Einführung in die deutsche Komödie

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3. Untergattungen
Humoreske
Die Humoreske – der Begriff ist eine Analogiebildung zu Burleske, Groteske, Arabeske – bezeichnet im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert Geschichten, die in heiter-unterhaltender Weise von menschlichen Schwächen
und aus dem bürgerlichen Alltag erzählen. Der Begriff findet – über die
Prosa-Erzählung hinaus – Verwendung für eine Vielzahl unterschiedlicher
Kunstformen, sogar in der Instrumentalmusik und für Kleinformen des Musiktheaters und so eben auch für kürzere Dramen, die darum dennoch keine
wirklich selbstständige dramatische Gattung bilden.
Volksstück
Der Begriff „Volksstück“ ist im weitesten Sinne ein Sammelbegriff für solche
Stücke, wie sie gewöhnlich an einem der so genannten Volkstheater gespielt wurden und noch werden. Volkstheater entstehen im 18. Jahrhundert
– in Abgrenzung von den privilegierten höfischen oder bürgerlichen Theatern – zumeist als Vorstadttheater. Da sie keine Bildungsschranken setzen,
sprechen sie zunächst die mittleren und unteren Schichten an, aber – je
nach ihrer Zugkraft – auch das Bürgertum im Ganzen. Hinsichtlich der Stoffe und der Darbietungsformen (zum Beispiel in Bezug auf den Dialekt) sind
sie stark an lokale Gegebenheiten gebunden. (Insofern kann man zahlreiche
Volksstücke des 19. Jahrhunderts auch einfach als Possen bezeichnen.)
Berühmt ist das Wiener Volkstheater, in dessen Rahmen Joseph Anton
Stranitzky mit der von ihm kreierten Figur des Hanswurst eine reiche volkstümlich-komische Theatertradition begründet (spätere Figuren heißen Bernadon, Kasperl, Thaddädl, Rochus Pumpernickel usw.). Die Stoffe und Themen entstammen der Barockliteratur, der Trivialliteratur oder der zeitgenössischen italienischen Oper. Zu literarischer Qualität gelangen die in Wien
gespielten Stücke – nunmehr als Volksstücke im engeren Sinne – durch die
bereits erwähnten Autoren Ferdinand Raimund mit seinen Zauberspielen
und Johann Nestroy, der eher satirisch-kritisch verfährt und auch auf die aufklärerisch-kritische Emanzipationsfunktion des Volksstücks setzt. Die Figuren sind meist von handwerklich-kleinbürgerlicher Herkunft, die privaten,
alltagsbezogenen Handlungen haben einen komischen, versöhnlichen, oft
moralisierenden Ausgang, die Wiener Mundart herrscht vor. Es gibt mimische, musikalische, tänzerische oder auch märchenhafte Zwischenspiele;
nicht selten wird im Stück extemporiert, was regelmäßig zu Konflikten mit
der Zensur führt.
Volksstücke entstehen als Mundartpossen im 19. Jahrhundert auch in anderen Sprach-Regionen, zum Beispiel im Alemannischen (Johann Georg
Daniel Arnold), im Hessischen (Ernst Elias Niebergall: Datterich [1841])
oder in Berlin (Karl von Holtei, David Kalisch).
Nachdem in Wien nach 1848 eine verschärfte Zensur für Probleme sorgt
und die Gattung der Operette einen Siegeszug antritt, überlebt die Gattung
Volksstück durch ihre Lokalbindung etwa bei Ludwig Anzengruber, dessen
Volksstücke wie Der Meineidbauer (1871) freilich recht ernst ausfallen können, oder bei Ludwig Thoma, der in der Komödie Moral (1908) die bürgerliche Doppelmoral kritisch beleuchtet, oder auch bei Carl Zuckmayer, der
in Der Hauptmann von Köpenick (1931) eine außerordentlich satirische
Darstellung des Militarismus liefert.
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I. Gattungsbegriff
Von der Erneuerung des Volksstücks in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts (Ödön von Horváth, Marieluise Fleißer) und dann
abermals nach dem Zweiten Weltkrieg (Franz Xaver Kroetz u. a.) soll hier
nicht weiter die Rede sein, da diese Stücke zum Teil aus dem Horizont des
komischen Theaters heraustreten.
