Erzwungene Landarbeit

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Zwangsarbeiter waren ein fixer Faktor in der NS-Landwirtschaft
Erzwungene Landarbeit
chronik
13. September 1933: Gründung des „Reichsnährstandes“,
der ständischen Organisation der
NS-Agrarpolitik. Sämtliche an
der Erzeugung und dem Absatz
landwirtschaftlicher Produkte
Beteiligte werden per Zwangsmitgliedschaft gleichgeschaltet. Der
Reichslandwirtschaftsminister ist
gleichzeitig Reichsbauernführer.
29. September: Einführung des
Reichserbhofgesetzes zur Konkretisierung der „Blut-und-BodenIdeologie“ und zur Erhaltung der
„nordischen Rasse“.
26. Juni 1935: Beschluss des
Gesetzes zur Arbeitsdienstpflicht. Männliche und weibliche
Jugendliche zwischen 18 und 25
Jahren werden zur Ableistung
eines Arbeitsdienstes verpflichtet
(Reichsarbeitsdienst/RAD).
Der Krieg führte auch in der Landwirtschaft zum Einsatz von Zwangsarbeitern – deren Arbeitsbedingungen waren nicht zuletzt von ihrer
Die Arbeitsämter entwickelten sich
im NS-Staat zu Schaltstellen des
„Arbeitseinsatzes“, so auch in der
Landwirtschaft. Dort stießen sie auf
zwei grundlegende Probleme: einerseits die 1938/39 im Zuge des Rüstungsbooms schlagartig einsetzende
„Landflucht“ von ländlichem Gesinde
sowie Bauernsöhnen und -töchtern,
andererseits die seit 1939 im Zuge des
Eroberungskrieges und vor allem seit
dem Übergang von den „Blitzkriegen“
zum Abnützungskrieg 1942/43 zunehmende Einberufung männlicher Landarbeitskräfte zur Wehrmacht.
Zur Lösung des landwirtschaftlichen
Arbeitskräftemangels setzten die Arbeitsämter als „zivile Wehrbezirkskommandos“ von Anfang an auf Zwangsmaßnahmen: Zunächst trachteten
sie danach, die landwirtschaftlichen
Beschäftigten durch die Einschränkung des Arbeitsplatzwechsels zu
halten und die nichtlandwirtschaftliche Bevölkerung, vor allem Mädchen
und Frauen, durch „Pflichtjahr“ und
Dienstpflicht für die Landwirtschaft
zu mobilisieren. Mit dem deutschen
Angriff auf Polen 1939 rückten diese
in der deutschen Bevölkerung höchst
unpopulären Zwangsmaßnahmen in
den Hintergrund; in den Planungen
der Behörden trat nun der „Ausländereinsatz“, die Beschäftigung von Kriegsgefangenen und Zivilarbeitskräften
der vom Deutschen Reich abhängigen
Staaten, in den Vordergrund.
Der von der „Arbeitseinsatzverwaltung“ 1939/40 geforderte Masseneinsatz polnischer, belgischer und französischer Kriegsgefangener und, in
weiterer Folge, Zivilistinnen und Zivilisten stieß jedoch auf heftige Einwände des Polizeiapparats. Der aus dem
Interessenkonflikt zwischen Pragmatikern und
Ideologen resultierende
Kompromiss verband
den „Ausländereinsatz“
mit einem diskriminierenden, nach nationalen
und rassischen Kriterien
abgestuften Sonderrecht. Danach lassen
sich drei Gruppen ausländischer Arbeitskräfte in der Landwirtschaft
unterscheiden: wenig
diskriminierte Kriegsgefangene und
Zivilarbeitskräfte aus West- und Südosteuropa, stark diskriminierte Kriegsgefangene und Zivilarbeitskräfte aus
Osteuropa sowie „italienische Militärinternierte“ und die am stärksten diskriminierten „ungarischen Juden“.
