26 REGION ZOFINGER TAGBLATT DONNERSTAG, 22. JUNI 2017 «Essen ist eine Strategie, die immer wirkt» Zofingen Chefärztin Bettina Isenschmid ist täglich mit Patienten konfrontiert, die unter Essstörungen leiden stellt werden – das entfaltet eine immense Wirkung. Wir unterliegen dem aber nicht alle im gleichen Mass, sonst hätten wir alle eine Essstörung. Die Bilder wirken stärker auf Menschen, die ein zerbrechliches Selbstwertgefühl haben. Tiefer verantwortlich dafür sind negative Lebensereignisse wie z. B. Missbrauchsund Gewalterfahrungen. Das Modellbild ist also nicht Ursache, sondern Auslöser. VON KATRIN FREIBURGHAUS Mehr als 800 Personen sind im vergangenen Jahr im Kompetenzzentrum für Essverhalten, Adipositas und Psyche im Spital Zofingen wegen einer Essstörung behandelt worden. Zwei Drittel der Betroffenen sind übergewichtig, ein Drittel sind magersüchtig oder leiden an einer Bulimie. Chefärztin Bettina Isenschmid über Ursachen, Trends und Entwicklungen. «Mit Sorge beobachten wir, dass vermehrt Buben hoch dosierte Proteinkonzentrate, auch Anabolika, übers Internet bestellen.» Wie ernähren Sie sich persönlich? Ich lege gerne offen, dass ich Vegetarierin bin, und zwar seit dem Teenageralter. Auf dem Bauernhof meiner Grosseltern habe ich miterlebt, wie Schweine und Hühner geschlachtet wurden. Das war mein Auslöser. Ich esse aber weiterhin andere tierische Produkte, wie Milchprodukte oder Eier. Die Zahl an Erkrankungen steigt in den Industrieländern weiter an. Worauf ist das zurückzuführen? Unser Organismus ist darauf programmiert, bei jeder Gelegenheit Nahrung zu sich zu nehmen. Das ist nicht primär falsch. In der Steinzeit hätte man keine Jogger angetroffen. Bei diesem knappen Nahrungsangebot wäre es unsinnig gewesen, freiwillig Energie zu verpuffen. Dieses Survival-Programm haben wir noch immer intus. Doch die Umgebung hat sich radikal verändert. Wir müssen uns nur minimal bewegen, um Essen zu beschaffen. Das Essen ist eine Strategie, die immer wirkt. Essen tröstet, Essen beruhigt, es ist relativ billig und immer verfügbar. Es ist viel schwieriger, nachts um zwei Uhr, wenn man sich einsam fühlt, einen Kollegen anzurufen, als etwas zu essen. Das Essen wirkt kurzfristig, hinterher ist die Ausgangslage aber immer noch die Gleiche, wenn nicht noch schlechter. Bettina Isenschmid Chefärztin Vegetarische, aber auch vegane Ernährung liegt im Trend – kann man sich auf diese Art und Weise überhaupt ausgewogen ernähren? Der Vegetarismus trägt dazu bei, dass sich die Leute gesünder ernähren, indem sie mehr Früchte und mehr Gemüse zu sich nehmen. Auch aus umweltökologischen und politischen Gründen ist es gut, nicht zu viel Fleisch zu essen. Bei den Veganern ist das Problem, dass das für uns wichtige Vitamin B12 ausschliesslich in tierischen Produkten vorhanden ist. Ein erwachsener, gut informierter Mensch kann seine Diät unter anderem mit Hefe und Sauerkraut aufbessern. Babys und Kinder sollte man aber nicht vegan ernähren. Das Risiko, dass sich ein Eisen- oder Vitamin B12Mangel mit zum Teil schweren Entwicklungsstörungen zeigt, ist zu gross. Sicher ist: Jede Art von Übertreibung deutet in der Regel darauf hin, dass mit dem Essverhalten etwas nicht stimmt. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Durchtrainiert und schlank: Welchen Einfluss hat das heutige Schönheitsideal auf die Ernährung? Wir richten unser Ernährungs- und Bewegungsverhalten sehr stark nach äusseren Modellen. Schon als Kind schauen wir, was die Eltern essen. Wenn es in Richtung einer Krankheit geht, ist es wichtig, welche Bilder uns dargeboten werden. Models, die in den Medien kursieren und Preise gewinnen, Spitzensportler, die als Schönheitsideale darge- ● oder Wechseljahre Spuren hinterlassen sollten. Das ist ein absoluter Irrsinn. ● Nach welchem Schönheitsideal streben Mann und Frau heute? Muskulös, gut modelliertes Muskelrelief, aber schlank – dieser Trend hat uns vor einigen Jahren erreicht. Und auch, dass weder Pubertät noch Schwangerschaft Bei den Therapien weist Bettina Isenschmid jeweils auf die Nahrungsmittelpyramide hin. ESSSTÖRUNGEN Im Zentrum des Lebens V on einer Essstörung wird gesprochen, wenn das Essen oder Fasten als Problemlöser ganz ins Zentrum des Lebens gerückt ist und die anderen Wahrnehmungen und Bedürfnisse verdrängt. Oft haben diese Personen kein verlässliches Sättigungs- und Hungergefühl mehr. Umso mehr stützen sie sich auf Kalorienangaben ab oder stellen strikte L’Oscar dei gelatieri artigiani von Beat Kirchhofer Was die hohe Kunst einer Gelateria d’Italia vom in Zürich laut Medienberichten «hippen» Gelati «di Berna» unterscheidet? Kürzlich habe ich für einen Tag und eine Nacht wieder einmal den morbiden Fascino des Badeorts Viareggio genossen, wie auch ein Abendessen mit Funghi Porcini in einem Restaurant in den Wäldern des Hinterlands. Zurück am Longomare. Zwischen Dämmerung und Traum war ein Schlummerbecher angesagt. Die Wahl fiel auf die Bar Galliano. Stehend, das Glas Peroni in der Hand, weil das mehr Raum offen lässt für Entdeckungsreisen. Italienische Bars sind immer eine Entdeckungsreise wert. Whiskyflasche reiht sich an Whiskey, an Liquore, an Grappa, Gin, Amaro. Dazwischen riesige Schokoladenpackungen, Baci die Perugia zum Beispiel mit Rosenstrauss und «Mamma die voglio bene» drauf – aha dürften vom Muttertag übrig geblieben sein. Über dem Hochsitz, auf dem die Kassiererin thront, prangen Ansichtskarten, Zeitungsausschnitte, Familienfotos und bei Galliano Trophäen! Auf einem der Pokale lese ich «L’Oscar dei gelatieri artigiani». Was ist denn das? Fragen bleiben in Italien selten lange unbeantwortet. Galliano, der Chef persönlich, gibt unverzüglich Auskunft: Sein Vater wurde für seine Glace an der Internationalen Messe in Padua achtmal mit einem Oscar ausgezeichnet. Überdies sei er jahrzehntelang Lehrer an der Gelato-Fachschule Essregeln auf. Dieses kontrollierte Essverhalten kann umkippen in Momente ungeregelter Nahrungsaufnahme, die mit einem quälenden Gefühl von Kontrollverlust einhergehen. Ob jemand an Unter- oder Übergewicht leidet, wird mittels BMI (Gewicht dividiert durch die Körpergrösse in m²) bemessen. Normalgewichtig ist, wer einen Wert zwischen 18,5 und 25 kg/m² erreicht. (KF) Die meisten Unter- oder Übergewichtigen schämen sich oder haben eine falsche Körperwahrnehmung und nehmen deshalb keine Hilfe in Anspruch. Wie kann man Betroffenen helfen? Wenn man das Gefühl hat, jemand wird dünner oder isst komisch, dann tut man diesen Menschen kein Leid an, wenn man sie darauf anspricht. Früherkennung ist ganz wichtig. Referat «Essstörungen – nie genug und immer zu viel» mit Bettina Isenschmid und Shima Wyss heute, 19.30 Uhr, im Spital Zofingen Mehr Lohn gefordert ✒ Bsetzistei Die Hitze flirrt über den Pflastersteinen der Zofinger Altstadt. Glace esse ich eigentlich nie, aber mir gefällt die Gelateria in der Vorderen Hauptgasse, am unteren Stadteingang. Sie und die Strassenrestaurants verbreiten einen Hauch von Italianità. KF ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Immer mehr sind auch Männer von Essstörungen betroffen. Weshalb? Auch Männer