Boulevardkomödie
Die Bezeichnung „Boulevardkomödie“ umfasst mehrere Spielarten der Gesellschaftskomödie des späten 19. und des 20. Jahrhunderts. Abgeleitet ist
die Bezeichnung vom Boulevardtheater, also von dem Sammelbegriff für
die Privattheater, die sich im 19. Jahrhundert in Paris an den Boulevards befanden. Bei dem sich dort etablierenden Typus des Boulevardstücks handelt
es sich um leichte und publikumswirksame Konversations- und Gesellschaftskomödien für ein gehobenes und mittleres Bürgertum. Die verwickelte, oft temporeiche Handlung mit einem gewissen Hang zur Situationskomik kreist zumeist um das Thema Ehebruch, es kommt zu Verwechslungen, Täuschungen und Entlarvungen, die Figuren sind mehr oder weniger
typisiert, die Sprache ist intelligent und witzig, oft auch anzüglich mit einer
Neigung zu Wortspielen. Wenngleich das Boulevardstück zunächst keine
kritischen Intentionen verfolgt, führen die Entlarvungen dann doch – jenseits purer Unterhaltung – zur Bloßstellung der bürgerlichen Doppelmoral
und des „gutbürgerlichen“ Familienlebens.
Im deutschsprachigen Raum gibt es Boulevardtheater seit der Wende
zum 20. Jahrhundert; der bekannteste Vertreter ist Curt Goetz. Einige vormalige Vertreter des Expressionismus wenden sich nach dessen Ende in den
zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts der Komödie und zum Teil auch der
Boulevardkomödie zu.
Die Bezeichnungen „Boulevardkomödie“, „Gesellschaftskomödie“ und
„Konversationskomödie“ werden zumeist bunt durcheinander verwendet.
Die jeweils gemeinten Arten der Komödie lassen sich jedenfalls kaum voneinander abgrenzen. Während „Boulevardkomödie“ eher an die bevorzugt
auf Unterhaltung eingerichteten Theater denken lässt, in denen die Komödien aufgeführt werden, hebt „Gesellschaftskomödie“ auf den in den
Komödien intendierten sozialen Rahmen und die in diesen Rahmen passenden Probleme ab. „Konversationskomödie“ schließlich betont die in den
Komödien gepflegte Art der Kommunikation, den geistreichen Konversationston in der meist höheren Gesellschaft.
Tragikomödie
Im 18. Jahrhundert etabliert sich das Schauspiel als eine selbstständige dramatische Gattung zwischen der Tragödie bzw. dem Trauerspiel, mit dem es
den Ernst des behandelten Themas gemein hat, und der Komödie bzw. dem
Lustspiel, mit dem es den versöhnlichen Ausgang teilt. Während somit das
Schauspiel seinem Gehalt nach weder „tragisch“ noch „komisch“ ist, ist die
Tragikomödie beides, und zwar beides zugleich. Zu unterscheiden sind hier
allerdings ältere und jüngere Tragikomödien. In der Antike und von der
Renaissance bis ins 18. Jahrhundert, gelten diejenigen Stücke als Tragikomödien, in denen sowohl tragödienspezifische als auch komödienspezifische Elemente nebeneinander vorkommen, dies nach dem Vorbild des Am-
3. Untergattungen
phitruo des römischen Dramatikers Plautus, einer Komödie, in der Götter
auftreten, die eigentlich der Tragödie vorbehalten sind. Bei diesen älteren
Stücken wäre das Tragikomische – eine Kategorie, die als solche da noch
nicht begegnet – einfach die Addition von Komischem, d. h. zur Komödie
Gehörigem, und Tragischem, d. h. zur Tragödie Gehörigem.
Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstehen dann zunehmend
„synthetische“ Tragikomödien (Guthke 1961, 22), in denen tragische und
komische Momente nicht nur nebeneinander vorkommen, sondern derart
miteinander verbunden sind, dass das eigentlich Tragische zugleich als komisch und das eigentlich Komische zugleich als tragisch erscheint: „Das
Komische ist auf tragische Weise komisch, das Tragische auf komische Weise tragisch“ (Guthke 1961, 31). Dabei bezeichnen die Begriffe des Tragischen und des Komischen nicht mehr nur wie ehedem Charakteristika der
Tragödie bzw. der Komödie, also das zur Tragödie bzw. zur Komödie Gehörige, sondern verselbstständigte, substanzielle (ästhetische) Qualitäten unabhängig von bestimmten Textsorten.
Bei den neueren („synthetischen“) Tragikomödien bleiben die Kategorien
des Tragischen und des Komischen trotz der engen Verquickung sachlich
unterscheidbar und trennbar (und die – komplexe – Wirklichkeit erscheint
als im Prinzip „realistisch“ dargestellt). Wirklich ununterscheidbar werden
jene Kategorien erst beim wahrhaft Grotesken, bei dem – angesichts der
Entstellung der vertrauten Welt und ihrer Verzerrung ins „Surreale“ – die
Unheimlichkeit und die Desorientierung überhand nehmen.
