Komplexe Traumafolgestörungen - Geschlossene

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Komplexe Traumafolgestörungen und ihre
Auswirkungen auf die Selbststeuerungsfähigkeit –
Bedeutung für die Ausgestaltung von pädagogischer
Settings
Schwarzacher Symposium: Qualitätsstandards für
freiheitsentziehende Maßnahmen:
„Neuropädagogik - Herausforderung für pädagogisches
Handeln“
Marc Schmid, Schwarzach, den 2. Juli 2013
Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik
Zentrum für Liaison und Qualitätssicherung
Einleitung
Trauma, Selbstkontrolle, Freiheit und geschlossene
Unterbringung
„Niemand ist frei, der über sich selbst nicht Herr ist.“
Matthias Claudius (1740 -1815), Deutscher Dichter
http://was-ist-psychologie.de/wpcontent/uploads/2012/12/Was-ist-Selbstkontrolle-283x310.jpg
http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/27409312&docid=kZx4T6kCpYLkUM&imgurl=http://
img.fotocommunity.com/images/Emotionen/Verzweiflung/Freiheit-a27409312.jpg&w=1000&h
=773&ei=tsXOUdS9O8nvswaY7oHwBw&zoom=1&iact=rc&dur=461&page=2&tbnh=138&tbnw=1
85&start=24&ndsp=36&ved=1t:429,r:59,s:0,i:272&tx=61&ty=49&biw=1280&bih=822
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Gliederung
1.
Was ist ein Trauma?
2.
Komplexe Traumafolgestörungen
3.
Trauma, Selbststeuerung und pädagogische Probleme
4.
Eskalation der Hilfen bis zur geschlossen Unterbringung
5.
Geschlossene Unterbringung als Mittel gegen die
Machtlosigkeit
6.
Einige Überlegungen zur Funktion von Regeln
7.
Traumapädagogik
8.
Geschlossene Unterbringung und traumapädagogische
Konzepte
9.
Zusammenfassung und Diskussion
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Was ist ein Trauma?
Traumatisches Lebensereignis
Extreme physiologische
Erregung
Flucht
Freeze
Fight
Traumasymptome
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Bei einer Traumatisierung laufen parallel zwei
unterschiedliche physiologische Prozesse ab
Übererregungskontinuum
Fight oder Flight
› Alarmzustand Wachsamkeit
› Angst/Schrecken
› Adrenalin System wird aktiviert
- Erregung
› Serotonerges System verändert
sich - Impulsivität, Affektivität,
Aggressivität
Physiologisch
› Blutdruck (Pulsrate )
› Atmung
› Muskeltonus
› Schmerzwahrnehmung
Dissoziatives Kontinuum
Freeze - ohnmächtige / passive
Reaktion
› Gefühlslosigkeit / Nachgiebigkeit
› Dissoziation
› Opioid System wird aktiviert
Euphorie, Betäubung
› Veränderung der Sinnes-, Körperwahrnehmung (Ort, Zeit etc.)
Physiologisch
› Pulsrate Blutdruck
› Atmung
› Muskeltonus
› Schmerzwahrnehmung
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Traumatypologien nach Terr (1991)
Typ – I - Trauma
› Einzelnes, unerwartetes, traumatisches
Erlebnis von kurzer Dauer.
› z.B. Verkehrsunfälle, Opfer/Zeuge von
Gewalttaten, Naturkatastrophen.
› Öffentlich, besprechbar
Symptome:
Meist klare sehr lebendige
Wiedererinnerungen
Vollbild der PTSD
Hauptemotion = Angst
Eher gute Behandlungsprognose
Typ – II - Trauma
› Serie miteinander verknüpfter
Ereignisse oder lang andauernde, sich
wiederholende traumatische
Erlebnisse.
› Körperliche sexuelle Misshandlungen
in der Kindheit, überdauernde
zwischen-menschliche Gewalterfahrungen.