Diskriminierung
Wie das Beispiel des Reichsgaues „Niederdonau“ zeigt, folgten die Einsatzzahlen dem im Kriegsverlauf wechselnden Angebot an Kriegsgefangenen
(Höchststand: 32.895 im September
1942) und ausländischen Zivilarbeitskräften (Höchststand: 71.262 im Juni
1944) und der im Jahresrhythmus
schwankenden Arbeitskräftenachfrage in den Betrieben. Offenbar orientierten sich die Entscheidungsträger
in den Arbeitsämtern durchwegs an
kriegswirtschaftlichen Maßstäben;
so wurden die Groß- und Gutsbetriebe in der „Kornkammer“ des
Marchfeldes – trotz der heiklen Lage
an der Reichsgrenze – bevorzugt mit
Zwangsarbeitskräften versorgt. Es
werden jedoch auch rassen- und geschlechterpolitische Züge erkennbar:
So wurden „Polinnen“ und „Ostarbei-
Oben: Weibliche Angehörige des
terinnen“ zum überwiegenden Teil
Reichsarbeitsdienstes (RAD) laden Mist
der als „primitiv“ geltenden Landarbeit
auf. Rechts: „Schaubild der Woche“
im Amstettener Anzeiger 1943.
zugewiesen oder dienten als flexible
Manövriermasse zwischen Agrar- und
le Vertragsbestimmungen zur
Industriesektor. In den Jahren 1943/44
Eindämmung der Dienstgeberversiegte, mit Ausnahme der „italieniwillkür an Einfluss verloren,
schen Militärinternierten“ im Herbst
desto einflussreicher wurden
1943 und einiger tausend „ungarischer
personale Beziehungsnetze.
Juden“ im Sommer 1944, der Zustrom
In manchen Fällen saßen die
an Neuankömmlingen. Die Arbeits„Fremdarbeiter“, gemäß der
ämter gingen nun zur Umverteilung
bäuerlichen Devise „Gemeinder anwesenden Ausländerinnen und
sam arbeiten – gemeinsam
essen“, mit den bäuerlichen
Ausländer sowie zum verstärkten „Arbeitseinsatz“ der Deutschen über.
Familienangehörigen am Mittagstisch. In anderen Fällen
wurden sie, abgesondert von
Der Widerspruch zwischen dem
den Deutschen, in schmutziEinschluss der ausländischen Landgen Baracken unzureichend versorgt.
arbeitskräfte in die Betriebe und
In welcher Weise die verordnete DisHaushalte und dem abgestuften
kriminierung der ZwangsarbeiterinAusschluss aus der „Betriebs-“ und
nen und -arbeiter umgesetzt wurde,
„Hausgemeinschaft“ äußerte sich im
hing mit der jeweiligen ArbeitsorgaAlltag in vielerlei Situationen, etwa im
nisation zusammen: In bäuerlichen
Konflikt um die „Tischgemeinschaft“.
Familienwirtschaften, wo AusländeDer Amstettner Anzeiger führte 1943
rinnen und Ausländer meist einzeln
die verordnete „Rassentrennung“ eineingesetzt und untergebracht wurden,
drücklich vor Augen: „Nur der deutwar eine lückenlose Kontrolle unmögsche Volksgenosse gehört in unsere
lich; hier bestimmten oft wechselseitiges Vertrauen, manchmal aber auch
Tischgemeinschaft!“ Je mehr informelle Klientelbindungen und formelbäuerliche Willkür die Arbeitsbezie-
Rassentrennung
hungen. Auf Groß- und Gutsbetrieben
wurden ausländische Arbeitskräfte
meist in Arbeitskolonnen eingesetzt
und in Lagern untergebracht; dies
war mit der Diskriminierung nach
nationalen und rassischen Kriterien
eher vereinbar. Vereinfachende Aussagen, etwa die Zwangsarbeit in der
Landwirtschaft im Vergleich zu jener
in der Industrie als „leichteres Los“ zu
bezeichnen, verfehlen die Komplexität
der Alltagswirklichkeit.
TEXT Ernst Langthaler
Lebensgeschichte ...
