1.1 Ethische Strukturen und Leitbilder innerhalb aktueller Gesellschaftstheorien 1.1.1 Einleitende Gedanken Gesellschaftliche Bedingungen beeinflussen das Verhalten der Menschen. Religiös definierte und legitimierte Gesellschaften haben z. B. ein besonderes Arbeitsethos hervorgebracht, wie Max Weber in seinen religionssoziologischen Schriften herausgearbeitet hat.1 Darüber hinaus enthielt die religiöse Ethik Handlungsorientierungen für die einzelnen Individuen. Die Sinnkategorien religiöser Lehre bildeten für den Einzelnen die Zukunftserwartungen ab, die Auseinandersetzung mit der Theodizeefrage schließlich bedeutete die Auseinandersetzung mit dem unvermeidlichen Leid des Menschen, die Eschatologie verknüpfte die Endzeithoffnung mit der individuellen Auseinandersetzung mit dem Tod. Religiös definierte und legitimierte Gesellschaften hielten für den Einzelnen Menschen also wichtige Orientierungen und psychologische Stützen bereit, die ihm im Laufe des individuellen Lebens Sicherheit und Halt geben konnten. Auch individuelle Brüche konnten durch die vielfältigen Sinnangebote überwunden werden. Allgemeingültige ethische Werte und Handlungskonzepte gaben individuelle Sicherheit in einem eher homogenen Gesellschaftsverband, der durch die Erfahrung der Gemeinschaft zusätzliche Sicherheit geben konnte.2 Der säkulare Konsens, der mit der Herausbildung rationaler Weltbilder durch die Wissenschaft entstand, sowie materialistische Ideologien haben zu einem Verlust religiöser Deutungsmuster geführt.3 Was aber wurde und wird mit den notwendigen ethischen Handlungsorientierungen, den Sinnangeboten, der Theodizeefrage, der Gemeinschaftserfahrung in einer Gesellschaft, die sich säkular definiert? Welche Sinnangebote und Handlungskonzepte halten moderne Gesellschaften für ihre Individuen bereit? Wie wirken diese gesellschaftlichen Wirklichkeiten auf die Unternehmen und die in ihnen agierenden Menschen? Ergeben sich aus den modernen Gesellschaften für die Individuen irgendwelche ethischen Orientierungen, die das Handeln beeinflussen? Um auf diese Fragen, die im Zusammenhang mit der Themenstellung wesentliche Bedeutung haben, eine Antwort zu finden, soll im Folgenden ein gestraffter Überblick über den derzeitigen Stand gesellschaftstheoretischer Forschung gegeben werden. 1 2 3 Vgl. Weber 1978. Vgl. Weber 1978, passim. Einen ausführlichen Zusammenhang stellt Kapitel 3: „Führungsethik im Säkularismus“ her. 1.1.2 In welcher Gesellschaft leben wir? Gesellschaften sind kein monolithischer Block. Man kann sie nicht mit einem Begriff überschreiben und glauben, damit ihre Gesamtheit erfasst zu haben. Der Gesellschaftsbegriff ist zudem ein an Nationalstaaten gebundener Ausdruck, der z. B. unter Globalisierungsbedingungen eine veränderte Bedeutung erfährt oder dessen Relevanz unter diesen Bedingungen überhaupt neu zu klären wäre. Es ist deswegen sinnvoller, selektiv Aspekte der Gesellschaft herauszugreifen. Die einzelnen Akteure, insbesondere korporative Akteure wie Parteien, Unternehmen, Gewerkschaften usw. verfügen über spezielle Ressourcen und sind dadurch in der Lage, voneinander grundverschiedene Interessen zu entwickeln und eigenen Zielen nachzugehen. Resultat dieser Selbständigkeit ist ein unüberschaubare Verflechtung von Handlungen, die keinen klar bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgen und sich zentral steuern lassen. Dieser Zusammenhang lässt bereits erkennen, dass die gesellschaftlichen Akteure sich einerseits durch ihre Wert- und Handlungsziele abgrenzen, andererseits aber auch aufgrund wechselseitiger Abhängigkeiten aufeinander angewiesen sind. In dem Wechselspiel grundverschiedener Interessen von Unternehmern bzw. deren Führungskräften und Mitarbeitern in betrieblichen Situationen deutet sich ein besonderes Spannungsfeld an, das m. E. über eine Darstellung und Kritik der ökonomischen Strukturen einer Gesellschaft zu klären wäre. Weitere selektive Zusammenhänge mit o. g. Leitthema dieses Kapitels ergeben sich aus der technischen Entwicklung (Medien und Informationsgesellschaft), dem säkularen Konsens, der die Individualisierung der Lebenswelten befördert (die Risikogesellschaft, die flexible Gesellschaft, die Verantwortungsgesellschaft, die Multioptionsgesellschaft), der sozialen Entwicklung der Gesellschaft (die Arbeitsgesellschaft, die moderne Gesellschaft, die gespaltene Gesellschaft). Überlagert werden viele der verschiedenen Gesellschaftsmodelle von den ökonomischen Strukturen, die wesentlich die verschiedenen Ansätze bedingen. Besonders die Option, Gesellschaft anhand ihrer sozialen Anpassungsleistung zu erklären, lässt es sinnvoll erscheinen, die Auswirkungen des herrschenden Kapitalismus auf die Menschen, auf ethische Leitbilder und ethische Konzepte zu hinterfragen. Damit wäre die thematische Spannbreite dieses Kapitels umrissen. Gemäß dem vorgegebenen Leitthema, den Implikationen moderner Gesellschaftstheorien mit ethischen Konzepten sind folgende Themenbereiche von besonderer Relevanz: 1. der Einfluss der Medien und der Informationstechnologien auf ethische Grundfragen (Globalisierung), 2. die Individualisierung unter ethischen Gesichtspunkten, 3. die soziale Entwicklung der Gesellschaft und ihre ethischen Implikationen, 4. die ökonomischen Strukturen sowie die Entwicklung des Kapitalismus und die sich daraus ergebenden ethischen Implikationen. 1.1.2.1 Der Einfluss der Medien und der Informationstechnologien auf ethische Grundfragen (Globalisierung) Das globale Zeitalter zeichnet sich nach Albrow (1998) im Wesentlichen durch fünf Faktoren aus, die jeweils auf spezifische Weise zur radikalen Umgestaltung menschlichen Lebens und Handelns beigetragen haben: Neben der Umweltproblematik und der atomaren Bedrohung, die in diesem thematischen Zusammenhang vernachlässigt werden können, sieht er die durch globale Vernetzung ermöglichten neuen Kommunikationswege, welche zeitliche und räumliche Grenzen überwinden, die weltweiten Handelsbeziehungen und schließlich das Bewusstsein, angesichts grenzübergreifender sozialer Interaktionen in einer globalen Gesellschaft zu leben, die Bedingungen und formgebenden Aspekte des menschlichen Zusammenlebens. Diese neuen Formen sozialer und wirtschaftlicher Kontakte führen zur Relativierung alter Gruppenzugehörigkeiten und ermutigen zu neuen Formen der Identität, die über den nationalen Kontext hinausreichen und sich im Globalismus entfalten mit entsprechenden Imperativen für das Verhalten. „Was auch immer du tust, tue es unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der gesamten Welt“.4 In diesem Imperativ bildet sich auch die ‚Weltgesellschaft’ heraus, unter der die Summe aller sozialen Beziehungen zu verstehen ist, die jetzt einen globalen Bezugsrahmen haben. Die ethischen Implikationen eines solchen Handlungsansatzes liegen sicherlich in der Festlegung der Bedürfnisse, die sehr divergieren können. Dazu gibt es zu viele verschiedene gesellschaftliche Grundbedingungen im globalen Kontext, wie sie sich z. B. in der Beziehung der Wirtschaftsnationen zu den Entwicklungsländern ausdrücken können. Das in diesem Zusammenspiel angedeutete soziale Konfliktpotenzial ist nach Albrow nur durch ein verändertes Verständnis möglich. Gesellschaft sollte nicht mehr als Summe des sozialen Lebens, der Kultur, Ökonomie und Politik wahrgenommen werden. Eines der Anzeichen der Globalisierung ist gerade die Trennung dieser Bereiche, weil jeder einzelne Bereich seine eigene Logik hat. Sie haben aber nichts mehr mit dem Sozialen zu tun.5 „Eine der größten Tragödien der Modernen war der Irrtum, dass Gesellschaft und Menschlichkeit ein und dasselbe sind und dass, wenn man die perfekte Gesellschaft schafft, der perfekte Mensch das Resultat ist.6 4 5 6 Albrow 1999, S. 32. Vgl. Albrow 1999, S. 45. Vgl. Albrow 1999, S. 45. Innerhalb der so verstandenen Globalisierungsbedingungen gibt es also kein übergreifendes Element des Sozialen, weder in materieller noch in humanistischer Hinsicht. Das Individuum bleibt sich selbst überlassen, sowohl in einem offenen Kosmos von möglichen virtuellen Beziehungen und Informationen als auch in einem Kosmos undefinierter Sozialität. Es ist zumindest fraglich, ob sich unter diesen Bedingungen ein verbindliches ethisches Konzept in der Weltgesellschaft oder in Unternehmen durchsetzen kann. Die Voraussetzung der ‚modernen Gesellschaft’ ist, nach Giddens,7 die beschleunigte Geschwindigkeit und die größere Reichweite des Wandels, in deren Folge sich die modernen Organisationen über die ganze Welt ausgebreitet haben: Globalisierung als Folge. Für den Einzelnen ergeben sich dadurch große Veränderungen: Durch die Informationstechnologie ist er in seinen sozialen Kontakten nicht mehr an eine gemeinsame räumliche und zeitliche Bedingungen gebunden; zweitens ist er durch diese Technologie aus dem örtlichen Zusammenhang herausgehoben; drittens tritt an die Stelle von unreflektierten Traditionen, die den Zusammenhalt vormoderner Gesellschaften gewährleisteten, die reflexive Aneignung von Wissen.8 Der Einzelne ist dazu aufgerufen, seine sozialen Beziehungen immer wieder neu zu ordnen und sein Leben auf sich ständig verändernde Situationen umzustellen. Angesichts des immer größeren Angebotes von Informationen, Konsumgütern und Dienstleistungen sind die Menschen angehalten, die steigenden Erkenntnisse in experimenteller Art und Weise in den Alltag zu integrieren. Sie müssen aktiv Entscheidungen darüber treffen, was sie tun und warum sie es tun. Unter diesen Globalisierungsbedingungen ist das Leben nicht mehr durch die Natur und traditionelle Bezugspunkte bestimmt. Die natürliche Lebenswelt wird immer weiter umgestaltet, ihres Wesens beraubt und dem Willen des Menschen unterworfen.9 Individuen sind somit Gefangene einer Welt von Ereignissen, die sie nicht umfassend verstehen und die sich weitgehend ihrer Kontrolle entzieht. Menschen können nicht mehr auf eine natürliche Umwelt und traditionelle Verhaltensmuster zurückgreifen, da sie diese unwiderruflich nach den Kriterien der Moderne umgeformt haben. Menschen sind Unsicherheiten, für die sie selbst verantwortlich sind, schutzlos ausgeliefert. Letztlich sind Individuen auf sich selbst geworfen, Sinn und Stabilität des Lebens müssen sie selbst suchen.10 Auch dieser Gesellschaftsentwurf hält keine soziale Sicherheit und keine ethischen Handlungsmuster