Planung Gesamtkonzept Dynamische Gebäudesimulation Die vielfältigen Anforderungen an Form und Funktion eines Gebäudes werfen Fragen auf, die mit konventionellen Methoden oft schwer zu beantworten sind. Maßgeschneiderte Lösungen lassen sich mit der dynamischen Gebäude- und Anlagensimulation entwickeln, wie der Neu und Umbau vieler moderner Gebäude zeigt V ielfach wird in der heutigen Planung in der Form vorgegangen, dass der durch die Architektur gegebene Baukörper mit den ihm eigenen bauphysikalischen Randbedingungen losgelöst von der Technik betrachtet wird. So entstehen Gebäude mit einem hohen Technikanteil, die gekennzeichnet sind durch: Bild 1: Ablauf und Einflussgrößen einer dynamischen Gebäudeund Anlagensimulation 18 ❚ geringe individuelle Einflussmöglichkeit des Nutzers ❚ wenig Behaglichkeit und hohe Kosten ❚ hohen Energieverbrauch und hohe Emissionen. Eine allgemeine Lösung für diese Probleme zu finden fällt schwer – davon zeugen u.a. die für die gebäudetechnische Planung eingesetzten Standard- programme. Zur qualitativen und quantitativen Entwicklung von maßgeschneiderten Planungsvarianten, zum technischen Betrieb und zum Benchmarking von Immobilien bietet sich ein komplexer Optimierungsansatz: die dynamische Gebäude- und Anlagensimulation. Gebäudesimulation Die dynamische Gebäude- und Anlagensimulation bildet auf der Basis eines Computersimulationsmodells das stündliche Verhalten von einem Gebäude nach – jeweils bezogen auf ein Betriebsjahr. Maßgebende Faktoren dafür sind der jeweilige Standort, die Beschaffenheit des Gebäudes und seiner haustechnischen Anlagen, seine Nutzung und die regionalen Wetterdaten (Bild 1). Vielfältige Varianten werden vor dem eigentlichen Bau simuliert und deren Auswirkungen auf die Betriebs- und Investitionskosten sowie das Raumklima berechnet, bewertet und optimiert. Zur Erarbeitung eines der modernen Architektur adäquaten gebäude- und anlagentechnischen Konzeptes wird vielfach eine dynamische Gebäudesimulation durchgeführt. Architektur Der Neubau des Gebäudes soll auf einem Gelände errichtet werden, das ab dem 3. Obergeschoß gut einsehbar ist. Eine Außendarstellung des Unternehmens ist bei Anordnung an der Südfassade daher ideal gegeben. Die Materialien wurden in ihrer Erscheinung als unprätentiös mit ho5/2005 Planung Der Erweiterungsbau der Sendeanstalt SAT1 wurde mittels dynamischer Gebäude- und Anlagensimulation geplant. Grafische Oberfläche des Simulationsprogrammes hem Nutzwert und vor allem hoher Nutzdauer gewählt. Die Farbgebung soll die materialimmanenten Farben zum Gestaltungsprinzip erheben: Sichtbeton, Edelstahl, Glas. Die Fassaden bilden mit ihrer texturalen Gestaltung der Außenflächen einen spannungsvollen Kontrast. Geschlossenheit und Transparenz differenzieren zusätzlich die Baumassen. Zusammen mit den skulpturalen Baukörperformen entsteht ein mit zeitgemäßen Mitteln gestaltetes und in seiner Erscheinung herausragendes und modernes Gebäude (Bild 2). Simulationsmodell Zonierung: Das Gebäude wurde entsprechend seiner Nutzung, seiner Geometrie und seiner energetischen Belastung in Berechnungszonen unter5/2005 gliedert. Jede Zone für sich unterliegt unterschiedlichen, sich stündlich verändernden Belastungen durch innere und äußere Lasten sowie die anlagentechnischen Größen. Dabei wurde der Baukörper in zwei Bauteile