... einer polnischen Zwangsarbeiterin auf einem Bauernhof
© BAA/OEGZ
walttätigen Attacken des
als jähzornig und trinkfreudig beschriebenen Bauern
Helene Pawlik wurde 1915 in Racławice in Poknüpften. Auch der später
len als jüngstes von acht Kindern geboren.
als Wehrmachtssoldat ums
Nach dem deutschen Überfall auf Polen mussLeben gekommene Sohn
te sich Helene Pawlik im Juni 1940 unter Drodes Bauern erscheint als
hungen der Polizei zum Arbeitseinsatz in
Verbündeter, wie eine von
Deutschland melden. Über Krakau und Wien
ihm aufgenommene Fotogelangte sie nach St. Pölten, wo sie vom Argrafie, auf der Helene
beitsamt einem Bauernbetrieb in Hafnerbach
Pawlik mit geborgtem
im Landkreis St. Pölten zugewiesen wurde. Um Helene Pawlik, eine polnische Landarbeiterin,
Sonntagskleid vor einem
die Jahreswende 1940/41 wurde Helene Paw- im geborgten Sonntagskleid neben einem Zugochsen.
Ochsengespann posiert, andeutet. Dennoch war die polnische
lik schwanger und gebar 1941 im Krankenhaus St. Pölten eiZivilarbeiterin den Repressalien des Bauern, die vom Essensnen Sohn. Der Vater war ein im selben Ort beschäftigter polentzug über Schläge bis zu sexuellen Attacken reichten, weinischer Zivilarbeiter. Die Betriebsbesitzer, die auf die
terhin ausgesetzt: „Der hat kein Erbarmen übrig gehabt für
Arbeitsleistung Helene Pawliks setzten, konnten das Ansinnen
Menschen, kein Erbarmen.“
der Behörden, die junge Mutter zusammen mit dem Kind nach
Polen abzuschieben, durch Bestechung unterlaufen. Nach einer ersten Phase, in der die Fremdheitserfahrungen überwo... eines russischen Zwangsarbeiters
gen, entwickelte sich – verstärkt nach der Geburt des Kindes
auf einem Gutshof
– zwischen der polnischen Landarbeiterin und der Bäuerin
Dmitrij Filippovich Nelen, 1924 im Kreis Krasnodarsk in Russeine Art Vertrauensverhältnis, das die beiden gegen die geland geboren, wurde im Zuge des deutschen Rückzuges 1944
als „Ostarbeiter“ in das Deutsche Reich deportiert. Ein beschwerlicher, mit entmenschlichenden Erfahrungen verbundener Transport in Viehwaggons führte ihn über Rumänien und
Ungarn in das Durchgangslager Strasshof in „Niederdonau“; von
dort wies ihn das Arbeitsamt Gänserndorf dem Gutsbetrieb des
Erzbistums Wien in Obersiebenbrunn im Landkreis Gänserndorf
zu. Auf dem Obersiebenbrunner Gut waren zu dieser Zeit etwa
50 sowjetische, polnische und italienische Arbeitskräfte beschäftigt. Die Gutsverwaltung forcierte seit Kriegsbeginn den
Feldfutter- und Futtergetreidebau sowie die Milch- und Mastviehhaltung; dies erhöhte den Bedarf an ständigen Arbeitskräften, der überwiegend durch Kriegsgefangene und „Ostarbeiter“
gedeckt wurde. Der Gutsverwalter führte, so Dmitrij Filippovich
Nelen, ein strenges Regiment. Neben unzureichender Verpflegung und vergitterten Unterkünften habe es keinen Lohn für die
Arbeit gegeben: „Dreihundert Gramm Brot pro Tag und trübe
Brühe. Am Morgen und am Abend. Am Mittag haben wir nichts
bekommen. So war es.“ Überdies trieb der Verwalter ungeübte,
bei der Arbeit nachhinkende „Stadtburschen“ mit Stockschlägen an. Diese zwangen die geübteren, vom Land stammenden
„Ostarbeiter“, bei der Feldarbeit das gemeinsame Arbeitstempo
einzuhalten – und auf diese Weise der Gewalt zu entgehen.
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