Öffentliches Recht I

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Öffentliches Recht: Stunde 5
Einschub: Beispiele zum Umfang des Rechtsschutzes im öffentlichen Recht:
Grundsatz ist, dass nur die Verletzung eigener subjektiver Rechte geltendgemacht werden kann dh dass niemand vor Gericht eine objektivrechtliche Überprüfung erreicht, wenn
er nicht in einem eigenen Recht verletzt ist. Beispiel: Rechte von Parteien oder Bundesländern in Verfahren vor dem BVerfG (s. Art. 93 GG) oder eigene Rechte bei verwaltungsgerichtlichen Klagen (s. § 42 Abs. 2 VwGO). Auch Art. 19 Abs. 4 GG (Rechtsweggarantie) spricht vom eigenen Recht des durch die öffentliche Gewalt Betroffenen. Gegensatzbegriff: Popularklage.
Auswirkungen im Baurecht oder Umweltschutzrecht: Man kann gegen eine Genehmigung, die einem Dritten erteilt wurde (Baugenehmigung, immissionsschutzrechtl.
Genehmigung o.ä.) nur einwenden, dass sie gegen eine Vorschrift verstößt, die einen
selbst schützen oder begünstigen will (sog. nachbarschützende Vorschriften), nicht aber
gegen solche Vorschriften, die (ausschließlich) im öffentlichen Interesse erlassen sind und
Dritte nicht begünstigen wollen. Im Immissionsschutzrecht ist z.B. die Vorschrift, die der
Gefahrenabwehr dient (§ 5 Abs. 1 Ziff. 1 BimSchG), nachbarschützend, nicht aber die, die
die Einhaltung des Standes der Technik vorschreibt (§ 5 Abs. 1 Ziff. 2).
Probleme der Normenhierarchie:
Sonderproblem: Rechtsvorschriften geraten in Konflikt miteinander:
Bei Kollisionen von Rechtsvorschriften:
Frage eins: Wie ist die Kollision zu lösen?
Frage zwei: Wer darf entscheiden (dh im Ernstfall eine Norm nicht anwenden?)
Kollision auf gleicher Ebene: Es entscheidet das jeweils angerufene Gericht.
Grundsätze dabei:
neuere Norm geht älterer vor.
speziellere Norm geht allgemeiner vor.
Auslegungssache!
Beispiele: Art. 66 als lex specialis zu Art. 12 betr. Berufsausübung bei Politikern.
Bei dieser Gelegenheit: Ein Gesetz, das ein Grundrecht einschränkt, muss
dieses Grundrecht nennen (so. Zitiergebot, Art. 19 I S. 2)!
Oder: Wie verhält sich eigentlich Art. 6 Abs. 4 zu Art. 3 Abs. 2 und 3?
Kollisionen auf verschiedenen Ebenen: Die ranghöhere Vorschrift gilt. Bei Konflikten eines
Gesetzes mit dem GG entscheidet das Bundesverfassungsgericht, wenn ein anderes Gericht ein Gesetz für grundgesetzwidrig hält und ihm den Fall vorlegt (Art. 100 GG), aber
auch Bundesregierung oder Landesregierungen und ein Drittel des Bundestags können
ein Verfahren anhängig machen (Art. 93 I Nr. 2 GG).
Über die Vereinbarkeit von Verordnungen und Satzungen mit höherrangigem Recht dürfen anhand ihrer konkreten Fälle auch jeweils die unteren Gerichte entscheiden (sog.
konkrete Normenkontrolle anhand eines anhängigen konkreten Falles), und es gibt auch
die generelle Überprüfung vor dem Oberverwaltungsgericht (s. § 47 VwGO; sog. abstrakte
Normenkontrolle).
Beispiele für Verstöße von Rechtsvorschriften gegen höherrangiges Recht:
Grundgesetz und Art. 79 III
s. Wortlaut des Art. 23 zur Europ.Einigung mit besonderen Strukturvorgaben, die
ihrerseits die Einhaltung der Grundsätze des Art. 79 III sicherstellen; kein „Freibrief“ für
Übertragung von Hoheitsrechten! Grundlegend dazu die sog. Maastrichtentscheidung des
BVerfG, die inhaltliche Anforderungen an die künftigen Europäischen Strukturen stellt
(Stichwort: Demokratiedefizit bei europ.Normen).
Bundesgesetz gegen Grundgesetz:
1. Fall zu § 21 Abs. 1 AuslG: Aufenthaltserlaubnis für in BRD geborenes Kind eines
ausländischen Vaters mit entspr. eigener Aufenthaltserlaubnis?
