Funktionelle Herzbeschwerden osteopathisch

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Funktionelle Herzbeschwerden
­osteopathisch betrachtet
Autonome Regulation
und Einflüsse des
Bewegungsapparats
Gordian Lukas Schmid
© Prometheus. Lernatlas Anatomie / Voll, Wesker [18]
Schmid GL. Funktionelle Herzbeschwerden osteopathisch betrachtet. osteopathisch 2017; 1: 37–44
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Funktionelle Herzbeschwerden Differenzialdiagnostik
Differenzialdiagnostik Funktionelle Herzbeschwerden
Die autonome Versorgung des Herzens
Die autonome Innervation des Herzens (Abb. 1, Abb. 2) erfolgt sympathisch efferent über die Fasern der intermediolateralen Kernsäule des Rückenmarks zwischen Th 1 und Th 5, die über die Vorderwurzel und die Rr. communicantes albi zu den oberen 5 thorakalen
Grenzstrangganglien ziehen, hauptsächlich dort umgeschaltet werden und anschließend über die Nn. cardiaci thoracici und und Nn.
cardiaci cervicales superior, medius und inferior zum Herzen ziehen. Parasympathisch erhält das Herz seine Efferenzen aus dem
N. vagus, der mit dem Sympathikus gemeinsam den Plexus cardiacus als festes und unentwirrbares autonomes Nervengeflecht bildet.
Dabei sorgen die sympathischen Efferenzen für eine erhöhte Herzfrequenz und Herzkraft, eine Verkürzung der AV-Überleitungszeit
und der Erregungsrückbildung sowie eine erniedrigte Reizschwelle für die Bildung von Aktionspotenzialen für die Muskelkontraktion. Die erklärt auch, dass Herzrhythmusstörungen bei gesteigertem Sympathikotonus, z. B. bei emotionalen Erregungszuständen,
häufiger auftreten.
Die Steuerung der Funktion der Herz-Kreislauffunktion ist komplex und erfolgt über spinale wie supraspinale Zentren. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Hypothalamus zu, der die afferenten
Informationen des Herzes und des Gefäßsystems und die Einflüsse des Neokortex und des limbischen Systems integriert. Diese Einflüsse sind auch dafür verantwortlich, dass Gefühle, Affekte, Stress
und andere psychologische Komponenten einen direkten Einfluss
auf das Vegetativum und damit auf die Herzfunktion haben [4].
Auch erwähnt seien an dieser Stelle die endokrinen Einflüsse
(z. B. Noradrenalin, Adrenalin, Kortisol), welche die Herz-Kreislauf38
Zusammenfassung
Dieser Artikel erläutert ausgehend von ­funktionellen
Störungen des Herzens dessen v
­ egetative Innervation
und betrachtet dann mögliche Verbindungen parietaler
und faszialer Dysfunktionen mit einer gestörten ­Balance
von Sympathikus und Parasympathikus. Schließlich werden Sinnhaftigkeit und Möglichkeiten für eine unterstützende osteopathische Behandlung für funktionelle Herzbeschwerden diskutiert.
Funktion modulieren können. Alle genannten Steuergrößen haben
den Zweck, die Blutversorgung verschiedener Organe an spezielle Situationen anzupassen und Funktionen wie Flucht und Kampf,
Regulation der Körpertemperatur, Verdauung sowie Fortpflanzung
zu optimieren.
Diese Anpassungen des Körpers an äußere Gegebenheiten sind
essenziell für das Überleben und ein Wunderwerk der Natur. Jedoch
kann ein eine einseitige Stimulation des vegetativen Nervensystems, z. B. durch dauerhaften beruflichen Stress und mangelnde Erholungspausen, auch zu Fehlregulationen wie einer arteriellen Hypertonie führen. Schiffter beschrieb einen dauerhaft erhöhten Sympathikotonus als wesentlichen Risikofaktor bei der Entstehung eines
Herzinfarktes [5]. Der chronisch erhöhte Herzstoffwechsel, die Tendenz zur Vasokonstriktion und die erhöhte Gerinnungsbereitschaft
des Blutes würden besonders ein z. B. durch Arteriosklerose vorbelastetes Herz zusätzlich schädigen. Besonders betont er die Notwendigkeit, Affekte, die zu sympathikotonen Zuständen führen, durch
Muskelarbeit (wie bei Kampf oder Flucht) abzuführen und so wieder eine Balance im Vegetativum zu schaffen. Interessanterweise
gäbe es bei Wildtieren in natürlicher Umgebung das Phänomen des
Herzinfarktes nicht, während dies bei domestizierten Hausschweinen z. B. sehr wohl auftrete.
