn und lockt die Verfolger auf eine falsche Fährte. Als er wieder auf
die Jagd will, gesteht sie ihm ihre Angst und bekennt ihre Liebe: „Fürs ganze Leben bin ich
dein! Ich liebe dich!“
Wir hören im 2. Akt: Eva Johannson – Prinzessin, Kurt Westi – Prinz, Per Arne Wahlgren –
Kaspar, Christian Christiansen – ein Kommandant. Der Chor und das Orchester des
Dänischen Nationalen Rundfunks werden von Hans Graf geleitet.
„Es war einmal“, 2. Akt = 25‘38“
Unser SWR2 Opernabend steht mit Alexander Zemlinskys „Es war einmal“ im Zeichen der
Märchenoper. Das Genre, das um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Konjunktur
hatte, ist mit Zemlinskys programmatischer zweiter Oper in ihre reflexive Phase getreten. So
wie sich die Klangwelt der Oper mit den nachwagnerschen Erscheinungen, mit
Leitmotivtechnik, Chromatik und Volkston auseinander setzt, so spielt das Libretto und auch
die Vorlage des dänischen Dramatikers Holger Drachmann mit zahlreichen bekannten
Motiven der Literatur und Märchengeschichte. So verzahnt er nicht nur Shakespeares
„Zähmung der Widerspenstigen“ mit Gozzis „Turandot“, sondern greift auch auf Elemente
aus Andersens Märchen von der Prinzessin und dem Schweinehirten, und dem Grimmschen
König Drosselbart und Aschenputtel zurück.
Diese Motivketten tauchten zur damaligen Zeit auch in diversen Opernproduktionen auf. Sie
wurden etwa von Hermann Goetz in der 1874 komponierten Vertonung von Shakespeares
„Der Widerspenstigen Zähmung“ aufgegriffen, oder in Frederick Delius „Irmelin“ aus dem
Jahr 1892. In diesem Zusammenhang war Alexander Zemlinsky durchaus ein Seismograf
seiner Zeit. Dazu gehörten auch gewisse stilistische Eigenheiten. Die Zeit der
Jahrhundertwende in Wien ist nicht zuletzt die des Jugendstils. Von deren floraler Ästhetik
spiegelt sich etwas in der Parkszene des ersten Aktes von „Es war einmal“ wieder mit den
Reifen spielenden und sich den Ball zuwerfenden Hofdamen. Musikalisch lässt sich das
schwerer nachweisen, denn einen musikalischen Jugendstil im eigentlichen Sinn hat es nicht
gegeben. Es sind eher diese Motivverwandtschaften, die Literatur, bildende Kunst und Musik
dieser Zeit zusammen binden.
Nichts desto weniger gehören diese Phänomene zur Moderne der Epoche. Und Alexander
Zemlinsky war einer ihrer wichtigen Vertreter. Das Erbe der literarischen Romantik, aber
auch das des damals ultramodernen Musikdramas à la Wagner sind darin weitergedacht.
Und das frühe Bühnenwerk des Komponisten ist ein erster Schritt in der Entfaltung dieser
Moderne, die durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten vorläufig beendet werden
wird. Bruchlos war daran nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur und dem Ende
des zweiten Weltkriegs nicht anzuknüpfen. Und dem bereits 1942 verstorbenen Zemlinsky
war ein Comeback zu Lebzeiten auch nicht mehr vergönnt: in Amerika zu unpassend, zu
altmodisch und in Europa vergessen. Sein Schwager Schönberg hat ihm einen seltsam
ermutigenden Geburtstagsgruß im amerikanischen Exil geschickt: „Zemlinsky kann warten.“
Und damit meinte er nicht „muss“, sondern eben „kann“. Mit einer gewissen Tragik hat
Zemlinsky dabei selbst erkannt: „Meine Zeit kommt nach meinem Tod.“ Und ein bisschen hat
sich dies auch bewahrheitet, seitdem sein Werk seit Ende der 1970ger Jahre wieder
entdeckt und wieder aufgeführt wurde.
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Im Zuge dieser Wiederentdeckung entstand auch unsere Aufnahme von „Es war einmal“. Ihr
liegt dabei eine Rekonstruktion der Opern-Partitur zugrunde, die auf die in Mannheim und
Prag aufgeführten Fassungen zurückgeht und alle Striche, Änderungen und Retuschen
berücksichtigt, die auf die Zusammenarbeit Zemlinskys mit Gustav Mahler zurück gehen.