orientieren sich in den Sozialen Medien viel stärker als früher an einem Körperideal. Es ist ein Wetteifer, dass man einander Bilder davon schickt, was man isst oder von den Übungen, die man macht. Sehr viele Plattformen machen Druck, sich zu vergleichen, was problematisch ist. Für junge Menschen ist es zunehmend schwieriger, einen selbstbestimmten Weg zu gehen. Welches ist aktuell die grösste Herausforderung? Mit Sorge beobachten wir unter anderem, dass vermehrt Buben hoch dosierte Proteinkonzentrate, auch Anabolika, via Internet bestellen. Ohne Angabe des Alters und mit der Kreditkarte der Eltern ist das leicht gemacht. Es besteht die Gefahr, dass sie sich damit einen schweren gesundheitlichen Schaden zufügen. In den 90er Jahren hat man das bei Bodybuildern gesehen, die oft an Leberkrebs erkrankt sind. Unser Körper ist nicht in der Lage, eine Überdosis Eiweisse und Hormone zu verkraften. in Mailand gewesen. Ob ich nicht ... oh doch, ich musste sofort die Produktionsstätte besichtigen und werde hinter der Bar durch Gallianos Glace-Paradies geführt. Mit einer vormitternächtlichen Degustation wird die Betriebsbesichtigung abgeschlossen. «Il papà e molto inventivo, creativo.» Zweifellos ist er das, wie ein Versucherli «gelato di gamberi e insalato russo» belegt. Richtig verstanden: Glace aus Crevetten und russischem Salat. Sie schmeckt ... nun, himmlisch wäre der falsche Ausdruck. Eher meerisch, respektive mayonnaisisch – kurzum, sie schmeckte genauso, wie sie heisst. Aber wer schon verschmäht das Werk eines Oscar-Preisträgers? [email protected] Bsetzistei ist die wöchentliche Kolumne der Redaktorinnen und Redaktoren des Zofinger Tagblatts und der Luzerner Nachrichten. Vordemwald Der Gemeinderat beantragt an der heutigen Gemeindeversammlung eine Steigerung seiner Entschädigung um insgesamt 18 Prozent. Acht Jahre ist es her, seit die Gmeind letztmals die Besoldung für den Gemeinderat angepasst hat. «Aus zahlreichen Gründen ist die Prüfung und Anpassung der Entschädigungen auf die neue Amtsperiode folgerichtig», schreibt die Exekutive in der Vorlage und weist etwa auf die Empfehlungen der Gemeindeammännervereinigung (GAV), die Komplexität der Geschäfte und auf die zeitliche Beanspruchung hin. An der Gmeind vom 18. Juni 2015 hatte der Souverän zudem den Auftrag überwiesen, ein Massnahmenpaket zur Attraktivitätssteigerung des Gemeinderatsmandates auszuarbeiten, wobei die Anpassung der Besoldung ebenfalls Thema ist. Vorgesehen sind nun folgende Entschädigungen (ohne Kompetenzsumme): Gemeindeammann: 28 400 Franken (bisher: 24 865 Franken), Vizeammann: 17 050 Franken (14 875), Gemeinderatsmitglieder: 16 050 Franken (13 210). «Die Steigerung der Entschädigung um insgesamt 18 Prozent mag prozentual hoch erscheinen. Die Gesamtsumme von 93 600 Franken für den Gemeinderat und eine Gemeinde mit rund 2000 Einwohnern ist absolut vertretbar», heisst es in der Vorlage weiter. Der Wert liege deutlich unter den GAV-Empfehlungen. Eingeschlossen seien in der Pauschale auch die Tag- und Sitzungsgelder, die künftig nicht mehr separat ausbezahlt werden sollen. Eine Senkung sieht der Gemeinderat bei der Kompetenzsumme vor. Diese soll von 30 000 Franken auf 15 000 Franken reduziert werden. Weiter ist der Gemeinderat im Sinne des Überweisungsauftrages der Auffassung, dass die Gemeinde einem Mitglied ermöglichen soll, seine Entschädigung bei der beruflichen Vorsorge 2. Säule zu versichern. Falls die Voraussetzungen erfüllt seien, übernehme die Gemeinde den entsprechenden obligatorischen Anteil am Arbeitgeberbeitrag. (KF)