Einflüsse des Bewegungsapparats
Neben der Betrachtung der Innervation des Herzens lohnt sich auch
ein Blick auf andere Strukturen, die einen direkten oder indirekten
Einfluss auf die Herzfunktion haben können.
Auch der Bewegungsapparat kann
Einflüsse auf die Herzfunktion haben.
Zunächst sei das Zwerchfell genannt, das mit dem Perikard, also
dem wenig dehnbaren, fibrösen Herzbeutel, fest verwachsen und so
direkt mechanisch gekoppelt ist. Diese enge Verbindung wird beispielsweise beim Roemheld-Syndrom offenbar, bei dem es durch
starke Gasfüllung der Oberbauchorgane zu einem Zwerchfellhochstand kommt. Symptome sind Herz- und Atembeklemmungen,
Herzrhythmusstörungen bis hin zu Angina-pectoris-Beschwerden. Eine Hypomobilität, Verspannungen oder ein anders bedingter Hochstand des Zwerchfells könnten somit die Herzfunktion beeinträchtigen.
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Funktionelle Herzbeschwerden, historisch auch mit Herzneurose,
Phrenokardie, Effort-Syndrome, Da-Costa-Syndrom, neurozirkulatorische Asthenie und anderen Namen betitelt, sind eine Gruppe
von Erkrankungen, die sich symptomatisch u. a. durch Brustschmerzen, Angina pectoris, Tachykardien, Palpitationen, Extrasystolen,
Schweißausbrüche, Schwindelgefühl, Hyperventilation und ausgeprägtes Angstgefühl äußern [1][2]. Definiert werden sie durch das
Fehlen eines pathologischen Substrates, also einer klaren Strukturveränderung, wie z. B. einer Verengung der Herzkranzgefäße, welche die Symptome ätiologisch erklären könnte. Deshalb wird diese
Erkrankung dem psychosomatischen Formenkreis zugeordnet und
hauptsächlich gesprächs- und psychotherapeutisch behandelt [3].
Besonderer Wert wird dabei darauf gelegt, dem Patienten zu erklären, dass er sich vor den wahrgenommenen Symptomen nicht
zu ängstigen brauche, da sein Herz nicht ernstlich erkrankt sei. Die
Sinnhaftigkeit dieses Ansatzes soll in keiner Weise bestritten werden. Allerdings lohnt es sich, auch über die körperliche Ebene dieser Funktionsstörung nachzudenken.
Die Aufmerksamkeit soll an dieser Stelle den ausgeprägten körperlichen Symptomen gelten, die trotz aller psychischen Mitbeteiligung ein physiologisches Korrelat haben. Ein starker drückender Brustschmerz, der in seiner Intensität teilweise einem Herzinfarkt ähnelt und deshalb häufig eine Herzkatheteruntersuchung
nach sich zieht, und Herzrhythmusstörungen in Form von Tachykardien und Extrasystolen ohne jede organisch-pathologische Veränderung geben Anlass, über die Einflüsse des autonomen Nervensystems und möglicher Störgrößen in dessen Funktionsweise nachzudenken.
Funktionelle Herzbeschwerden Differenzialdiagnostik
Membrana
thyrohyoidea
Os
hyoideum
N. laryngeus superior
Cartilago thyroidea
N. vagus sinister
N. vagus dexter
Gl. thyroidea
Truncus sympathicus,
Ganglion cervicale
medium
M. scalenus anterior
A. carotis communis
Plexus brachialis
N. laryngeus
recurrens sinister
A. subclavia
N. laryngeus
recurrens dexter
Truncus brachiocephalicus
Costa I
Truncus
sympathicus,
Ganglion
thoracicum
N. vagus am
Aortenbogen
Truncus
sympathicus,
Ganglion
thoracicum
N. vagus dexter
N. phrenicus
dexter
N. phrenicus
sinister
V. cava
superior
Plexus
pulmonalis
Aorta
ascendens
Truncus
pulmonalis
A. intercostalis
posterior
Plexus
cardiacus
N. intercostalis
Cor
N. phrenicus
auf dem
Diaphragma
Diaphragma
Pericardium
fibrosum, eröffnet
Plexus
gastricus
Gaster
Abb. 1 Vegetative Nerven am Herzen (Ansicht von ventral). (aus: [18])
Indirekt hat das Zwerchfell als „Atemmotor“ ebenfalls einen
wichtigen Einfluss auf das vegetative Nervensystem. Bei jeder tiefen Inspiration weitet sich der Thorax. Dabei vollziehen die Rippenköpfchen normalerweise eine kleine Bewegung nach ventral.