Symptome:
› Nur diffuse Wiedererinnerungen,
starke Dissoziationstendenz,
Bindungsstörungen
Hohe Komorbidität, komplexe PTSD
Sekundäremotionen (z.B. Scham, Ekel)
Schwerer zu behandeln
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Biologische Faktoren
Genetik, prä- und perinatale
Risikofaktoren
Soziale
Wahrnehmung
weniger
soziale
Kompetenzen
PTSD:
Hyperarousal,
Intrusionen,
Vermeidung
Störungen
der
Empathiefähigkeit
Mentalisierung
Bindungsstörung
Störungen
der Interaktion
Störung der
Impulskontrolle
Selbstregulation
Stresstoleranz
Invalidierende,
vernachlässigende
Umgebung
Typ-II-Traumata
Selbstwert, Gefühl d.
Selbstunwirksamkeit
kognitive Schemata
Dissoziationsneigung/
Sinneswahrnehmung
Schmid (2008)
Störung der
Emotionsregulation
Störungen des
Körperselbst
Körperwahrnehmung
Somatisierung
Störung der
exekutiven,
kognitiven
Funktionen
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Biologische Faktoren
Genetik, prä- und perinatale
Risikofaktoren
Soziale
Wahrnehmung
weniger
soziale
Kompetenzen
PTSD:
Hyperarousal,
Intrusionen,
Vermeidung
Störungen
der
Empathiefähigkeit
Mentalisierung
Bindungsstörung
Störungen
der Interaktion
Störung der
Impulskontrolle
Selbstregulation
Stresstoleranz
Invalidierende,
vernachlässigende
Umgebung
Typ-II-Traumata
Selbstwert, Gefühl d.
Selbstunwirksamkeit
kognitive Schemata
Dissoziationsneigung/
Sinneswahrnehmung
Schmid (2008)
Störung der
Emotionsregulation
Störungen des
Körperselbst
Körperwahrnehmung
Somatisierung
Störung der
exekutiven,
kognitiven
Funktionen
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Biologische Faktoren
Genetik, prä- und perinatale
Risikofaktoren
Soziale
Wahrnehmung
weniger
soziale
Kompetenzen
PTSD:
Hyperarousal,
Intrusionen,
Vermeidung
Störungen
der
Empathiefähigkeit
Mentalisierung
Bindungsstörung
Störungen
der Interaktion
Störung der
Impulskontrolle
Selbstregulation
Stresstoleranz
Invalidierende,
vernachlässigende
Umgebung
Typ-II-Traumata
Selbstwert, Gefühl d.
Selbstunwirksamkeit
kognitive Schemata
Dissoziationsneigung/
Sinneswahrnehmung
Schmid (2008)
Störung der
Emotionsregulation
Störungen des
Körperselbst
Körperwahrnehmung
Somatisierung
Störung der
exekutiven,
kognitiven
Funktionen
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Umgang mit Gefühlen und emotionaler Anspannung
Implizite und explizite Emotionsregulation vgl. Schmid (2013)
› Chronisches Hyperarousal.
› Gefühle werden schneller als aversive
Anspannung erlebt.
› Handlungsimpulse können nicht adäquat
identifiziert bzw. schwerer gegenreguliert
werden.
› Gefühle dauern länger an,
Regenerationszeit, und überlagern sich.
› Umgang mit Gefühlen konnte nie erlernt
werden.
› Gefühle werden tendenziell als bedrohlich
erlebt und vermieden/negiert.
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Krise: Spannungsreduktion
„Emotionsphobie“
Selbstverletzung
Parasuizid
Weglaufen
Aggression
Dissoziation
Konsum
Stimulus
Emotion
negiert
Reaktion
inadäquat
Spannungsanstieg
Das Dilemma ist, dass diese Patienten entweder zu viel oder zu wenig von
ihren Gefühlen wahrnehmen! (van der Hart)
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Biologische Faktoren
Genetik, prä- und perinatale
Risikofaktoren
Soziale
Wahrnehmung
weniger
soziale
Kompetenzen
PTSD:
Hyperarousal,
Intrusionen,
Vermeidung
Störungen
der
Empathiefähigkeit
Mentalisierung
Bindungsstörung
Störungen
der Interaktion
Störung der
Impulskontrolle
Selbstregulation
Stresstoleranz
Invalidierende,
vernachlässigende
Umgebung
Typ-II-Traumata
Selbstwert, Gefühl d.