bzw. Orientierungshilfen für seine Mitglieder bereit. Aber er verdeutlicht den freien Willen und einen Kosmos von Möglichkeiten in einer offen 7 8 9 10 Vgl. Giddens 1995, Giddens 1998. Vgl. Giddens 2000, S. 57. Vgl. Giddens 2000, S. 57. Vgl. Giddens 2000, S. 58. zu gestaltenden Zukunft. In dieser Grundvoraussetzung erscheint es möglich und sinnvoll, den potenziell verunsicherten Individuen Hilfestellung an die Hand zu geben. Diese Hilfestellung könnte sich z. B. in einem ethischen Konzept für Unternehmen – für Manager und Geführte – verwirklichen. Und noch eins scheint der Prozess der Globalisierung zu beinhalten: Die Freiheit des Individuums – die Individualität zum Prinzip erhebt – bedeutet in einer positiven Ausprägung auch den Verzicht auf politische Führer, auf ‚Wirtschaftsbosse’ oder sonst jemanden, der den Anspruch auf Führerschaft erhebt. Entscheidend scheint bei diesem Prozess das Wirken der einzelnen Individuen zu sein, die sich in einem freien Entscheidungsprozess auf die Zukunft einigen. Hier sehe ich auch eine deutliche Nähe zu der Praxisrelevanz des oben näher beschriebenen diskursethischen Ansatzes. Gerade dieses Wirken der Individuen wird nach Neil Postman (1992) ganz wesentlich von dem Einfluss der Medien geprägt und geleitet. Für ihn haben die Medien – im Besonderen das Fernsehen – buchstäblich alles in Unterhaltung verwandelt. Es gibt daher keinen Unterschied mehr zwischen Showbusiness und Politik. Parlamentarier werden zu Schauspielern und Wahlkampagnen unterliegen den Gesetzen der Werbespots. Personen, nicht Programme bestimmen die Politik.11 Diese Entwicklung kann unmittelbare Auswirkung auf den demokratischen Prozess der Gesellschaft haben, weil ohne ernsthafte Auseinandersetzung mit politischen Programmen und ökonomischer Entwicklung keine Demokratie möglich ist. Demokratie ist auf den öffentlichen Diskurs angewiesen, auf den Prozess der Meinungsbildung, der ständigen Auseinandersetzung und Diskussion von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Themen.12 Postman liefert damit ein weiteres Argument für das ethische Konzept von Unternehmen: Der dort inhärente Meinungsbildungsprozess trägt zur Entwicklung des demokratischen Prozesses bei. Den Aspekt der Globalisierung unter wirtschaftlichen Erwägungen heben u. a. Mayntz13 und Sennett14 heraus. Beide Autoren ziehen einen Zusammenhang zwischen der Globalisierung der Finanzmärkte, Steuer- und Wirtschaftspolitik und den möglichen Steuermechanismen sowie der Erwerbslosenquote in den Nationalstaaten.15 Diese Aspekte betonen besonders den Anpassungsdruck, dem sich die einzelnen Individuen ausgesetzt sehen. Um nicht in der globalen Gesellschaft arbeitslos zu 11 12 13 14 15 Vgl. Postman 1992, S. 262. Vgl. Postmann 1992, S. 262. Vgl. Mayntz 1997. Vgl. Sennett 1998. Mayntz 2000, S. 230 f.; Sennett 2000, S. 289 ff. werden, werden sich zunehmend Betroffene auf niedrige Löhne, aber auch auf eine lebenslange Aus- und Weiterbildung einzurichten haben. Auch diese Aspekte haben Bedeutung für das ethisches Konzept eines Unternehmens: Die Forderung nach lebenslangem Lernen entspricht der Entwicklung des Humankapitals unter humanistischen Gesichtspunkten und die Auswirkung der globalen Lohnpolitik, die zu einem Lohndumping führen könnte, eröffnet den Aspekt der Solidarität unter den Menschen neu, der auch innerhalb des ethischen Konzeptes zu diskutieren und zu integrieren ist. Letztlich hängt der ökonomische und arbeitsmarktpolitische Aspekt der Globalisierung jedoch mit der Entwicklung der kapitalistischen Strukturen zusammen, die deswegen gesondert und besonders in diesem Themenzusammenhang zu diskutieren sind. Die globale Gesellschaft ist zusammenfassend dadurch gekennzeichnet, dass sie über kein Zentrum mehr verfügt, um das herum sich Ereignisse sammeln und ordnen lassen. Ich folge hier den Auffassungen Sennetts, der die Auffassung vertritt, daß Menschen sich zunehmend weniger über ein Glaubenssystem oder eine Ideologie definieren und leiten lassen.16 Das Zeitalter, in dem Politik das Zentrum des Staates und die Familie das Fundament der Gesellschaft waren, sind in der globalen Gesellschaft Vergangenheit. Das hat zur Folge, dass der Einzelne eine aktivere Haltung gegenüber seiner Umwelt einnehmen kann und sollte. Es ist eine Aufforderung, sein Leben eigenverantwortlicher zu gestalten. Ökonomisch gesehen, wird der Einzelne zum Unternehmen seiner eigenen Arbeitskraft, seiner Ideen und Potenziale. Diese Entwicklung birgt die dargestellten positiven und negativen Seiten. Die positiven Seiten liegen zweifellos in dem größeren Handlungsspielraum der Menschen, die ihr Leben wesentlich selbstbestimmter gestalten können. Mit der Freisetzung aus den traditionellen Lebenszusammenhängen sind die Anforderungen an die Lebensorganisation des Einzelnen auch gestiegen. Dieses Mehr an Anforderungen könnte sich für Einzelne als Überforderung erweisen. Der Mangel an Vorgaben, an Handlungsorientierungen und gesicherten Werten kann eine Verunsicherung der Individuen bedeuten mit ganz offensichtlich negativen Möglichkeiten für den Lebensvollzug. In dieser letzten Möglichkeit liegt auch die Bedeutung von ethischen Konzepten in Unternehmen: nämlich dem Mangel der Globalisierungsgesellschaft durch die Entwicklung von Sinn, Werten und Handlungsbezügen entgegenzutreten. Und zwar nicht als Gegenpart der Globalisierung, sondern als Gestalter. 16 Vgl. Sennett 2000, passim. 1.1.2.2 Die Individualisierung unter ethischen Gesichtspunkten Die Individualisierung als Folge der Säkularisierung wird von vielen Gesellschaftstheoretikern und -kritikern thematisiert.17 Ulrich Beck hat in diesem Zusammenhang den Begriff der „Risikogesellschaft“18 geprägt, der für ihn zu einem Chiffre für das Entstehen und Anwachsen zivilisatorischer Selbstgefährdungspotenziale wurde. Seine These bestätigten sich durch das Menetekel von Tschernobyl im selben Jahr, das die Gefahren durch hoch entwickelte Technologien drastisch vor Augen führte. Nationen- und Schichtzugehörigkeit, Klassenlage, Berufsstand, Geschlecht oder Alter spielten angesichts der unkalkulierbaren Folgen der Nuklear-, Chemie- oder Gentechnologie, der unabsehbaren Konjunkturschwankungen und selbst geschaffenen Selbstvernichtungsmöglichkeiten nur eine untergeordnete Rolle.19 Die Risikogesellschaft wird für Beck reflexiv, indem sie sich selbst als Problem erkennt, Konventionen überprüft und vorherrschende Denkstrukturen, Handlungsweisen und Traditionen hinterfragt. Bei diesem Prozess kommt dem öffentlichen Bewusstsein eine erhebliche Bedeutung zu: etwa durch das Entstehen neuer sozialer Bewegungen, die sich für die Auseinandersetzung und Bekämpfung der dargestellten Risiken stark machen.20 Der Beweggrund bzw. die bindende Kraft dieser auf Solidarität abzielenden Bewegungen ist die Angst, aus der schließlich eine politische Kraft wird.21 In dieser Risikogesellschaft bestimmt das Bewusstsein über potenzielle Gefahren (z. B. atomare Bedrohung) das Sein. Bei dieser Entwicklung des Risikobewusstseins kommt nach Beck der Überlebensfähigkeit der Natur große Bedeutung zu. Deswegen sollten Konzepte erarbeitet werden, die Ressourcen schonender zu behandeln, soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten abzubauen, Technik zu entwickeln, die Forschung an ethischen Grundsätzen auszurichten und die irreversible Zerstörung der Lebensgrundlagen aufzuhalten.22 Globale Gefahren sind für Beck die eine Seite der Medaille. Er sieht das Phänomen der Individualisierung immer deutlicher hervortreten. Individualisierung manifestiert sich für Beck innerhalb des Wandels von der Industrie- zur Risikogesellschaft dadurch, dass das Individuum aus den vormals traditionell festgeschriebenen 17 18 19 20 21 22 Vgl. Beck 1986, 1988, 1993, 1997; Bell 1976; Berger 1973, 1977, 1980; Gross 1983, 1994, 1999; Heitmeyer 1997; Schulze 1992; Welsch 1987, 1988; Etzioni 1997; Giddens 1990; Hradil 1995, 1999; Inglehart 1998; Sennett 1998. Beck 1986. Vgl. Beck 1999, S. 51. Vgl. Beck 1999, S. 52. Vgl. Beck 1999, S. 57. Vgl. Beck 1999, S. 52. Lebenszusammenhängen freigesetzt wird und sich ungeahnten Freiheits- und Entwicklungsmöglichkeiten eigenverantwortlicher Lebensgestaltung gegenübersieht. Wurden die Probleme des Individuums in der traditionellen Gesellschaft noch vom Familienverband gelöst, ist das Individuum nun verstärkt auf sich allein gestellt. Entscheidungen zum Thema Wohnort, Beruf, Arbeitsplatz, Familie oder Freizeit hat jeder selbst zu fällen. Viele sind – nach Beck – den Anforderungen der individuellen Lebensgestaltung nicht gewachsen und finden sich in den unübersichtlichen Erfahrungszusammenhängen der Risikogesellschaft nicht zurecht. Becks Thesen laufen darauf hinaus, dass die neuen Unsicherheiten und Risiken, die potenziell alle betreffen, uns zur Risikogesellschaft zusammenschweißen, den Lauf der Welt auch über das 20. Jahrhundert hinaus bestimmen werden.23 Beck sieht sich in einer begriffslosen Gesellschaft, deren Schlüsselbegriffe neu ausgelotet werden müssen. „Ich glaube also immer noch, daß der Begriff der Weltrisikogesellschaft ein Schlüssel zu mehr Verständnis sein kann. Spuren sind Individualisierung, Globalisierung, abnehmende Erwerbsarbeit und reflexive Modernisierung“24. Die entscheidendsten Probleme der Zukunft sieht Beck in der Lösung ökologischer Krisen und in der notwendigen Implementierung kollektiv bindender Entscheidungen.25 Um dies zu erreichen, wird es darum gehen, eine verantwortliche Moderne zu schaffen, und dabei um die Frage „Wie können wir die Niemandsherrschaft überwinden, die organisierte Unverantwortlichkeit?