Genau vor diesen befinden sich über die gesamte Länge der Brustwirbelsäule die Ganglien des Grenzstranges, in dem Signale des
Sympathikus umgeschaltet werden. Der Grenzstrang wird durch
die Fascia endothoracica bedeckt und steht so in relativ fester Verbindung zur Wirbelsäule und den Rippenköpfchen. Somit kann er
bei Bewegungen im kostovertebralen Gelenk der Rippenbewegung
kaum ausweichen und wird laut Maasen [6] durch Atembewegungen rhythmisch stimuliert. Dieser nennt parietale Dysfunktionen
der Rippenköpfchen als mögliche Störgröße der Funktion der Thoraxorgane.
In seiner Theorie der vertebro-vegetativen Kopplung [7] postuliert Heesch u. a., dass es durch Dysfunktionen der kostovertebralen
Gelenke zu einer mechanischen Irritation und daraus resultierenden Überaktivierung des Sympathikus im entsprechenden Segment
kommen kann. Unterstützt wird diese Theorie von der Beobachtung
in der Praxis, dass häufig deutliche sympathische Reaktionen wie
segmentale Erytheme und Schweißsekretion nach Behandlung der
Brustwirbelsäule oder Tachykardien, Extrasystolen und Palpitationen bei Berührung oder leichter Kompression des Thorax über das
Sternum auftreten. Auch ein ausgeprägtes Angstgefühl und Beklem-
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Plexus aorticus
thoracicus
Trachea
Differenzialdiagnostik Funktionelle Herzbeschwerden
Nucleus dorsalis
nervi vagi
N. vagus
Rückenmarkssegment C8
Rr. cardiaci
cervicales superior
u. inferior
Rückenmarkssegment Th 1
Truncus
sympathicus
Rr. cardiaci
thoracici
Rückenmarkssegment Th 6
Rr. cardiaci
thoracici
Plexus
cardiacus
Nodus
sinuatrialis
(Sinusknoten)
Nodus atrioventricularis
(AV-Knoten)
Myokard
Abb. 2 Vegetative Innervation des Herzens. (aus: [18])
mungen werden von vielen Patienten rückgemeldet. Somit könnte
eine Behandlung, welche die Verbesserung der Beweglichkeit des
Thorax zu Folge hat, auch den Sympathikotonus reduzieren bzw. das
Gleichgewicht zwischen Sympathikus und Parasympathikus günstig verschieben.
Es gibt nicht nur Hinweise auf einen Einfluss parietaler Dysfunktionen auf den Sympathikus, sondern auch umgekehrt scheint ein
erhöhter Sympathikotonus die Beweglichkeit von parietalen und
faszialen Strukturen zu beeinflussen. Die Arbeitsgruppe um Schleip
konnte zeigen, dass Faszien eine aktive Kontraktionsfähigkeit ähnlich der von glatter Muskulatur besitzen [8] und in ihrem Tonus
u. a. von sympathischen Efferenzen mitbestimmt werden [9]. Faszien sind reich sympathisch und afferent innerviert [10] und reagieren auf eine Tonuserhöhung des Sympathikus mit Anspannung.
Das Mediastinum als fasziale Struktur spannt sich kaudal vom
Zwerchfell aus über das Perikard, dorsal über die Ligg. vertebropericardiaca, ventral über die Ligg. sternopericardiaca und kranial über
die Fascia pharyngobasilaris (von dort aus weiter bis an die Schädelbasis) aus [11] und verbindet also die für das Herz funktionell
wichtigen Strukturen Zwerchfell, Perikard und Brustwirbelsäule
bzw. Rippen miteinander und kann diese bei fehlender Elastizität
oder Verkürzung in ihrer Beweglichkeit einschränken.
So ergibt sich ein Circulus vitiosus aus dem Sympathikotonus,
der die thorakalen Strukturen in einen Zustand höherer mechani40
scher Spannung bringt, was dann über die genannten Mechanismen wieder den Sympathikotonus erhöht. Bildlich gesprochen kann
ein sympathikotoner Brustkorb palpatorisch wie „gepanzert“ oder
„versteinert“ imponieren. Zum Durchbrechen dieses Kreislaufes erscheint es also notwendig, sowohl auf der Ebene der Modulation
des Nervensystems, z. B. durch tiefe Entspannung, als auch auf der
strukturellen Ebene, z. B. durch Lösen von artikulären Dysfunktionen und einen faszialen Release, gleichermaßen zu arbeiten, um anhaltende Effekte zu erzielen.