unterteilt, für die unterschiedliche ReferenzBauteil West geschoße definiert wurden (s. Bild 3). Innere und äußere Lasten: Zu den inneren Lasten zählen Personen, Beleuchtung und die technische Büroausstattung. Sie führen in der Sommerperiode (Kühlfall) zu nutzungsabhängigen Kühllasten und im Winterfall (Heizfall) zu einer entsprechenden Reduktion des Wärmebedarfs. Äußere Lasten entstehen für das Gebäude aus den Witterungseinflüssen wie Temperatur, Feuchte, Strahlung und Wind. Diese wirken einerseits über die Außenhaut des Gebäudes, andererseits führen sie über den Luftwechsel Lasten zu bzw. ab. Sowohl innere als auch äußere Lasten werden stündlich für ein Jahr nachgebildet und dem Gebäude aufgeprägt. Bauteil Ost Bild 3: Zonenmodell beider Bauteile im Simulationsprogramm 19 Planung Dynamische Gebäudesimulation Anlagentechnik: Die Kühlung und Heizung des Gebäudes soll durch Betonkernaktivierung erfolgen, die als Technik umweltschonend das natürliche Energieangebot zu nutzen vermag. Gleichzeitig wird auf einfache und Kosten sparende Weise thermische Behaglichkeit im Gebäude geschaffen. Durch eine aktivierte speicherwirksame Bauwerksmasse wird eine Dämpfung der Raumtemperatur im Tagesverlauf erreicht. Dazu werden bauteilintegrierte Rohrregister in der statisch neutralen Zone der Decken von Wasser in energetisch sinnvollen Temperaturbereichen durchflossen (Bild 4). Bild 4: Schnitt durch ein aktiviertes Bauteil (Quelle: velta) Die Betonkernaktivierung kann – physikalisch bedingt – nicht zu jedem Zeitpunkt die auftretende Last in vollem Umfang abführen. Somit gleitet die Temperatur im Tagesverlauf in Abhängigkeit von der verfügbaren Speichermasse und den auftretenden Heizbzw. Kühllasten. Eine zeitabhängige, d.h. dynamische Betrachtung aller Fak- toren, die den Temperaturverlauf im Gebäude beeinflussen ist daher mittels Gebäudesimulation notwendig. Verglasung In einer ersten Simulationsrechnung wurde festgestellt, dass – bedingt durch die nahezu vollflächige Glasfassade – lediglich der Kühlfall für ausgewählte Räume des Gebäudes kritisch ist. Optimierungsgrößen für die Fassade sind daher der k- und der gWert der Verglasung in Zusammenspiel mit dem verwendeten Verschattungssystem. Im ersten Schritt wurde daher der energetische Einfluss des g-Wertes auf die maximale Kühllast und den Jahreskühlenergieverbrauch bestimmt (Bild 5). Darauf aufbauend wurde zur Feststellung des thermischen Einflusses des g-Wertes der Verglasung dieser in Schritten zu 10% von g = 0,2 … 0,8 erhöht und jeweils eine Jahressimulation durchgeführt. Im Anschluss an jede Simulation wurden die 4.400 Stundenwerte jeder Variante (Monate April-September) statistisch ausgewertet. Es wurden für den Raumtemperaturbereich 22°C … 32°C insgesamt 7 Cluster mit einem Raster von 2 K gebildet. Für jedes Temperaturcluster wurde die Anzahl der Stunden er- Bild 5: Maximale Kühllast ausgewählter Räume in Abhängigkeit von der Gesamtenergiedurchlässigkeit des verwendeten Glases (g-Wert) 20 Bild 6: „Kennfelder“ Überhitzungsstatistik für verschiedene Räume in Abhängigkeit vom g-Wert mittelt (Bild 6). Auf diese Art und Weise erhält man aus komplexen Simulationsrechnungen kennfeldähnliche Diagramme, die für den Planungsingenieur in der Praxis leicht verwendbar sind. Verschattung Der Charakter eines Bauwerkes wird nicht alleine