Pulfrich-Pendel Boxengasse Versetze beide Pendel nacheinander in Schwingung. Beobachte ihre Bewegung aus ca. 2,5 m Abstand. Setz eine Brille mit einseitig getöntem Glas auf und betrachte die Pendel erneut. Beobachte das Pendel mit und ohne Brille. Wie würdest du die Bewegungen beschreiben? Was siehst du, wenn du das Pendel mit nur einem Auge betrachtest? Der Physiker und Optiker Carl Pulfrich (1858 – 1927) war auf dem linken Auge blind und daher nicht in der Lage, räumlich zu sehen. Dennoch – oder deshalb –beschäftigte er sich intensiv mit den wissenschaftlichen Grundlagen des räumlichen Sehens, der „Stereoskopie“. 69 Wir sehen mit dem Auge – und mit unserem Gehirn. Mit den Augen nehmen wir optische Reize wahr, und das Gehirn konstruiert daraus ein Bild. Die Wahrnehmung der Lichtreize durch das Auge lässt sich in einigen Punkten mit dem Prinzip einer optischen Kamera vergleichen. Bei den Stationen „Große Kamera“ oder „Reproduktionskamera“ kannst du sehen, wie eine Linse ein zweidimensionales Bild des Raumes auf eine Glasfläche projiziert. Auch im Auge befindet sich eine Linse (allerdings – im Gegensatz zu den starren Glaslinsen – mit veränderlicher Brennweite) und als Projektionsfläche dient die Netzhaut, die die Lichtreize in Nervenimpulse umwandelt. Unser Gehirn muss nun aus diesen Informationen, die ja lediglich auf einer zweidimensionalen Projektion beruhen, ein dreidimensionales Bild des Raumes konstruieren. Wenn du mit beiden Augen abwechseln blinzelst, kannst du erkennen, dass sich die wahrgenommenen Bilder beider Augen unterscheiden – je näher das betrachtete Objekt, umso größer ist der Unterschied. Indem das Gehirn die Sinneswahrnehmungen beider Augen verarbeitet und miteinander vergleicht, gewinnt es Informationen über die Entfernung verschiedener Objekte und konstruiert in Bild des Raumes. Zum räumlichen Sehen sind also immer zwei Augen nötig (du kannst ja mal versuchen, mit nur einem Auge Entfernungen zu schätzen.) Doch wie entsteht die Illusion, das Pendel würde kreisen, wenn man mit einem Auge durch das abgedunkelte Glas schaut? Wenn Licht auf die Netzhaut des Auges fällt, wird dort in den Zellen ein elektrischer Impuls ausgelöst. Je nach Lichtintensität reagieren diese Fotorezeptorzellen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit: Je mehr Licht, umso schneller wird der optische Reiz wahrgenommen. Wenn nun ein Auge durch das getönte Glas schaut, werden die von ihm ausgehenden Nervenimpulse im Gehirn etwas später verarbeitet, so dass die Sinneswahrnehmungen beider Augen zeitversetzt zusammengesetzt werden. Während dieser kurzen Zeitdifferenz (es handelt sich lediglich um wenige Millisekunden) hat sich das Pendel weiterbewegt. Aus diesen von den beiden Augen zu verschiedenen Zeiten wahrgenommen Reizen konstruiert das Gehirn eine räumliche Tiefe, die es so gar nicht gibt: Das Pendel sieht aus, als würde es im Raum kreisen. 70