Singspiel
Das Sprechtheater besitzt seit jeher immer wieder die Neigung, auch musikalische Elemente zu integrieren. Schon im antiken Theater gab es ja Gesang und Tanz. Musikalische Einlagen begegnen auch in den geistlichen
Spielen des Spätmittelalters ebenso wie in einigen Fastnachtspielen. Aber
erst im 18. Jahrhundert entwickelt sich als eine leichtere Unterhaltung für
höfische und bürgerliche Bedürfnisse aus dem Schauspiel mit musikalischen Einlagen – insbesondere im Rahmen der komischen Gattung des
Schäferspiels – das Singspiel als eine zwischen Schauspiel und Oper angesiedelte Misch-Gattung (mit Texten unter anderem von Christian Felix Weiße, Christoph Martin Wieland, Goethe). Je nach der Bedeutung, die im Einzelfall dem Text oder der Musik zukommt, gehört das Singspiel mehr zur
Literatur- oder mehr zur Musikgeschichte, wie denn überhaupt mit zunehmendem Gewicht der musikalischen Gestaltung sich das Singspiel zur
Oper weiterentwickelt (Wolfgang Amadeus Mozart: Entführung aus dem
Serail [1782]). Vom Singspiel lässt sich dann wiederum als eine weitere
Form die „Posse mit Gesang“ ableiten.
Oper
Die Oper entsteht um 1600 in Italien als – der Intention nach – Wiedergeburt der (als musikgetragen vorgestellten) griechischen Tragödie. Daraus
entwickeln sich im 18. Jahrhundert die beiden Gattungen der Opera seria
(ernste Oper) und der Opera buffa (heitere Oper). Dabei verzichtet die Opera seria auf die ursprünglich zwischen die Akte einer (ernsten) Oper eingeschobenen komischen Intermezzi (oft in sich geschlossene Diener-Hand-
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I. Gattungsbegriff
lungen), während die Opera buffa aus eben diesen Intermezzi und aus der
(meist im Dialekt gehaltenen) Commedia per musica (Musikkomödie) entsteht, indem sie sich hinsichtlich der Handlungsführung an der Commedia
dell’arte orientiert. Die Stoffe entstammen dem Volksleben und der gesellschaftlichen Wirklichkeit; der Stil kann empfindsam-ernst oder auch derbkomisch sein. Von den Formen der komischen Oper in anderen Ländern unterscheidet die Opera buffa sich dadurch, dass sie stets Rezitative statt gesprochener Dialoge verwendet.
Die französische Opéra-Comique (komische Oper), die freilich vom Sujet
her auch Tragisches, Heroisches, Idyllisches und anderes enthalten kann,
entsteht aus der italienischen Opera buffa und aus der der eigenen französischen Tradition entstammenden Comédie en vaudevilles (oder Comédie
avec vaudevilles); Vaudevilles sind kurze, mit Musik begleitete und von
Liedeinlagen unterbrochene Komödien. (Die deutsche Entsprechung der
Opéra-Comique ist die komische Oper zum Beispiel von Gustav Albert
Lortzing: Der Wildschütz [1842], eine Art biedermeierliche Komödie.)
Operette
Allen diesen Einflüssen verdankt schließlich um die Mitte des 19. Jahrhunderts die aus Frankreich stammende Operette als ein heiteres Bühnenstück
mit gesprochenen Dialogen, Gesang und Tanz ihren Ursprung. Die Operette als eine Sonderart der komischen Oper, von Jacques Offenbach unter
zeitsatirischen und parodistischen Vorzeichen begründet, bietet hernach
auch eher anspruchslose Unterhaltung, sie begnügt sich mit unkompliziertvolkstümlicher Melodik und legt Wert auf aktuelle Tänze (zum Beispiel den
Cancan). Im deutschsprachigen Raum erlebt die Operette – in Anknüpfung
an die Gattung der „Posse mit Gesang“ – in Wien einen Höhepunkt (Johann
Strauß, später Franz Lehár), dann auch in Berlin (Paul Lincke).
Im Übrigen: Bevor der Begriff der Operette Mitte des 19. Jahrhunderts nur
noch die eben skizzierte Sonderart der komischen Oper bezeichnet, wird er
für alle möglichen Bühnenwerke geringeren Umfangs benutzt, so auch für
das oben erwähnte deutsche Singspiel.
