568 Der interessante Fall Nr. 6 C. NöIIe, T. Stöver, Th. Lenarz Medizinische Hochschule Hannover, HaIs-Nasen-Ohrenklinik (Direktor: Prof. Dr. Th. Lenarz) 49jahriger Patient stelit sich mit einer seit zwei Monaten bestehenden Horminderung links sowie einer behinderten Nasenatmung seit zwei Jahren vor. Weiche Verdachtsdiagnose stellen Sie? Anamnese Der Patient beobachtet seit zwei Jahren eine beidseits zunehmend behinderte Nasenatmung. Saisonale Beschwerden im Sinne einer Rhinitis allergica werden verneint. Zusätzlich gibt er em vermindertes Riechvermogen sowie frontotemporale Cephalgien an. Vor mehreren Jahren habe er kurzfristig Doppelbilder gehabt. Gelegentlich sehe er beim Buck zur Seite verschwommen. Der sonstige Allgemeinzustand sei gut, es lagen keine weiteren l<rankheiten vor. Diagnostik Otoskopisch zeigte sich em Paukenergu links bei unauffalligem Befund rechts. Bei der Nasenendoskopie fand sich eine Muschelhyperplasie beidseits. Im Bereich der hinteren Nasenhaupthohle und des Rachendaches fiel eine kugelige Vorwolbung auf. Es zeigte sich em glatter, mit Schleimhautgefa1en bedeckter kugeliger Tumor, der den linken Tubenwinkel komplett verlegte (Abb. 1). Zur weiteren Klarung der Nasenatmungsbehinderung wurde zunachst em Allergietest durchgefuhrt, der eine ausgepragte allergische Reaktion auf Frühblüher ergab. Eine allergische Rhinitis erschien damit moglich, erklärte jedoch nicht die perennialen Beschwerden. Die weitere Diagnostik mu sich auf die Abklarung der tumorösen Formation konzentrieren. An gutartigen Tumorformationen kommen dabei Adenoide, Polypen, Papillome und das Nasenrachenfibrom, sehr selten Chordome im Bereich des Nasopharynx in Frage. Aufgrund des Alters des Patienten sowie des endoskopischen Befundes 1st em Nasenrachenfibrom (glatter, grauroter Tumor mit stark durchscheinenden Gefäen) auszuschliegen. Hätte sich eine starke Vaskularisation gezeigt, solite auf eine Probeexzision zur histologischen Klärung zuriachst verzichtet und als erstes eine Angiographie durchgefuhrt werden. Laryngo-Rhino-Otol.76(1997)568—570 Georg Thieme Verlag Stuttgart. New York Abb.1 Nasenendoskopie: Vorwolbung in der linken Nasenhaupthöhle und dem Nasopharynx mit glatt begrenzter Oberfläche und ausgeprgter Gefazeichnung. Die haufigsten malignen Tumoren dieser Region sind Plattenepithelkarzinome oder lymphoepitheliale Tumoren (Schminke-Tumor). Selten können Lymphome (vor allem bei Kindern), in Afrika auch das Burkitt-Lymphom vorkommen. Hierbei wird eine Assoziation mit EBV-Viren angenommen. Auch das Nasopharynxkarzinom kann mit EBV-Viren assoziiert sein [61. Der EBV-Titer bei unserem Patienten war allerdings negativ. Die vom Patienten beschriebenen Sehstorungen lieEen nicht nur an em lokal verdrängendes Tumorwachstum denken. Ebenso mute abgeklart werden, ob der Tumor moglicherweise intrakraniellen Ursprungs war oder von der Schädelbasis entstammte und somit in den Nasopharynx sowie angrenzende Gebiete einbrach. In Frage kommen hier in erster Linie Meningeome und Hypophysentumoren, seltener Chordome oder Kraniopharyngeome [4]. Aus diesem Grunde wurde zunächst eine augenarztliche Untersuchung veranlagt. Sie ergab einen normalen Visus, keine Motilitatsstorungen, aber eine Gesichtsfeldeinschrankung beidseits temporal. Entscheidend für die weitere Abklarung war die bildgebende Diagnostik. Computertomographisch zeigte sich eine stark aufgeweitete Sella mit zerstörtem Sellaboden beidseits emschliellich der Pyramidenspitzen sowie eine Zerstorung der Keilbeinhöhle mit angrenzender Arrosion des Clivus. Der Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Em Laryngo-Rhino-Otol. 76 (1997) 569 Der interessante Fall Nr. 6 3a Abb. 2 Kraniale Computertomographie: Ausgedehnter knochenzerstorender Tumor der Schädelbasis. L. Proze war dabei bis in die Fossa pterygopalatina ausgedehnt, die Weichteilformation reichte bis in den Nasopharynx und die hintere Nasenhaupthohle (Abb.2). Es zeigten sich weiterhin knöcherne Destruktionen des Condylus occipitalis, des rechten