Nicht vergessen werden soll hier auch die Rolle des N. vagus, der
die parasympathische Versorgung des Herzens übernimmt. Dieser
kann v. a. an seinem Austritt am Foramen jugulare und im Bereich
des atlantookzipitalen Übergangs durch die dortigen muskulofaszialen Strukturen mechanisch irritiert und womöglich in seiner Funktion beeinträchtigt werden. Ein verminderter Parasympathikotonus
kann ebenfalls zum sympathischen Übergewicht führen, weshalb
bei einem solchen Verdacht die Untersuchung der Schädelbasis und
Kopfgelenke aus osteopathischer Sicht obligat erscheint.
Funktionelle Störungen als Vorläufer für
­Pathologien?
Von den alltäglichen Beeinträchtigungen abgesehen, die sich durch
die Symptome der funktionellen Herzbeschwerden ergeben können, erscheint es auch aus einem präventiven Ansatz heraus ange-
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Ganglion
cervicale medium
Nn. cardiaci
cervicales superior,
medius u. inferior
Funktionelle Herzbeschwerden Differenzialdiagnostik
Eine saubere Differenzialdiagnose bitte!
Es sei hier darauf hingewiesen, dass es in der Regel nicht in der Kompetenz von osteopathisch arbeitenden Therapeuten liegt, die Behandlung ernsthafter psychischer oder psychiatrischer Probleme al-
Vor einer osteopathischen Behandlung
Leitsymptome Brustschmerz und Atemnot
Ein häufiges Symptom, das Menschen zu einem Arztbesuch bewegt, ist der Brustschmerz. Das Spektrum der möglichen Ursachen,
die sich dahinter verbergen können, ist groß und diese kurze Betrachtung soll keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. In vielen Fällen sind die zugrunde liegenden Störungen wenig gefährlich.
Da es jedoch einige akut lebensbedrohliche Erkrankungen gibt, die
sich durch Brustschmerz und Atemnot als Leitsymptome zeigen, ist
immer eine sorgfältige Abklärung geboten. Die sogenannten „Big
Five“ der dramatischen Ursachen sind das akute Koronarsyndrom,
die Aortendissektion, die Lungenembolie, der Spannungspneumothorax und das Boerhaave-Syndrom [1].
Kardiovaskuläre Ursachen
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zeigt, die autonome Balance durch osteopathische Behandlungen zu
unterstützen. Analog zu der Erkenntnis, dass eine essentielle Hypertonie das Herz im Sinne einer Hypertrophie und schließlich einer
Kardiomyopathie mit Herzinsuffizienz schädigen kann, lassen sich
auch die „nur“ funktionellen Herzbeschwerden betrachten.
Laut den Ergebnissen von Patel et al. [12] werden bei Patienten
mit einer Angina-pectoris-Symptomatik in weniger als der Hälfte aller Fälle relevante Stenosen der Koronargefäße gefunden. Teilweise sind bei Patienten mit vermeintlich gesunden Koronararterien sogar EKG-Veränderungen im Sinne einer Ischämie zu beobachten, ohne dass die Herzleistung jedoch negativ beeinflusst wird.
Dieses Phänomen wird dann als kardiales Syndrom X bezeichnet
[13]. Camici et al. vermuteten hinter diesen Phänomenen eine koronare mikrovaskuläre Dysfunktion [14], also eine Funktionsstörung der kleinen, v. a. intramuralen Herzkranzgefäße, die zu zahlreichen kleinen Ischämien führen kann. Es wurde gezeigt, dass diese funktionellen Einschränkungen mit der Zeit auch die Struktur
des Herzmuskels ungünstig im Sinne einer Hypertrophie, Dilatation oder Fibrosierung verändern und schließlich zum Herzversagen führen können [15].
Die klassische Eingrenzung der initial beschriebenen „funktionellen Herzbeschwerden“ als Störungen ohne eine pathologische Veränderung werden durch die Entdeckung der mikrovaskulären Dysfunktionen am Herzen in Frage gestellt, da es sich dabei
auch um eine Störung der Funktion handelt, deren Einfluss auf die
Struktur erst später detektiert werden konnte. So ist es dem Ausspruch von Still „die Struktur lenkt die Funktion und die Funktion formt die Struktur“ folgend denkbar, dass dies auch für andere Funktionsstörungen des Herzens zutreffen könnte. Womöglich
sind manche organische Herzerkrankungen als Folge einer lang
andauernden milden Funktionsstörung zu werten. Herzrhythmusstörungen könnten im Rahmen einer funktionellen Störung mit
strukturellen Umbauvorgängen im Zeitverlauf ebenfalls begünstigt werden.