Ist der Gesetzeswortlaut („Mutter“) auslegungsfähig? (Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung dh jedes Gesetz ist möglichst so auszulegen, dass es mit dem GG
übereinstimmt) Der Wortlaut ist - wenn er nun mal eindeutig ist - insofern aber eine Grenze.
Widerspricht das Gesetz also Art. 3 Abs. 2 und 3 (Gleichberechtigung, Geschlechterdiskriminierung?)
Wie geht es weiter? Das Gericht müsste den Fall dem BVerfG vorlegen, wenn es
zu dem Ergebnis kommt, dass das Gesetz verfassungswidrig ist, und wenn es für die Entscheidung des Falles auf diese Frage ankommt: Art. 100 Abs. 1 GG.
Dann tritt ein (allerdings nur diesen einen Fall betreffender) Schwebezustand ein; andere
Gerichte können (wenn sie anderer Auffassung sind) das Gesetz weiter anwenden. Oft
wird aber zur Vermeidung von späteren Problemen (wenn das Gesetz wirklich für nichtig
erklärt wird) der Gesetzesvollzug ausgesetzt: s. etwa: Rückmeldegebührproblematik.
2. Partnerschaftsgesetz („Homo-Ehe“): Liegt eine Verstoß gegen die Pflicht des
Staates zum Schutz und zur Förderung der Ehe (Art. 6 I GG) vor? BVerfG im Verfahren
des einstweiligen Rechtsschutzes: Die neuen gesetzl. Gleichstellungsregeln sollen einstweilen in Kraft treten. Endgültige Entscheidung Juli 2002: Es liegt kein Verstoß vor (Im
Internet unter Bundesverfasungsgericht.de abrufbar).
3. Zuwanderungsgesetz: Liegt ein (Verfahrens-)Verstoß gegen Art. 51 III 2 GG vor
wegen uneinheitl. Stimmabgabe im Bundesrat? Folge wäre: Nichtigkeit. Verfahren hängt
beim BVerfG, aber kein Verfahren auf einstweilige Anordnung.
Landesgesetz gegen Grundgesetz:
Wenn es an der entsprechenden Gesetzgebungskompetenz des Landes fehlt oder wenn
ein inhaltlicher Verstoß gegen grundgesetzliche Vorschriften vorliegt. Auch dann: Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG.
Beispiel für Kompetenzproblematik: Neue Landesrechtliche Regelung in BadenWürttemberg für die Unterbringung von Straftätern nach Strafverbüßung (wenn im Strafurteil keine Sicherungsverwahrung angeordnet worden war): Konflikt mit Art. 74 Abs. 1 Ziff.
1 (konkurrierende Gesetzgebung des Bundes im „Strafrecht und Strafvollzug“).
Oder inhaltliche Rechtswidrigkeit von Landesrecht: Art. 21 Hessische Verfassung
lässt die Todesstrafe zu (gegen Art. 102 GG)
Landesgesetz gegen Bundesgesetz
Erläßt ein Land im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 GG) ein Gesetz,
wo der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht noch keinen Gebrauch gemacht hat (s. Art.
72!), dann ist das Gesetz gültig; erläßt der Bund aber eine eigene Regelung, dann gilt Art.
31 GG: Bundesrecht bricht Landesrecht.
Das Gleiche gilt bei sonstigen Widersprüchen zwischen Bundes- und Landesrecht.
Nebenbei bei der Gelegenheit: Was gilt eigentlich, wenn ein Bundesland beim Bundesverfassungsgericht gegen ein Gesetz vorgeht (Beispiel sog. Homo-Ehe): Kann das Gesetz
nun am ersten August in Kraft treten oder nicht?
Das Inkrafttreten des Gesetzes kann u.U. durch eine sog. einstweilige Anordnung
(des BVerfG) verhindert werden. Das BVerfG prüft in diesem nur vorläufigen Verfahren
noch nicht, wie es in der Hauptsache wohl ausgehen wird (keine Erfolgsprognose!), sondern vergleicht zwei Zustände miteinender:
Was ist schlimmer:
Jetzt das Gesetz einstweilen außer Vollzug zu setzen und später zu merken, dass
das Gesetz in Ordnung ist,
oder:
Jetzt das Gesetz in Kraft treten lassen (mit all seinen Wirkungen) und später im
Hauptsacheverfahren zu entscheiden, dass es verfassungswidrig ist?
Je nach dem Ergebnis dieser Abwägung wird über die Einstweilige Anordnung entschieden. Konkret: Beim PartnerschaftsG wurde eine einstweilige Anordnung vom BVerfG abgelehnt.
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