Atlasbogens und der Querfortsatze des ersten Hatswirbels. In der Magnetresonanztomographie konnte die komplette Tumorausdehnung sichtbar gemacht werden. Dabei zeigte sich em vorwiegend infrasellär gewachsener, das Chiasma opticum anhebender Tumor, dec sich unter Auflosung der Schadelbasis nach kaudal his in beide Fossae pterygopalatinae ausgebreitet hatte. Dorsal reichte er bis zum Atlas und Dens axis. Das Tumorgewebe steilte sich dabei nach Gabe von Gadolinium deutlich Kontrastmittel anreichernd dar. Die Artena carotis interna war beidseits komplett vom Tumor ummauert, der Knochen aufgelost und durch Tumor ersetzt (Abb. 3). Aufgrund der Magnetresonanztomographie wurde der Ver— dacht auf em Hypophysenadenom geaufert. Die Uberprufung des Hormonstatus (STH; TSH, T3, T4; FSH, LH, Testosteron, Androgene, Dehydroepiandrosteron und IGFI; ACTH und Cortisol; Prolactin) ergab dabei Normalwerte für alle Parameter. Zur weiteren Klärung wurde eine Probeexzision entnommen. l-listologisch ergab sich immunhistochemisch eine starke 3b Abb.3 MRT des Schdek mit Darstellung elnes ausgedehnten Gadolinium aufnehmenden Tumors a sagittale Schnittfuhrung b axiale Schnittfhhrung. der end onasale Zugang zur Keilbeinhdhle und somit zur Sella ideal art [5]. antikorpervermittelte Reaktion gegen Prolactin. Die Diagnose lautet damit: Chromophobes Hypophysenadenom. Therapie Aufgrund der Symptomarmut des Patienten wurde in Ober- einstimmung mit den Neurochirurgen auf eine radikale Eine Besonderheit der Flypophysenadenome ist ihr in einem Drittel der Fälle auftretendes invasives Wachstum 14]. Adenome dieser Ausdehnung sind zwar selten, aber beschrieben [1], ebenfalls ihre Ausdehnung in den Nasopharynx [2]. Bei Hypophysenadenomen bietet sich zur Histologiesicherung Tumorentfernung zum jetzigert Zeitpunkt verzichtet, da das Risiko iatrogener Hirnnervenaustalle und einer Verletzung derArteria carotis interna zu gro1 erschien [3]. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. — C. NöIIe, T. Stöver, Th. Lenarz 570 Laryngo-Rhino-Otol. 76 (1997) Der durch Tumoreinbruch instabil gewordene kraniozervikale Obergang wurde unfallchirurgisch mittels einer Y-Platte und autologem Knochen im Sinne einer Spondylodese zwischen CO und C3 stabilisiert. Zur weiteren Tumorreduktion und zur lnduktion eines Wachstumsstillstandes wurde der Patient einer Radiotherapie zugefuhrt. Diese kann grundsatzlich mit gutem Erfoig durchgefUhrt werden. Literatur Anand, V. K., C. M. Osborne, H. L. Harkey: Infiltrative diva! pituitary adenoma of ectopic origin. Otolaryngol. Head Neck 2 Surg. 108(1993)178—183 Blagoveshchenskaia, N. S., S. N. Fedorov, A. N. Lebedev, A. F. Sokolov: (Pituitary tumors extending into the nose, their topography, diagnosis and principles of treatment). Zh. Vopr. Neirokhir. 4(1984)7—13 Nakase, H., H. Ohnishi, H. Touho, M. Takaoka, J. Karasawa, M. Kawaguchi, T. Sakamoto: Pituitary adenoma invading the skull base — a strategy for skull base surgery. Neurol. Med.-Chir. Tokyo 34(1994)686—691 Riede, U. N., I-I. E. Schaefer (ed.): Allgemeine und spezielle Pathologie. 3. ed. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York (1992) 968 u. 970 Shikani, A. H., J. H. Kelly: Endoscopic debulking of a pituitary tumor. Amer. I. Otolaryngol. 14(1993)254—256 6 Wan, S. K., J. K. Chan, W. H. Lau, T. T. Yip: Basaloid-squamous carcinoma of the nasopharynx. An Epstein-Barr-virus-associated neoplasm compared with morphologically identical tumors ocurring in other sites. Cancer 76 (1995) 1689—1693 Waugh, E., M. R. Baeza, P. Tagle, E. Arteaga: (Postoperative radiotherapy in adenomas of the hypophysis). Rev. Med. Chil. 120 (1992) 147—152 Dr. C. Nölle Medizinische Hochschule Hannover Hals-Nasen-Ohrenklinik Carl-Neuberg-Strae I 30625 Hannover Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Zur Verbesserung der Nasenatmung wurde daher lediglich eine Tumorverkleinerung im Bereich der Nasenhaupthohle und des Nasopharynx uber eine laterale Rhinotomie mit passagerer Mittelgesichtsosteotomie durchgefuhrt.