Matthias Koller Bemerkungen zu den Rechtsgrundlagen für

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Matthias Koller
Bemerkungen zu den Rechtsgrundlagen für eine Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug bei Zugrundelegung des MRVG-NRW
1. Das BVerfG hat sich mit der Frage der Zwangsbehandlung anhand von Fällen der
„Regelbehandlung“ im Maßregelvollzug befasst: z. B. Behandlung einer wahnhaften
Störung mit einem geeigneten Neuroleptikum nach 6-jähriger Unterbringung ohne
nennenswerte Fortschritte, da die Medikation die einzige Möglichkeit darstelle, die
wahnhaften Überzeugungen des Untergebrachten zu korrigieren und ihn auf diese Weise
mit dem Ziel seiner späteren Entlassung zu fördern.
Eine Zwangsbehandlung hat das BVerfG in derartigen Fällen unter engen, im Einzelnen
bezeichneten Voraussetzungen für zulässig gehalten (Folien 33 bis 36). Zielgruppe sind
dabei stets nur einwilligungsunfähige Patienten, wobei unter Zwangsbehandlung jede
Behandlung gegen den (manifestierten) natürlichen Willen des Betroffenen ist (Folien 24
bis 31). Einwilligungsfähige Patienten dürfen nur mit ihrer erklärten Einwilligung und
keinesfalls entgegen einer geäußerten Ablehnung behandelt werden.
Eine Zwangsbehandlung einwilligungsunfähiger Patienten ist in diesen Fällen stets nur
auf der Grundlage eines formellen Gesetzes zulässig, das die Eingriffsvoraussetzungen
klar und bestimmt bezeichnet.
Das MRVG NRW trifft für diese Fälle keine Regelung. Die „Regelbehandlung“ im
Maßregelvollzug darf in NRW deshalb nur stattfinden, wenn und soweit der einwilligungsfähige Untergebrachte eingewilligt hat oder der nicht einwilligungsfähige Untergebrachte
der konkreten Behandlungsmaßnahme nicht widersprochen hat und zusätzlich eine
Einwilligung seines Betreuers vorliegt (zur Klarstellung: lehnt der einwilligungsunfähige
Untergebrachte die Behandlung ab, kann die Einwilligung seines Betreuers den entgegenstehenden Willen nicht überwinden und den Eingriff nicht rechtfertigen; die Behandlung ist
dann Körperverletzung).
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2. Das MRVG NRW sieht aber Regelungen für zwei Fallgruppen vor:
„ Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 MRVG NRW ist die Behandlung der Patientinnen und
Patienten auch ohne ihre ausdrückliche Einwilligung (oder die ihrer gesetzlichen
Vertretung) zulässig bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für ihre
Gesundheit oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen.
Und § 17 Abs. 4 Satz 2 MRVG NRW erlaubt eine zwangsweise Ernährung, wenn dies
zur Abwehr einer Gefahr für das Leben oder einer schwerwiegenden Gefahr für die
Gesundheit der Patientinnen und Patienten erforderlich ist.
„ Außerdem erlaubt § 21 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 MRVG NRW - als besondere
Sicherungsmaßnahme - zwingend erforderliche medizinische und psychotherapeutische Eingriffe, soweit und solange diese bei [zur Abwehr] einer erheblichen Gefahr
für das geordnete Zusammenleben in der Einrichtung, insbesondere bei Selbstgefährdung und bei Fluchtgefahr, erforderlich sind.
Mit derartigen Fallgestaltungen hat sich das BVerfG nicht befasst. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Zwangsbehandlungen in diesen Fällen könnte grundsätzlich
fraglich sein, weil
•
das BVerfG - anders als die §§ 17 Abs. 3 und 4, 21 Abs. 4 MRVG NRW - die
Zwangsbehandlung auf Fälle der Behandlung Einwilligungsunfähiger beschränkt,
während es die Behandlung Einwilligungsfähiger gegen ihren Willen mit dem hoch
veranschlagten Selbstbestimmungsrecht und der „Freiheit zur Krankheit“
grundsätzlich nicht für vereinbar hält,
•
das BVerfG als rechtfertigenden Belang für den auch mit der Behandlung Einwilligungsunfähiger verbundenen Eingriff in das (natürliche) Selbstbestimmungsrecht und die „Freiheit zur Krankheit“ nur das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten - und nicht sein Gesundheitsinteresse - benennt,
sofern der Untergebrachte zur Wahrnehmung dieses Interesses infolge krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit nicht in der Lage ist,
•
das BVerfG den gebotenen Schutz Dritter vor den Straftaten, die der
Untergebrachte im Fall seiner Entlassung begehen könnte, sogar ausdrücklich als
rechtfertigenden Belang ausschließt, weil dieser Schutz auch durch den Verbleib
in der Maßregelklinik ohne Behandlung zu gewährleisten ist,
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•
das BVerfG in jedem Fall eine dezidierte gesetzliche Grundlage für Zwangsbehandlungsmaßnahmen verlangt, die auch im Einzelnen benannte verfahrensmäßige Sicherungen vorsieht.