“26 Zur Verantwortung gezogen werden sollen auch das Management und die Manager eines Unternehmens, z. B. in Bezug auf Produktionsmethoden und Produkte. Risiken wirken auf die Verantwortlichen wie ein Imperativ. Die Entwicklung der Gesellschaft läuft nach Beck auf eine Radikalisierung der Ungleichheit hinaus, die sich nicht in Klassen, sondern eher in Gruppen differenziert: Da sind die Globalisierungsgewinner, mit extremen Profitmöglichkeiten. Dann gibt es die Leistungselite, die den Globalisierungsgewinnern zuarbeitet, jedoch zwischen Beschäftigung und Unterbeschäftigung wechselt, aber noch relativ gut zurechtkommt. Schließlich gibt es noch die Gruppe derjenigen, die nicht mehr gebraucht werden. Es ist absehbar, dass Arbeitsplätze für Unqualifizierte wegfallen, wegrationalisiert werden oder in andere Länder exportiert werden: So stehen 23 24 25 26 Vgl. Beck 1999, S. 52, dazu auch Knorr-Cetina 1991, S. 160; Hradil 2000, S. 122 f.; Schulze 1999, S. 225. Beck 1999, S. 53. Vgl. Beck 1999, S. 56. Beck 1999, S. 59. erhebliche Einbrüche in der Sozialstruktur bevor. Die Phänomene sind nach Beck im Lichte der Individualisierung zu sehen, die Selbstzuschreibung verbindlich macht.27 Die nüchterne Wahrheit lautet, dass ein großer Teil der Bevölkerung aus ihrem Arbeitsverhältnis herausfällt. Besonders diejenigen wird es treffen, die dem Druck der ‚Turbogesellschaft’ nicht gewachsen sind. Nach Beck laufen wir in einen Kapitalismus ohne Arbeit. Die in den USA und Großbritannien praktizierten Formen der Unterbeschäftigung verdecken das Problem: Ein Arbeiter hat zwar drei Jobs, kann aber seine Familie nicht ernähren.28 Hier ist die Gesellschaft gefragt, alternative Erwerbsarbeit anzubieten, die Beck mit dem Begriff der ‚Bürgerarbeit’ zur Diskussion stellt. Beck geht es dabei um eine alternative Ausformulierung der Arbeit, die ganz mit dem bestehenden Paradigma bricht. „Man sollte sich in Erinnerung rufen, dass die Erwerbsarbeit ein Zwang ist, der die Tradition der Sklavenarbeit hat. Auch Karl Marx hat die Arbeit nicht nur als Menschwerdung gesehen, sondern auch als ein aufgefülltes Nichts. Eine Gesellschaft ohne den Zwang zur Erwerbsarbeit würde Freiheit ein Stück weiter definieren. Den ersten Schritt müssten die Betriebe gehen. Sie sollen nicht nur eine wirtschaftliche Rolle spielen, sondern sich als gesellschaftliche und politische Akteure in die Verantwortung stellen. Das bedeutet, dass sie Menschen Beschäftigungsverträge bieten, die diesen eine größere Arbeitssouveränität einräumen.“29 Gerade die Idee der Bürgerarbeit ist von anderen Gesellschaftstheoretiker kritisiert worden. Zunächst erkennt Offe in der Bürgerarbeit eine Alternative zur Erwerbsarbeit im Sinne sozialer Anerkennung und Solidarität. Dann jedoch sieht er auch die Notwendigkeit materieller Entlohnung, die von Beck nicht definiert sei.30 „Wie können wir den Risiken, die diese Gesellschaft bereithält, den Risiken der Krankheit, des Alters und von Unfällen begegnen?“31 Die Diskussion um die Bürgerarbeit wird auch unter dem Motto ‚Alter Wein in neuen Schläuchen’ gesehen. Die ‚neue’ Idee lässt sich seit einem Jahrhundert in einschlägigen Schriften nachlesen. Schon nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Diskussion über freiwillige und obligatorische Sozialarbeit – heute Bürgerarbeit genannt – geführt.32 Es erscheint Gross ziemlich blauäugig, darauf zu hoffen, dass neue Freizeiten für karitative oder ökologische Aufgaben genutzt werden, und es ist nach Gross ziemlich sinnlos, darauf zu bauen, das die freigesetzten Männer mit ihren Kindern und Frauen neue Arten von Gemeinschaftsspielen pflegen oder karitativ im Schoße der Kirchen tätig werden.33 Beobachtung müsste ehrlicherweise immer auch 27 28 29 30 31 32 33 Vgl. Beck 1999, S. 61. Vgl. Beck 1999, S. 62. Beck 1999, S. 63. Vgl. Offe 1999, S. 215. Offe 1999, S. 215. Vgl. Gross 1999, S. 121. Vgl. Gross 1999, S. 122. Selbstbeobachtung sein. Insofern wäre es nützlich, einmal eine empirische Untersuchung darüber anzustellen, wer von jenen, die andauernd die kompensatorische Semantik pflegen, selber überhaupt entsprechend agiert.34 Honneth35 erkennt in der Vorstellung der Bürgerarbeit einen unzulässigen Optimismus von Beck, weil er die notwendige Verankerung in der sozialen Identität und die Definition eines sozialen Status, der sich mit der Bürgerarbeit verbinden muss, außer Acht lässt. Sennett36 hält es für eine völlige Illusion zu glauben, viele Menschen an dem flexiblen ökonomischen System teilhaben zu lassen. Die Logik des Systems selbst spricht dagegen. Es muss ein ganz anderer Weg der Arbeit gefunden werden.37 Beck geht es in der Risikogesellschaft um eine fragwürdige Individualisierung, die ein Reflex auf die Entwicklung ökonomischer Strukturen ist. Letztlich erzeugt diese Situation Angst, die als Triebfeder solidarischen Handelns genutzt werden könnte. Die veränderten ökonomischen Strukturen der Weltgesellschaft führen aber auch zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen. Damit stellt sich das Problem der Erwerbsarbeit neu. Die Gemeinschaft muss deswegen Alternativen bereithalten, etwa die Bürgerarbeit. Die Fragen der Risikogesellschaft können innerhalb eines ethischen Konzeptes thematisiert werden, indem sie die angstbesetzten Anteile, die in Unternehmen entstehen können, aufnimmt – vielleicht sogar durch die Auseinandersetzung mit der Verteilung der Arbeit insgesamt, um das Problem der Erwerbslosigkeit zu minimieren. Neben diesen gravierenden Änderungen innerhalb der Erwerbsarbeit wird sich auch das Freizeitverhalten –nach Meinung einiger Sozialwissenschaftler- ändern. Für Gerhard Schulze (1992) beispielsweise hat die Suche nach Glück die Sorge um das materielle Überleben abgelöst und eine zentrale Handlungsanweisung zum Ausdruck gebracht: „Erlebe dein Leben“.38 In die Lage versetzt, über Lebenslauf und Lebensstil frei zu entscheiden, geht es – so Beck – für die Mehrheit der Menschen nicht mehr um die Bewältigung äußerer Lebensumstände, sondern um die Befriedigung des inneren Lebensgefühls. Deswegen werden Kaufentscheidungen von diesem Teil der Bevölkerung auch nicht nach der Maxime der Notwendigkeit getroffen, sondern nach den Kriterien wie Erlebnis, Komfort oder Geschmack. Durch diese Tendenz zur ‚Ästhetisierung des Alltagslebens’ kann ein Erlebnismarkt entstehen, auf dem jeder Einzelne seinen persönlichen ästhetischen Stil entwickeln kann. 34 35 36 37 38 Vgl. Gross 1999, S. 122. Vgl. Honneth 2000, S. 99. Vgl. Sennett 2000, S. 289. Vgl. Sennett 2000, S. 289 und passim. Schulze 1999, S. 223. Mit den Daten einer repräsentativen Untersuchung von 1.014 Personen in Nürnberg stützte Schulze seine These, dass der Mensch trotz fortschreitender Individualisierung nicht in der Lage ist, unabhängig von anderen zu bestehen: Er orientiert sich vielmehr an denjenigen, die ähnliche Auffassungen vom ästhetischen Stil haben und einem vergleichbaren Milieu angehören.39 Schulze unterscheidet fünf soziale Milieus: 1. „Niveaumilieu“ (hoher Bildungsgrad, Karriereorientierung, materieller Reichtum, über 40 Jahre); 2. „Integrationsmilieu“ (mittlerer Bildungsgrad, Anpassungsbereitschaft, über 40 Jahre); 3. „Harmoniemilieu“ (geringer Bildungsstand, konfliktscheu, über 40 Jahre alt); 4. „Selbstverwirklichungsmilieu“ (höherer Bildungsgrad, Narzissmus und Experimentierfreudigkeit in der Lebensgestaltung, unter 40 Jahre); 5. „Unterhaltungsmilieu“ (geringer Bildungsgrad, auf der permanenten Suche nach aktions- und spannungsgeladenen Situationen, unter 40 Jahre).40 Schulze will zeigen, dass trotz der weiter fortschreitenden Individualisierung und Atomisierung ehemals kollektiver Lebensformen weiterhin soziale Gruppen existieren. Diese Gruppen entstehen durch eine neue Form der Vergesellschaftung durch Erlebnisrationalität; sie sind deshalb nicht nach Klassen gegliedert, sondern haben ihren Platz im horizontalen Aufbau der sozialen Matrix.41 Erlebnisrationalität ist die Umkehrung des naturwissenschaftlich-technischen Denkens unter Beibehaltung seiner Logik. Beim erlebnisrationalen Denken wandert der Fokus der Zieldefinitionen von außen nach innen. Man instrumentalisiert das außerhalb des Subjekts Gegebene (Konsumgüter, Reiseziele, Partner usw.) für ‚innen’ vorgestellte Wirkungen (Faszination, Entspannung, Lust usw.) Dieser Aspekt, dass sich trotz Individualisierung kollektive Lebensformen herausbilden können, erscheint vor dem Hintergrund ethischer Konzepte in Unternehmen – die ja ebenfalls auf eine kollektive Akzeptanz abzielen – besonders interessant. Auch aus diesem Grund wird es im folgenden Kapital darum gehen, die Bedingungen dieser Kollektivierung zu ergründen. Denn offensichtlich scheinen bei diesem Aspekt der Vergemeinschaftung eine ‚Logik’ oder, anders ausgedrückt, eine ‚Plausibilität’ konstituierende Bedingungen und Strukturen vorzuliegen. Auch der Prozess der Vergemeinschaftung wird von Schulze umrissen: 39 40 41 Vgl. Schulze 1999, S. 223 f. Vgl. Schulze 1999, S. 223. Vgl. Schulze 1999, S. 224. „Wir müssen uns erstens die Bedingungen erarbeiten, überhaupt leben zu können, uns also einen Möglichkeitsraum schaffen. Wir müssen zweitens unser Zusammenleben in diesem Möglichkeitsraum organisieren und drittens zu gelingenden Formen der Orientierung kommen.“42 Auch in dieser Definition finden sich schon die Grundelemente eines kommunikativen Diskurses, der weiter oben näher erläutert wurde und dessen Praxisrelevanz für das Zusammenleben von Individuen hier auch von Schulze thematisiert wird. Peter Gross (1994) beschreibt in seinem Modell der Multioptionsgesellschaft den Verlust von Traditionen, Verbindlichkeiten und Gewissheiten. Der einzelne Mensch gerät unter den Druck, mit der Überfülle an Möglichkeiten in der sich zusehends verdichtenden Zeit zurechtzukommen. Der hemmungslose Fortschritt führt einerseits zu einer Entfesselung von Energien, andererseits aber zu Überforderung, Verzweiflung und Angst, die Möglichkeiten nicht auszuschöpfen, etwas zu verpassen oder nicht mithalten zu können. Um die Träume vom Jenseits im Diesseits zu verwirklichen, herrscht deswegen nicht Selektions-, sondern Realisierungs- und Zeitdruck. Was möglich ist, soll möglich werden. Der ethische Imperativ der Multioptionsgesellschaft heißt folglich: „Handle so, dass weitere Möglichkeiten entstehen“.43 Das Programm der Moderne beinhaltet eine Steigerung der Handlungsmöglichkeiten mit der zugrunde liegenden Vorstellung, dass autonomes, freies Leben nur möglich mit Optionen, aber ohne Zumutungen ist.44 Oder anders ausgedrückt: Der Aspekt der Verantwortung tritt gegenüber der Handlungsmaxime zurück. Wirklichkeit und Möglichkeit fallen für den Menschen der Multioptionsgesellschaft zusammen. Die kulturelle Dynamik läuft mit großer Geschwindigkeit ab: Enttraditionalisierung, Optionierung, Individualisierung. Je individualisierter eine Gesellschaft ist, je mehr der Einzelne selbst entscheiden kann, desto unsicherer wird sie.45 Die Gefahr der Multioptionsgesellschaft liegt in der Rücksichtslosigkeit, gegenüber der Natur und der kulturellen Werte. Die Überproduktion an Optionen schließt auch die Möglichkeit der Selbstzerstörung der Gesellschaft ein. Das Ausmaß der Schäden, die Menschen, Kulturen und die Natur erleiden bzw. erlitten haben, zeigt, dass die Möglichkeiten des Menschen keineswegs nur erfreuliche Auswirkungen haben.46 Die Arbeitswelt spiegelt die Verflüssigung der Gesellschaft, es heißt Abschied zu nehmen von der Vorstellung eines monogamen – also lebenslangen – Berufes bei einem Arbeitgeber. Während sich die Unternehmen durch ein intelligentes Portfolio von revidierbaren Geschäftsfeldern gegen ungewisse Märkte und Marktchancen wappnen, fehlt eine entsprechende Neudefinition von Arbeit und Beruf. 