durch die Form und die verwendeten Materialien bestimmt – es sind die Details, die dem Objekt sein Gesicht verleihen. Dabei ist der Sonnenschutz für jedes Gebäude eine unverzichtbare Planungsaufgabe mit sehr individuellen Gestaltungsmöglichkeiten, deren Ziel es ist, den Wunsch des Menschen nach Tageslicht sowie den Schutz vor Überhitzung in einem intelligenten Konzept miteinander zu vereinen. Beim Design der Verschattung des Gebäudes wurden – ähnlich wie bei der Hypo Alpe-AdriaBank in Klagenfurt – fixe Lochbleche als Verschattungselemente verwendet (Bild 7). Mittels der dynamischen Gebäudesimulation wurden durch zahlreiche Variantenrechnungen für jede Stunde des Jahres die optimale Kombination von 5/2005 Planung Bild 9: Thermische Optimierung der geplanten Sonnenschutzlösung: Maximale Kühllast in Abhängigkeit von der Elementlänge und dem Lochanteil Bild 7: Beispiel Verschattungselemente (Quelle: Hypo Alpe-Adria-Bank) a) Verschattungswinkel, b) Elementlänge und c) Lochblechanteil bestimmt (Bild 8 und 9). Überlagert wurde diese von einer Verschattungssimulation, die den aus den unterschiedlichen Anstellwinkeln resultierenden Verschattungseffekt visualisiert. Zusammenfassung Als Teil eines integralen Planungsprozesses erfolgten alle Optimierungs- schritte in enger Abstimmung mit dem Bauherren, dem Architekturbüro sowie den Bauphysikern. In ersten Simulationsrechnungen wurde festgestellt, dass – bedingt durch die nahezu vollflächige Glasfassade – lediglich der Kühlfall für ausgewählte Räume des Gebäudes kritisch ist. Hierfür wurde eine Optimierung der Fassade hinsichtlich Verglasung und Verschattung durchgeführt. Im Ergebnis der Simulation konnte ein mit der modernen Architektur und der zeitgemäßen Technik der Bauteilaktivierung harmonierendes Gesamtkonzept erarbeitet werden. Neben optimalen klimatischen Bedingungen stand auch ein nachhaltig geringer Energiebedarf im Vordergrund. Entsprechend der Nutzung wurde das Gebäude in Zonen unterteilt. Für jede von diesen wurde der optimale g- und k-Wert bestimmt, für das Atrium wurden darüber hinaus die Verschattungselemente dimensioniert. So ergibt sich ein energieminimales Gebäude, das ein sich den natürlichen Umgebungsbedingungen nachschwingendes Raumklima in allen Bereichen des Gebäudes aufweist (Bild 10). Bild 10: Raum- und Umgebungstemperaturen einschließlich Statistik nach der Optimierung Bild 8: Detailskizze der geplanten Sonnenschutzlösung (Quelle: MHM Architects) Die Autoren DI Dr.-Ing. Axel Seerig Jahrgang 1962; 1983 Studium Verfahrenstechnik und 1992 Promotion Thermodynamik an der TU Berlin; 1994 Einstieg bei der Deutschen BabcockBorsig AG; 1996 – 2003: Entwickler und Energy Consultant für u.a. Deutsche Bank, RWE, HEW und BEWAG; 2004/2005: Studiengangsleitung Gebäudetechnik, FH Burgenland; derzeit Lektor im KKB Energie- und Umweltmanagement der FH Burgenland, der TU Graz und der STU Bratislava DI Dr.-Ing. Axel Seerig sowie Projektentwickler für u.a. Strabag und MCE DI (FH) Katharina Eder Jahrgang 1982, studierte bis 2004 Gebäudetechnik und ist jetzt wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wärmetechnik der TU Graz. DI Miklos Nikolics Jahrgang 1949, ist Prokurist und Bereichsleiter Haustechnik und Facility Management des Unternehmensbereiches Hochbau International der Strabag Bauholding Wien. 5/2005 21