Inhalt Marianne Leuzinger-Bohleber, Ulrich Bahrke und Alexa Negele Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I Konzepte und Hintergründe Martin Hautzinger Verhaltenstheoretische Ansätze bei chronischer Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Marianne Leuzinger-Bohleber Chronische Depression und Trauma. Konzeptuelle Überlegungen zu ersten klinischen Ergebnissen der LAC-Depressionsstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Hugo Bleichmar Verschiedene Pfade, die in die Depression führen. Implikationen für spezifische und gezielte Interventionen 82 Rosemarie Kennel Chronische Depression und Psychic Retreat . . . . . . . . . . . . 98 Rolf Haubl Depression und Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II Behandlungspraxis Argyroula Koutala Verhaltenstherapeutische Interventionen zur Behandlung chronischer Depressionen. Eine Falldarstellung . . . . . . . . . 131 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525451687 — ISBN E-Book: 9783647451688 6 Inhalt Klara Kilber-Brüssow und Felicitas Weis Neuere Konzepte zur Behandlung von chronisch Depressiven. Zwei Falldarstellungen im Rahmen der LAC-Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Ingeborg Goebel-Ahnert Die schlechten und die guten Phasen – Gesichter einer Depression. Bericht einer psychoanalytischen Behandlung mit Kommentar von Hugo Bleichmar . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Wolfgang Merkle Behandlung chronisch depressiver Patienten in einer Tagesklinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Reinhard Lindner Psychotherapie mit älteren depressiven Patienten . . . . . . . 198 III Studien Ulrich Bahrke, Manfred Beutel, Georg Fiedler, Andreas Haas, Martin Hautzinger, Lisa Kallenbach, Wolfram Keller, Marianne Leuzinger-Bohleber, Alexa Negele, Bernhard Rüger und Margerete Schött Psychoanalytische und kognitiv-verhaltenstherapeutische Langzeittherapien bei chronischer Depression (LAC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Steven P. Roose Diskussion der LAC-Depressionsstudie . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Heinz Böker Emotion und Kognition. Die Züricher Depressionsstudien 245 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525451687 — ISBN E-Book: 9783647451688 7 Inhalt David Taylor, Jo-anne Carlyle, Susan McPherson, Felicitas Rost, Rachel Thomas und Peter Fonagy Die Tavistock Adult Depression Study (TADS). Eine randomisiert kontrollierte Studie zur analytischen Psychotherapie therapieresistenter / therapierefraktärer Depressionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Dorothea Huber, Judith Gastner, Gerhard Henrich und Günther Klug Must all have prizes? Die Münchner Psychotherapiestudie (MPS) – ein Vergleich von analytischer Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie und kognitiver Verhaltenstherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Martin Hautzinger, Martin Härter und Elisabeth Schramm Cognitive Behavioural Analysis System of Psychotherapy bei chronischer Depression. Die CBASP- versus SYSP-Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Wolfram Keller Symptomatik und strukturelle Veränderungen bei chronisch depressiven Patienten. Teilergebnisse der Praxisstudie analytische Langzeittherapie (PAL-Studie) . . 333 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525451687 — ISBN E-Book: 9783647451688 Steven P. Roose Diskussion der LAC-Depressionsstudie Die LAC-Depressionsstudie hat ein exzellentes Studiendesign, auf dessen Grundlage die Studienergebnisse es erlauben werden, einige hoch interessante Fragen zu erörtern. Beispielsweise ist der Vergleich einer Gruppe von Patienten, die selbst ihr Therapieverfahren wählen (Präferenz), mit einer Gruppe von Patienten mit den gleichen Ausgangscharakteristika, die zufällig (Randomisierung) einem Verfahren zugewiesen werden, hoch innovativ und dient insbesondere der Beantwortung einer zentralen klinischen Frage: Wirkt sich eine Präferenz auf das Therapieergebnis aus oder nicht? Die Überzeugung, dass sich Patientenpräferenzen auf das Behandlungsergebnis auswirken, basiert auf der Annahme, dass die Erfolgserwartung durch die Wahl einer Behandlung, an deren Wirkung ein Patient glaubt, erhöht wird, das heißt: Je höher die Erwartung, dass die Behandlung anspricht, desto größer deren Wirkung. Patientenerwartungen werden auch als der Wirkmechanismus bei Placebogabe angenommen. Diese Überzeugung entspricht Befunden aus Antidepressiva-Studien, die zeigen, dass die Behandlung bei Patienten, die wissen, dass sie medikamentös behandelt werden, häufiger