Im nun folgenden dritten und letzten Akt der Oper taucht die Prinzessin auf dem Jahrmarkt
eines Marktfleckens auf, unter all den unterhaltenden Akrobaten und Musikanten. Sie
handelt mit Haushaltswaren und erzählt dem als Wirt verkleideten Kaspar von ihrer Liebe
zum Zigeuner. Der Prinz taucht nun in neuer Verkleidung als Soldat auf und macht ihr frivole
Avancen. Bei einer Prügelei geht ihre Töpferware zu Bruch. Ein Herold verkündet, dass der
Prinz von Nordland heiraten möchte und zwar diejenige, die in das bereits angefertigte
Brautkleid passt. Mehrere Damen werden ausprobiert, doch keiner will das Kleid passen.
Und wie könnte es auch anders sein: es ist maßgeschneidert nur für die Prinzessin. Doch sie
weigert sich den Zigeuner zu verlassen, den sie liebt. Da gibt sich der Prinz zu erkennen. Ein
kurzer Jubelchor beendet die Oper.
Dieser Schluss ist ein Happy End auf wackligen Beinen. Ein merkwürdiges, von
Nietzscheanischem Zynismus durchzogenes Frauenbild steckt dahinter. Die Demütigung der
Frau: vielleicht scheint dabei sogar schon etwas von jenem komplizierten Verhältnis
Zemlinskys zu Alma Schindler auf, die er nur einen Monat nach der Uraufführung von „Es
war einmal“ im Februar 1900 kennen lernte. Zunächst entschließt sich Alma bei ihm
Kompositionsunterricht zu nehmen. Begeistert ist Zemlinsky dabei anfänglich nicht gerade
von den kompositorischen Fähigkeiten seiner Schülerin. Sie lässt wiederum ihren nicht
gerade attraktiven Lehrer, der unsterblich in sie verliebt ist, ziemlich zappeln und lacht ihn
aus, als er ihr einen Heiratsantrag macht. Da scheint der Ausgangspunkt der Märchenoper
„Es war einmal“ zu einer tragikomischen Realität geworden zu sein und die darin
stattfindende Umerziehung der Stolzen zu einer vorgezogenen Rache an jener vergeblich
begehrten „Alma crudel“, der grausamen Alma. Die Quälerei setzte sich bis 1902 fort. Dann
entschließt sich Alma Zemlinskys Förderer Gustav Mahler zu heiraten. Auf das unglückliche
Liebesverhältnis der beiden wird Zemlinsky teils versteckt, teils recht offen in seinen
späteren Opern „Eine florentinische Tragödie“ und „Der Zwerg“ reagieren.
Es folgt der dritte und letzte Akt mit Eva Johannson – Prinzessin, Kurt Westi – Prinz, Per
Arne Wahlgren – Kaspar, Christian Christiansen – ein Herold. Es singt der Chor des
Dänischen Rundfunks. Wir hören noch einmal das Nationale Radiosinfonieorchester des
Dänischen Rundfunks unter der Leitung von Hans Graf.
„Es war einmal“, 3. Akt = 26‘37“
Das war der letzte Akt der Oper „Es war einmal“ von Alexander Zemlinsky. Die Sänger
waren Eva Johannson – Prinzessin, Kurt Westi – Prinz, Per Arne Wahlgren – Kaspar,
Christian Christiansen – ein Herold. Chor und Sinfonieorchester des Nationalen Dänischen
Rundfunks spielten unter der Leitung von Hans Graf. Wir sendeten eine Studioproduktion
aus dem Jahr 1987.
Wir bleiben in unserem Opernabend in der Märchenwelt, wechseln aber das Genre – nicht
jedoch den Komponisten. Zemlinsky hat in nahezu allen Gattungen ein umfangreiches Werk
hinterlassen und komponierte bedeutende Streichquartette, Lieder, Chorwerke und
sinfonische Musik. Zu letzterer zählt auch die 1905 uraufgeführt sinfonische Dichtung „Die
Seejungfrau“. Zemlinsky griff dafür auf Andersens Märchen von der „Kleinen Meerjungfrau“
zurück. Das Werk ist eng mit seinem Schwager Arnold Schönberg verbunden. Die beiden
Komponisten hatten sich in Wien kennen gelernt und angefreundet. Der erfahrenere
Zemlinsky hat den Autodidakten Schönberg in vielerlei Hinsicht unterstützt und beraten. Der
Austausch war letztlich ein wechselseitiger, wenngleich Zemlinsky den späteren avancierten
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Zuspitzungen Schönbergs nicht folgen wollte. Um 1903 begannen beide Komponisten sich
für das Genre der sinfonischen Dichtung zu interessieren. Zemlinsky unter dem starken
Eindruck von Richard Strauss Tondichtung „Ein Heldenleben“. Schönberg wählte Maurice
Maeterlincks Drama „Pelleas et Melisande“ als Stoff, Zemlinsky das Märchen Andersens.