Selbstunwirksamkeit
kognitive Schemata
Dissoziationsneigung/
Sinneswahrnehmung
Schmid (2008)
Störung der
Emotionsregulation
Störungen des
Körperselbst
Körperwahrnehmung
Somatisierung
Störung der
exekutiven,
kognitiven
Funktionen
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Dissoziation und Trauma
Veränderung der Wahrnehmung
›
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Veränderung der Wahrnehmung
Pädagogisches Probleme durch Dissoziation
› Die verzerrte Wahrnehmung von neutralen Reizen kann Auslöser (Trigger) für
Kampf- und Fluchtimpulse/-handlungen sein.
› Beeinträchtige Körper- und Schmerzwahrnehmung - Unfallneigung, Kraft wird
falsch eingeschätzt, Selbstverletzung.
› Starke Leistungsschwankungen - nicht lernen können.
› Räumliche, zeitliche Desorientierung - konfabulieren vs. lügen.
› Schnelle Wechsel fallen schwer - Desorientierung.
› Können soziale Rolle unter Druck nicht ausfüllen - Retraumatisierungen können Gruppendynamiken nicht unterbinden.
› Dissoziation führt fast zwangsläufig zur Nichtpartizipation bei wichtigen
Gesprächen (Familien-, Hilfeplan).
› Wut wird in der Gegenübertragung nicht „gespürt“ - überraschende Aggression Heftigkeit und Körperkraft sind kaum vorherzusehen.
› Teufelskreis von stärkerer Intervention und Dissoziation.
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Biologische Faktoren
Genetik, prä- und perinatale
Risikofaktoren
Soziale
Wahrnehmung
weniger
soziale
Kompetenzen
PTSD:
Hyperarousal,
Intrusionen,
Vermeidung
Störungen
der
Empathiefähigkeit
Mentalisierung
Bindungsstörung
Störungen
der Interaktion
Störung der
Impulskontrolle
Selbstregulation
Stresstoleranz
Invalidierende,
vernachlässigende
Umgebung
Typ-II-Traumata
Selbstwert, Gefühl d.
Selbstunwirksamkeit
kognitive Schemata
Dissoziationsneigung/
Sinneswahrnehmung
Schmid (2008)
Störung der
Emotionsregulation
Störungen des
Körperselbst
Körperwahrnehmung
Somatisierung
Störung der
exekutiven,
kognitiven
Funktionen
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Bindungsprobleme
Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme
„Der Kontakt selbst ist das gefürchtete Element, weil er das
Versprechen von Liebe, Sicherheit und Trost beinhaltet, das nicht
erfüllt werden kann und das (den Patienten) an die abrupten
Verletzungen erinnert, die er in seiner Kindheit erlebt hat.“
Lawrence E. Hedges
(1997, S.114)
› Über 90% der Heimkinder weisen
unsichere Bindungsmuster auf
(Schleiffer, 2003)
http://www.kwick.de/4048033/blog/36/
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Strategien, um belastende Bindungen
eingehen zu können
„Das Kind muss den Anteil
in sich unterdrücken, der
das Böse im Elternteil
entdecken könnte.“
J. Freyd 1996
Die Kinder zeigen Anzeichen von
Dissoziation, Freeze und
Fragmentierung, wenn sie mit ihren
Eltern unter Stress interagieren.
Downing (2007), Liotti (2005) .
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Mittlerer Abstand in der Beziehungsgestaltung
„Der Verstand kann uns sagen, was wir unterlassen sollen.
Aber das Herz kann uns sagen, was wir tun müssen.“
Joseph Joubert
Emotionales
Engagement
Reflektierende/
professionelle
Distanz
Dammann 2006, Schmid 2007
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Ärger / Wut
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Geschlossene Unterbringung und Traumapädagogik
„Die Freiheit besteht in erster Linie nicht aus Privilegien , sondern aus
Pflichten.“
Albert Camus
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Martin Kühn, 2009 vom Referent verändert
Freiheitsentziehende
Maßnahme - GU
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Machtbegriff von Hannah Arendt
Anwendung auf den sozial-pädagogischen Bereich
› Macht
Gewalt
› Analyse von Entstehung und Scheitern von
totalitären Systemen.