42 43 44 45 46 Vgl. Schulze 1999, S. 228. Gross 1999, S. 109. Vgl. Gross 1999, S. 109. Vgl. Gross 1999, S. 112 ff. Vgl. Gross 1999, S. 110. Eine Chance auf Erfolg hat in Zukunft – so Gross – nur ein Arbeitsunternehmer, der die alten Vorstellungen von Arbeit und Beruf über Bord wirft, indem er ein klug diversifiziertes Portfolio von Erwerbstätigkeiten akkumuliert und für unterschiedliche Organisationen und Institutionen, die sich ebenfalls verflüssigen, als freier Mitarbeiter oder teilzeitlich tätig ist.47 Jene, die in einer Multioptionsgesellschaft nicht gewählt werden, z. B. mit ihrer Arbeitskraft – Gross bezeichnet sie als Vertragsunfähige und -unwillige –, müssen versichert und abgesichert werden. Wer sich einbringen will und dennoch nicht gewählt wird, hat ein Menschenrecht darauf, unterstützt zu werden.48 Da sich im Zuge der Entwicklung der Multioptionsgesellschaft auch die familiären Hilfe- und Loyalitätsgefäße auflösen, sollte ein ‚New Deal’ von Wirtschaft und Politik entwickelt werden: eine monetäre und zwischenmenschliche Existenzsicherung; soziale und kulturelle Innovationen, die die fundamentalen Veränderungen, an deren Anfang wir erst stehen, begleiten; personale Vernetzungen und neue Clansysteme, eine Art virtuelles Potenzial im Zivilen.49 Gross bereitet durch seine Aussagen ein neues Verständnis sozialen Handelns der Unternehmen vor. Ihnen kommt entscheidende Bedeutung bei der sozialen Ausgestaltung neuer Arbeitsbeziehungen in der Multioptionsgesellschaft zu, die z. B. durch die Erarbeitung und Entwicklung ethischer Konzepte in Unternehmen verwirklicht werden könnten. Auch seine sozialen Schlagworte – Clansysteme, personale Vernetzungen – deuten auf eine kollektive Lösung entstehender Sozialbeziehungen in künftigen Arbeitsbeziehungen hin, die ein verbindliches ethisches Konzept auch einlösen könnte. Wilhelm Heitmeyer (1997) sieht die Gesellschaft auf dem Weg von einer Konsenszu einer Konfliktgesellschaft. Ausgangspunkt der Unterscheidung ist die Diagnose einer allgemein geglaubten gesellschaftlichen Anomie, die sich äußert im Zusammenwirken der wirtschaftsstrukturellen Verwerfungen durch einen rigorosen Kapitalismus, ambivalente Individualisierung, ethnisch-kulturelle Differenzen, gepaart mit einer erhöhten Gewaltbereitschaft. Desintegration ist deshalb der Schlüssel zum Verständnis der Gesellschaft. Durch den sozio-ökonomischen Wandel ist es zu Unsicherheiten bei kulturellen, religiösen und familiären Orientierungen ebenso gekommen wie durch den Rückgang institutioneller und kollektiver Integrationsmöglichkeiten. Der Pluralismus von Werten trägt nicht nur zum Freiheitsgewinn bei, sondern auch zu Regulationskrisen, die die Orientierungs- und Perspektivlosigkeit weiter verstärken. Die Auswirkungen des eigenen Handelns geraten – so Heitmeyer – angesichts der unüberschaubaren Normenpluralität immer mehr aus dem Blickfeld 47 48 49 Vgl. Gross 1999, S. 120. Vgl. Gross 1999, S. 120. Vgl. Gross 1999, S. 121. des Handelnden.50 Eine Kohäsionskrise schließlich werde auch durch gesteigerte Vereinzelung und Vereinsamung sichtbar. Ohne Sozialkontakte erhält das Individuum keine Anerkennung. Ohne Bezugsgruppe verliert der Einzelne das Vertrauen in die Welt und in sich selbst. Das Lebensparadigma gestaltet sich deshalb höchst ambivalent: einerseits durch die Zunahme soziokultureller Optionen und andererseits durch eine Abnahme der sozioökonomischen Realisierungsmöglichkeiten. Heitmeyer plädiert für eine Politik der Integration, welche aus drei Dimensionen bestehen soll: erstens die individuelle funktionale Systemintegration. Hierunter sind Zugänge zu Funktionssystemen wie Arbeit, Bildung, Recht und Politik zu fassen. Zweitens geht es um die Integration der expressiv kulturellen Dimension und damit um die Frage der Zugehörigkeit und Anerkennung. Drittens geht es um die kommunikativ-interaktive Dimension, die Möglichkeit, an öffentlichen Debatten teilzunehmen.51 Auch aus dem Blickwinkel Heitmeyers desintegrierender Gesellschaft lässt sich die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit ethischer Konzepte und kommunikativer Diskurse darüber ableiten. Sie haben dann sogar integrative Funktion: nämlich die der Systemintegration, der kulturellen Integration und der kommunikativen Integration. Amitai Etzioni52 zieht eine Verbindung zwischen Individualisierung und moralischer Entwicklung. Für ihn sind die sozial verbindlichen Werte in den vergangenen Jahrzehnten rapide zurückgegangen. Insbesondere in den 70er und 80er Jahren nahm die Gemeinwohlorientierung deutlich ab. Die Moral sank besonders in den Gesellschaften, die sich nur noch nach den Erfolgskriterien der freien Marktwirtschaft richteten. Sie schlägt sich in einer hohen Kriminalitätsrate, Alkohol- und Drogenmissbrauch, aber auch Versicherungsbetrug, Korruption und Steuerhinterziehung wieder.53 Wenn eine Gesellschaft die Freiheit des Einzelnen nicht an die Bedürfnisse der Gesellschaft bindet, dann entsteht eine negative moralische Entwicklung. Die Ideologisierung ungebundener Autonomie führt zu einer Verstärkung unsozialen Verhaltens und am Ende zum gesellschaftlichen Zusammenbruch. Insgesamt gesehen, rücken die Selbstentfaltung des Individuums, seine Identitätsfindung und Karriere deutlich in den Vordergrund und verdrängen die gemeinschaftsbezogenen Werte. Die Gesellschaft ist jetzt an einen Punkt angelangt, an dem sich die Mehrheit jeglicher Pflicht gegenüber der Gesellschaft entledigt hat.54 50 51 52 53 54 Vgl. Heitmeyer 1999, S. 131. Vgl. Heitmeyer 1999, S. 137. Vgl. Etzioni 1997. Vgl. Etzioni 2000, S. 41. Vgl. Etzioni 2000, S. 42. Im Zuge der gesellschaftspolitischen Entwicklung – hohe Scheidungsraten, Auflösung familiärere Bindungen usw. – haben gemeinschaftsbezogene Werte immer mehr an Bedeutung verloren. Jede Gesellschaft braucht jedoch einen Kanon gemeinsamer Werte. Ohne ‚Spielregeln’, ohne einen bestimmten Konsens über Verhaltensnormen kann kein Gemeinwesen bestehen. Kernwert dieses Kanons ist die soziale Verantwortung.55 Nach Etzionis Definition zeichnet sich „das Gemeinwesen durch zwei Eigenschaften aus. Zum einen dadurch, dass sich die Individuen einer Gruppe gegenseitig kennen und füreinander einstehen. Und zum anderen durch ein Gefühl der Verpflichtung gegenüber gemeinsamen Normen und Werten. Für mich sind Gemeinschaften soziale Netze von Menschen, die einander persönlich kennen, sie sind zugleich moralische Instanzen. Sie binden Menschen an gemeinsame Werte und erstrebenswerte Ziele und versetzen sie in die Lage, sich um sich selbst zu kümmern und dennoch die anderen nicht aus den Augen zu verlieren. Gemeinschaften sind meines Erachtens die wichtigste Quelle moralischer Orientierung.“56 In der Betonung sozialer Verantwortung verdeutlicht Etzioni die Egozentrik der Gesellschaft und den Egoismus der Menschen. Demgegenüber will Etzioni ein neues Verständnis des Gemeinwesens etablieren, das die soziale Verantwortung zum Prinzip erhebt. Dieses Gemeinwesen kann überall dort entstehen, wo sich Menschen begegnen. So wäre es durchaus denkbar und im Sinne Etzionis ein solches Gemeinwesen, welches die soziale Verantwortung pflegt, auch in Unternehmen zu etablieren, um gemeinsame Werte einzuüben und ethische Konzepte zu entwickeln. Dieser Aspekt der sozialen Verantwortung könnte z. B. den Gegensatz von Kapital und Arbeit entschärfen, indem die jeweiligen Interessengruppen sich von diesem Ordnungsprinzip der sozialen Verantwortung leiten lassen. Letztlich könnte das Prinzip der gemeinsamen sozialen Verantwortung den bestehenden Antagonismus von Kapital und Arbeit auflösen. Stefan Hradil erkennt in der von ihm beschriebenen Single-Gesellschaft (1995) einen Seismografen der Modernen „Sie signalisieren neben den Chancen auch die Probleme einer Modernisierung, in der die Gesellschaft Gewissheit und kollektives Bewusstsein verliert.“57 Singles können zum einen einer Bildungs- und Karriereschicht angehören, die sich freiwillig und aus Überzeugung zum Alleinleben entschlossen haben. Demgegenüber stehen die ‚Verlierer’ der Gesellschaft, die z. B. aufgrund von Scheidungen oder sozialen Auffälligkeiten wie dem Alkoholismus zum Singledasein gezwungen sind. Die Single-Gesellschaft ist auch aus diesen Gründen ein Indiz für die Subjektivierung des Lebens. Folge davon ist, dass sich die einzelnen Mitglieder einer wohl55 56 57 Vgl. Etzioni 2000, S. 43. Etzioni 2000, S. 46. Hradil 2000, S. 104. habenden hochdifferenzierten Gesellschaft nicht mehr durch das Einkommen, sondern auch durch ihren Lebensstil, durch eine ästhetische Lebensanschauung unterscheiden.58 Die Single-Gesellschaft ist – so Hradil – eine Konsequenz der Modernisierung und das Single-Dasein wird ein bedeutsames Strukturelement moderner Gesellschaften. Der Single bringt wie ein Seismograf einige der Chancen und Probleme zum Ausdruck, die den meisten Mitgliedern moderner Gesellschaften erst bevorstehen. In der Existenz von Singles wird das prekäre Verhältnis sichtbar, das in der Moderne zwischen dem individuellen Streben nach Autonomie und der Sehnsucht nach Gemeinschaft besteht. Daraus erklärt sich auch die Zuneigung und Ablehnung, die Singles von Seiten der nicht Alleinlebenden erfahren: Für die einen sind Singles Projektionsfläche ihrer Hoffnungen, für die anderen Richtpunkt ihrer Ängste.59 Wichtig im Zusammenhang mit vorliegender Themenstellung ist vielleicht der von Hradil beschriebene Gegensatz von Autonomie bei gleichzeitiger Sehnsucht nach Gemeinschaft in den individuellen Biographien. Diesen beiden Werten hat auch ein ethisches Konzept Rechnung zu tragen, das vorgibt, humanistische Substanz zu haben. In der Autonomie des Individuums, in der Vielfalt der Möglichkeiten in einer offenen Zukunft, liegt z. B. die Chance bzw. das Potenzial, unsere eigenen Beziehungen und damit unsere Gesellschaft selbst zu gestalten, während die Sehnsucht nach Gemeinschaft den humanen Urwunsch nach solidarischem Handeln ausdrücken könnte. 