Musical
Das aus Operette, Revue und einer Vielzahl weiterer Quellen hervorgegangene amerikanische Musical des ausgehenden 19. und vor allem des
20. Jahrhunderts (mit Schwerpunkten in New York und auch in London)
kann hier nur als ein Grenzfall Erwähnung finden, vor allem, weil bei ihm
der musikalische Anteil gegenüber dem literarischen in aller Regel überwiegt, weil es darin aber überdies häufig um aktuelle, auch zeitkritisch behandelte ernste und seltener um komische Themen geht und weil schließlich deutsche Musicals (Stephan Barbarino [Text], Franz Hummel [Musik]:
Ludwig II. [2000]) nur eine marginale Rolle im Gesamtspektrum der Gattung spielen.
II. Forschungsbericht
Schon die Poetik des Aristoteles schreibt den Dramatikern nicht willkürlich
irgendwelche Regeln vor, sondern sichtet erst einmal die vorhandenen Dramen. Sie registriert dabei, dass es hinsichtlich der Anlage einer Handlung,
der Gestaltung von Figuren usw. durchaus verschiedene Möglichkeiten gibt,
die sie dann freilich teils als besser, teils als weniger gut bewertet. Auf dieser
Grundlage gewinnt sie die Vorstellung einer Tragödienstruktur, die sie
schließlich für musterhaft erklärt. Methodisch gesehen, bedeutet das: Sie
verfährt sowohl empirisch-deskriptiv als auch normativ-regelsetzend. Und
da das zweite Buch der Poetik, in dem es um die Komödie gehen sollte,
nicht erhalten ist, gibt es hier für die Komödie wesentlich weniger Regelungen als für die Tragödie, was auch der Forschung im Fall der Komödie einen
freieren Blick auf die zu beurteilenden Dramen-Texte und deren Vielfalt erlaubt hat als im Fall der Tragödie, bei der die Aristotelischen Vorgaben die
Bewertung der zu betrachtenden Texte stärker reglementiert haben (Zimmermann 2006, 36).
Was die sowohl empirisch-deskriptive als auch normativ-regelsetzende
Einstellung betrifft, so gilt Entsprechendes wie für die Aristotelische Poetik
auch für die Poetiken des Barock und der frühen Aufklärung, die, soweit sie
sich auf das jeweils Vorhandene beziehen, so etwas wie Bestandsaufnahmen liefern. Johann Christoph Gottsched zum Beispiel reserviert in seiner
Poetik (Critische Dichtkunst, 1730) ein Kapitel für die Komödie, behandelt
darin im historischen Rückblick griechische, römische, italienische, englische, französische und deutsche Komödien, bevor er systematisch auf formale Aspekte eingeht. Hinsichtlich der deutschen Komödien beschränkt er
sich auf das 17. Jahrhundert und gibt Hinweise – freilich im Umfang von
nur einer Seite – zu Andreas Gryphius und Christian Weise. Was dabei die
Verbindung von Komödientheorie und Komödienpraxis betrifft, so verfährt
das Gros der späteren Forschung im Grunde nicht viel anders – der Forschung jedenfalls, die über die Beschäftigung nur mit einzelnen Texten oder
einzelnen Autoren hinausgeht. Es gibt kaum eine Darstellung der Komödiengeschichte einer Epoche oder noch größerer Zeiträume, die nicht
zugleich die entsprechende Komödientheorie einbezöge, und umgekehrt
geht selbst eine Arbeit, die sich im Titel nur auf die „Komödiendiskussion
von Aristoteles bis Ben Jonson“ bezieht (vgl. Bareiß 1982), regelmäßig dennoch zugleich auf die Komödienpraxis mit ein.
Neben den Poetiken gibt es im 18. Jahrhundert auch anders geartete und
andere Zielsetzungen verfolgende umfangreichere Darstellungen, die sich
mit der Literatur im Ganzen oder mit Teilbereichen beschäftigen (wie zum
Beispiel Lessings Hamburgische Dramaturgie [1767–1769]) und die in diesem Rahmen die Gattung der Komödie ebenfalls unter theoretischen und
historischen Aspekten behandeln. Dabei beziehen die Ausführungen sich
zunehmend nicht mehr nur auf die formalen Seiten der Gattung bzw. ihre
Wirkung („Belustigung“), sondern enthalten vermehrt auch Reflexionen
Die Poetik
des Aristoteles
Poetiken des Barock
und der frühen
Aufklärung
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