Das akute Koronarsyndrom ist die notfallmedizinische Zusammenfassung von der instabilen Angina pectoris und dem akuten Myokardinfarkt, der mit oder ohne die typischen ST-Streckenhebungen
im EKG vorkommen kann.
Angina pectoris heißt wörtlich „Brustenge“ und beschreibt das
charakteristische Gefühl, das Patienten bei einer koronaren Minderperfusion des Herzmuskels angeben. Differenzialdiagnostisch ist
dabei der diffuse, eher großflächige Druck auf dem Brustkorb, der
sich schwerlich lokalisieren lässt, bemerkenswert. Bei einer stabilen Angina pectoris treten die Beschwerden bei körperlicher oder
psychischer Belastung auf und sind nicht durch die Atemphase oder
Haltungsänderung beeinflussbar. Ausstrahlungen der Schmerzen in
den linken Arm, die Schulter, den Unterkiefer oder auch ins Abdomen kommen vor. Diese Schmerzen klingen rasch wieder ab, wenn
der Belastung eine Erholungspause folgt oder die koronare Perfusion durch Nitrate medikamentös verbessert wird. Als instabil bezeichnet man eine Angina pectoris, wenn diese zum ersten Mal auftritt oder im Zeitverlauf an Häufigkeit, Beschwerdeintensität oder
Dauer der Attacken zunimmt. Bei der instabilen Form ist das Risiko für einen akuten Herzinfarkt stark erhöht und sie bedarf deshalb
schneller kardiologischer Abklärung und ggf. Behandlung.
Der akute Myokardinfarkt ist ein lebensbedrohlicher Notfall, bei
dem durch einen Verschluss von einem oder mehreren Koronargefäßen eine Ischämie von Herzmuskelgewebe ausgelöst wird. Das Beschwerdebild ist dem der instabilen Angina pectoris sehr ähnlich.
Häufig sind die Schmerzen von einer vegetativen Begleitsymptomatik mit Schweißausbrüchen, Übelkeit und Erbrechen sowie
einem Schwächegefühl und Angst begleitet. Herzrhythmusstörungen wie AV-Blockierungen, ventrikuläre Tachykardien und
Kammerflimmern flankieren das Geschehen in einem Großteil der Fälle. Bei einer akuten Herzinsuffizienz
bedingt durch den Gewebsuntergang des betroffenen Herzmuskels kann auch eine ausgeprägte Atemnot als Symptom hinzutreten. Trotz der möglichen Intensität der Beschwerden ist ein akuter Myokardinfarkt klinisch nicht sicher von einer instabilen Angina
pectoris abzugrenzen. Dazu bedarf es eines EKG und einer Blutuntersuchung mit Augenmerk auf die spezifischen Herzenzyme, wie
z. B. Troponin-T.
Differenzialdiagnostisch muss bei starkem Brustschmerz auch an
die eher seltene, aber ebenfalls lebensbedrohliche Aortendissektion gedacht werden. Dabei kommt es zu einem Einriss in der durch
­müssen m
­ ögliche gefährliche Erkrankungen
­differenzialdiagnostisch ­ausgeschlossen werden.
lein zu begleiten. Ein interdisziplinärer Ansatz mit professioneller
psychologischer oder psychiatrischer Unterstützung erscheint verantwortungsbewusst und wünschenswert.
Gleiches gilt für die Diagnosestellung von funktionellen Herzbeschwerden an sich. Es handelt sich dabei um eine Ausschlussdiagnose, die ausschließlich von einem Facharzt nach eingehender, gerätegestützter Untersuchung gestellt werden kann. Ohne eine gewissenhafte Abklärung möglicher, abwendbarer gefährlicher Verläufe
und Pathologien sollten Symptomkomplexe wie Brustschmerzen,
Atemnot, Herzrhythmusstörungen oder Ähnliches nicht vorschnell
osteopathisch behandelt werden.