› Wahre Macht entsteht zwischen Menschen mit
gemeinsamen Zielen/Werten, indem Macht von
einem Menschen an andere Menschen abgegeben
wird.
› Macht, die auf Unterdrückung und Sanktionen
beruht, produziert Misstrauen und reduziert die
Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen.
› Gewalt untergräbt somit letztlich die „wahre
Macht“, was zu Gewaltexzessen und dem Verlust
von Werten führt.
› Ohne Legitimation durch andere Menschen führt
Macht zu Gewalt und Isolation.
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Macht in der Therapie und Pädagogik
› Jede therapeutische–pädagogische Beziehung weist ein Macht-Ungleichgewicht
auf.
› Therapeuten und Pädagogen werben um das Vertrauen in unsere Fachlichkeit und
das Bemühen, um von einer Person die Macht übertragen zu bekommen.
› Bei der Indikation der geschlossenen Unterbringungen sind die
Autonomiebedürfnisse derart ausgeprägt und Bindungsbedürfnisse unterdrückt,
dass es unmöglich ist, ausreichend Vertrauen aufzubauen und freiwillig Macht
übertragen zu bekommen.
› Die GU und die damit verbundene Ausübung von Macht/Gewalt ist notwendig,
um eine Chance zu haben, eine Beziehung aufzubauen und Macht freiwillig
übertragen zu bekommen.
› Gelingende therapeutische und pädagogische Prozesse sind oft durch grosses
Vertrauen, von einem „Wir“ und einem Problemlöseansatz gekennzeichnet –
Wir-Sprache als Schutz vor Machteskalation - Wie können wir das gemeinsam
schaffen? - Was machst Du? - Wie können wir Dich unterstützen?
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Teufelskreis aus Machtausübung und Widerstand
Die Reaktanztheorie (Brehm, 1966)
Ausüben von
Macht und
Kontrolle
Widerstand,
Regelübertritt,
Rebellion,
Echte Veränderung von Einstellungen und (Wert-)Handlungen sind nur
über Partizipation und vertraute Beziehungen möglich.
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Offen und geschlossen geführte Station in der
Erwachsenenpsychiatrie
Lang U. (2012): „Innovative Psychiatrie mit offenen Türen“
%
18
16
14
12
10
Offen
8
Geschlossen
6
4
2
0
Übergriffe
Zwangsmedikation
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Einige Überlegungen zum Umgang mit Regeln
› Welche Vorerfahrungen mit Regeln haben traumatisierte
Heranwachsende?
› Konnten Regeln mit den Erwachsenen ausgehandelt werden?
› Wurden die Regeln von den Erwachsenen erklärt, logisch mit einem
„guten Grund“ begründet oder willkürlich vorgegeben?
› Wurden die Regeln nicht eindeutig und transparent definiert?
› Regeln haben die Kinder in der Regel überfordert (Einrichtungswechsel,
Strafen von Eltern).
› Wurde die Einhaltung von Regeln positiv verstärkt und wertgeschätzt,
oder wurde nur die Nichteinhaltung sanktioniert?
› Wie wurde die Nichteinhaltung von Regeln sanktioniert? Macht es in
Anbetracht dieser Erlebnisse Sinn, mit Strafe zu operieren?
› Wurde lange Zeit wiederholt mit Konsequenzen zum Beispiel der GU
gedroht und nichts passierte bis… Ist die Einleitung der GU frei vom
Gedanken der Strafe ? …
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Gruppenregeln und Selbstwirksamkeit Selbstunwirksamkeit
› Mit traumatisierten Kindern eskalieren viele
Situationen, bei denen die Einhaltung von
Regeln eingefordert wird.
› Starre Gruppenregeln überfordern besonders
belastete Kinder häufig.