Allerdings sind die vom BVerfG für die Zwangsbehandlung im Rahmen einer Regelbehandlung im Maßregelvollzug entwickelten Anforderungen nicht ohne Weiteres auf alle
denkbaren Behandlungssituationen zu übertragen. Nähme man das BVerfG für alle Fälle
beim Wort, wären Behandlungsmaßnahmen bei schwer dementen und stark geistig
behinderten Patienten ausgeschlossen, weil das Ziel einer Wiederherstellung der
Selbstbestimmungsfähigkeit konstitutionell von vornherein gar nicht erreichbar ist, und
auch jegliche somatischen Behandlungen einwilligungsunfähiger Patienten gegen ihren
natürlichen Willen müssten unterbleiben. M. E. ist nicht davon auszugehen, dass das
BVerfG tatsächlich derartige Konsequenzen gezogen hätte, wenn es die abweichenden
Fallgestaltungen bedacht hätte. Das deutet sich übrigens in der Ausgangsentscheidung
des BVerfG schon insoweit an, als das BVerfG zumindest für bestimmte Verfahrensanforderungen und namentlich für das Erfordernis einer dem Eingriff vorausgehenden von
der Unterbringungseinrichtung unabhängigen Prüfung eine Ausnahme zulassen will, wenn
es um einen „akuten Notfall“ geht (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 BvR 882/09
–, BVerfGE 128, 282-322, Rn. 68).
Zu erwägen ist m. E. deshalb, ob generell besondere Regeln für die Zwangsbehandlung
in akuten Notfallsituationen gelten. Solche besonderen Regeln könnten dann - mit allem
Vorbehalt, keineswegs zweifelsfrei und bestenfalls ansatzweise - noch in den §§ 17 und
21 MRVG NRW verankert gesehen werden. Und das gilt auch nur dann, wenn man unter
den Begriff des „akuten Notfalls“ nicht nur gegenwärtige erhebliche Gefahrensituationen,
sondern alle Situationen subsumiert, in denen erhebliche Lebens- und Gesundheitsgefahren - für den einwilligungsunfähigen (!) Untergebrachten selbst und auch für
unmittelbar betroffene Mitpatienten und Mitarbeiter, aufgrund der Anlasskrankheit oder
aufgrund einer interkurrenten, insbesondere somatischen Erkrankung - bestehen.
3. Will man die - in jedem Fall ganz eng auszulegenden - §§ 17, 21 MRVG NRW nicht mehr
als geeignete Eingriffsgrundlage anerkennen, bleibt (nur) der Rückgriff auf den rechtfertigenden („übergesetzlichen“) Notstand gemäß § 34 StGB; Zwangsbehandlungsmaßnahmen sind dann nur zur Abwehr gegenwärtiger, nicht anders abwendbarer Gefahren
und bei wesentlichem Überwiegen des geschützten Interesse zulässig (Folie 137).
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Im Rahmen der Prüfung, ob die konkrete Gefahr nicht durch ein anderes, milderes Mittel
abgewendet werden kann, ist dann übrigens im Einzelnen und auf den konkreten
Patienten und Behandlungsfall bezogen zu prüfen und abzuwägen, mit welcher konkreten
Behandlungsmaßnahme eingegriffen wird (z. B. kurzzeitig sedierende Medikation oder
Depotneuroleptikum etc.) und ob womöglich andere Maßnahmen wie Absonderung oder
Fixierung (die im MRVG NRW allerdings nur als Behandlungsmaßnahme nach § 17
Abs. 3 S. 2 und 3 und nicht als besondere Sicherungsmaßnahme nach § 21 zugelassen
ist!) den Patienten bei gleichem Erfolg voraussichtlich deutlich weniger belasten. Der - in
jedem Fall schwierige - Abwägungs- und Entscheidungsprozess muss sorgfältig dokumentiert werden
4. Das Betreuungsrecht, das inzwischen (wieder) Zwangsbehandlungen zulässt (Folien 40
bis 68) hilft im Maßregelvollzug voraussichtlich nicht weiter, weil die betreuungsrechtliche
Zwangsbehandlung (= Behandlung gegen den natürlichen Willen des einwilligungsunfähigen Betroffenen) nur im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach
§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB zulässig ist und die Oberlandesgerichte darüber streiten, ob eine
solcher „Unterbringung in der Unterbringung“ nach § 63 StGB überhaupt möglich und
zulässig ist (Folien 123 bis 131).