anschlägt als in Placebo-kontrollierten Studien, in welchen die Wahrscheinlichkeit, überhaupt ein Medikament verabreicht zu bekommen, lediglich bei 50 % liegt, also die Wirkerwartung reduziert ist. Empirisch unterstützt wird dieses Konstrukt weiterhin durch Placebo-kontrollierte Blindstudien, die zeigen, dass das Ansprechen auf Placebo-Behandlungen mit der Anzahl medikamentöser Behandlungsbedin- © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525451687 — ISBN E-Book: 9783647451688 Diskussion der LAC-Depressionsstudie 241 gungen steigt und damit mit der Wahrscheinlichkeit, tatsächlich eine medikamentöse Behandlung zu erhalten. Die Hypothese hier ist, dass die Behandlungswahl eine Bedingung erhöhter Wirkerwartung herstellt, was sich wiederum in ein erhöhtes Ansprechen auf die Behandlung übersetzen lässt. Das Aufregende an der LAC-Studie ist nun, dass die Ergebnisse diese Hypothese prüfen lassen werden. Dies wird die wissenschaftliche Diskussion von einer Debatte über mit Nachdruck vertretenen, jedoch empirisch nicht untermauerten Meinungen auf das höhere Niveau der Dateninterpretation heben. Natürlich werden wir auf die endgültigen Ergebnisse der Studie warten müssen, um diese Hypothesen zu testen, aber die vorläufigen deskriptiven Daten weisen schon jetzt auf einige sehr überraschende Befunde hin: So wählte die Mehrheit der Patienten mit einer Behandlungspräferenz erstaunlicherweise eine analytische Psychotherapie. Zwischen der Gruppe der PräferenzPatienten und der Gruppe der Randomisierungs-Patienten gibt es keine signifikanten Unterschiede in demografischen oder anderen erhobenen Dimensionen. Dies gibt Anlass zur Annahme, dass die Daten die Hypothese, dass präferierte Behandlungen zu besseren Ergebnissen führen, nicht stützen werden. Eine zweite Besonderheit des Designs der LAC-Studie sind die geplanten Follow-up-Untersuchungen nicht nur nach 12 und 24, sondern auch nach 36, 48 und 60 Monaten. Langfristige Erhebungen sind absolut notwendig, obwohl sie häufig vernachlässigt werden, da bei Patienten mit einer chronischen Erkrankung wie einer chronischen Depression nicht nur das Ansprechen auf die Behandlung vorrangig ist, sondern insbesondere deren Nachhaltigkeit. Patienten unter dreißig Jahren suchen häufig bei der ersten oder sogar zweiten depressiven Episode keine Behandlung auf. Längsschnittdaten zeigen aber deutlich (z. B. Dawson et al., 1998; Kupfer, 1991), dass bei Patienten, die bereits zwei depressive Episoden hatten, eine Wahrscheinlichkeit von 78 % für weitere Episoden besteht. Nach einer dritten Episode beträgt die Wahrscheinlichkeit sogar nahezu 99 %, an einer lebenslang rezidivierenden depressiven Störung zu erkranken, wobei sich die Frequenz, mit der die Episoden aufeinander folgen, mit dem © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525451687 — ISBN E-Book: 9783647451688 242 Steven P. Roose Alter erhöht. Folglich ist es bei der Charakterisierung der Patientenkohorte einer Studie zur Behandlung von Depressionen wie der der LAC-Studie wichtig, zu differenzieren, ob die Patienten eine rezidivierende unipolare depressive Störung haben oder eine Dysthymia und Major Depression, eine sogenannte »Double Depression«. Gleichermaßen ist die Anzahl der bisherigen Episoden festzuhalten, denn die Frage, die die Studie beantworten muss, ist, ob die Intervention den Verlauf der Krankheit verändert. Bei der Behandlung von Depression und chronischer Depression geht es also nicht nur um die Behandlung der akuten Episode. Es geht darum, den Verlauf der Störung zu verändern und zukünftige Episoden zu verhindern. Ein wichtiger Aspekt, der meines Wissens bei der Präsentation der LAC-Studie nicht diskutiert wurde, ist, ob die Behandlung mit Antidepressiva während der psychotherapeutischen Behandlung zulässig ist und falls dies der Fall ist, ob Veränderungen der Medikation erlaubt sind. Falls dem so ist, erhalten Patienten, die Medikamente einnehmen, gleichzeitig zwei potenziell wirksame Behandlungen, weshalb die statistische Analyse die Medikation als Kovariante beinhalten muss. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass die Wirkung der Medikation über das hauptsächliche Ergebnismaß, der Schweregrad der Depression, weitere Auswirkungen hat. In einer randomisiert-kontrollierten Studie, in der ein SSRI mit KVT und Placebo bei der Behandlung einer unipolaren depressiven Episode verglichen wurden, waren KVT und SSRI gleichermaßen wirksam und der Placebo-Bedingung überlegen (DeRubeis et al., 2005). Allerdings wiesen nur die mit dem SSRI behandelten Patienten eine signifikante Verringerung in Neurotizismus-Werten auf sowie eine Normalisierung des Bias bei negativen Gesichtsausdrücken in einem fMRI-Paradigma, in dem die Amygdala-Aktivierung untersucht wurde. Demzufolge können zwei Behandlungen, die gleichermaßen wirksam den Schweregrad der Symptome reduzieren, bedeutend unterschiedlich hinsichtlich anderer Effekte sein, die dann aber langfristig entscheidend das Ergebnis beeinflussen. Abschließend würde ich gern ein beliebtes Thema kommentieren, nämlich die unterschiedliche Kultur der psychoanalytischen Gemeinschaft in Amerika und Europa. Ich glaube nicht an © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525451687 — ISBN E-Book: 9783647451688 Diskussion der LAC-Depressionsstudie 243 ein Aufeinanderprallen der Kulturen zwischen zwei Kontinenten, sondern vielmehr an ein Aufeinanderprallen von Kulturen innerhalb unseres Fachgebiets. Am besten lässt sich dieser Aspekt illustrieren, indem ich Marianne Leuzinger-Bohleber nenne, denn sie lebt, versteht und lernt von vielen Welten. Mit einer randomisiert-kontrollierten Studie lässt sich sehr viel über Behandlungen lernen, und unser Feld braucht Ergebnisse vieler gut durchgeführter randomisiert-kontrollierter Studien, die psychoanalytische Behandlungen zum Gegenstand nehmen. Die Resultate dieser Studien geben uns die Sprache, die wir brauchen, um mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft in den Dialog treten zu können, um die Gesundheitspolitik beeinflussen zu können oder um gegenüber unseren Patienten vertreten zu können, dass unsere Behandlungsempfehlungen evidenzbasiert sind. Klinische Studien sind jedoch nicht die einzige Art und Weise zu kommunizieren. Als Analytiker mögen wir innere Dialoge, wir reden gern mit uns selbst und sprechen mit unseren psychoanalytischen Kollegen. Wir reden über unsere Gegenübertragung und mit Freunden über klinische Fälle, den Rahmen und die Metapsychologie. Wenn wir so miteinander reden heißt das jedoch nicht, dass wir einen offenen Dialog führen. Während meiner psychoanalytischen Ausbildung habe ich schnell herausgefunden, welcher Supervisor etwas über Objektbeziehungen und welcher etwas über Ich-Psychologie hören wollte und wem gegenüber ich niemals Melanie Klein erwähnen sollte. Ich glaube, dass unsere Diskussionen untereinander wertvolle soziale und intellektuelle Funktionen erfüllen, aber wir können uns damit nicht in der akademischen medizinischen Welt einbringen. Unsere Gespräche sind eine Quelle der Hypothesengenerierung, doch keine dieser Diskussionen kann die Funktion der Überprüfung unserer Hypothesen erfüllen. Ich glaube also nicht, dass die Schwierigkeit darin besteht, dass es zwei Kulturen oder zwei Welten gibt, die Welt der klinischen Studien und die der subjektiven Diskussionen über Theorie, Patienten und klinische Erfahrung. Ein Problem besteht vielmehr dann, wenn wir nur in einer der beiden Welten leben, beispielsweise wenn wir nur Patienten behandeln und nicht die Ergebnisse klinischer Studien betrachten und uns dafür nicht © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525451687 — ISBN E-Book: 9783647451688 244 Steven P. Roose interessieren. Als Analytiker können wir über Theorien, klinische Erfahrung und unsere Patienten diskutieren, aber als Kliniker, die Patienten behandeln, müssen wir auch mit der Welt der klinischen Studien kommunizieren und zum Teil auch in dieser Welt leben. Mir macht es nichts aus, mich zwischen diesen zwei Welten zu bewegen, und Marianne Leuzinger-Bohleber ist das beste Beispiel für jemanden, der dies auf höchstem Niveau vermag. Wir sollten ihrem Beispiel folgen und Grenzen überwinden, anstatt uns für eine Seite zu entscheiden. Vortrag, anlässlich der Tagung »Chronische Depression« im Oktober 2011 in Frankfurt a. M. Übersetzung: Mareike Ernst und Alexa Negele Literatur Dawson, R., Lavori, P. W., Coryell, W. H., Endicott, J., Keller, M. B. (1998). Maintenance strategies for unipolar depression: an observational study of levels of treatment and recurrence. Journal of Affective Disorders, 49 (1), 31 – 44. DeRubeis, R. J., Hollon, S. D., Amsterdam, J. D., Shelton, R. C., Young, P. R., Salomon, R. M., O’Reardon, J. P., Lovett, M. L., Gladis, M. M., Brown, L. L., Gallop, R. (2005). Cognitive therapy vs medications in the treatment of moderate to severe depression. Archives of General Psychiatry, 62, 409 – 416. Kupfer, D. J. (1991). Long-term treatment of depression. Journal of Clinical Psychiatry, 52 (5), 28 – 34. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525451687 — ISBN E-Book: 9783647451688