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Differenzialdiagnostik Funktionelle Herzbeschwerden
Entry
Aorta
ascendens
Arcus
aortae
Aortendissektion
falsches
Lumen
Aorta
descendens
Pulmonale Ursachen
Eine andere häufige Quelle für Schmerzen im Thorax stellen die
Lungen und ihre umgebenden Strukturen dar. Die gefährlichste ist
vermutlich die Lungenembolie. Pathogenetisch wird dabei eine
Lungenarterie von einem Embolus verlegt, der fast immer aus den
tiefen Beinvenen stammt. Somit sind eine venöse Thrombose und
deren Embolisation Voraussetzung für dieses Krankheitsbild. Die
Klinik ist häufig nicht so klar, wie beispielsweise beim Myokardinfarkt. Wegen des interindividuell sehr unterschiedlichen Ausmaßes der Embolie, die von der Größe des Embolus und der Lokalisation in der Lungenstrombahn abhängig ist, gestaltet sich auch das
Beschwerdebild sehr divers. Die akut einsetzenden Einzelsymptome sind relativ unspezifisch, können also Zeichen verschiedener Erkrankungen sein und fehlen teilweise auch bei vorhandener Lungenembolie. Ungefähr 90 % aller Patienten leiden unter Dyspnoe,
Tachypnoe und Tachykardie. Thoraxschmerzen treten bei 70 % der
Erkrankten auf, ein Angst- oder Beklemmungsgefühl bei 60 %, Husten oder auskultatorische Rasselgeräusche bei 50 %, Schweißausbrüche bei 30 % und bei 15 % kommt es sogar zu einer Synkope oder einem Schock [1]. Vor allem kleinere Lungenembolien mit flüchtiger
Symptomatik werden daher häufig übersehen.
Beim Pneumothorax gerät Luft durch eine Undichtigkeit des
Lungengewebes in den Pleuraspalt. Ursachen können die spontane
Ruptur von Emphysemblasen oder anderen vorgeschädigten Lungenabschnitten (= Spontanpneumothorax), traumatische Thoraxverletzungen, z. B. Rippenfrakturen, oder Komplikationen von ärztlichen Eingriffen, z. B. dem Stechen von zentralen Venenkathetern,
sein. Durch das Eindringen von Luft in den Pleuraspalt wird der für
die Ausdehnung der Lungenflügel benötigte Unterdruck aufgehoben und das elastische pulmonale Gewebe zieht sich zusammen
(Abb. 4). Je nach Ausdehnung dieser Störung werden Teile der Lunge nicht mehr belüftet und es kommt zu den typischen Symptomen: stechende Schmerzen auf der betroffenen Seite, Luftnot, Hustenreiz und eventuell eine Asymmetrie der Thoraxbewegung beim
Atmen. Eine lebensbedrohliche Komplikation ist der sog. Spannungspneumothorax, bei dem sich durch einen Ventilmechanismus ein Überdruck im Pleuraspalt aufbaut, der das Herz, die obere und untere Hohlvene sowie den gegenüberliegenden Lungenflügel komprimiert. Dies führt zu zunehmender Atemnot und einer
Einschränkung der Herz-Kreislauf-Funktion und damit zum Schock.
Eine schnelle Druckentlastung durch den Arzt ist geboten, um das
Leben der betroffenen Patienten zu retten.
Weitere pulmonale Ursachen für Brustschmerzen sind u. a. die
trockene Pleuritis und das Bronchialkarzinom. Für die Pleuritis sic42
Re-Entry
DeBakey:
I
II
Stanford:
Typ A
III
Typ B
Abb. 3 Aortendissektion mit Intimaeinriss und falschem Lumen. (aus: [18])
Luftstrom
bei Exspiration
kollabierte
Lunge
Luftstrom
bei Inspiration
Pleuradefekt mit
Lufteinstrom
Pleuradefekt mit
Luftausstrom
„leere“ Pleurahöhle mit
Atmosphärendruck
Herzverschiebung
Herzverschiebung
Abb. 4 Pneumothorax. (aus: [18])
ca, auch trockene Rippenfellentzündung genannt, ist klinisch ein
starker atemabhängiger Schmerz, typisch. Sie ist meist nur ein Begleitsymptom bei Infektionen der Lungen, malignen Tumoren oder
einigen Systemerkrankungen und wird über die Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung behandelt.
Gastrointestinale Ursachen
Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts können ebenfalls thorakale Schmerzen verursachen. Häufig sind es Entzündungen der Magenschleimhaut, Ulzera von Magen und Duodenum oder Gallenkoliken, die eine Schmerzprojektion auf den Thorax verursachen.