5. Auswege aus der insgesamt schwierigen Situation könnten eine Patientenverfügung
(Folie 70) oder eine mit dem Patienten auf der Grundlage der bereits gemachten
Erfahrungen getroffene Behandlungsvereinbarung darstellen.
Eine Behandlungsvereinbarung sollte zweckmäßig in einem besonderen Dokument
schriftlich getroffen und ggf. an geeigneter (gut auffindbarer und nicht zu übersehender)
Stelle zu den Krankenakten / Patientenakten genommen werden. In der Göttinger
Universitätsklinik wird z. B. das in der Anlage beigefügte (auch auf den Seiten der UMG
Universitätsmedizin Göttingen, dort auf der Seite des Klinischen Ethikkomitees
herunterzuladende) 6-seitige Formular verwendet.
Im Kontext der Zwangsbehandlungsthematik könnte eine Behandlungsvereinbarung
womöglich wesentlich zu mehr Handlungssicherheit beitragen, wenn nach durchgemachter gesundheitlicher Krise mit Zwangsintervention das Geschehen mit dem - nun
wieder selbstbestimmungsfähigen - Patienten aufgearbeitet und auf dieser Grundlage
abgestimmt würde, wie in künftigen vergleichbaren Krisenfällen vorgegangen werden soll.
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Die Dokumentation sollte die durchgemachte Krise und die ergriffenen Maßnahmen
beschreiben. Außerdem sollte sie festhalten, wie der Patient die Maßnahmen erlebt hat
und welches Vorgehen er sich für die Zukunft wünscht. In Betracht kommt, dass der
Patient jegliche oder nur bestimmte Maßnahmen für die Zukunft - verbindlich - ablehnt. In
Betracht kommt aber natürlich auch, dass der Patient Behandlung wünscht. Die
Behandlungsmaßnahmen, mit denen der Patient einverstanden ist und die er sich
wünscht, sollten dann nach Möglichkeit genau beschrieben oder wenigstens in den
Handlungsalternativen, denen er zustimmt, umrissen und auf jeden Fall schriftlich
festgehalten werden (vgl. beispielhaft die in dem beigefügten Göttinger Formular
abgefragten Maßnahmen und Wünsche).
Wegen des immer denkbaren Widerspruchs zwischen den Äußerungen des Patienten im
Zeitpunkt der Behandlungsvereinbarung einerseits und der akuten Behandlungssituation
andererseits sollte - jedenfalls in den kritischen Fällen - auch mit dem Patienten
besprochen werden, wie damit umgegangen werden soll, wenn er in der Akutsituation in
selbstbestimmungs- / einwilligungsunfähigem Zustand und mit natürlichem Willen von der
Behandlungsvereinbarung abweichende Wünsche äußert, z. B. jegliche Behandlung
ablehnt. Ausdrücklich festgehalten werden könnte dann ggf., dass der Patient die
vereinbarte Behandlung auch für den Fall wünscht (bzw. - im umgekehrten Fall - nicht
wünscht), dass er in der akuten gesundheitlichen Krise mit natürlichem Willen eine
Behandlung ablehnt (bzw. einfordert).
Wird eine Behandlungsvereinbarung geschlossen, sollte (aus Beweissicherungsgründen)
in jedem Fall auch dokumentiert werden, ob der Patient im Zeitpunkt der Vereinbarung
selbstbestimmungs- / einwilligungsfähig war und wie dies geprüft und festgestellt worden
ist. Mit der Behandlungsvereinbarung kann nur dann eine - der Patientenverfügung
vergleichbare - verbindliche Regelung für eine zukünftige Behandlungssituation getroffen
werden, wenn der Patient im Zeitpunkt der Vereinbarung selbstbestimmungs- /
einwilligungsfähig ist.
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