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Der interessante Fall Nr. 6
C. NöIIe, T. Stöver, Th. Lenarz
Medizinische Hochschule Hannover, HaIs-Nasen-Ohrenklinik
(Direktor: Prof. Dr. Th. Lenarz)
49jahriger Patient stelit sich mit einer seit zwei Monaten
bestehenden Horminderung links sowie einer behinderten
Nasenatmung seit zwei Jahren vor. Weiche Verdachtsdiagnose
stellen Sie?
Anamnese
Der Patient beobachtet seit zwei Jahren eine beidseits zunehmend behinderte Nasenatmung. Saisonale Beschwerden im
Sinne einer Rhinitis allergica werden verneint. Zusätzlich gibt
er em vermindertes Riechvermogen sowie frontotemporale
Cephalgien an. Vor mehreren Jahren habe er kurzfristig Doppelbilder gehabt. Gelegentlich sehe er beim Buck zur Seite
verschwommen. Der sonstige Allgemeinzustand sei gut, es
lagen keine weiteren l<rankheiten vor.
Diagnostik
Otoskopisch zeigte sich em Paukenergu links bei unauffalligem Befund rechts. Bei der Nasenendoskopie fand sich
eine Muschelhyperplasie beidseits. Im Bereich der hinteren
Nasenhaupthohle und des Rachendaches fiel eine kugelige
Vorwolbung auf. Es zeigte sich em glatter, mit Schleimhautgefa1en bedeckter kugeliger Tumor, der den linken Tubenwinkel komplett verlegte (Abb. 1).
Zur weiteren Klarung der Nasenatmungsbehinderung wurde
zunachst em Allergietest durchgefuhrt, der eine ausgepragte
allergische Reaktion auf Frühblüher ergab. Eine allergische
Rhinitis erschien damit moglich, erklärte jedoch nicht die
perennialen Beschwerden.
Die weitere Diagnostik mu sich auf die Abklarung der
tumorösen Formation konzentrieren. An gutartigen Tumorformationen kommen dabei Adenoide, Polypen, Papillome und
das Nasenrachenfibrom, sehr selten Chordome im Bereich des
Nasopharynx in Frage.
Aufgrund des Alters des Patienten sowie des endoskopischen
Befundes 1st em Nasenrachenfibrom (glatter, grauroter Tumor
mit stark durchscheinenden Gefäen) auszuschliegen. Hätte
sich eine starke Vaskularisation gezeigt, solite auf eine Probeexzision zur histologischen Klärung zuriachst verzichtet und
als erstes eine Angiographie durchgefuhrt werden.
Laryngo-Rhino-Otol.76(1997)568—570
Georg Thieme Verlag Stuttgart. New York
Abb.1 Nasenendoskopie: Vorwolbung in der linken Nasenhaupthöhle und dem Nasopharynx mit glatt begrenzter Oberfläche und
ausgeprgter Gefazeichnung.
Die haufigsten malignen Tumoren dieser Region sind Plattenepithelkarzinome oder lymphoepitheliale Tumoren (Schminke-Tumor). Selten können Lymphome (vor allem bei Kindern),
in Afrika auch das Burkitt-Lymphom vorkommen. Hierbei wird
eine Assoziation mit EBV-Viren angenommen. Auch das
Nasopharynxkarzinom kann mit EBV-Viren assoziiert sein [61.
Der EBV-Titer bei unserem Patienten war allerdings negativ.
Die vom Patienten beschriebenen Sehstorungen lieEen nicht
nur an em lokal verdrängendes Tumorwachstum denken.
Ebenso mute abgeklart werden, ob der Tumor moglicherweise intrakraniellen Ursprungs war oder von der Schädelbasis entstammte und somit in den Nasopharynx sowie angrenzende Gebiete einbrach. In Frage kommen hier in erster Linie
Meningeome und Hypophysentumoren, seltener Chordome
oder Kraniopharyngeome [4]. Aus diesem Grunde wurde
zunächst eine augenarztliche Untersuchung veranlagt. Sie
ergab einen normalen Visus, keine Motilitatsstorungen, aber
eine Gesichtsfeldeinschrankung beidseits temporal.
Entscheidend für die weitere Abklarung war die bildgebende
Diagnostik. Computertomographisch zeigte sich eine stark
aufgeweitete Sella mit zerstörtem Sellaboden beidseits emschliellich der Pyramidenspitzen sowie eine Zerstorung der
Keilbeinhöhle mit angrenzender Arrosion des Clivus. Der
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Em
Laryngo-Rhino-Otol. 76 (1997) 569
Der interessante Fall Nr. 6
3a
Abb. 2 Kraniale Computertomographie: Ausgedehnter knochenzerstorender Tumor der Schädelbasis.
L.
Proze war dabei bis in die Fossa pterygopalatina ausgedehnt,
die Weichteilformation reichte bis in den Nasopharynx und
die hintere Nasenhaupthohle (Abb.2). Es zeigten sich weiterhin knöcherne Destruktionen des Condylus occipitalis, des
rechten Atlasbogens und der Querfortsatze des ersten Hatswirbels.