1.1.2.3 Die soziale Entwicklung der Gesellschaft und ihre ethischen Implikationen Die soziale Entwicklung unserer Gesellschaft hat ihre Wurzeln im Sozial- und Wohlfahrtssystem, das sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch klar definierte Sozialgemeinschaften entwickelte. Die Etablierung des Sozialsystem war eine Reaktion auf die Zerstörungen und Verelendungen, die der frühe Kapitalismus angerichtet hatte. Solidargemeinschaften für Invalidität, Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit usw. wurden eingerichtet, die der Staat in Form von Versicherungssystemen organisierte. Die Renten wurden über einen Generationenvertrag abgesichert. Das Prinzip dieses Systems war die Solidarität, das Ziel die soziale Absicherung der Menschen, verbunden mit der Garantie, im Gesellschaftsverband dauerhaft integriert zu sein. Heute muss sich dieses System großem Herausforderungen stellen, die mit verschiedenen Einflüssen einhergehen. Sicher ist, dass der Verlust des System der Sozial- 58 59 Vgl. Hradil 2000, S. 108. Vgl. Hradil 2000, S. 122. gemeinschaften das Potenzial in sich trägt, qualitative Veränderungen in der individuellen Lebensführung aufzulösen. Wilke erwartet, dass sich die nationalstaatlichen Grenzen und die Solidargemeinschaften durch die Globalisierungsdynamik auflösen. Dadurch hat die Politik der Nationalstaaten immer weniger regulativen Zugriff auf die Solidargemeinschaften. Das führt für Wilke zu der Frage: Auf welche Solidargemeinschaften können die Menschen heute noch setzen? Wilke sieht hier zwei Optionen. Zum einen kommt den sozialen Nah-Umwelten und Gemeinden eine neue Rolle und Bedeutung zu. Auf der zweiten Ebene werden sich marktwirtschaftlich organisierte Solidargemeinschaften herausbilden. Diese Ebene wird für Wilke notwendig, weil nur der Markt ein funktionales Äquivalent zu bisherigen Solidargemeinschaften sein kann.60 Die Sozialverträglichkeit des Überganges von gesellschaftsbezogenen Solidargemeinschaften auf eine Form örtlicher Äquivalente bzw. auf marktwirtschaftlich organisierte Formen wird nach Wilke durch eine Supervisionsfunktion des Staates gewährleistet, der eine Beobachterposition einnimmt.61 Wilke setzt auf eine Selbststeuerung der autonomen Subsysteme. Anders als beim Wohlfahrtsstaat sagt das System nicht, was der Mensch zu tun hat.62 Der Mensch ist selbst gefordert und so gesehen ist die Beanspruchung des sozialen Systems ein autonomer Akt der einzelnen Individuen. Bei Wilkes Ansatz bleiben einige Fragen offen, etwa wie die Masse der Individuen mit der verordneten Autonomie und ihrer verordneten aktiven Rolle im Sozialstaat umgehen soll. Es ist nicht vorauszusetzen, das alle Menschen dieses Bedürfnis in sich tragen bzw. das Potenzial besitzen, von ihren so definierten Rechten Gebrauch zu machen. Auch Anthony Giddens sieht in der passiven Grundhaltung des Menschen im Wohlfahrtsstaat die Ursache der Probleme. Der Wohlfahrtsstaat verfolgt nach Giddens zwei Ziele: eine Gesellschaft von größerer Gerechtigkeit zu schaffen und dort unterstützend einzugreifen, wo Menschen nicht mehr für sich selbst sorgen können. Das Leben seiner Bürger von der Wiege bis zur Bahre ist deshalb häufig vorgezeichnet. Sozialmaßnahmen tragen so gesehen dazu bei, den Menschen unselbstständig und von den Sozialleistungen abhängig zu machen. Giddens erkennt darin als Resultat ein Gefühl der Ohnmacht und Mutlosigkeit, das es zu überwinden gilt.63 Es muss eine aktivere Grundhaltung gefördert werden und deshalb ist es – so Giddens – notwendig, den Sozialstaat grundlegend zu überdenken und umzugestal- 60 61 62 63 Vgl. Wilke 1999, S. 276. Vgl. Wilke 1999, S. 276 ff. Vgl. Wilke 1999, S. 278. Vgl. Giddens 2000, S. 70. ten.64 Nach Giddens war der Sozialstaat weder bei der Bekämpfung der Armut noch bei der allgemeinen Umverteilung der Einkommen und Vermögen erfolgreich. Diese Behauptung wird z. B. dadurch gestützt, dass viele Bevölkerungsgruppen aus dem sozialen Netz gefallen sind. Der Sozialstaat war außerdem an ein Modell der traditionellen Geschlechterrollen gebunden. Die Zugehörigkeit des Mannes zur Lohnarbeiterschaft wurde vorausgesetzt, soziale Leistungen waren erst in zweiter Linie für Familien ohne männliche Ernährer vorgesehen.65 Vorbild für die Neugestaltung des Sozialstaates könnten die Modelle der positiven Wohlfahrt sein, deren Akzent sehr viel stärker auf dem Einsatz lebenspolitischer Maßnahmen liegt, mit dem Ziel, Autonomie und persönliche wie kollektive Verpflichtungen miteinander zu verbinden.66 Giddens Vorschlag ist durchaus praxisrelevant, denn als Berater von Bill Clinton und Tony Blair finden sich seine Ansätze in der jeweiligen praktischen Politik wieder. Allerdings auch mit den negativen sozialen Implikationen, die im Straßenbild der Großstädte der USA und Großbritanniens sichtbaren Ausdruck finden. Das oberste Prinzip von Giddens Idee des ‚dritten Weges’ ist die Gewährung von individueller Lebensentfaltung und Förderung menschlicher Kreativität, also die Möglichkeit, das Leben nach eigenen Entscheidungen und Vorstellungen einzurichten, wobei jedoch Verpflichtung gegenüber anderer bestehen.67 Besondere Aufmerksamkeit gilt immer noch der gerechten Umverteilung von Reichtümern und dem Schutz des Schwächeren, aber mit der Einschränkung, dadurch nicht die Art der Selbsthilfe zu verhindern. Allgemein geht es Giddens um die Steigerung der Autonomie des Handelns. Nachdem Traditionen und Gewohnheiten an Einfluss verloren haben, müssen auf dem Weg freier und demokratischer Entscheidungsprozesse Möglichkeiten gefunden werden, die Solidarität zwischen den Menschen zu stärken.68 Der Schlüssel zur Aktivierung und Aufrechterhaltung sozialer Solidaritätsbeziehungen liegt in der Aktivierung und Intensivierung von Demokratisierungsprozessen.69 Die Zukunft des Sozialsystems ist nach Giddens völlig offen. Es geht um eine neue Rollenverteilung zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Staat. Denkbar wäre demnach, die notwendige Auseinandersetzung mit der Zukunft der sozialen Frage – jedenfalls bei adäquater Themenstellung – ebenfalls zum Gegenstand ethischer 64 65 66 67 68 69 Vgl. Giddens 2000, S. 70 f. Vgl. Giddens 2000, S. 71. Vgl. Giddens 2000, S. 71. Vgl. Giddens 2000, S. 73. Vgl. Giddens 2000, S. 71. Vgl. Giddens 2000, S. 75. Konzepte in Unternehmen zu machen. Denn in der von Giddens vorgeschlagenen Fassung sozialer Autonomie liegt auch die Chance der Thematisierung und Gestaltung des Sozialstaates durch einen kommunikativen Diskurs in Unternehmen. Beck skizziert im Zusammenhang mit der beschriebenen sozialpolitischen Entwicklung in Deutschland den Fahrstuhl-Effekt. Da das soziale Netz, unter den Bedingungen der Vollbeschäftigung aufgebaut wurde, wird sich mit sinkender Erwerbsquote eine sozialpolitische Entwicklung manifestieren, die für die Betroffenen zu einem sozialen Abstieg führen kann: den so genannten Fahrstuhleffekt. Beck geht allerdings nicht davon aus, dass sich eine erhebliche Radikalisierung von Ungleichheiten entwickelt und dass eine stärkere Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Gruppen notwendig ist.70 Es ist für ihn allerdings absehbar, dass die Arbeitsplätze für relativ Unqualifizierte wegfallen, wegrationalisiert oder in andere Länder exportiert werden. So werden erhebliche Einbrüche in der Sozialstruktur bevorstehen. Ein großer Teil der Bevölkerung wird aus dem Arbeitsmarkt deswegen herausfallen, weil er dem psychischen Druck der ‚Turbogesellschaft’ nicht mehr gewachsen sind.71 Auf diesem Boden wird ein Kapitalismus ohne Arbeit entstehen. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, entwickelt Beck die schon zitierte Vorstellung einer ‚Bürgerarbeit’, die auf alternative Erwerbsarbeit abzielt, mit den bereits beschriebenen Potenzialen aber auch kritisierten Grenzen. Auch Ralf Dahrendorf (1992) skizziert eine sozial gespaltene und von sozialen Konflikten geprägte Gesellschaft, die sich erst unter der Konstituierung einer Bürgergesellschaft wieder integriert. Er geht davon aus, dass ungefähr 50 Prozent aller Beschäftigten ein ‚Normalarbeitsverhältnis’ haben. „Die anderen 50 Prozent werden das Leben leben, sich neuen Anforderungen stellen, die sie voll ausfüllen, die teilweise oder überhaupt nicht bezahlt werden.“72 Der Anteil der Selbstständigen wird deutlich zunehmen.73 Da der Wohlfahrtsstaat nicht mehr zu finanzieren ist, kann es auch nur eine minimale Sozialleistung geben, die nur in Not Geratene unterstützt.74 Die darüber hinausgehenden Sozialleistungen regelt die Bürgergesellschaft in einem kommunikativen Akt zwischen benachteiligten und privilegierten Gruppen.75 Die Bürgergesellschaft ist nach Dahrendorf die verbindende Kraft zwischen Demokratie und freier Marktwirtschaft und gründet sich auf drei Elemente: erstens 70 71 72 73 74 75 Vgl. Beck 1999, S. 61. Vgl. Beck 1999, S. 61 f. Dahrendorf 1999, S. 101. Vgl. Dahrendorf 1999, S. 102. Vgl. Dahrendorf 1999, S. 100 f. Vgl. Dahrendorf 1999, S. 91. auf die Vielfalt nicht-staatlicher Organisationen; zweitens darauf, dass sich die Bürger auf der Grundlage der Freiwilligkeit versammeln, und drittens auf die Bereitschaft der Mitglieder, sich aktiv am Gelingen eines sozialen Ganzen zu beteiligen. 