dazu - Kalle der Rote

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Das Ende des Laissez-Faire – wieder zu spät?
Karl Georg Zinn
Frage: Was ist der Unterschied zwischen der amerikanischen Notenbank und einer Falschgelddruckerei? Antwort: Die Greenbacks der Fed sind echt, aber sonst gibt es keinen Unterschied.
Beide brauchen für ihr Produkt sozusagen nur Papier und Druckerfarbe, und wenn das bedruckte
Papier in den wirtschaftlichen Kreislauf fließt, steigt die Geldmenge bzw. Liquidität; die reale
Nachfrage kann steigen; Produktion und Beschäftigung werden belebt, und der Wohlstand –
wessen auch immer – nimmt zu. Gegenwärtig kommt die Wohlstandssteigerung infolge der Produktion zusätzlichen Geldes insbesondere fallierenden Banken und allgemein den Finanzmärkten
zugute. Das ist auch gut so, um das mannhafte Politikerwort zu bemühen. Nicht nur gut für Banken und Finanzmärkte, sondern auch für die kapitalistische Realwirtschaft. Nach dem Börsenkrach 1929 fehlte es an vergleichbarer Bereitschaft, die Geldpresse in Gang zu setzen. Damals
stürzte die Realwirtschaft innerhalb von drei Jahren (1929 – 1932) einen bis dahin unbekannten
depressiven Tiefpunkt. Dieses historische Szenarium wird sich nicht wiederholen; – oder etwas
vorsichtiger formuliert: es braucht sich nicht zu wiederholen. Denn was den Finanzmärkten fehlt,
sind ja keine realen Ressourcen wie Rohstoffe, Energiegüter, Produkte der verarbeitenden Industrie etc., sondern lediglich jenes bedruckte Papier namens Geld. Wie gesagt, dass lässt sich leicht
und billig herstellen – zum Glück für den Finanzkapitalismus. Allerdings müssten die echten
„Falschmünzer“ auch bereit sein, ihre Zauberkraft, aus dem Nichts ein gewaltiges Etwas zu
schaffen, auch zu gebrauchen.
Die amerikanische Notenbank war nicht müßig. Seit dem Sommer des vergangenen Jahres ließ
sie immer wieder sechsstellige Milliardenbeträge an US-Dollars in den US-Kreislauf fließen.
Jüngst ging sie noch etwas weiter und intervenierte gezielt zugunsten eines einzelnen Instituts
und hielt die Brokerfirma Bear Stearns mit einem Notstandskredit ein paar Tage über Wasser, bis
das Institut dann per „Notverkauf“ zu einem Spottpreis1 von der Investmentbank JP Morgan
erworben wurde. Der Aktienkurs von JP Morgan schnellte um 12 Prozent nach oben – einer
baissierenden Börsenlandschaft. Selbstverständlich sind alle dies Manöver Symptome eines maroden Systems – des Systems der Überliberalisierung und des Laissez-Faire-Glaubens an die
Selbstheilungskräfte des Marktes. Die zentralbankpolitische Intervention der US-Notenbank findet eine (kleine) Stütze seitens der US-Finanzpolitik: Ausgabensteigerung und Steuersenkungen
sollen die Kriseneffekte abfedern.
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JP Morgan zahlte 2 US-$ für eine Aktie von Bear Stearns. Der Kurs stand kurz zuvor noch bei 30 US-$.
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Europa vertraut (noch) auf gesunden Schlaf und lässt sich vom Schlaflied der EZB und der für
Wirtschaft und Finanzen zuständigen Minister beruhigen: Die europäische Wirtschaft und die
bundesdeutsche insbesondere seien „in guter Verfassung“. Kein Grund zum Handeln. Man beobachte aufmerksam. Ist das beruhigend? In der Tat mag es wenig sinnvoll sein, die Leitzinsen
massiv zu senken, aber Liquiditätsengpässen müsste vorgebeugt werden. Wenn Liquidität knapp
ist, sollte Geld auch entsprechend teuer sein, aber prinzipiell verfügbar gemacht werden. Das
Problem der EZB-Politik, ausschließlich der Währungsstabilität verpflichtet zu sein, wird jetzt
zum Problem der europäischen Realwirtschaft. Gewiss, Inflation ist schlimm, aber eine schwere
Rezession ist weitaus schlimmer. Die Folgen der seit Jahren verfehlten Wirtschaftspolitik, der
Wachstumsschwäche und Massenarbeitslosigkeit geschuldet sind, lassen sich zwar nicht kurzfristig korrigieren, aber es wäre doch wenigsten zu erwarten, dass eine deutliche Kursänderung vorgenommen wird. Realistisch erscheint das nicht, und der Großen Koalition des neuen Jahrhunderts fehlt nicht nur ein Karl Schiller, sondern auch die sozialstaatliche Moral der Nachkriegsjahrzehnte.
Die beschränkte Mainstream-Ökonomie
In dem inzwischen wohl berühmten Aufsatz „Das Ende des Laissez-Faire“2, hatte John Maynard
Keynes 1926 auf die eigenartige Gleichschaltung im ökonomischen Denken im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, also auf das, was heute als „Mainstream“ bezeichnet wird, aufmerksam
gemacht und einen anstehenden, für ihn notwendigen Paradigmenwechsel gefordert: „Über hundert Jahre wurden wir von unseren Philosophen regiert, die in diesem einen Punkt (Individualismus und laissez-faire; KGZ) wie durch ein Wunder fast sämtlich einer Meinung waren oder
wenigstens zu sein schienen. Selbst heute tanzen wir noch nach der gleichen Melodie – aber ein
Wechsel liegt in der Luft.“ Bekanntlich verhallten Keynes Ansinnen und Hoffnungen, bis es zu
spät war und die Große Depression nicht mehr zu vermeiden war. Das fröhliche Laissez-Faire
der durch Kredite finanzierten Spekulation fand sein Ende am Schwarzen Donnerstag der New
Yorker Börse. Soweit sich in den folgenden Jahren – genauer ab 1932/33 – in einigen Ländern
die Überwindung des wirtschaftlichen Niedergangs abzeichnete, geschah das mit massiven staatlichen Interventionen und neuen Regulierungen. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen.