Beide Kompositionen wurden am 25. Januar 1905 im gleichen Konzert uraufgeführt. Der
Komponist Richard Strauss, der eigentliche Meister der Tondichtungen der
Jahrhundertwende, begeisterte sich für beide Werke und ihre Schöpfer und vermittelte
Schönberg eine Professur in Berlin. Die beiden Tonschöpfer verfolgten dabei fast identische
Ziele. Sie wollten die Trennung zwischen absoluter und sogenannter Programmmusik
aufheben und nutzten dabei alle technischen Errungenschaften der modernen
Orchestermusik und ihrer instrumentatorischen Raffinesse. Schönberg fasste dabei die
Mehrsätzigkeit einer Sinfonie in einem einsätzigen, großen sinfonischen Gebilde zusammen,
bei dem die Geschichte der Handlung zwar erkennbar ist, aber nicht mehr primär im
Vordergrund steht. Zemlinsky hingegen entschied sich für ein dreisätziges Werk, das damit
noch stärker der Tradition einer absoluten Sinfonie verpflichtet ist. Dennoch sind inhaltliche
Motive aus dem Märchen erkennbar. So wird schon zu Beginn die düster lastende
Atmosphäre des Meeresgrunds geschildert. Ein Furioso erzählt vom Schiffbruch im Sturm.
Man kann versuchen die weiteren Motive in den beiden anderen Sätzen zu erkennen – die
Menschwerdung der Seejungfrau, ihre Liebe zum Prinzen, ihr Stummsein und Leiden,
Trennung und Rückkehr in die Meerestiefe. Allerdings überwindet Zemlinsky hier das rein
Erzählende durch die formale Brillanz, mit der er sowohl das Prinzip der absoluten Sinfonie
beherrscht, als auch durch das Raffinement von Klangbildern einer hohen
Instrumentationskunst.
Obwohl Zemlinskys „Seejungfrau“ kompositorisch weit über dem Rang einer Oper wie „Es
war einmal“ steht, zog der überaus selbstkritische Komponist das Werk nach der
Uraufführung zurück. Als er 1938 nach Amerika emigrierte, nahm er nur den 2. und 3. Satz
der Partitur mit. Der erste Satz blieb im Wiener Privatbesitz. Zemlinskys Frau Louise hielt die
beiden Sätze für Teile einer Sinfonie. Erst zu Beginn der 1980ger Jahre wurde das Stück
identifiziert und erlebte schließlich 1984 eine Neuaufführung. Ein typisches Werkschicksal für
den noch immer unterschätzten Komponisten Zemlinsky. An dieser Stelle sei noch einmal an
Arnold Schönbergs bereits zuvor zitiertes Bekenntnis aus dem Jahr 1949 erinnert. Er sagte
weiter darin über seinen Schwager: „Ich habe immer geglaubt, dass er ein großer Komponist
war, und ich glaube noch immer fest daran. Möglicherweise wird seine Zeit früher kommen,
als man denkt.“
Es folgt zum Schluss die sinfonische Dichtung „Die Seejungfrau“ von Alexander Zemlinsky.
Es spielt das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter der Leitung von
Zoltán Peskó.
Musik: Alexander Zemlinsky „Die Seejungfrau“ (44‘35“)
Der SWR2 Opernabend über Alexander Zemlinsky und die Märchenoper ging zu Ende mit
der sinfonischen Dichtung „Die Seejungfrau“. Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und
Freiburg spielte unter der Leitung von Zoltán Peskó. Durch den Abend führte sie....
Text: Bernd Künzig. Es bleibt noch etwas Zeit bis zu den Nachrichten. Wir verabschieden
uns mit „Bei Dir ist es traut“ von Alma Mahler. Der Tenor Jörg Hannes Kuhn wird von Helmut
Ochenfels am Klavier begleitet.
Musik: Alma Mahler „Bei Dir ist es traut“ (1‘40“)
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