› Die meisten Regelübertretungen und die
damit einhergehende Eskalation können als
Kontrollverlust erklärt werden.
› Je rigider die Anwendung von Regeln desto
unsicherer sind in der Regel die Fachkräfte.
› Regeln werde daher individuell ausgehandelt
und begründet (Selbstwirksamkeit; Regeln
sichern gute Beziehungen).
› Regeln sollen personifiziert und internalisiert
werden (familienähnliche Struktur).
http://www.phpresource.de/forum/atta
chments/out-order/2455d1181334360na-toll-na-toll.jpg
› Regeln sind dazu da, Ausnahmen zu
begründen!
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| 35
Überlegungen zum Umgang mit Regeln
Ziel ist die Internalisierung von Werten
Internalisierter
Wert
Regel
Fähigkeit zur adäquaten
Wahrnehmung eine
auslösenden Situation
Verantwortung versus Gehorsam?
Erkenntnis vs. Angst vor Konsequenz
Verhalten
Innere versus äußere Sicherheit???
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Umgang mit Regeln
Deeskalation hat immer Vorfahrt
› Für welche Regel lohnt sich das Risiko einer
pädagogischen Eskalation? Was sind die Folgen?
(Lohnt eine Eskalation bis 1 Uhr nachts wegen
Licht aus um 22.00 Uhr?).
› Suche den richtigen Moment, um eine
Regelverletzung zu besprechen. Achte auf eine
wertschätzende Haltung und Argumente, warum Dir
diese Regel wichtig ist.
› Das Einfordern einer Regel macht nur in Situationen
Sinn, in denen das Kind diese auch aufnehmen,
annehmen und verstehen kann. Echtes Verstehen ist
unter Angst und Anspannung nicht möglich.
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Individuelle Anpassung und Begründung von Regeln
„Der reissende Fluss wird gewalttätig genannt. Warum
nicht das Flussbett, welches ihn einengt?“
Bertolt Brecht
Fazit zu Regeln:
«Möglichst wenig abstrakte,
institutionalisierte Regeln und
möglichst viele persönliche
Absprachen mit ausführlicher
Begründung zwischen
Sozialpädagogen und Kindern»
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| 38
Einführung in die Traumapädagogik
„Man ist dort zu Hause, wo man verstanden wird.“
Indianisches Sprichwort
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| 39
Zwei Ebenen der Emotions- und
Beziehungsregulation
Aktuelle Gefühlsreaktionen
(nicht nur eigene)
werden heftiger und als
potentiell bedrohlich erlebt
Gegenwärtige Wirklichkeit
Wahrnehmung
Körperreaktion
Gedanken
Handlungsdrang
„Normale“ Beziehungen
Gefühle
Vergangenes traumatisches Erleben
Wahrnehmung
Körperreaktion
Gedanken
Gefühle
Handlungsdrang = Freeze/Fight/Flight
„Gefährliche“ Beziehungen
„Glaubenssätze“
„Selbstbild“
| 40
Wirkungsweise der Milieutherapie
Gegenwärtige Wirklichkeit
Wahrnehmung
Körperreaktion
´Traumapädagogisches
Milieu / Therapie
Gefühle
Gedanken
Handlungsdrang
Wahrnehmung
Körperreaktion
Gefühle
Gedanken
Handlungsdrang
Förderliche Beziehungsgestaltung
Vergangenes traumatisches Erleben
Wahrnehmung
Körperreaktion
Gedanken
Handlungsdrang = Freeze
Gefühle
Korrigierende Erfahrungen mit
Gefühlen und Beziehungen
im pädagogischen Alltag.
Schutz vor Retraumatisierung
und den damit verbunden
Gefühlen.
„Glaubenssätze“ und „Selbstbild“
verändern sich nur durch
alternative Beziehungserfahrungen und gute Therapie.