In der Magnetresonanztomographie konnte die komplette
Tumorausdehnung sichtbar gemacht werden. Dabei zeigte
sich em vorwiegend infrasellär gewachsener, das Chiasma
opticum anhebender Tumor, dec sich unter Auflosung der
Schadelbasis nach kaudal his in beide Fossae pterygopalatinae
ausgebreitet hatte. Dorsal reichte er bis zum Atlas und Dens
axis. Das Tumorgewebe steilte sich dabei nach Gabe von
Gadolinium deutlich Kontrastmittel anreichernd dar. Die Artena carotis interna war beidseits komplett vom Tumor ummauert, der Knochen aufgelost und durch Tumor ersetzt (Abb. 3).
Aufgrund der Magnetresonanztomographie wurde der Ver—
dacht auf em Hypophysenadenom geaufert. Die Uberprufung
des Hormonstatus (STH; TSH, T3, T4; FSH, LH, Testosteron,
Androgene, Dehydroepiandrosteron und IGFI; ACTH und
Cortisol; Prolactin) ergab dabei Normalwerte für alle Parameter.
Zur weiteren Klärung wurde eine Probeexzision entnommen.
l-listologisch ergab sich immunhistochemisch eine starke
3b
Abb.3 MRT des Schdek mit Darstellung elnes ausgedehnten
Gadolinium aufnehmenden Tumors a sagittale Schnittfuhrung b axiale
Schnittfhhrung.
der end onasale Zugang zur Keilbeinhdhle und somit zur Sella
ideal art [5].
antikorpervermittelte Reaktion gegen Prolactin.
Die Diagnose lautet damit: Chromophobes Hypophysenadenom.
Therapie
Aufgrund der Symptomarmut des Patienten wurde in Ober-
einstimmung mit den Neurochirurgen auf eine radikale
Eine Besonderheit der Flypophysenadenome ist ihr in einem
Drittel der Fälle auftretendes invasives Wachstum 14]. Adenome dieser Ausdehnung sind zwar selten, aber beschrieben
[1], ebenfalls ihre Ausdehnung in den Nasopharynx [2]. Bei
Hypophysenadenomen bietet sich zur Histologiesicherung
Tumorentfernung zum jetzigert Zeitpunkt verzichtet, da das
Risiko iatrogener Hirnnervenaustalle und einer Verletzung
derArteria carotis interna zu gro1 erschien [3].
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C. NöIIe, T. Stöver, Th. Lenarz
570 Laryngo-Rhino-Otol. 76 (1997)
Der durch Tumoreinbruch instabil gewordene kraniozervikale
Obergang wurde unfallchirurgisch mittels einer Y-Platte und
autologem Knochen im Sinne einer Spondylodese zwischen
CO und C3 stabilisiert.
Zur weiteren Tumorreduktion und zur lnduktion eines
Wachstumsstillstandes wurde der Patient einer Radiotherapie
zugefuhrt. Diese kann grundsatzlich mit gutem Erfoig durchgefUhrt werden.
Literatur
Anand, V. K., C. M. Osborne, H. L. Harkey: Infiltrative diva!
pituitary adenoma of ectopic origin. Otolaryngol. Head Neck
2
Surg. 108(1993)178—183
Blagoveshchenskaia, N. S., S. N. Fedorov, A. N. Lebedev, A. F.
Sokolov: (Pituitary tumors extending into the nose, their
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Neirokhir. 4(1984)7—13
Nakase, H., H. Ohnishi, H. Touho, M. Takaoka, J. Karasawa, M.
Kawaguchi, T. Sakamoto: Pituitary adenoma invading the skull
base — a strategy for skull base surgery. Neurol. Med.-Chir. Tokyo
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Riede, U. N., I-I. E. Schaefer (ed.): Allgemeine und spezielle
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Shikani, A. H., J. H. Kelly: Endoscopic debulking of a pituitary
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6 Wan, S. K., J. K. Chan, W. H. Lau, T. T. Yip: Basaloid-squamous
carcinoma of the nasopharynx. An Epstein-Barr-virus-associated
neoplasm compared with morphologically identical tumors
ocurring in other sites. Cancer 76 (1995) 1689—1693
Waugh, E., M. R. Baeza, P. Tagle, E. Arteaga: (Postoperative
radiotherapy in adenomas of the hypophysis). Rev. Med. Chil.
120 (1992) 147—152
Dr. C. Nölle
Medizinische Hochschule Hannover
Hals-Nasen-Ohrenklinik
Carl-Neuberg-Strae I
30625 Hannover
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Zur Verbesserung der Nasenatmung wurde daher lediglich
eine Tumorverkleinerung im Bereich der Nasenhaupthohle
und des Nasopharynx uber eine laterale Rhinotomie mit
passagerer Mittelgesichtsosteotomie durchgefuhrt.
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