Anamnestisch hilfreich ist der häufig vorhandene Zusammenhang
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arterielle Hypertonie, Arteriosklerose oder Erbkrankheiten des Bindegewebes vorgeschädigten Innenschicht der Aorta (Abb. 3). Durch
eine Einblutung in die Gefäßwand bildet sich ein 2. Lumen, das dann
den eigentlichen Aortendurchmesser verkleinert und auch Gefäßabgänge abdrücken kann. Dadurch können Infarkte von Hirn, Herz,
Nieren und dem Magen-Darm-Trakt folgen. Die Sterblichkeit bei der
Aortendissektion ist dank der zunehmend verbesserten Operationstechnik in den letzten Jahren immer weiter gesunken [17].
Seltenere kardiale Ursachen für Brustschmerz können des Weiteren eine hypertensive Krise, hämodynamisch relevante Tachykardien, Schädigungen der Herzklappen, eine hypertrophe Kardiomyopathie, eine Perikarditis oder Myokarditis sein.
Funktionelle Herzbeschwerden Differenzialdiagnostik
Andere Ursachen
In der ambulanten Versorgung und auch in der osteopathischen
Praxis sieht sich der Therapeut häufiger mit orthopädischen Ursachen für Brustschmerzen konfrontiert als mit akut lebensbedrohlichen Erkrankungen der inneren Organe. Hinweise auf eine Störung des Bewegungsapparats sind v. a. anamnestisch zu gewinnen.
Die Schmerzen sind häufig genau lokalisierbar, haben eher eine stechende Qualität, sind oft atemabhängig, verändern sich durch Lageänderung und treten häufiger nachts und in Ruhe auf. Dysfunktionen mit muskulären Verspannungen in der BWS und den Rippengelenken, das Tietze-Syndrom und Interkostalneuralgien sind nur
wenige Beispiele für mögliche Schmerzauslöser am Brustkorb.
Als relativ häufige Erkrankung, die zu starken brennenden
Schmerzen am Thorax führen kann, sei auch noch der Herpes zoster erwähnt. Diagnostisch hilfreich sind dabei v. a. die segmentale
Ausbreitung der schmerzenden Hautareale und der Krankheitsverlauf mit den typischen Effloreszenzen, die meist wenige Tage nach
Beginn der Schmerzen auftreten.
Leitsymptom Palpitationen
Palpitationen sind die Wahrnehmungen der eigenen Herzfunktion, meist beschrieben durch Herzklopfen, Herzrasen, Herzaussetzer oder Herzstolpern. Oft verbergen sich dahinter ungefährliche
Extrasystolen, die an sich benigne sind und bei allen gesunden Menschen vielfach täglich auftreten. Dennoch wird die Wahrnehmung
von scheinbaren Fehlfunktionen des Herzens, wie eben einer einzelnen Extrasystole, oft als bedrohlich empfunden, was wiederum
zu einer erhöhten Introspektion und einer vegetativen Angstreaktion führt und die Neigung zur Tachykardie und Extrasystolie verstärkt [3].
Es existiert auch eine Reihe von Herzrhythmusstörungen, welche die Wahrnehmung von Palpitationen verursachen können. Kursorisch seien hier die ventrikulären und supraventrikulären Tachykardien und die Tachyarrhythmien auf dem Boden unterschiedlichster funktioneller und struktureller Herzerkrankungen genannt. Eine
genaue Diagnose kann dabei nur durch ein (Langzeit-)EKG und ggf.
weitere kardiologische Diagnostik gestellt werden.
Neben diesen „echten“ Herzrhythmusstörungen können auch
andere Erkrankungen, wie z. B. eine arterielle Hypertonie, Herzklappenerkrankungen oder eine Herzinsuffizienz, die Wahrnehmung von Palpitationen bedingen. In diesem Zusammenhang dürfen auch hormonelle Einflüsse nicht außer Acht gelassen werden. So
führen eine Hyperthyreose, das Klimakterium oder Hypoglykämien
ebenfalls zu Tachykardien und begünstigen das Auftreten von Extrasystolen. Gleiches gilt für Zustände wie Fieber oder eine Anämie.
Des Weiteren haben Substanzen wie Kaffee, Nikotin, diverse Medikamente und illegale Drogen großen Einfluss auf die Herzfunktion
und sollten bei der Anamneseerhebung mit berücksichtigt werden.
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der Beschwerden mit der Nahrungsaufnahme, der für kardiovaskuläre und pulmonale Ursachen untypisch ist. Ebenso richtungsweisend kann der Palpationsbefund der Oberbauchorgane sein, bei dem
sich neben einer Schmerzausstrahlung meist auch lokale Irritationen wie Druckschmerzen und Resistenzen finden.