Grundidee zur Analyse von Problemverhalten
Vom Du zum Wir
Umweltbedingungen
Verhalten der
Fachkräfte
Interaktion
pädagogische
Begegnung
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Verhalten der
Klienten
| 42
Neue Beziehungserfahrungen führen
zur Veränderung
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| 43
Traumapädagogik: Korrigierende Beziehungserfahrung
Traumapädagogische Haltung
Traumatisierendes
Umfeld:
Traumapädagogisches
Milieu
› Unberechenbarkeit
› Transparenz /Berechenbarkeit
› Einsamkeit
› Beziehungsangebote/ Anwaltschaft
› Nicht gesehen/gehört werden › Beachtet werden/wichtig sein
› Geringschätzung
› Wertschätzung (Besonderheit)
› Bedürfnisse missachtet
› Bedürfnisorientierung
› Ausgeliefert sein – andere
› Mitbestimmen können Bestimmen absolut über mich Partizipation
› Leid
› Freude
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| 44
Der sichere Ort
Konzept
des sicheren Ortes
Nur ein „sicherer Ort“ erlaubt es, die hochwirksamen Überlebensstrategien aufzugeben und alternative Verhaltensweisen zu
erlernen.
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| 45
Der sichere Ort
Kooperation mit dem
Herkunftssystem
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| 46
Haltung
Sicherer Ort
Sicherer
Ort
=
Äussere
Sicherheit
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+
Innere
Sicherheit
| 47
Mitarbeiter als Teil des pädagogischen Konzeptes
› Traumatisierte Kinder lösen bei professionellen Helfern intensivste
Gefühle aus – Phänomen der sekundären Traumatisierung.
› Letztlich ist für die Frage, ob ein Kind nach einer Eskalation auf einer
Wohngruppe verbleiben und gehalten werden kann, nicht das
Problemverhalten sondern die Tragfähigkeit des Teams ist
entscheidend.
› Nur „stabile, sichere Mitarbeiter“ können in Krisensituationen
stabilisieren und deeskalieren.
› Mitarbeiter benötigen in Krisensituationen ähnliche innerpsychische
Fertigkeiten (natürlich auf viel höherem Niveau), wie die Kinder
(Emotionsregulation, Selbstwirksamkeit, Resilienzfaktoren).
› Sowohl die Heranwachsenden als auch die Mitarbeiter brauchen
letztlich einen sicheren Ort, an dem sie sich selbstwirksam erleben.
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| 48
Indikation für geschlossene Unterbringung
Ohnmacht der Helfer
Belastung des
Teams, Verlust
von Freude
Rasant zunehmende
Selbstunwirksamkeitserwartung; geringere
pädagogische Präsenz
Verlust der Kreativität
und Rigidität
Herausforderndes,
aufmerksamkeitssuchendes Verhalten
der Jugendlichen, Regelübertretungen
Aggression der Jugendlichen auf der
Wohngruppe
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| 49
Haltungselemente
Ebene des Kindes
Ebene der Mitarbeiter
Unbedingte Wertschätzung
Wertschätzung der Überlebensleistung und der
Wertschätzung der Arbeitsleistung und
Besonderheit des Kindes.
Persönlichkeit.
Hinter jedem Problemverhalten und Widerstand
Hinter Fehlverhalten oder Widerstand eines
des Kindes steckt ein "guter Grund". Die
Mitarbeiters steckt "ein guter Grund". Die
zugrundeliegenden Bedürfnisse müssen beachtet
zugrundeliegenden Bedürfnisse müssen
und "versorgt" werden, um ein Gefühl von
beachtet und "versorgt" werden.
"Guter Grund"
Sicherheit wieder zu erlangen.
Individualisierung
Jedes Kind benötigte eine andere Förderung und
Es kann unterschiedliche Erwartungen an
es darf nicht über- und unterfordert werden. Auf
Mitarbeiter geben. Jeder Mitarbeiter braucht
die Bedürfnisse der Kinder wird individuell
eine andere Form der Unterstützung.
eingegangen.
Achtsamkeit
Partizipation
Achtsamkeit auf Spannungszustände, Anzeichen
Achtsamkeit auf Symptome von Burn-Out,
von Über- und Unterforderung.
Unzufriedenheit, Über- und Unterforderung.