76 Zusammengefasst entwickelt sich nach Dahrendorf die Sozialität einer Gesellschaft und für die Individuen in dem Spannungsfeld zwischen Demokratie und freier Marktwirtschaft. In diesem Modell bleibt allerdings unklar, wo der Humanisierungsgedanke oder die soziale Frage verankert ist. Wie gezeigt, folgt die freie Marktwirtschaft einer ökonomischen Logik ohne soziale Komponente und auch in der Demokratie stellt der soziale Gedanke im Wechselspiel der Mehrheiten und des Machtkalküls nicht notwendig eine verbindliche Bezugsgröße dar. Heitmeyer sieht die soziale Frage eng mit einem „entfesselnden Kapitalismus“ verknüpft, der seiner Meinung nach nicht in Grenzen gehalten werden kann und deswegen eine Verwirklichung des „Sozialdarwinismus“ mit sich bringt: Die Starken werden dominieren, während die Schwachen sehen müssen, wo sie bleiben.77 Es wird – so Heitmeyer – in den großen Städten einen eklatanten Mangel an Arbeitsplätzen geben, denn die Städte erleben eine De-Industrialisierung, eine ethnischkulturelle Heterogenisierung und soziale Polarisierung. Diese Bedingungen darf eine Gesellschaft nicht verdrängen, sonst werden sich soziale Brennpunkte entwickeln.78 Sozialer Friede darf – so Heitmeyer weiter – nicht auf Kosten von Minderheiten hergestellt werden, indem man ihre Meinungen dethematisiert, kriminalisiert oder sie auf anderem Wege der öffentlichen Stimme beraubt. „Es ist nötig, bei Bestandsaufnahmen des sozialen Friedens darauf zu achten, wie viele Gruppen ohne jegliche Lobby aus der Öffentlichkeit verdrängt werden“.79 Heitmeyer thematisiert in seiner Beschreibung der möglichen sozialen Entwicklung dieser Gesellschaft die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Logik der Ökonomie zugunsten eines Humanisierungsbegriffes, der sich auch an Minderheiten orientiert. Erst durch die Integration von Minderheiten in den gesellschaftlichen Begriff des sozialen Friedens erhalten die Inhalte der Humanismus und der Sozialität Substanz. Auch dieser Gedanke hat vor dem Hintergrund mit der Verwirklichung ethischer Konzepte in Unternehmen Relevanz. Denn er beschreibt und verweist auf die Notwendigkeit, Minderheiten in Unternehmen – etwa Schwerbehinderte oder ethnische Gruppen – in das ethische Konzept einzubeziehen. 76 77 78 79 Vgl. Dahrendorf 1999, S. 91. Vgl. Heitmeyer 1999, S. 136. Vgl. Heitmeyer 1999, S. 139. Vgl. Heitmeyer 1999, S. 142. Offe (1984) beschreibt in seinem Konzept der sozialen Entwicklung der Arbeitsgesellschaft die sozialpolitische Situation in Deutschland. Er thematisiert die negative Entwicklung der Arbeitslosenzahlen die mit einer problematischen individuellen Situation gekoppelt ist. Die Menschen, die der offenen und versteckten Arbeitslosigkeit über längere Zeit ausgesetzt sind, tragen manchmal schwere Schäden psychischer und physischer, aber auch ökonomischer und familiärer Art davon.80 Für diese Situation gibt es – so Offe – folgende Hauptgründe: zunächst der arbeitssparende technische Wandel, dann die Substitution inländischer Produktion durch ausländische Produktion entweder durch Kapitalexport oder durch Güterimport. 81 Offe erkennt die Möglichkeit, neben den Verhandlungen der Tariflöhne und der Arbeitsbedingungen auch Verhandlungen über die Beschäftigungsvolumina einzurichten, um eine Verbesserung der Arbeitsmarktsituation zu erreichen. Ein „Bündnis für Arbeit“ könnte in diesem Zusammenhang durchaus richtig und notwendig sein.82 Offe erkennt in der aktuellen Situation drei soziale Problembereiche, die sich negativ auf die Gesellschaft auswirken könnten. Rechte, die bisher als gesichert galten, insbesondere die Freiheit der Arbeitnehmer, über ihre eigene Verwendung vertraglich zu entscheiden, dürfen nicht ausgehebelt und einem Verrottungsprozess ausgesetzt werden. Wenn – so Offe – etwas um sich greifen sollte wie Zwangsarbeit als Sozialhilfeersatz oder Streichung von Sozialleistungen, nagt das an der normativen Substanz des demokratischen Rechtsstaates.83 Zweitens kann die Arbeitslosigkeit bestimmter Personengruppen, die durch ihr Qualifikationsdefizit zusätzlich besonders hart betroffen sind, in ein Wahlverhalten von anti- oder nicht-demokratischen politischen Parteien münden.84 Es liegt drittens eine Gefahr darin, dass die politischen Eliten nicht in der Lage sind, vernünftige, verstehbare und konsensfähige Entscheidungen zu treffen. Dabei sollte sich eine Demokratie – so Offe – gerade dadurch auszeichnen, dass sie einen sozialen Ausgleich schaffen, Solidarität organisieren, Bürgerrechte zur Geltung bringen, und Rechte durchsetzen kann.85 Offe sieht in der Zusammenfassung der dargestellten Bedingung der sozialen Krise eine Entwicklung zur Frustration, ein Absterben der Motive für eine Orientierung an Toleranz, Kooperation und Gemeinwohl, die für demokratische Kulturen wichtig 80 81 82 83 84 85 Vgl. Offe 1999, S. 208. Vgl. Offe 1999, S. 208. Offe 1999, S. 209. Vgl. Offe 1999, S. 211. Vgl. Offe 1999, S. 211. Vgl. Offe 1999, S. 211. ist.86 Er thematisiert eine Vorstellung der sozialen Frage, die eng mit der Arbeitsgesellschaft verknüpft ist. Hierbei betont er vor allem diejenigen Rechte, die seiner Meinung nach wesentlich zum sozialen Frieden und zur sozialen Gerechtigkeit beigetragen haben. Werden diese historisch gewachsenen Rechte in Frage gestellt, so ist einerseits mit einer politischen Radikalisierung zu rechnen, andererseits mit dem Absterben des Gemeinwohlgedankens. Aus Offes Analyse der Arbeitsgesellschaft geht hervor, wie wichtig die Definition und Einhaltung von Mindeststandards für die soziale Verfasstheit der Gesellschaft ist. Dieser Gedanke ist meiner Meinung nach nützlich bei der Umsetzung ethischer Konzepte. Auch hier können Mindeststandards ein Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit und Teilhabe definieren und zu einer notwendigen Stabilität des ethischen Konzeptes beitragen. Die dargestellten Möglichkeiten der sozialen Entwicklung der Gesellschaft belegen ein mögliches individuelles Krisenpotenzial und eine mögliche Spaltung der Gesellschaft, bedingt durch die Entwicklung des Arbeitsmarktes. Die verschiedenen gesellschaftstheoretischen Ansätze zur Beschreibung der sozialen Frage sind sehr heterogen. Diese Vielschichtigkeit der Gesellschaftstheorien stellt ein Problem im Zusammenhang mit vorliegender Themenstellung dar. Die sich ergebende Komplexität ist in einem ethischen Konzept – das in Unternehmen implementiert werden soll – nicht abzubilden. Hier sind weitergehende Forschungen angeregt, die sich mit dem Problem der Komplexität ethischer Konzepte grundlegend auseinander setzen. Sicher scheint zu sein, dass dem Einzelnen in diesem Zusammenhang mehr Autonomierechte zukommen als bisher. Die Gefahr besteht jedoch, dass die Masse mit der verordneten aktiven Rolle aufgrund fehlender Potenziale überfordert ist und deshalb von dem definierten Recht keinen Gebrauch machen kann. In der von Giddens vorgeschlagenen und dargestellten Fassung sozialer Autonomie liegt aber auch die Chance der Gestaltung und Teilhabe an der Entwicklung der sozialen Frage durch einen kommunikativen Diskurs in Unternehmen. Andere Analysen belegen, dass die soziale Frage eng mit der Entwicklung des Kapitalismus verknüpft ist. Folgen wir weiterhin dessen Logik, besteht die Gefahr der sozialen Spaltung der Gesellschaft mit den möglichen Implikationen auf die politische Kultur und der sozialen Teilhabe. Ethische Konzepte in Unternehmen sind nicht losgelöst von diesen Entwicklungen zu sehen, denn Unternehmen befinden sich nicht auf sozialen Inseln, sondern in ihnen verdichten sich vielmehr die aufgeführten Zusammenhänge. 86 Vgl. Offe 1999, S. 211. Für die Stabilität der sozialen Verfasstheit von Unternehmen scheint es deswegen auch richtig, einen Mindeststandard ethischer Werte und Normen in Unternehmen zu etablieren, um diese nicht zu gefährden. Diese gemeinsamen Werte könnten in der Lage sein, dem Solidaritätsbedürfnis gegenüber den Egoismustendenzen und dem Gemeinwohl gegenüber der Logik des Kapitals einen humanistischen Ausdruck und Sinn zu verleihen. 1.1.2.4 Die ökonomischen Strukturen sowie die Entwicklung des Kapitalismus und die sich daraus ergebenden ethischen Implikationen Der Gesellschaftskritiker Richard Sennett beschreibt sehr eindrucksvoll die Individualisierung der Gesellschaft durch eine Beobachtung vernetzter Sozialbeziehungen innerhalb bestimmter kapitalistischer Strukturen. Er verbindet Alltagsgeschichten und soziologische Theorien und versucht die Vorzüge der beiden Ansätze miteinander zu verbinden: über bestimmte Individuen zu schreiben und dabei von jedem spezifischen Detail auf generelle soziale Probleme zu schließen. Auch die vorliegende Studie schließt diese Sichtweise des Sozialen in die Betrachtung des Problemzusammenhanges ein, wie in der Darstellung der Methode zu zeigen sein wird. Über die biographischen Strukturierungen kann sich die Möglichkeit ergeben, den Strukturalismus eines sozialen Problems zu erkennen. Die zentrale These seiner Kapitalismuskritik lautet: Die neue flexible kapitalistische Wirtschaftsordnung zerstört den Charakter des Menschen, der auf Langfristigkeit angelegt ist. Die Menschen verlieren die Kontrolle über die eigene Biographie.87 Die Ungewissheiten der neuen kapitalistischen Ökonomie versetzen den Menschen in einen Zustand des ziellosen Dahintreibens. In diesem System kann kein Mensch ein Selbstwertgefühl entwickeln. Das System vermittelt keinen Grund, sich umeinander zu kümmern und Solidarität zu leben.88 Die neuen Informationssysteme und die Folgen der Umstrukturierung des Arbeitsinhalte haben den Menschen gezwungen, flexibel zu sein, sich ständig neuen Aufgaben zu stellen und sich neuen Gegebenheiten anzupassen. Kommt man diesen Vorstellungen des Kapitalismus nicht nach, steht man von vornherein auf der Verliererseite. Die lebenslange Bindung an einen Betrieb ist unter den Bedingungen des ‚flexiblen Kapitalismus’ nicht länger zu verwirklichen.89 Erfolgreich ist, wer bereit ist für Veränderungen, Risiken eingehen mag, seine Arbeit unternehmerisch auffasst, ohne auf gesammelte Erfahrungen zu verweisen und auf alten Gewohnheiten zu bestehen.90 87 88 89 90 Vgl. Sennett 2000, S. 266. Vgl. Sennett 2000, S. 269. Vgl. Sennett 2000, S. 269. Vgl. Sennett 2000, S. 269. Der moderne Kapitalismus ist im Laufe seiner Geschichte alles andere als stetig, sondern von ständiger Unsicherheit begleitet gewesen. Im Unterschied zur Vergangenheit wird die Instabilität heute zur Norm und setzt die Menschen unter den moralischen Druck, Unsicherheit als positiven Wert anzuerkennen.91 Zur Illustrierung seiner Thesen vergleicht Sennett den Lebensverlauf von Vater und Sohn. Der Vater, dessen Lebensgeschichte sich ohne Brüche liest, kann im Rentenalter auf einen gradlinigen Lebensweg zurückblicken. Im Gegensatz zu seinen Vater kann der Sohn sein Leben nicht berechnen: Flexibilität ging einher mit der Flüchtigkeit von sozialen Kontakten. Seinem Leben mangelt es an einer gewissen Kohärenz, die es ihm erlaubt, sein Leben zu einer durchlaufenden Erzählung zu formen. Der Wunsch nach einer langfristigen beruflichen Orientierung blieb unerfüllt, seine Karriere hat er mit einem Leben ohne feste Bindungen bezahlt.92 Der neue Kapitalismus, der in den Worten Sennetts die Entwicklung einer Arbeitswelt voller Drehtüren begünstigt, habe jene Charaktereigenschaften, die Menschen aneinander binden, nicht