Selbst eingefleischte Finanzkapitalisten konstatieren heute, dass die „Selbstheilungskräfte des
2 John Maynard Keynes, Das Ende des Laissez-Faire, München-Leipzig 1926; wieder abgedruckt in: Harald Mattfeldt, Hg., Keynes. Kommentiere Werkauswahl, Hamburg 1985, S. 96-116 (wir zitieren: Keynes, 1926/1985).
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Marktes“ unter den gegenwärtigen Umständen am Ende sind3. Ohne staatliche Hilfen in großem
Umfang verseucht die Krise der Finanzmärkte die Realwirtschaften. Dass und wie größere Finanz- bzw. Bankenkrisen nur durch staatliche Eingriffe überwunden werden können, ließ sich
allerdings auch in jüngerer Vergangenheit beobachten. Die japanische Bankenkrise schwärte über
die gesamten 1990er Jahre, weil sich die japanische Regierung nicht zu problemgerechten Interventionen entschied. Als sie dann zum Jahrhundertende doch damit begann, die faulen Kredite
der japanischen Banken aus Steuermitteln aufzufangen, d. h. die Verluste zu sozialisieren, wurden
(bis 2006) etwa 260 Milliarden Euro (40 Billionen yen) bereinigt4. Inzwischen machen Japans
Banken wieder einen relativ gesunden Eindruck. Noch eindrucksvoller erscheint das „schwedische Sanierungsmodell“, das in den 1990er Jahren die heillos überschuldeten Privatunternehmen
vor dem drohenden Zusammenbruch bewahrte5. Aus dem einstigen „Thatcher-Land“ wurde
ebenfalls bekannt, dass die schottische Immobilienbank Northern Rock in den Armen von Vater
Staat landete. Die nach wie vor beschworenen Marktkräfte hätten das Institut pleite gehen lassen,
und es hätte lachende Dritte gegeben, aber vielen kleinen Sparern wäre nur das Nichts geblieben.
Keynes gehörte nicht nur zu den besten Ökonomen des vergangenen Jahrhunderts, sondern im
Unterschied zur großen Mehrheit seiner Fachkollegen hatte er – vergleichbar zu Marx und
Schumpeter – einen klaren Blick für die sozialen, politischen und menschlichen Folgen wirtschaftspolitischen Handelns, und seine Prognosen zur Entwicklung des kapitalistischen Systems
erwiesen sich in ihrer Treffsicherheit allen Konkurrenzversuchen als überlegen. Seine Kritik an
dem Herdenkonformismus und Karriereopportunismus vieler seiner Fachgenossen hat leider an
Aktualität nicht eingebüßt: „… die vorsichtige und undogmatische Einstellung der besten Nationalökonomen … (vermochte sich; KGZ) nicht gegen die allgemeine Meinung durchzusetzen, daß
sie eigentlich das individualistische laissez-faire zu lehren hätten und de facto auch wirklich lehren“6. Wenn die wirtschaftspolitische Beratung, die in den Massenmedien (vorwiegend) propagierte Wirtschaftslehre und die aus Steuermitteln finanzierte ökonomische Forschung und Lehre
auf eine herrschende Doktrin festgelegt, pluralistischer Theorienwettbewerb und deren personalen Träger ausgeschlossen werden, ergeben sich Situationen wie die gegenwärtige: Das Kind fällt
in den Brunnen, weil ihn rechtzeitig abzudecken, den freie Markt zu reglementieren bedeutete,
und das wäre wieder die herrschende Lehre. Nun ja: „die Schönheit und Einfachheit dieser Theorie ist so große, daß man leicht vergisst, daß sie nicht den wirklichen Tatsachen entspricht, son-
3 Anna Sleegers/Markus Günther, Ackermann ruft in Finanzkrise um Hilfe, in: Frankfurter Rundschau, Nr. 66, vom
18. März 2008, S. 16: „Wie dramatisch die Lage an den Finanzmärkten ist, zeigte der Auftritt von Deutsche-BankChef Josef Ackermann auf einer Veranstaltung in Frankfurt. >Es fällt mir schwer es zu sagen, aber ich glaube nicht
mehr an die Selbstheilungskräfte der Märkte< sagte der Manager.“
4 Finn Mayer-Kuckuck, Mit Steuergeldern aus der Misere, in: Handelsblatt, Nr. 55, 18. März 2008, S. 25.
5 Helmut Steuer, In Schweden greift der Staat ein, in: Handelsblatt, Nr. 55, 18. März 2008, S. 25.
6 Keynes, 1926/1985, S. 105.
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dern sich aus einer der Einfachheit halber angekommenen unvollständigen Hypothese ableitet“7.
Dennoch hat sich seit der Großen Depression ein klein wenig verändert, wie die Intervention der
amerikanischen Zentralbank zeigt. Vielleicht widerlegt die Wirklichkeit doch Keynes pessimistische Einschätzung von 1926, als er bemerkte: „Mir scheint, daß heutzutage keine einzige Partei
auf der ganzen Welt das richtige Ziel mit den richtigen Mitteln verfolgt“8
7
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Ebenda, S. 107.
Ebenda, S. 116.
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