Wichtige Entscheidungen und Regelungen werden
Wichtige Entscheidungen und Regelungen
gemeinsam ausgehandelt. Das Kind darf, wo
werden gemeinsam ausgehandelt. Mitarbeiter
immer möglich, (mit)entscheiden.
können, wo immer möglich,
Ziel ist das Erleben von Selbstwirksamkeit.
(mit)entscheiden.
Ziel ist das Erleben von Selbstwirksamkeit.
Transparenz
Institutionelle Abläufe und Absprachen und deren Entscheidungen auf Leitungsebene und deren
Hintergründe,
Sinn
und
Motivation
werden Hintergründe, Sinn und Motivation werden
transparent gemacht.
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 2. Juli 2013
dem Team gegenüber transparent gemacht.
| 50
Traumapädagogische Haltungen im Zwangskontext
Haltungselemente
Freiheitsentzug und Zwangsmaßnahmen
Unbedingte Wertschätzung
Wertschätzung der Besonderheit, der Überlebensleistung und des ausgeprägten
Autonomiestrebens/Widerstands des/der Jugendlichen.
"Guter Grund"
Jede Anwendung von Zwangsmassnahmen muss begründet werden können. Der „gute Grund“
für jede Zwangsmassnahmen (Gründe des Kindes, Gründe der Helfer) auch der GU sollte in der
anschliessenden Reflektion von beiden Seiten verstanden werden, auch wenn man nicht damit
einverstanden ist und dies nicht sein muss/kann.
Individualisierung
Jedes Kind benötigte eine andere Förderung und es darf nicht über- und unterfordert werden.
Auf die Bedürfnisse der Kinder wird individuell eingegangen. Die Individualität der Kinder wird
auch im Zwangskontext gefördert Kleidungsstil und Zimmer sollen individuell, aber heil(-sam)
gestaltet sein.
Transparenz
Transparenz über die Anwendung und den Ablauf des pädagogischen Alltages und insbesondere
des Ablaufes von Zwangsmaßnahmen, d.h. antizipieren und durchgehen von Szenarien
möglichen Zwangsmaßnahmen und alternativen Handlungsmöglichkeiten. Dies kann zur
Reduktion der damit verbundenen Ängste, Belastung und traumatischen Wiedererinnerungen
führen, sehr zur Deeskalation beitragen und diese im Idealfall unnötig machen.
Partizipation
Gerade weil die Partizipationsmöglichkeiten des/r Jugendlichen durch die GU stark
eingeschränkt sind, sollten diese im pädagogischen Alltag besonders betont werden.
Es sollten möglichst viele Möglichkeiten der Kontrolle und Mitbestimmung geschaffen werden.
Zukunftsorientierung-
Die geschlossenen Unterbringung ist als Übergang zu definieren, und es wird schon sobald wie
Entwicklungsförderung
möglich/bei der Aufnahme darauf geachtet, dass das gemeinsame Ziel, eine gute Anschlusslösung
zu finden, gemeinsam entwickelt wird.
| 51
Traumapädagogische Matrix
(Lang et al., 2009)
Ebenen des sicheren Ortes
Ansatzpunkte
› Verbesserung der Fertigkeiten der
Emotionsregulation.
Kinder
Institution
Struktur
Mitarbeiter
› Verbesserung der Sinnes- und
Körperwahrnehmung – Reduktion
der Dissoziationsneigung.
› Selbstfürsorge
› Aufbau von positivem Selbstbild,
Selbstwirksamkeit und sozialen
Fertigkeiten (inkl. Verbesserung
der Stresstoleranz).
› Erarbeitung von dynamischen
Resilienzfaktoren.
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 2. Juli 2013
| 52
Traumapädagogische Konzepte
Steigerung der Selbstwirksamkeit durch Fallreflektion
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| 53
Institution
Leitung
„Versorger„
„Fachdienst“
„Gruppenpädagogen“
Kind
Externe Hilfen: Kollegiale Intervision/ Supervision/ Coaching/ Verband
Traumapädagogische Krisenanalyse
„Verstehen kann man das Leben nur rückwärts,
leben muss man es aber vorwärts.“
Sören Kierkegaard
Traumapädagogische Verhaltensanalysen:
• Jedes kindliche Verhalten macht auf Basis
vorheriger sozialer Lernerfahrungen einen Sinn - es
gibt einen „guten Grund“ für jedes noch so bizarre
Verhalten!