Auch das Boerhaave-Syndrom bezieht sich auf den Verdauungstrakt. Genauer gesagt, handelt es sich dabei um eine Ruptur aller
Wandschichten des Ösophagus, meist im unteren Drittel. Für die
Ruptur ist ein sehr schneller starker Druckanstieg erforderlich, der
durch starkes Erbrechen zustande kommen kann. Auch liegt häufig
eine Vorschädigung der Speiseröhre, z. B. durch Alkoholabusus oder
eine chronische Ösophagitis, vor. Klinisch imponieren, neben dem
als explosionsartig beschriebenen Erbrechen, der extreme „Vernichtungsschmerz“ und ein Hautemphysem, also Lufteinschlüsse in der
Haut. Dieser Notfall kommt zwar selten vor, bedarf aber einer sofortigen chirurgischen Versorgung.
Fazit und klinische Implikationen
Bereits diese kurze Zusammenschau macht die Komplexität deutlich, die mit der Diagnostik von Brustschmerzen, Atemnot und Palpitationen einhergeht. Eine sorgfältige Anamnese und klinische
Untersuchung sind essenziell, um verantwortliche Entscheidungen
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Differenzialdiagnostik Funktionelle Herzbeschwerden
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44
Dr. med. Gordian Lukas Schmid
Selbstständige Abteilung für Allgemeinmedizin
Philipp-Rosenthal-Str. 55
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Gordian Lukas Schmid studierte Humanmedizin an der Universität Leipzig. Nebenbei absolviert er ein berufsbegleitendes
Studium der Osteopathie am IFAO. 2014 war er als Assistenzarzt in einer hausärztlichen Praxis tätig, seit 2015 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der selbstständigen Abteilung für
Allgemeinmedizin, Universität Leipzig. Tätigkeit als Arzt für osteopathische Medizin in Torgau und Leipzig.
Schmid GL. Funktionelle Herzbeschwerden osteopathisch betrachtet. osteopathisch 2017; 1: 37–44
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treffen zu können. Im Zweifelsfall sollte, v. a. bei potenziell lebensbedrohlichen Erkrankungen, stets das Wohl des Patienten im Vordergrund stehen und eine konventionelle diagnostische Abklärung
der osteopathischen Behandlung voraus gehen.
Bei der Betrachtung dieser Sachverhalte stellt sich die Frage nach
der Bedeutung für das konkrete osteopathische Arbeiten am Patienten. Die Osteopathie schließt klar die manuelle Beeinflussung des
vegetativen Systems mit ein, sei es beispielsweise über die KucheraTechniken [16], globale kraniosakrale Techniken, das Ribraising oder
die Manipulation der Brustwirbelsäule. Hier steht die Frage nach der
richtigen Technik weit im Hintergrund. Vielmehr gilt es zu erkennen, welcher Patient unter autonomen Funktionsstörungen leidet
und ob die Ursache einer osteopathischen Behandlung zugänglich
ist. Die Flexibilität des Thorax, die Beweglichkeit des Sternums und
des Mediastinums sowie die Freiheit der diaphragmalen Atmung
sind dabei unerlässliche Untersuchungsbefunde.
Selbst wenn es sich bei einem Großteil der funktionellen Herzbeschwerden um psychosomatische Erkrankungen handeln sollte, erscheint es aus meiner Perspektive sinnvoll, das „Soma“, also den Körper, in seinen physiologischen Zusammenhängen nicht zu vergessen.
Eine Behandlung zur Verbesserung der Beweglichkeit des knöchernen Thorax, des Mediastinums, des Zwerchfells und der Strukturen
um das Foramen jugulare kann zu einer ausgeglichenen Funktion
des Vegetativums beitragen und somit einen Heilungsprozess durch
Symptomlinderung von Herzbeschwerden sowie eine bessere Regenerations- und Anpassungsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems unterstützen. Regelmäßige sportliche Betätigung und gezielte Übungen
zur Automobilisation des Patienten sollten Bestandteil eines umfassenden und nachhaltigen Therapieansatzes sein.
Trotz aller Plausibilität der kausalen, funktionellen Erklärungsversuche der Herzbeschwerden ohne pathologisches Substrat bleibt
die tatsächliche klinische Relevanz unsicher [3]. Es kann deshalb immer nur ein Therapie-Versuch sein, an der somatovegetativen Dimension der Erkrankung anzusetzen.
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