vorgesehen. Unter den Bedingungen eines Arbeitsmarktes, der einem ‚Jobkarussell’ gleicht, verlieren die Menschen die Kontrolle über ihr Leben. Das Ende der beruflichen Karriere klassischen Zuschnitts und der linearen, nachvollziehbaren Biographie haben tiefgreifende Folgen für die Lebensführung und Selbstwahrnehmung des Menschen. Das Leben ist nicht mehr klar umrissen, Wurzeln schlagen wird undenkbar, feste Bindungen sind nicht aufrechtzuerhalten.93 Sennett erkennt in diesen Losungen das zerstörerische Moment einer Gesellschaft, die weder ökonomische noch soziale Kohärenz bietet und die gedankenlos der Kultur des neuen Kapitalismus folgt. Ein ökonomisches System, das Menschen keinen tiefen Grund gibt, sich umeinander zu kümmern, kann seine Legitimität nicht lange aufrechterhalten.94 Zwingender kann man die Notwendigkeit ethischer Konzepte in Unternehmen unter den Bedingungen des so verstandenen modernen und flexiblen Kapitalismus nicht formulieren. Die soziale Wirkweise des flexiblen Kapitalismus ergibt sich nach Sennett aus den immanenten Macht- und Arbeitsstrukturen. Das Machtsystem besteht aus drei Elementen: dem diskontinuierlichen Umbau von Institutionen, der flexiblen Spezialisierung der Produktion und der Konzentration der Macht ohne Zentralisierung. Hinter der neoliberalen Ökonomie stehen die Bestre91 92 93 94 Vgl. Sennett 2000, S. 269. Vgl. Sennett 2000, S. 270. Vgl. Sennett 2000, S. 270, S. 277. Vgl. Sennett 2000, S. 270. bungen, in immer kürzeren Zeitspannen mit immer weniger Arbeitskräften immer größere Gewinne zu erwirtschaften. Dabei steht das Bestreben auf kurzfristige Gewinnabschöpfung deutlich im Vordergrund.95 An diesem Beispiel wird deutlich, wie ein auf hard facts und betriebswirtschaftliche Ergebnisse orientiertes und auf entsprechende Erfolgskennzahlen gegründetes Unternehmen soziale Kategorien der Arbeitsbeziehungen a priori ausblendet. Deswegen ist die Darstellung der betriebswirtschaftlichen Überbaus – wie im nachfolgenden Kapitel beschrieben – für den Themenzusammenhang wichtig. Führungskräfte und Manager, die in einem solchen Macht- und Kontrollsystem arbeiten, können sich dessen Funktionsweise nur schwerlich – unter Regelverstößen96 – entziehen. Die Arbeitsstrukturen sind von den Machtstrukturen abhängig. Machtstrukturen werden nicht mehr durch eine pyramidenförmige Hierarchie abgebildet, sondern sie bestehen aus der Polarität von Zentrum und Peripherie. Die Unternehmensspitze ist von der Produktion oder der Erbringung der Dienstleistung abgekoppelt, sie legt lediglich Leistungs- und Gewinnziele fest. Die Erreichung der gesetzten Ziele und die Mittel werden einzelnen Arbeitsteams überlassen. Dabei arbeiten die Team nicht kooperativ, sondern werden gegeneinander ausgespielt.97 Diese Beschreibung der Machtstrukturen von Unternehmen liest sich fast identisch mit der Organisationsstruktur des untersuchten Unternehmens. Die Vorstellung, dass durch Teamarbeit – unter der Bedingung der flexiblen Gesellschaft – Vorgesetzte und Arbeitnehmer keine Gegenspieler mehr sind, ist demnach falsch. Ethische Konzepte können unter solchen organisatorischen Macht- und Arbeitsstrukturen schwerlich entstehen. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass Führungskräfte und Manager nur durch Umgehung dieser Prinzipien ihre ethischen Konzepte durchsetzen können.98 Es ist aber erklärungsbedürftig, dass gerade diese Führungskräfte und Manager erfolgreich sind, die ethische Konzepte jenseits der beschriebenen Macht- und Arbeitsstrukturen durchsetzen. Wie aber wirkt sich die beschriebene Situation und die Form des Kapitalismus auf die Arbeitnehmer aus? Welche Strukturen schafft der flexible Kapitalismus auf dem Arbeitsmarkt? In den USA hat sich der flexible Kapitalismus am sichtbarsten etabliert. Er hat in den letzten Jahren Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen. Dies geschah jedoch in Zusammenhang mit der Senkung der Reallöhne, und zwar in dem Maße, dass 95 96 97 98 Vgl. Sennett 2000, S. 278. Vgl. Kapitel 8. Vgl. Sennett 2000, S. 278. Sennett nennt in diesem Zusammenhang zwei Beispiele: Microsoft und Telecom. Vgl. Sennett 2000, S. 277 ff. Vgl. Kapitel 8. Arbeitnehmer oft genug sich und ihre Familien nicht mehr ernähren können.99 Der flexible Kapitalismus konnte sich in den USA ohne Einflussnahme des Staates entwickeln, d. h. keine staatliche Instanz hat sich in die flächendeckende Reallohnsenkung als Regulativ eingeschaltet. Die USA haben zusätzlich auch die kleinen Elemente des Wohlfahrtsstaates ausgeblendet und zudem das gesamte Gesundheitssystem privatisiert.100 Das kann bedeuten, dass auch der Solidaritätsgedanke unter den Menschen aufgekündigt ist und gemeinsame Handlungen keine geförderten Tugenden der Gesellschaft mehr sind – abgesehen von den individuellen Implikationen dieses Modells, das sicherlich vielfach existenzielle Qualität erreicht hat. Während der Staat seine Funktion als soziales Regulativ ausblendet, boomt gleichzeitig die amerikanische Wirtschaft, ausgestattet mit Steuererleichterungen und anderen materiellen Vorteilen.101 Dies legt die Vermutung nahe, dass die Entwicklung des flexiblen Kapitalismus die Interessen des Finanzkapitals begünstigt,102 während die sozialen Belange der Arbeiter und Angestellten zurückgefahren werden. Das Arbeitsleben der jungen Akademiker in den USA umfasst durchschnittlich 11 Stellenwechsel in 40 Berufsjahren bei dreimaligem Austausch der Wissensbasis. Diese Entwicklung wird nach Sennett auch Deutschland erreichen.103 Unter dem flexiblen Kapitalismus muss man damit rechnen, dass das Wissen, die Fähigkeiten und die Erfahrung absehbar nicht mehr gebraucht und nachgefragt werden. Jeder Arbeitnehmer muss jederzeit auf Veränderungen gefasst sein und den Willen haben, ständig weiterzulernen oder auf andere Berufsfelder oder Berufe umzusteigen.104 Psychologisch gesehen, steht der flexible Kapitalismus im Widerspruch zum Charakter des Menschen: Unter Charakter versteht Sennett den Fundus an Eigenschaften und Fähigkeiten, die Menschen im Laufe des Lebens entwickeln und der ihnen eine gewisse Sicherheit und Stabilität gibt. Das persönliche Selbstwertgefühl, das auf der Überzeugung basiert, dass die eigene Erfahrung mehr ist als die Folge zufälliger Ereignisse, verliert an Gewicht, wenn Menschen aufgrund äußerer Bedingungen ständigen Veränderungen ausgesetzt sind und ihnen keine Zeit bleibt, grundlegende, vertrauensvolle soziale Bindungen aufzubauen. Die Entwicklung des 99 100 101 102 103 104 Vgl. Sennett 2000, S. 280. Vgl. Sennett 2000, S. 280 f. Vgl. Sennett 2000, S. 290. Vgl. Sennett 2000, S. 281. Vgl. Sennett 2000, S. 283. Vgl. Sennett 2000, S. 283. Charakters vollzieht sich – so Sennett – über die Auseinandersetzung mit einer Aufgabe, der man sich über eine lange Periode widmet.105 Der flexible Kapitalismus verlangt vom Einzelnen immer größere Individualisierungsleistungen, dessen Anspruch viele Menschen – z. B. aufgrund ihrer individuellen Disposition – nicht erfüllen können. Deswegen verlaufen Biographien ohne die notwendige Kontinuität und viele Menschen bleiben im Ungewissen über den Lauf ihres Lebens, verbunden mit dem Verlust an Verbindlichkeiten, unter denen sich das Leben einigermaßen planen und auf Ziele ausrichten lässt.106 Die Privilegierten der neuen Wirtschaftsordnung sehen in der Flexibilität einen Zugewinn an Freiheit. Anders die Masse: Viele Menschen haben Schwierigkeiten mit den veränderten Gegebenheiten und der wachsenden Flexibilität. Andere können nicht mithalten, weil sie nicht über das Maß an kulturellem Kapital verfügen, das notwendig ist, um sich in einer veränderten Welt zu behaupten. Sie bringen nicht die Fähigkeiten der modern skills mit, nämlich die Fähigkeit, inmitten des Chaos sein Leben zu meistern. Das sind Fähigkeiten eines elitären Kreises, aber nicht der Masse.107 Aus diesen Gründen ist für Sennett eine Kritik der derzeitigen und zu erwartenden kapitalistischen Strukturen notwendig, aber nicht auf Basis der marxistischen Variante. Die Gesellschaft kann nicht warten, bis sich die Orientierung am kurzfristigen Profit erschöpft hat. Für den Bestand der sozialen Verfasstheit einer Gesellschaft und für die humane Entwicklung der meisten Individuen kann es dann zu spät sein. Für Sennett ist eine moderate Flexibilisierung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von sozialen Garantien – ähnlich wie in Großbritannien und in Holland – ein waghalsiger, aber in der momentanen Lage ein sinnvoller Weg. „Dabei darf nicht aus den Augen geraten, dass Elemente gefördert werden müssen, die den Menschen helfen, sich selbst zu organisieren.Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir zu einer Sozialordnung kommen können, in der die Menschen wieder lernen, dass sie aufeinander angewiesen sind und dass sie einander brauchen. Die Suche nach neuen Strukturen, in denen wir künftig leben und arbeiten, muss nicht zwangsläufig das Ende aller positiven Aspekte bedeuten. Wir müssen sehen, dass wir die Errungenschaften der Vergangenheit in die Gegenwart hinüber retten.“108 Insgesamt steht die Kritik der kapitalistischen Strukturen bei Sennett für einen gesellschaftlichen Dialog, der die sozialen Grundbedürfnisse der Menschen angesichts der wirtschaftlichen Entwicklungen hinterfragt. An seinem Ansatz wird deutlich, dass das Streben nach kurzfristiger Profitmaximierung bzw. -abschöpfung die 105 106 107 108 Vgl. Sennett 2000, S. 284. Vgl. Sennett 2000, S. 284 f. Vgl. Sennett 2000, S. 285. Sennett 2000, S. 290 f. humanen Grundwerte einer Gesellschaft in Frage gestellt und den sozialen Frieden gefährdet. Die Arbeitsbedingungen, die auf dem Boden des flexiblen Kapitalismus entstehen, sind alles andere als human. Sie fördern das Gegeneinander in Unternehmen und stehen damit im Grunde jeder Entwicklung entgegen. Auf dieser Basis lassen sich keine humanen Eigenschaften des Menschen – wie Kreativität, Verantwortung, Engagement oder Solidarität – herausbilden, die für eine langfristige Perspektive der Wirtschaft auf ökonomischen Erfolg wichtiger sind als kurzfristige Kostenargumente. Sennnett verdeutlicht in sehr eindrucksvoller Weise und anhand nachvollziehbarer biographischer Daten, dass ein ethisches Konzept innerhalb der kapitalistischen Struktur nicht nur nützlich und möglich, sondern für den Humanisierungsgedanken zwingend ist. Man könnte mit Sennett formulieren, dass ein ethisches Konzept dem radikalen Kapitalismus gegenüberzustellen ist, um überhaupt den Humanisierungsgedanken in Unternehmen und in der Gesellschaft weiterleben zu lassen. Fast alle aktuellen Gesellschaftswissenschaftler pflegen und fordern – wie Sennett – eine erneute Auseinandersetzung mit den kapitalistischen Strukturen des ökonomischen Systems, wie etwa dem so genannten Neoliberalismus. Das ist umso verwunderlicher, als der Zusammenbruch des sozialistischen System in der Öffentlichkeit und besonders von den Vertretern der Politik und Wirtschaft auch als Sieg des Kapitalismus gefeiert wurde. In der Medienlandschaft und in einschlägigen Parteien verdichtet sich dieser Zusammenhang sogar in der Aussage des Sieges der Menschlichkeit über ein inhumanes System. Gerade 10 Jahre nach diesem Sieg wird die Kapitalismuskritik erneuert. Was verbinden die Gesellschaftswissenschaftler mit dieser Kapitalismuskritik? Heitmeyer z. B. verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass das Verständnis dieser Republik neu definiert werden müsse. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – können wir uns das noch leisten? Der republikanische Gedanke war anders gemeint: Die Frage war nicht, wie viel Menschlichkeit können wir uns leisten, sondern wie wir sie ermöglichen. Deshalb plädiert Heitmeyer dafür, die richtigen Themen auf die politische Tagesordnung zu setzen. Und das vordringlichste Thema ist für ihn eine neue Kapitalismuskritik. Sie bleibt aber so lange folgenlos, wie sich postmoderne Politikbegriffe weiter durchsetzen können. „Diese sind hochkompatibel mit dem kapitalistischen Entwicklungsmodell. Die Rückgewinnung klassischer Politikverständnisse, in denen es um Herrschaft, Macht, Konflikt und Öffentlichkeit geht, wäre eine Voraussetzung dafür, dass dann vielleicht die republikanische Frage nicht neu definiert wird und eine neue kapitalismuskritische Haltung wieder Hand und Fuß bekommt.“109 109 Heitmeyer 1999, S. 146. Welsch begründet seine Kapitalismuskritik mit dem Wegfall der ehemaligen Glückshoffnungen, die sich im Kapitalismus manifestierten. „Wer heute für den Kapitalismus eintritt, vertritt ihn doch ohne die ehemaligen Glückshoffnungen: dass der Kapitalismus Arbeit für alle, Wohlstand für alle, Lebensglück für alle bringen werde. Diese utopisch-optimistische Perspektive ist dahin. Jede weiß, dass viele unter die Räder kommen, vermutlich immer mehr; und wer auf Kapitalismus setzt, sucht sein eigenes Schäfchen ins Trockene zu bringen. Manche nennen das neoliberal“.110 Armin Nassehi (1997) verfolgt in seiner Kapitalismuskritik ein systemtheoretisches Verständnis. Das größte Problem sieht er in der Garantie der Versorgungssicherheit. „Ich würde inzwischen behaupten, daß wir den Kapitalismus vernachlässigen. Ich sage es einmal systemtheoretisch: die Autopoesis der Wirtschaft, die sich nicht darum kümmert, wie Lebensformen eigentlich aussehen, ist ein reines Entkoppelungsphänomen wirtschaftlicher Energien. Darin liegt eine große Gefahr ... denn diese Form des unabhängigen Wirtschaftens, die unpersönlichen Geldkreisläufe usw. ... verzehren aber auch die Ressource Solidarität.“111 Die Zukunftsperspektive von Honneth (1994) kulminiert in der Vision einer in den Kernbereichen des Kapitalismus tief gespaltenen Gesellschaft, die ohne ein Drittel oder die Hälfte der Bevölkerung auszukommen versucht.112 Die zentrale Aufgabe der Kapitalismuskritik ist mit der Entwicklung des Arbeitsmarktes verbunden, denn der Arbeitsmarkt ist nicht nur ein ökonomischer Mechanismus der Akkumulation von Arbeitskräften, sondern in unseren Gesellschaften auch ein wesentlicher Mechanismus der Sicherung von sozialem Status und sozialer Identität.113 „Tendenzen der Globalisierung und der Technologisierung laufen darauf hinaus, dass in immer größeren Maße soziale Gruppen mit oder ohne Qualifikationen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossenen werden. Ihnen wird weder die ökonomische Chance einer angemessenen Reproduktion gegeben, noch können sich die sozialen Voraussetzungen entwickeln, sich überhaupt als Teilnehmer und Mitglieder demokratischer Gesellschaften zu fühlen. Das sind die Spaltungstendenzen, die in westlichen Gesellschaften eine große Rolle spielen werden.“114 Für Scott Lash (1994) liegt die Notwendigkeit der Kapitalismuskritik in der Monopolisierung von Informationen, wie etwa durch Microsoft oder die Murdoch-Gruppe begründet. „Im Gegensatz zu einem marxistischen Ansatz der Ausbeutung durch den Besitz von Produktionsgütern sehen wir heute eine intellektuelle Ausbeutung durch Copyright und eingetragene Warenzeichen. Die großen Monopolgesellschaften ziehen einen großen Ring um die Informationen und beanspruchen sie als Eigentum.“115 Der Nationalstaat hat sehr viel an Einfluss und Macht verloren. Dadurch entsteht der Eindruck, wir befänden uns auf einem offenen Markt. Das ist nach Lash jedoch nicht 110 111 112 113 114 115 Welsch 1999, S. 253. Nassehi 1999, S. 193. Vgl. Honneth 2000, S. 89. Vgl. Honneth 2000, S. 92. Honneth 2000, S. 91. Lash 2000, S. 184. der Fall. Die Entscheidungen werden heute von Vertretern des Kapitals getroffen, etwa Gates und Murdoch, die mit ihrer Monopolstellung einen gewissen Standard festsetzen. „Diese Leute haben keine wirkliche Legitimation für ihr Handeln, niemand hat sie gewählt. Wenn die Regierung uns früher in unserer Freiheit eingeschränkt hat, konnten wir sie abwählen.“116 Die Regulation findet also nicht mehr beim Staat, sondern bei den großen Firmen statt. So haben z. B. die großen amerikanischen Banken die vollständige Kontrolle über die Geldpolitik.117 Die nach dem Ende des Sozialismus neu entstandene Kapitalismuskritik wirft neue Fragen und Probleme auf. Wesentlich ist eine neue Definition des Begriffes Kapitalismus, da z. B. seine Funktion zur Schaffung von Arbeit heute erloschen ist. Wichtig wird deswegen die Frage nach der Verteilung der Arbeit, um eine soziale Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. Die Globalisierung führt immer mehr zum Verlust der Kontrolle multinationaler Unternehmen. Die Nationalstaaten haben hier deutlich an Einfluss verloren. Deswegen sollte sich die Kapitalismuskritik mit Kontrollmöglichkeiten im Sinne der sozialen Funktionsweise von Monopolbildungen – die wir auf dem Finanzmarkt und innerhalb der Informationsindustrie haben – auseinander setzen. Letztlich geht es um Fragen der Menschlichkeit unter dem Einfluss des beschriebenen Kapitalismus. Ohne Kontrolle und Gestaltungsmöglichkeit der Menschen wird der Kapitalismus ungebremst seiner eigenen Logik folgen – die allerdings fragt nicht nach individuellen Dispositionen, sozialen Bedürfnissen, solidarischem Handeln und ethischen Konzepten. Die Kapitalismuskritik stellt die Frage nach der Teilhabe des Individuums und der sozialen Gruppen neu. Die dargestellten Optionen verweisen auf eine Gestaltungsbedürftigkeit der sozialen und ethischen Funktionsweise des Kapitalismus. Ethische Konzepte, die innerhalb von Unternehmen – von Managern und Mitarbeitern – entwickelt und gelebt werden, sollten deswegen diese Kritik in ihr Konzept integrieren. In diesem Prozess bleibt die Frage spannend, inwieweit der Kapitalismus gestaltungsfähig ist und sich im Sinne des Humanisierungsgedankens von seiner eigenen Logik trennen kann. 1.2 Konsequenzen Die dargestellten soziologischen Entwürfe der Gesellschaften legen folgende ethische Implikationen nahe: Die Forderung nach individueller Autonomie bei der Neukonzeption des Sozialstaates wird nach Auffassung aller genannten Gesellschaftstheoretiker den überwiegenden Teil der Menschen in ihrer Handlungskompe116 117 Lash 2000, S. 190. Vgl. Lash 2000, S. 190. tenz überfordern. Deswegen kann es zu einem Vakuum im Handeln der Einzelnen kommen, mit ungewissem Ausgang: für das Individuum, für das Zusammenleben der Menschen als auch für die soziale Verfasstheit der Gesellschaft. Infolge der ökonomischen Entwicklung besteht die Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung, und zwar sowohl hinsichtlich des materiellen als auch des sozialen Status. Der Wegfall verbindlicher Werte und Normen mit dem Aufkommen des säkularen Konsens führt zu einer Individualisierung ohne soziale Ausrichtung und zu einem ethischen Fundament mit dem Potenzial ethischer und moralischer Fehlentwicklungen. Unternehmen sind in diese gesellschaftliche Situation gestellt; sie haben sich mit dieser Situation auseinander zu setzen und sie in ihre Strategie als auch in ihre ethischen Konzepte einzubeziehen. Vor allem der Verlust gemeinsamer Werte und Handlungsmuster führt zu einer Subjektivierung, die allen ethischen Konzepten entgegenzustehen scheint. Mit diesen zentralen Aussagen sind auch schon das weitere Vorgehen und die thematischen Schritte vorliegender Abhandlung beschrieben. Werte und Handlungsmaximen deuten bereits eine notwendige und grundlegende Auseinandersetzung mit der ‚Plausibilität’ eines wirksamen ethischen Konzeptes an: Wie kann eine Gesellschaft trotz eines Plausibilitätsschwundes ethischer Maximen steuerbar bleiben? Und daraus folgend: Inwieweit sind ökonomische Handlungsstrukturen in Unternehmen – z. B. Führung, Leistung, Teilhabe – mit diesen Entwicklungen verknüpft?118 Was war die Basis ethischer Gemeinsamkeiten einer Gesellschaft, wie wurden verbindliche Werte festgelegt, an denen sich die Menschen orientieren konnten? Wie wurden die Werte und Normen legitimiert und wie konnten sie über die Zeiten existieren? Die Entwicklung von konsensfähigen Handlungsmaximen sollte zum einen eine Historisierung der Fragestellung beinhalten (Kapitel 3), aber auch zum anderen Perspektiven aufzeigen, wie humanistische Fragestellungen und ökonomische Zielsetzungen mit sozialer Verantwortung verbunden werden können. 118 In jüngster Zeit wird hier polarisierend in den Medien über die Leitkultur debattiert. Die angesprochene Plausibilitätsstruktur der Ethik wendet sich gegen eine nationalstaatliche Variante bzw. gegen eine politische Ausformung ebenso wie gegen einen ideologisch gefärbten Leitgedanken der Ethik. Vielmehr wird es im weiteren Verlauf dieser Arbeit darum gehen, die Plausibilitätsstruktur der Ethik humanwissenschaftlich und interdisziplinär zu fassen. Die Evolution des Menschen und der Menschheit sowie die Entwicklung der positiven Potenziale steht dabei im Mittelpunkt der Betrachtung.