• Gibt es Auslöser („Trigger“), die mit traumatischen
Erlebnissen assoziiert sind? Wurden
Sicherheitsbedürfnisse des Jugendlichen verletzt?
• Beziehungs-, Autonomie- und
Sicherheitsbedürfnisse des Kindes und der
interagierenden pädagogischen Fachkräfte müssen
versorgt werden (im Alltag, in weiteren ähnlichen
Situationen)!
http://de.wikipedia.org/wiki/Datei
:Kierkegaard.jpg
• Was muss ein Kind lernen, um sich in ähnlichen
Situationen zukünftig adäquater verhalten zu
können, wie kann dieser Lernprozess gefördert
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werden?
Drei Ebenen der Unterstützung
› Administrative Ebene (eher Fachdienst)
› Abläufe
› Fachliche Weisungen
› Rechtliche Rahmenbedingungen
› Edukative Ebene
› Vermittlung von Wissen, Techniken
› Fallverstehen
› Supportive Ebene
› Emotionale Unterstützung/ Entlastung
› Verständnis
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Schlussfolgerungen
Trauma, pädagogische Konzepte und GU
› Traumatische Erfahrungen und psychische Erkrankungen sind in der
Heimerziehung eher die Regel als die Ausnahme. Vermutlich sind
geschlossen untergebrachte Jugendliche diesbezüglich sogar noch wesentlich
stärker belastet - systematische epidemiologische Untersuchungen hierzu
stehen noch aus.
› Traumafolgestörungen beeinträchtigen die Fähigkeit zu Selbststeuerung und
das Vertrauen in zwischenmenschliche Beziehung – dies erschwert den
pädagogischen/therapeutischen Zugang.
› Die Mehrzahl der Regelübertretungen und pädagogische Krisen können als
Verlust der Selbstkontrolle betrachtet werden.
› Bei Jugendlichen, die sich pädagogischen Beziehungen entziehen, fühlen sich
die Fachkräfte machtlos – Risiko für psychische Belastung/Burnout.
› GU erschwert es den Heranwachsende, sich den Beziehungsangeboten zu
entziehen und macht die sozial-pädagogischen Fachkräfte wieder
handlungsfähig.
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Schlussfolgerungen
Trauma, pädagogische Konzepte und GU
› Traumapädagogische Haltungen und Interventionen lassen sich auf
geschlossene Settings übertragen (Fallbesprechungen).
› Förderung von gezielten Fertigkeiten, welche die Jugendlichen in ihren
Herkunftssystemen nicht erlernen konnten.
› Entscheidend ist es transparent zu sein, gemeinsam ein Narrativ über den
„guten Grund“ der Zwangsmassnahme der GU zu entwickeln, in die eigene
Biographie zu integrieren (Stadler, 2005) und die Individualität und
Partizipation der Jugendlichen auch unter geschlossenen Bedingungen zu
leben.
› GU sollte möglichst nicht als Strafe sondern als sorgendes
Beziehungsangebot eingeleitet werden - Gegenübertragungsgefühle sollten
bei der Indikationsstellung reflektiert werden.
› Basis ist ein wertschätzende Haltung und ein Verständnis für die aus den
belastenden Beziehungserfahrung der Heranwachsenden resultierenden
teils maladaptiven Formen der Beziehungsgestaltung/-angebote.
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DANKE FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT
„Haltung ist eine kleine Sache,
die einen großen Unterschied
macht.“
Sir Winston Churchill
Slides unter:
www.EQUALS.ch
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Kontakt und Literatur
Marc Schmid
Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik
Schanzenstrasse 13, CH-4056 Basel
+41 61 265 89 74
[email protected], www.upkbs.ch
www.equals.ch www.IPKJ.ch
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